Chaostheorie des Lebens - Carolin Kippels - E-Book

Chaostheorie des Lebens E-Book

Carolin Kippels

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Beschreibung

Alina und Gabriel haben sich nicht gesucht, aber endlich gefunden. Seit ein paar Monaten sind sie frisch verliebt und überglücklich und wollen nun endlich zusammenziehen. Ein großer Schritt und kaum ist der Entschluss gefasst, nimmt das Chaos des Lebens seinen Lauf. Alina muss entscheiden, ob sie vielleicht doch noch studieren möchte, und macht sich außerdem auf die Suche nach ihrem Vater, den sie nie kannte. Die Familie mischt sich kräftig ein und Gabriel nimmt alte Hobbies wieder auf, aber auch alte Verhaltensmuster. Und plötzlich steht alles auf der Kippe …

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Die AutorinCarolin Kippels wurde 1995 in Gummersbach geboren. In ihrer Kindheit erkundete sie die Wälder des bergischen Landes und brachte mit klaren Strichen abenteuerliche Fantasiegebilde auf Papier. In der Schulzeit entwickelte sich ihr reges Interesse an zwischenmenschlichen Prozessen, über die sie Kurzgeschichten verfasste. Nach ihrem Abitur 2013 baute sie dieses Interesse aus und startete ein Psychologiestudium in Köln. Mit 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Thriller selbst unter Eigenregie. Sie ist ein Hundefreund und widmet sich in ihrer Freizeit leidenschaftlich ihren Lieblingsserien Game of Thrones, Sherlock und American Horror Story.

Das Buch

Alina und Gabriel haben sich nicht gesucht, aber endlich gefunden. Seit ein paar Monaten sind sie frisch verliebt und überglücklich und wollen nun endlich zusammenziehen. Ein großer Schritt und kaum ist der Entschluss gefasst, nimmt das Chaos des Lebens seinen Lauf. Alina muss entscheiden, ob sie vielleicht doch noch studieren möchte, und macht sich außerdem auf die Suche nach ihrem Vater, den sie nie kannte. Die Familie mischt sich kräftig ein und Gabriel nimmt alte Hobbies wieder auf, aber auch alte Verhaltensmuster. Und plötzlich steht alles auf der Kippe … 

Carolin Kippels

Chaostheorie des Lebens

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.   Originalausgabe bei Forever. Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin November 2016 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat ISBN 978-3-95818-151-9  Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

– 1 Das Ende einer Ära

»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, sagte Jana verärgert. Ihr war anzusehen, dass sie alles andere als begeistert war. Aber früher oder später hätte Alina mit ihr darüber sprechen müssen. Sie hatte es schon eine ganze Weile vor sich hergeschoben. Leider änderte das Aufschieben nichts an der Tatsache: Sie würde ausziehen. Und nun hatte sie es Jana endlich gesagt.

Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt gewesen? Nein, daran hatte es bestimmt nicht gelegen. Egal, ob sie ihr diese Nachricht beim Frühstück oder beim Abendbrot mitgeteilt hätte, es blieb die gleiche Nachricht. Eben die Nachricht, die Jana nicht gefiel.

»Mal schauen, wie schnell ich einen neuen Mitbewohner finde. Hast du vor, noch diesen Monat auszuziehen?«, fragte Jana und fuhr sich nervös durch ihr blondgefärbtes Haar.

»Ich weiß noch nicht. Ich will es dir ja auch nicht schwer machen. Also kann ich gerne warten, bis du jemanden gefunden hast.« Das war wohl das Mindeste, und Alina hoffte, dass diese Worte Jana milde stimmen konnten. Das war aber nicht der Fall.

»Zu gütig von dir«, gab diese ironisch zurück. »Wie lange seid ihr eigentlich schon ein Paar?«

Alina verstand nicht hundertprozentig, was das mit ihrem Auszug zu tun hatte, aber sie gab Jana nach einem kurzen Räuspern eine ehrliche Antwort: »Drei Monate.«

Jana atmete tief durch und fragte dann: »Und da willst du mit ihm zusammenziehen?«

Die Frage ihrer Freundin störte Alina. Schließlich hatte sie noch nie in Betracht gezogen, mit einem Mann zusammenzuziehen. Bisher hatte sie immer Angst gehabt, dass es zu früh sein könnte oder dass das gemeinsame Wohnen die Beziehung zerstörte. Diese Angst hatte sie bezüglich ihres neuen Freundes Gabriel ganz gut verdrängt. Zumindest bis jetzt. Dass ihre Freundin nun so skeptisch war, ärgerte Alina und sie verschränkte die Arme vor der Brust. Ein paar Sekunden später änderte sie die Pose aber schon wieder, weil sie die Situation nervös machte. Kein Wunder, dass Janas Frage sie verunsicherte. Alina vertraute ihrer besten Freundin. Die beiden waren wie Schwestern und teilten nahezu alles miteinander. Trotzdem ließ sich Alina nichts anmerken.

»Das ist meine Entscheidung, okay?« Alina konnte nicht verhindern, dass sie etwas forsch klang. »Außerdem dachte ich, dass du dich freust. Das ist für Gabriel und mich ein großer Schritt, und wir beide glauben, dass es das Richtige ist.« Jana schwieg, also setzte Alina hinterher: »Na, komm schon. Ich werde dich und unsere WG auch vermissen, aber wir wussten, dass eine von uns beiden früher oder später ausziehen würde, oder?«

»Anscheinend eher früher. Und lass es mich so sagen. Sogar viel zu früh. Du bist mit Gabriel gerade einmal drei Monate zusammen. Du kennst ihn noch gar nicht. Wer weiß? Vielleicht hat er Geheimnisse vor dir? Vielleicht ist er in Wirklichkeit ein Psychopath. Ja, sowas gibt es: Vollkommen normale, nette Männer stellen sich plötzlich als Alptraum heraus. Warst du überhaupt schon einmal in dem Keller seiner Wohnung und weißt, was er dort lagert? Vielleicht benutzt er dich nur als Tarnung, um wie der charmante, junge Mann von nebenan zu wirken.«

Alina verdrehte die Augen. »Hör bitte auf, Stephen King zu lesen. Das tut dir nicht gut. Oder ist das eine Taktik von dir? Versuchst du mir Angst vor Gabriel zu machen, damit ich den Umzug wieder vergesse?«

Jana zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.«

Immerhin zeigte Janas Verhalten, dass sie zwar eingeschnappt, aber nicht ernsthaft böse war. Ansonsten hätte sie das Szenario ›Gabriel, der Psychopath‹ wohl nicht entworfen.

»Gut, dann geht nun eine Ära zu Ende. Wir schmeißen auf jeden Fall eine Abschiedsparty«, meinte Jana dann.

Alina nickte und schloss ihre Freundin in die Arme. Eigentlich war das Gespräch gut gelaufen. Jana war nicht begeistert, aber das war zu erwarten gewesen. Das Einzige, was Alina an dem Gespräch störte, war Janas Meinung, dass der Einzug zu schnell ging. Was, wenn Jana recht hatte? Bisher hatte sie in ihrem Leben diesen Schritt vermieden. Oft hatte sie Bedenken gehabt, aber bei Gabriel hatte sie diese ausgeblendet, weil sie sich so gut mit ihm fühlte. Vielleicht hieß das, dass sie bereit war? Trotzdem blieben gewisse Bedenken, wenn man Ernst machte. Gut möglich, dass sie sich früher zu viele Gedanken gemacht hatte und nun zu wenig. Aber das war das Problem. Alina geriet oft ins Grübeln und das wollte sie vermeiden, weil sie wusste, dass Grübelei viel kaputtmachte.

Sie zog sich schnell für die Arbeit um und verließ die Wohnung. Sie hatte Glück, dass sie heute eine kurze Schicht in der Tankstelle hatte. Ungeduldig rechnete sie sich aus, wie viele Minuten sie noch hinter der Theke stehen musste, bis sie frei hatte und Gabriel sie abholen würde. Die Zeit verging viel zu langsam, und sie hatte heute auch mit einigen nervigen Kunden zu kämpfen.

Doch auch dieser Arbeitstag neigte sich dem Ende zu und dann stand endlich Gabriel in der Tür. Er lächelte sie verschmitzt an.

»Hallo, schöne Frau. Sie haben nicht zufälligerweise ein Taxi mit einem gutaussehenden Fahrer bestellt?«, fragte er.

In diesem Augenblick strahlte Alina über das ganze Gesicht. Ja, sie war sicher. Sie wollte mit diesem Mann zusammenziehen. Denn allein dieser Satz brachte sie zum Schmunzeln und der langweilige Arbeitstag war vollkommen vergessen.

»Guten Abend, gutaussehender Fahrer. Das kann sein. Ein Taxi käme ganz gelegen. Was kostet denn eine Fahrt bei Ihnen?«

»Oh, mit dem Fahrer inklusive wird das nicht gerade billig. Aber ich akzeptiere auch alternative Zahlungsweisen.« Er trat ein Stückchen auf sie zu und gab ihr einen kurzen Kuss zur Begrüßung.

»Soso. Ich habe meinen Lohn diesen Monat noch nicht bekommen. Also bin ich für die alternativen Zahlungsweisen.«

»Die sind mir persönlich auch deutlich lieber«, flüsterte Gabriel und zog sie noch etwas näher zu sich. Alina musste kichern, aber hörte dann auch gleich ein Räuspern. Anscheinend waren sie nicht mehr alleine. Pascal war gekommen, um sie abzulösen.

Peinlich berührt löste sie sich von Gabriel und schaute Pascal nicht an. Trotzdem bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass er grinste.

»Schönen Abend euch beiden noch«, rief er Gabriel und Alina hinterher, als sie das kleine Häuschen verließen.

»Pascal hat wirklich ein sehr schlechtes Timing«, bemerkte Alina.

»Ach, stör dich nicht an ihm. Er ist höchstens neidisch.« Gabriel küsste Alina auf die Stirn und schaute sie dann fragend an. »Wie war dein Tag?«

»So lala.« Alina wollte in den Wagen einsteigen, aber Gabriel hielt sie zurück.

»Alina, ein bisschen mehr Details wären schön. Muss ich dir alles aus der Nase ziehen?« Er hob die Augenbrauen und warf ihr einen fragenden Blick zu. Alina hatte eine grobe Vermutung, welches Thema er gleich anschneiden würde.

»Hast du endlich mit Jana gesprochen?«

Volltreffer, es ging um den Auszug. Sie hatte richtig gelegen.

Alina nickte. »Ja, habe ich.«

»Und? Was hat sie gesagt?«

»Sie ist nicht begeistert, aber akzeptiert es.«

»Hab ich doch gesagt. Es wäre auch echt albern, wenn sie deswegen ernsthaft wütend wäre. Ich bin froh, dass du das hinter dich gebracht hast. Dann steht deinem Umzug nichts mehr im Wege, oder?«

Gabriel hatte recht. Es gab nun nichts mehr, was dagegen sprach, dass sie zusammenzogen. Sie nickte glücklich und schmiegte sich an ihn. Da die Sache mit Jana geklärt war, hoffte Alina, dass ihnen nun keine Steine mehr in den Weg gelegt würden.

Alina übernachtete zwar bei Gabriel, aber schaute am nächsten Morgen gleich wieder bei Jana vorbei. Sie wollte anfangen ein paar Sachen in Kartons zu packen. Um die Schränke abzubauen, würde sie Hilfe benötigen.

Als es an der Haustür klingelte, wurde Alina bei ihrer Arbeit unterbrochen. Sie betätigte gleich den Summer und hörte, wie jemand die Treppenstufen heraufstieg. Kurz darauf stand ein schlankes Mädchen mit rabenschwarzem Haar vor ihr. Alina war ein wenig irritiert.

»Guten Morgen, wer sind Sie?«, fragte sie verwirrt, worauf das Mädchen lächelte und ihr die Hand entgegenhielt.

»Ich bin Amy und hier wegen der Wohnungsbesichtigung. Du kannst mich übrigens duzen.«

Alina war in diesem Augenblick wirklich überrascht. Natürlich wollte Jana nach einem neuen Mitbewohner oder einer neuen Mitbewohnerin suchen. Aber Alina hatte nicht erwartet, dass ihre beste Freundin so schnell damit anfangen würde. Schließlich hatte sie ihr erst gestern gesagt, dass sie ausziehen würde. Alina war sich nicht ganz sicher, ob Jana das nicht vielleicht tat, um ihr eins auszuwischen.

»Okay. Dann komm erst einmal rein.« Sie ließ das Mädchen herein und rief nach Jana, die sogleich aus ihrem Zimmer kam. Noch immer ein wenig überrumpelt schaute Alina sie an. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass du heute schon eine Wohnungsbesichtigung hast.«

»Wie denn? Du bist erst heute Morgen wiedergekommen. Gestern warst du ja bei Gabriel.«

»Du hättest mir schreiben können.«

Jana seufzte. »Ich muss dir doch jetzt nicht ständig mitteilen, wenn ich eine Besichtigung plane, oder?«, fragte sie zurück. »Abgesehen davon war es auch für mich überraschend. Ich habe eben Glück gehabt.«

Für Jana war das Gespräch damit beendet und sie drehte sich zu Amy. »Hey, herzlich willkommen in der Wohnung. Ich bin Jana, aber wir haben uns ja schon gesehen. Das ist Alina. Sie bleibt uns aber nicht mehr allzu lange erhalten, weil sie bald auszieht. Du bekommst dann ihr Zimmer.« Erst jetzt drehte sich Jana noch einmal zu Alina. »Es ist doch okay, wenn ich Amy gleich dein Zimmer zeige?«

Ganz in Ordnung war es nicht, weil es eigentlich nicht aufgeräumt war. Die Kartons standen überall herum und Kleidung lag wild übers Bett verteilt, aber Alina stimmte einfach zu, auch wenn sie ein flaues Gefühl im Magen hatte. Um zu widersprechen, war sie zu überrascht gewesen. Außerdem wollte sie Jana die Besichtigung nicht vermiesen. Amy wurde durch die Wohnung geführt und besah sich dann Alinas Zimmer.

»Was machst du denn so, Amy?«, fragte Alina, als die Fremde ihr Zimmer betrat.

»Ich studiere Musik. Ich muss als Student etwas mit dem Geld haushalten. Die Wohnung ist billig und mehr als ein Zimmer, Bad und Küche brauche ich nicht«, sagte Amy.

»Ich verstehe. Bist du im ersten Semester?«

Amy lächelte leicht. »Nein, ich bin mittendrin. Im vierten. Es macht mir wirklich Spaß. Aber ich will aus meiner alten WG ausziehen. Da ist etwas schlechtes Klima. Wenn man mit den falschen Personen zusammenzieht, ist das eine echte Katastrophe.«

»Oh«, machte Alina und konnte nicht verhindern, dass sie an das Zusammenziehen mit Gabriel denken musste. Auch das konnte schieflaufen. Den Gedanken verwarf sie allerdings sofort. Schließlich wollte sie es mit ihm probieren, und wie hieß es so schön: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Als sie später in Gabriels Wohnung war, beschloss sie, heute für ihn zu kochen. So konnten sie gemütlich gemeinsam essen, wenn er nach Hause kam. Außerdem stellte er sich nach der Arbeit ungern in die Küche, um noch schnell irgendein Gericht zu zaubern. Die Überraschung war ihr gelungen.

»Es ist wirklich gut, dass du hier einziehst, denn du bist eine hervorragende Köchin«, bemerkte Gabriel und holte sich einen Nachschlag.

Sie lächelte zufrieden und nickte. »Dank mir ernährst du dich auch endlich gesünder.«

»Ach, jetzt übertreib nicht. Nur, weil ich ein Junggeselle war, heißt das jetzt nicht, dass ich nur von Pizza oder dergleichen gelebt habe.«

Sie ließ sich auf diese Diskussion lieber nicht ein, was Gabriel überraschte. Schließlich lieferten sie sich sonst immer das ein oder andere Wortgefecht.

Er musterte Alina aufmerksam und fragte: »Alles in Ordnung bei dir? Du wirkst ein wenig abwesend. Normalerweise hätten wir jetzt eine Diskussion über mein vorheriges Essverhalten angefangen. Dass du meine Worte einfach so stehen lässt, macht mich etwas skeptisch.«

Obwohl sie erst drei Monate zusammen waren, kannte Gabriel sie gut. Wirklich gut. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er generell einen sehr analytischen Charakter hatte und Veränderungen bemerkte.

»Also?«, fragte er, legte den Kopf leicht schief und schaute Alina auffordernd an.

»Ach, keine Ahnung. Vielleicht bin ich einfach etwas nachdenklich. Jana hat heute jemanden eingeladen, der die Wohnung besichtigt hat.«

»Und? Ist doch schön für sie. Je schneller sie jemanden findet, desto ruhiger wird dein schlechtes Gewissen«, meinte er locker.

»Keine Ahnung. Es hat mich gestört, dass sie sich so schnell jemand anderen sucht.«

Gabriel seufzte. »Es ist doch nicht so, dass der neue Mitbewohner gleich eure Freundschaft ersetzt, oder?«

»Nein, natürlich nicht. Es war einfach komisch. Ich habe jahrelang dort gelebt und jetzt zieht so eine Musikstudentin in mein Zimmer.« Alina verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ich weiß, dass man sich an manche Veränderungen gewöhnen muss, aber … Verzeih mir, du übertreibst gerade etwas.«

Alina verzog das Gesicht. Sie wusste, dass sie sich schnell zu viele Gedanken machte. Trotzdem gefiel es ihr nicht, wenn Gabriel so etwas sagte.

»Also entweder willst du doch nicht mit mir zusammenziehen oder du hast wirklich Angst, dass diese Musikstudentin deine Freundschaft zerstört. Wenn Letzteres der Fall ist, frage ich mich, wieso du das befürchtest. Schließlich ist deine Freundschaft mit Jana nicht davon abhängig, ob du bei ihr wohnst, oder?«, fragte Gabriel.

Alina schüttelte sofort den Kopf. »Nein, ich will mit dir zusammenziehen. Das weißt du. Dass ich zwischendurch mal Bedenken habe, ist einfach so. Und jetzt sag mir nicht, dass du keine hast. Wir planen gerade einen großen Schritt.«

Gabriel stützte den Kopf auf die Hände und schaute zu Alina herüber. Seine Bernsteinaugen fixierten sie nun voll und ganz. »Das erklärt noch immer nicht deine Abneigung gegen die potentielle neue Mitbewohnerin.«

Wie sehr sie den intensiven Ausdruck in seinen Augen liebte. Trotzdem wandte sie den Blick ab und biss sich auf die Lippe, ehe sie antwortete: »Na ja, ich glaube, dass Jana noch immer sauer auf mich ist und etwas gegen meinen Auszug hat. Vielleicht schließt sie da schnell Freundschaft mit der Neuen. Außerdem wohnen wir dann nicht mehr so nahe aneinander. Gut möglich, dass wir uns ein wenig auseinanderleben. Unbewusst, aber es wird dann immer mehr …«

Gabriel seufzte. »Und das wird dir jetzt erst klar?«

»Du glaubst also auch, dass das passiert?«, fragte Alina ein wenig schockiert.

»Nein, das glaube ich nicht. Aber es kann passieren. Ein gewisses Risiko gibt es, aber eine gute Freundschaft sollte das überstehen, oder?«

Alina nickte. Jana und sie hatten eine Menge zusammen durchgestanden. Da wäre es doch gelacht, wenn ihre Freundschaft nicht ihren Auszug überstehen würde.

»Ich will aber, dass du dir noch mal Gedanken über alles machst, Alina. Wenn dich Janas Suche nach einer neuen Mitbewohnerin so verunsichert, kann es gut sein, dass du noch nicht so weit bist«, meinte Gabriel und stand auf. »Ich habe keine Lust, unsere Beziehung aufs Spiel zu setzen, weil du unsicher bist.«

Na, super. Wie es aussah, hatte sie ihn jetzt gereizt. Dabei war das wirklich das Letzte, was sie gewollt hatte. Wahrscheinlich hätte sie mehr über ihre Worte nachdenken sollen. Gabriel hatte sicher auch Bedenken gehabt, aber darüber hinwegsehen können. Er hatte vorgeschlagen, diesen Schritt zu gehen, und fühlte sich nun bestimmt vor den Kopf gestoßen. Tja, zu sagen, dass man zusammenzog, war die eine Sache. Es wirklich durchzuziehen die andere. Wenn sie wollte, dass es funktionierte, musste sie Gabriel beweisen, dass es ihr ernst war.

– 2 Ein Stückchen Vergangenheit

Die Diskussion mit Alina bereitete Gabriel schlechte Laune. Er hatte sich auf das Essen mit ihr gefreut und bemerkte dann ihre Unsicherheit. Vielleicht war das die Strafe für einige seiner früheren Beziehungen, in denen er sich nicht ganz einwandfrei verhalten hatte. Das war noch eine nette Umschreibung für das, was er damals alles angestellt hatte. Und jetzt war die Frau, mit der er zusammenziehen wollte, schwierig. Vielleicht sogar noch schwieriger als er selbst.

Er liebte Alina. Mehr, als er je eine Frau geliebt hatte. Sie war anders als die Frauen, die er bisher gedatet hatte. Sie war echt: natürlich, witzig und sagte ihre Meinung. Das führte zwar auch dazu, dass sie aneinandergerieten, aber … das brauchte Gabriel. Es war für ihn wichtig, jemanden zu haben, der ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Leider änderte das nichts daran, dass Theorie und Praxis in der Liebe oft weit auseinanderklafften. Und das galt nicht nur für die Liebe. Egal, wie leicht man sich etwas vorstellte, irgendwo tauchte immer ein Detail auf, das man nicht bedacht hatte. Eigentlich war er optimistisch, dass Alina und er das hinbekommen konnten. Schließlich arbeiteten sie aneinander. Nichtsdestotrotz verärgerte ihn das Gespräch. Er stand aber zu dem, was er gesagt hatte. Er wollte einfach, dass sie darüber nachdachte, ob sie dafür bereit war. Das war doch nicht zu viel verlangt, oder?

Gabriel seufzte und hoffte, dass sie heute eine Lösung fänden. Bald stand das erste offizielle Treffen mit seiner Familie an, wo Gerhard und seine Stiefmutter Betti Alina besser kennenlernen würden. Er wollte, dass das Ganze problemlos über die Bühne ging. Das würde nicht der Fall sein, wenn sie sich stritten und unsicher waren, ob sie überhaupt zusammenziehen wollten.

Nach der Arbeit beschloss er, noch einmal in Ruhe mit ihr zu reden. Doch schon, als er die Wohnungstür aufschloss, bemerkte er, dass seine Laune noch immer etwas gedrückt war. Dann war wohl nicht der richtige Zeitpunkt, um mit der Freundin zu diskutieren. Vielleicht sollte er es lieber auf morgen verschieben.

Gabriel blieb im Flur stehen und ließ den Blick suchend durch die Wohnung schweifen. Er konnte Alina nirgends entdecken.

»Alina? Bist du da?«

Erst antwortete ihm nur die Stille, bis er schließlich ein »Hier drüben« hörte. Er folgte der Stimme und entdeckte sie im Schlafzimmer. Sie saß auf dem Boden und schien zu sortieren. Neben ihr standen drei große Kartons.

»Was machst du da?«, fragte Gabriel, aber er hatte schon eine kleine Vorahnung.

Alina schaute ihn an und lächelte. »Nach unserem Gespräch gestern habe ich nachgedacht. Es tut mir leid, wenn ich dir das Gefühl gegeben habe, dass ich den Umzug nicht will. Deswegen habe ich heute den Anfang gemacht. Das sind zwar nur ein paar Bücher und Krimskrams, aber es ist besser als nichts. Mehr habe ich noch nicht geholt, weil der Transport mit der Straßenbahn nicht gerade einfach war.«

Gabriel seufzte. »Du hättest auch etwas sagen können. Dann hätte ich dich abgeholt, und wir hätten die Sachen mit dem Auto herbringen können.«

»Hätten wir, aber … Dann wäre es keine Überraschung gewesen. Ich wollte, dass der Anfang von mir allein gemacht wird. Das soll dir zeigen, dass ich dafür bereit bin … Und für uns.«

Er nickte. »Na gut, das lasse ich an dieser Stelle mal gelten. War der Transport denn sehr anstrengend?«

»Es ging schon. Zwischendurch hat mir ein freundlicher, älterer Mann geholfen.«

Gabriel verengte die Augen gespielt zu Schlitzen. »Das ist noch ein Grund dafür, dass wir die Sachen das nächste Mal mit dem Auto holen. Dann wirst du nicht von fremden Männern angesprochen.«

Alina lachte. »Er war Anfang fünfzig.«

»Heißt das etwas?«, fragte er und zog die Augenbrauen hoch. »Na ja, ist auch egal. Ich verstehe, was du mir sagen willst, und es gefällt mir. Dann können wir uns morgen oder übermorgen um den Rest kümmern.«

»Das stimmt schon. Aber erst einmal schlage ich vor, dass wir uns ein paar Minuten in dem Whirlpool gönnen. Einerseits für meine angestrengten Muskeln, andererseits für den gestressten Gabriel, der gerade erst von der Arbeit heimgekommen ist.«

»Das klingt hervorragend«, erwiderte er und gab ihr einen Kuss, ehe er sich zu dem geräumigen Badezimmer aufmachte. Er ließ das Wasser ein, entledigte sich seiner Kleidung und wartete etwas ungeduldig auf Alina. Die schlechte Stimmung war verflogen und an Streit nicht mehr zu denken. Er entspannte sich und genoss das warme, prickelnde Wasser alleine, bis Alina endlich ins Badezimmer kam. Sie trug nur noch einen Bademantel, den sie langsam von den Schultern streifte. Dann fiel er zu Boden und sie stand vor ihm. Nackt und wunderschön. Alinas Anblick ließ ihn kurz die Luft anhalten.

Vorsichtig steckte sie einen Fuß in das Wasser. Gabriel hätte sie zu sich ziehen können, aber er schaute sie einfach weiter an. In diesem Moment wollte er sie nur betrachten. Ihr etwas wildes, offenes Haar, ihre schlanke Taille und ihr Lächeln. Sie wirkte perfekt und er konnte den Blick nicht von ihr lösen. Nicht für eine Sekunde.

»Du bist wunderschön«, sagte er ehrlich und liebevoll. Ihre Reaktion war ein kurzes, verlegenes Lachen, bevor sie sich ganz zu ihm ins Wasser sinken ließ und seine Nähe suchte. Gabriel hatte das Gefühl, dass es für sie kein Zurück mehr gab, als er ihre sanfte Haut an seiner fühlte. Sie gehörten zusammen und würden zusammenziehen. Es war richtig so.

Am nächsten Tag begannen die beiden den Umzug in die Tat umzusetzen. Gemeinsam packten sie weitere Gegenstände aus Alinas Zimmer in Kisten oder Boxen und verfrachteten sie zu Gabriels Wohnung. Er erfuhr viel von Alinas Vergangenheit, weil viele ihrer Besitztümer eine Geschichte besaßen, die Alina ihm erzählte. In jeder Box schien ein Stückchen Vergangenheit versteckt zu sein. Als sie gemeinsam in der Wohnung auspackten, fiel Gabriel ein Stapel alter Hefte auf.

»Ich habe so eine Vermutung, was das hier ist. Könnte ich damit recht haben?«, fragte er Alina und grinste breit.

Sie stöhnte. »Ja, das sind meine alten Schulhefte. Aus der neunten oder zehnten Klasse.«

Mit einem schelmischen Grinsen blätterte Gabriel die Hefte durch. Dabei fiel ihm auf, dass Alina eine wirklich gute Schülerin gewesen war. Am Anfang der Hefte konnte er nur Einsen und Zweien entdecken. Aber je weiter er blätterte, desto schlechter wurden die Noten. Alina schaute ihm über die Schulter und stöhnte, als sie eine Fünf in Mathe erblickte.

»Wie kam es dazu? Am Anfang des Heftes hattest du in Mathe noch eine Zwei«, bemerkte Gabriel.

Alina zog die Stirn kraus. »Kannst du dir das nicht denken? Das war die Zeit, in der es mit David immer schwieriger wurde. Ich habe zu der Zeit öfters die Schule geschwänzt und war viel unterwegs. Leider auch mit den falschen Leuten. Aber die Geschichte kennst du ja.« Gabriel nickte und erinnerte sich: An Alinas schwierige Mutter, ihren Problemfall von Bruder und den Vater, den sie bis heute nicht kannte.

Zwar hatte er Alinas Bruder nie kennengelernt, aber die Erzählungen hatten gereicht, um zu verstehen, was sie erlebt hatte. Und da Alina ihren Vater nicht kannte, kannte Gabriel ihn logischerweise auch nicht. Das musste für ein Mädchen im Teenageralter ziemlich viel zu verdauen gewesen sein. Da war eine Fünf in Mathe nicht verwunderlich, wenn er ehrlich war. Vorsichtig berührte er Alina an der Schulter.

»Wenn ich mir deine Noten so ansehe, ärgert mich das. Der Anfang des Heftes zeigt doch, dass eine Menge in dir steckt. Das war schon damals so. Hat es niemanden interessiert, dass sich deine Noten mit einem Mal so verändert haben?«

»Schon. Eine meiner Lehrerinnen hat mal nachgefragt, aber mir war das alles peinlich. Ich wollte nicht mit ihr darüber sprechen. Irgendwann hat sie dann nicht mehr nachgefragt.«

»Ich verstehe«, murmelte Gabriel und schaute wieder auf das Schulheft.

Alina nahm es ihm aus der Hand. »Lass uns jetzt nicht mehr darüber reden, okay? Das ist eine Sache, die wirklich nicht zu meinen Lieblingsgesprächsthemen zählt«, sagte sie.

»Ich verstehe, aber lass mich dir mal eine Frage stellen. Hast du nie darüber nachgedacht, wie es gewesen wäre, wenn du dich früher von diesen Problemen gelöst hättest?«

Alina seufzte. »Die Frage führt uns nirgendwohin. Es ist nun einmal so, wie es ist. Daran kann ich nichts ändern. Ich muss akzeptieren, dass in meinem Leben nicht alles optimal gelaufen ist.«

Gabriel schüttelte vehement den Kopf. »Das ist es nicht, aber … Das meine ich nicht. Nehmen wir beide an, dass du die Chance hättest, dein Potential auszuschöpfen. Würdest du es tun?«

»Klar, aber die Chance werde ich nicht kriegen, Gabriel. Ich bin Verkäuferin. In einer Tankstelle«, erinnerte sie ihn.

»Wer hat gesagt, dass du das bleiben müsstest?«, fragte er zurück.

»Was willst du damit sagen?«

»Na ja, du bist nicht die erste Person, die sich auf Umwegen weiterbilden würde. Es gibt doch den zweiten Bildungsweg.«

Alina schüttelte den Kopf. »Ach, Gabriel. Ich weiß, dass du es gut meinst, aber darüber habe ich noch nie nachgedacht. In meinem Leben ändert sich gerade genug. Da will ich nicht über so etwas nachgrübeln.«

Gabriel verschränkte die Arme vor der Brust. »Sagen wir es mal so: Du willst es nicht.«

Alina verdrehte die Augen. Das war für sie typisch, wenn sie trotzig war. »Ist das jetzt so schlimm?«

»Nein, überhaupt nicht, Alina. Ist schon in Ordnung. Ich wollte dich nicht unter Druck setzen oder dich dazu bringen, etwas zu machen, was für dich nicht in Frage kommt. Es war nur ein Gedanke. Ich glaube, dass du das Zeug dazu hättest, eine Weiterbildung zu machen. Aber wenn du das nicht willst, ist das auch in Ordnung.« Er lächelte sie vorsichtig an. Schließlich hatte er sie nicht überrumpeln wollen. Es war nur ein spontaner Gedanke, und Gabriel sprach seine Gedanken fast immer gleich aus. Alina nickte.

»Danke, dass du so über mich denkst. Aber … Ich denke nicht so über mich. Ich kam bisher immer gut klar, und um ehrlich zu sein, haben mir zehn Jahre Schulbank drücken gereicht. Ich bin so oder so eher der praktische Typ.«

Gabriel legte den Kopf schief. Für ihn war das Thema noch nicht vom Tisch, aber für sie. Das zeigte ihre Körperhaltung. Sie hatte sich von ihm weggedreht und fuhr sich durch das Haar. Das Thema machte sie nervös.

»Das ist zwar kein Grund, eine Weiterbildung auszuschließen, aber wir lassen das erst einmal. Ganz wie du willst.« Er machte eine kurze Pause, ehe er etwas anderes ansprach: »Wir sollten heute etwas früher ins Bett. Schließlich ist morgen das Essen mit meiner Familie. Na ja, zumindest mit einem Teil von ihr.«

»Hast du deiner Mutter mittlerweile von uns erzählt?«, fragte Alina.

Gabriel nickte. »Ja, das habe ich. Aber sie ist derzeit wieder sehr beschäftigt. Ihr neuer Freund hat ein Projekt in Indien, und sie muss ihn da irgendwie unterstützen. Frag mich nicht genau, wie.«

»Na, das klingt ja toll. Es tut mir leid, dass du so wenig Kontakt mit deiner Mutter hast.«

Gabriel fuhr sich durch das dunkelblonde Haar und konnte sich etwas Sarkasmus nicht verkneifen: »Ach, du hast Mitleid mit mir? Die Beziehung zu deiner Mutter ist ja wohl auch nicht viel besser.«

Alinas Antwort darauf war ein Seufzen. Sie war mit ihrer Mutter im Streit auseinandergegangen. Gabriels Verhältnis zu seiner Mutter war oberflächlich, aber eigentlich ganz gut. Da sie ständig mit ihrem Lebensgefährten unterwegs war, sahen sie sich nicht mehr oft. Aber das lag zum Teil auch an Gabriel, weil er ihren neuen Freund nicht mochte.

»Wie steht es denn mit dir? Hast du noch einmal mit deiner Mutter gesprochen?«, fragte Gabriel.

»Nein, es ist so viel passiert, dass ich erst einmal Ruhe vor ihr brauche.«

»Ich versteh schon. Weiß sie eigentlich, dass wir zusammenziehen?«

»Wie schon gesagt: Ich habe nicht mehr mit ihr gesprochen, nachdem unsere Aussprache so schiefgelaufen ist«, erklärte sie.

»Gut, wenn sie sich nicht meldet, würde ich es auch lassen.« Alina musste ihrer Mutter nicht hinterherrennen, fand Gabriel, vor allen Dingen nicht nach der missglückten Aussprache, in der sie sich so viel an den Kopf geworfen hatten. »Hm, wir beide kommen aus merkwürdigen Verhältnissen: Du erzählst deiner Mutter nicht davon, dass wir beide zusammenziehen. Ich erzähle meiner Mutter von alledem und sie sendet mir nur eine kurze Nachricht mit ›Super – Smiley‹. Da bleibt nur zu hoffen, dass wir später nicht genauso wie unsere Eltern werden.«

Alina schüttelte den Kopf. »Quatsch. Wir zwei sind ganz in Ordnung. Das wird sich nicht so schnell ändern. Wenn doch, sagst du mir Bescheid oder ich dir, okay?«

Das war eine gute Idee. Gemeinsam würden sie es schon schaffen, nicht wie ihre Eltern zu werden.

Durch Alina war seine Entwicklung in eine vollkommen andere Richtung verlaufen. Gott sei Dank. Er hatte sich nicht für sie und ihre Beziehung geändert. Das Ganze war eher beiläufig geschehen. Trotzdem störte es ihn nicht, sondern er ging darin auf. Denn so wie Alina in ihm das Gute hervorbrachte, gelang das auch Gabriel bei ihr, vielleicht ähnlich wie bei seiner Stiefmutter Betti und seinem Vater Gerhard. Hatte sie nicht auch Gerhards weichen Kern entdeckt? Und das, obwohl Gabriel schon bezweifelt hatte, dass sein Vater überhaupt einen hatte. Vielleicht war Betti für seinen Vater das, was Alina für ihn war. Egal wie sehr Gabriel an seine Kindheit zurückdachte, er konnte sich nicht daran erinnern, dass Gerhard jemals wirklich glücklich oder zufrieden gewirkt hatte. Auch heute war er ein schwieriger Geselle, aber zumindest ein wenig umgänglicher. Vielleicht gab es für jeden Menschen eine Person, die in der Lage war, in dem anderen das Gute zu erkennen und zu wecken.

– 3 Familienessen & andere Schwierigkeiten

Alina hatte sich dreimal hintereinander umgezogen, ihre Haare zusammengebunden und den Zopf dann doch wieder geöffnet. Sie war nervös wegen des Essens mit Gabriels Familie. Aber wer sollte ihr das verübeln? Die Male, die sie Gerhard Ehrenhover erlebt hatte, war er streng und unfreundlich gewesen. Zwar hatten Gabriel und er ihren Streit beigelegt, aber aufgeregt war Alina dennoch. Sie wollte bei dem gemeinsamen Essen nicht zu fein, aber auch nicht zu alltäglich auftreten. Es ging auf den Herbst zu. Das machte die Kleiderwahl noch etwas schwieriger. Schließlich wollte sie, wenn es spät wurde, nicht frieren. Ein Pullover wäre aber wiederum zu dick. Irgendwann entschied sie sich für ein längeres Sommerkleid mit einer Jacke, die sie überziehen konnte. Die Haare wollte sie offen lassen. Sie wollte ordentlich aussehen, aber auch nicht wie eine Frau, die Stunden im Bad verbrachte, um sich fertig zu machen.

»Geht das so?«, fragte sie Gabriel, als sie ihre Stylingarbeiten beendet hatte.

»Das geht nicht nur, du siehst perfekt aus. Wobei ich dich mit einfachem T-Shirt und Jeans etwas mehr mag«, antwortete Gabriel, trat hinter sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Was heißt das?« Sie drehte sich zu ihm um und blickte ihn fragend an.

»Na ja, Ganz einfach: Der Alltags-Look passt besser zu dir. So siehst du natürlich auch gut aus, aber in den anderen Sachen bist du vollkommen du. Dann wirkst du hundertprozentig echt, und so liebe ich dich. Weißt du, was ich sagen will? Wenn ich dich in den Sachen sehe, denke ich daran, wie wir uns kennengelernt haben. Dann bist du die Alina, die mir auf der Krankenstation ordentlich die Stirn geboten hat. Und das brauchte ich.«

Alina wirkte überrascht und beäugte Gabriel skeptisch. »Wer bist du? Und was hast du mit meinem Freund Gabriel gemacht? Was du gerade gesagt hast, ist extrem schnulzig.«

»Und es stimmt«, gab er zurück.

»In dir schlummert also ein kleiner Romantiker.«

»Allerdings, und den hast du geweckt. Jetzt musst du damit klarkommen.« Er strich über ihren Rücken, küsste sie erst sanft, dann fordernder, was Alina natürlich sofort erwiderte.

Sie löste sich kurz. »Wie viel Zeit haben wir noch, bis Gerhard hier auftaucht?«

Gabriel warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Hm, eine halbe Stunde.«

»Das ist ja noch massenhaft Zeit«, bemerkte sie, grinste und gab Gabriel einen weiteren Kuss.

»Da hast du recht«, flüsterte Gabriel und schubste sie liebevoll auf das Sofa. Er drückte sie in das dunkle Leder und ließ seine Hände unter die Träger des Sommerkleides gleiten. Kurz darauf tat Alina ihm auch schon den Gefallen und drehte sich so, dass er den Reißverschluss öffnen konnte. Sie schlüpfte aus ihrem Kleid, während sich Gabriel seines Hemdes entledigte.

Alinas Blick wanderte über Gabriels Körper. Ihr fiel wieder auf, dass er ein schöner Mann war. Erregt drückte sie sich gegen ihn und ließ ihn ihren BH öffnen. Die beiden waren vollkommen damit beschäftigt, Zärtlichkeiten auszutauschen, weswegen sie den Schlüssel in der Tür nicht hörten. Erst als Alina Schritte vernahm, hielt sie inne.

»Warte mal«, sagte sie zu Gabriel, der sich widerwillig von ihr löste. »Hast du das gehört?«

Gabriel schaute sie irritiert an und gab ein Seufzen von sich. Er wollte anscheinend genauso wenig wie sie unterbrochen werden. Leider fanden sie die Quelle des Geräusches früher, als ihnen lieb war. Die Tür zum Wohnzimmer öffnete sich und Gerhard trat ein.

»Guten Abend, mein Termin …« Er schwieg sofort, als er Alina und Gabriel halbnackt auf dem Sofa sitzen sah.

Alina gab einen erschrockenen Laut von sich und drückte sich gegen Gabriels Oberkörper. Oh, verdammt. Hätten sie sich doch ein paar Sekunden mehr Zeit gelassen. Das war schrecklich peinlich. Sie hatte Gabriels Vater besser kennenlernen wollen, aber ganz bestimmt nicht so.

»Gerhard, gibst du uns bitte ein paar Minuten?«, fragte Gabriel ebenfalls peinlich berührt und wich dem Blick seines Vaters gekonnt aus. Der nickte nur, aber sagte nichts. Das war Alina auch ganz lieb.

Kaum war Gerhard aus dem Wohnzimmer verschwunden, sprang Alina von dem Sofa auf, suchte ihren BH und das Sommerkleid. Sich leidenschaftlich zu lieben war ja schön und gut. Nur die Klamotten musste man hinterher finden. Und das vor allen Dingen schnell, wenn der Vater des Freundes vor der Tür stand.

»Schlimmer kann es nicht mehr werden«, murmelte Alina und schlüpfte wieder in die Kleidung.

»Na ja, doch. Er hätte noch ein paar Minuten später kommen können, und dann …«, fing Gabriel halb belustigt an, doch Alina unterbrach ihn sofort.

»Oh, bitte sei still.« Sie fuhr sich nervös durch das Haar und atmete noch einmal tief durch. »Vielleicht nimmt er es ja locker. Ihm ist wohl klar, dass du und ich … Ich meine, er weiß bestimmt aus eigener Erfahrung, was gerade passiert ist.«

Gabriel schüttelte sofort den Kopf. »Oh Gott, Alina. Das ist wiederum eine Sache, über die ich nicht nachdenken will.«

»Irgendwie musst du ja entstanden sein«, gab Alina trocken zurück. Gabriel strafte sie mit einem bösen Blick. Ein paar Sekunden später hatten sie sich wieder gefasst und waren bereit, Gerhard unter die Augen zu treten.

Gabriel räusperte sich, als sie den Flur betraten. »Also, Gerhard, das … ist Alina Kirst.«

Gerhard hatte ein gutes Pokerface, weswegen es Alina gelang, nicht knallrot anzulaufen. Gabriels Vater wirkte ernst und seriös. »Freut mich«, begrüßte er sie und gab ihr die Hand. Danach herrschte eisige Stille und Alina fühlte sich unwohl. Schlimmer konnte das erste Essen mit Gabriels Familie nun wirklich nicht anfangen.

»Wir hatten dich so früh nicht erwartet. Wie kommt es, dass du jetzt schon hier bist?«, fragte Gabriel mit einem gewissen Unterton.

»Ich hatte mich mit einem Termin vertan. Du weißt, wie viel ich zu tun habe. Da komme ich manchmal durcheinander. Mir ist der Fehler aber noch aufgefallen und ich wollte euch rechtzeitig Bescheid geben, dass ich früher komme. Ich habe dich angerufen, Gabriel. Aber du warst anscheinend beschäftigt.«

Gabriel seufzte leicht. »Das ist ein dummer Zufall gewesen. Auch wenn die Wohnung noch dir gehört, klingle bitte das nächste Mal und komm nicht einfach mit dem Schlüssel rein.«

Gerhard nickte reumütig. Damit war die Sache geklärt, aber die peinliche Stimmung blieb. Alina entschied sich, einfach einen Spruch loszulassen, der die Anspannung vielleicht etwas lockern würde. Sehr viel schlimmer konnte es nicht werden. »Na ja, Herr Ehrenhover, jetzt wissen Sie immerhin, dass das teure Ledersofa benutzt wird.«

Tatsächlich hatte Alina das Gefühl, ein kurzes Zucken um die Mundwinkel des Mannes zu sehen. Gabriel grinste nur, aber versuchte es sich zu verkneifen.

»Na ja, dann lasst uns los. Estelle und Betti warten schon auf uns. Sie sind vorgefahren.«

Damit machten sie sich zu Gerhards Wagen auf und hielten kurz darauf vor dem Restaurant. Zum Glück mussten sie es nicht allzu lange mit Gerhard im Auto aushalten und Small Talk betreiben. Alina war froh, als sie Estelle und ihre Mutter sah. Die beiden wussten schließlich nicht, dass sie von Gerhard in flagranti erwischt worden waren. Der Rest des Abends würde um einiges leichter werden.

»Guten Abend«, begrüßte sie die Runde und setzte sich mit Gabriel an den schönen, großen Tisch aus Ebenholz. Das Restaurant war nicht so prunkvoll, wie sie es erwartet hatte. Es war schick, aber nicht zu viel des Guten. Die Dekoration war schlicht gehalten, aber wirkte trotzdem elegant. Ein paar schöne, moderne Gemälde hingen an den Wänden und die Stühle waren mit bequemen Sitzkissen ausgestattet. Die Kerzen auf dem Tisch waren bereits angezündet und trugen zu einer angenehmen Atmosphäre bei. Deswegen fühlte sich Alina auch nicht fehl am Platz. Was hingegen etwas zu viel war, war Estelles Outfit. Es war ein enges, nachtblaues und vor allem kurzes Kleid. Alina hätte sich damit nicht auf die Straße getraut, aber für Estelle schien das kein Problem zu sein. Dazu zierten Estelles Arm unzählig viele trendige Armbänder und ein fetter, modischer Ring ihren Mittelfinger. Sie begrüßte Gabriel und Alina mit dem typischen Küsschen links und rechts.

»Cool, dass aus Gabriel und dir etwas geworden ist und du nicht nur die Alibi-Freundin von der Party damals bist, Alina.«

Alina lächelte sie an. Der Satz war anscheinend nett gemeint. »Ja, darüber bin ich auch froh«, erwiderte sie ehrlich.

»Sag mal, Alina, ich hätte da eine Frage an dich.« Kaum hatte Estelle diesen Satz ausgesprochen, warf Betti ihr einen tadelnden Blick zu. Estelle ignorierte ihn einfach. »Hast du schon einmal gemodelt?«

Alina schüttelte überrascht den Kopf. »Nein, eigentlich nicht.«

»Hm, schade, aber das macht nichts. Hättest du Lust, es auszuprobieren?«

Alina wusste nicht, worauf das Ganze hinauslaufen würde, aber sie nickte. »Bestimmt.«

»Cool, du könntest für meinen neuen Mode-Blog ein paar Bilder von dir schießen lassen. Ich werde auch einen professionellen Fotografen besorgen. Die Bilder darfst du behalten. Normalerweise würde ich dir auch ein Honorar anbieten, aber meine Mutter stellt sich momentan quer.«

»Du hast dein Studium hingeschmissen«, kommentierte Betti.

»Was kann ich dafür, wenn der Dozent unfair ist und mir keine Chance gibt«, gab Estelle sofort zurück. »Wie auch immer. Ich brauche keinen alten, schwulen Designer, der mir was über Mode erzählt. Als ob jemand, der in den Siebzigern geboren wurde, über die Trends von morgen Bescheid weiß. Ich habe ein Gefühl dafür und ich verspreche dir, dass die Bilder toll werden.«

So überzeugt, wie Estelle von sich war, wäre es wohl eine blöde Idee, ihr abzusagen. Also nickte Alina einfach.

»Die ersten Fotos von dir würde ich gerne nächste Woche Samstag machen lassen. Würde dir das passen?«

Da Alina noch immer etwas überfordert war, nickte sie einfach erneut. Sie hatte ihren Terminplaner nicht mitgenommen, also könnte sie erst, wenn sie zu Hause war, richtig zusagen.

Gabriel schmunzelte und schaute auf die Tischdecke. Er wollte sich wohl heraushalten. Ein wenig später beugte er sich aber zu ihr herüber und flüsterte ihr ins Ohr: »Klingt verlockend. Ich wäre gern mit dabei, wenn das zukünftige Model nichts dagegen hat.«

Trotz des peinlichen Anfangs wurde der Abend schön. Das Essen schmeckte und tatsächlich gab es einige interessante Gesprächsthemen. Gabriel erzählte von der neuen Firma, in der er nun arbeitete, und den neuen Kollegen. Wie es aussah, akzeptierte Gerhard Gabriels Entscheidung, und das freute Alina. Gerhard hatte Gabriel damals gleich nach dem Studium einen Job in der großen Firma Bela besorgt, – eine begehrte Stelle. Dass Gabriel seine Zelte dort abgebrochen und sich etwas Neues gesucht hatte, hatte den Vater anfangs verärgert, und sie waren aneinandergeraten. Jetzt schien Gerhard damit einverstanden. Anscheinend war er nicht so übel, wie er am Anfang gewirkt hatte. Wahrscheinlich war er in Ordnung und nur nicht ganz einfach, ähnlich wie Gabriel. Bei dem Gedanken musste Alina lächeln. Gabriel schaute sie fragend an, woraufhin sie den Kopf schüttelte und sagte, dass es nichts wäre.

Wieder zu Hause angekommen, fragte er sie gleich, was sie von seiner Familie halte und ob es sehr schlimm für sie gewesen sei.

»So schlimm sind sie nun auch wieder nicht. Es ist viel besser gelaufen, als ich dachte. Bis auf den katastrophalen Anfang«, antwortete sie ehrlich. »Ich finde, du hast übertrieben, Gabriel. Ein Treffen mit meiner Mutter wäre schlimmer gewesen. Ich glaube, dass dein Vater eigentlich ein ganz umgänglicher Typ ist.«

Gabriel zog die Augenbrauen hoch. »Hat er dir etwas ins Getränk gegeben?«

»Nein, ich denke nicht. Aber ich glaube, dass ihr euch in einigen Punkten ähnelt.«

Ihr Freund fuhr sich verlegen durchs Haar und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, mir gefällt die Richtung nicht, in die sich das Gespräch entwickelt«, murmelte er und gab ein kurzes Lachen von sich.

»Wieso nicht? Er ist noch immer dein Vater. Auch wenn ihr beide eine schwierige Zeit hattet.«

»Du weißt, dass es eher seine strenge Erziehung war. Ich habe wenig gute Erinnerungen an ihn. Es ist schon gut, dass er ab und an hart gewesen ist, aber … vielleicht ein wenig zu sehr. Er war der totale Gegensatz zu meiner Mutter. Ich hatte früher sogar ein wenig Angst vor ihm.«

Das überraschte Alina und sie musterte Gabriel. Ihr Gabriel, der den Mund manchmal etwas zu voll nahm, hatte früher Angst vor seinem Vater gehabt?

»Willst du darüber reden?«, fragte Alina, worauf er mit den Schultern zuckte.

»Ich habe keine großen Schäden davongetragen, zumindest glaube ich das. Aber wenn ich mir dein Gesicht ansehe, weiß ich schon jetzt, dass ich nicht darum herumkomme.«

Alina lächelte. »Nein. Das wirst du nicht.«

»Na gut. Ich will aber nicht mehr darüber reden als nötig, okay? Ich fasse mich also kurz.« Gabriel räusperte sich, ehe er anfing zu erzählen. »Eine meiner Kindheitserinnerungen ist, dass ich auf dem 45. Geburtstag meines Vaters Cello spielen sollte.«

»Wie alt warst du da?«, fragte Alina interessiert.

»Elf, wenn ich mich recht erinnere.« Er machte eine kurze Pause und kratzte sich am Hinterkopf. Es schien ihm wirklich unangenehm zu sein. »Mein Vater hatte alle möglichen Leute eingeladen. Viele von ihnen kannte ich nicht. Es war kein schwieriges Stück. Eben so etwas, was Kinder mit elf Jahren spielen.«

»Du warst also am Cello nicht hochbegabt?«, neckte Alina ihn, um seine Anspannung etwas zu lockern.

Gabriel schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. »Auch wenn ich meine, ein intelligenter Mensch zu sein, leider nein. Ich wünschte, ich wäre hochbegabt gewesen. Dann hätte ich meine Nervosität besser in den Griff bekommen. Als ich in der Mitte des Saales stand, als es still wurde und ich anfangen sollte zu spielen, habe ich es nicht hinbekommen.«

»Hast du die falschen Noten gespielt?«, fragte Alina und hatte nun wirklich Mitleid. So eine Situation war für einen Elfjährigen bestimmt nicht schön.

»Nein, ich bin so nervös gewesen, dass ich nicht einmal zum Spielen angesetzt habe. Ich habe das Cello fallen lassen und bin aus dem Saal gelaufen. Dieser doofe Fluchtinstinkt. Ich habe mich eine ganze Weile im Nebenzimmer verschanzt.«

Wer hätte gedacht, dass Gabriel so eine Erfahrung gemacht hatte?

»Ist dein Vater dann gekommen und hat mit dir geschimpft?«

Gabriel zögerte einen Augenblick lang und stöhnte. »Nein, es ist niemand zu mir herübergekommen. Weil mir die ganze Sache so peinlich war, habe ich mindestens eine Stunde in dem Raum verbracht. Als ich in den Saal zurückgekommen bin, hat niemand von mir Notiz genommen. Mein Vater hat kein Wort gesagt. Er hat mich nur angeschaut, und in seinem Blick sah ich eines: Enttäuschung. Meine Mutter hat mit ein paar Freundinnen geredet und hatte auch keine Zeit für mich. Wie du dir vielleicht vorstellen kannst, ist mir die Lust am Cellospielen danach vergangen.«

Alina berührte Gabriel sanft an der Schulter. »Tut mir leid, dass du so eine Erfahrung machen musstest. Hast du dann ganz mit Cellospielen aufgehört? Wenn ja, tut mir das wirklich leid.«

Gabriel zuckte mit den Schultern. »Muss es nicht. Ich war nicht sonderlich gut darin.«

»Es wäre trotzdem ein nettes Hobby gewesen.«

»Kann sein. Können wir jetzt das Thema wechseln?«

Alina nickte. »Ja, ich denke schon. Ich will nicht weiter nachbohren.«

Damit war Gabriel zufrieden. Er betrachtete Alina noch einmal ganz genau und etwas Schalk lag in seinen Augen. »Wie fühlt man sich eigentlich so? Als zukünftiges Model?«, fragte er. Natürlich wollte er ein wenig von sich ablenken, und Alina ließ es ihm durchgehen.

»Ganz gut, soweit. Es ist ja kein wirklich professioneller Auftrag. Sonst würde mich auch niemand nehmen, denn mir fehlt eindeutig die Erfahrung.«

»Das heißt nichts. Du bist immerhin fotogen, und Estelle kann so lange Bilder von dir schießen lassen, bis eins dabei ist, dass ihr und dir gefällt«, meinte Gabriel. »Und sei dir sicher. Ihr werdet viele Bilder machen. Estelle ist eine pedantische, kleine, aber zugegebenermaßen liebenswürdige Zicke. Sie wird dich so lange posieren lassen, bis sie auch wirklich das Bild hat, das ihr gefällt.«

Alina schaute ihn böse an. »Sprich nicht so über deine Stiefschwester. Du bist auch verwöhnt und verhältst dich ab und an ›zickig‹.«

»Vielleicht ziehst du Leute wie Estelle und mich an. Du wirst schon sehen, worauf du dich da eingelassen hast. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass Estelle sehr viel schlimmer ist als ich.« Gabriel ging in die Küche und holte sich ein Glas Wasser.

»Das werden wir ja noch sehen«, rief sie ihm hinterher und entschied sich, in der Zwischenzeit einen Blick in ihren Terminkalender zu werfen. Sie blätterte die Seiten um und fand endlich das besagte Datum. Leider gab es dort bereits einen Eintrag: Brunchen mit Jana. Das ärgerte Alina etwas, aber sie machte sich keine Sorgen. Schließlich war der Brunch am Vormittag und da konnte alles gut passen. Sie sagte Estelle noch einmal offiziell zu, damit diese den Fotografen engagieren konnte. Alina und Gabriel verstanden einander so gut, da würde es kein Problem sein, ein paar Bilder mit seiner Stiefschwester zu schießen, oder?

Leider stellte sich das Ganze schwieriger heraus als gedacht. Es kam, wie es kommen musste: Alina erhielt ein paar Tage später die Nachricht von Estelle, dass das Shooting genau am Samstagvormittag, an dem sie auch mit Jana verabredet war, stattfände. Sie hatte eigentlich gehofft, dass der Termin auf den Nachmittag fallen würde. Die Sache war Alina unangenehm und sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Aber da gab es wohl nur eine Lösung – sie musste Prioritäten setzen. Jetzt, wo sie aus der WG mit Jana ausziehen würde, wäre es wirklich unschön, den Brunch zu verschieben. Also fragte sie Estelle, ob es auch nachmittags ging. Gabriels Schwester war jedoch alles andere als begeistert und machte Alina klar, dass man den Termin nicht verschieben könnte. Eigentlich wollte Alina sich nicht von Estelle herumkommandieren lassen, aber sie wünschte sich auch, mit ihr gut auszukommen. Außerdem musste Estelle den Fotografen bezahlen. Jana abzusagen wäre aber eine noch schlechtere Idee. Diese würde denken, dass Alina lieber Zeit mit Gabriels Stiefschwester verbrachte als mit ihr. Kurz nach dem Umzug war das keine gute Idee.

Wie Alina es drehte und wendete, es war eine schwierige Situation. Und sie kam aus ihr nicht heraus, ohne eine der beiden Personen zu verletzen. Oder gab es noch eine andere Lösung? Sie hatte einen Gedanken, aber wusste bereits jetzt, dass das Ganze nicht einwandfrei war. Konnte sie Jana nicht einfach sagen, dass sie krank sei? So etwas passierte nun einmal, und dann wäre niemand daran schuld, dass das Treffen nicht zu Stande kam. Im Grunde genommen ging das als Notlüge durch. Da war Alina sicher. Sie beschloss, Jana nicht abzusagen und am Samstag den sterbenden Schwan zu spielen. Ihre beste Freundin musste ja nicht von dem Shooting wissen.

Also schrieb Alina ihr, dass sie schrecklichen Husten habe und niemanden anstecken wolle. Das verstand Jana natürlich, weswegen sie einfach gute Besserung wünschte. Dem Shooting stand nichts mehr im Wege.

Mit einem etwas schlechten Gewissen machte Alina sich fertig und wartete auf Gabriel. Sie musste sich eigentlich nur frisch machen und umziehen, weil sie ungeschminkt kommen sollte. Sie blickte sich im Spiegel an und stellte fest, dass sie Augenringe hatte. Doch das war nichts, was sich nicht überschminken ließ. Gabriel stand ungefähr eine halbe Stunde später auf. Er war ein Langschläfer und brauchte immer ein wenig, bis er wach war. Von dem Terminproblem hatte sie ihm nichts erzählt, aber das war auch nicht nötig, da Alina überzeugt war, nun alles im Griff zu haben.

»Wenn ich dich schon zu dem Shooting hinfahre, will ich auch dabei sein«, meinte Gabriel und schenkte Kaffee in zwei Tassen ein. Eine davon schob er Alina herüber.

»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Du könntest mich nervös machen.«

»Jetzt hör aber mal auf. Ich habe dich schon das ein oder andere Mal nackt gesehen. Egal in was für ein Outfit Estelle dich steckt, es muss dir nicht peinlich sein.«

»Dein Vater hat mich auch schon halbnackt gesehen und ist nicht dabei«, konterte Alina.

»Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich hatte es fast erfolgreich verdrängt. Was ich sagen möchte: Wir kennen uns so gut, dass ich dich bestimmt nicht nervös mache. Ich weiß, wie du topgestylt aussiehst, und ich weiß, wie du mit Kater und Schlafentzug aussiehst. Ich liebe alle Seiten an dir. Wie könnte ich da die Model-Alinanicht mögen?«