Charlie – Ein Schulbus auf Tauchstation - Irene Zimmermann - E-Book

Charlie – Ein Schulbus auf Tauchstation E-Book

Irene Zimmermann

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Beschreibung

Charlie taucht ab! Nachdem Will und seine Freunde von ihrer abenteuerlichen Reise mit Charlie, dem magischen Schulbus, zurückgekehrt sind, müssen sie sich wieder im langweiligen Internatsalltag zurechtfinden. Charlie wird versteckt, denn die Freunde träumen davon, möglichst bald wieder mit ihm loszufliegen und neue Abenteuer zu erleben. Doch – oh, Schreck – auf einmal wird Charlie von einer Lehrerin entdeckt und ihm droht der Schrottplatz. Bei dem Versuch, den Schulbus zu retten, geht alles schief und die vier Freunde befinden sich plötzlich mittendrin in ihrem neuen Abenteuer, das sie bis in die Tiefen des Ozeans führen wird …

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Charlie taucht ab!

Will, Maisie, Luke und Frank gehen zusammen aufs Internat Dreistein und haben einen ganz besonderen Freund: Schulbus Charlie, der nicht nur sprechen, sondern auch fliegen kann!

Doch – oh, Schreck – eine Lehrerin entdeckt den klapprigen Schulbus und ihm droht der Schrottplatz. Bei dem Versuch, den Schulbus zu retten, geht alles schief, und die vier Freunde befinden sich plötzlich mittendrin in einem spannenden Abenteuer, das sie bis in die Tiefen des Ozeans führen wird …

Ein magisches und lustiges Unterwasserabenteuer für Kinder ab 8!

Irene Zimmermann

Charlie

Ein Schulbus auf Tauchstation

Mit Illustrationen von Tine Schulz

Für Jakob und Felix

Will häufte sich gerade die vierte Portion Nudeln auf den Teller, als mit Schwung die Flügeltüren aufgestoßen wurden. Mit wehenden Haaren stürmte Maisie in den Speisesaal des Internats. Sie umrundete die langen Tische und ließ sich schließlich wortlos auf den freien Platz neben Will fallen.

»Hi«, sagte Will und spürte, wie er schon wieder ein bisschen nervös wurde. Das passierte ihm oft, wenn er Maisie sah. So richtig verliebt war er natürlich nicht, doch insgeheim wünschte er sich schon, dass sie ihn mochte. Hastig schob er seinen Teller zur Seite, wodurch aber der riesige Berg Nudeln auch nicht unsichtbar wurde. Er hoffte bloß, dass Maisie ihn nicht für einen Vielfraß halten würde. Doch seit Kurzem trainierte er heimlich mit Hanteln (er fand, dass seine Oberarme zu dünn waren), und er hatte gelesen, dass Kohlenhydrate für den Muskelaufbau wichtig seien. Allerdings war das kein Thema, worüber er reden wollte, und mit Maisie schon mal gar nicht. Mit dem Ellbogen schob er den Teller noch ein Stückchen weiter weg. »Ähm«, machte er. »Wo warst du in der großen Pause? Ich hab auf dich gewartet. Wir hatten doch ausgemacht, dass wir endlich –«

»Freddie hat ihn entdeckt«, unterbrach sie ihn flüsternd.

»Was?« Verständnislos starrte er sie an. »Wen?«

Maisie antwortete nicht. Mit den Fingern der rechten Hand trommelte sie ungeduldig auf die Tischplatte. Es dauerte eine Weile, bis Will kapierte, was sie meinte. »Scheiße!«, sagte er in einer Lautstärke, dass es in dem altehrwürdigen Speisesaal mit seiner hohen Decke nur so hallte. Die Unterstufenschüler am Tisch gegenüber wandten sich neugierig um. Jemand kicherte. Will, mit hochrotem Kopf, wäre am liebsten im Boden versunken.

Von der holzgeschnitzten Empore, die sich an der Schmalseite des Speisesaals entlangzog, war ein nachdrückliches Räuspern zu hören. Das kam von Mister Robson, dem Sportlehrer, dessen pechschwarzer Seehundschnauzer vor Empörung zitterte. Wie jeden Donnerstag hatte Ronald Robson dort oben die Aufsicht und damit den absoluten Überblick. Er unterrichtete erst seit Beginn des Schuljahrs am Dreistein-Internat und war noch unsicher, wie er mit den Schülern und Schülerinnen am besten umgehen sollte. Das Ziel des Internats war es nämlich, aus mehr oder weniger normal schlauen Kindern superschlaue zu machen. Was allerdings bei den wenigsten klappte; die meisten verweigerten sich diesem Anspruch äußerst erfolgreich.

Nach kurzer Überlegung räusperte Mister Robson sich ein weiteres Mal. Vorsichtshalber, falls es noch jemand wagen sollte, dieses absolut ungehörige Wort in den Mund zu nehmen. Denn im Dreistein wurde, so stand es in den bunten Flyern, die im Sekretariat auslagen, auch sehr viel Wert auf tadelloses Benehmen gelegt.

»Scheiße«, wiederholte Will, dieses Mal aber im Flüsterton. »Wie hat er Charlie überhaupt entdeckt? Wir haben ihn doch super getarnt. Was machen wir jetzt?« Mit beiden Händen fuhr er sich durch seine rotblonden Stoppelhaare und schielte zu Maisie hinüber. Nein, es sah leider gar nicht danach aus, als hätte sie eine Idee. Im Gegenteil! Sie schien mindestens so ratlos zu sein wie er. Nervös kaute Will auf seiner Unterlippe herum. Wenn ihm doch bloß irgendwas einfallen würde!

Nach ihrem großen Abenteuer im Urwald waren sie mit Charlie, dem fliegenden Schulbus, unbemerkt auf dem alten Sportplatz des Internats gelandet. Im Morgengrauen, denn von Charlie und seinem Geheimnis durfte niemand etwas erfahren. Hinter einer riesigen Plakatwand hatten sie ihn schließlich abgestellt und zu viert – Maisie, Luke, Frank und er – stundenlang Äste und Zweige aus dem nahen Wald herangeschafft, um ihn zu tarnen. Denn irgendwann, das hatten sie sich geschworen, würden sie wieder mit ihm losfliegen. Bis jetzt hatte es mit dem Versteck ja auch gut funktioniert. Aber nun …

»War’n blöder Zufall«, flüsterte Maisie ihm zu. Sie beugte sich vor, zog Wills Teller heran und angelt sich mit den Fingern ein paar Nudeln. »Ich hab’s von Freddie erfahren. Er kam gerade vom alten Sportplatz. Weil doch bald Tag der offenen Tür ist, und da soll dann alles ganz toll und aufgeräumt aussehen. Sogar der alte Sportplatz. Könnte ja sein, dass sich einer der Besucher dorthin verirrt.«

Will nickte wie betäubt. Freddie konnte man natürlich keinen Vorwurf machen. Er war der netteste Hausmeister der Welt, der am liebsten den ganzen Tag gemütlich mit seinem Golfwägelchen auf dem Gelände des Internats herumzuckelte. Zum Sportplatzaufräumen war er viel zu faul. Normalerweise. Allerdings war seit einiger Zeit im Dreistein nichts mehr normal, denn zum ersten Mal in der hundertfünfzigjährigen Geschichte des Internats würde ein Tag der offenen Tür stattfinden.

Dafür war sogar extra eine Theatergruppe gegründet worden. Will spielte auch mit, allerdings mehr oder weniger aus Versehen. Eigentlich hatte er die Hand nur gehoben, um die Leiterin Miss Prescott darauf aufmerksam zu machen, dass eine Wespe in ihrem Ausschnitt saß. Miss Prescott hatte das allerdings komplett missverstanden: Erfreut hatte sie Will sofort in ihrer Liste eingetragen. Und so spielte er jetzt einen französischen Grafen in dem Theaterstück Der Schatz des Dreistein-Internats, das von Miss Prescott selbst geschrieben worden war.

Wie immer, wenn Will auch nur daran dachte, wurde ihm leicht übel. Das lag hauptsächlich daran, dass er es hasste, mit einem angeklebten Oberlippenbärtchen, das ständig verrutschte, vor allen Leuten auf der Bühne zu stehen und dazu bescheuerte Sätze zu sagen wie Isch ’abe große ’unger. Dazu musste er auch noch einen Hut mit einer Feder schwenken und dann unter tiefen Verbeugungen rückwärts durch eine Tür gehen. Seine momentane Übelkeit hatte allerdings mehr damit zu tun, dass Charlie entdeckt worden war. Was, wie Will fand, eine echte Katastrophe war.

Äußerlich sah der Bus zwar aus wie irgendein klappriger alter Schulbus, aber Charlie war viel mehr als das: Er konnte fliegen, und wenn man ihm Sprechbohnen unters Gaspedal legte, konnte er sogar reden. Mit ihm konnte man Abenteuer erleben, von denen keiner im Dreistein die geringste Ahnung hatte – abgesehen von Will und seinen Freunden natürlich. Vor einiger Zeit war der Bus plötzlich auf dem Internatsgelände aufgetaucht und hatte die vier in den Dschungel entführt. Denn nur dort wuchsen die Sprechbohnen, die Charlie unbedingt brauchte, um einen riesigen Fehler wiedergutzumachen: Er hatte seinen früheren Besitzer, einen Professor, nämlich schwer enttäuscht. Es waren verrückte und aufregende Tage im Urwald gewesen, und die Freunde freuten sich schon die ganze Zeit auf weitere Abenteuer mit Charlie. Bis dahin hatten sie ihn hinter dem ehemaligen Sportplatz versteckt.

Natürlich würde jetzt der Direktor von ihm erfahren und dann … Will spürte, wie sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog. »Garantiert kommt Charlie auf einen Schrottplatz. Maisie, wir müssen ihn retten. So schnell wie möglich!« Er holte tief Luft. »Wir könnten Freddie Geld geben, damit er dem Direktor nichts sagt. Ich hab ein bisschen was gespart. Und Frank gibt bestimmt auch noch was dazu. Na klar, er hat doch genug Kohle. Immerhin besitzt sein Vater ein Schloss in Frankreich und eine Yacht und weiß Gott was noch alles. Da kann er ruhig Geld lockermachen.« Er verstummte. Hörte Maisie ihm überhaupt zu?

Gedankenverloren griff die nach seiner Gabel. Sie zog den Teller zu sich heran, stocherte endlos lange in den Nudeln herum und schob sich schließlich eine Gabel voll in den Mund. »An Schweigegeld habe ich zuerst auch gedacht«, meinte sie kauend. »Aber was ist mit den Besuchern am Tag der offenen Tür? Irgendeiner stiefelt bestimmt neugierig auf dem Sportplatz herum und entdeckt dabei vielleicht Charlie. … Willst du allen Geld zustecken, damit sie die Klappe halten?«

»Okay, okay, du hast recht. Dann müssen wir ihn eben noch besser tarnen. Mit Netzen oder so. Bestimmt kriegen wir welche im Baumarkt.«

Maisie schüttelte den Kopf. Fahrig schob sie die Nudeln von einer Seite des Tellers zur anderen und wieder zurück. Dann, völlig unvermittelt, ließ sie die Gabel fallen, warf ihre langen blonden Haare zurück, und ihre Augen hinter den Brillengläsern blitzten.

Will atmete erleichtert auf. Wie es aussah, hatte Maisie gerade eine geniale Idee. Sie blickte ihn beschwörend an. »Ganz einfach wird das nicht! Frank hat mir gesagt, dass Luke krank ist. Also müssen wir das eben zu dritt hinkriegen. Als Erstes werden wir Charlie …«

Weiter kam sie nicht, denn ein Fanfarenstoß erklang. Das war das übliche Signal, dass über die Lautsprecheranlage gleich eine Nachricht des Direktors folgen würde. Das Gemurmel im Speisesaal verstummte. Allerdings erst, nachdem sich Mister Robson nochmals nachdrücklich geräuspert hatte. Alle Blicke richteten sich jetzt auf den großen Lautsprecher über der Tür. Es knackte ein paar Mal, dann ertönte eine Stimme. Überraschenderweise war es aber nicht die des Direktors, sondern eine weibliche.

Es dauerte einen Moment, bis Will sie an ihrem leichten Lispeln erkannte. Es war Miss Prescott, die Leiterin der Theatergruppe, die jetzt atemlos ins Mikrofon rief: »Hallo, meine Lieben! Alle Mitglieder der Theatergruppe treffen sich in einer halben Stunde in der Aula! Vollzählig! Ich habe eine Überraschung für euch! Ihr werdet begeistert sein! Selbstverständlich ist die Theatergruppe für heute Nachmittag vom Unterricht befreit. Und von den Hausaufgaben auch, das kann heute nämlich länger dauern. Also bis nachher, meine Lieben. Ich verspreche euch: Ihr werdet begeistert sein!«

Ein Klacken folgte. Der Lautsprecher verstummte und sofort setzte das übliche Gemurmel im Speisesaal wieder ein. Maisie beugte sich zu Will hinüber. »Miss Prescott muss heute leider auf dich verzichten«, sagte sie leise. »Ich gebe Frank Bescheid und du holst den Zündschlüssel von Luke. Und eine Sprechbohne. Oder besser gleich zwei. Hast du gehört? Vergiss die bloß nicht. Wir treffen uns am Eingang zum alten Sportplatz. Los! Beeil dich!«

Als Will nachfragen wollte, wie denn ihr Plan genau aussah, war sie auch schon aufgesprungen und griff nach ihrem Rucksack. Mit großen Schritten lief sie in Richtung Ausgang, wo sie vor dem Tisch mit dem Kuchen stehen blieb. Unter dem handgeschriebenen Schild

BITTE JEDER NUR EINS NEHMEN! DANKE!!!

waren dort kleine Kuchen zu kunstvollen Pyramiden aufgeschichtet. Wie an jedem Donnerstag gab es Marmortörtchen mit Schokoguss und einer knallroten Kirsche obendrauf. Maisie blickte sich kurz um, dann stopfte sie sich den Rucksack voll. Bevor Mister Robson, dem das natürlich nicht entgangen war, sich von seinem Schock erholt hatte (so eine Frechheit hatte es seines Wissens im Dreistein-Internat noch nie gegeben!), war Maisie bereits durch die Flügeltür verschwunden.

Will schob sich noch rasch eine Gabel voll Nudeln in den Mund, dann rannte er kauend hinter Maisie her. Zum ersten Mal überhaupt vergaß er, seinen Teller auf einen der großen Geschirrwagen zu stellen. Mister Robson, der noch nie die Fassung verloren hatte, beugte sich weit über die Brüstung der Empore und pfiff auf zwei Fingern empört hinter ihm her. Will hörte zwar den Pfiff, aber dass er ihm galt, darauf kam er überhaupt nicht. Nur ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Charlie musste so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht werden. Wahrscheinlich, so überlegte er, während er wenig später quer über den Rasen eine kleine Anhöhe hinaufhastete, würden sie mit dem Bus irgendwohin fliegen, ihn verstecken und dann zum Internat zurücklaufen.

Keuchend stoppte Will vor einem der schmalen, zweigeschossigen Backsteinhäuschen mit rotem Ziegeldach, die auf dem weitläufigen Gelände verteilt standen. Kurz vergewisserte er sich noch, dass er auch wirklich vor Haus Traumwandler stand, in dem Luke mit drei Mitschülern wohnte, dann trommelte er mit beiden Fäusten gegen die dunkle Holztür und rief: »Luke, mach auf! Es ist wichtig! Wir brauchen deine Hilfe! Sofort!«

Ja, die brauchten sie wirklich. Ohne Luke würde überhaupt nichts gehen, denn er hatte den Zündschlüssel. Und ohne Zündschlüssel konnten sie die ganze Sache gleich vergessen. Noch immer rührte sich nichts im Haus. Will schnaubte ärgerlich. Wann würden endlich mal Handys erlaubt werden im Dreistein? Dann hätte er Luke schon längst erreicht. Stattdessen ging es in diesem blöden Internat wie im tiefsten Mittelalter zu. Wütend kickte er ein paar Steinchen zur Seite, um sie aber gleich darauf aufzuheben und gegen Lukes Fenster im oberen Stockwerk zu werfen. Den Kopf in den Nacken gelegt, blickte er gespannt nach oben.

Nichts tat sich. So krank konnte Luke gar nicht sein, dass er diesen Krach nicht hörte! Erneut warf Will Steinchen, dieses Mal aber gleich eine Handvoll nach der anderen. Die Kiesel prasselten gegen die Scheibe – ein Geräusch, das einen Scheintoten aufwecken würde. Irgendwo auf einem Baum schimpfte ein Rabe, aber das war es dann auch schon. Im Haus regte sich weiterhin nichts. War Luke womöglich gar nicht da? War er vielleicht im Krankenhaus? So wie Frank vor ein paar Wochen, als er sich das Bein gebrochen hatte?

Will trat einen Schritt zurück und musterte die Fassade. Vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig als eine kleine Kletterpartie, um zu versuchen, ob sich das Fenster öffnen ließ. Und dann musste natürlich auch noch der Zündschlüssel irgendwo herumliegen, am besten auf dem Fenstersims, griffbereit direkt vor seiner Nase … Will grinste schief. So viel Glück gab es einfach nicht. Das sagte ihm die Erfahrung von dreizehn Lebensjahren.

»Hey, ich hab doch irgendwas gehört«, krächzte eine heisere Stimme. »Soll das ein Krankenbesuch werden?« Luke stand plötzlich in der Tür. Er trug einen karierten Flanellschlafanzug, hellblaue Plüschpantoffeln mit aufgestickten Smileys und einen dicken Wollschal, mehrfach um den Hals geschlungen.

»Na endlich!« Will fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die vor Aufregung ganz trocken waren. »Mannomann! Wir haben ein echtes Problem. Freddie hat Charlie entdeckt. Und jetzt ist es bloß eine Frage der Zeit, bis der Direktor das mitkriegt. Und dann landet er womöglich in der Schrottpresse. Also, ich meine natürlich Charlie und nicht den Direktor! Maisie ist schon unterwegs. Sie holt Frank. Wir müssen uns beeilen.«

»Ach du Scheiße«, murmelte Luke. Er machte einen Schritt auf Will zu und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. »Du bist ja total durch den Wind. Charlie wird gerettet, keine Sorge. Ich zieh mir bloß schnell was an. Ach du Scheiße«, wiederholte er und drehte sich um. Ungläubig starrte er auf die Haustür, die soeben mit einem sanften Plopp ins Schloss gefallen war.

Will stöhnte auf. »Aber echt! Jetzt können wir die Sache vergessen. Irgendwo in deinem Zimmer muss der Zündschlüssel liegen. Und ohne den geht gar nichts.«

»Was?« Luke zog geräuschvoll die Nase hoch. »Nein, den Zündschlüssel hast du eingesteckt.« Weil Will ihn ungläubig anstarrte, fügte er hinzu: »Oder war’s Frank? Ich weiß es nicht mehr. Ich hab ihn jedenfalls nicht.«

Sekundenlang schwiegen beide. Im Hauptgebäude, in dem sich die Klassenzimmer befanden, bimmelte wie immer um vierzehn Uhr ein Glockenspiel. Die Mittagspause war zu Ende. Der Direktor würde jetzt wieder in seinem Büro sein. Vermutlich hatte er schon längst von Freddies Entdeckung erfahren, und er griff genau in diesem Augenblick zum Telefon und beauftragte ein Abschleppunternehmen, um den alten Schulbus auf den nächsten Schrottplatz zu verfrachten. Was das Ende von Charlie und allen Abenteuerträumen bedeuten würde. Auf gar keinen Fall durfte es so weit kommen. Will schüttelte entschlossen den Kopf.

»Irgendwas muss uns einfallen«, murmelte Luke, der anscheinend die gleichen Gedanken hatte. Er nieste heftig. »Was ist mit Maisie und Frank?«

»Wir treffen uns am alten Sportplatz.«

»Also los! Zehn, fünfzehn Minuten, wenn wir uns beeilen.« Er grinste, als er Wills entgeisterten Blick sah. »Wehe dir, wenn du auch nur einem Menschen erzählst, dass ich im Schlafanzug und mit Hausschuhen aus dem Haus gegangen bin.«

Sie rannten los, kletterten über die Mauer, die das Internatsgelände umgab, überquerten einen Acker und wateten barfuß durch einen eiskalten Bach. Die Landstraße mieden sie, denn keinesfalls wollten sie irgendjemandem begegnen und neugierige Fragen beantworten. Ein paar Mal mussten sie anhalten, weil Luke immer wieder von Hustenanfällen geschüttelt wurde. Doch schließlich hatten sie, über versteckte Feldwege, den alten Sportplatz erreicht.

Früher hatte es dort am Wochenende Fußballspiele gegen die Mannschaften aus den umliegenden Dörfern gegeben. Davon zeugten ein halb verfallenes Kassenhäuschen, in dem sich kaputte Klappstühle stapelten, zwei rostige Tore, windschief und mit löchrigen Netzen, und eine riesige Holzwand mit einem längst verblassten Plakat, das für Tante Bellas famose Veilchenpastillen warb. Dahinter hatten sie den Bus versteckt.

Will stand da, die Hände in den Hosentaschen, und starrte mit zusammengekniffenen Augen angestrengt quer über die Wiese. »Von hier aus kann man Charlie jedenfalls nicht erkennen.« Erleichtert drehte er sich zu Luke um. »Vielleicht hat Maisie ja irgendwas falsch verstanden. Freddie mit seinen Hühneraugen würde nie im Leben um die Plakatwand herumgehen und nachschauen. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Außerdem … Ich frage mich, warum Maisie und Frank noch nicht da sind.«

»Könnte vielleicht was damit zu tun haben«, murmelte Luke und nieste heftig. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Prozession, die sich, von der Straße kommend, direkt auf sie zubewegte. An der Spitze eine Gestalt im geblümten Rock und mit bunten Ringelstrümpfen … Miss Prescott!

Will stöhnte laut auf.

Zum Abhauen war es zu spät. Denn Miss Prescott hatte sie bereits erspäht. »Huhu!«, rief sie ihnen freudig entgegen und schwenkte dabei ihre Arme so heftig, als wären sie Windmühlenflügel im Sturm.

Das war eine der Lockerungsübungen, die vor jeder Theaterprobe gemacht wurden und die Will besonders lächerlich fand. Vor allem, weil man dazu noch mit aufgeblasenen Backen das Brausen des Windes nachahmen musste.

Miss Prescott strahlte, als hätte sie soeben den Jackpot geknackt. »Huhu, vorbildlich, dass ihr schon da seid! Man sieht euch die Begeisterung für die Theaterprobe schon von Weitem an.«

»Das glaube ich jetzt echt nicht«, murmelte Will.

Das bezog sich einerseits auf Miss Prescotts Bemerkung, aber noch mehr auf Maisie und Frank, die er plötzlich inmitten der Gruppe entdeckte. Hatte Maisie nicht geschworen, sie würde niemals im Leben Theater spielen? Zumindest niemals in einem Stück, das sich Miss Prescott ausgedacht hatte, denn das sei garantiert oberpeinlich, hatte sie gemeint. Und Frank hatte sich fast krankgelacht, als er von Wills Rolle als französischer Graf erfahren hatte. Was sollte das jetzt also bedeuten? Siedend heiß fiel Will zudem ein, dass er die Sprechbohnen vergessen hatte. Wobei es darauf nun aber auch nicht mehr ankam. Viel schlimmer war, dass die Theatergruppe eindeutig den alten Sportplatz ansteuerte. Und dass die gut gelaunte Miss Prescott eine Überraschung angekündigt hatte. Will schwante Übles.

»He, kapierst du das?«, fragte Luke und zog ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch aus seiner Schlafanzughose. Während er sich die Nase putzte, nuschelte er: »Die Theatergruppe auf einem Ausflug? Aber warum bei diesem Wetter und ausgerechnet hierher? Und wieso sind Maisie und Frank dabei?«

Will antwortete nicht, denn Miss Prescott kam direkt auf sie zu. »Na, bestimmt habt ihr beiden das Ungetüm schon längst entdeckt, oder?«

Sie blieb vor dem Kassenhäuschen stehen und blickte sich suchend um. Dass Luke im Schlafanzug war, schien ihr überhaupt nicht aufzufallen. Zumindest verlor sie kein Wort darüber. Im Gegensatz zu dem Rest der Theatergruppe, die heftig tuschelten und kicherten. Aber Miss Prescotts Verhalten war typisch für sie. Als Künstlerin interessierte sie sich für nichts anderes als Theater, Ballett, Malerei und solche Sachen. Sie hatte sogar eine Broschüre über die Kunstschätze im Dreistein verfasst.

Ungetüm …? überlegte Will. Meinte sie damit das, was er insgeheim befürchtete?

»Ich frage mich nur, wo Freddie bleibt. Pünktlichkeit ist nicht seine Stärke, wie mir scheint.« Miss Prescott warf einen Blick auf die zierliche goldene Uhr, die sie an einem geflochtenen Lederband um den Hals trug, und klatschte dann energisch in die Hände. »Meine Lieben, wir legen schon mal ohne den Hausmeister los. Denn es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Strömt also bitte aus. Findet diesen ollen Schulbus. Irgendwo hier muss er sein.« Sie kicherte. »Vorausgesetzt, unser lieber Freddie hat mir keinen Bären aufgebunden.«

»Halt! Nein!«, rief Will empört. »Das geht nicht, weil …«

Ein heftiger Tritt auf den Fuß ließ ihn verstummen.

»Halt den Mund«, zischte Maisie, die plötzlich neben ihm stand. Sie nahm ihren Rucksack ab und warf Will einen warnenden Blick zu.