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Der 'Cherubinische Wandersmann' erstrahlt als eine wahrhaft bemerkenswerte Sammlung geistreicher Sinn- und Schlussreime. Diese Anthologie, angesiedelt im reichen literarischen Kontext des Barock, entfaltet eine schwindelerregende Bandbreite an Metaphern und Symbolen, die sowohl das Spirituelle als auch das Profane umarmen. Sie führt den Leser durch eine Landschaft der Mystik und Kontemplation, wo die Reimkunst zu einem Mittel der Vergeistigung wird. In dieser Sammlung verschmelzen die Einsichten des Hermetischen mit der Klarheit des Gedichts, wobei die Vielfalt der Präsentation das Verständnis für den literarischen Reichtum dieser Epoche vertieft. Johannes Scheffler, weithin bekannt als Angelus Silesius, steht im Zentrum dieser Sammlung. Durch seine poetische Ausdruckskraft beeinflusste Silesius die Mystik und religiöse Poesie seiner Zeit erheblich. Als Vertreter einer Zeit, die von Wandlungen und innerer Einkehr geprägt war, bringt er in seinen Reimen das Streben nach Gott, die Vergänglichkeit der Dinge und die Einheit des Seins zum Ausdruck. Die Verortung dieser Werke in einem transzendentalen und zugleich zutiefst menschlichen Raum ermöglicht eine reichhaltige Auseinandersetzung mit barocker Spiritualität und Kultur. Diese Sammlung bietet dem Leser eine kostbare Gelegenheit, in eine Vielzahl von barocken Perspektiven und philosophischen Tiefen einzutauchen. Sie lehrt nicht nur durch die Fülle an Einsichten, die von der menschlichen Existenz bis hin zur göttlichen Erkenntnis reichen, sondern fördert auch einen lebendigen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Leserinnen und Leser werden dazu eingeladen, sich auf eine geistige Wanderung durch die poetische Welt des Angelus Silesius zu begeben, die sie intellektuell herausfordert und spirituell bereichert. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Im Kern kreist dieses Buch um die radikale Frage, wie der Mensch sich im Innersten auf Gott hin ausrichtet und die Grenzen von Sprache, Denken und Welt überschreitet. Der Wanderer ist dabei keine Figur einer äußeren Reise, sondern ein Sinnbild für eine innere Bewegung, die in der Gegenwart ansetzt und auf Verwandlung zielt. Die Texte zwingen zur Konzentration: Nichts Unnötiges, keine erzählerischen Umwege, stattdessen eine Folge von prägnanten Einsichten. Das Spannungsfeld entsteht zwischen Sehnsucht und Läuterung, zwischen Weltbezug und Rückzug. So entsteht ein geistiges Kompendium, das nicht belehrt, sondern anstiftet, die eigene Wahrnehmung zu schärfen.
Der Cherubinische Wandersmann, auch als geistreiche Sinn- und Schlussreime bezeichnet, gehört zum Genre der barocken, mystischen Lyrik und besteht aus kurzen, pointierten Spruchgedichten. Verfasst wurde er von Angelus Silesius, geboren als Johannes Scheffler, einem schlesischen Dichter und Denker der Frühen Neuzeit. Entstanden und publiziert im Umfeld der religiösen Spannungen des 17. Jahrhunderts, steht das Werk im weiteren Horizont der Gegenreformation. Ein konkreter Schauplatz fehlt; die Bühne ist das Innere des Menschen. Der Ton ist feierlich und zugleich streng, die Sprache kunstvoll, aber klar genug, um eine meditative Lektüre zu ermöglichen.
Eine konventionelle Handlung gibt es nicht; die Ausgangssituation ist vielmehr die eines geistigen Weges, den die Seele beschreitet. Das Leseerlebnis ist dadurch fragmentarisch und konzentriert: Jeder Spruch ist in sich geschlossen, doch in der Summe entsteht ein Wegverlauf aus Annäherungen, Selbstbefragungen und Verwerfungen. Die Stimme schwankt produktiv zwischen Lehrsatz, Bekenntnis und Eingebung; sie ist zugleich persönlich und allgemein. Stilistisch dominieren Kürze, rhythmische Prägnanz und ein Hang zur überraschenden Wendung. Die Stimmung oszilliert zwischen Strenge und Trost, zwischen nüchterner Erkenntnis und stiller Ekstase, wodurch eine besondere Spannung entsteht.
Zentrale Themen sind die Vereinigung mit dem Göttlichen, die Selbsterkenntnis, das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit sowie die Praxis der Innerlichkeit. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, was der Mensch loslassen muss, um zu sich und zu Gott zu finden: Wille, Bilder, Sicherheiten. Das Denken stößt dabei an seine Grenzen und wird von Paradoxien herausgefordert, die nicht verwirren, sondern das Begreifen vertiefen sollen. Das Werk skizziert eine Spiritualität, die Einfachheit sucht und doch intellektuell anspruchsvoll bleibt. Für heutige Leserinnen und Leser eröffnet sich so ein Raum der Reflexion über Freiheit, Verantwortung und die Möglichkeit innerer Wandlung.
Formal arbeitet das Buch mit Antithesen, Verdichtung und Pointe: Die Reime schließen nicht nur metrisch, sie bündeln Gedanken und treiben sie zu einer letzten Klarheit. Die Texte verbinden barocke Sprachkunst mit kontemplativer Strenge, wodurch Sinn und Klang einander tragen. Bildhaftigkeit ist vorhanden, aber selten ausschweifend; sie dient der Präzision, nicht dem Schmuck. In den Sprüchen schwingen Traditionen spiritueller Literatur mit, ohne dass Gelehrsamkeit in den Vordergrund rückt. So entsteht ein dichter Stil, der Leserinnen und Leser nicht überwältigt, sondern herausfordert, mitzudenken, innezuhalten und eigene Begriffe auf ihre Tragfähigkeit hin zu prüfen.
Gerade heute gewinnt der Cherubinische Wandersmann an Relevanz, weil er langsames Lesen belohnt und Fragen stellt, die über Konfessionen und Weltanschauungen hinausweisen: Was ist wesentlich? Wie lässt sich innerer Friede mit äußerer Verantwortung verbinden? Die knappe Form passt in eine Zeit, die oft Fragment und Fokus verlangt, ohne auf Tiefe verzichten zu wollen. Zugleich lädt das Werk zu Achtsamkeit ein, indem es Aufmerksamkeit auf Gegenwart, Haltung und Gewissen lenkt. Es bietet keine schnellen Antworten, sondern Instrumente der Unterscheidung – ein Angebot, das intellektuell anregt und existenziell berührt.
Für die Lektüre empfiehlt sich ein fortschreitendes und zugleich auswählendes Vorgehen: einzelne Sprüche langsam lesen, wiederholen, mit Abstand neu betrachten. Da es keine lineare Geschichte gibt, entsteht der innere Zusammenhalt erst im Prozess des Lesens und Nachsinnens. Wer bereit ist, Spannung zwischen Denken und Schweigen auszuhalten, findet hier einen verlässlichen Begleiter. Das Buch wird häufig als Kerntext barocker Mystik im deutschsprachigen Raum gelesen, doch seine Wirkung reicht darüber hinaus: Es ist ein präzises Instrument zur geistigen Übung, ein Prüfstein für Begriffe – und ein Anstoß, das Eigene neu zu sehen.
Der Cherubinische Wandersmann (Geistreiche Sinn- und Schlussreime) von Angelus Silesius ist eine barocke Sammlung kurzer Sinnsprüche, die den inneren Weg der Seele zu Gott skizzieren. In sechs Büchern geordnet, entfaltet das Werk keinen linearen Plot, sondern eine gedankliche Pilgerfahrt. Die knappen, gereimten Zweizeiler bündeln asketische Hinweise, mystische Einsichten und theologische Paradoxien. Im Zentrum stehen Umkehr, Loslassen (Gelassenheit), die Gegenwart Gottes im Augenblick und die Vereinigung der Seele mit dem Göttlichen. Der Text richtet sich als geistlicher Leitfaden an Leserinnen und Leser, die Orientierung im Glauben suchen, und empfiehlt eine praxisnahe, kontemplative Ausrichtung jenseits bloßer Gelehrsamkeit.
Das erste Buch eröffnet die Bewegung mit einem Aufruf zur inneren Wachheit. Die Seele soll die Bindung an Geschaffenes lockern, Eigenwillen und Begierden prüfen und den Blick auf das Herz als Tempel Gottes richten. Silesius betont, dass Frömmigkeit nicht primär in äußeren Werken liegt, sondern in der lauteren Absicht und im einfachen, gegenwärtigen Sein vor Gott. Der Pilger lernt, die Vielgeschäftigkeit zu meiden und das Wesentliche zu suchen. Wiederkehrende Bilder – Weg, Licht, Quelle – führen in eine Haltung der Sammlung. Das Ziel bleibt noch offen, doch die Richtung ist gesetzt: vom Außen ins Innen.
Im zweiten Buch verdichtet sich die Lehre von der Gelassenheit. Die Seele soll Bilder, Vorstellungen und Selbstbezogenheit ablegen, um dem Wirken Gottes Raum zu geben. Silesius warnt vor religiösem Aktivismus ohne innere Verwandlung und plädiert für Stille, in der das Wort Gottes gehört wird. Er unterscheidet zwischen Wissen über Gott und unmittelbarer Gotteserfahrung. Das Gebet wird als Einfachheit beschrieben: bewusstes Verweilen im Jetzt. Äußere Übungen behalten ihren Platz, erhalten aber Sinn erst aus der Liebe. So formt sich eine Disziplin des Herzens, die nicht Flucht aus der Welt ist, sondern ihre rechte, gelassene Durchdringung.
Das dritte Buch entfaltet die barocke Kunst des Paradoxons, um das Unverfügbare zu benennen. Gott erscheint als Ursprung jenseits von Grund und Warum; er ist zugleich Alles und Nichts, über Sein und Nichtsein erhaben. Die Seele wird eingeladen, sich in diesen Abgrund der Einfachheit zu verlieren, damit in ihr Gottes Geburt geschehe. Zeit und Ewigkeit begegnen sich im gegenwärtigen Augenblick. Berühmt ist die Einsicht von der Rose, die ohne Warum blüht und so das zweckfreie Sein Gottes spiegelt. Solche Bilder veranschaulichen eine apophatische Theologie, die das Denken übersteigt, ohne die Vernunft zu verachten.
Im vierten Buch rückt die Gestalt Christi als Maß des Weges in den Vordergrund. Nachfolge bedeutet nicht äußere Nachahmung, sondern Teilhabe an Jesu Gesinnung: Demut, Liebe und Bereitschaft zum Kreuz. Silesius unterstreicht, dass das Kreuz als innere Form begriffen werden muss – als Sterben des Eigenwillens und Freigabe für Gottes Willen. Er mahnt, gelehrte Streitigkeiten zu meiden, wenn sie die Liebe schwächen, und hält fest, dass rechte Werke aus der Einwohnung Christi erwachsen. So verbindet sich Mystik mit gelebter Ethik: Der Pilger soll im Alltag die Gegenwart Christi sichtbar werden lassen.
Das fünfte Buch beschreibt eine Reifung zur Ruhe in Gott. Der Wanderer sucht weniger und findet mehr; die Seele lernt, im Verborgenen zu bleiben und das Wirken Gottes nicht zu stören. Das Paradies wird als innerer Garten verstanden, der gepflegt, nicht erzwungen wird. Warnungen vor spirituellem Ehrgeiz und subtilem Hochmut begleiten die Ermutigung, in kleinen Dingen treu zu sein. Wer in Gott ruht, wirkt ohne Hast und ohne Anspruch. Der Weg endet nicht in Untätigkeit, sondern in lauterer Wirksamkeit: Das Gute geschieht als stiller Überfluss, nicht als Leistung, und bleibt dennoch verantwortliche Tat.
Im sechsten Buch kulminiert der Weg in der radikalen Einigung des Willens mit Gott. Silesius spricht von Entwerdung: Das Ich tritt zurück, damit Gott alles in allem sei. Schweigen, Einfachheit und Ununterschiedlichkeit werden Leitworte. Er erklärt, dass sogar heilige Mittel vorläufig sind, wo das Ziel erreicht ist: Gott selbst. Die Seele wird, ohne sich mit Gott zu verwechseln, vom göttlichen Leben durchdrungen. So fällt die Mühe des Suchens ab, und es bleibt Gegenwart. Paradoxe Formeln verdichten die Aussage: Man findet, indem man nicht mehr sucht; man wird, indem man lässt. Die Pilgerreise mündet in stille Gegenwart.
Form und Stil tragen die Botschaft. Die epigrammatischen Zweizeiler sind prägnant, gereimt und pointiert, nutzen Antithesen, Oxymora und überraschende Bilder. Diese Kürze zwingt zur meditativen Lektüre: Jeder Spruch steht für sich und zugleich im thematischen Gefüge der sechs Bücher. Silesius knüpft an die deutschsprachige Mystik von Meister Eckhart, Tauler und Seuse an, ebenso an barocke Frömmigkeit und frühneuzeitliche Gelehrsamkeit, ohne systematische Traktatform zu wählen. Die Anordnung wirkt wie eine Stufenleiter: vom moralischen Anfang über kontemplative Sammlung zu metaphysischer Einung. Zugleich bleibt der Text kreisend, damit Leserinnen und Leser neu ansetzen können.
Zusammenfassend führt der Cherubinische Wandersmann vom äußeren Eifer zur inneren Einfachheit und von der Vielheit zur Einheit. Er zeigt, dass der Weg zu Gott nicht in Argumenten beschlossen liegt, sondern in Verwandelung: Loslassen, Liebe, Gegenwart und Einwilligung in Gottes Willen. Die berühmten Paradoxien dienen der Einübung in eine andere Sicht, nicht der Rätselkunst. Das Buch will nicht informieren, sondern orientieren: Es ruft zur Praxis der Stille, zur Nachfolge Christi und zur nüchternen Liebe im Alltag. So vermittelt es als barockes Andachtsbuch eine zeitlose Botschaft der Gottesnähe im Hier und Jetzt.
Der Cherubinische Wandersmann entstand Mitte des 17. Jahrhunderts im Raum Schlesien, vor allem in Breslau (Wrocław), innerhalb des Heiligen Römischen Reiches. Die Stadt war ein konfessionell gemischtes Handels- und Verwaltungszentrum unter habsburgischer Oberhoheit (als Teil der böhmischen Krone). Die Entstehungszeit um 1657 fällt in die Nachkriegsjahre des Dreißigjährigen Krieges, in denen Wiederaufbau, Seuchen und religiöse Spannungen den Alltag prägten. Johannes Scheffler (1624–1677), der spätere Angelus Silesius, wirkte nach Studien in Straßburg, Leiden und Padua (Promotion zum Dr. med. 1648) zunächst als Hofmedikus in Oels (Oleśnica). Das Buch „spielt“ nicht an einem konkreten Ort, reflektiert jedoch die geistige Topographie einer von Krieg, Konfessionspolitik und Frömmigkeit geprägten Region.
Das prägende Großereignis war der Dreißigjährige Krieg (1618–1648). Schlesien erlebte seit den frühen 1620er Jahren Einzüge und Kontributionen kaiserlicher und später schwedischer Truppen, Plünderungen, Hunger und wiederkehrende Pestzüge (etwa 1633/34). Demografischer Einbruch, ökonomischer Niedergang und religiöse Verhärtung veränderten Städte und Dörfer tiefgreifend. Scheffler wuchs mitten in dieser Erfahrung existenzieller Unsicherheit auf. Der Cherubinische Wandersmann, der 1657 erschien, artikuliert vor diesem Hintergrund eine radikal diesseitskritische Haltung: die Vergänglichkeit des Irdischen, die Nichtigkeit von Rang und Besitz und die Konzentration auf die innerliche Gottesbeziehung sind direkte Resonanzen auf Kriegselend und kollektive Traumata der Kriegsjahre.
Mit dem Westfälischen Frieden (Münster/Osnabrück, 1648) endete der Krieg, und die Reichsverfassung bestätigte die konfessionelle Ordnung auf Basis des Normaljahrs 1624 sowie das Prinzip „cuius regio, eius religio“. Schlesien blieb bei den Habsburgern; für protestantische Stände bestanden teils gesonderte Garantien, doch die habsburgische Konfessionspolitik gewann Spielraum. Westfalen brachte zwar Rechtsfrieden, aber keine innere Befriedung: Misstrauen, Besitzstreitigkeiten und religiöse Lagerbildung hielten an. Das Buch spiegelt diese Zwischenlage, indem es äußere Bekenntniskämpfe relativiert und auf die unbedingte Innerlichkeit pocht. Seine knappen, apodiktischen Sentenzen stellen die dauerhafte Gottesnähe über jede politische oder kirchenrechtliche Sicherung.
Schefflers persönliche Konversion vom Luthertum zum Katholizismus im Jahr 1653 in Breslau war ein markantes Ereignis innerhalb der schlesischen Konfessionsgeschichte. Sie fiel in die Phase der intensiven habsburgischen Rekatholisierung nach 1648. Seine Abkehr entfremdete ihn dem lutherischen Umfeld am Hof des Herzogs Sylvius Nimrod von Oels, wo er seit 1649 als Hofmedikus tätig war, und führte zu Konflikten über Amts- und Glaubenstreue. 1657 erschien der Cherubinische Wandersmann unter dem Namen Angelus Silesius. Das Werk verbindet persönliche Bekehrungserfahrung mit zeitgenössischer Konfessionspolitik: Es ruft zur radikalen Innerlichkeit auf, ohne die realen Machtverschiebungen zwischen den Religionsparteien zu ignorieren.
Die habsburgische Rekatholisierung Schlesiens kulminierte in Maßnahmen wie der Kirchenreduktion von 1654, als kaiserliche Kommissionen zahlreiche Pfarrkirchen an die katholische Kirche zurückführten und Jesuiten die Seelsorge ausbauten. In Städten wie Breslau und Neisse (Nysa) verstärkten Jesuiten seit den 1620er/30er Jahren Mission, Bildung und Beichtpraxis. Diese Politik schuf institutionelle Räume, in denen kontemplative Frömmigkeit und katholische Mystik gefördert wurden. Der Cherubinische Wandersmann steht in dieser Atmosphäre: Er ist keine amtliche Propagandaschrift, aber seine Gottes- und Weltauffassung harmoniert mit einer katholischen Erneuerungsstrategie, die auf innere Bekehrung, sakramentale Praxis und Gehorsam gegenüber der Kirche setzte.
Parallel wirkte die sächsisch-schlesische Mystik als religiöse Bewegung. Der Silesier Jakob Böhme (1575–1624) aus Görlitz entfaltete eine einflussreiche Theosophie, die im 17. Jahrhundert – trotz Verboten – in Handschriften- und Druckkreisen kursierte. Auch spätmittelalterliche deutsche Mystik (Eckhart, Tauler) blieb präsent. Diese Traditionen betonten die unmittelbare Gotteserfahrung, das Schweigen des Denkens und die Entäußerung des Ich. Der Cherubinische Wandersmann greift, in barocker Zuspitzung, solche Tendenzen auf: knappe Lehrsprüche, Paradoxa („Die Rose ist ohne Warum“) und die Entwertung des diskursiven Wissens. So spiegelt das Buch eine religiöse Strömung, die in Schlesien historisch gewachsen war und nun neue Aktualität gewann.
Schlesiens politische Ordnung nach 1648 blieb von Ständeherrschaft, kaiserlicher Oberaufsicht und regionalen Machtzentren (Herzogtümer, Bistum Breslau) geprägt. Höfe wie Oels wirkten als Knotenpunkte gelehrter Netzwerke; dort diente Scheffler ab 1649. Zugleich standen Städte wie Breslau unter fiskalischem Druck, mussten Garnisonen unterhalten und sich wiederaufbauen. Der weitere Kriegsunruheherd des Zweiten Nordischen Kriegs (1655–1660) im östlichen Mitteleuropa verstärkte Unsicherheit und Fluchtbewegungen in der Nachbarschaft. Solche politischen Belastungen fördern im Buch den Rückzug auf Gewissheiten jenseits staatlicher Stabilität: Seine Sentenzen relativieren höfische Ehre, Gelehrtenruhm und städtische Prosperität zugunsten einer „inneren Freiheit“, die weltliche Ordnungen transzendiert.
Als gesellschaftlich-politische Kritik zeigt das Buch die Grenzen aller Macht- und Wissensordnungen der Epoche auf. Es demaskiert Standesdünkel, Fürstenglanz, konfessionelle Selbstgerechtigkeit und die Sicherheit vermeintlich unfehlbarer Lehren als Formen der Eitelkeit. Indem es radikale Innerlichkeit fordert, kritisiert es implizit die Verweltlichung der Kirchen und den Missbrauch religiöser Identität für politische Interessen. In einer Zeit der Kommissionen, Restitutionen und Disziplinierungsprogramme ruft es zur personalen Umkehr statt zur Zwangsordnung. So macht der Cherubinische Wandersmann die großen Probleme seiner Epoche – Kriegserbe, Konfessionsfeindschaft, soziale Not und obrigkeitliche Härte – sichtbar und hält ihnen eine transzendente Ethik entgegen.
Wir alle die wir mit aufge-
dektem Angesichte die Herrlig- keit des HErren anschauen / werden verwandelt in dassel- bige Bild von Klarheit in Klar- heit / als vom Geiste des HEr- ren. 2. Cor: III. 18.Zueschrifft.
Der Ewigen Weißheit GOtte / Dem Spiegel ohne makel / den die Cherubin und alle Seelige Geister mit ewi- ger verwunderung anschauen / Dem Lichte welches alle Menschen erleuchtet die in diese Welt kommen / Dem unerschöpfflichen Brunn und ursprüngli- chem Qualle aller Weißheit / Schreibet zue und richtet wiederumb in Jhn hin / Diese auß dessen grossem Meere genädiglich her- geronnene kleine Tröpfflein SeinFür unabläßlichem verlan- gen Jhn zuschauen Allzeit sterbender
Inhaltsverzeichnis
GOttsbegiehriger Leser / vor etlichen Jahren habe ich dir den Seraphinischen begiehrer in meiner verliebten Psyche zum andernmahl: mit vermehrung der Heiligen Liebs begiehrden zu glükseeliger entzündung deines Hertzens in göttlicher Liebe / zuegesendet; wie auch unlängst die sinnliche betrachtung der vier Letzten Dinge / welche dich gleichfalls Gott innbrünstig zu lieben aufmuntern kan: anitzo trage ich dir meinen Cherubinischen Wandersmann oder geistliche Sinn- und Schluß-Reime zum andernmahl auch vermehrt / zu einem gefehrten an; umb durch denselben noch mahls die Augen deiner Seele zur Göttlichen beschawligkeit zuleiten und zuerheben. Glükseelig magstu dich schätzen / wann du dich beyde lässest einnehmen / und noch bey Leibes Leben bald wie ein Seraphin von himmlischer Liebe brennest / bald wie ein Cherubin mit unverwandten augen Gott anschawest: denn damit wirstu dein ewiges Leben schon in dieser sterbligkeit / so viel es seyn kan anfangen / und deinen beruff oder außerwälung zu demselben gewiß machen. Weil aber folgende Reimen vil seltzame paradoxa oder widersinnische Reden / wie auch sehr hohe und nicht jederman bekandte schlüsse / von der geheimen Gottheit / jtem von Vereinigung mit GOtt oder Göttlichem Wesen / wie auch von Göttlicher Gleichheit und Vergöttung oder GOttwerdung / und waß dergleichen / in sich halten; welchen man wegen der kurtzen Verfassung leicht einen Verdamlichen Sinn oder böse Meinung könte andichten: Als ist vonnöthen dich deß halben zuvor zuerinnern.
Unnd ist hiermit einmal für allemal zuwissen / daß deß Urhebers Meinung nirgends sey / daß die Menschliche Seele jhre Geschaffenheit solle oder könne Verliehren / und durch die Vergöttung in GOtt oder sein ungeschaffenes Wesen verwandelt werden: welches in alle Ewigkeit nicht seyn kan. Denn obwol GOtt Allmächtig ist / so kan er doch dises nicht machen (und wann Ers könte / wäre Er nicht GOtt) daß eine Creatur natürlich und wesentlich GOtt sey. Derowegen sagte Thaulerus[1] in seinen Geistlichen Unterrichtungen c. 9. weil der Allerhöchste nicht machen kondte / daß wir von Natur GOtt wären (denn diß steht jhm alleine zu) so hat Er gemacht / daß wir GOtt wären auß Gnaden; damit wir zugleich mit Jhm in jmmerwehrender Liebe besitzen mögen eine Seeligkeit / eine Freüde / und ein einiges Königreich: Sondern dieses ist sein Sinn / daß die Gewürdigte und Heilige Seele zu solcher naher Vereinigung mit GOtt und seinem Göttlichen Wesen gelange / daß sie mit demselben gantz und gar durchdrungen / überformet / Vereinigt und eines sey; dermassen / daß wenn man sie sehen solte / man an jhr nichts anders sehen und erkennen würde als GOtt; wie dann im ewigen Leben geschehen wird: Weil sie von dem Glantze seiner Herrligkeit gleichsamb gantz Verschlungen seyn wird. Ja daß sie zu solcher Vollkomner gleichnüß GOttes gelangen könne / daß sie eben das Jenige sey (auß Genaden) was GOtt ist (von Natur;) und also in diesem Verstande recht und wol ein Liecht in dem Liechte / ein Wort in dem Worte / und ein GOTT in GOtte (wie in den Reimen geredet wird) könne genennet werden. Sinthemal / wie ein alter Lehrer sagt / GOtt der Vatter hat nur einen Sohn / und derselbe sind wir alle in Christo. Sind wir nun Söhne in Christo / so müssen wir auch seyn was Christus ist / und dasselbe Wesen haben / welches der Sohn GOttes hat. Denn eben darumb (spricht Thaulerus in der vierdten Predigt am H. Christage) daß wir dasselbe Wesen haben / werden wir Jhm gleich / und sehen Jhn wie Er wahrer GOtt ist.
Und diesem Satze stimmen bey alle Heilige GOttesschawer; jnsonderheit jetzt gedachter Tauler in der 3. Predigt am 3. Sontag Trinit. da er spricht: Die Seele wird (durch das wider erlangte Ebenbild) GOtte gleich und Göttlich: Ja alles wird sie auß genaden was GOtt ist von Natur. Jn diser Vereinigung und einsenckung in GOtt / wird sie über sich selbst in GOtt geführt / und GOtte so gleich / daß wann sie sich selber sähe / sie sich für GOtt würde schätzen: Und wer sie sähe / der würde sie sehen / nicht zwar in dem Natürlichen sondern in dem auß Genaden jhr mit getheiltem Wesen Form und weise GOttes / und würde also Seelig von dem Gesichte. Sinthemal GOtt und die Seele in solcher Vereinigung eines sind; wiewol nicht von Natur / sondern auß Genaden. Und nach wenigem: Die lautere und Göttliche Seele welche von der Creaturen Liebe so frey ist wie GOtt / wird von andern gesehen werden / auch sich selber in Ewigkeit ansehen als GOtt (denn GOtt und eine solche Seele sind in der obgemeldten Vereinigung eins) und wird jhre Seeligkeit in und auß sich selbst nehmen in diser Vereinigung.
Rusbroch[2] im dritten Buch vom Zierrath der Geistlichen Hochzeit c. 1. Jn der Wesentlichen Einheit GOttes sind alle Andächtige und jnnige Geister eins mit GOtt durch Jhre Liebhabende einsenckung und zerschmeltzung in ihn: Und sind auß Gnaden eben dasselbige Eins das dieselbe Wesenheit in sich selber ist.
Und eben daselbst: GOtt über alle gleichnüsse / wie Er in sich selber ist / fassen und Verstehen / das ist etlicher massen GOtt mit GOtt seyn ohne mittel / (oder daß ich so sage) ohne eine empfindliche Anderheit. Und eben im selben Buche c. 2. spricht Er: Wann der Geist deß Menschen durch die genießliche Liebe sich selber verlohren hat / so empfängt er die Klarheit GOttes ohne mittel: ja er wird auch selbst / (soviel einer Creatur zusteht) ohne unterlaß dieselbe Klarheit welche er embfängt.
Gleichermassen redet auch S. Bernard. im Buche vom Einsamen Leben / da er spricht: Wir werden das seyn was Er ist. Denn welchen die Macht gegeben ist GOttes Kinder zu werden / denen ist auch die Macht gegeben / nicht zwar daß sie GOtt seyn / sondern daß sie seyn was GOtt ist. Und nach disem: Diese gleichnüß GOttes wird die Einheit deß Geistes genent / nicht alleine weil sie der Heilige Geist zu Wercke richtet / oder den Geist deß Menschen damit anthut: Sondern weil sie selbst der Heilige Geist / GOtt die Liebe ist / weil durch Jhn / welcher die Liebe deß Vatters und deß Sohnes ist und Einheit / und Anmütigkeit / und Gut / und Kuß und umbfassung / und alles was beyden kan gemein seyn / in jener höchsten Vereinigung der Warheit / und Warheit der Vereinigung / eben dasselbe dem Menschen auff seine Art zu GOtt geschieht / was mit der selbständigen Einheit dem Sohne zum Vatter / oder dem Vatter zum Sohne / wann in der umbfahung und Kuß deß Vatters und deß Sohns sich etlicher massen mitten inne befindet das seelige Gewissen; da auff eine unaussprechliche und Ungedänckliche weise der GOttes Mensch verdienst zu werden / nicht GOtt: sondern doch was GOtt ist auß Natur / der Mensch auß Genaden. Und dieses Bernardus. Fragstu wie das zugehen könne / weil das Göttliche Wesen unmittheilhafftig ist? So antworte ich dir fürs Erste mit dem heiligen Bonaventura: So du es wissen wilt / so frage die Genade / und nicht die Lehre: Das Verlangen / und nicht den Verstand: das Seufftzen deß Gebeths / und nicht das fleissige lesen: Den Bräutigam / nicht den Meister: GOtt / nicht Menschen: Die tunckelheit / nicht die Klarheit: Nicht das Licht / sondern das Feuer welches gantz und gar anflammet / und in GOtt mit brennenden Begierden führet / welches Feuer GOTT selber ist.
Fürs ander / daß das Göttliche Wesen zwar unmittheilhafftig sey / solcher gestalt / daß es sich mit einem Dinge vermengen solte / und eine Natur oder Wesen mit ihm werden: Daß es aber auff gewisse Weise wegen der so nahen und jnniglichen Vereinigung / mit welcher es sich in die Heylige Seelen ergiest / gleichwol mit theilhafftig könne genennet werden: Massen auch Petrus sagt / daß wir theilhafftig werden der göttlichen Natur: und Johannes / daß wir Gottes Kinder seynd / weil wir auß GOtt gebohren seynd. Nun können ja die jenige nicht Gottes Kinder / und theilhafftige der Göttlichen Natur genennet werden (spricht Thomas à Jesu l. 4. d. orat. divin. c. 4) wann dieselbige nicht in Uns / sondern weit von Uns abgesondert ist. Denn so wenig ein Mensch kan weise seyn ohne Weißheit (wie Thauler. in der vierdten Sermon im H. Christage redet) so wenig kan einer auch ein Kind Gottes seyn ohne die Göttliche Kindschafft / das ist / er habe dann das warhafftige Wesen deß Sohnes GOttes selber. Derohalben soltu GOttes Sohn oder Tochter seyn / so mustu auch eben das Wesen haben / welches der Sohn GOttes hat / sonsten kanstu GOTTES Sohn nicht seyn. Aber solche grosse Herrligkeit ist uns noch zur Zeit verborgen. Darumb schreibt auch S. Johannes an obgemeltem Ort weiter also: Meine allerliebsten wir sind zwar Gottes Kinder / aber es ist noch nicht offenbahr was wir seyn werden / wir wissen aber wann es erscheinen wird / daß wir ihme werden gleich seyn / das ist / dasselbe Wesen das er ist werden wir auch seyn etc. Darumb sagt Nicolaus à JESU Mar. l. 2. c. 16. Elucid. Theologic. in Joan. à cruce: Daß die Seele durch die Würkungen der Liebe mit welchen sie GOtt liebt / Erlange / daß ihr GOtt nicht allein seine Gaben mittheile / sondern daß auch selbst die selbständigkeit und Wesen GOttes der Seelen mit sonderbahrem Titel selbständig zugegen sey. Und solches bestättigen auch die Worte deß heiligen August. S. 185. de tempore da er spricht: Der heilige Geist ist in diesem Tage zu bereitung der Hertzen seiner Apostel wie ein Platzregen der Heiligung eingefallen / nicht als ein Eilfertiger besucher / sondern als ein jmmerwehrender Tröster / und ewiger beywohner. Dann wie er Matth. am 28. von sich selbst seinen Aposteln gesagt hatte: Siehe ich bin bey euch alle Tage biß zum Ende der Welt; Also sagt er auch von dem heiligen Geiste: Der Vatter wird euch den Tröster geben der bey euch sey in Ewigkeit. Derowegen ist er in diesem Tage bey seinen Gläubigen nicht nur durch die Gnade der Rechtfertigung / sondern selbst durch die Gegenwart seiner Majestät gewest; und ist in die Gefässe jetzo nur nicht der Geruch deß Balsams / sondern selbst die selbständigkeit der Heiligen Salbe geflossen.
Dises aber eygentlicher und ohne jrrthumb zuverstehen und zuerklären / hab ich mir allzeit sehr belieben lassen die Gleichnüsse welche die heiligen Vätter von der Vereinigung der Sonnen mit der Lufft / deß Feuers mit dem Eysen / deß Weins mit dem Wasser / und was dergleichen / sich gebrauchen / diese hohe Vereinigung GOttes mit der Seelen etlicher massen dadurch zubeschreiben. Unter welchen der heilige Bernard. im Buche wie man GOtt lieben sol / in der mitten also spricht: Gleich wie ein tropffen Wassers in viel Wein gegossen von sich gantz zuvergehen scheint / in dem es deß Weins geschmack und Wärmde an sich nimbt: Und wie ein feuriges glüendes Eysen dem Feuer gantz und gar gleiche wird / und seine alte und eigentliche Gestalt außziehet: und wie die Lufft mit der Sonnenlicht durchgossen in desselben Lichtes Klarheit überformet wird; also gar daß sie nicht so wol Erleuchtet / als das Liecht selber zu seyn scheinet: Also wird vonnöthen seyn / daß in den Heiligen alle Menschliche begierlichkeit auff unaussprechliche weise von jhr selbst zerschmeltze / und in Gottes willen gäntzlich eingegossen werde: dann wie wollte sonst GOtt alles in allen seyn / wenn in dem Menschen noch etwas vom Menschen übrig wäre? Und in dem 25. Cap. deß Buchs von der Liebe / nach dem er eben diese Gleichnüsse angeführet hatte / spricht er darauff: Also ist deß Menschen Geist / wann er mit Göttlicher Liebe angethan ist / gantz Liebe. Derowegen wer GOtt liebt / ist jhm selbst Todt / und in dem er GOtt alleine lebt / machet er sich etlicher massen (daß ich so rede) mit Wesentlich oder mitständig dem geliebten (consubstantiat se dilecto.) Denn so die Seele Davids der Seelen Jonathe vereinigt ist; oder so der welcher GOtt anhängt ein Geist mit ihm wird: so gehet nit ohne ungleiches Urtheil der Vereinigung auff eine gewisse Art der mit Wesenheit die gantze Begierde in GOtt / etc. Und derogleichen findet man auch beym Rusbroch. Harphio. Thauler. und anderen. Jnsonderheit beym Ludovico Blosio da er im zwölfften Cap. seiner Geistlichen Unterrichtungen sehr schön also Redet. Jn der geheimen vereinigung verfleust die liebhabende Seele / und vergehet von jhr selbst / und verfället / als wäre sie zu nichte worden / in den Abgrund der ewigen Liebe: Allda sie ihr Todt ist / und GOtt lebet / nichts wissende / nichts fühlende / als die Liebe welche sie schmekket; denn sie verliehret sich in der übergrossen Wüste und Finsternüß der GOttheit. Aber sich so verliehren / ist mehr sich finden. Da wird Warlich / was da ist das Menschliche außziehende / und das Göttliche anziehende / in GOtt verwandelt. Gleich wie das Eysen im Feuer die Gestalt deß Feuers annimbt / und ins Feuer verwandelt wird. Es bleibet aber doch das Wesen der also vergötteten Seelen gleich wie das glüende Eysen nicht auffhöret Eysen zu seyn. Derohalben die Seele welche zuvor kalt war / ist jetzt brennend / die vor Finster war ist jetzt leuchtend: Die vor harte war / ist jetzt weich: Gantz und gar GOttfarbig; weil ihr Wesen mit Gottes Wesen durchgossen ist: Gantz mit dem Feuer der Göttlichen Liebe verbrennet / und gantz zerschmeltzend in GOtt übergangen / und ihm ohne mittel Vereinigt / und ein Geist mit ihm worden ist; gleich wie Gold und Ertzt in einen Metallischen klumpen zusammen geschmoltzen werden.
Nun mit solchen und dergleichen Worten und Reden haben sich die H. Gottesschauer bemühet die jnnigliche Vereinigung Gottes mit der geheiligten Seelen etlicher massen außzudrukken; denn dieselbe gründlich zubeschreiben / sagen sie / daß man nicht Wort finden könne.
Wann derowegen der Günstige Leser in diesen Reimen hin und wider derogleichen finden wird; so wolle er sie auch nach disem Verstande richten und verstehen.
Wie wol ich nun was disen Punct anbelangt zur genüge mich vermeine erklärt zuhaben; so muß ich doch noch einen schönen Text auß Dionijsio Carthusiano anher setzen: dieser redet Artic. 42. in Exod. also / Alsdann wird die Seele gantz in das unendliche Licht außgebreitet / der überwesentlichen GOttheit und überseeligsten Dreyeinigkeit / so strahlend / Liebreich und nahe copulirt oder verbunden / daß sie nichts andres verspüret / noch ihre eigne Würckung warnimt: sondern sie Verfleust von jhr selbst / und fleust wider in jhren eigenen Bronnen / und also wird sie in die Reichtümber der Glorien verzukket / in dem Feuer der ungeschaffenen unaußmäßlichen Liebe verbrennet; in dem Abgrunde der Gottheit vertieffet und verschlukket / daß sie scheint etlichen massen das geschaffene Wesen auß- und das ungeschaffene und erste Musterwesen (esse ideale) wider anzuziehen, Nicht daß die Selbständigkeit verwandelt oder das eigene Wesen weg genommen werde / sondern weil die Weise zuseyn / und die Eigenschafft oder qualitet zuleben Vergöttet wird: Das ist / GOtte und seiner überseeligsten Seeligkeit übernatürlich und genädiglich vergleichet wird; und also wird fürtrefflich erfüllet deß Apostels Wort: Wer dem HErren anhängt ist ein Geist mit jhm / etc.
Wenn nu der Mensch zu solcher Vollkomner gleichheit GOttes gelangt ist / daß er ein Geist mit GOtt / und eins mit jhm worden / und in Christo die gäntzliche Kind- oder Sohnschafft erreicht hat / so ist er so groß / so reich / so weise und mächtig als GOtt / und GOtt thut nichts ohne einen solchen Menschen / denn Er ist eins mit jhm; er offenbahret ihm alle seine Herrlichkeit und Reichtümber / und hat nichts in seinem gantzen Hause / das ist / in sich selber / welches er für jhm verborgen hielte; wie er zu Mosi sagte / ich will dir all mein Gutt zeigen. Derowegen sagt der Urheber nicht zuvil wann er N. 14. in der Person eines solchen Menschen spricht: ich bin so reich als GOtt: Denn wer GOtt hat / der hat mit GOtt alles was GOtt hat[1q]. Also was N. 8. 95. 96. und sonsten gesagt wird / ist auch nach dieser Vereinigung zuverstehen. Wiewol auch diese zwey ersten ein absehen auff die Person Christi haben / welcher wahrer GOtt ist / und mit seinen unvergleichlichen Liebe Wercken uns zu verstehen gegeben / als ob GOtt gleichsam nicht wol wäre / wann wir solten Verlohren werden. Deßwegen Er auch nicht alleine in dieses Elende kommen und Mensch worden / sondern auch so gar deß allerschmälichsten Todes hat sterben wollen / daß Er nur uns wider zu sich bringen / und sich mit Uns ewig erfrewen und ergötzen könte: Wie er auch sagt / meine Lust ist bey den Menschenkindern. O deß verwunderlichen und unaußsprechlichen Adels der Seelen! O der unbeschreiblichen Würdigkeit zu welcher wir durch Christum gelangen können! was bin ich doch mein König und mein GOtt! und was ist meine Seele O unendliche Majestät! daß du dich ernidrigest zu mir / und mich erhebst zu dir! daß du Lust suchst bey mir / der du doch die ewige Lustbarkeit bist aller Geister! daß du dich mit mir wilt Vereinigen / und mich mit dir / der du in und an dir selbst Ewiglich genug hast! Ja was ist meine Seele / daß sie dir auch gar so Gemein sol seyn / wie eine Braut jhrem Bräutigam / wie eine Liebe jhrem Lieben! O mein GOtt: Wann ich nicht glaubte daß du warhafftig wärest / so könte ich nicht glauben daß zwischen mir und dir / als der unvergleichlichen Majestät solche Gemeinschafft jemahls möglich wäre. Weil du aber gesprochen du wollest dich mit mir Vermählen in Ewigkeit; so muß ich nur dise übervernünfftliche Genade / welcher ich mich nimmermehr könte würdig schätzen / mit demüttigem Hertzen und verstarrtem Geiste verwundern. Du O GOtt bist der allein unvergleichliche wunder thut; Sinthemal du auch alleine GOtt bist. Dir sey Lob / und Preiß / und Danck / und Herrligkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Was sonsten viel andere nicht jederman Gemeine Reden und Sprüche anbelangt / so hoffe ich sie werden / dem günstigen Leser / im fall er in den Lehrern der geheimen GOttes Weißheit bekandt ist / nicht alleine nicht frembde; sondern auch sehr Lieb und Angenehm seyn: in dem er hier als in einem kurtzen Begriff wird finden / was er bey jhnen nach der länge gelesen / oder ja selbst durch genädige besuchung GOttes in der That geschmäkket und empfunden hat. Jst er aber noch Unerfahren / so wil ich ihn freundlich zu ihnen gewisen haben: Jnsonderheit zum Rusbrochio, Thaulero, Harphio, Authore Theologiae Teutonicae &c.: Und neben disen sonderlich zum Maximil. Sandaeo Societatis JESU, welcher sich mit seiner Theologia Mystica, und dem clave, über die massen gegen die Liebhaber diser Göttlichen kunst verdienet hat.
Am allertröstlichstem aber abgebildet wird ers mit grosser verwunderlicher Begierde und hertzlichem Verlangen finden / in dem unlängst heraußgekommenen leben der Ehrwürdigen Jungfrauen Marinae de Escobar, welche allein auß gnädiger verleihung GOttes alles dessen gewürdiget worden / was jemahls alle dieser geheimen GOttes-Kunst erfahrne jngesambt geschrieben und aufgezeichnet haben.
Denn eine gantze und lautere Außlegung über alle und jede Worte zumachen / würde eine grosse weitläufftigkeit erfordern / und nur dem Leser verdrießlich seyn. Es ist deß Bücherschreibens ohne diß keine maß / daß anjetzo fast mehr geschrieben als gelesen wird. Dise Reimen / gleich wie sie dem Urheber meisten theils ohne Vorbedacht und mühsames Nachsinnen in kurtzer Zeit von dem Ursprung alles gutten einig und allein gegeben worden aufzusetzen; also daß er auch daß erste Buch in vier Tagen verfertiget hat; sollen auch so bleiben / und dem Leser eine auffmunterung seyn / den in sich verborgenen GOtt / und dessen heilige Weißheit selbst zusuchen / und sein Angesichte mit eignen Augen zubeschawen. Jedoch wo der Verstand zweiffelhafftig oder gar zu Tunckel zu sein vermeinet wird / so sol dabey eine kurtze Erinnerung geschehen. Der Leser dänke aber weiter nach / und lebe in betrachtung der Göttlichen wunder mit ungefälschter Liebe / zu grossen Ehren GOttes; deme befohlen. Gegeben in Schlesien den 7. Augstsmonats Tag des Sechzehn-Hundert vier und siebentzigsten Jahres.
Inhaltsverzeichnis
EGo infrascriptus legi Domini Joannis Angeli Silesij libellum qui inscribitur Geistreiche Sinn und Schluß-Reime; quo amoenitatem lusumque Poëticum ita Pietati sacrisque salibus miscet, ut Lectorem inde & recreandum sperem, & ad pios animi sensus commovendum. Ideoque dignum censui, qui luci publicae committeretur. Viennae ex Caesareo Academico Collegio Societatis Jesu die 2. Aprilis Anno 1657.
NICOLAUS AVANCINUS è Soc: JESV, S. S. Theol: Doctor ejusdemq; Facultatis Viennensis Decanus. Imprimatur. JOANNES GUILIELMUS IVNCHER, p. t. Vniversitatis Rector.
SErenissimi & Reverendissimi Principis ac Dn: Dn: LEOPOLDI GUILIELMI, Archiducis Austriae Ducis Burgundiae, Styriae, Carinthiae, Carniolae & Wirttenbergae, Comitis Habspurgi, Tyrolis & Goritiae, Administr: magni Generalatus in Prussia, Ord: Teutonici per Germaniam & Italiam partesque transmarinas Magni Magistri, Episc: Argentorat: Halberstatens: Passoviens: Olomucens: & Vratislaviens: per Silesiam Officialis ac Vicarius Generalis Nos Sebastianus â Rostock S. S. Theol: & Philosophiae Doctor, Protonotarius Apostolicus, Cathedralis Ecclesiae Vratislauiens: Archidiaconus, ibidem apud S. Crucem Canonicus &c. Fatemur Libellum piarum ac profundarum meditationum versibus Germanicis concinnatum sub nomine & Titulo Johannis Angeli Silesij Geistreiche Sinn- und Schluß-Reime Nobis exhibitum fuisse revidendum. Et quia ad pios animi motus conciliandos aptissimus, imprimi posse meritò censuimus. In cujus rei fidem hasce Officij nostri Sigillo, ac propriae manus subscriptione roborauimus.
Vratislaviae 6. Julij 1656.
SEBASTIANUS â Rostock.
Inhaltsverzeichnis
1. Was fein ist das besteht[2q].
Rein wie das feinste Gold / steiff wie ein Felsenstein / Gantz lauter wie Cristall / sol dein Gemüthe seyn.
2. Die Ewige Ruhestadt.
Es mag ein andrer sich umb sein Begräbniß kränken / Und seinen Madensak mit stoltzem Bau bedänken. Jch Sorge nicht dafür: Mein Grab / mein Felß und schrein Jn dem ich ewig Ruh / sol's Hertze JEsu seyn.
3. GOtt kan allein vergnügen.
Weg weg ihr Seraphim[3] ihr könt mich nicht erquikken: Weg weg ihr Engel all; und was an euch thut blikken: Jch wil nun eurer nicht; ich werffe mich allein / Jns ungeschaffne Meer der blossen GOttheit ein.
4. Man muß gantz Göttlich seyn.
HErr es genügt mir nicht / daß ich dir Englisch diene / Und in Vollkommenheit der Götter für dir Grüne: Es ist mir vil zu schlecht / und meinem Geist zu klein: Wer Dir recht dienen wil muß mehr als Göttlich seyn.
5. Man weiß nicht was man ist.
Jch weiß nicht was ich bin / Jch bin nicht was ich weiß:[3q] Ein ding und nit ein ding: Ein stüpffchin und ein kreiß.
6. Du must was GOtt ist seyn.
Sol ich mein letztes End / und ersten Anfang finden / So muß ich mich in GOtt / und GOtt in mir ergründen. Und werden das was Er: Jch muß ein Schein im Schein / Jch muß ein Wort im Wort / Thaul. instit. spir. c. 39[4]. ein GOtt in GOtte seyn.
7. Man muß noch über GOtt.
Wo ist mein Auffenthalt? Wo ich und du nicht stehen: Wo ist mein letztes End in welches ich sol gehen? Da wo man keines findt. Wo sol ich dann nun hin? Jch muß noch über alles das man an GOTT erkennt oder von jhm gedänken kan / nach der verneinnenden beschawung / von welcher suche bey den Mijsticis. über GOtt in eine wüste ziehn.
8. GOtt lebt nicht ohne mich.
Jch weiß daß ohne mich GOtt nicht ein Nun kan leben /Schawe in der Vorrede. Werd' ich zu nicht Er muß von Noth den Geist auffgeben.
9. Jch habs von Gott / und Gott von mir.
Daß GOtt so seelig ist und Lebet ohn Verlangen / Hat Er so wol von mir / als ich von jhm empfangen.
10. Jch bin wie Gott / und Gott wie ich.
Jch bin so groß als GOtt / Er ist als ich so klein: Er kan nicht über mich / ich unter Jhm nicht seyn.
11. Gott ist in mir / und ich in jhm.
GOtt ist in mir das Feur / und ich in Jhm der schein: Sind wir einander nicht gantz jnniglich gemein?
12. Man muß sich überschwenken.
Mensch wo du deinen Geist schwingst über Ort und Zeit / So kanstu jeden blik seyn in der Ewigkeit.
13. Der Mensch ist Ewigkeit[4q].
Jch selbst bin Ewigkeit / wann ich die Zeit Verlasse / Und mich in GOtt / und GOtt in mich zusammen fasse.
14. Ein Christ so Reich als Gott.
Jch bin so Reich als GOtt / es kan kein stäublein seyn / Das ich (Mensch glaube mir) mit Jhm nicht hab gemein.
15. Die über-GOttheit.
Was man von GOtt gesagt / das gnüget mir noch nicht: Die über-GOttheit ist mein Leben und mein Liecht.
16. Die Liebe zwinget GOtt.
Vid. no. 7. Wo GOtt mich über GOtt nicht solte wollen bringen / So will ich Jhn dazu mit blosser Liebe zwingen.
17. Ein Christ ist GOttes Sohn.
Jch auch bin GOttes Sohn / ich sitz an seiner Hand: Sein Geist / sein Fleisch und Blut / ist Jhm an mir bekandt.
18. Jch thue es GOtte gleich.
GOtt liebt mich über sich. Lieb ich Jhn über mich; So geb ich Jhm sovil / als Er mir gibt auß sich.
19. Das seelige Stilleschweigen.
Wie seelig ist der Mensch / der weder wil noch weiß!Denotatur hic Oratio silentij, de qua vide Maximil. Sandae. Theol. mystic. lib. 2. comment. 3. Der GOtt (versteh mich recht) nicht gibet Lob noch Preiß.
20. Die Seeligkeit steht bey dir.
Mensch deine Seeligkeit kanstu dir selber nemen: So du dich nur dazu wilt schiken und bequemen.
21. GOtt last sich wie man wil.
GOtt gibet niemand nichts / Er stehet allen frey; Daß Er / wo du nur Jhn so wilt / gantz deine sey.
22. Die Gelassenheit.
So vil du GOtt geläst / so vil mag Er dir werden / Nicht minder und nicht mehr hilfft Er dir auß beschwerden.
23. Die Geistliche Maria.
Jch muß MARIA seyn / und GOtt auß mir gebähren / Sol Er mich Ewiglich der Seeligkeit gewehren.
24. Du must nichts seyn / nichts wollen.
Mensch / wo du noch was bist / was weist / was liebst und hast; So bistu / glaube mir / nicht ledig deiner Last.
25. GOtt ergreifft man nicht.
GOtt ist ein lauter nichts / Jhn rührt kein Nun noch Hier: i.e. Zeit und Ort. Je mehr du nach Jhm greiffst / je mehr entwird Er dir.
26. Der geheime Tod.
Tod ist ein seelig ding: je kräfftiger er ist: Je herrlicher darauß das Leben wird erkist.
27. Das Sterben machet Leben.
Jn dem der weise Mann zu tausendmalen stirbt / Er durch die Warheit selbst umb tausend Leben wirbt.
28. Der allerseeligste Tod.
Kein Tod ist seeliger / als in dem Herren sterben / Und umb das Ewge Gutt mit Leib und Seel verderben. i.e. Umb GOttes willen auch Leib und Seel ins äuserste verderben hingeben: Wie Moses und Paulus sich erbotten / und vil andere Heiligen.
29. Der Ewige Tod.
