Children of Virtue and Vengeance - Tomi Adeyemi - E-Book
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Children of Virtue and Vengeance E-Book

Tomi Adeyemi

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Beschreibung

Die Magie ist zurück und mit ihr ein tödlicher Kampf - Band 2 der mitreißenden »Children of Blood and Bone«-Trilogie von Bestsellerautorin Tomi Adeyemi Zélie und Prinzessin Amari haben das Unmögliche geschafft: Die Magie ist nach Orïsha zurückgekehrt. Doch das Ritual war mächtiger, als sie ahnen konnten. Es hat nicht nur die verschütteten Kräfte der Magier geweckt, sondern auch jene des Adels. Mit ihrer neugewonnenen Macht sind Zélies Feinde gefährlicher als je zuvor. Und sie wollen Rache. Zélie muss einen Weg finden, das Land zu vereinen – oder zusehen, wie sich Orïsha in einem verheerenden Krieg zerreißt.

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Tomi Adeyemi

Children of Virtue and Vengeance

Flammende Schatten

Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Fischer

FISCHER E-Books

Für Tobi und Toni.

Ich liebe euch mehr,

als ich in Worte fassen kann.

Die Clans der Maji

IKÚ-CLAN

MAJI-TITEL: Seelenfänger

KRAFT: Macht über Leben und Tod

GOTTHEIT: Oya

ÈMÍ-CLAN

MAJI-TITEL: Geistwandler

KRAFT: Macht über Gedanken und Träume

GOTTHEIT: Orí

OMI-CLAN

MAJI-TITEL: Wellenhüter

KRAFT: Macht über das Wasser

GOTTHEIT: Yemọja

INÁ-CLAN

MAJI-TITEL: Flammentänzer

KRAFT: Macht über das Feuer

GOTTHEIT: Sàngó

AFÉFÉ-CLAN

MAJI-TITEL: Windflüsterer

KRAFT: Macht über die Luft

GOTTHEIT: Ayao

AIYE-CLAN

MAJI-TITEL: Erzbrecher&Erdsänger

KRAFT: Macht über Eisen und Erde

GOTTHEIT: ãgún

ÌMỌ́LÈ-CLAN

MAJI-TITEL: Lichtweber

KRAFT: Macht über Licht und Schatten

GOTTHEIT: Ochumare

ÌWÒSÀN-CLAN

MAJI-TITEL: Heiler&Siecher

KRAFT: Macht über Genesung und Krankheit

GOTTHEIT: Babalúayé

ARÍRAN-CLAN

MAJI-TITEL: Seher

KRAFT: Macht über die Zeit

GOTTHEIT: Orúnmila

ẸRANKO-CLAN

MAJI-TITEL: Zähmer

KRAFT: Macht über das Tierreich

GOTTHEIT: Oxosi

Kapitel 1Zélie

Ich versuche, nicht an ihn zu denken.

Wenn ich es trotzdem tue, höre ich das Rauschen des Meeres.

Als ich es zum ersten Mal vernahm, war Baba bei mir.

Als ich die Wellen zum ersten Mal fühlte.

Das Wasser rief mich wie ein Wiegenlied, lockte uns aus dem Wald ans Ufer. Die leichte Brise spielt mit meinen Locken. Sonnenstrahlen fielen durch das dünner werdende Laub.

Ich hatte keine Vorstellung, was uns erwartete. Welches unbekannte Wunder dieses Wiegenlied bereithielt. Ich wusste nur, dass ich dorthin musste. Es war, als besäße der Ozean ein fehlendes Stück meiner Seele.

Als wir das Wasser endlich erreichten, ließ meine kleine Hand die von Baba los. Staunend stand ich mit offenem Mund da. Es war magisch.

Nachdem Mama von den Männern des Königs getötet worden war, spürte ich dort zum ersten Mal wieder Magie.

»Zélie rọra o!«, rief Baba, als ich mich dem Ufer näherte. Die Gischt umspülte meine Füße, ich zuckte zurück. Die Seen von Ibadan waren immer kalt gewesen, doch dieses Wasser war warm wie der Duft von Mamas Reis. So warm wie ihr Lächeln. Baba folgte mir ins Wasser und hob den Kopf zum Himmel.

Es war, als würde er die Sonne auf der Zunge schmecken.

Da nahm er meine Hand, verschränkte seine bandagierten Finger mit meinen und sah mir tief in die Augen. In dem Moment wusste ich: Auch wenn Mama nicht mehr da war, hatten wir doch noch einander.

Wir konnten überleben.

Aber jetzt …

Jetzt hebe ich den Blick zum kalten grauen Himmel; zum brüllenden Meer, das sich gegen Jimetas Felsen wirft. Ich muss die Vergangenheit loslassen.

Ich kann meinen Vater nicht festhalten.

Während ich mit den Vorkehrungen beschäftigt bin, die ihn zur letzten Ruhe geleiten, muss ich an das Ritual denken, bei dem er sein Leben ließ. All die Schmerzen, die er ertrug, machen mir das Herz schwer; all die Opfer, die er brachte, damit ich die Magie zurückholen konnte.

»Es ist gut.« Mein älterer Bruder Tzain reicht mir die Hand. Ein Bartschatten umspielt seine dunkelbraune Haut; die Stoppeln kaschieren die Anspannung in seinem Gesicht.

Er drückt meine Hand. Die nieselnden Tropfen gehen in einen prasselnden Regen über. Der Wolkenbruch kühlt uns bis ins Innerste. Es ist, als würden selbst die Götter weinen.

Es tut mir leid, sage ich stumm zu Babas Geist und wünsche mir, ich hätte es ihm persönlich sagen können. Wir umklammern den Strick, der den Sarg an Jimetas Felsenküste hält, und ich frage mich, wieso ich geglaubt habe, ein Elternteil zu begraben, würde mich darauf vorbereiten, es beim nächsten zu tun. All die unausgesprochenen Dinge lassen meine Hände zittern. Meine Kehle brennt vor unterdrückten Schreien, die ich in stumme Tränen presse. Ich versuche, die Gefühle zu verdrängen, und greife nach dem Glas mit dem Rest unseres Totenöls.

Meine zitternde Hand verschüttet Tropfen der kostbaren Flüssigkeit. »Pass auf!«, mahnt Tzain. Nachdem wir drei Wochen feilschen mussten, um genügend Öl für das Einreiben von Babas Sarg zusammenzubekommen, ist diese Flüssigkeit wertvoller als Gold. Als ich den letzten Rest auf unsere Totenfackel tröpfele, steigt mir der scharfe Geruch in die Nase. Mit Tränen auf den Wangen schlägt Tzain den Feuerstein an. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich bereite mich auf die Worte des ìbùkún vor – des besonderen Segens, den ein Seelenfänger den Toten mitgibt.

»Die Götter schenken uns das Leben«, flüstere ich auf Yoruba. »Und den Göttern wird es zurückgegeben.« Die Formel klingt fremd aus meinem Mund. Noch vor wenigen Wochen besaß kein Seelenfänger die notwendige Magie, um ein ìbùkún durchzuführen. Elf Jahre lang nicht. »Béèni ààye tàbi ikú kò le yà wá. Béèni ayè tàbí òrun kò le sin wà nítorí èyin lè ngbé inú ù mi. Èyin la ó máa rí …«

Kaum beginnt die Magie unter meiner Haut zu pulsieren, versagt mir die Stimme. Das violette Licht meiner Ashê umglüht meine Hände, die göttliche Kraft, die unsere heilige Gabe nährt. Seit dem Ritual, das die Magie nach Orïsha zurückbrachte, habe ich die Hitze nicht mehr gefühlt. Seit Babas Geist in meinen Körper fuhr.

Als die Kraft in mir zu brodeln beginnt, taumele ich rückwärts. Meine Beine werden taub. Die Magie kettet mich an meine Vergangenheit, zieht mich nach unten, wie sehr ich mich auch dagegen wehre …

»Nein!« Der Schrei wird von den Tempelwänden zurückgeworfen. Mein Körper schlägt auf dem Steinboden auf. Dann fällt Baba mit einem dumpfen Geräusch um, steif wie ein Brett.

Ich will ihm zur Hilfe eilen, doch seine Augen sind zu einem leeren Blick gefroren. Ein Pfeil steckt in seiner Brust. Blut sickert durch sein zerrissenes Oberteil …

»Pass auf, Zél!«

Tzain hechtet nach vorn, um die Fackel aufzufangen, die ich losgelassen habe. Er ist schnell, aber nicht schnell genug. Kaum fällt die Fackel ins brodelnde Wasser, ist die Flamme erloschen.

Tzain fischt sie heraus und bemüht sich, sie erneut zu entzünden, doch sie will kein Feuer fangen. Mein Bruder wirft das unbrauchbare Holz in den Sand. Zerknirscht ziehe ich den Kopf ein.

»Und was machen wir jetzt?«, fragt er.

Ich lasse den Kopf hängen, weiß keine Antwort. Angesichts der chaotischen Zustände im Königreich könnte es Wochen dauern, neues Öl zu besorgen. Durch die Aufstände und die Lebensmittelknappheit ist es schon schwer genug, einen mageren Sack Reis zu organisieren.

Schuldgefühle bedrängen mich wie die Wände eines Sargs, bannen mich in ein Verlies meiner Fehler. Vielleicht ist dies ein Zeichen, dass ich es nicht verdient habe, Baba zu beerdigen.

Nicht wenn ich der Grund für seinen Tod bin.

»Tut mir leid.« Seufzend kneift Tzain sich in den Nasenrücken.

»Es muss dir nicht leidtun.« Meine Kehle schnürt sich zu. »Das ist allein meine Schuld.«

»Zél …«

»Wenn ich die Schriftrolle doch nie berührt hätte! Wenn ich das mit dem Ritual doch niemals herausgefunden hätte …«

»Du hattest keine Wahl«, entgegnet Tzain. »Baba hat sein Leben gegeben, damit du die Magie zurückholen konntest.«

Genau das ist das Problem. Ich wollte die Magie zurück, um Baba zu helfen. Stattdessen habe ich ihn in seinen frühzeitigen Tod geschickt. Was nützen mir diese Kräfte, wenn ich nicht mal die Menschen schützen kann, die ich liebe?

Was nützt mir die Magie, wenn ich Baba nicht wieder zum Leben erwecken kann?

»Wenn du jetzt nicht aufhörst, dir Vorwürfe zu machen, wirst du es dein Leben lang tun!« Tzain packt mich an den Schultern. In seinem Blick erkenne ich die braunen Augen meines Vaters, Augen, die selbst dann verzeihen, wenn es keinen Grund dafür gibt. »Jetzt gibt es nur noch dich und mich. Wir sind alles, was wir haben.«

Ich atme aus und wische mir die Tränen ab. Tzain nimmt mich in die Arme. Obwohl er klatschnass ist, wärmt mich seine Umarmung. Er reibt mir mit den Händen über den Rücken, so wie Baba es immer tat.

Ich schaue hinüber zu Babas Sarg, der im Wasser treibt und auf eine Fackel wartet, die nie kommen wird. »Wenn wir ihn nicht verbrennen können …«

»Wartet!«, ruft Amari von weitem. Sie kommt den eisernen Steg des Kriegsschiffs hinuntergelaufen, auf dem wir seit dem heiligen Ritual wohnen. Ihr durchnässtes Hemd hat nichts mehr mit den kunstvollen Roben und Geles gemein, die sie trug, als sie noch Prinzessin von Orïsha war. Der weiße Stoff klebt an ihrer braunen Haut. Am schäumenden Wasser bleibt sie stehen.

»Hier!« Sie reicht mir eine rostige Fackel aus der Kapitänskammer und ein volles Glas Öl, ihre eigene magere Ration.

Mein Blick fällt auf ihre Haare. Die weiße Haarsträhne, die sie seit dem Ritual besitzt, klebt an ihrer Wange. Das Zeichen für die Magie in ihrem Blut. Eine Mahnung, dass es nun Hunderte von Adlige überall in Orïsha gibt, die weiße Haare haben und wie Amari über Magie verfügen.

Ich wende mich ab, damit sie meinen Schmerz nicht sieht. Die Erinnerung an das Ritual, bei dem Amari ihre Gabe bekam, und an den Jungen, der mir das Herz brach, schnürt mir die Kehle zu.

»Bereit?«, fragt Tzain, und ich nicke, auch wenn es nicht stimmt. Bei seinem zweiten Versuch, den Feuerstein anzuschlagen, drücke ich die Fackel auf den Strick, an dem der Sarg hängt. Sofort fängt er Feuer.

Während das Feuer sich rasend schnell durch die ölgetränkten Fasern des Stricks frisst und auf Babas Sarg zuschießt, wappne ich mich für das, was kommt. Dann geht der Sarg mit meinem Vater darin in Flammen auf. Ich lege die Hand auf mein Herz. Orangerote Feuerzungen flackern vor dem grauen Horizont.

»Títí di òdí kejì.« Mit gesenktem Kopf flüstert Tzain die heiligen Worte. Ich beiße die Zähne aufeinander und tue es ihm nach.

Títí di òdí kejì.

Bis zur anderen Seite.

Das Aussprechen der Formel versetzt mich zu Mamas Beerdigung zurück. Wieder steht mir vor Augen, wie sie in Flammen aufging. Während des Gebets denke ich an all jene, die mit ihr in Alâfia sind. All jene, die gestorben sind, damit wir die Magie zurückholen konnten.

Ich denke an Lekan, den Sêntaro, der sich opferte, um meine Gabe zu wecken. An meine Freunde Zulaikha und Salim, die auf unserem Fest von den Männern des Königs ermordet wurden.

An Mama Agba, die Seherin, die ihr Leben für mich und die anderen Divînés aus Ilorin gab.

An Inan, den Prinzen, den ich zu lieben glaubte.

Títí di òdí kejì, sage ich zu ihren Geistern. Eine Mahnung, weiterzumachen.

Unser Kampf ist noch nicht vorbei.

Er hat gerade erst angefangen.

Kapitel 2Amari

Vater hat immer gesagt, Orïsha warte auf niemanden.

Auf keinen Mann.

Auf keinen König.

Mit diesen Worten rechtfertigte er alles, was er tat. Es war seine Ausrede, um sich alles herauszunehmen.

Während der Sarg im Wasser vor uns brennt, zieht das Schwert, das ich in die Brust meines Vaters stieß, meinen Gürtel nach unten. Sarans Körper wurde nicht aus dem Tempel geborgen.

Selbst wenn ich ihn beerdigen wollte, könnte ich es nicht.

»Wir gehen besser«, sagt Tzain. »Die Nachricht von deiner Mutter wird bald eintreffen.«

Wir verlassen das Ufer und gehen an Bord des Kriegsschiffs, das wir damals in unsere Gewalt brachten, um zum Tempel zu gelangen. Ich lasse mich einige Schritte hinter Tzain und Zélie zurückfallen. Das eiserne Schiff ist unser Zuhause, seitdem wir vor ein paar Wochen die Magie zurückgebracht haben, dennoch machen mich die Schneeleopardessen an seinem Rumpf bis heute nervös. Jedes Mal, wenn ich an Vaters altem Wappentier vorbeikomme, weiß ich nicht, ob ich weinen oder schreien soll. Ich weiß nicht, ob ich etwas empfinden darf.

»Alle an Bord!«, ruft ein Kapitän mit gellender Stimme.

Ich schaue mich um. Am Kai stehen Familien Schlange und geben ihre Goldstücke ab, um auf ein kleines Handelsschiff steigen zu dürfen. Unter seinem verrosteten Deck drängen sich Menschen, die Orïshas Grenzen entfliehen und jenseits fremder Gewässer Frieden finden wollen. Bei jedem eingefallenen Gesicht, das ich sehe, quälen mich neue Schuldgefühle. Während ich meine Wunden pflege und gesund werde, leidet das gesamte Königreich unter den Grausamkeiten meines Vaters.

Ich kann mich nicht länger verstecken. Ich muss meinen Platz auf Orïshas Thron einnehmen. Ich bin die Einzige, die das Land in ein Zeitalter des Friedens führen kann. Ich kann die Königin sein, die alles wiedergutmacht, was mein Vater zerstört hat.

Diese Überzeugung wärmt mir das Herz ein wenig. Ich geselle mich zu den anderen in der eiskalten Kapitänskammer. Sie ist einer der wenigen Räume auf dem Schiff, der frei von Majazit ist, dem besonderen Metall, mit dessen Hilfe die Monarchie die Maji tötete und ihre Kräfte neutralisierte. Jegliche Annehmlichkeiten, die sich einmal in diesem Raum befanden, haben wir verkauft, um uns zu ernähren.

Tzain sitzt auf dem nackten Bett und kratzt die letzten Reiskörner aus einem Zinnbecher. Zélie liegt auf dem Metallboden, halb verdeckt vom goldenen Fell ihrer Löwenesse Nailah. Das riesige Tier ruht auf ihrem Schoß und hebt den Kopf, um die aus Zélies silbernen Augen rinnenden Tränen abzulecken. Ich sehe zur Seite und greife nach meiner eigenen mageren Ration Reis.

»Hier.« Ich reiche Tzain den Becher.

»Willst du wirklich nicht?«

»Ich bin zu nervös zum Essen«, antworte ich. »Wahrscheinlich würde ich alles sofort wieder erbrechen.«

Erst vor einem halben Mond habe ich eine Nachricht an Mutter in Lagos geschickt, auch wenn es mir vorkommt, als wartete ich schon eine halbe Ewigkeit auf ihre Antwort. Mit ihrer Unterstützung könnte ich den Thron von Orïsha besteigen. Dann könnte ich die Gräueltaten meines Vaters endlich wiedergutmachen. Gemeinsam mit ihr könnte ich ein Land schaffen, in dem die Maji nicht mehr in Angst leben müssten. Wir könnten die Differenzen beseitigen, die Orïsha seit Jahrhunderten lähmen, und das Königreich einen.

»Keine Sorge.« Tzain drückt meine Schulter. »Egal, was sie sagt, wir machen das schon.«

Er reckt sich, um nach Zélie zu schauen. Meine Brust zieht sich zusammen. Ich hasse diesen Teil von mir, der den beiden das neidet, was sie verbindet. Erst drei Wochen sind vergangen, seit der Dolch meines Vaters sich in den Bauch meines Bruders bohrte, und doch vergesse ich schon allmählich den tiefen Klang von Inans Stimme. Jedes Mal, wenn mir das bewusst wird, beiße ich die Zähne aufeinander und behalte mein Leid für mich. Vielleicht kann das klaffende Loch in meinem Herzen heilen, wenn Mutter und ich uns wiedertreffen.

»Da kommt die Nachricht.« Zélie weist auf eine Gestalt, die durch die dunklen Gänge des Schiffs auf uns zukommt. Als der Bote durch die angelaufene Metalltür tritt, erstarre ich. Es ist Roën. Er schüttelt den Regen aus seinen schwarzen Haaren. Die seidigen Strähnen fallen in Wellen auf seinen markanten Kiefer. Mit einer Haut wie Wüstensand und Augen so grau wie Tränen wirkt der Söldner in einem Raum voller Orïshaner fehl am Platz.

»Nailah?«

Roën kniet sich hin und holt ein großes Päckchen aus seinem Rucksack. Die Löwenesse spitzt die Ohren und wirft Roën fast um, als er die Schnüre löst und schimmernde Fische zum Vorschein kommen. Ich wundere mich zu sehen, dass ein leises Lächeln seinen Weg auf Zélies Lippen findet.

»Danke«, flüstert sie.

Roën nickt und hält ihren Blick länger als nötig wäre. Ich muss mich räuspern, damit er sich erhebt und an mich wendet.

»Heraus damit!«, sage ich seufzend. »Was hat sie gesagt?«

Roën drückt die Zunge von innen gegen die Wange und blickt zu Boden. »Der Palast wurde angegriffen. Kein Wort dringt in oder aus der Hauptstadt.«

Bei der Vorstellung, dass Mutter allein im Palast ist, zieht sich alles in meiner Brust zusammen. »Ein Angriff? Wie kann das sein?« Ich stehe auf. »Wann? Warum?«

»Es waren Maji, die sich Iyika nennen«, erklärt Roën. »Das heißt ›Revolution‹. Sie haben Lagos gestürmt, kaum dass sie ihre Kräfte zurückhatten. Angeblich sind sie direkt zum Palast vorgestoßen.«

Ich lehne mich gegen die Wand und rutsche nach unten auf die Eisenplatten. Roën spricht weiter, aber ich bekomme nichts mehr mit. Meine Ohren sind taub.

»Die Königin«, bringe ich hervor. »Wurde sie … ist sie …«

»Niemand hat von ihr gehört.« Roën wendet den Blick ab. »Da du dich hier versteckt hältst, glauben die Leute, dass die königliche Linie ausgelöscht ist.«

Tzain steht auf, doch ich hebe die Hand, damit er nicht näher kommt. Wenn er sich nur zu mir stellt, breche ich zusammen. Dann verliere ich vollkommen die Fassung. Jeder Plan, den ich geschmiedet hatte, jede Hoffnung, die ich je hegte – alles innerhalb von Sekunden ausgelöscht. Wenn Mutter tot ist …

Ihr Himmel!

Ich bin wirklich völlig allein.

»Was wollen diese Iyika denn?«, fragt Tzain.

»Das ist schwer zu sagen«, erwidert Roën. »Es sind nicht viele, aber sie sind brandgefährlich. Sie haben in ganz Orïsha Adlige ermordet.«

»Das heißt, sie haben es auf königliches Blut abgesehen?« Zélie zieht die Augenbrauen zusammen. Unsere Blicke treffen sich. Seit das Ritual anders lief als beabsichtigt, haben wir kaum miteinander gesprochen. Ich freue mich, dass ich ihr nicht egal bin.

»Sieht so aus.« Roën zuckt mit den Schultern. »Wegen der Iyika jagt das Militär die Maji wie Hunde. Ganze Dörfer werden ausradiert. Der neue Admiral hat praktisch den Kriegszustand ausgerufen.«

Ich schließe die Augen und streiche über die Wellen in meinem Haar. Beim letzten Krieg in Orïsha haben Flammentänzer die königliche Blutlinie fast ausgelöscht. Jahre später schlug Vater mit der Blutnacht zurück. Wenn wieder Krieg ausbricht, wird niemand mehr sicher sein. Dann wird das Königreich sich selbst in Stücke reißen.

Orïsha wartet auf niemanden, Amari.

Vaters geisterhafte Stimme hallt durch meinen Kopf. Ich bohrte ihm das Schwert in die Brust, um Orïsha von seiner Tyrannei zu befreien, und jetzt versinkt das Königreich im Chaos. Es bleibt keine Zeit zum Trauern. Um meine Tränen zu trocknen. Ich habe geschworen, eine bessere Königin zu sein.

Wenn Mutter wirklich tot sein sollte, ist nun die Zeit gekommen, meinen Schwur zu erfüllen.

»Ich werde mich an die Öffentlichkeit wenden«, beschließe ich. »Ich werde das Königreich übernehmen, ihm wieder Stabilität geben und diesen Krieg beenden.« Ich stehe auf und verdränge meinen Kummer, um mich der neuen Aufgabe zu stellen. »Roën, ich weiß, dass ich bei dir in der Schuld stehe, aber wenn ich dich noch einmal um deine Hilfe bitten könnte …«

»Das soll wohl ein Witz sein.« Die Stimme des Söldners ist bar jeden Mitgefühls. »Selbst wenn ich deine Mutter nicht angetroffen habe, schuldest du mir mein eigenes Gewicht in Gold.«

»Du hast dieses Schiff von mir bekommen!«, rufe ich.

»Das Schiff, auf dem ihr herumhockt?« Roën zieht eine Augenbraue hoch. »Das Schiff, das meine Männer und ich überfallen haben? Zig Familien warten darauf, dass ich ihnen zur Flucht übers Meer verhelfe. Dieses Schiff ist keine Bezahlung. Es treibt den Preis in die Höhe, den du mir schuldest!«

»Wenn ich auf dem Thron bin, habe ich Zugang zu den königlichen Schatzkammern«, erkläre ich. »Hilf mir, eine große feierliche Verkündigung zu veranstalten, dann zahle ich dir das Doppelte von dem, was ich dir schulde. Nur noch ein paar Tage, und das Gold gehört dir!«

»Ich gebe euch noch eine Nacht.« Roën schlägt die Kapuze seines Umhangs über den Kopf. »Morgen setzt dieses Schiff die Segel. Wenn ihr dann noch nicht runter seid, schmeiß ich euch ins Wasser. Ihr könnt euch den Fahrpreis nicht leisten.«

Ich will ihm den Weg versperren, doch er stürmt an mir vorbei nach draußen. Seine Schritte werden vom Regen verschluckt. Die Trauer, die ich zu verdrängen suche, droht hervorzubrechen.

»Wir brauchen ihn nicht.« Tzain kommt zu mir. »Du kannst den Thron auch ohne seine Hilfe besteigen.«

»Ich besitze kein einziges Goldstück mehr. Wie soll ich irgendjemanden überzeugen, dass ich einen rechtmäßigen Anspruch auf den Thron habe?«

Tzain überlegt und macht einen Schritt nach hinten, als sich Nailah zwischen uns drängt. Mit ihrer feuchten Schnauze schnüffelt sie den Boden ab, sucht Reste von Fischfleisch. Ich denke an das Essen, das Roën ihr mitgebracht hat, und schaue zu Zélie hinüber. Sie schüttelt den Kopf.

»Er hat nein gesagt.«

»Ja, weil ich ihn gefragt habe!« Ich knie mich vor sie. »Du hast ihn überzeugt, mit seiner Mannschaft zu einer Insel irgendwo im Meer zu fahren, die auf keiner Landkarte verzeichnet ist. Du kannst ihn auch überreden, uns bei der Organisation einer Kundgebung zu helfen.«

»Wir sind ihm bereits eine Menge Gold schuldig«, entgegnet Zélie. »Wir können schon von Glück sagen, wenn wir Jimeta mit dem Kopf auf den Schultern verlassen dürfen.«

»Welche Chance haben wir denn ohne seine Hilfe?«, frage ich. »Wenn Lagos von den Iyika gestürmt wurde, dann ist Orïsha seit fast einem Mond ohne Herrscher. Wenn ich jetzt nicht die Herrschaft übernehme, werde ich den Thron niemals besteigen!«

Zélie reibt sich den Nacken, ihre Finger fahren über die neuen goldenen Zeichen auf ihrer Haut. Es sind alte, überlieferte Symbole, die nach dem Ritual bei ihr auftauchten. Jede geschwungene Linie und jeder Punkt glänzt wie mit einer winzig kleinen Nadel gestochen. Obwohl die Zeichen wunderschön sind, verdeckt Zélie sie. So wie ihre Narben. Sie schämt sich dafür.

Als ob ihr allein der Anblick Schmerzen bereite.

»Zélie, bitte!«, flehe ich sie an. »Wir müssen es versuchen. Das Militär jagt die Maji …«

»Ich kann nicht für alle Zeiten die Not meines Volks schultern.«

Ihre Gefühlskälte trifft mich unvorbereitet, doch ich gebe nicht auf. »Dann tu es für Baba. Tu es, weil er sein Leben für diese Sache geopfert hat.«

Zélie schließt die Augen und atmet tief durch. Als sie nickt, fällt eine Last von meinen Schultern.

»Ich kann nichts versprechen.«

»Versuch es einfach.« Ich lege meine Hand auf ihre. »Wir haben viel zu viel geopfert, um diesen Kampf so zu verlieren.«

Kapitel 3Zélie

Der nächtliche Regen in Jimeta wäscht die Schwere des Tages von mir. Ich gehe mit Nailah von Bord des Kriegsschiffs. Heulender Wind schlägt uns entgegen, zusammen mit dem süßen Geruch von Salzwasser und Tang; in der überfüllten Kapitänskammer habe ich nur noch brennendes Holz und Asche gerochen. Nailahs schwere Pfoten hinterlassen tiefe Abdrücke im Sand. Auf ihrem Rücken reite ich aus der Hafenanlage in die gewundenen Straßen von Jimeta. Beim Laufen hängt meiner Löwenesse die lange Zunge aus dem Maul. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal bei Vollmond im Freien galoppiert sind.

»So ist es fein, Nailah!« Auf dem Weg durch die verwinkelten Straßen zwischen den Sandsteinklippen von Jimeta halte ich die Zügel straff. Wenn die Dorfbewohner ihre Lampen löschen, um das kostbare Öl zu sparen, werden die an die hoch aufragenden Klippen gebauten Häuser zu schwarzen Umrissen. Wir biegen um eine Ecke, wo Matrosen die hölzernen Aufzüge verschließen, mit denen sie die Klippen hinauf- und hinunterfahren. Mit großen Augen entdecke ich neue Buchstaben an einer Steilwand. Die karmesinroten Pigmente glänzen im Mondlicht, mit vielen unterschiedlich großen Pinseltupfern bilden sie ein I.

Es sind Maji, die sich Iyika nennen. Roëns Worte gehen mir durch den Kopf. Das heißt ›Revolution‹. Sie haben Lagos gestürmt, kaum dass sie ihre Kräfte zurückhatten. Angeblich sind sie direkt zum Palast vorgestoßen.

Ich ziehe an Nailahs Zügeln und stelle mir den Maji vor, der diesen Buchstaben gemalt hat. Bei Roën hörte es sich nicht so an, als seien die Iyika nur eine kleine Gruppe Aufständischer.

Es klang wie eine ganze Armee.

»Mama, guck mal!«, ruft ein kleines Mädchen.

Ich nähere mich einer Ansammlung altersschwacher Zelte. Das Mädchen steht auf der Straße und drückt eine schwarze Porzellanpuppe an seine Brust, deren aufgemaltes Gesicht und Seidenkleid auf die adelige Abstammung der Kleinen verweisen. Das Kind ist nur einer der neuen Bewohner von Jimetas schmalen Gassen, eigentlich nur unbefestigte Wege zwischen den Zelten. Als das Mädchen durch den Regen patscht, stelle ich mir vor, was für ein Leben sie früher geführt hat. Was sie durchgestanden haben muss, um herzukommen.

»Ich habe noch nie eine Löwenesse gesehen.« Sie reckt ihre kleine Hand nach Nailahs mächtigen Hörnern. Ich amüsiere mich über die leuchtenden Augen der Kleinen, doch als sie näher kommt, entdecke ich eine weiße Strähne in ihrem Haar.

Noch ein Tîtán.

Bei dem Anblick wächst der Groll in mir. Nach Roëns Schätzung besitzt jetzt ungefähr ein Achtel der Bevölkerung magische Kräfte. Davon verfügt ungefähr ein Drittel über die Magie der Tîtánen.

Erkennbar an ihren weißen Haarsträhnen, tauchten die Tîtánen nach dem Ritual unter den Adeligen und im Militär auf. Ihre Kräfte sind mit denen der zehn Maji-Clans vergleichbar. Doch anders als bei uns benötigt ihre Gabe keine Beschwörungsformel, um freigesetzt zu werden. Und wie bei Inan sind ihre rohen Kräfte ziemlich stark.

Ich weiß, dass die Magie der Tîtánen auf einen Fehler zurückzuführen ist, den ich beim Ritual gemacht haben muss. Deshalb schnürt sich mir immer der Hals zu, wenn ich einen von ihnen sehe.

Es ist schwer, bei weißen Strähnen nicht an ihn zu denken.

»Likka!« Die Mutter des Mädchens kommt nach draußen in den Regen, schlingt ihrer Tochter einen dicken gelben Schal um den Hals und greift nach deren Handgelenk. Als die Frau mein weißes Haar sieht, versteift sie sich.

Ich schnalze mit der Zunge und reite weiter. Obwohl ihre Tochter jetzt magische Kräfte besitzt, hasst diese Frau mich wegen meiner Gabe.

Am Ende des Wegs steige ich vor Roëns Höhle ab.

»Sieh mal einer an!«, empfängt mich eine heisere Stimme, als ich mich dem Eingang der Höhle nähere, in der Roëns Leute leben. Der Söldner zieht seine schwarze Maske herunter, und ich verdrehe die Augen. Es ist Harun, Roëns Mann fürs Grobe. Als wir uns kennenlernten, habe ich ihn zu Boden geworfen. Roën hat mir erzählt, ich hätte Harun mehrere Rippen gebrochen. Seitdem hat er nicht mehr mit mir gesprochen. Jetzt blitzt es gefährlich in seinen Augen.

»Heraus mit der Sprache!« Schwer legt er mir den Arm um die Schultern. »Warum kommt meine Lieblingsmade aus ihrem Loch gekrochen?«

Ich schüttele seinen Arm ab und ziehe meinen Stab. »Ich bin nicht zu Spielchen aufgelegt.«

Ich mustere ihn abschätzig, er grinst mich an und bleckt seine gelben Zähne. »Hier kann es nachts gefährlich werden. Besonders für eine Made wie dich.«

»Nenn mich nie wieder ›Made‹!«

Meine Narben kribbeln, wenn ich das Schimpfwort höre, dass König Saran mir in den Rücken ritzte. Weitere Söldner treten aus dem Dunkeln. Ich umfasse meinen Stab fester. Ehe ich mich versehe, drängen mich fünf von ihnen an die Höhlenwand.

»Auf deinen Kopf ist eine Prämie ausgesetzt, du Made!« Harun macht einen Schritt nach vorn, sein Blick huscht über die goldenen Symbole auf meiner Haut. »Ich wusste immer schon, dass man für dich eine ordentliche Belohnung bekommt, aber selbst ich hätte nicht gedacht, wie hoch der Preis steigen würde.«

Sein Lächeln verschwindet, ich sehe eine Klinge blitzen.

»Das Mädchen, das die Magie zurückgebracht hat. Direkt vor uns.«

Bei jedem seiner Sätze brodelt die Magie, von der er spricht, stärker in meinem Blut. Meine Ashê zischt wie eine aufgeladene Gewitterwolke, wartet nur darauf, mit einer Beschwörung freigesetzt zu werden.

Doch ich werde sie nicht loslassen, egal, wie viele Söldner noch auftauchen. Ich darf es nicht. Die Magie ist der Grund dafür, dass Baba nicht mehr da ist. Es wäre ein Verrat, sie jetzt einzusetzen …

»Was ist denn hier los?«

Plötzlich steht Roën vor uns. Er legt den Kopf schräg. Am Eingang der Höhle fällt das Mondlicht auf sein Gesicht. Man kann sehen, dass sein Kinn blutverschmiert ist. Ich weiß nicht, ob es sein eigenes Blut ist oder das eines anderen.

Roëns Auftreten und sein Fuchser-Grinsen vermitteln Lockerheit, doch seine sturmgrauen Augen durchdringen mich wie Messer.

»Ihr feiert doch hoffentlich nicht ohne mich«, sagt er. »Ihr wisst beide, wie eifersüchtig ich werden kann.«

Der Kreis der Söldner teilt sich wie von Zauberhand und macht Platz für ihren Anführer. Harun schnalzt mit der Zunge, als Roën ein Klappmesser zückt und aufspringen lässt, um mit der Spitze den Schmutz unter seinen Fingernägeln zu entfernen.

Roëns Vollstrecker mustert mich noch einmal von oben bis unten, ehe er geht. Seine Drohung hinterlässt einen faden Geschmack in meinem Mund. Die anderen Söldner tun es ihm nach und entfernen sich langsam, bis Roën und ich allein sind.

»Danke«, sage ich.

Roën steckt sein Messer wieder ein und betrachtet mich mit gerunzelter Stirn. Er schüttelt den Kopf und gibt mir ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Egal, was du zu sagen hast, meine Antwort lautet: Nein.«

»Hör mich doch wenigstens an!«, bitte ich.

Er marschiert so forsch voran, dass ich Mühe habe, mit seinen langen Beinen Schritt zu halten. Ich rechne damit, dass er mich in die Höhle der Söldner führt, doch er geht zu dem Felsvorsprung, der sich draußen an der Klippe entlangwindet. Der Weg wird immer schmaler, je höher wir steigen. Trotzdem wird Roën stetig schneller. Ich drücke mich an den Felsen, während tief unter mir weiße Wellen an den Klippen bersten.

»Es gab einen Grund dafür, dass ich durch den Regen zum Schiff marschiert bin«, erklärt Roën. »Du vergisst gerne, dass meine Leute dein wütendes kleines Gesicht nicht so gerne sehen wie ich.«

»Was hat Harun da eben gesagt?«, frage ich. »Auf mich ist ein Kopfgeld ausgesetzt?«

»Zïtsōl, du hast die Magie zurückgebracht. Es mangelt nicht an Menschen, die Geld dafür zahlen würden, dich in die Finger zu bekommen.«

Wir erreichen das Ende des Felsvorsprungs. Dort steigt Roën in eine große, mit Eisen verstärkte Holzkiste. Er bedeutet mir, zu ihm zu kommen, doch ich zögere und mustere das Bündel von Seilen, das den einfachen Flaschenzugmechanismus mit irgendwas weiter oben verbindet.

»Weißt du, dass Zïtsōl in meiner Heimat ein Kosename ist? Er bedeutet: Mädchen, das Angst vor Dingen hat, die ungefährlich sind.«

Ich verdrehe die Augen und steige zu ihm auf die ächzenden Bretter. Grinsend zieht Roën am Strick. Ein Gegengewicht fällt herunter, und der Holzkorb setzt sich stockend in Bewegung. Wie Vögel steigen wir in den Himmel auf.

Als wir so weit oben sind, dass ich die neuen Zelte in Jimeta sehen kann, klammere ich mich am verwitterten Rand des Aufzugs fest. Vom Kriegsschiff aus konnte ich nur die Zelte am Nordkai sehen, jetzt erkenne ich, dass noch Hunderte entlang der Felsenküste aufgeschlagen sind.

Etwas weiter sehe ich eine lange Schlange weißhaariger Maji und schwarzhaariger Kosidán, die sich auf ein kleines Schiff drängen. Es fällt mir schwer, mich nicht für ihr Leid verantwortlich zu fühlen. Ich kann kaum glauben, dass die Rückkehr der Magie jetzt schon so viele Orïshaner aus ihrer Heimat vertrieben hat.

»Es ist Zeitverschwendung, nach unten zu sehen«, sagt Roën. »Schau nach oben!«

Ich hebe den Blick und öffne staunend den Mund, als ich sehe, was sich vor mir dreißig Meter in die Luft erhebt. Jimetas hohe Klippen sind dunkle, in den Nachthimmel ragende Silhouetten. Helle Sterne am Firmament funkeln wie Diamanten auf dem dunklen Gewand der Nacht. Bei dem Anblick wünsche ich mir, Baba würde noch leben; er hat immer so gerne in die Sterne geguckt.

Als wir höher steigen, wage ich dennoch einen Blick auf die Menschen unten. Fast wäre es mir lieber, mit ihnen an Bord eines Schiffes zu gehen. Wie wäre es wohl, dem versprochenen Frieden entgegenzusegeln? In einem Land zu leben, wo Maji nicht als Feinde betrachtet werden? Wenn ich dies alles hinter mir ließe, täte das Atmen dann immer noch so weh?

»Glaubst du, ihnen geht es besser dort, wo sie hinwollen?«, frage ich.

»Eher nicht«, erwidert Roën. »Wenn man schwach ist, ist es egal, wo man ist.«

Meine Schuldgefühle werden immer größer und entfesseln meine Phantasie. Doch als Roën mir einen Arm um die Taille legt, beginnt mein Magen zu flattern.

»Außerdem: Welcher Menschenseele soll es so weit weg von mir schon besser gehen?«

»Ich gebe dir drei Sekunden, dann reiße ich dir den Arm ab.«

»Drei ganze Sekunden?« Roën grinst, während der Korb schwingend zum Stehen kommt. Wir schweben hoch oben vor einem Felsvorsprung, der sich zu einer bescheidenen Höhle öffnet. Mit verschränkten Armen trete ich ein. Der Fels ist zu einem Tisch und einem Stuhl gehauen. Mehrere Pantheressenfelle bilden ein Bett. Ich hätte nicht gedacht, dass Roën so schlicht lebt.

»Das ist alles?«

»Wie, hast du vielleicht einen Palast erwartet?« Er geht zu dem einzigen Möbelstück, einem Schrank aus Marmor, in dem er verschiedene Waffen und Klingen aufbewahrt. Er holt zwei Schlagringe aus Messing aus der Tasche und legt sie auf ein Gitter. Das glänzende Metall ist noch immer voller Blut.

Ich bemühe mich, mir nicht das Gesicht vorzustellen, das Roën damit traktiert hat, sondern suche nach den richtigen Worten, um ihn von dem zu überzeugen, was er für uns tun soll. Ich möchte nicht zu lange mit ihm allein sein. Auch wenn er gerade den Annäherungsversuch gemacht hat, traue ich weniger mir als ihm.

»Wir sind dir sehr dankbar für alles, was du getan hast«, sage ich. »Für die Geduld, die du mit uns hattest …«

»Amari hat hoffentlich noch ein paar bessere Sätze mit dir eingeübt.« Roën will sich auf einen Stuhl setzen, zuckt aber zusammen. Er greift sich in den Nacken und zieht sein Hemd über den Kopf. Beim Anblick seiner wohlproportionierten Muskeln, über die sich alte und neue Narben ziehen, wird mir ganz anders. Dann entdecke ich eine klaffende Wunde unter Roëns Schulterblatt.

Das ist eine Chance, ihm näherzukommen. Ich nehme einen schmutzigen Lumpen vom Boden. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgt er, wie ich den Lappen in einem Eimer Regenwasser auswasche, bevor ich seine Wunde damit betupfe.

»Du bist süß, Zïtsōl. Aber ich habe es nicht so mit Gefallen.«

»Das ist kein Gefallen«, entgegne ich. »Hilf uns, eine Kundgebung zu organisieren, dann bekommst du das Doppelte von dem, was du eh erhältst.«

»Klär mich mal auf!« Roën legt den Kopf schief. »Was ist das Doppelte von nichts?«

»Wenn das Ritual wie geplant verlaufen wäre, säße Amari jetzt auf dem Thron. Dann hättest du dein Gold längst.«

Und Baba wäre noch am Leben.

Ich verdränge den Gedanken, bevor er mich aufs Neue quälen kann. Über das zu grübeln, was hätte sein können, wird mir nicht helfen, Roën zu überreden.

»Zïtsōl, und wenn ich noch so charmant bin, willst du mit Sicherheit keine Männer wie mich oder Harun an deiner Seite haben. Und ganz bestimmt willst du nicht in unserer Schuld stehen.«

»Wenn Amari den Thron nicht für sich beansprucht, wird es jemand anders tun.«

»Das ist ihr Problem.« Roën zuckt mit den Schultern. »Was kümmert dich das?«

»Weil …« Die Worte, die ich sagen müsste, wollen nicht heraus. Weil sie das Beste für dieses Königreich ist. Weil sie die Einzige ist, die die Maji-Jagd des Militärs beenden kann.

Ich will Roën nicht anlügen.

Das käme mir vor, als würde ich mich selbst belügen.

»Ich dachte, alles würde besser werden.« Ich schüttele den Kopf. »Die Magie sollte alles besser machen.«

Als ich die Wahrheit laut ausspreche, wird mir das Ausmaß meiner Enttäuschung klar. Fast zerbreche ich daran. Das Herz wird mir schwer.

»Babas Tod, die Tîtánen, die Jagd auf die Maji …« Ich seufze. »All die Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen. Das Ritual ist noch keinen Mond her, und doch kommt es mir vor, als hätte die Magie das gesamte Königreich zerstört. Alles ist schlimmer als vorher.« Ich wringe den Lappen aus und würde am liebsten die Zeit zurückdrehen. »Jetzt, da wir sie haben, will ich sie nicht mehr. Hätte ich sie doch nie zurückgeholt!«

Bebend atme ich aus und will Roëns Wunde weiter versorgen, da packt er mich am Handgelenk und zwingt mich, ihn anzusehen. Bei seiner Berührung summt meine Haut. Es ist das erste Mal seit der Nacht auf dem Kriegsschiff, dass wir ganz allein sind. Damals teilten wir unsere Albträume und Verletzungen unter dem gelben Mond.

Die Art, wie Roën mich ansieht, bringt meinen Körper zum Kribbeln. Ich möchte ihn an mich drücken. Es ist, als würden seine sturmgrauen Augen meinen Panzer durchdringen und sehen, in was für einem furchtbaren Zustand ich tatsächlich bin.

»Wenn du deine Magie nicht mehr willst, was willst du dann?«

Seine Frage lässt mich innehalten. Ich will die Menschen zurück, die ich verloren habe, mehr nicht. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr fehlt mir Mamas Umarmung. Die Erlösung, die der Tod bietet.

»Ich will frei sein«, flüstere ich. »Ich will mit allem durch sein.«

»Dann sei doch damit durch.« Roën zieht mich an sich und betrachtet mich, als sei ich ein Knoten, der gelöst werden muss. »Warum bittest du mich um Hilfe, wenn du selbst einen Schlussstrich ziehen und den Schaden begrenzen kannst?«

»Weil alles umsonst war, wenn Amari nicht auf den Thron kommt. Dann wäre mein Vater umsonst gestorben. Und wenn das passiert …« Bei dem Gedanken zieht sich mein Magen zusammen. »Und wenn das passiert, werde ich niemals frei sein. Nicht mit diesen Schuldgefühlen.«

Roën sieht mich an, und ich spüre, dass ihm eine Erwiderung auf der Zunge liegt. Doch er sagt nichts, sondern lässt zu, dass ich die Hand unter sein Kinn lege und sein Gesicht vom Blut säubere.

Er senkt den Blick. Ich sehe die Kerben an seinem Arm, seine schlimmsten Narben. Er hat mir erzählt, dass die Folterknechte für jedes Crewmitglied, das sie vor seinen Augen töteten, einen Strich in seinen Arm ritzten; dreiundzwanzig Kerben für dreiundzwanzig Leben. Tief in mir bin ich überzeugt, dass diese Narben der Grund sind, warum Roën seine Heimat verließ. Der Grund, warum er mich besser versteht als jeder andere.

»Bei mir gibt es keine zweite Chance, Zïtsōl. Das wäre schon deine dritte.«

»Du kannst mir vertrauen.« Ich halte ihm die Hand hin. »Das schwöre ich dir bei Babas Leben. Hilf uns, das Ganze durchzuziehen, und du wirst in Gold entlohnt.«

Roën schüttelt den Kopf, dann legt er jedoch seine Hand in meine. Erleichterung breitet sich in mir aus.

»Gut«, sagt er. »Wir brechen noch heute Abend auf.«

Kapitel 4Amari

Am nächsten Morgen hallt meine Stimme durch die überfüllte Kapitänskammer. Das Kriegsschiff nähert sich der Küste von Zaria, und ich quäle mich mit dem Entwurf der Rede, die das Volk von Orïsha überzeugen soll, meinen Thronanspruch zu unterstützen.

»Ich bin Amari Olúborí«, verkünde ich, »die Tochter von König Saran. Und die Schwester des verstorbenen Kronprinzen.«

Ich stehe vor dem gesprungenen Spiegel und versuche, die diesen Worten innewohnende Macht zu spüren. Doch sooft ich sie auch ausspreche, sie fühlen sich nicht richtig an.

Nichts fühlt sich richtig an.

Ich ziehe mir den schwarzen Dashiki über den Kopf und werfe ihn auf den wachsenden Berg von Klamotten auf meinem Bett. Nachdem ich wochenlang nur das getragen habe, was ich im Rucksack bei mir trug, kommt mir der von Roëns Männern ergaunerte Überfluss fremd vor.

Er erinnert mich an die Vormittage im Palast, wenn ich die Zähne aufeinanderbiss, um mich nicht zu wehren, wenn die Dienerinnen mir in Mutters Auftrag ein Gewand nach dem anderen überstreiften. Nie war Mutter mit irgendetwas zufrieden. In ihren bernsteinfarbenen Augen war mein Teint immer zu dunkel. Mein Gesicht zu breit.

Ich greife nach einer goldgefärbten Gele, die auf dem Boden liegt. Mutter mochte die Farbe immer gerne. Als ich den Stoff um meinen Kopf drapiere, habe ich Mutters Stimme im Ohr:

Wie sieht das denn aus? Damit kann man nicht mal einer Leopardesse den Hintern abwischen!

Mein Hals wird trocken, ich nehme die Kopfbedeckung wieder ab. Wie oft habe ich mir gewünscht, Mutter ausblenden zu können. Jetzt bin ich gezwungen, es zu tun.

Konzentrier dich, Amari!

Ich greife zu einer dunkelblauen Tunika und kralle die Finger in die Seide, um nicht zu weinen. Welches Recht habe ich zu trauern, wenn die Sünden meiner Familie diesem Königreich so viel Schmerz zugefügt haben?

Ich schlüpfe in die Tunika und drehe mich zum Spiegel um. Es ist keine Zeit für Tränen.

Ich muss heute für diese Sünden geradestehen.

»Ich bin hier, um euch zu verkünden, dass die Spaltung unseres Landes der Vergangenheit angehört«, übe ich meinen Text. »Der richtige Moment für eine Vereinigung ist gekommen. Zusammen werden wir …«

Ich verlagere das Gewicht und prüfe mein zersplittertes Spiegelbild. Eine neue Narbe verunziert meine karamellbraune Schulter, gezackt wie ein Blitz. Im Laufe der Jahre habe ich mir angewöhnt, die Narbe zu verstecken, die mein Bruder auf meinem Rücken hinterlassen hat. Jetzt verberge ich zum ersten Mal die meines Vaters.

Es ist, als sei dieses Zeichen lebendig. Als würde Vaters Hass noch in meinem Körper wüten. Ich würde die Narbe gerne ungeschehen machen. Fast wünsche ich mir, ich könnte ihn ungeschehen machen …

»Ihr Himmel!« Das blaue Licht meiner Ashê knistert rund um meine Finger, es kribbelt unangenehm. Ich versuche, das Glühen zu unterdrücken. Der Raum fängt an, sich um mich und meine neue Magie zu drehen.

Mitternachtsblaue Ranken schießen aus meinen Händen wie Funken aus einem Feuerstein. Die Haut reißt, die Narben platzen auf. Meine Handflächen brennen. Ich ächze vor Schmerzen.

»Hilfe, ist da jemand?« Ich sacke gegen den Spiegel. Das Glas verschmiert dunkelrot. Es tut so weh, dass ich kaum atmen kann. Blut rinnt mir die Brust hinunter, ich falle auf die Knie. Ich will schreien, kann aber nur röcheln …

»Amari!«

Tzains Stimme ist heiser. Seine Gegenwart befreit mich aus meinem psychischen Käfig. In Wellenbewegungen ebbt der Schmerz ab.

Blinzelnd merke ich, dass ich auf dem Metallboden liege, nur halbbekleidet, die seidene Tunika in der Hand zerknüllt. Das Blut auf dem Spiegel ist verschwunden.

Meine Narben haben sich geschlossen.

Tzain bedeckt mich mit einem Tuch, bevor er mich in die Arme nimmt. Ich lehne mich an seine Brust, meine Muskeln werden schwer, erschöpft vom Ausbruch der Magie.

»Das ist schon das zweite Mal diese Woche«, sagt er.

Tatsächlich war es das vierte Mal. Doch die Sorge in Tzains Blick veranlasst mich, ihm nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Er muss nicht wissen, dass es schlimmer wird. Niemand muss es wissen.

Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich von meinen neuen Gaben halten soll. Was es bedeutet, ein Geistwandler und ein Tîtán zu sein. Die Maji haben ihre Kräfte durch das Ritual zurückbekommen, für Tîtánen wie mich ist die Magie jedoch etwas völlig Neues.

Soweit ich das beurteilen kann, gehören wir alle zum Adel: Tîtánen sind Hochwohlgeborene, die nichts von ihrer Maji-Abstammung wussten. Was würde Vater sagen, wenn er sähe, dass seine eigenen Kinder das Blut derer in sich tragen, die er am meisten verabscheute? Der Menschen, die er als Maden beschimpfte?

»Bei den Göttern!«, flucht Tzain, als er meine Handflächen untersucht. Die rote Haut ist berührungsempfindlich und mit Brandblasen überzogen. »Magie ist doch nichts, was weh tun soll. Red doch einfach mal mit Zél-«

»Zélie benutzt ihre eigene Magie nicht mehr. Sie will ganz bestimmt auch nichts mit meiner zu tun haben.«

Ich schiebe meine weiße Haarsträhne nach hinten. Am liebsten würde ich die Locke abschneiden. Tzain bekommt vielleicht nicht mit, wie seine Schwester diese Strähne ansieht, doch mir entgeht ihre Grimasse beim Anblick der weißen Strähne nicht. So lange musste Zélie wegen ihrer Gabe leiden. Und jetzt üben diejenigen diese Macht aus, von denen sie am meisten verletzt wurde.

Ich kann verstehen, warum Zélie die Magie verachtet, und manchmal habe ich das Gefühl, sie verachtet auch mich. Dabei ist sie eigentlich meine beste Freundin. Was werden die anderen Maji denken, wenn sie erfahren, dass ich eine Tîtánin geworden bin?

»Okay, ich versuche es«, sage ich mit einem Seufzer. »Wenn ich auf dem Thron bin.«

Ich schmiege mich wieder an Tzains Hals und streiche über sein stoppeliges Kinn.

»Willst du mir irgendwas mitteilen?«

Ein hintergründiges Lächeln legt sich auf mein Gesicht. »Ich finde, der Bart steht dir gut. Er gefällt mir.«

Er fährt mit dem Daumen an meiner Wange entlang und entfacht ein Gefühl, fast so mächtig wie die Magie. Als er mein Kinn anhebt, halte ich den Atem an. Gerade wollen sich unsere Lippen treffen, da vollführt das Schiff stöhnend ein Wendemanöver und reißt uns auseinander.

»Was um der Himmel willen?« Ich rappele mich auf und drücke das Gesicht an das verschmierte Bullauge. Seit drei Wochen habe ich nur auf graues Meer geschaut. Jetzt leuchten bunte Korallenriffe in türkisblauem Wasser.

Ich schaue auf die Küste von Zaria. Das Schiff steuert um die ins Meer ragenden efeubedeckten Klippen herum. Als ich die Menschenmassen sehe, die sich am weißen Strand versammelt haben, bekomme ich einen Kloß im Hals. Es sind Hunderte, die dort warten.

Vielleicht sogar Tausende. Roën hat gute Arbeit geleistet.

»Du bist bereit.« Tzain stellt sich hinter mich und schlingt die Arme um meine Taille.

»Ich weiß nicht mal, was ich anziehen soll.«

»Dabei kann ich dir helfen.«

»Du willst mir helfen, meine Kleidung auszusuchen?« Ich ziehe die Augenbrauen hoch, Tzain lacht.

»Ich habe viel Zeit damit verbracht, dich anzuschauen, Amari. Du bist immer schön, egal, was du trägst.«

Hitze steigt mir in die Wangen. Tzain schaut auf den Berg von Kleidung auf meiner Koje. »Keine Tunika heute. Du willst doch Königin von Orïsha werden.«

Er dreht mich zu der Rüstung um, die ich beim Ritual im Tempel trug. Sie ist noch immer mit dem Blut der Gegner beschmutzt, die ich mit dem Schwert niedergestreckt habe. Neben dem königlichen Wappen beschmutzt Vaters Blut die Vorderseite.

»Die kann ich nicht anziehen«, widerspreche ich. »Da bekommen die Leute doch Angst!«

»Ja eben. Wenn ich früher dieses Wappen sah, hat sich alles in mir zusammengezogen. Aber wenn du es trägst …« Tzain bricht ab. Ein zuckersüßes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. »Wenn du das Wappen trägst, habe ich keine Angst. Dann fühle ich mich geschützt.«

Er legt das Kinn auf meinen Scheitel und greift nach meiner Hand.

»Du bist die Königin, Amari. Zeig den Leuten, welches Gesicht ab jetzt zu diesem Wappen gehört!«

Kapitel 5Zélie

Als der Steg des Schiffs in den nassen Sand fällt, jubelt niemand. Keiner bewegt sich. Die Leute blinzeln nicht einmal.

Sie starren uns nur an.

Der Weg zum Ort der Versammlung ist von Adeligen gesäumt. Gelegentlich sieht man die weiße Strähne eines Tîtáns. Hinter ihnen sammeln sich magielose Kosidán; Soldaten und Offiziere patrouillieren durch die Menschenmenge. Die Maji halten sich am Rand, haben ihr weißes Haar unter großen Kapuzen versteckt.

Das Schweigen der Menge macht die Bedeutung dieses Moments bewusst, dieses Kapitels in der Geschichte, das wir gerade schreiben. Ich kann kaum glauben, dass wir nach allem, was geschehen ist, endlich hier gelandet sind. Stumm danke ich den Göttern.

Es ist tatsächlich so weit.

»Ich spüre meine Beine nicht.« Amari tritt an meine Seite, eindrucksvoll in ihrer Rüstung. Immer noch verunzieren Blutflecke das königliche Wappen. Ein Helm bedeckt ihr schwarzes Haar. Sie trägt ihn so, dass man ihre weiße Strähne nicht sieht.

Ich lege meinen eigenen gestohlenen Brustpanzer an und stecke den Stab dorthin, wo das Schwert des Vorbesitzers gewesen sein muss. Ich habe das Gefühl, mich übergeben zu müssen, aber das braucht Amari nicht zu wissen.

»Du hast schon viel Schlimmeres bewältigt.« Ich klopfe ihr auf die Schulter. »Das hier schaffst du auch.«

Amari nickt, ihre Hände zittern trotzdem. So eine Angst habe ich nicht mehr bei ihr gesehen, seit wir uns auf dem Markt von Lagos kennenlernten. Damals war sie nur eine Prinzessin auf der Flucht und ich die Tochter eines armen Fischers. Sie stolperte in mein Leben, und jetzt ist in diesem Königreich nichts mehr, wie es war.

»Du kannst das!« Ich ignoriere den Schmerz, den ich spüre, wenn ich ihr in die Augen sehe. Wenn ihre Strähne versteckt ist, fällt es mir immerhin leichter, sie anzuschauen und nicht den Bruder zu erkennen, der mir das Herz gebrochen hat.

»Vater und Inan haben sich ihr Leben lang auf diese Rolle vorbereitet«, sagt Amari. »Ich hatte kaum einen Mond lang Zeit.«

»Und doch hast du diesem Königreich schon mehr geschenkt als jeder Mann beziehungsweise jede Frau vor dir. Ohne dich hätte ich die Magie nicht zurückbringen können.« Ich nehme Amaris Hände, verschränke meine Finger mit ihren und drücke sie fest. »Die Götter haben dich auserwählt. Genauso, wie sie dich erwählt haben, die Schriftrolle zu stehlen.«

Obwohl ich lächele, tut es weh, die Worte auszusprechen. Denn wenn die Götter Amari für diese Rolle ausgesucht haben, wird es meine Aufgabe sein zu leiden.

Sie haben mich dazu auserkoren, Baba zu verlieren.

»Glaubst du das wirklich?« Amari wendet den Blick ab. »Obwohl ich eine Tîtánin bin?«

Ich presse die Lippen aufeinander, doch es ist nicht wichtig, was ich von Tîtánen halte. Meine Narben, Babas Blut – wenn Amari Königin ist, wird das alles einen Sinn bekommen. Wenn sie Königin ist, werde ich diese Last nicht mehr tragen müssen. Dann werde ich endlich von all dem Schmerz erlöst.

»Ich glaube das nicht nur, ich weiß es.« Ich beuge mich vor. »Das ist Schicksal. Die Götter irren sich nicht.«

Amari wirft sich mit so einer Wucht auf mich, dass ich nach hinten taumele. Lachend lege ich die Arme um ihre Taille. Ich hatte vergessen, wie schön es ist, mich mit ihr zu freuen.

»Danke«, flüstert sie in mein Haar, ein Anflug von Tränen in der Stimme.

»Du bist bereit«, wispere ich zurück. »Du wirst die beste Königin, die Orïsha je gehabt hat …«

Roën kommt mit einer Zigarette zwischen den Lippen herangeschlendert. Wir lösen uns voneinander. »Vergiss nicht das Wichtigste!«, ruft er. »Sobald du Königin bist, unterstehen dir die königlichen Schatzkammern.«

»Als ob du je zulassen würdest, dass ich das vergesse.« Amari verdreht die Augen. »Sind deine Männer auf ihren Posten?«

»Der Weg ist frei.« Roën weist auf den Steg und zwinkert mir zu. »Ich bin bereit, wenn Ihr so weit seid, meine Königin.«

Amari atmet tief durch, schüttelt die Hände aus und probt noch mal leise den Anfang ihrer Rede. »Ich bin Amari Olúborí. Ich bin Amari Olúborí.«

Als sie die ersten Schritte tut, stecke ich zwei Finger in den Mund und stoße einen gellenden Pfiff aus. Nach wenigen Sekunden hört man Pfoten über den Metallboden des Schiffs trappeln. Sie galoppieren näher. Nailah hat meine Koje verlassen und kommt schlitternd vor mir zum Stehen.

»Was soll das?« Fragend hebt Amari die Augenbrauen. Ich öffne den Gurt, der Nailahs Sattel und Zügel hält.

»Das wird ein Auftritt, wie er einer Königin würdig ist.« Ich verschränke die Hände zu einer Leiter, um meiner Freundin auf den Rittling zu helfen. »Du bist eine Löwenesse. Also musst du auch auf einer reiten.«

Ein Staunen geht durch die Menschenmenge, als Amari auf Nailahs Rücken die eiserne Rampe hinunterreitet. Selbst ich bin von ihrem Anblick beeindruckt. Tzain hinter mir blinzelt die Tränen aus seinen Augen.

Amaris Rüstung schimmert bei jeder Bewegung Nailahs. Mit den Händen an den Hörnern meiner Löwenesse sieht Amari noch prächtiger aus als eine Königin.

Sie sieht magisch aus.

»Achtung!«, flüstert mir Roën ins Ohr. »Das ist noch keine Krönungsfeier.«

Ich folge seinem Blick und entdecke einen schmächtigen Soldaten, der das Heft seines Schwerts fest umklammert. Er drängelt sich zwischen den Adeligen und den Kosidán hindurch, die Amaris Weg säumen. Sein Brustpanzer mit dem königlichen Wappen wirft das Sonnenlicht zurück. Auf ein Nicken von Roën fängt Harun den Gardisten ab und zieht ihn fort, bevor er Amari zu nah kommen kann.

»Das verstehe ich nicht«, sage ich. »Ich dachte, wir müssten uns nur um die Iyika Sorgen machen.«

»Nicht alle haben sich gefreut, als sie erfuhren, dass Amari noch lebt«, erklärt Roën. »Die Armee weiß, dass sie mit den Maji sympathisiert. Die meisten hätten es vorgezogen, sie weiter für tot zu halten.«

Mein Körper spannt sich an, ich schaue hoch und hoffe, dass Amari nichts mitbekommen hat. Die anderen Soldaten greifen zwar nicht zu ihren Schwertern, verneigen sich aber auch nicht gerade vor ihrer zukünftigen neuen Königin. Zu zweit patrouillieren sie auf beiden Seiten des weißes Pfads und nicken jedem adeligen Tîtánen respektvoll zu. Den Maji hingegen nähern sie sich mit argwöhnischem Blick, die Hände einsatzbereit an den Majazit-Klingen ihrer Schwerter.

Das Militär jagt die Maji wie Hunde. Der neue Admiral hat praktisch den Kriegszustand ausgerufen.

Als ich zu meinen Leuten am Rand der Menschenmenge hinübersehe, kommen mir Roëns Worte ins Gedächtnis. Sie haben zu viel Angst, näher zu kommen. Obwohl die Sonne heiß vom Himmel brennt, haben sich die meisten unter buntgemusterten Umhängen versteckt. Trotz unserer neu erweckten Gabe halten wir uns im Hintergrund.

»Fast geschafft.« Roën weist auf eine große aus Sand gebaute Kuppelhalle weiter unten am Ufer des schäumenden Meers. Weiße Gischt bricht sich an ihrer Seite. Sie ist mit einem Muster aus rechteckigen Formen verziert und ragt so hoch auf, dass sie fast die Sonne verdeckt.

»Perfekt«, flüstert Amari auf Nailahs Rücken und strahlt geradezu vor Glück. Doch als sie einen Rest roter Farbe an der Seite des Kuppelbaus entdeckt, erlischt ihre Freude im Nu. Man kann noch den Schatten eines Is erkennen.

Amari sucht meinen Blick, ich drücke ihr ermutigend das Bein. »Keine Sorge! An mir kommt kein Mitglied der Iyika vorbei!«

»Jagunjagun!«, flüstert eine Stimme.

Ich sehe mich suchend um und entdecke einen jungen Maji mit großen Ohren und einem Leberfleck am Kinn. Er versteckt sich nicht wie die anderen, sondern steht in vorderster Reihe. Seine Kapuze verdeckt seine weißen Löckchen. Jagunjagun ist das Yoruba-Wort für »Soldat«, aber damit scheint er nicht das Adelswappen auf meinem Brustpanzer zu meinen. Ich lächele ihn an, und er macht so große Augen, dass ich Angst bekomme, sie könnten herausfallen.

Das hat Baba sich gewünscht, wird mir im Vorbeigehen klar. Für diesen Jungen und alle anderen. Dass sich nach diesem Tag niemand mehr verstecken muss. Es ist Zeit, dass mein Volk in der Sonne steht.

Amari stoppt Nailah vor dem gewaltigen Bogen, der in die Kuppelhalle führt, und lässt sich auf den Sandboden hinabgleiten. Sie holt tief Luft, dann betritt sie den Versammlungssaal.

Ich bewache jeden ihrer Schritte.

Kapitel 6Amari

Als wir den Kuppelsaal betreten, bin ich schlichtweg überwältigt. Mir fehlen die Worte. Vor so vielen Menschen habe ich noch nie gesprochen.

Ein Kunstwerk schmückt die Wand des Saals. Es zeigt in Tanz und Gesang verschlungene Körper. Durch eine große Öffnung an der Seite schaut man aufs Meer. Das Wasser küsst den Sand zu unseren Füßen.

»Wow!«, murmelt Tzain, der neben mir geht. Durch das große runde Kuppelauge in der Decke fällt Sonnenlicht hinein. Es taucht die Menschenmenge in seine warmen Strahlen und beleuchtet ein von Roëns Männern in der Mitte des Kuppelsaals errichtetes hölzernes Podest.

Als ich darauf zuschreite, teilt sich die Menge. So wie früher vor Vater.

Stoß zu, Amari!, höre ich seine Stimme.

Dann steige ich die Stufen zum Podest hinauf. In den Augen meines Vaters war dies nicht meine Bestimmung, und doch kommt es mir fast vor, als hätte er mich auf diesen Tag vorbereitet. Er war derjenige, der mir eingebläut hat, dass ich jeden Gegner aus dem Weg räumen muss, der sich mir entgegenstellt, selbst wenn es jemand ist, den ich liebe.

Kämpfe, Amari!

Ich hole tief Luft und drücke die Schultern durch. Als ich das Schwert in die Brust meines Vaters stieß, gab ich mir ein Versprechen. Jetzt ist der Moment gekommen, da ich es halten muss: Entweder erobere oder verliere ich den Thron.

»Ich bin Amari Olúborí.« Die runden Wände des Versammlungssaals werfen den Satz zurück. »Die Tochter eures gefallenen Königs und die Schwester des verstorbenen Kronprinzen.«

In der Menge macht jemand einen Schritt auf mich zu. Mein Puls schießt hoch; ich wappne mich für einen Angriff. Doch der junge Kosidán will sich nur hinknien. Erstaunt öffne ich den Mund.

Ich habe nicht damit gerechnet, dass er sich vor mir verneigt.

»Euer Majestät!« Er verbeugt sich so tief, dass seine Stirn den Sand berührt. Das löst eine regelrechte Welle von Kniefällen aus; immer mehr Menschen bezeugen mir ihren Respekt. Ein warmer Schauer läuft über mich hinweg, als ich sehe, dass auch die Landsleute draußen am Strand sich verneigen.

Ihre Respektsbekundung hat etwas Ehrfürchtiges. Ich wünsche mir so sehr, ihrer würdig zu sein.

Als ich aus dem Palast floh, war ich eine eingeschüchterte kleine Prinzessin. Jetzt trennt mich nur noch eine Rede von der Ersteigung des Throns.

»Als ich vor zwei Monden bei einem Essen im Palast saß, brachte mein Vater meine beste Freundin um. Sie hieß Binta, und sie war eine Divîné, deren einziges Verbrechen darin bestand, Magie im Blut zu haben.« Ich räuspere mich, zwinge mich, weiterzusprechen, auch wenn der Schmerz jenes Tages mit jedem Wort wieder stärker wird. »Mein Vater zwang Binta gegen ihren Willen, ihre Gabe wachzurufen. Als sich ihre Kräfte offenbarten, erstach er sie an Ort und Stelle.«

Ungläubiges Murren macht sich breit. Einige haben Tränen in den Augen, andere schütteln den Kopf. Weiter hinten drängelt sich eine Gruppe Maji in den Saal. Auf der anderen Seite tauschen zwei kräftige Soldaten einen Blick.

Der Frieden ist so zerbrechlich wie Glas, doch ich kann nicht länger die Augen vor der Wahrheit verschließen. Die Maji sind viel zu lange zum Schweigen gebracht worden. Wenn nicht ich für sie spreche, wer dann?

»Bis eben mögt ihr Bintas Namen nicht gekannt haben, aber ich weiß, dass es viele Geschichten wie ihre gibt. Zahllose Orïshaner haben Ähnliches erlebt; seit Jahrzehnten werden die Divînés und Maji verfolgt. Seit Generationen ist die Geschichte von Orïsha eine Geschichte der Spaltung. Eine Geschichte von Gewalt und Verfolgung, die ein Ende nehmen muss. Heute.«

Mich überrascht der Klang meiner Stimme; fast kann ich sehen, wie sie durch den Kuppelsaal hallt. Jemand ruft etwas Zustimmendes, andere fallen ein. Jubel erklingt. Ich muss blinzeln.

Ermutigt durch das kleine Zeichen von Gefolgschaft nutze ich die gesamte Länge des Podests aus. Das Orïsha, von dem ich träume, ist zum Greifen nahe.

Dann sehe ich ein Mitglied der Iyika.

Mitten im Raum steht eine Aufständische. Eine dicke Narbe zieht sich über ihr linkes Auge. Anders als die übrigen Maji im Kuppelsaal versteckt sie ihren Wust weißer Locken nicht. Sie fallen ihr auf die hellbraunen Schultern. An ihren Händen klebt rote Farbe, dieselbe Farbe wie auf der Außenmauer des Kuppelsaals. Die junge Frau steht reglos da, doch ihr verächtlich verzogenes Gesicht sagt mir alles, was ich wissen muss.

Sie will nicht, dass ich den Thron besteige.

Unter meinem Helm beginne ich zu schwitzen. Mein Blick schweift über die Menge, sucht weitere Aufständische. Ich taste nach meiner Haarsträhne, um mich zu vergewissern, dass sie nicht zu sehen ist, doch dann halte ich inne.

Diese Frau versteckt sich nicht vor mir. Sie verbirgt nicht, wer sie ist. Warum sollte ich es dann tun?

Stoß zu, Amari!

Mit steifen Fingern greife ich nach dem Helm. Ich bin auf alles gefasst, was ich auslösen mag. Öffentlich zu machen, dass ich eine Tîtánin geworden bin, könnte alles andere als klug sein. Doch wenn ich mich weiterhin bedeckt halte und verstecke, bin ich nicht besser als Inan.

Sei mutig, Amari!

Ich hole noch einmal tief Luft. Dann fällt der Helm zu Boden, die weiße Strähne springt hervor.

»Sie gehört zu ihnen!«

»Die Königin ist eine Tîtánin!«

Entsetzen macht sich breit. Eine Handvoll Maji drängt nach vorn. Als Soldaten ihnen den Weg versperren, kommt Unruhe auf.

Roëns Söldner bilden einen Kreis um die Bühne. Mir versagt die Stimme, dann fällt mein Blick auf das getrocknete Blut auf meinem Brustpanzer, und ich denke daran, wie viel Kraft ich nun besitze. Ich bin die Einzige, die Orïsha einen kann. Ich bin die Königin, die all diese Menschen schützen kann.

»Ich wollte die Wahrheit geheim halten«, rufe ich. »Ich hatte Angst vor dem, was ich geworden bin. Aber die Rückkehr der Magie und die Geburt der Tîtánen sind eindeutige Beweise dafür, dass wir nun endlich das Orïsha bekommen, was die Götter für uns vorgesehen haben! Wir sind so voller Hass und Angst, dass wir vergessen haben, was für ein Segen diese Fähigkeiten eigentlich sind. Jahrhundertelang waren unsere Kräfte der Grund für die Zwietracht unter uns, dabei haben die Götter uns die Magie geschenkt, damit das Volk von Orïsha blüht und gedeiht!«

Die Unruhe im Saal legt sich, meine Worte erreichen die Menschen. Der Friede mag zerbrechlich sein, doch solange alle zuhören, habe ich eine Chance.

»Stellt euch vor, wie die Erdsänger das Land bestellen könnten! Wie Wellenhüter den Fischern bei der Arbeit helfen könnten!«, rufe ich. »Erzbrecher könnten in wenigen Tagen neue Städte errichten. Heiler könnten dafür sorgen, dass unsere Lieben nicht mehr an Verletzungen und Krankheiten sterben!«

Ich wende mich an die aufständische Maji mit der Narbe über dem Auge. An den jungen Soldaten mit dem verächtlich verzogenen Mund. Jedem Zweifler male ich aus, was möglich wäre. Ich sehe die Bilder fast so klar wie das Deckengemälde über mir.

»Unter meiner Herrschaft werden wir in einem Land leben, wo auch die Ärmsten Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf haben. In einem Königreich, in dem alle geschützt und akzeptiert werden! Die Spaltung wird der Vergangenheit angehören!« Ich strecke die Hände aus und hebe die Stimme. »Ein neues Orïsha wartet am Horizont!«