Choose Passion: Carhill Sisters - Liv Keen - E-Book

Choose Passion: Carhill Sisters E-Book

Liv Keen

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Beschreibung

Wenn nur eine einzige Nacht das größte Abenteuer deines Lebens wird.  Nach dem aufregenden Sexabenteuer mit einem Unbekannten während eines Maskenballs muss Mary Carhill sich nicht nur erneut mit ihrem langweiligen Leben auseinandersetzen, sondern noch erkennen, dass sie schwanger ist. Gerade jetzt lernt sie Lukes attraktiven und diesmal heterosexuellen Kollegen David kennen, der ihr Mr. Right zu sein scheint. Doch was ist mit Jamie, der geheimnisvolle Neue in Jarbor Hydes, der ihr trotz eigener Probleme nicht von der Seite weicht? Er sorgt nicht nur für Spannung und reichliches Training ihrer Lachmuskeln, sondern auch für Schmetterlinge in ihrem Bauch. Ein romantischer Liebesroman über schicksalhafte Begegnungen, eine verrückte Familie und die ganz große Liebe. Dieses Buch ist der dritte Teil einer Reihe. Jeder Band ist jedoch in sich abgeschlossen. Achtung! Dies ist eine Neuauflage und ist bereits unter dem dem Titel "Carhill-Sisters: Mary & Jamie" und dem Autorennamen Kathrin Lichters erschienen.

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CHOOSE PASSION: CARHILL SISTERS MARY & JAMIE

LIV KEEN

Für Opa Schäumchen, Opa Palmi, Oma Sittard und meine kleine Oma

Es ist schwer, ohne euch zu sein. Ohne all die guten Ratschläge, die liebevollen Umarmungen, den ehrlichen Blick auf die Welt und euer Lachen. Ich vermisse euch jeden Tag und danke euch für jeden Moment, den ihr mit mir verbracht habt. Ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder.

INHALT

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Nachwort

Bücher von Liv Keen

Danksagung

Über den Autor

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieses Buch ist bereits am 23.11.2016 bei Feelings, dem Imprint Label der Verlagsgruppe Droemer Knaur unter dem Titel Carhill Sisters - Lucy & Darrell und meinem anderen Autorennamen Kathrin Lichters erschienen. Nach dem Rechterückfall veröffentliche ich dieses Buch neu im Selfpublishing unter meinem offenen Pseudonym Liv Keen. Falls du diesen Band damals bereits gekauft hattest, hast du die Möglichkeit dieses eBook an Amazon zurückzugeben und dein Geld zurückzuerhalten. Falls du die Carhill Sisters noch nicht kennst oder einfach die überarbeitete Version lesen möchtest, wünsche ich dir ganz viel Lesespaß.

Alles Liebe

Deine Liv

PROLOG

ROBERT

„Der Sturm tobte so stark um das Schiff, dass eine Welle den Seemann über Bord spülte und ihn unter Wasser drückte, bis er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, und dass sein Leben vorüber sei. Nie wieder würde er den unvergleichlichen Sonnenaufgang über Jarbor Hydes beobachten dürfen.“ Er machte eine dramatische Pause und blickte in ein Paar blaue Augen, die vor Spannung geweitet waren. Seine kleine Tochter Mary hatte den Atem angehalten und wartete nun darauf, dass er weitersprach. „Durch den stärksten Wellengang glitt plötzlich eine Nymphe auf ihn zu und schwamm mit ihm an die Wasseroberfläche und zum Ufer zurück. Als er seine Augen öffnete, war er so gebannt von ihrer Schönheit, dass er sich auf der Stelle in sie verliebte. Von diesem Augenblick an vergaß er die Sehnsucht nach dem Meer und wollte nur noch eins: Mit dieser Frau, die ihn gerettet hatte, den Rest seines Lebens verbringen. Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage in einem Ort namens Jarbor Hydes.“ Die strahlenden Kinderaugen sahen zu ihm auf, und das blonde Haar, das unermüdlich von ihrer Schwester Lucy gekämmt wurde, die gerade mal drei Minuten früher zur Welt gekommen war, fiel in sanften Wellen über ihre Schultern. 

„Warst du auch Mamas Prinz, Daddy?“, fragte Mary, und ein verträumter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. 

Er betrachtete sie nachdenklich und spürte eine ungeheure Last auf seiner Brust. Er zwang sich, zu lächeln, und zupfte an ihrem Schlafanzug herum. „Ich bin dein Prinz, was hältst du davon?“, schlug er vor und beugte sich zu ihr, um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu geben. Das niedliche rosafarbene Prinzessinnenkleid durfte nicht mal zur Nacht ausgezogen werden, und an manchen Tagen verfluchte Robert das Geschenk seiner Mutter. Heute jedoch nicht. An diesem Tag wollte er seine Kinder mit einem Lächeln auf dem Gesicht ins Bett bringen und er war überzeugt, dass es niemals einen Mann geben konnte, der gut genug für seine Mary war. Für keins seiner Kinder.

 „Schlaf jetzt, Prinzessin. Träum was Schönes!“, murmelte er und schloss die Tür hinter sich. 

Draußen im Flur blickte er in das unglückliche Gesicht seiner Frau, hinter ihr eine gepackte Reisetasche.

KAPITEL1

Valentinstag, über zwanzig Jahre später

MARY

Der fruchtige Cocktail entfaltete seine Wirkung erst nach dem dritten Glas vollständig, und Mary ertappte sich bei kleinen Ausfallschritten. Sie kicherte, obwohl ihr gar nicht nach Lachen zumute war, was sie ebenfalls dem Alkohol zuschrieb. Wie um alles in der Welt hatte der Abend nur so furchtbar schiefgehen können? Es war beinahe surreal, dass sie nun allein auf diesem Balkon stand, wo sie doch die Einzige von ihren Geschwistern war, die sich wirklich auf Jake O’Reileys Party für die Einwohner von Jarbor Hydes gefreut hatte. Seit ihrer Kindheit liebte sie Märchen, und als bekennende Tagträumerin fand sie einen Maskenball wie in Romeo und Julia oder Aschenputtel unglaublich romantisch. In ihrer Vorstellung zumindest war es märchenhaft. Die Realität sah leider vollkommen anders aus. Sie hatte eine Ewigkeit damit zugebracht, das richtige Kleid zu finden, die passenden Schuhe dazu entworfen und hergestellt. Sie hatte sogar ein Waxing-Studio besucht, das es nur in Carlisle gab und wofür sie eine Stunde Fahrt auf sich genommen hatte, um möglichst haarfrei zu erscheinen. Anschließend hatte sie ihre Haare aufgedreht und endlos gebraucht, um ihr Make-up aufzulegen. 

Und dann, nachdem sie lediglich einen Cocktail an der Bar geschlürft hatte, musste Lucy den Abend ruinieren und alte Geschichten aufwärmen, die zugegebenermaßen nie völlig verarbeitet, sondern nur unter den Teppich gekehrt worden waren. Natürlich konnte sie Lucys Gefühlschaos beim Anblick ihrer Jugendliebe Darrell verstehen, zumal sie nicht ganz unschuldig daran war, dass sich die beiden getrennt hatten. Aber Mary war es so leid, immer der Sündenbock für die falschen Lebensentscheidungen ihrer Zwillingsschwester zu sein. Ihre Beziehung zueinander war schon unter normalen Bedingungen schwierig genug. Und was war schon normal? Ihre Familie war jedenfalls weit davon entfernt.

Nach dem Streit mit Lucy hatte sie sich in den ersten Stock in einem der wunderschönen Zimmer des großen Anwesens geflüchtet. Der Balkon war ein Traum, mit unzähligen Rosenranken bewachsen, die im Sommer sicher einen wunderbaren Duft verströmten. Für Februar war es wärmer als gewöhnlich, dennoch wünschte sich Mary, sie hätte jetzt eine Jacke. Von hier oben aus betrachtet kam sie sich furchtbar dumm vor, weil sie sich diese ganze Mühe gemacht hatte. Was hatte sie sich nur gedacht? Hatte sie geglaubt, sie könnte ihr eintöniges, vor sich hinplätscherndes Leben gegen ein aufregendes, abenteuerliches tauschen, indem sie einen Abend ein Fest besuchte? Hatte sie wirklich angenommen, den Mann ihres Lebens auf einer Party zu treffen?

Der Ausblick von ihrem Platz auf dem Balkon von Halleberry Castle präsentierte ihr Jarbor Hydes, den Ort, den sie so sehr liebte und noch mehr hasste. Der Mond schien beinahe voll zu sein und beleuchtete ihre Umgebung fast heller, als es eine Straßenlampe gekonnt hätte. Mary schloss die Augen und ertrug die Ruhe abseits des Balls, auch wenn sie sich gewünscht hätte, stattdessen zu einem Lied mit einem geheimnisvollen Unbekannten zu tanzen. Das machte einen Maskenball doch erst so reizvoll, dass man sein konnte, wer immer man sein wollte. Aus dem unteren Geschoss drangen der Bass eines neuen Songs der Swores und das Stimmengewirr der Gäste zu ihr herauf, ebenso wie deren Gelächter. In Wahrheit kam sie sich unter den vielen Menschen seltsam isoliert und einsam vor, obwohl ihre Geschwister darunter waren. Alle hatten etwas in ihrem Leben erreicht, es mit Höhen und Tiefen durchgestanden. Luke hatte regelmäßig Affären, und Lucy hatte einen Job, den sie liebte. Doch Marys Alltag plätscherte unaufgeregt nur so vor sich hin. Sie arbeitete in dem Café, in dem sie bereits gelernt hatte, und es gab keine Männer in Jarbor Hydes, die sie reizten. Manchmal glaubte sie, dass man sie schlichtweg vergessen hatte. Dann überkam sie das Bedürfnis hinauszugehen, ihr Leben anzupacken und etwas radikal zu ändern. Denn darauf zu warten, dass ein Prinz sie aus diesem trostlosen Dasein rettete, war offenbar hoffnungslos. 

Mary seufzte, trat näher an die Balustrade des großzügig angelegten Balkons und blickte über die Bäume. Dort hinten lag das Meer, sie konnte das Salz förmlich auf den Lippen schmecken. Sie lauschte dem Lachen und der guten Stimmung unter ihr und fühlte sich einmal mehr vollkommen verlassen. 

Wie um alles in der Welt war es möglich, dass ihre Vergangenheit sie ausgerechnet auf einem Fest wie diesem einholte? Die Sache zwischen Lucy, Darrell und ihr hatte vor zehn Jahren so fürchterlich geendet, dass sie nie geglaubt hätte, sie könnte sich jemals wieder so schrecklich fühlen. Offenbar hatte sie sich getäuscht. Immerhin war sie kaum eine Stunde da, und der Abend war bereits so gut wie gelaufen. Er konnte unmöglich wieder besser werden, denn so wie es aussah, würde sie hier bis zum Ende der Party allein auf dem Balkon rumsitzen, um ja nicht in die Verlegenheit zu kommen, Darrell oder Lucy erneut über den Weg zu laufen. 

Seufzend ließ sie sich auf einem alten, nicht mehr besonders strapazierfähigen Stuhl nieder. Sie lauschte einem seltsamen schabenden Geräusch, das nicht zuzuordnen war. Plötzlich tauchte ein Kopf mit einem schwarzen Kopftuch, in dem Löcher für die Augen ausgeschnitten waren und das bis über die Nase reichte, am Rand des Balkongitters auf, und Mary schrie erschrocken auf. 

Mit tiefer, ungewöhnlich kratziger Stimme grüßte der Fremde sie mit einem knappen Nicken: „Mylady.“ Er wollte sich über das Gitter hangeln, wobei er jedoch an dem efeubewachsenen Gemäuer abrutschte, einen kurzen Schrei ausstieß und hinunterfiel. Vor Schreck sprang sie auf und traute sich gar nicht, über die Brüstung zu sehen, aus Angst, er wäre in die Tiefe gestürzt. Erleichtert erkannte sie, dass er immer noch an den Metallstäben hing. 

„Ähm …“, sagte er. „Mylady, könnten Sie mir wohl hier einmal zur Hand gehen?“ Eilig reichte sie ihm eine Hand, die er dankend ergriff und sich schließlich mit ihrer Hilfe übers Geländer schwang. 

„Sind Sie irre?“, rief sie atemlos, wich vor ihm zurück und fiel rückwärts über den Stuhl, auf dem sie eben noch gesessen hatte. Der Aufprall auf ihrem Steißbein war schmerzhaft, und Mary hielt nur mit Mühe die Tränen zurück. „Verflucht!“, entfuhr es ihr, während er sich bemühte, sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Der seidige Stoff ihres Kleides hatte sich in den Rosenranken verfangen, und Mary fluchte ungehalten vor sich hin, wobei ihr ein Duft nach Sandelholz mit einem Hauch Aftershave in die Nase drang. Die breite Brust des Fremden drängte sich bei seinem Versuch, ihr zu helfen, an ihren Rücken. „Ich habe mich geirrt!“, rief sie frustriert und zerrte ungeduldig an dem Stoff. 

„Wobei haben Sie sich geirrt?“

„Dieser Abend kann durchaus noch schlimmer werden!“ Tränen der Wut glänzten in ihren Augen, und der Fremde verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Er machte leise Scht-Laute und umschlang Mary mit beiden Armen, sodass sie an seine Brust gedrückt wurde. 

Ehe sie protestieren konnte, fragte er mit ungewöhnlich rauchiger Stimme: „Darf ich?“ Mary unterbrach ihren hektischen Versuch, ihr Kleid aus den Dornen zu befreien, stattdessen blickte sie ihn von unten an, betrachtete sein markantes, glatt rasiertes Kinn und seine Lippen, die voll und fein geschwungen waren, so als würde er die meiste Zeit seines Lebens lachen. Die Grübchen auf seinen Wangen bestätigten diese Vermutung. Sein Kieferknochen war deutlich zu sehen, und Mary hätte gern seinen Hals entlang gestrichen. Dann ergriff er sanft ihre Hände und umfing sie mit seinen, die sich rau anfühlten.

Er grinste verschlagen, wobei sie das mehr oder minder annahm, weil sie bis auf das untere Drittel seines Gesichts kaum etwas sehen konnte. Doch das, was sie sah, war äußerst anziehend. Sein Haar war lang und zu einem kleinen Zopf zusammengebunden, wie es für Zorro typisch war. Geschickt lösten seine Finger das Kleid aus den Rosen. Viel zu schnell für Marys Geschmack beendete er auch den Körperkontakt und reichte ihr eine sonnengebräunte Hand. Sie ergriff sie und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Seine Haut fühlte sich warm an, und an der Stelle, wo sich ihre Hände berührten, kribbelte es leicht. Sein Blick ruhte auf ihr, und Mary war froh, dass sie ihre Maske ebenfalls nicht abgelegt hatte. „Danke!“, murmelte sie verlegen.

„Ich helfe gerne einer Frau in Nöten.“

„Genau genommen haben Sie mich erst in diese Nöte gebracht“, erinnerte Mary ihn, und Zorro zuckte grinsend mit den Achseln.

„Wer wird denn da schon so genau sein?“ 

Sie schüttelte lachend den Kopf und trat an die Brüstung, um zu sehen, wieso er ausgerechnet hier hochgeklettert war. „Sind Sie auf der Flucht?“

„Nein!“

„Warum klettern Sie dann hier rauf?“

„Weil ich eine junge Frau alleine hier oben stehen sah. Ich dachte, Sie könnten vielleicht etwas Gesellschaft brauchen.“ Er trat neben sie und blickte in den Garten hinunter. 

„Tatsächlich?“, fragte Mary skeptisch.

Sein Grinsen wurde breiter. „Womöglich war ich auch einfach auf der Suche nach einem ruhigen Ort.“ Mary lachte über seine Selbstinszenierung und schüttelte den Kopf. „Welch ein Glück, dass ich mich dabei zufällig auf Ihren Balkon verirrt habe, nicht wahr?“ 

Sie hob zweifelnd eine Braue. „Ob das Glück oder eher ein Unglück war, ist noch nicht entschieden.“ 

„Vor wem verstecken Sie sich?“

Mary nippte an ihrem Cocktail und murmelte ausweichend: „Wieso nehmen Sie an, dass ich mich verstecke?“ Sie seufzte wieder und stützte sich mit einem Arm an der Brüstung ab. 

Geschmeidig lehnte er sich mit dem Rücken dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Welchen anderen Grund sollte es geben, dass Sie hier oben sind statt unten tanzend?“

Sie zuckte mit den Achseln. Klug kombiniert. Dumm war er anscheinend nicht. Schlau und attraktiv und ein Gentleman, das war zu viel. Dieser Kerl stammte nicht aus Jarbor Hydes. „Vielleicht will ich gar nicht tanzen.“

„Wofür haben Sie sich dann überhaupt so herausgeputzt, wenn Sie gar nicht tanzen wollen? Ist das nicht ein Ball, und man kommt her, um zu tanzen?“

„Ich möchte ja tanzen, aber …“

„Sehr gut!“ Er klatschte in die Hände und hielt ihr dann eine Hand hin. „Darf ich um den nächsten Tanz bitten?“ 

Skeptisch verzog sie das Gesicht. „Hier?“

„Warum nicht?“ Sein Lachen zauberte Grübchen auf seine Wangen, die Mary wirklich sehr gefielen. 

„Ist das der richtige Ort dafür?“ 

„Was soll daran falsch sein?“, fragte er und lächelte entwaffnend. Ein neues Lied setzte ein, und Zorro fügte hinzu: „Ich bin bloß ein Fremder, der mit einer wunderschönen Frau tanzen möchte, und meiner Meinung nach sollte man jede Chance seines Lebens ergreifen, die sich einem bietet.“ 

Das überzeugte sie schließlich, und während die Klänge eines ruhigen Songs zu ihnen hoch drangen, berührte Mary seine Hand. Er zog sie behutsam an sich und platzierte seine linke Hand auf ihrer Hüfte, seine andere umfing ihre freie Hand, um sie auf seine Brust zu drücken, wo er sie festhielt. Langsam begann er sich im Takt der Musik zu bewegen. Mary kam sich zuerst steif und linkisch vor, doch dann blickte sie in seine blauen Augen, die sie auf eine Art ansahen, die ihr fremd war. Plötzlich fühlte sie sich umschwärmt wie der kostbarste und von allen Dieben der Welt begehrteste Diamant der Welt. 

Sie lächelte unsicher, als er leise wisperte: „Wir sind ständig auf der Suche nach dem geeigneten Augenblick, dem perfekten Abend, den besonderen Anlässen. Dabei verpassen wir so viele unverwechselbare Sekunden, weil wir vergessen, den Moment zu leben und ihn zu nehmen, wie er eben ist. Bis gestern noch war ich auf einem Festival und dachte nicht daran, hierher zu kommen, und nun? Nun habe ich das große Glück mit der schönsten Frau Englands zu tanzen, und zwar genau hier …“ Sein Blick glitt an ihr vorbei.

Gebannt lauschte Mary seinen Worten und stellte bedrückt fest, dass an dem, was er sagte, etwas Wahres dran war. Sie war auf der Suche und das schon so lange: Nach dem perfekten Kleid, der besten Gelegenheit, dem Traumprinzen, der sie fand, um ihr ein Märchen zu ermöglichen, und so weiter. Dabei vergaß sie, dass in der Regel jede Prinzessin einen mutigen Schritt wagen musste, ehe sie ihr Happy End bekam. Sie blickte in seine Augen, in denen sich ihr Gesicht spiegelte. Da fällte sie einen Entschluss. Ihre Hände glitten an seiner Brust hoch und verschränkten sich in seinem Nacken. Zufrieden lächelte er und umfasste ihre schmale Taille, während er sich mit ihr rhythmisch im Kreis drehte. 

„Ich werde jetzt etwas ganz Verrücktes tun“, teilte sie ihm mit. „Einfach so, weil ich den Moment genieße.“ Impulsiv beugte sie sich vor und küsste ihn. Er mochte ein Fremder sein, und dennoch fühlte sie sich über die Maßen zu ihm hingezogen. Seine Lippen waren weich, und er öffnete sie leicht, damit seine Zunge ihren Mund erobern konnte. Bei der Berührung ihrer Zungen brach in ihrem Körper ein Feuerwerk aus, das nach mehr verlangte. Zuerst war sie zu überrascht, um sich ihm völlig hinzugeben, doch nur Sekunden später wurde sie zu Wachs in seinen Händen. Ihr Körper schmiegte sich an seinen, während seine Hände an ihren Rundungen hinabglitten und er ihre Hüfte noch fester an seine Lenden presste, sodass Mary seine Erregung an ihrem Bauch spüren konnte. Sanft löste er seine Lippen von ihren, jedoch nur, um ihren Hals zu liebkosen. Sie bemerkte seine Zungenspitze, die kleine Kreise auf ihrer Haut malte, und stöhnte leise auf, was er mit einem Knurren kommentierte. Augenblicklich war zwischen ihnen zu viel Stoff, zu viel, was ihre Körper voneinander trennte. Sie zog an seinem Hemd, das nun aus der Hose rutschte, und er schob ihr einen Träger von der Schulter. Dann umfingen beide Hände ihr Gesicht, und er sah Mary eindringlich an. „Bist du dir sicher? Ich meine …“ 

„Ruinieren wir nicht den Moment, okay?“, wisperte sie lächelnd und trat einen Schritt von ihm zurück. Sie sah ihn gespannt an, während sie auch den letzten Halt ihres Kleides löste, was dazu führte, dass es wie ein Wasserfall an ihrem Körper hinabglitt und sich um ihre Füße sammelte. Sie beobachtete, wie sein Kehlkopf erzitterte und er auf sie zutrat. Nur in Dessous und High Heels gekleidet wich sie in das Zimmer zurück. Ihr Herz klopfte wie wild, als sie das Glitzern in seinen Augen sah. Niemals zuvor hatte sie so etwas getan. Aber noch nie zuvor hatte sie sich so begehrt, so sehr gewollt gefühlt wie jetzt. Sie war nicht sie selbst, sie war eine Femme fatale, die sinnlich über ihre Lippen leckte, als er begierig auf sie zulief. Mary griff nach seinem Hemd und riss es mit einem Ruck auf, sodass die Knöpfe durch den Raum flogen. Ein schiefes Grinsen erschien auf seinem Gesicht, und ein Schauer überzog seine Haut, als ihre Fingerspitzen über seinen muskulösen Oberkörper streichelten. Alles an ihm war trainiert, sogar seine Hände waren von Sehnen und Muskeln durchzogen, was sie unsäglich maskulin und kräftig wirken ließen. Er berührte sie, öffnete gekonnt ihren Spitzen-BH und wendete seine Aufmerksamkeit ihrem Busen zu. Sanft warf er sie aufs Bett und zog ein verpacktes Kondom aus seiner Hosentasche, das er ihr reichte. Doch die Verpackung ließ sich nicht öffnen, und so riss er es ungeduldig mit den Zähnen auf. Mary staunte beim Anblick seiner Männlichkeit, und Zorro kletterte über sie, spreizte ihre Beine und massierte ihre Mitte, was sie nach kurzer Zeit zum Höhepunkt brachte. Eine Welle des Glücks erfasste Mary, und endlich ließ sie los – alles, was sie gehemmt und zurückgehalten hatte. Sie wollte ihn, und zwar jetzt sofort. Voller Sehnsucht wand sie sich unter ihm und schlang schließlich ihre Arme um seinen Hals. Sie suchte seinen Mund mit ihren Lippen, während sie ihm ihre Hüften entgegen hob. Zu guter Letzt vereinigten sie sich und fanden in ihren eigenen leidenschaftlichen Rhythmus.

JAMIE

Das Feuer brannte noch in ihm, als er in die Kissen neben der bezaubernden Frau fiel und glücklich seufzte. Das war mit Abstand der aufregendste Sex, den er je gehabt hatte. 

„Wow!“, entfuhr es ihm, dann blickte er auf die Fremde neben sich. Durch die Masken, die sie immer noch trugen, konnte er nur einen Teil ihres Gesichts erkennen, doch er war sich sicher, dass sie ebenso hingerissen von ihrem Abenteuer war wie er. Einige ihrer Locken hatten sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst, und er strich sie sanft hinter ihr Ohr. Sie lächelte bei dieser Berührung, richtete sich jedoch schnell auf und begann, nach ihrer Kleidung zu suchen. Verwundert drehte er sich auf die Seite, stützte den Ellenbogen auf dem Bett ab und legte den Kopf in seine Hand. „Bist du nun auf der Flucht vor mir?“

Sie machte eine geheimnisvolle Miene und zog es offenbar vor, nicht darauf zu antworten. Ohne ein weiteres Wort stieg sie in ihr Kleid, an der Stelle, wo sie es zuvor hatte fallen lassen. Sein Blick glitt an ihrem Körper hinab, der wohlgeformt und mit genau den richtigen Rundungen ausgestattet war. Als sie zurück ins Zimmer trat, kam sie auf ihn zu und murmelte: „Lass uns den Augenblick nicht ruinieren, ja?“ Sie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen langen, innigen Kuss, der ihm durch Mark und Bein ging. 

Kurz bevor sie die Tür aufmachte, protestierte er: „Du willst gehen? Ohne mir deinen Namen zu sagen?“

„Du hast es doch selbst gesagt! Wir können sein, wer immer wir sein wollen. Ich bin einfach nur ein Mädchen!“

„Was ist, wenn ich dich wiedersehen will?“

Ungläubig lachte sie. „Als wenn Zorro ein Mädchen je zweimal gesehen hätte.“ Sie zwinkerte und fügte hinzu: „Falls das Schicksal es will, dass wir uns wiederbegegnen, muss es sich eben was einfallen lassen.“ Mit diesen Worten riss sie die Tür auf und verschwand. 

Stöhnend ließ er sich zurück auf den Rücken fallen und stieß erneut ein lautes „Wow!“ aus. „Die Frau ist der Hammer!“

MARY

Am Tag nach dem großartigen Ball war der Ort wie ausgestorben. Mary hatte wohlweislich erst gegen Mittag geöffnet, obwohl sie dabei eher an sich selbst als an den Rest der Einwohner gedacht hatte. Obwohl sie höchstens drei Stunden geschlafen hatte, durchströmten sie eine wahnsinnige Energie und Lebensfreude, sodass sie um halb acht bereits den Weg ins Café fand und dort in aller Ruhe die neusten Rezeptideen ausprobierte, die sie mit Holly ausgetüftelt hatte. Es war einer der kreativen Tage, die sie zu allem Möglichen trieben, und so wollte sie nichts lieber, als nach Feierabend ihrem Hobby nachzugehen und den Schuh, den sie noch in der Nacht designed hatte, herzustellen. Dafür brauchte sie jedoch noch ein klein wenig Zubehör, und so brach sie früher als üblich auf, um es noch vor Schließung des Ladens zu schaffen. Diese Nacht, dieses unglaublich gute Erlebnis des Abends zuvor, hatte in ihr etwas freigesetzt, was sie kaum in Worte fassen konnte. Sie wusste nur eines sicher: Sie wollte es behalten – bitte für immer. 

Mary zog gerade die Tür des Cafés zu, als eine Gestalt von hinten an sie herantrat und sie dermaßen erschreckte, dass sie den Schlüssel fallen ließ. „Ach Luke, du bist’s nur! Ich dachte schon …“ Sie griff sich an die Brust und atmete tief durch, ehe sie sich nach dem Schlüssel bückte. 

„Was? Dass ich ein Serienkiller bin, der dich häutet und vierteilt?“ Ein Grinsen zierte das gutaussehende Gesicht ihres Bruders. Sie hakte sich vergnügt bei ihm unter und zog ihn die Straße entlang mit sich. 

Es stimmte, was die Leute sagten. Er war der Hübscheste der Carhill-Geschwister. Seine hohen Wangenknochen ließen sein Gesicht an den richtigen Stellen kantig und maskulin wirken, während die Grübchen in seinen Wangen und die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln von seinem Witz und seinem freundlichen Wesen erzählten. Luke war etwas Besonderes, ohne Zweifel. Trotz oder gerade wegen seiner sexuellen Orientierung war er stets seinem eigenen Weg gefolgt und hatte sich nur selten von dem abbringen lassen, was er wirklich wollte. Sie und ihre Schwestern glichen im Vergleich zu ihm einer aufgescheuchten Hühnerschar, die vom Fuchs verfolgt den passenden Weg für sich suchte. Emily schien nach Collins Tod langsam wieder einen Sinn im Leben gefunden zu haben, was diesem sexy Rennfahrer Jake zu verdanken war. Mary selbst dümpelte die meiste Zeit orientierungslos im Meer umher und ließ sich von den diversen Stürmen ihrer Schwestern immer wieder von ihren eigenen Zielen abbringen. Sie schüttelte den Kopf, um die trüben Gedanken zu vertreiben. „Du erstaunst mich ständig, Bruderherz. Du bist manchmal wirklich gruselig.“

„Irgendwas ist wohl hängen geblieben, dank Emilys Faible für Horrorfilme.“ Er warf den Kopf in den Nacken und lachte.

Mary stimmte in sein Gelächter ein. „O ja, erinnere mich bloß nicht daran. Diese Phase war furchtbar. Sie war so begeistert, während ich nachts kaum ein Auge zumachen konnte.“ Ihre Schritte waren energisch und beschwingt, sodass sie sich etwas zügeln musste, um Luke nicht den Arm auszureißen.

„Mir ging es ganz genauso. Dabei ist sie meine kleine Schwester!“ Mary kommentierte seine Worte mit einem Kichern. Sie liefen bis zur nächsten Ampel, wo Luke abrupt stehen blieb. „Du bist ja so gut gelaunt, Mary? Gibt’s dafür einen Grund?“ Forschend betrachtete er sie, und Mary bekam das Gefühl, dass sein Auftauchen kein Zufall war.

Sie nickte begeistert und ließ seinen Arm los. „Ich fühle mich frei und unabhängig, ganz so, als sei ich in einem Märchen, das ich mir selbst schreibe.“ Das Kopfsteinpflaster führte jedoch dazu, dass sie eilig erneut nach seinem Arm griff, denn ihre Pumps brachten sie gefährlich ins Wanken. 

„Ein Märchen!“ Luke machte große Augen. „Tatsächlich? Und wer ist der geheimnisvolle Prinz?“

„Wer weiß!“ Marys Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an, bevor sie in die Ferne blickte und seufzte. „Vielleicht geht es ja auch nur um mich und nicht um irgendeinen Kerl.“

Luke blieb wie angewurzelt stehen und streckte beide Arme von sich, ehe er zugab: „Ich hab dich gestern irgendwie gesehen.“

„Wie meinst du das: ‚Du hast mich gesehen‘?“, fragte sie misstrauisch, und ihre Vermutung bestätigte sich bereits beim Anblick von Lukes bedrückter Miene. Er war gekommen, um ihr auf den Zahn zu fühlen.

Plötzlich schien Luke sich nicht mehr so wohl in seiner Haut zu fühlen, denn Mary sah, wie sein Adamsapfel nervös auf und ab hüpfte. „Ich war im Zimmer nebenan.“ 

Als hätte sie ein Schwall eiskaltes Wasser getroffen, erstarrte sie, riss die Augen auf und schlug die Hände geschockt vor den Mund. „Du … o Gott, Luke!“

„Keine Sorge, ich hab nicht wirklich was gesehen … es war nur … ähm … nicht zu überhören, sagen wir es so. Als ich dann den Raum verlassen wollte, hab ich dich beim Weggehen beobachtet.“

Einige nicht sehr damenhafte Flüche kamen ihr in den Sinn, doch sie hielt sich gerade noch so davon ab, sie auszustoßen. „Wieso muss immer einer von meiner Familie in der Nähe sein, wenn ich mal was … na ja, Verbotenes tue?“, knurrte sie verzweifelt und ballte ihre Hände zu Fäusten.

„Wir sind einfach zu viele Carhills“, vermutete Luke achselzuckend. „Aber so viel Verbotenes hast du doch nicht gemacht, oder?“

Mary hob eine Hand und zählte auf: „Erinnerst du dich an die gesprayte Schulwand? Oder den Einbruch in das alte Jackson-Haus? Collins Standpauke klingelt mir jetzt noch in den Ohren.“

Luke kratzte sich grinsend am Kinn. „Ja, du hast recht. Schon damals hatte er einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“

„Und du hast mich erwischt, als ich den Joint unter meinem Kopfkissen versteckt habe.“

„Offenbar warst du die Rebellin in der Familie, oder?“

„Im Gegensatz zu Amy habe ich wahrscheinlich nur an der Oberfläche gekratzt. Das Schwimmen im Baggerloch, die Rettung der Brieftauben bei den O’Haras …“

„Schon gut, schon gut! Ich glaube dir! Wer weiß schon, was bei Amy wirklich los ist. Mike hat keinen guten Einfluss auf sie, aber ich hoffe immer noch, dass sie das erkennt und zur Herde zurückkehrt.“

Bedrückt schaute Mary in Lukes Augen. „Dein Wort in Gottes Gehörgang.“ Ihre Schwester Amy war zurzeit abtrünnig, und Mary vermisste sie schrecklich.

„Womit hast du nun gestern gegen das Gesetz verstoßen?“

Mary fühlte förmlich, wie ihr Gesicht puterrot anlief. „Na ja …“

„Ja?“

„Versprich mir, dass du es nicht dem Rest erzählst.“ Mary zierte sich immer noch ein wenig. 

Er legte eine Hand auf seine Brust, hob die andere in die Luft und sagte mit feierlich erhobener Stimme: „Ich schwöre bei allen heißen Ärschen der Chippendales, dass ich nichts weitersagen werde.“

„Ich kenne ihn nicht.“

„Wen?“, fragte Luke dümmlich, und Mary rollte mit den Augen.

„Den Kerl, mit dem ich Sex hatte!“ Auf seinem Gesicht zeigte sich eine ganze Reihe an Gefühlsregungen, aber keine davon gefiel ihr ausnehmend gut. Es war, als hätte sie ihn enttäuscht, und Marys Hoch bekam einen empfindlichen Dämpfer. „Sag doch bitte was!“, drängte sie ihn.

Luke räusperte sich demonstrativ einige Male, und Mary wollte ihn schon ohrfeigen, als er endlich anfing zu sprechen. „Ich bin überrascht. Ich dachte, du wärst von uns allen die am romantischsten veranlagte Carhill?“

Sie legte den Kopf in den Nacken, um ihn nicht ansehen zu müssen, und blickte zum Himmel hinauf, an dem schon etliche Sterne zu sehen waren. „Das bin ich auch, wobei das bei euch nicht schwer ist. Aber es gibt keine Männer in diesem Ort für mich. Alle Guten sind verheiratet, Langweiler oder Schweine.“

Luke nickte zustimmend. Für ihn war es sicher noch schwieriger, weil kaum einer in seinem Team spielte, und dennoch hatte er viel mehr Eroberungen als sie. „Du meinst zum Beispiel Hollys Mann Nicholas?“

„Der mich immer noch bei jeder Gelegenheit anbaggert, wenn sie nicht hinsieht? Ja, unter anderem!“ Mary strich sich über die Arme, weil ihr trotz Jacke plötzlich ziemlich kalt war. 

Das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, gestikulierte Luke wild. „Igitt und das, wo sie deine Freundin ist. Soll er doch seine Sekretärinnen vögeln, wenn er es nicht schafft, seinen Schwanz in der Hose zu behalten. Dich ständig so anzumachen grenzt an Belästigung …“ Luke schüttelte den Kopf. „Nun, das ist ein anderes Thema. Aber jetzt erzähl doch mal, ich meine von deinem Intermezzo.“

„Ich dachte, du warst dabei?“, neckte sie ihn und zwinkerte Luke zu, dann seufzte sie ergeben, als sie seinen Dackelblick sah. „Na gut, aber bitte versprich mir, dass du es nicht den anderen erzählst. Vor allem nicht Lucy.“

„Carhill-Super-Ehrenwort!“

Zweifelnd sah Mary ihn an. Luke war allgemein bekannt dafür, ein Klatschweib zu sein. „Er war einfach da und ist über die Brüstung des Balkons geklettert. Jetzt halt dich fest: Er war als Zorro verkleidet. Ich steh ja eigentlich nicht auf dunkle lange Haare, aber irgendwas hatte er an sich, das mich in seinen Bann gezogen hat. Es war so aufregend, in eine Rolle zu schlüpfen und jeder Mensch sein zu können, der ich gerade sein wollte.“ Ihr fiel selbst auf, wie schwärmerisch das klang.

„Moment, soll das heißen, du hast ihn nicht mal gesehen?“ 

„Ich habe nicht eine Sekunde in sein wahres Gesicht geblickt, richtig!“

„Das heißt, wenn es Nicholas gewesen wäre, dann wüsstest du es nicht?“

„Den hätte ich durchaus erkannt!“, erwiderte Mary ungeduldig und rollte mit den Augen. Langsam begann Lukes Fragerei zu nerven. Warum konnte er sich nicht einfach für sie freuen, dass endlich mal etwas Aufregendes in ihrem Leben passiert war. 

„Und angenommen, es wäre Carl gewesen, der ständig bei dir im Café rumlungert …“

„Dank seines Bierbauches und der Rückseite, die ich mir ständig anschauen darf, wenn ich an meinem Tresen vorbeigehe, wäre auch er entlarvt worden“, unterbrach sie Luke und verzog angewidert das Gesicht.

„Stört es dich nicht? Ich meine, nicht mal danach zu wissen, wer derjenige war“, bohrte Luke weiter.

„Das war ja gerade das Aufregende daran. Ich werde nie wissen, wer er ist und es als das verbuchen, was es war: ein Abenteuer.“ Luke schwieg auf diesen Kommentar hin, und Marys Genervtheit verwandelte sich in Zorn. Wieso spielte er sich hier als Moralapostel auf? Er hatte eine Trophäe nach der anderen, legte jeden zweiten Kerl flach, der sich als homosexuell erwies, und wollte ihr diesen einen Moment madig machen? Das ging eindeutig zu weit. „Entschuldige Luke, aber ich empfange so feindselige Schwingungen hier, als würdest du meinen One-Night-Stand verurteilen, was ja eigentlich unmöglich sein kann, wo du doch eine ganze Reihe davon hinter dir hast.“ Mit verschränkten Armen trat sie einen Schritt von ihm zurück und kniff die Augen zusammen.

„Nein, du bist erwachsen und weißt hoffentlich, was du tust“, entgegnete er, und es waren weniger seine Worte als vielmehr der Klang seiner Stimme, der ihre Wut weiter anfachte.

„Und trotzdem verurteilst du mich!“, sagte sie ihm auf den Kopf zu. „Ich kann das an deiner gerümpften Nase sehen! Verkauf mich bitte nicht für dumm. Ich kann zwischen den Zeilen lesen. Seit wann hast du keinen Arsch in der Hose, deine Meinung zu vertreten?“ Die Hände in die Hüften gestemmt, schüttelte sie den Kopf.

Ihm wurde sichtlich unbehaglich, und Mary hoffte, dass er sich später für sein Verhalten schämen würde. „Ich weiß auch nicht, Mary. Du bist eben einfach meine Schwester, und ich hab immer gedacht, dass du deine eigene Cinderella-Story bekommst. Das ist alles.“

„Warum sollte ich darauf warten, dass mich ein Prinz rettet? Ich bin es leid zu warten. Ich möchte leben und nicht wie die alte Mrs. Jorkins enden, deren Erfüllung es ist, zwanzig Katzen zu hüten.“ Sie klang ungewöhnlich schrill. Gefühlsausbrüche waren sonst gar nicht ihre Art.

„Okay, dann gehe ich etwas ins Detail! Hast du schon mal an Geschlechtskrankheiten gedacht?“

„Du hältst mich echt für bescheuert, oder?“

„Es passt einfach nicht zu dir. Lucy ist für so praktische Sachen …“

Frustriert stampfte Mary mit dem Fuß auf. Sie konnte es nicht mehr ertragen, dass man Lucy und sie ständig miteinander verglich. „Lucy ist gefühlskalt, rational und glaubt nicht an die Liebe, aber hat deswegen nicht jedes Sexabenteuer für sich gepachtet.“

„Ich wollte nicht …“

Mary hatte genug gehört. Sie wollte zurück in ihre Blase, und zwar sofort! „Es ist mir so was von egal, was du wolltest. Es ist mein Leben, meine Zukunft, und wir befinden uns nicht mehr im achtzehnten Jahrhundert. Falls du es noch nicht gehört hast, mittlerweile ist es Frauen gestattet, wählen zu gehen. Wenn mich nicht alles täuscht, war das 1928. Ausgerechnet von dir hätte ich diese Verurteilung nicht erwartet, Luke. Immerhin hasst du es selbst, verurteilt zu werden, bloß weil du auf Schwänze stehst.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, marschierte Mary wutschnaubend davon und hörte, wie Luke ihr hilflos nachrief: „Echt jetzt, Mary? Schwänze?“

KAPITEL2

Acht Wochen später

MARY

Der Geruch von Kaffee stellte ihren Würgereiz ordentlich auf die Probe, deswegen schlich sie dreimal um die Kaffeemaschine herum, ehe sie es wagte, den Beutel herauszunehmen und die Maschine mit neuen Bohnen zu befüllen. Wie zu erwarten, wallte wieder Übelkeit in ihr auf und brachte Mary dazu, mit einer vor den Mund gepressten Hand in die Küche zu laufen und sich dort heftig in den Mülleimer zu übergeben. Dabei hatte sie nicht mal gefrühstückt. Während sie sich erschöpft zurück auf den Boden sinken ließ und gegen die Küchenanrichte lehnte, ertönte die Türglocke, und Mary seufzte niedergeschlagen. Doch es war nur Ninas gut gelaunte Stimme, die sie begrüßte und deren Besitzerin nur Sekunden später in der Tür erschien, wo sie überrascht stehen blieb. „Du siehst scheiße aus – so richtig scheiße.“

Mary streckte Nina die Zunge heraus und lehnte den Kopf bedrückt gegen den Schrank hinter ihr. „Ich danke dir für deine aufbauenden Worte“, murmelte sie, doch Nina zuckte bloß mit den Achseln. 

„Geh nach Hause ins Bett und kurier dich aus“, befahl sie, und noch während Mary den Mund öffnete, um zu protestieren, fügte sie hinzu: „Du vergraulst uns nur alle Kunden, wenn du bleibst! Wer will schon was in einem Café essen oder trinken, wenn dauernd Kotzgeräusche aus der Küche zu hören sind?“ 

Das war ein Argument. Dagegen konnte selbst Mary nichts mehr einwenden und stöhnte theatralisch. „Fuck!“

„Jeder wird mal krank – selbst eine Carhill mit Superkräften.“ Nina lächelte versöhnlich, stellte ihre Tasche an den üblichen Platz und wusch sich die Hände, während Mary kaum genügend Kraft aufbrachte, aufzustehen. „Ich rufe Holly an. Sie kommt bestimmt gern.“ Nina kicherte. „Um diesem Ehemann zu entkommen, würde ich sogar Klos mit der Zahnbürste schrubben. Hast du seine Plakate gesehen? Wählt Nicholas – den Retter von Jarbor Hydes! Die haben sich wohl vertippt. Es muss doch heißen: Wählt Nicholas - den Kotzbrocken von Jarbor Hydes.“ 

Mary verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Ich will nicht, dass sie wieder Ärger mit ihm bekommt.“ 

„Mary, im Ernst, wie konntet ihr nur zulassen, dass Holly diesen Arsch heiratet.“

Das fragte Mary sich auch regelmäßig. Nicholas war schon damals ein Arschloch gewesen, aber ein sehr cleveres. Er manipulierte die Leute und lächelte, selbst wenn er sie beschimpfte. Eine Gabe, die er wohl von seinem Vater geerbt hatte. „Sie hat sich von seinem guten Aussehen blenden lassen und war schwanger, bevor sie jemand davon abhalten konnte. Du weißt ja, wie Holly ist, wenn es um Olivia geht.“ Olivia war mittlerweile dreizehn Jahre alt, und Holly liebte sie mehr als sich selbst.

„Ob Kind oder nicht! Wie kann sie ihr Leben nur so wegwerfen? Sie kann unmöglich den Rest davon mit diesem Idioten zusammenbleiben und die Frauen von Stepford nachspielen, während er all ihre Freundinnen vögelt!“ Mary sog zischend die Luft ein, doch Nina lächelte bloß bei ihrer entsetzten Miene. „Gib’s zu, bei dir hat er’s auch schon versucht, oder? Ich glaub ja, dass er bei denen, die ihn abweisen, noch hartnäckiger ist.“

Mary seufzte und kam langsam auf die Beine, als sich die Eingangstür mit einem leisen Klingeln erneut öffnete. „Es ist noch geschlossen!“, rief Nina genervt nach vorne. 

„Ich dachte, dass ich hier immer einen Kaffee bekomme. Stand das nicht so im Schwesternvertrag?“, antwortete eine vertraute Stimme, und Mary riss die Augen auf. Emily! Statt nach vorne zu eilen und ihre Schwester in die Arme zu schließen, verdeutlichte sie Nina, dass sie Emily abwimmeln sollte. Ihre Angestellte schien verdutzt zu sein, tat aber, was Mary verlangte. Nach wenigen Sätzen verließ Emily den Laden, und Nina kehrte zu Mary zurück. 

„Was ist nur los bei euch Carhills? Seit wann redet ihr nicht mehr miteinander?“

„Das … ist … schwer zu erklären, ich … ist ja auch egal.“ 

Skeptisch kniff Nina die Augen zusammen. „Ihr seid unzertrennlich und könnt doch nicht ohneeinander. Was ist nur los mit dir, Mary?“

„Können wir uns darauf einigen, dass ich dir keine Erklärung schuldig bin, solange ich dich regelmäßig bezahle?“, schnappte sie und war selbst über ihren bissigen Tonfall überrascht. 

„Okay!“ Sie beobachtete die Miene ihrer Freundin und Aushilfe, die verdutzt die Brauen hob und sich von ihr abwendete. „Dann wimmle deine Schwestern demnächst bitte selber ab, denn dafür werde ich nicht bezahlt.“ Damit verschwand sie nach vorne und ließ Mary zurück. Diesen Seitenhieb hatte sie verdient. Sie kramte ihre Sachen zusammen und verließ das Café über den Hinterausgang, den man von der Küche aus erreichte. Der Weg zu ihrem Apartment über dem Café führte über eine Art Feuertreppe, die bei einer genaueren Betrachtung des Bauamts niemals für sicher genug erachtet werden würde, doch Mary liebte es genauso.

Sie öffnete die Tür zu ihrer Wohnung und stand unmittelbar im Esszimmer ihres kleinen Zuhauses. Am Esszimmertisch war allerdings kein Platz zum Essen, da er mit Stoffen, Schnallen und einer Nähmaschine vollgestellt war. Der Geruch von unterschiedlichen Klebstoffen drang in ihre Nase, und ihr Blick fiel auf ihre neuste Schuhkreation. In den vergangenen Tagen war sie nicht gänzlich bei der Sache gewesen, sodass einige ihrer Entwürfe in die Tonne gewandert waren, wie der überfüllte Mülleimer bewies. Doch diesen Schuh hatte sie noch in der Nacht des Balls entworfen, und nun begann sie, ihn endlich wirklich zu kreieren. Es war ein eleganter Pumps mit einem elf Zentimeter hohen Stiletto-Absatz und einer spitzen Schuhspitze, die nicht von jedem Fuß getragen werden konnte. Die Rosenapplikationen, die auf das schwarze Leder genäht waren, waren ein echter Hingucker, und Mary liebte allein den Anblick dieses hübschen Exemplars. Sie konnte es jedoch kaum abwarten, es zu tragen, und strich mit ihrem Zeigefinger beinahe andächtig über das Leder. Bei all ihren Lieblingen scheute sie sich, sie zu verkaufen, doch an diesem hing ihr Herz ganz besonders. Vielleicht war es ihre präzise Arbeit oder einfach die Erinnerung an diese wundervolle Nacht, die den Schuh so perfekt erscheinen ließ. 

Sie löste ihren Blick von ihrem Hobby und wandte sich dem quälenden Gedanken zu, der sich in ihrem Kopf eingenistet hatte. Der Blick in ihren Kalender präsentierte ihr ein heilloses Durcheinander. Liefertermine ihres Cafés waren durchgestrichen, mal mit einem Filzstift, mal mit einem Kuli. Diverse Erinnerungen waren oben drauf gepinnt worden, und einzelne Post-its komplettierten das Chaos. Sie begann zu zählen, wie so oft in den letzten Wochen, und stöhnte gequält auf. Wieso bekam sie ihre Periode nicht? Sie war sicher, dass sie ein Kondom verwendet hatten, und dennoch sprachen alle Anzeichen dagegen. 

Ihr Blick fiel auf ein Post-it, auf dem die Worte standen: „Du bist wundervoll! Küsschen“ Es stammte von ihrer Schwester Amy. So was tat sie ständig, wenn sie mal zu Besuch war und sich bei Mary einquartiert hatte. Überall in ihrer Wohnung hinterließ sie winzige Erinnerungen, die Mary noch Tage später fand und die sie zum Schmunzeln brachten. Amy. Mary seufzte. Ihre kleine Schwester, das Nesthäkchen, war immer das Sorgenkind der Familie Carhill gewesen, weswegen Mary ihr seit jeher besonders zugetan war. Ihre Beziehung war eng und vertraut, sodass sie nur allzu oft zwischen ihr und dem Rest der Familie stand, um zu vermitteln. Amys letzter Aufenthalt hier war schon ewig her, nicht mal zu Weihnachten war sie heimgekehrt, und alles nur wegen dieses bescheuerten Typs. Nachdem Robert ihn das erste Mal kennengelernt hatte, hatte er die Polizeiakte von Amys neuem Freund studiert und war schlicht und ergreifend ausgeflippt. Nicht gerade der beste elterliche Schachzug, doch Mary wusste mittlerweile, dass ihr Vater nur das Beste für sie alle wollte. Amy war jedoch eine ganze Ecke jünger als sie, immerhin fast zehn Jahre, und erkannte den Beweggrund und die tiefe Liebe für sie hinter Roberts cholerischem Anfall noch nicht. Mary war sich auch sicher, dass er all die Akten ihrer potenziellen Freunde studiert hatte, aber Mark war … speziell. Er hatte bereits einmal wegen schwerer Körperverletzung und Drogenhandel im Gefängnis gesessen. Amy beteuerte immer wieder, dass es Jugendsünden waren, doch daran zweifelte selbst ihre ihr zugetane Schwester. 

Plötzlich sehnte sie sich ungemein nach Amy und griff impulsiv zum Telefon. Gespannt lauschte Mary dem Tuten in der Leitung und ließ enttäuscht die Schultern sinken, als Amys quirlige Stimme auf der Mailbox ertönte. „Hallöchen, ich bin’s bloß … ja genau, eine schlechte Aufzeichnung der realen Amy. Aber für eine Nachricht an die echte bin ich gut genug, also los – ihr wisst ja, wie’s geht.“ Mary war in ihrer Wohnung umhergeschlendert, blieb nun vor der Kommode neben dem Fernseher stehen und sah aus dem Fenster.

„Hey Baby, ich bin’s“, begann sie und seufzte. „… ich musste gerade nur an dich denken und wollte hören, wie es dir geht. Melde dich mal, ja?“ Sie drückte auf den roten Hörer und beendete den Anruf. Seufzend legte sie das Telefon eine Spur zu fest auf das Fernsehregal. Sie hatte sich selten so allein und einsam gefühlt und gab es nicht gern zu, doch sie vermisste ihre Geschwister, und zwar alle. 

MARY

Der Minutenzeiger kroch langsam auf die Sieben zu, und Mary wurde immer nervöser. Sie wälzte ihre Gedanken hin und her, entschied sich neu und verwarf auch diese Überlegung wieder. Es war kaum auszuhalten. Seit sie Emilys Anruf ignoriert und ihre Nachricht auf der Mailbox abgehört hatte, war sie ein nervliches Wrack. Emily hatte sie zu ihrem Vater bestellt, so wie auch ihre restlichen Geschwister, und wollte eine große Versöhnung feiern. Doch Mary wusste nicht, ob sie dazu schon bereit war. Ja, sie vermisste ihre Familie, sogar Lucys fürchterlichen Humor und ihr Emanzen-Gehabe. Seit Darrells Rückkehr war sie es leid gewesen, den Sündenbock in Lucys Leben zu spielen. Aber sie wollte ihre Zwillingsschwester zurück und mit ihr die Magie, die sie beide einst verbunden hatte. Es war kein Geheimnis, dass sie diese Verbindung mehr genossen hatte als Lucy und das war okay gewesen. Dennoch fühlte sie sich unter ihnen wie ein ungebetener Gast. Sie wollte das nicht mehr, auch wenn es sie unsägliche Mühe kostete, gegen die Menschen zu rebellieren, die sie am meisten liebte. Solange diese Sache zwischen Lucy und ihr nicht geklärt war, wollte sie einen Teufel tun und ihr erneut den Gefallen erweisen, das Thema totzuschweigen. Zudem hatte sie im Moment tatsächlich andere Sorgen, die Mary mehr als nur Bauchschmerzen bereiteten. Um dem Familiendrama und der quälenden Ungewissheit zu entfliehen, hatte sie sich ihre Buchhaltung vorgenommen, saß nun im Café, das geschlossen war, und arbeitete, seit die magische Uhrzeit ihres Treffens verstrichen war, konzentriert daran. 

Es war bereits dunkel, als es an der Tür klopfte und Mary draußen eine hochgewachsene Gestalt wahrnahm. Sie traute ihren Augen kaum: Es war Darrell. Sofort wurde sie unruhig. 

„Hallo Mary, sorry, dass ich so spät störe, aber … ich wollte dich, tja, um Rat fragen, schätze ich? Ach, keine Ahnung.“

„Ist was mit Lucy?“, fragte sie, als sie die Tür weiter öffnete, um ihn hineinzulassen. 

Darrell winkte lächelnd ab, während er auf sie zutrat. „Nein, ihr geht’s gut. Keine Sorge. Es ist nur … Was rede ich hier eigentlich?“ Er schnaubte und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Ich weiß, dass ihr im Moment Streit habt und … ich ahne, es liegt an mir. Oder?“ Er sah zerknirscht aus, und Mary wusste, dass er sich schuldig fühlte, genau wie sie. 

Sie seufzte. „Das ist nicht ganz richtig. Diese Sache damals vor zehn Jahren haben wir alle verbockt, wobei ich dich immer noch als unschuldig betrachte. Lucy hätte diesen dummen Plan nie aushecken dürfen, und ich … tja, ich hätte mich nicht von dir küssen lassen sollen. Dich trifft eigentlich keine Schuld, auch wenn es Lucy anders sieht.“ Es war ihr wichtig, dass er sich besser fühlte, denn sie hatte ihn reingelegt.

„Ich will nur, dass das endlich hinter uns liegt und nicht mehr zwischen uns allen steht. So wie es aussieht, bleibe ich für länger hier und möchte, dass wir diese Sache ein für alle Mal abhaken. Bitte rede mit ihr, ich weiß, sie vermisst dich schrecklich.“ Sein Blick war flehend, und es war schwer, dem gutmütigen Darrell etwas abzuschlagen.

Marys Magen zog sich schmerzhaft zusammen, weswegen sie sich von ihm abwandte und wie immer damit begann aufzuräumen. Dieses Mal waren es die verschiedenen Flyer, die im Laden auslagen, die sie neu ordnete. „Ich bin mir da nicht so sicher, und es tut mir leid, Darrell, aber dieses Mal muss Lucy auf mich zukommen. Ich kann das nicht mehr.“

„Es geht ihr im Moment wirklich schlecht, und ich mache mir große Sorgen, dass sie ohne euch und vor allem ohne dich untergeht.“

„Was könnte sie so mitgenommen haben, dass die Eiskönigin höchstpersönlich einknickt? Unser Streit kann es unmöglich sein, damit leben wir nämlich schon seit zehn Jahren.“ Marys Tonfall klang verbittert, und jedes Wort war wie ein Messerstich.

Darrell zögerte und brauchte einen Moment, ehe er antwortete: „Eure Mutter.“ 

Der Packen Flyer von Jennys Hundefriseursalon glitt ihr aus den Händen und verteilte sich zu ihren Füßen auf dem Boden. „Unsere … Mutter?“, echote sie ungläubig und wandte sich mit geschocktem Blick zu ihm um. „Das … ist unmöglich.“

„Leider nicht. Sie stand vor Kurzem einfach vor Lucys Tür und hat sie ähnlich überfallen wie ich dich gerade. Und Mary, deine Schwester ist völlig fertig seitdem. So aufgelöst hab ich sie noch nie gesehen. Sie …“ Er stockte und sah sie besorgt an. „Geht’s dir gut, Mary?“

Mary fühlte, wie Hitze in ihre Wangen kroch, ihr Magen sich umdrehte und die Übelkeit so heftig zurückkehrte, dass sie bloß noch zum Schirmständer in der Ecke eilen konnte, in den sie sich erbrach. Ehe sie sich beschämt wieder aufrichten konnte, spürte sie schon Darrells Hand auf ihrem Rücken, der sich besorgt neben sie gekniet hatte.

„Hey … nimm das hier.“ Er reichte ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich den Mund abwischen konnte, und beim Blick in seine mitfühlenden Augen wurde ihr klar, wie furchtbar einsam sie war. „Was ist mit dir los? Bist du krank?“

Da füllten sich ihre Augen mit Tränen, und alles brach aus ihr heraus. „Oh, wäre ich nur krank! Warum kann ich nicht bloß eine Grippe haben und der Spuk am Ende der Woche vorbei sein!? Ich wünschte, mein Leben würde einfach weitergehen, meinetwegen ohne jegliches Abenteuer, aber bitte nicht so.“

„Was meinst du damit? Langsam mach ich mir Sorgen!“ 

„Ich glaub, ich bin schwanger.“ Mary atmete erleichtert aus, während ihre Hände nervös an ihrem Taschentuch nestelten.

Darrells Augen weiteten sich, und er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu sammeln. „Ich … äh … wusste gar nicht, dass du einen Freund hast.“

„Hab ich auch nicht.“ Mary schniefte. „Das ist ja das Furchtbare. Ich hab keine Ahnung, wer der Vater ist. Ich … bin ein zügelloses Flittchen und bekomme nun meine Strafe dafür.“

Da lachte Darrell, und Mary wusste nicht, ob sie beleidigt sein oder mitlachen sollte. Sie musste ein mitleiderregendes Bild abgeben. „Du bist sicher nicht zügellos und schon gar kein Flittchen.“

„Woher willst du das so genau wissen?“, entfuhr es ihr schnippisch. „Du bist eine Ewigkeit fort gewesen!“ Sie schniefte in ein weiteres Taschentuch, das er ihr gereicht hatte.

„Glaub mir einfach! Nach meiner Zeit als PR-Manager für Jake kenne ich den Unterschied sehr genau.“ Er zwinkerte ihr gut gelaunt zu und fügte eilig hinzu: „Das war natürlich vor Emily.“

„Jake … dieser … Idiot. Was denkt er sich nur! Er ist an allem schuld. Hätte er nur nicht den Ball gegeben, wäre das nie passiert.“

„Wieso?“, fragte Darrell vorsichtig, setzte sich nun ebenfalls auf die kühlen Fliesen im Eingang des Cafés und schien alle Zeit der Welt zu haben.