Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In einer Welt, die von Chaos und Verlust geprägt ist, erzählt eine alte Überlebende ihre Geschichte. Mit jedem Wort entfaltet sich das Bild einer vergangenen Zeit, in der Hoffnung und Verzweiflung Hand in Hand gehen. Durch ihre Erinnerungen und die eindringlichen Zwischentexte wird der Leser in die Tiefe ihrer Seele gezogen. Was bedeutet es, zu überleben, wenn die Welt um einen herum zerbricht? Begleite sie auf ihrer Reise durch die Schatten der Vergangenheit und die Herausforderungen der Gegenwart, während sie versucht, einen Sinn in dem zu finden, was geblieben ist.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 308
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Karin Ihlenfeld
Chronik der Überlebenden
Teil 1Wenn der Himmel bricht
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Prolog
1. Liljana
2. Am Feuer
3. Katja erzählt (Die Jahre 2024 – 2027)
4. Jonas
5. Fremdlinge
6. Soras Geschichte
7. Neuigkeiten
8. Katja erzählt (Die Jahre 2027 – 2028)
9. Abschied
10. Jonas
11. Erinnerungen
12. Jonas
13. Miriam
14. Miriams Geschichte
15. Liljana
16. Jonas
17. Bei Miriam
18. Liljana
19. Jonas
20. Im Steinkreis
21. Katja erzählt (Das Jahr 2028)
22. Liljana und Janos
23. Bina und Andros
24. Der Vulkan
25. Bei Liljana
26. Katja und Miriam
27. Am Ufer
28. Katja erzählt (Das Jahr 2028)
Danksagung
Nachwort
Impressum
Vorwort
Dieses Buch handelt vom Einschlag eines Meteors auf unsere Erde – ein Szenario, das jederzeit Realität werden könnte. Was würde dann ausgelöscht? Wäre es alles Leben auf unserem Planeten, oder gibt es vielleicht doch einen Funken Hoffnung? In meinem Roman überlebt eine Gruppe von Menschen, und ihre Geschichte erzählt von ihrem Überlebenskampf inmitten dieser Katastrophe. Ich habe versucht, mich an einige Originalschauplätze zu halten, auch wenn mir das nicht immer gelungen ist. Doch als Autor habe ich die Freiheit, kreativ zu sein und die Geschichte so zu gestalten, wie sie es braucht.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und hoffe, dass Sie in dieser Geschichte sowohl Spannung als auch Hoffnung finden. Vielen Dank, dass Sie sich auf diese Reise mit mir begeben!
Ihre Karin Ihlenfeld
Prolog
Seit Millionen von Jahren kreisen die beiden riesigen, fast gleichgroßen Planeten um ihr Zentralgestirn. Die rote Sonne ist zu weit von ihnen entfernt, um Wärme zu spenden. Fast sieben Jahre benötigen sie für einen Umlauf, der eine etwas mehr, der andere etwas weniger. Keine Atmosphäre, kein Wasser, nur kalter Stein. Viele Einschlagskrater zeugten von einer turbulenten Vergangenheit. Tiefe Schluchten hatten sich gebildet in denen tiefschwarze Finsternis herrschte. Kein Lichtstrahl erhellte diese Tiefen. Ein Ring von Meteoriten umkreiste den einen etwas kleineren Planeten. Den anderen, der eine etwas eiförmige Gestalt hatte, umliefen zwei Monde. Schon bei der Entstehung dieses Sonnensystems wurde der Grundstein für die Zerstörung der Zwillingsplaneten gelegt, denn mit jeder Umkreisung ihrer Sonne kamen sie sich näher. Nun ist es soweit, sie stoßen mit unvorstellbarer Kraft ineinander. Beide Planeten explodieren und eine gigantische Trümmerwolke aus großen und kleinen Gesteinstrümmern breiten sich im Weltall aus. Jedes Teil bekommt seine eigene Bahn und vielleicht vereinigen sie sich im Lauf der Zeit wieder zu einem Himmels-körper. Ein Brocken, größer als unsere Erde, verlässt sein eigenes Sonnensystem, nimmt Kurs ins unendliche All und wird zu einem einsamen Wanderer zwischen den Sternen.
Auf der Erde haben sich in den warmen Urmeeren die ersten primitiven Lebewesen entwickelt.
Schon seit Ewigkeiten ist unser Wanderer nun unter-wegs. Doch so einsam ist es im Weltall zwischen den Sonnensystemen gar nicht. Mehrmals ist er Meteoriten aus Stein oder Eis begegnet. Manchen in einiger Entfernung, doch große und kleine Einschlagkrater bezeugen, dass einige mit ihm kollidiert sind. Zweimal waren die Treffer so stark, dass sie seinen Kurs änderten und ihn in eine andere Richtung zwangen. Beinahe hätte der Gasplanet einer blauen Riesensonne den Wanderer eingefangen. Gerade noch so konnte er seiner Anziehungskraft entkommen, aber wieder wurde seine Richtung geändert.
Auf allen Kontinenten haben die Dinosaurier die Herrschaft übernommen.
Immer noch ist Wanderer auf seinem Weg zwischen den Sonnen unterwegs. Sein Erscheinungsbild hat sich geändert. Er ist kleiner geworden. Der Zusammenprall mit einem Kometen aus Eis ist schuld daran, ein Teil seiner Felsmasse wurde abgesprengt. Nun taumelt er durchs All und ein Schwarm aus Gesteinstrümmern und Eisbrocken begleiten ihn.
Ein Meteorit von riesigen Ausmaßen ist auf die Erde gestürzt und hat das Leben der Saurier ausgelöscht. Der Weg zur Weiterentwicklung der Säugetiere ist so-mit frei.
Wieder sind Jahrtausende vergangen und immer noch trudelt unser Wanderer durch die Weiten des Welt-raums. Beim Durchqueren einer kosmischen Staubwolke hat er seine Begleiter verloren. Sein Weg führt ihn zu einer einsamen rötlichen Sonne, ob er dort eine neue Heimat findet und ihr Satellit wird?
Auf der Erde haben sich Primaten entwickelt. Das Klima hat sich geändert, es ist trockener geworden. Die dichten Urwälder sind verschwunden und weite Savannen mit einzelnen Baumgruppen haben ihren Platz eingenommen. Große Herden von Pflanzenfressern durchstreifen die hohen Gräser. Um Nahrung zu finden, haben die ersten menschenähnlichen Affen die Bäume verlassen. Sie gehen aufrecht auf zwei Beinen.
Die einsame Sonne hat den Wanderer wieder aus ihrer Umlaufbahn herauskatapultiert. Nun ist er noch schneller unterwegs. Und nach vielen Jahrtausenden begegnet er einem anderen Meteoriten, der genau wie er einsam seine Bahn durch die endlosen Weiten des Alls zieht. Es kommt zur Kollision. Wanderer übersteht den Zusammenprall. Er hat zwar an Masse verloren, aber nun taumelt er nicht mehr. Von dem anderen Meteoriten sind nur Trümmer übrig, die nun Wanderer umkreisen, wie Planeten eine Sonne.
Homo Sapiens, der Mensch, hat den afrikanischen Kontinent verlassen und besiedelt die ganze Erde.
Nach und nach stürzen die Gesteinstrümmer, die Wan-derer umkreisen, auf seine Oberfläche. Wieder ist er Jahrhunderte allein.
Amerika wurde von Christoph Kolumbus entdeckt. Europäer siedeln auf dem Kontinent und bekämpfen die Ureinwohner.
Ein Sonnensystem mit acht Planeten liegt nun vor dem einsamen Wanderer. Die gelbe Sonne funkelt in weiter Ferne, als würde sie ihn anlocken.
Tausende Japaner sterben beim Abwurf der beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.
Vor Wanderer taucht eine riesige Wolke aus Gesteins-, Staub- und Eisbrocken auf, die das Sonnensystem wie eine Schale umgibt, die Oortsche Wolke Ein gefährlicher Weg!
Am 5. November 1977 wird auf Cape Canaveral in den USA die Raumsonde Voyager1 gestartet.
Immer wieder wird Wanderer von großen und kleinen Brocken beim Durchqueren der Oortschen Wolke getroffen und seine Größe nimmt ab.
Voyager1 hat das Sonnensystem durchflogen und be-findet sich im Kuipergürtel außerhalb der Neptun-bahn, also fast im interstellaren Raum.
Wanderer ist nun wie die Raumsonde im Kuipergürtel. Hier kreisen tausende Asteroiden, viele mit über ein-hundert Kilometer Durchmesser, wie die Planeten um die Sonne. Doch Wanderer wird nur den Gürtel streifen, ein kleinerer Brocken hat seine Flugbahn geändert und diese wird ihn wieder in den leeren Raum zwischen den Sternen führen.
Doch die Bahnen von Wanderer und Voyager1 führen genau aufeinander zu. Mit voller Wucht trifft die Raumsonde den riesengroßen Felsbrocken, der ein-mal Teil eines Planeten war. Die Aufschlagkraft ist so stark, dass Voyager1 total zerstört wird.
Wanderer zerbricht, drei riesige Gesteinsbrocken und eine Wolke aus Geröll und Staub nehmen einen Kurs, der genau ins Zentrum des Sonnensystems führt. Der Rest entschwindet im weiten All.
Auf der Erde wartet man umsonst auf Signale von der Raumsonde, denn Voyager1 existiert nicht mehr.
1. Liljana
15.Juni 2086
Der Himmel über ihrem Kopf war dunkel, fast schwarz. Doch es blinkten so viele Sterne dort oben, dass sie nicht zu zählen waren. Manchmal sausten Sternschnuppen einzeln oder in Gruppen vorüber. Lautlos verglühten sie in der Atmosphäre. Doch manchmal waren sie größer, grell leuchtend und mit einem lauten Zischen stürzten sie zur Erde. Entweder sie explodierten noch in der Luft oder bohrten sich tief in den Boden, wo sie einen Krater hinterließen. Das geschah aber nur noch selten. Zu früheren Zeiten war das oft geschehen, dann brachten sie Zerstörung und Verderben. Liljana lag auf dem Rücken im sich leise wiegendem Gras. Es war ein warmer Sommerabend, nur das laute Zirpen der Grillen störte die Stille. Doch das Mädchen hörte sie nicht, sie träumte davon, wie es wäre zu den Sternen zu fliegen. Ob sie heiß waren? Brannte ein Feuer in ihnen? Von hier unten sahen sie klein aus und ihr Blinken erschien kalt. Sie glitzerten wie Eiskristalle im Reif, der sich in einer eisigen Nacht über alles legte. Ihre Urgroßmutter hatte erzählt, dass vor langer Zeit Menschen in Raketen zu den Sternen geflogen waren. Sogar auf dem Mond sollen sie herumgelaufen sein. Aber das waren sicher nur Geschichten oder Märchen, die man sich abends am Feuer erzählt. Eigentlich müsste sie längst zu Hause sein. Ihre Mutter mochte es nicht, wenn sie im Dunkeln noch unterwegs war und würde sich sicher Sorgen machen. Ach es war so schön hier! Etwas kitzelte das Mädchen an der Stirn und als sie mit einer Handbewegung darüberstreichen wollte, wurde ihre Hand gepackt. Erschrocken wollte sie aufspringen, stieß mit ihrem Kopf an etwas Festes und jemand stöhnte laut auf.„Verdammt, du hast mir bestimmt die Nase gebrochen!“ An der Stimme erkannte sie Jonas, den Jungen, der ihr seit einiger Zeit nachlief und schöne Augen machte. „Dann komm,“ forderte Liljana ihn auf „lass uns zum Feuer gehen, damit ich nachschauen und dir jemand helfen kann.“Schon wollte sie aufstehen, doch Jonas hielt sie fest und drückte sie mit seinen kräftigen Händen ins raschelnde Gras. Er hatte ihre Arme gepackt und beugte sich zu ihr herab, so dass sie seinen Atem spüren konnte. Liljana versuchte ihn abzuschütteln, doch je mehr sie sich wehrte, desto fester wurde sein Griff. Schon stiegen ihr Tränen in die Augen, ihr Hals war wie zugeschnürt, sie konnte kaum atmen, schon gar nicht um Hilfe rufen. Hier draußen hätte sie sowieso niemand gehört. „Ich wüsste, wie du mir die Schmerzen nehmen kannst.“ Seine Stimme klang heiser und er presste seine Lippen auf ihren Mund. Zuerst wehrte sie sich gegen seine Zudringlichkeit, doch nach einer Weile erwiderte sie seine Küsse. Er ließ ihre Arme los, schob seine Hände unter ihre Bluse und umfasste die kleinen festen Brüste. Mit kleinen Stoßseufzern drückte sie sich fester an ihn. In ihrem Leib entzündete sich ein heißes Feuer, wie sie es noch nie erlebt hatte. Und sie war nah dran, sich ihm ganz hinzugeben. Doch als er seine Hand zwischen ihre Schenkel schob, würde ihr mit einem Mal klar, was nun geschehen würde. Dazu war sie aber noch nicht bereit. Mit einem Stoß schubste den Jungen von sich, sprang auf und rannte davon.
2. Am Feuer
15. Juni 2086
Ein großes Feuer erhellte den kleinen Platz am Ufer des Meeres. Das Wasser bewegte sich kaum, nur ab und zu rollte eine Welle auf den Strand. Funken flogen auf, wenn die Holzscheite zusammenfielen. Es sah aus, als würden sie zu den funkelnden Sternen am Himmelszelt aufsteigen, um sich ihnen dazu zugesellen. Doch dann verschwanden sie in der Dunkelheit und erloschen. Als jemand Holz auflegte loderte das Feuer wieder auf und der Funkenreigen begann von neuem. Bänke waren um die Feuerstelle aufgestellt, mit Decken und Fellen bedeckt. Die Nächte waren empfindlich kalt und hier dicht am Wasser stieg schnell Nebel auf. Seine Schwaden hüllten alles ein und dämpften jedes Geräusch. Doch am Feuer war es gemütlich, in wärmende Kleidung gehüllt saßen die Bewohner der kleinen Siedlung und sangen Lieder oder erzählten sich Geschichten. Am liebsten hörten sie sich die Erzählungen von Katja an, die eine von den Ältesten war. Von weit her war sie mit ihrer Familie gekommen und scheinbar aus einer anderen Zeit. Viele von ihren Geschichten schienen den Menschen Märchen zu sein. Aber sie hörten ihr gern zu, es war ein schöner Zeitvertreib. Vor allem die Kinder hingen wie gebannt an ihren Lippen, wenn Großmutter Kati, wie sie allgemein genannt wurde, erzählte, und viel Mühe kostete es die Mütter ihre Sprösslinge ins Bett zu bekommen. Am Morgen hatte es ordentlich geregnet, der Wind hatte mächtige Schaumkronen tragende Wellen aufgetürmt und vom Meer zum Strand getrieben. Doch über die Einfriedung aus aufgeschichteten Steinen schafften sie es nicht und der Bereich um die Feuerstelle blieb trocken. Mittags verzogen sich die Wolken, eine blasse Sonne schien. Es sah aus, als hätte sie einen Schleier um sich gelegt. Die Menschen gingen wieder ihrer gewohnten Arbeit nach. Die Tiere mussten gefüttert, die Ziegen gemolken und die kleinen Felder bestellt werden. Nun am Abend trafen sie sich wieder am Feuer. „Großmutter,“ bettelte die kleine Mira „erzähl uns doch bitte die Geschichte, wie der große Stein vom Himmel fiel!“ Einige schmunzelten, sie hatten diese Erzählung schon oft gehört. „Na gut,“ sagte die alte Frau „dann pass gut auf, damit du sie später deinen Enkeln erzählen kannst. Niemals wollen wir vergessen, was geschah und wie wir hierherkamen.“ Doch bevor sie beginnen konnte, kam Unruhe auf. Aus dem Dunkel der Wiesen tauchte eine Gestalt auf. Erst als sie sich dem Lichtkreis näherte, erkannten sie, dass es Liljana war. Ihre Mutter winkte sie zu sich und sah sie stirnrunzelnd an. Sie zupfte ihr ein paar Grashalme aus dem zerzausten Haar. „Wo kommst du denn her, im Dunkeln solltest du hier sein. Wer weiß, was sich dort draußen herumtreibt!“ Das Mädchen rollte mit den Augen. „Sterne gucken war ich!“ Dabei errötete sie, was ihre Mutter zum Glück nicht sehen konnte. Nur die alte Katja bemerkte es, sie rief Liljana zu sich. „Komm, setz dich zu mir.“ Sie legte den Arm um das Mädchen und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Verlegen blickte diese zu Boden, doch nun begann Katja mit kräftiger Stimme ihre Erzählung und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Liljana war vergessen und alle hingen wie gebannt an ihren Lippen.
3. Katja erzählt 15.Juni 2086
Die Jahre 2024 – 2027
Viele Jahre ist es nun her, dass unsere Erde von einem Meteoriten beinahe zerstört und fast alles Leben auf ihr ausgelöscht wurde.Riesige Felsbrocken, hoch wie Berge, stürzten vom Himmel herab. Wir haben nicht gesehen, wo die einzelnen Teile aufgeprallt sind, sonst würden wir sicher nicht mehr leben. Doch die Folgen der verheerenden Einschläge und Explosionen konnten wir bis in unseren Unterschlupf spüren. Zur Zeit der Katastrophe befanden wir uns irgendwo in den rumänischen Karpaten in einem alten Bergwerkstollen. Dort hofften wir aufs Überleben. Es war, als würde sich die gesamte Erde aufbäumen. Ganze Felswände stürzten in die Tiefe und begruben alles unter sich. Dann kamen die Stürme, die alle Bäume wie Streichhölzer umknickten. Tagelang tobten riesige Feuer, immer wieder fielen große und kleine glühende Gesteinsbrocken in unserer Nähe herab. Der Himmel verdunkelte sich für viele Wochen und es wurde erbärmlich kalt. Immer wieder bebte die Erde. Flüsse veränderten ihren Lauf. Wassermassen verwüsteten ganze Landstriche. Vulkane brachen aus und ihre Lava bedeckte meterhoch das Land. Wir haben dieses Chaos überlebt, Familienangehörige und lieb gewordene Freunde verloren. Doch wir mussten stark sein und uns eine neue Existenz aufbauen, damit unsere Kinder eine Zukunft haben. Ich habe mir damals vorgenommen irgendwann alle Geschehnisse aufzuschreiben. Doch dazu war nie Zeit und heute bin ich zu alt, meine Hände zittrig und die Finger steif. Außerdem haben wir kein Papier und nur wenige noch können lesen.
Darum müsst ihr gut zuhören, um alles später euren Kindern und Enkelkindern zu erzählen und diese wiederum ihren Nachkommen. Niemals soll vergessen werden, wo wir herkamen und warum wir jetzt hier leben, an den Ufern des Schwarzen Meeres. Dieses Meer sieht heute ganz anders aus als vor vielen, vielen Jahren. Mehrere Flüsse brachten ihr Wasser hierher und sorgten dafür, dass der Wasserstand immer gleichblieb. Städte und Dörfer standen an seinen Ufern. Verschiedene Völker lebten hier. Nicht immer vertrugen sie sich miteinander, dann gab es Krieg. Jeder wollte mehr Land sein Eigen nennen. In diesen Kriegen starben viele Menschen. Auch gab es viele schlimme Krankheiten, die viele Tausende dahinrafften. Die letzte große Seuche hieß Corona, sie hatte sich über alle Kontinente ausgebreitet. Durch den Meteoriteneinschlag hat sich alles verändert. Es gibt wahrscheinlich nicht mehr viele Menschen auf der Erde, jedenfalls sind wir nur wenigen auf unserer Wanderung hierher begegnet. Einige haben sich uns angeschlossen, andere waren bösartig, wollten uns berauben oder sogar töten. Wir müssen zusammenhalten, nur so sind wir stark genug. Anfang Mai 2024 entdeckte ein Astronom in einem Observatorium in den peruanischen Anden einen neuen Himmelskörper. Wie sich herausstellte, handelte es sich um einen bisher unbekannten Meteorit. Dieser flog mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch unser Sonnensystem. Ob er auch in Erdnähe vorbeifliegen würde stand noch nicht fest. Sie hatten ihn MYSTERIE genannt, weil niemand genau sagen konnte, aus welcher Region der Milchstraße er kam. Im Fernsehen wurde auf allen Sendern davon berichtet und die Zeitungen waren voll mit dem Thema. Es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass so ein Himmelskörper dicht an der Erde vorbeifliegt. Es hieß „Macht euch keine Sorgen, die Sonne wird ihn anziehen und er wird in ihr verglühen oder sie wird ihm eine neue Flugrichtung geben und aus unserem Sonnensystem hinauskatapultieren.“ Würde ja auch noch über zwei Jahre dauern, bis er, wenn überhaupt, den erdnahen Raum erreichen würde. So wurde die Menschheit beruhigt. Es gab ja auch genug andere Sachen, um die man sich Sorgen machen musste. Da war der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, Israel bombardierte den Gazastreifen. Auch in anderen Regionen im Nahen Osten brodelte es, meistens ging es um Glaubensfragen. Dann war da die Erderwärmung und der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels. Gletscher schmolzen, auch die Eismassen an den Erdpolen schmolzen. Viele Inseln und Regionen, die direkt am Wasser lagen, drohten überflutet zu werden. Es gab viele Flüchtlinge, die in ein sicheres Gebiet wollten. Aus den heißen Zonen um den Äquator flüchteten sie genauso, weil das Wasser knapp wurde. Viele verhungerten dort, vor allem Kinder. Und als wäre das noch nicht genug, kam die Coronaseuche. Wahrscheinlich waren die Erreger aus einem geheimen Labor entwichen. Diese befielen die Lungen der Menschen und viele Alte und Kranke starben daran. Es stand ziemlich schlecht um die Menschheit, alle Ressourcen, ob Kohle, Erdöl und vieles andere wurde rücksichtslos geplündert. Im Urwald am Amazonas wurden Bäume gefällt, riesige Waldgebiete fielen Brandrodungen zum Opfer. Etliche Tierarten verloren ihren Lebensraum, zogen sich in die wenigen verbliebenen intakten Wälder zurück oder starben aus. So vieles ging unwiderruflich verloren. Obwohl sich viele Stimmen erhoben, um der ganzen Situation Einhalt zu gebieten, änderte sich nichts an der ganzen Situation. Vielleicht musste wirklich erst eine Katastrophe hereinbrechen, um dem ein Ende zu bereiten.
Eines Tages kam mein Mann Martin mit einem Teleskop nach Hause.„Schau mal Kati, was ich mitgebracht habe!“ sagte er zu mir „Wir werden jetzt zu Astronomen und suchen am Sternenhimmel nach bisher unbekannten Himmelskörpern. Dann werden wir auch berühmt. Einen Namen darf ich diesem Objekt auch geben. Vielleicht nehme ich deinen?“Beide brachen wir daraufhin in Lachen aus und unsere Zwillinge schauten uns fragend an, was denn so lustig sei. Tobias und Miriam waren zwar noch nicht vier Jahre alt, aber verstanden schon, um was es ging, als ihr Vater versuchte ihnen alles zu erklären. Sie waren sofort begeistert und wollten mit ihrem Papa „Sterne“ gucken. Beide machten traurige Gesichter, weil sie noch bis zum Abend warten mussten, denn erst wenn es dunkel wird, leuchten die Sterne am Firmament. Ich weiß noch, es war der zweite Juni und wie die Kinder weinten, dicke Wolken bedeckten den Himmel und es regnete beim Anbruch der Dunkelheit in Strömen. So mussten wir sie auf „Morgen“ vertrösten. Aber es dauerte dann doch noch bis zum Wochenende bevor meine Familie auf der Terrasse sitzen konnte und zu Sternguckern wurde.
Es dämmerte und die Kinder entdeckten den ersten Stern. So aufgeregt hatte ich sie schon lange nicht mehr erlebt. Martin hatte seine liebe Not mit den Beiden, denn jeder wollte zuerst durchs Teleskop gucken. Dann war auch noch der Mond zu sehen, na das war eine Sensation!„Wie kommt der Mond an den Himmel?“ und „Kann der runterfallen?“ oder „Wohnen da auch Leute?“Mit solchen Fragen löcherten sie uns. Sie waren kaum zu bremsen und als wir sie endlich ins Bett gebracht hatten, konnte ich auch mal zu den Sternen sehen. Keine Wolke war am Himmel und das weite Band der Milchstraße leuchtete in seiner ganzen Pracht.„Da ist er,“ sagte mein Mann „da links vom Mond. Er ist etwas heller als alle anderen Sterne.“Martin legte seinen Arm um meine Schulter und zeigte mit seiner anderen Hand zum Himmel. Ich schaute durchs Teleskop, ja, der Meteorit funkelte hell wie ein Stern, größer und heller, aber auch irgendwie schön. Gefährlich schön, dachte ich.„Haben Meteoriten nicht einen Schweif?“„Ja, aber er ist noch zu weit weg, um ihn zu sehen.“Dann fiel eine Sternschnuppe zur Erde, dann noch zwei. Wie kleine Diamanten blitzten sie auf, bevor sie verglühten.„Hast du sie gesehen?“ flüsterte mir Martin ins Ohr.„He, du musst dir etwas wünschen! Solche Wünsche sollen angeblich in Erfüllung gehen.“Als er antworten wollte, legte ich einen Finger auf seinen Mund und schüttelte den Kopf.„Nein, nicht laut sagen, sonst wirkt es nicht!“
Noch lange saßen wir eng umschlungen auf der Terrasse unseres Hauses. Immer wieder fielen lautlose Sternschnuppen herab, manchmal einzeln, oft aber auch in Schwärmen. Mysterie war in dieser Zeit schon ein Stückchen über den Himmel gewandert. Ab und zu sahen wir nach den Kindern. Die schliefen aber ganz ruhig und träumten sicher vom Mond und den Sternen. In dieser Nacht liebten wir uns und Martin war besonders zärtlich zu mir. Ich glaube dabei ist unser drittes Kind gezeugt worden. Ob es der Sternschnuppenwunsch meines Mannes war, hat er mir nie verraten. Immer, wenn ich ihn darauf angesprochen habe, hat er nur gelächelt. Sommer und Herbst gingen vorbei. Von dem Meteorit wurde kaum noch geredet, denn der würde an der Erde vorbeifliegen um dann in den Weiten des Alls zu verschwinden. Mein Leib schwoll immer mehr an und würde auch im kommenden Jahr verschwunden sein. Wir erwarteten unser drittes Kind. Die Zwillinge fanden es faszinierend, wie sich das Baby in mir bewegte. Manchmal legten sie ihr Ohr auf meinen Bauch und konnten das kleine Herzchen pochen hören. Bereits Anfang Dezember gab es starken Frost. Zum Jahreswechsel schneite es zur Freude der Kinder so viel, dass Martin den Schlitten aus dem Keller holte und mit ihnen zum Rodeln ging. Ein großer Schneemann stand bis Osten im Garten. Der trug meinen Strohhut und hielt einen Besen im Arm.
Am 28.Februar 2025 wurde unser Sohn Michael geboren. Miriam hatte sich eigentlich ein Schwesterchen gewünscht, aber als sie den Kleinen das erste Mal im Arm halten durfte, war sie überglücklich und wollte ihn kaum wieder hergeben. Und Tobias war nun der stolze große Bruder. Für unsere Eltern war es das fünfte Enkelkind. Meine jüngere Schwester hatte auch schon zwei Mädels, Biggi und Angela, drei und acht Jahre alt. Martins Brüder Tom und Marcel, achtzehn und sechzehn, gingen noch zur Schule. Sie wurden immer wegen dem Altersunterschied zu Martin geneckt und die Nachzügler genannt. Ach, war das immer ein Trubel, wenn die ganze Familie zusammenkam. Da wir ein Haus mit einem großen Garten hatten, trafen sich alle bei uns. Und so war es auch am fünften Geburtstag unserer Zwillinge. Der 30.Mai war ein schöner sonniger Tag. Alle waren fröhlich, es gab leckeren Kuchen und am Abend wurde gegrillt. Als die Kinder endlich im Bett lagen, saßen die Erwachsenen noch bei einem Glas Wein auf der Terrasse. Unsere Blicke richteten sich immer wieder zu Himmel, wo der Meteorit mit bloßem Auge erkennbar war. In den letzten Monaten war er gewachsen und leuchtete viel heller als alle Sterne in seiner Nähe.„Und wenn er nun nicht an der Erde vorbeifliegt?“Alle schauten entsetzt zu Marcel und mein Schwiegervater brummte ihn an „Nun hör aber auf! Mach doch die Leute nicht verrückt mit deinem blöden Gequatsche. Du weißt genau, was die Berechnungen der Astronomen ergeben haben und die müssen es wohl wissen. Sind ja schon öfter solche Dinger an der Erde vorbeigeflogen und nichts ist passiert!“„Zur Zeit der Dinosaurier ist aber so einer runtergefallen, so dass die Viecher ausgestorben sind!“ Marcel stand wütend auf und ging ins Haus. Damit war das Thema abgehakt, aber bei vielen blieb ein mulmiges Gefühl zurück. Und mit der Gemütlichkeit war es auch vorbei. Es kam kein richtiges Gespräch mehr zustande, so verabschiedeten sich nach und nach alle. Tanja, meine Schwester, war die letzte. Sie blieb immer bei uns, wenn ihre Kinder hier schliefen, so wie heute. Oft war sie traurig, hatte kurz vor der Geburt ihrer jüngsten Tochter ihren Mann bei einem Verkehrsunfall verloren. Als die anderen alle gegangen waren, fing sie an zu weinen.„Was ist, wenn Marcel Recht hat und der Meteorit nun doch vom Himmel fällt?“„Du hast doch gehört, was Opa gesagt hat. Er fliegt vorbei und irgendwann redet niemand mehr davon. Steht vielleicht mal was in den Geschichtsbüchern darüber.“ Doch ich blickte nochmal heimlich zum Himmel. Später musste ich oft an diesen Abend denken. Wie Recht Marcel hatte!
----------------------------------------
Die alte Frau hatte vom langen Reden einen trockenen Hals bekommen. Ein Hustenanfall schüttelte ihren h hageren Körper. Jemand brachte ihr einen Becher mit Tee und sie bekam ein Schultertuch umgelegt.Wollen wir für heute Schluss machen?“ fragte ihre Tochter Miriam „Du siehst erschöpft aus.“Doch Katja schüttelte den Kopf. „Nein, es geht schon wieder. Die Erinnerungen sind so stark in mir, dass ich erzählen muss!“Sie nahm noch einen Schluck aus ihrem Becher, dann fuhr sie mit ihrer Erzählung fort.
----------------------------------------
Wieder hatte ein neues Jahr begonnen. Es gab nur wenig Schnee, war also nichts mit Schlitten fahren. Der Meteorit wuchs und war nun schon größer als all die Sterne am Himmel. Wenn die Nächte richtig sternenklar waren, schauten wir durch unser Teleskop.„Irgendwie sieht der Meteorit komisch aus.“ sagte ich zu Martin „Als wenn er aus mehreren Teilen besteht.“Aber wir gingen nicht weiter darauf ein, denn Miriam rief nach mir und ich lief ins Haus.
Es wurde Frühling, alles grünte und blühte. Die ersten Bienen summten um die Blüten, suchten nach Nektar. Die Kinder entdeckten einen kleinen blauen Schmetterling, der sich einfach nicht fangen lassen wollte. Unser Kleiner stapfte nun auch schon auf wackeligen Beinchen durch die Gegend. Martin behauptete, dass er das Wort „Papa“ gesagt hätte, aber dazu gehörte doch eine ganze Menge Phantasie. Für die Zwillinge würde im Herbst ein neuer Lebensabschnitt beginnen, sie sollten ab September zur Schule gehen. Also wollten wir vorher nochmal in den Urlaub fliegen.
Von einem Tag zum anderen änderte sich plötzlich alles. Nichts sollte bleiben, wie es war. Der Meteorit nahm doch Kurs auf die Erde! Er würde nicht an ihr vorbeifliegen um im endlosen All zu verschwinden. Wir brauchten kein Teleskop mehr, um ihn zu erkennen. Er war nun viel größer als alle anderen Sterne in seiner Umgebung. Was sollte aus uns werden, aus meiner Familie, aus der ganzen Welt? Kann man so etwas überleben? Die Dinosaurier sind auch ausgestorben! Endlich waren die Regierungen mit der Wahrheit rausgerückt. Fast ein ganzes Jahr lang hatten sie es schon gewusst und uns alle im Ungewissen gelassen. Einige Länder hatten sich zusammengeschlossen und versucht den Meteorit mit Raketen zu zerstören oder wenigstens seinen Kurs zu ändern, damit er nicht unseren Planeten trifft. Doch der Versuch scheiterte kläglich, es wurde noch schlimmer. Er zerbrach in viele Einzelteile, drei größere und viele kleine, die nun direkt auf die Erde zuflogen. Berechnungen hatten ergeben, wo die Einschlagstellen der großen Brocken aller Wahrscheinlichkeit nach liegen würden. Einer im Nordpolgebiet, einer im Atlantik zwischen Südamerika und Afrika, einer im Pazifischen Ozean, dort, wo die polynesischen Inseln liegen. Und der Rest? War ja auch egal, denn die großen Stücke reichten aus, um alles zu zerstören. Die gesamte Erdoberfläche wäre betroffen! Die gesamte Menschheit! Alle Tiere und Pflanzen! Ende Januar des kommenden Jahres sollte die Katastrophe über uns hereinbrechen. Jetzt war es Mitte April, also noch neun Monate bis zum Einschlag. Sollte alles Leben auf der Erde ausgelöscht werden? Vielleicht würde ja unser blauer Planet zerstört werden, einfach auseinanderbrechen?
„Bleiben sie ruhig und besonnen.“ kam es aus Regierungskreisen „Wir werden für sichere Unterkünfte sorgen.“Doch wo wollten sie alle Menschen unterbringen? Das war doch Augenwischerei, um uns ruhig zu halten. So viele Bunker konnte es doch gar nicht geben. Die da oben würden schon für sich sorgen. Und der Rest? Wo war es in so einem Fall sicher? Unruhen machten sich breit, es kam zu weltweiten Demonstrationen und Gewalttätigkeiten. Und dann gab es immer noch Menschen, die so taten, als wenn nichts geschehen würde. Vielleicht war es sogar besser so, als sich den Kopf zu zerbrechen über das Danach. Mein kleiner Micha, sollte er seinen zweiten Geburtstag nicht erleben? Und die beiden Großen freuten sich so sehr auf die Schule! Was sollte aus meiner Familie werden, aus meinen Kindern? Bedeutete es unser Ende, mussten wir alle sterben?
----------------------------------------
Wieder machte Katja eine Pause, sie trank einen Schluck Tee und blickte zum Himmel, als suche sie zwischen den Sternen nach einem nahenden Unheil. Doch dann richtete sie ihren Blick wieder auf ihre Zuhörer und ihre Erzählung ging weiter.
----------------------------------------
Nachdem wir wussten, was uns bevorstand, änderte sich vieles. Martin blieb nun zu Hause, in seinem Betrieb arbeitete niemand mehr. Die Menschen begannen Lebensmittel und andere notwendige Dinge zu horten. Wir machten es genauso. Die Supermärkte waren wie leergefegt. Überall kam es zu Plünderungen. Es herrschte Panik. Ausgangssperren wurden verhängt, niemand hielt sich dran. Jeder dachte ans Überleben, sein eigenes. Das der anderen war vielen egal. Prügeleien um alles Mögliche waren an der Tagesordnung. Auch vor Mord schreckten viele nicht zurück. Viele verließen die Städte, Autokolonnen verstopften die Straßen. Doch wo war es sicher auf unserer Erde? Es würde Erdbeben, Flutwellen, Vulkanausbrüche geben und dann die Schockwellen nach den Einschlägen. Riesige Mengen an Staub würden monatelang als dichte Wolken am Himmel bleiben und das Sonnenlicht abschirmen. Wie sollte die Natur das verkraften? Kam es erneut zu einer Eiszeit? Menschen begingen Selbstmord, andere schlossen sich Sekten an, die den Weltuntergang predigten, von Gottes Strafe und Auferstehung schwafelten. Wir konnten doch nicht einfach aufgeben. Was sollte ich meinen Kindern sagen? Sie waren noch zu klein, um das alles zu verstehen und doch spürten auch sie, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
Wir feierten den sechsten Geburtstag der Zwillinge. Ob sie noch einen erleben würden? Ich war so verzweifelt! Sie bekamen von den Großeltern Schulmappen und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut loszuheulen. Eigentlich war doch alles sinnlos geworden. Meine Mutter nahm mich beiseite und sagte „Warum willst du ihnen den Tag verderben. Sie haben sich so darauf gefreut.“ Dann lagen wir uns in den Armen und weinten.„Ich habe solche Angst.“ brachte ich hervor.„Ich auch, mein Kind, ich auch, wir alle.“
Am 22. Juni, unserem achten Hochzeitstag, brachte mir mein Mann einen kleinen Blumenstrauß. Martin nahm mich in seine Arme und nach einem langen Kuss meinte er „Lass uns Deutschland verlassen. Die Flutwelle nach dem Einschlag in der Arktis kommt garantiert bis hierher ins flache Land. Ich habe mir Landkarten angesehen, wir müssten nach Osten, Richtung Mittelasien und soweit wie möglich weg vom Meer. Also trommelten wir am nächsten Tag die Familie zusammen. Beide Omas und Opas, meine Schwester, Martins Brüder Tom und Marcel.
Alle waren mit unserem Plan einverstanden. Wir wollten weit nach Russland rein, soweit wir es schaffen würden. Vielleicht könnten die hohen Gebirgszüge und weiten Wälder die Schockwelle nach dem Einschlag etwas abbremsen. Und irgendwo in den Bergen dort, müsste es doch wohl Höhlen geben, in denen wir uns verkriechen und das Ende abwarten könnten. Und vielleicht überlebten wir so das Inferno. Über das Danach redete niemand, soweit wollten wir nicht denken. Es gab Bedenken wegen dem Krieg zwischen den Russen und Ukrainern. Da der Flugverkehr eingestellt war, mussten wir die Autos nehmen. Unsere Reise würde zwar sehr lange dauern, aber immer noch besser, als hier herumzusitzen und auf das Ende zu warten. So planten wir unsere Route durch Polen, Litauen, Weißrussland, immer weiter nach Osten.
Neun Tage später war es dann soweit, Taschen und Rucksäcke gepackt, die Reise ins Ungewisse konnte beginnen. Ich ging nochmal durchs Haus. All die vielen liebgewordenen Dinge musste ich zurücklassen. So viele schöne, manchmal auch traurige Erinnerungen verbanden sich mit ihnen. Lange stand ich an der Terassentür, blickte in den Garten mit seinen blühenden Blumenrabatten, den alten Obstbäumen, die schon kleine unreife Früchte trugen. Es würde wieder eine reichliche Ernte geben, doch leider nicht für uns, wir würden zur Erntezeit schon sehr weit fort sein. Meine Füße trugen mich zum Bach, der an unserer Grundstückgrenze munter vorbeiplätscherte. Ich balancierte über den schmalen Holzsteg, der über das kleine Gewässer führte. Meine Hände strichen über das hohe Schilfgras, das sich im Wind wiegte und leise rauschte, als wollte es mir auf Wiedersehen sagen. Bedrückt wandte ich mich um und ging mit Trauer im Herzen zu den Anderen, die vor dem Haus auf mich warteten. Wortlos nahm mich Martin in seine Arme und drückte mich fest an sich. Er ahnte, was in mir vorging, nickte nur. Sicher drehten sich seine Gedanken ebenfalls um das, was wir verlassen mussten. Meine Mutter fing plötzlich an zu weinen und wollte nicht mit. „Lasst mich hier, einer muss doch auf euer Haus aufpassen. Außerdem bin ich schon zu alt für so ein Unternehmen und würde euch nur zur Last fallen.“ Nach vielen Diskussionen und Tränen wollten dann die Großeltern alle nicht mit. Es half kein Betteln, sie ließen sich nicht umstimmen. Und dabei blieb es. Heute denke ich mir, sie hatten das unter sich abgesprochen. Tanja war in Tränen aufgelöst, sie hatte die Arme fest um unsere Mutter gelegt und wir mussten sie mit sanfter Gewalt zum Auto bringen. Auch ich heulte, bis die kleine Biggi rief „Ihr müsst doch nicht weinen, wir kommen ja bald wieder.“
Da fuhren wir endlos los und winkten solange bis wir sie nicht mehr sehen konnten. Ich werde den Anblick nie vergessen, wie die vier so verloren dastanden, am liebsten wäre ich umgekehrt! Würden wir jemals hierher zurückkehren und sie wieder sehen? Gab es dann Deutschland noch, das Haus, die Menschen hier?
---------------------------------------
Kaum jemand hatte gemerkt, dass Katja ihre Erzählung unterbrochen hatte. Jeder hing seinen Gedanken nach. Einige der kleinsten Kinder waren auf dem Schoß ihrer Mütter eingeschlafen. Holzscheite wurden aufgelegt, die Flammen loderten auf und ein Funkenreigen tanzte hoch in den dunklen Himmel. Katja fuhr mit ihrer Geschichte fort.
----------------------------------------
Nachdem wir uns schweren Herzens von unserem Zuhause und den lieben Menschen, die zurückblieben, losgerissen hatten, fuhren wir in Richtung Polen, unser Nachbarland. Trotz der langen Autokolonnen kamen wir ganz gut voran. Viele Menschen waren unterwegs, wollten sie auch „Sicherheit“ suchen? Gab es diese überhaupt noch und wenn ja, dann wo? Die Kinder merkten inzwischen, dass etwas nicht in Ordnung war und quengelten herum. Dieses ewige Herumgefahren machte ihnen keinen Spaß mehr. Als ich versuchte zu erklären, weshalb wir die Fahrt unternahmen, löcherten sie mich mit tausend Fragen. Es war nicht leicht, so zu antworten, dass sie alles verstehen konnten. Sie waren doch noch so klein. Miriam weinte „Müssen wir alle sterben, wenn der blöde Stern auf uns runterfällt?“Da weinten wir alle, was sollte ich denn antworten? Es gab ja kaum Hoffnung, vielleicht dort, wo wir hinwollte. Doch auch das war ungewiss.
Am ersten Tag schafften wir eine beachtliche Strecke, etwa vierhundert Kilometer. Die Strecke bis zur polnischen Grenze kannten wir, sind öfter zum Einkaufen hingefahren. Manchmal ging es nur im Schritttempo, so beschlossen wir auf die Autobahn zu verzichten und auf Landstraßen zu fahren. Diese waren nicht so gut ausgebaut wie bei uns in Deutschland. Unser Navigationsgerät schickte uns quer durchs Land, oft versagte es seine Dienst. Tom befragte dann sein Handy, doch oft hatten wir keinen Empfang. Wir kamen dadurch nur noch langsam voran. Wegen der Kinder machten wir oft Pausen, denn es fiel ihnen schwer, lange still zu sitzen.