4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Anna hat es nicht einfach. Ihre Stiefgeschwister machen ihr das Leben zur Hölle und verbieten ihr jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Als jedoch einer der stinkreichen Freunde in einem Penthouse eine Party schmeißt, beschließt Anna sich als Junge zu verkleiden und folgt den beiden. Den Gastgeber findet sie nicht, dafür einen frustrierten, zugedröhnten Typen auf der Toilette, mit dem sie die nächsten Stunden verbringt und sich unsterblich in ihn verliebt. Bevor sich Anna offenbaren kann, verlassen ihr Bruder und ihre Schwester die Party und sie muss vor ihnen zu Hause sein. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt – mit einem verlorenen Ring, einer wilden Taxifahrt und dem Wunsch, das Liebesmärchen wahrwerden zu lassen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Nena Siara
Cinderella Reloaded
fairy fabula
Band 3
Ashera Verlag
In der Reihe FAIRY FABULA bereits erschienen:
„Das Sternenmädchen – Die Nacht der Wünsche“ - Cat Lewis
„Feenwünsche“ – Mila Sommerfeld
„Cinderella Reloaded“ – Nena Siara
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.
Copyright © 2021 dieser Ausgabe by Ashera Verlag
Hauptstr. 9
55592 Desloch
www.ashera-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.
Covergrafik: iStock
Innengrafiken: Fotolia
Szenentrenner: Fotolia
Coverlayout: Atelier Bonzai
Redaktion: Alisha Bionda
Lektorat & Satz: TTT
Vermittelt über die Agentur Ashera
(www.agentur-ashera.net)
Inhaltsverzeichnis
Once upon a time ...
Homewalking - Anna
Penthousesitting - Magnus
Penthouseparty - Anna
Theresa
Anna
Carsharing - Magnus
Theresa
Penthouse Love - Anna
Theresa
Anna
Nachwort
Die Autorin
Once upon a time there was a man ...
… mit einer schweren Krankheit. Er liebte seine Tochter abgöttisch, aber er fürchtete um ihr Wohl, wenn er versterben sollte. Also schmiedete er einen Plan und starb. Aber der Tod gab ihm eine zweite Chance. Seine Seele war in der Lage für eine kurze Weile in andere Menschen zu schlüp-fen, um so über seine Tochter zu wachen.
And so he does ...
Homewalking
Anna
Wie ein D-Zug raste der aggressive Ton des Weckers durch meinen Schädel. Niemals würde ich mich daran gewöhnen. Fordernd, drängend, unbarmherzig und definitiv Zeit zum Aufstehen. Vor einigen Jahren hatte ich mir heimlich einen Radiowecker gekauft, um von sanften Musiktönen geweckt zu werden. Herrliche Wochen folgten. Ich konnte mich mit modernen Liedern in den Tag hineinfühlen und am normalen Leben teilnehmen. Bis ich eines Morgens versehentlich dabei wieder eingeschlafen war. Während sich mein Stiefbruder Toni maulend im Bad verkrümelte, hatte mich seine Zwillingsschwester Tanja mit Wasser übergossen, den Wecker auf dem Boden zertrümmert und mir die Hölle heißgemacht. Seitdem kontrollierte sie täglich, ob sich ihr neugekaufter Höllenwecker neben meinem Bett befand, und ich wagte nicht, ihn auszutauschen. Stillschweigend hatte ich mich in mein Weckerschicksal gefügt. Ebenso in mein Lebensschicksal, mit den nervigen zweieiigen Stiefgeschwistern und deren Mutter Theresa in der Münchner Altbaueigentumswohnung zu wohnen. Von den Annehmlichkeiten einer ausgelassenen Badsession oder Couchpizza durften nur die drei zehren.
Ich nicht.
Die Zeiger des Weckers ermahnten mich. In genau fünfundvierzig Minuten hatte ich in der Küche zu sein, um zehn Minuten später Toni seinen geliebten Matchalatte mit Hafermilch und Vanillesirup und Tanja ihren Espressolatte mit laktosefreier Milch und Kokosblütenzucker zu servieren. In ihren Lieblingstassen versteht sich. Ich schälte mich aus meinem schmalen Kojenbett, schüttelte rasch die Bettdecke und das Kissen aus und warf einen dünnen Überwurf über. Dabei dachte ich an gestern, als ich in strömendem Regen zum Bioladen laufen musste, der zwei Kilometer weit entfernt und der einzige Supermarkt war, der den gewünschten Matcha für Tonis Latte verkaufte. Wo waren in diesem Augenblick nur alle Regenschirme hin? Wohl kein Zufall, dass keiner auffindbar gewesen war. Rasch schlüpf-te ich in das angrenzende kleine Badezimmer, das ausschließlich mir zugewiesen war, und unterzog mich einer knappen Morgentoilette. Ein Blick in den Spiegel verriet, dass ich dringend meine Haare waschen musste. Die rotblonden Locken waren seit dem Regenspaziergang gestern wilder, zumal sich Theresa ereifert hatte, ich würde den guten Kirschholzboden einnässen. Statt mich meine Haare föhnen zu lassen, verlangte sie von mir, den Spaziergang mit Kojak dranzuhängen. Ihrem hinterlistigen kleinen Yorkshire-Terrier. Wenn ich irgendjemanden mehr hasste, als Tanja, dann war es dieses abstoßende Fellknäuel. Besonders, wenn es mit Darmproblemen die Luft in meiner Nähe verpestete. Kopfschüttelnd bei dem Gedanken an den gestrigen Tag, der nicht aus der Reihe fiel, und an Kojak, flocht ich deshalb das wilde Durcheinander am Kopf zu einem Zopf. Wenige Sprühstöße Rosenwasser hinter die Ohren genügten, um die Laune zu heben und mich auf den Tag einzustimmen. Trotz allem bemühte ich mich um Frieden und Liebe im Herzen, vielleicht, um mich gegen die drei Biester abzugrenzen. Weniger von Toni, der sich irgendwie aus allem raushielt, und mir gelegentlich sogar hinter dem Rücken der anderen wohlwollend begegnete. Ich wollte mich nicht vom Schicksal einschüchtern lassen. Meine Chance würde kommen. Heute, morgen oder in zehn Jahren. Wenn man schon in einem Käfig sitzt, dann ist die Tatsache, dass er aus Gold ist, nicht verkehrt. Oder?
Deshalb kniff ich mit beiden Daumen und Zeigefingern in die rosa Wangen mit den vielen Sommersprossen, die dabei zu hüpfen begannen. Nickte mir zu, als wolle ich mir selbst Mut machen, und schritt aus dem Bad. Meinem Arbeitsplatz entgegen.
Die sündhaft teure Küche war ein Traum, in dem ich täglich den Kaffee zubereitete. Eine breite und lange, schwarze Hochglanz-Marmor-Bar spiegelte den Himmel durch die Fenster. Drei – nicht vier – sündhaft kostspielige, schlammfarbene Barhocker aus Kunststoff, die mehr aufeinandergestapelten, überdimensionalen Bauklötze ähnelten, umringten den Sitzbereich. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten dort gemütliche Barhocker aus Leder mit Rückenlehne gestanden. In einem warmen Cognacton, drehbar versteht sich.
Und vier, nicht drei.
Routiniert schaltete ich die Glasspots über der Anrichte an und lief an den Edelstahlkühlschrank, der am Ende der weißen, grifflosen Schrankeinheiten die Küche begrenzte. Laktosefreie Milch, Hafermilch, den Matcha und alle anderen Zutaten waren schnell am Herd zu den gewünschten Getränken zubereitet. Mit ein wenig Glück blieb mir selbst noch genügend Zeit, neben der Zubereitung einen Espresso mit Hafermilch zu trinken.
Heute klappte es.
Tanja war die Erste, die auftauchte und sich wie selbstverständlich an die Theke setzte, und mir keine Sekunde später das Handy zuschob. Kaffeeschlürfend, während ihre blonden, aalglatten Haare rechts und links die Tasse einrahmten. „Mach mal Spotify an. Die Top 100 der Welt“, forderte sie.
„Geht’s noch. Wir sind in Deutschland. Ich möchte die Top 100 aus Deutschland hören. Und nicht diesen Amischeiß“, maulte Toni, der in diesem Augenblick auftauchte und mir als einziger einen Guten Morgen wünschte.
„Toni. Was ist das für eine Sprache?“ Ihre Mutter erschien und wies ihren Sohn zurecht. Obwohl sie seit meinem zehnten Lebensjahr mit mir zusammenwohnte, hatte sich mein Gefühl nicht geändert. Sie blieb die Mutter von Toni und Tanja und meistens nannte ich sie nur Theresa, die Stiefmutter, die ihre Stellung seit fast acht Jahren minütlich bewies.
„Entschuldigung, Mutter“, stammelte er und fuhr sich durch sein glänzendes schwarzes, nur leicht gewelltes Haar. Ich mochte Toni, behielt es aber für mich. Er hatte Stil, war still und dankbar. Theresa verbot ihm nicht, freundlich zu sein, er selbst schien aber darauf zu achten, es nicht zu übertreiben. Bei Theresa konnte man nie wissen. Sie schien alles kontrollieren zu wollen. Selbst den Grad an Höflichkeit. Deshalb gab er den Gruß stets kurz und bündig mit raschem Blickkontakt ab.
„Du weißt genau, unser Vermögen verdanken wir den Amerikanern. Schließlich hat Mikel dort seine Millionen gemacht“, ergänzte sie und brachte damit ihre Zwillinge zum Schweigen.
„Soll ich nun Musik anmachen?“, wollte ich wissen und sah die beiden fragend an. Wenn von dem Vermögen meines Vaters geredet wurde, kochte ich. Nach dem Tod meines Vaters hatte meine Stiefmutter sofort die Modekette verkauft und mir keinerlei Anteil zukommen lassen. Ich fragte mich oft, warum mir mein Vater das angetan hatte. Kann-te er Theresa so schlecht? War er von ihrer Schönheit geblendet oder sie eine teuflisch gute Schauspielerin?
Auf die Antwort wartend stand ich auf meiner Seite der Anrichte.
„Lass nur, Anna. Die beiden müssen jetzt zur Schule und sollen sich nicht davor noch mit diesem neumodischen Zeug die Ohren verderben.“
Wenn sie gewusst hätte, welche ordinären Lieder sich ihre Zwillinge tagsüber reinpfiffen, wäre sie in Ohnmacht gefallen.
Mürrisch trank Tanja ihren Kaffee leer. Toni war ein Genießer. Er nahm sich die Zeit und blätterte währenddessen in einer Modezeitschrift. Wie immer stand ich am Rand und wartete auf Wünsche. Theresa hätte hier stehen müssen und unsere Wünsche in Empfang nehmen sollen. Die Rolle der Mutter und Stiefmutter als Begleiterin brachte keinen Cent ein.
Theresa trank ihren doppelten Espresso. Genau wie ich bevorzugte sie ihn aus der Nespresso-Maschine. Irgendwann gab sie den Startschuss, bei dem ihre Zwillinge aufzubrechen hatten und zur Tür trotteten.
Sehnsüchtig sah ich ihnen hinterher. Lernen fiel mir immer leicht, aber meine Stiefmutter hatte mich nach der neunten Klasse abgemeldet, um mich dem Haushalt zu verpflichten. Obwohl ich Jahrgangsbeste war. Der Schulleiter hatte bei ihr vorgesprochen, aber Theresa hatte sie nicht erweichen lassen. Stattdessen musste sich die Schule mit den miserablen Leistungen meiner Stiefgeschwister abfinden. Mir fiel schwer zu glauben, meine Abmeldung hätte nichts mit Berechnung zu tun gehabt. Während ihrer Stieftochter die guten Noten in den Schoß fielen, musste sie die ihrer leiblichen Kinder mit Spendengeldern erkaufen. Angeblich, weil ihr die Bildung und Ausstattung der Schule am Herzen lag. Theresa war in jeder Hinsicht eine falsche Schlange. Ich kannte ihre verkorkste Seele besser und der Schulleiter war auch kein Blindgänger.
„Was ist mit dem Event am Freitag? Habt ihr euch schon überlegt, was ihr anzieht?“, säuselte sie zur Entschärfung der Stimmung, als die beiden schon die Haustür erreicht hatten. Augenblicklich blieben sie stehen und wandten sich ihr zu. Die Worte bewirkten das Gewünschte. Bei ihnen Freude, bei mir Schmerz.
„Das ist kein Event, Mutter. Das wird die Party des Jahres“, rief Tanja.
Mein Geburtstag am Tag darauf war ihnen keinen Satz wert. Schon seit Jahren wurde er ignoriert, aber dieser, mein achtzehnter, glich einem Schweigeschwur. Warum nur?
„Magnus Claasen ist umwerfend. Der Jackpot von München. Daher müssen wir perfekt aussehen“, warf Tanja schmachtend hinterher und übte eine herablassende Handbewegung über ihre Kleidung aus, die zwar wie immer kostspielig war, aber in ihren Augen niemals genügte. Tanja hatte sich gerade erst ihre Haare frisch im Balayage-Stil gefärbt. Eine Färbetechnik, bei der die Farbe für das Auge kaum wahrnehmbar fließend vom Scheitel bis zu den Spitzen heller wurde. Blond, blonder, am blödsten. Das Dyson-Glätteisen verrichtete passend dazu seinen akkuraten Dienst. Sie hatte blaue Augen, volle Lippen und eine spitze Nase. Ihre Kurzsichtigkeit war ihr zuwider, aber sie nutzte den Makel, um mit Hilfe von unterschiedlichen Brillen auf sich aufmerksam zu machen. Heute trug sie eine auffallende Hornbrille in Schwarz, die ihr einen intellektuellen Ausdruck verlieh. Den hatte sie dringend nötig, weil sie, ähnlich wie Theresa im Prinzip nur mit ihrer äußerlichen Schönheit glänzen konnte. Außerdem war Tanja ein bisschen zu klein geraten und sah daher leicht untersetzt aus. Eine Tatsache, die chronische Achtsamkeit beim Essen erforderte. Seitdem die Mode wieder hochgeschnittene Jeans erlaubte, waren diese an ihr festgetackert. Wie auch jetzt. Außerdem setzte sie mit Push-up-BHs ihren Fokus auf das obere Drittel ihres Körpers. In dem Punkt war sie pfiffig.
„Dann schlage ich vor, dass wir heute nach den Hausaufgaben in die Stadt shoppen gehen, einverstanden?“, schlug Theresa vor.
„Warum nach den Hausaufgaben? Anna kann sie für uns erledigen“, maulte Tanja und Toni stimmte nickend zu. Jetzt mochte ich ihn gerade nicht.
„Ihr habt Recht. Dann verlieren wir weniger Zeit.“ Ein befehlender Blick traf mich. Hätte sie geahnt, mir damit die größte Freude neben der tristen Hausarbeit zu bereiten, hätte sie mir das sicher untersagt. Kurzerhand schnappte ich die Hafermilch von der Anrichte, wandte mich ab und öffnete den Kühlschrank. Nicht nur, um sie zurückzustellen, son-dern, um ein breites Grinsen in den Innenraum zu entlassen, in dem es gerne einige Stunden kühlen und frischbleiben konnte.
Hausaufgaben der Zwillinge zu erledigen waren meine Sternstunden. Für wenige Momente abtauchen und lernen balsamierte die Wunden meiner Seele. Auch wenn sie, durch das Verbot an der Teilnahme von Festen, vertieft wurden. Der leidende Blick, den ich aufsetzte, nachdem ich den Kühlschrank schloss und mich umdrehte, war deshalb eine Mischung aus Trost und Schmerz zugleich. Nicht, dass ich auf Schickimicki-Partys und deren überkandidelte Gäste wert legte. Aber der Gedanke, die Wohnung als Mensch verlassen zu können, nicht als moderne Sklavin, blieb ein Traum.
„Vielleicht könnte ich dieses Mal mit?“
Anna, bist du lebensmüde?
Die Worte waren mir direkt aus dem Herzen geflossen. Erstaunte Gesichter tauchten wie runde Smileys vor mir auf. Dann änderten sie sich in höhnische, gelbe Lachmonster. Spottend und herablassend.
Super, Anna!
„Ist das dein Ernst?“ Tanjas sarkastischer Ton und ein Schritt nach vorn erstickte meinen Wunsch. Entmutigt hob ich die Schultern. Als wüsste ich selbst nicht, was ich da tat.
Meine Stiefmutter sah mir tief in die Augen. Den kalten Marmor unter meiner Hand, stützte ich mich auf, um Stellung zu beziehen. Ihr Blick verfinsterte sich. Als wolle sie ihn geradewegs in meine Seele bohren. Wenn sich Theresa unbeobachtet fühlte, entdeckte ich eine versteckte Schönheit hinter ihrer Mauer. Ohne Grund hatte sich mein Vater bestimmt nicht in sie verliebt. Theresa war in die Jahre gekommen. Sie bemühte sich, ihre klimakterischen Veränderungen mit regelmäßigen Kosmetikstudio-Besuchen und Hormonbehandlungen aufzuhalten. Mit ihren weichen Gesichtszügen und den rehbraunen Augen ähnelte sie der Schauspielerin Diane Lane. Aber irgendetwas musste die Herzlichkeit aus ihrer Seele getrieben haben. Von einem auf den anderen Moment war sie fähig, ihren Blick in den einer gefühlskalten Bestie zu verwandeln.
Ihre haselnussbraunen, schulterlangen Haare lagen wie aus Wachs gegossen. Kein Haar lockerte sich, als sie langsam am Marmor entlang auf mich zulief. Dachte sie an meinen speziellen Geburtstag? Etwa einen Meter vor mir blieb sie stehen und hob die Augenbrauen. „Geld haben wir genug, um dir etwas Passendes zum Anziehen zu kaufen.“ Ihre hohen Schuhe klackerten zuerst auf dem Fliesenboden der Küche, dann auf dem Kirschholz, als sie sich abwandte und zur Haustür lief. Aus ihrer Louis-Vuitton-Tasche zog sie ihr Portemonnaie derselben Marke und zog einen zweihundert Euroschein he-raus. Geradewegs schritt sie auf mich zu und legte ihn neben mich auf die spiegelglatte Oberfläche der Marmorbar. „Die zweihundert gehören dir, wenn du die Hausaufgaben der beiden so gut erledigst, dass sie morgen in der Überprüfung eine eins bekommen.“
Mir blieb die Spucke weg, genauso wie Tanja und Toni, die ihre Augen weit aufrissen.
Mein Blick wanderte zu dem braunen Schein, der einem Versprechen glich. „Meinst du das ernst? Ich darf mit auf die Party, wenn Toni und Tanja morgen auf die Hausaufgaben eine eins bekommen?“, wiederholte ich die Bedingungen, wie bei einem wichtigen Vertrag. Meine Freude war kaum zu überhören, und als Theresa nickte, tat ich etwas, das ich schon seit Jahren nicht getan hatte. Ich rannte förmlich auf sie zu und umarmte sie.
In den folgenden Minuten ignorierte ich die hochroten Köpfe meiner Geschwister, die sprachlos aber grummelnd vor der Tür lungerten, sie dann öffneten und diese mit einem lauten Knall beim Verlassen zuschlugen.
Ohne Abschiedsgruß für Theresa.
Mich kümmerte das nicht. Die Party hatte sich innerhalb Sekunden wie ein Wunder in mein Gehirn gebrannt und die Hausaufgaben würde ich mit links erledigen. Die Chance hatte sich wohl für die Gegenwart entschieden und nicht für eine weit entfernte Zukunft.
Wenige Minuten nach meinen Geschwistern verließ auch Theresa die Münchner Altbauwohnung. Die Zweihunderteuro heftete sie mit einem Magneten an die metallene Kühlschranktür. Durch den eleganten und klaren Möbelstil der Küche wirkte der braune Schein wie ein Schmutzklumpen. Für mich war es ein Goldklumpen, der mir die Tür zu einem einzigartigen Abend öffnen konnte, wobei mein Geburtstag in den Hintergrund trat.
Welche Arbeiten bis zum Eintreffen von Tanja und Toni zu erledigen waren, musste nicht ausgesprochen werden. Schneller wie gewöhnlich begann ich mit dem morgendlichen Prozedere. Zuerst musste Kojak an die Isar. Ich band ihm sein kostspieliges Swarowski-Halsband um den Hals, zog mir weiße Turnschuhe und meine grüne, dünne Wolljacke, die mit einem Knebelverschluss aus Leder verschlossen wurde, an und nahm ihn auf den Arm. „Ich weiß. Das gefällt dir nicht. Ich mag es genauso wenig, wie du. Aber meine Stiefmutter hat gesagt, ich soll dich zum Park tragen. Also mache ich das.“
Kojak gab einen maulenden Ton von sich, als wolle er sagen, er habe sich mit der Situation genauso wie ich abgefunden.
Der Schlüssel mit dem Plastikanhänger fand wie von selbst in meine Hand. Es war der Einzige, den ich benutzen durfte und war mit dem Wort Anna beschriftet. Solche Anhänger bekam man kostenlos beim Schlüsseldienst. Meist wurden sie für Keller oder Abstellkammern benutzt, und meine Ersatzfamilie pflegte meine Degradierung bis ins kleinste Detail zu praktizieren.
Heute war mir alles schnurzpiepe. Mit Kojak unter dem Arm marschierte ich die Treppe hinunter und verließ das Haus. Die Morgenluft war mild. Der Sommer schon einige Wochen alt und in München hatte sich eine dauerhafte Wärme eingestellt. Auf den Straßen herrschte reger Betrieb.