Fridas Tote - Nena Siara - E-Book

Fridas Tote E-Book

Nena Siara

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Beschreibung

Frida Kahlo wird als Eule wiedergeboren. Kaum hat sie sich im Kronberger Park eingenistet, endet die erste Nacht mit einer Leiche unter ihrem Baum. Plötzlich taucht Carlos, eine Eule aus dem Nachbarbaum auf, der Frida magisch anzieht. Während zahlreiche Personen einen Leichenbesuch abstatten, und entweder alle oder keiner etwas mit der Verstorbenen zu tun haben will, kommen sich die beiden näher. Von ihrem Baum aus beobachten sie Szenen, die sich nach und nach zu einem Netz von Beziehungen rund um die Tote spinnen. Frida verwandelt diese in ein Kunstwerk voller Witz und Realität und bringt dabei auf bizarre Art und Weise den Mörder ans Tageslicht.

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Nena Siara

 

 

 

Fridas Tote

 

 

Cosy Crime

 

 

 

 

 

In der Reihe CRIME TIME bereits erschienen:

 

RUF DER GEISTER – Tanja Bern; Mystischer Ruhrgebiet-Krimi

DER DON – Birgit Read; Erotischer Gran Canaria Thriller

DER PUTZTEUFEL – Katharina Hadinger; Krimi

TOD INKLUSIVE – Hrsg. Alisha Bionda; Anthologie

FRIDAS TOTE – Nena Siara; Cosy Crime

 

 

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erste Auflage im September 2022

 

 

 

 

Copyright © 2022 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: iStock

Innengrafiken: AdobeStock, Elisabeth Marienhagen

Szenentrenner: AdobeStock

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Printed by: Booksfactory

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

 

 

 

 

 

Für meine Schwester, mit der ich lachen kann,

bis der Arzt kommt.

 

Inhalt

Vorwort

Blutende Flunder

Leichen Eau d‘Oeuvre

Designermücken

Eulenmatador

Meisenstalker

Glühwürmchenconnaction

Horrorhorst

Pinkelstube à la nature

Glossar

Danksagung

Die Autorin

Vorwort

 

„Ich hoffe, der Aufbruch wird freudig und ohne Wiederkehr.“

Dieses Zitat las ich in einer bebilderten Biografie über eine Künstlerin. Dass eine Frau im Alter von siebenundvierzig Jahren sterben und niemals zurückkommen will, kann man zunächst nicht nachvollziehen. Erfährt man jedoch, dass es sich um die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo de Rivera handelt, keimt Verständnis auf.

Frida war gerade mal achtzehn Jahre, als sie Opfer eines Busunglücks wurde, bei dem sich eine Stahlstange durch ihr Becken bohrte. Sich vorzustellen, dass eine junge Frau voller Tatendrang und schöpferischer Kraft ihren Alltag in Ganzkörpergips oder Stahlkorsett liegend verbringen muss, ist beklemmend. Und doch war vielleicht eben diese kreative Kraft für ihr unvergleichliches surrealistisches Werk verantwortlich.

Der Satz blieb Tage in meinem Gedächtnis.

Mein Frida Porträt-Kissen betrachtend, suchten meine Gedanken nach einem Ausweg, einer Korrektur für das schmerzerfüllte Leben. Die Lösung bot mir schließlich das Wort Wiederkehr und ihr Zitat: „Wozu brauche ich Füße, wenn ich Flügel habe zum Fliegen!“ In mir wuchs der Wunsch, Frida Kahlos Seele wiederzubeleben und ihr die Chance auf ein neues Leben, in dem ihre Wunden heilen durften, zu kreieren. Gleichzeitig bemühte ich mich, einen Hauch ihrer Seele einzuarbeiten, indem ich ihre Kunstwerke intensiver studierte. Ich fand konträre Haltungen, Wechselbäder der Gefühle, Leidenschaft und Hass, aber vor allem fand ich Mut und Humor. Womöglich auch Sarkasmus, wenn man liest: „Ich trank, um meinen Kummer zu ersäufen, aber der Mistkerl hat schwimmen gelernt.“

Zunächst schrieb ich die Kurzgeschichte „Fridas Tode“ über ihre Begegnung mit dem Tod, die in der Anthologie „Tod inklusive“ (Hrsg. Alisha Bionda) vom Ashera Verlag zu lesen ist. Tatsächlich hält der Tod drei Optionen der Wiedergeburt für Frida bereit, und ich amüsierte mich über Fridas Gedanken, die ja auch irgendwie meine waren. Im Anschluss daran erweckte ich in diesem Cosy Crime Frida zu einem neuen Leben, in dem alle Chancen offenstanden. Um ihr Freude und Frieden zu schenken. Und Liebe. All das, was sie in ihrem Leben schmerzlich vermisst haben musste.

Aber meine Leser sollten wissen: Ich möchte mit meinem Roman nicht den Anspruch erheben, Frida Kahlos Seele in ihrer Komplexität zu kennen. Noch möchte ich den Eindruck erwecken, Frida nachzuahmen, zu kopieren oder zu verändern. Vielmehr möchte ich mich vor ihrem Schmerz verneigen und ihr für ihre großartige Kunst danken. Dies habe ich intensiver in der Danksagung am Ende eingearbeitet. Einzig und allein ist der humorvolle Roman aus meinem Wunschdenken entstanden, Frida Kahlo zu ehren, und meinen Lesern Freude über diese neue Lebenschance zu schenken. Mögen sich viele Leser amüsieren und Frida Kahlo weiterhin als unangefochtene Surrealistin der Kunstgeschichte ansehen. Und möge Frida Kahlo am Ende ihres von mir erfundenen Eulenlebens ihren Satz umdenken und von ihrer Wolke im Himmel schwebend sagen: „Ich wünsche mir einen freudigen Aufbruch mit erneuter Wiederkehr.“

Blutende Flunder

 

Vor dem Ei

 

An Wiedergeburt zu glauben, war für mich genauso skurril wie die Metamorphose meiner Gedanken in Malerei. Zu Lebzeiten schwebte ich gefühlte hundert Mal am Tor zur Hölle vorbei. Die Kombination aus den bis zum Zerreißen schmerzhaften, körperlichen Erfahrungen und den zutiefst menschlichen Enttäuschungen kamen des Teufels Kopfgeldjägern gleich. Umso skeptischer wurde ich, als mich aus dem schwarzen Nichts heraus der Tod begrüßte und mir einen Deal vorschlug. Was sich der Tod jedoch als Optionen für meine Wiedergeburt ausgedacht hatte, toppte des Teufels Plan.

Mir schien, als gäbe es zwischen Leben und Tod keinen Unterschied. Ich hatte Entscheidungen zu treffen. Darauf kam es an, und ich wollte meinen Werten in jeder Form der Wiedergeburt treu bleiben. In den unergründlichen Tiefen meines Herzens blieb ich eine reine Seele, gefüllt von Liebe und Demut. Auch der berechnende Tod würde daran nichts ändern. Ich schwor dem neuen Leben eine Kampfansage und konnte nur hoffen, eine Arena mit nützlichen Waffen vorzufinden. Eine davon war mein künstlerisches Talent. War es ein fester Baustein meines Bewusstseins? Würde ich meine kreative Ader in jedem wiedergeborenen Leben spüren und ausleben können?

So viel zum Thema Wiedergeburt.

Ich hatte Option drei genommen und da war ich nun. Bereit für mein zweites Leben. Das hoffentlich weniger qualvoll werden würde. Gab es das überhaupt? Oder war das optimale Leben eine Illusion, an die wir uns klammerten und zum Trost an Götter glaubten?

 

 

Das Ei

 

Nervöses Kribbeln breitete sich aus. Etwas Hartes presste meinen ganzen Körper zusammen, als würde er sonst in Einzelteile zerfallen. Unerträgliche Enge. Jesus, Maria und Josef. War das scheißdunkel. Wo war ich? Was sollte das? Warum konnte ich mich nicht bewegen? Feuchtigkeit kroch in meine Glieder. Na wenigstens hatte ich welche. Hatte mich der listige Tod vielleicht doch in den Bauch der Elefantenkuh zurückgeschickt, damit ich meine Lektion über die Männerwelt lernte? Dann wäre er ein verdammter Heuchler gewesen. Ein Lügner. Ein Bastard. Ärger keimte auf, weil ich meine Gedanken nicht zügeln konnte und die Vermutung nahelag, dass der Tod sie möglicherweise auch zu lesen vermochte. Schließlich war er fähig, Seelen eine Wiedergeburt zu schenken.

Da ich ihm wahrscheinlich noch öfter begegnen würde – ab sofort rechnete ich mit weiteren Wiedergeburten – schluckte ich den sich aufsteigenden Wutanfall schnellstmöglich hinunter und versuchte, mich in dieser körperlichen Enge zu entspannen. Was mir nach dem letzten Leben deutlich schwerfiel.

Eben war ich noch über grüne Wiesen geflogen, hatte meine wunderherrlichen Schwingen über einem idyllischen Tal ausgebreitet, mir die Thermik geschnappt und war am Hang entlanggeglitten. Und dann der Knock-out. Sekundenschnelle Schwärze mit Körperlähmung.

Wo zum Henker war ich nur?

„Keine Ahnung, warum es dermaßen lange braucht, Mama“, zerschnitt eine kreischende Mädchenstimme die Stille mit einer saftigen Portion Vorwurf im Klang.

„Vielleicht müssen wir ihm helfen, Viktoria. Es kann ja nicht jeder so rigoros sein, wie du.“ Die samtige Stimme beruhigte mich wie ein warmer Regenschauer an einem Sommerabend. Obwohl das Gefühl des Gefangenseins in meine Seele gebrannt war, spürte ich keine Angst. Meine Intuition sagte mir, dass ich es nicht lange sein würde. Dass ich frei sein durfte. In meinen Bewegungen. Dass ich mich leicht fühlen und Heilung erfahren würde. In dem Leben, das ich mir ausgesucht hatte. Bei Gevatter Tod, der mir drei Optionen geboten hatte, und ich nach dem Motto alle guten Dinge sind drei, die letzte gewählt hatte.

Wham. Ein Knall donnerte durch meine Gedanken. Ich drehte mich. Mir wurde übel. Wham. Noch einmal. Erneute Drehungen. Übelkeit pur.

Wham. Ein dritter Knall. Diesmal mit Schmerz gepaart. Etwas prallte gegen mein Gesicht und im nächsten Augenblick leuchtete ein heller Lichtstrahl in meine persönliche Dunkelheit. Aus einem Impuls heraus, kniff ich die Augen zu. Der Druck auf meinem Gesicht ließ nicht nach. Erneut versuchte ich, die Lider zu öffnen. Etwas Flaches drückte sich einer Eisscholle gleich auf meine Nase und den Mund und wurde von einer gerillten, fleischigen Stange niedergedrückt. Sie war gelb und rosa und sah ledrig aus. Widerlich. Erst jetzt spürte ich kleine Stacheln, die das Stück Platte festhielten und sich in meine Haut bohrten. Verdammt. Wenn sich diese Stange nicht bald von mir löste, würde ich der Panik erlauben, sich aus dem Hintergrund zu melden. Sie hatte mir zwar auch in meinem letzten Leben nichts genützt, aber wenn es um bohrende Stangen ging, sollte ich von der Allgemeinheit mildernde Umstände erwarten dürfen. Oder? Eine bohrende Lanze in meinem Gesicht war um einiges fieser als in der Hüftregion.

Obwohl ...

Bevor ich meine lüsterne Wo-möchte-ich-die-nächste-Stange-reingerammt-bekommen-Gedanken weiter ausführen konnte, tauchten zwei listige, gelbe Augen vor mir auf. Ein kleiner, spitzer Schnabel zierte die Mitte des Gesichtes, das mir schon jetzt missfiel. Verrückt sah das Vieh aus, das mich mit grimmiger Miene, nackter, roséfarbener Haut und weißem Flaum anstarrte. Oder war sie eine Verrückte aus einer Klapsmühle entronnen?

„Na, kommste raus, oder soll ich dir deine Arbeit abnehmen und dein Ei auch noch kaputttreten?“

Aha. Das war demnach ein Fuß, der seinen emotionalen und physischen Abdruck in meiner ungeborenen Visage hinterließ. Und das Teil unter ihm war ein Stück meiner Eierschale, der ich die Gefangenschaft verdankte. Erleichterung trat ein. Gleichzeitig fühlte ich mich gehetzt und missverstanden. Warum sollte ich mir die Arbeit von anderen abnehmen lassen? Weder als Künstlerin, noch als ungeschlüpfter Vogel käme ich auf eine so absurde Idee.

„Jetzt mach mal ne Pause“, flutschte es aus mir heraus und gleichzeitig spuckte ich gegen das Stück Eierschale. Na das fing ja gut an. Wenn das hässliche Wesen die Schwester der Wiedergeburt war, dann hatte sich zum letzten Leben nicht viel verändert. Nur, dass ich dieses Mal davonfliegen konnte.

Und würde.

„Bist wohl ne Spätzünderin, was?“

Wow, Miss Unsympathisch. Halleluja. Glaubte sie, mit Frechheiten Preise gewinnen zu können? Oder stand ein Wettbewerb im Wie-versaue-ich-die-Beziehung-zu-meiner-Schwester-bei-Geburt auf dem Plan?

Ohne weiterhin auf die Provokationen einzugehen, erledigte ich meine Arbeit und schälte mich Stück für Stück aus dem festen Panzer. Es dauerte Stunden, weil mich zwischenzeitlich immer wieder die Kraft verließ. Das Schwestervieh trat mehrmals an mich heran, beäugte den Fortschritt, kommentierte ihn auf ihre unnachahmliche Weise und festigte unser Verhältnis. Vielmehr entfernte sie sich immer weiter aus meinem Herzenskreis, und im Moment meiner Geburt fühlte es sich an, als sei „Viktoria“ – Gott bewahrte – auf der anderen Seite meines Gefühlsuniversums.

Selbst schuld.

Gerade klebte das letzte Stück Eierschale an meinem rechten Fuß, näherten sich gewaltige Krallen. Sie trugen eine Waldkäuzin, deren Augen mich mild und freundlich ansahen.

„Warte, kleine Frida. Die nehme ich dir ab“, sang sie beinahe und beugte sich zu mir hinunter. Mit Präzision schob sie die Spitze ihres Schnabels unter die Schale, klemmte sie ein, wandt ihren prachtvoll gefiederten Kopf um hundertachtzig Grad und schleuderte es wie eine Frisbeescheibe durch die Luft. Mega Mutter!

Erneut wandte sie sich mir zu und beugte sich über mich. Ihr Blick erwärmte mein Herz, das wie wild in meiner Brust pochte. Von der Anstrengung und dem Unbehagen vor meinem neuen Leben.

„Willkommen im Leben, meine kleine Tochter. Willkommen im Viktoriapark in Kronberg“, hauchte sie mir feierlich entgegen und rieb ihren monströsen Schnabel an meinem winzigen, weichen.

Ich wünschte, etwas zu erwidern, aber meine Kehle schmerzte. Ich schwieg. Stattdessen nahm ich einen tiefen Atemzug und .... pennte ein. Jesus, Maria und Josef. Was für eine Geburt.

 

 

Ein Jahr später

 

Die letzten Sonnenstrahlen lagen – passend zu der Millionärsstadt – wie Goldfäden über den Büschen, Gräsern und Bäumen des Viktoriaparks. Hier und dort hörte ich Kies unter den Füßen der Spaziergänger, die wie ein Trommelwirbel mein Gehör malträtierten. Während einige Damas y Caballeros den lauen Sommerabend genossen, um ihr Prestige mit ihren Eins-a-Rassehunden namens Lady Gaga – Königspudel, Rambo – englische Bulldogge oder Lara Croft – Windspieldame zu untermauern, begann sich meine Spezies auf das Töten zu konzentrieren. Jeden Moment würde ich aufbrechen und meine Flugbahnen über die reiche Kleinstadt Kronberg am Fuße des Taunus zu ziehen. Unter mir schliefen die Menschen in Villen mit üppig angelegten Gärten und Schwimmbädern. Fuhren Austin Martins, Maseratis, Ferraris, Jaguars. Protzten mit Louis Vuitton und Chanel Shoppern. Selbst beim täglichen Walk mit Nordic Walking-Stöcken und ihren Nachbarinnen, bestand das Outfit aus Gucci und Prada. Getoppt von einem Bumbag mit Marilyn Monroe-Porträt auf XXL LV-Logo. Bereit, den neusten Tratsch und Klatsch zum Besten zu geben, oder sich über die Qual der Wahl an Accessoires auszutauschen.

Wow.

High End Probleme.

Ich hingegen mordete über ihren Köpfen, zerlegte Mäuse und Echsen, ergötzte mich an der Jagd und dem Tod. In einer Endlosschleife nachtein, nachtaus. Mit dem Instinkt einer Eule und dem Bewusstsein einer Künstlerin.

Hin und wieder sinnierte ich über meine Erlebnisse mit Gevatter Tod. Über seine Versuche, mich zu verunsichern, mir Wiedergeburtsoptionen anzubieten, die nicht annehmbar waren. War das Angebot, mich wiederzubeleben, irgendein Trick, den ich bis heute nicht erfasst hatte? Hatte jede einzelne Option ein vorhersehbares Schicksal, das unwiderruflich mit der Entscheidung, die man traf, zusammenhing? Eine Antwort würde ich wohl erst bei der nächsten Wiedergeburt finden. Falls weitere in der Warteschleife standen. Mit Puccini-Musik, verstand sich.

Auch der Traum, der meine Überfahrt in das neue Leben begleitet hatte, tauchte hin und wieder in meinen Gedanken auf. Das friedliche Gleiten durch die Luft, meine Schwingen, die mich getragen und sich der Thermik angepasst hatten. Ich hatte mich treiben lassen, schmerzlos, schwerelos. Der Tod hatte mir einen Moment der Freiheit geschenkt. Bis mir meine bekloppte Schwester mit ihrem Fuß ein Loch durch die Eierschale getreten hatte. Mir direkt in mein federfreies Gesicht. Tipeja! Aas!

Ich wachte nicht nur aus dem Traum auf, sondern auch aus der Illusion, die Menschheit hätte sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Im letzten Leben hatte mich meine Schwester nach Strich und Faden mit meinem geliebten Mann betrogen und in diesem zeigte mir meine Schwester ihre Ablehnung durch einen gezielten Tritt in die Visage. In die ungeborene. Empathie war nicht Viktorias Stärke, und ich war froh, ihr als Eule im Alleingang entkommen zu sein. Mit ihr in einer Herde zu leben, hätte in Mord und Totschlag geendet. Ergo, dass ich mich gegen Gevatters Option eins entschieden hatte, hatte sich bereits in den ersten Minuten meines ungeborenen Eierschalendaseins ausgezahlt. Trotzdem bedeutete Wiedergeburt nicht in jeder Hinsicht, dass man alte Geister loswurde. Manches schien sich zu wiederholen. Auch wenn meine Eulenschwester Viktoria – wie konnte man so heißen? – kein identisches Bewusstsein meiner mexikanischen Schwester hatte.

Option zwei ließ ich außer Acht. Manche Lebenseinstellungen lehnte ich grundsätzlich ab. Ein Leben war zur Freude da. Nicht, um zu zerstören. Es gab zu wenig Seelen, die Bausteine für Glück erkannt hatten.

Im Laufe des Jahres, das mittlerweile hinter mir lag, war mir klar, dass jedes Leben zwei Seiten hat. Auch das eines Waldkauzes. Ich durfte nicht undankbar sein. Neben meiner Gier nach Mäusen, die in einer Stadt voller Millionäre sicher alle Designernamen hatten, und dem abartigen Hochwürgen des Gewölles – dem Klumpen aus unverdaulichen Tierresten – gab es etwas Wunderherrliches im Dasein als Eule: Ein schmerzfreies Leben mit Flügeln, das mir Schwerelosigkeit schenkte. Grandiose Zoomoptik inklusive. Beide Fähigkeiten belebten meine Kreativität bis in die letzte Zelle meines gescheckten Federkleids und lenkte mich von der Monotonie des Tötens ab.

Die Jagd als solche kannte ich. Wenngleich das Jagen nach Glück und das Jagen als Ernährungsstrategie nicht das Gleiche waren. Aber der prachtvolle Park in der Designeridylle lenkte mich ab. Jedes Mal, wenn ich von meiner wohlgeformten Kastanie, die ich mir als Wohnsitz ausgesucht hatte, in die Luft schwang, verkleinerten sich Bäume und Sträucher und wirkten wie eine Spielzeuglandschaft. Wie auch jetzt. Die bunte Wiese zu meinen Krallen lag wie ein grünes Bett unter meinem gestreckten Federkleid. Ein schmaler Bach trennte die große Grünfläche des Parks in zwei Hälften und führte in zwei hintereinanderliegende Weiher, von dem aus ein langer Rundweg begann. Er begrenzte das Stück designte Natur inmitten der Kleinstadt und symbolisierte gleichzeitig die gänzliche Kontrolle der Menschheit über das Ökosystem. Von hier oben segelte ich über Straßen, die rund um die grüne Oase führten. Die Stadt war von Grün übersät, weil die Gärten rund um die Häuser üppig angelegt und großflächig waren. Zudem bestanden die meisten Gärten aus uraltem Baumbewuchs, der sich in ungeahnte Höhen erstreckte. Die formschönen Villen wirkten unecht, einem Kunstwerk gleich, das sich mit dem Grünwerk vollendete. Wenige Flügelschläge genügten, um den Golfplatz, der vom Park durch eine lange Straße getrennt war, und das angrenzende Schloss zu entdecken. Weitere Flügelschläge, um den Waldrand und Sportplatz zu überfliegen. An dem sündhaft teuren Seniorenheim vorbei, vor dem regelmäßig Luxusrollatoren mit durch Botoxspritzen äußerlich jung aussehende Damen und Herren in ihrer Würde unterstützten. Alt sein war kein Wettbewerb, sondern ein Privileg, versehen mit einer Bombenportion Glück, Damas y Caballeros.

Die immer wiederkehrenden Gedanken über solchen Übermut genügten, um an einem meiner Lieblingsplätze anzukommen. Einer Platane, die am Busparkplatz der Jungprinzenschule stand, von wo aus man des Nachts einen atemberaubenden Ausblick auf die Frankfurter Skyline hatte. Als Mensch hatte ich mich meiner Fantasie, meinem Schmerz und Illusionen hingegeben. Zu oft, auch gezwungenermaßen, hatte ich den Fehler begangen, mich vom Leben zu isolieren. Ausblicke zu ignorieren.

Den Moment anzuhalten und zu genießen.

Wie hätte ich es auch können.

 

 

Die Menschen hetzten durch das Leben. Gaben sich Träumen und Illusionen hin. Übersahen das Wesentliche. Den Raum, die Lebenszeit, den Moment, das Verharren im Augenblick. Sie waren besessen und blind. Getrennt von der Liebe und sich selbst. Zu oft lebten sie das Leben der anderen, die Vorstellungen, die andere von ihnen hatten. Waren gefällig oder rebellisch. Selten authentisch.

Jetzt, nach allem, was mir widerfahren war, in meinem neuen Leben als Eule, war mir dies alles bewusst. Doch wem nützte es? Nur mir. In diesem geschenkten Dasein. Ich war selig und wollte es so lange sein, wie es mir möglich war.

In Deutschland wiedergeboren zu sein, hatte etwas von back to the roots. Obwohl ich mich durch und durch wie eine Mexikanerin fühlte, spürte ich eine tiefe Verbundenheit zu deutschem Boden. Kronberg war nicht Pforzheim, wo mein Vater aufwuchs, aber die Emsigkeit, der Hang zur Genauigkeit und das Tempo lagen wohl irgendwo verborgen in meinem Blut. Ein Teil von mir fühlte sich heimisch, ein anderer voller Sehnsucht nach dem Feuer von Mexiko. Das elegante und saubere Stückchen Erde lag zu meinen Krallen, als ich heute Abend von meiner Kastanie losflog, um mein Killerdasein auszuleben. Doch zunächst wollte ich den Sonnenuntergang auf der Platane genießen und zusehen, wie nach und nach die vielen kleinen Lichter am Frankfurter Horizont wie Glühwürmchen erwachten. Ich war zu einer fliegenden, romantischen Braut mutiert – mit Metzelcharakter – und die segelte nun über Jugendstilhäuser hinweg, die das Stadtbild prägten. Einige Flügelschläge weiter eröffnete sich das gewünschte Panorama. Der dunkelrote Flachbau der Schule integrierte sich wie eine blutende Flunder an die umliegenden Felder, während die Platane mit vollem Blattwerk ihre Einladung an mich aussprach. Ich sah wohl in allem, was nur annähernd rot war, blutende, sterbende Beute.

Karmafeeling.

Kaum hatten sich meine Plattfüße auf einen der oberen Äste niedergelassen, atmete ich wie eine alte Schachtel aus. Nun begann das beste Zeitfenster meines Daseins. Plopp, plopp, plopp blinkten die Lichter, motz, motz motz keiften zwei Frauen hinter offenem Fenster zu meiner Linken. Plopp, plopp, plopp erhellten sich weitere Punkte, droh, droh, droh geiferte eine männliche Stimme am Eingang der Schule. Mein Blick folgte einer jungen Frau, die aus dem Gebäude geradewegs auf ein Auto gegenüber des Busparkplatzes zuhastete. Die Tür wurde von innen geöffnet. Sie grummelte, schloss die Tür und fuhr eilig davon. Ein zweites Fahrzeug startete den Motor und fuhr in die gleiche Richtung. Beide verschwanden an der nächsten Kreuzung nach rechts. Jesus, Maria und Josef. War ich froh, dem Stress des Menschseins entkommen zu sein. Frauen und Männer waren wie Feuer und Wasser. Wie Diego und ich.

Diego!

Bei dem Gedanken fuhr ich erschrocken zusammen und verlor dabei eine Feder. Mein scharfsinniger Blick folgte ihr, wie sie friedlich auf den Asphalt segelte und für einen Sammler bereitlag. Würde er wissen, dass es die Brustfeder eines Waldkauzes war? Ich hob ab, ließ die Platane und die blutende Flunder hinter mir und schärfte meine Sinne über den angrenzenden Gärten. Unter mir raschelte etwas, das nicht getötet werden wollte, aber würde. Meine Gier übernahm die Kontrolle und für die nächsten Stunden gab ich mich dem allnächtlichen Blutrausch hin.

 

 

„Schlampe, Kinderfickerin, es ist nur eine Frage der Zeit, wann Sie von der Schule fliegen. Und ich werde dafür sorgen, dass man überall davon erfährt“, drohte er mir, ohne dabei den Ton zu erheben. Mein Schritt beschleunigte sich, während mich Herr Elster wie eine Schlange ihre Beute verfolgte. Schweigend bemühte ich mich, den Abstand zwischen uns zu erhöhen, aber er klebte wie schwarzes Pech an mir und hatte noch einige weitere „nette“ Sätze für mich parat.

„Ihre Akte ist voll von schmutzigen Einträgen. Und es werden nicht die letzten sein. Mit Ihnen ist die Schande in diese Schule eingezogen. Ich werde Sie ...“, drohte er weiter, bis ich mich abrupt umdrehte und ihn mit erhobenem Zeigefinger stoppte. Der schlanke, weißhaarige Mann hatte äußerlich Ähnlichkeit mit Sky du Mont aus der Ferrero-Werbung. Mit seinem ewigen Traueranzugsoutfit blieb der Schulleiter seinem Nachnamen treu. Anfangs hatten wir über unsere beiden Nachnamen Witze gemacht. Würde der Domspatz ein Gespräch mit der Elster führen? Auf diese Weise hatte er mich zum ersten Mal in das konservative Schulleiterzimmer geführt und mich auf das Allerhöflichste willkommen geheißen. Ich hätte es allein durch die Einrichtung seines Arbeitsplatzes wissen müssen. Die eine Affäre an der Schule hatte er durchgehen lassen. Auf einer Schule mit knapp hundert Lehrern blieb ein Techtelmechtel unter Kollegen manchmal nicht aus. Aber das hier war für ihn wohl etwas Anderes. Das sonst so blasse Gesicht hatte Farbe angenommen und die sonst eisblauen Augen lagen wie schwarze Kanonenkugeln in einem Rohr mit genügend Nachschub. Bereit, die Todesnachricht zu vollbringen.

Die Dämmerung hatte eingesetzt. Nur das fahle Licht der Schulhoflampen erhellten die Szene zwischen Überdachung und freiem Gelände. Unsere Blicke trafen sich und sprühten Funken. Spontan dachte ich an die Zauberstäbe von Voldemort und Harry Potter. Wer von beiden war ich?

Fuck! War Liebe nicht der Schlüssel zum Glück? Wohin hatte sie mich geführt? Zu einem scharlachroten Buchstaben in einer Stadt, die nicht verzeiht?

Für wenige Sekunden verharrten wir an dieser Stelle. Unter dem Vordach des dunkelroten Gebäudes. Jeder von uns erlebte sein eigenes Chaos der Gefühle.

---ENDE DER LESEPROBE---