Winternacht bei Tiffany - Nena Siara - E-Book

Winternacht bei Tiffany E-Book

Nena Siara

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Beschreibung

Shop-Catching! Eine Nacht in einem Geschäft Ihrer Wahl verbringen! – Eine Liste mit zehn Geschäften via facebook veröffentlichen und Sie entscheiden, in welchem Sie tun und lassen können, was Sie wollen. – Für Josh Degenhard kein Gedankenspiel, sondern als Geschäftsführer von Tiffany & Co zunächst ein beginnender Alptraum, als ihn ein junges Pärchen mit einer Pistole zurück in den Laden drängt.  Abenteuerliche Stunden beginnen, die zeitgleich zur Belustigung hochgeladen werden. Aber die Shopcatcher-Szene schläft nicht. Weitere Shop"napper" verschaffen sich Zutritt zu Tiffany & Co und Josh wird dazu verdonnert, sie beim Battlen zu bewerten. Denn nur ein Paar kann als Sieger aus dem Shop-Catching hervorgehen. Langsam fängt er an, die verbotene Winternacht zu genießen und Gefallen an der schrägen aber auch sympathischen Tiffany zu finden, bis plötzlich ein wirklicher Juwelierdieb im Laden steht und alles droht aus dem Ruder zu laufen. Josh muss sich nun entscheiden – Tiffany oder Tiffany.

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Kurzbeschreibung:

Shop-Catching! Eine Nacht in einem Geschäft Ihrer Wahl verbringen! – Eine Liste mit zehn Geschäften via facebook veröffentlichen und Sie entscheiden, in welchem Sie tun und lassen können, was Sie wollen. – Für Josh Degenhard kein Gedankenspiel, sondern als Geschäftsführer von Tiffany & Co zunächst ein beginnender Alptraum, als ihn ein junges Pärchen mit einer Pistole zurück in den Laden drängt.  Abenteuerliche Stunden beginnen, die zeitgleich zur Belustigung hochgeladen werden. Aber die Shopcatcher-Szene schläft nicht. Weitere Shop“napper“ verschaffen sich Zutritt zu Tiffany & Co und Josh wird dazu verdonnert, sie beim Battlen zu bewerten. Denn nur ein Paar kann als Sieger aus dem Shop-Catching hervorgehen. Langsam fängt er an, die verbotene Winternacht zu genießen und Gefallen an der schrägen aber auch sympathischen Tiffany zu finden, bis plötzlich ein wirklicher Juwelierdieb im Laden steht und alles droht aus dem Ruder zu laufen. Josh muss sich nun entscheiden – Tiffany oder Tiffany.

Nena Siara

Winternacht bei Tiffany

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Nena Siara

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Lektorat: Sarah Heidelberger Korrektorat: Cathérine Fischer

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-257-4

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Für Nino in New York

Prolog

Die New York Times, ein Jahr zuvor

Shop-Catching – Der neue Hype!

„Am gestrigen Abend wurde ein IKEA-Möbelhaus in Stockholm/Schweden für eine Nacht ‚gefangen gehalten‘. Eine Mitarbeiterin des Hauses wurde gezwungen, vier Personen in das Geschäft zu führen und es ihnen eine Nacht lang zur Verfügung zu stellen. Laut Bericht der Verkäuferin haben die ‚Shopnapper‘ – wie sie sich nennen – keine Gewalt angewendet und nichts zerstört. Sie sollen Musik gehört, getanzt und sich in den Betten unterhalten haben. Auch Essen wurde geliefert und an einem großen Tisch serviert.

Die Mitarbeiterin sagt aus: ‚Sie haben das Möbelhaus genutzt, als wäre es ihr Zuhause, und anschließend wieder aufgeräumt.‘ Nach dem Shop-Catching hinterließen sie eine Liste mit Namen von Geschäften weltweit, die für Shop-Catcher interessant sind. Die Liste enthält laut Zeugenaussagen sowohl Geschäftsketten, als auch einzelne Ziele, sodass sich die Geschäftsinhaber auf der ganzen Welt nicht sicher sein können, wen es tatsächlich treffen wird. Unter Ladenbesitzern dürfte dies eine Welle der Bestürzung auslösen, da sie sich nun neben Diebstahl, Gewalt und Einbruch auch auf eine neue Form von Übergriffen einstellen müssen. Die Liste soll in den kommenden Tagen via Facebook veröffentlicht werden. Weitere Einzelheiten sind nicht bekannt. Auch die Beamten des Police Departments hüllen sich in Schweigen.“

JOSH

Montag, 19:52 Uhr

„Schönen Abend dir, Josh!“

„Dir auch, Katie!“, antwortete Josh, als seine ältere Kollegin zur Ladentür ging.

„Heute Nacht soll es schneien.“ Katie drehte sich noch einmal zu ihm um. Das tat sie öfter, und Josh überlegte dann immer, warum sie nicht alles sagen konnte, bevor sie sich verabschiedete.

„Das glaube ich erst, wenn ich die weißen Flocken auf meiner Haut spüre“, entgegnete er.

Lachend verließ sie den Laden, nicht, ohne noch einen letzten Satz hinterherzuschieben. „Du Skeptiker. Für dich sind wohl auch Schneeflocken potentielle Diebe.“

Fies!, dachte Josh. So einen Satz zu bringen und sich dann aus dem Staub zu machen! Aber vielleicht hatte sie ja recht. Josh träumte oft von Einbrüchen und von der Shop-Catching-Liste. Wer in einem Juweliergeschäft arbeitete, saß schließlich an einer guten Quelle, und Tiffany & Co. war nicht irgendeine Quelle, sondern der Urquell von edlem Geschmeide.

Es war zwanzig Uhr. Das Geschäft schloss. Mit wachen Augen ging er ein letztes Mal durch die Gänge, um den Zustand der Vitrinen und Schubladen zu prüfen. Der Rundgang dauerte nur wenige Minuten.

Josh konnte sich als Geschäftsführer auf seine Mitarbeiter verlassen. Trotzdem fühlte er sich nach einem Arbeitstag verpflichtet, seinen Kontrollgang durchzuführen. Im Anschluss daran kam der Kassenabschluss und alles, was dazugehörte, bis er endlich gehen konnte – heute etwas früher als sonst, da die Putzkolonne aufgrund des aufziehenden Schneesturms ausnahmsweise einmal nicht würde kommen können. Ein Blick nach draußen ließ ihn kurz erschaudern. Seit Tagen war es klirrend kalt. Die eisige Luft kroch in jede Ritze, und Josh war nicht gerade scharf auf den Heimweg, der ihm vierzig Minuten Kälte bescheren würde.

„Dann wollen wir mal. Licht aus …“

Inzwischen war es 20:29 Uhr. Der Laden wirkte geheimnisvoll und romantisch zugleich, wenn das Licht der Straßenlaternen durch die Fenster schien und die Juwelen wie Katzenaugen zum Funkeln brachte. Für einen Moment blieb Josh stehen und genoss diesen Augenblick der Stille und Einsamkeit. Wer konnte schon nach Ladenschluss bei Tiffany & Co. stehen und im Dunkeln Diamanten bestaunen? Stolz und Ehrfurcht durchliefen Josh, während er zum Seiteneingang ging, die Tür öffnete und wieder hinter sich schloss. Ein tiefer Atemzug zeigte ihm, dass es noch kälter war als am Morgen. Und tatsächlich roch es nach Schnee. Katie hatte recht. Am Ende würde er morgen noch aufwachen und New York ganz in Weiß sehen! Der Schlüssel drehte sich im Schloss, während Josh sich seine Stadt im weißen Mantel vorstellte.

„Die schließt du jetzt wieder auf! Aber schnell!“ Der Druck auf dem kleinen Fleck unterhalb seines linken Schulterblatts war ihm aus seinen Albträumen bekannt, aber das hier war keiner. Beherrsch dich. Jetzt bist du dran. Das überlebst du nie. Ich hab dich doch gewarnt, du Idiot. Soll ich mich umdrehen? Wieso duzen Diebe einen eigentlich immer? Was mache ich jetzt? Setzt mein Herz gerade aus? Hoffentlich pinkle ich mir nicht in die Hose. Wo ist der Alarmknopf? Der Druck von hinten wurde stärker und unterbrach Joshs Gedankenchaos.

„Lass das Licht aus und rein da!“

„Okay, okay, ich mache ja, was Sie sagen!“ Josh hatte diesen Satz im Traum schon oft gesagt und war froh, dass er deswegen jetzt förmlich aus ihm herausschoss.

Sie waren zu zweit, so viel hatte Josh gesehen, und sie waren nicht richtig maskiert. Nur eine Augenmaske, wie man sie auf venezianischen Bällen trug. Was für ein Leichtsinn. Wie dumm konnte man sein? Und wieso siezte er die Diebe?

„Geh nach hinten bis an die Treppe!“, befahl der Mann, und Josh gehorchte. Die andere Person sagte nichts.

Joshs Körper spielte mit. Gut! Der Teppich unter seinen Füßen war weich und nahm jedes Geräusch auf. Vorbei an der neuen Tiffany T-Collection, von der es hieß, dass New York sie entworfen habe, weiter zur 1837er-Sammlung zur Linken, dann die Brillantohrringe zur Rechten. Bei dem bloßen Gedanken an den Preis von über achtzigtausend Dollar pro Paar wurde Josh schlecht. Man konnte nicht wissen, ob sich diese Leute nicht doch anders entscheiden würden. Schließlich lagen ihnen die teuersten Schmuckstücke zu Füßen. Ohne ein einziges Stück aus dem Laden zu spazieren, wäre idiotisch.

Mittlerweile stand er mit dem Rücken an der Treppe und presste die Beine gegen die untere Stufe. Er versuchte, alles im Blick zu haben. Vor allem die beiden.

„Bleib stehen und entspann dich. Wir erklären dir jetzt, warum wir hier sind.“

Josh konnte den Mann erkennen. Er war klein und untersetzt. Zu dick, wie viele New Yorker. Seine Stimme klang jung, doch sein schwammiges, rundes Gesicht, das mit einer Hundemaske bedeckt war, ließ ihn älter wirken und irgendwie dümmlich. Die Frau, die Josh nun wahrnahm, war dünner. Soviel war zu erkennen. Und hässlich erschien sie im Dunkeln nicht. Im Gegenteil. Mit ihrer Pfauenmaske wirkte sie sogar interessant, soweit man in einer solchen Situation das Äußere mitbewerten konnte. Josh war ohnehin überrascht, welche Gedanken ihm durch den Kopf schossen und wie gelassen er reagierte. Jedenfalls abgesehen von seinem Herz, das den Fluchtmodus aktiviert hatte und raste wie wild. Aber wahrscheinlich war es nicht die Gelassenheit, sondern pures Adrenalin, das ihn zur extremen Kontrolle zwang.

„Sie müssen sich nicht fürchten, Mister …?“

„Degenhardt“, antwortete er der Frau, die endlich auch angefangen hatte, zu sprechen.

„Wir haben nicht vor, Ihnen irgendetwas zu tun. Wir wollen auch nichts stehlen.“

Stille trat ein.

Josh wartete. Hatte er das gerade richtig verstanden? Sie wollten nichts stehlen? Aber was dann? Sie waren doch nicht etwa pervers oder scharf auf ein YouTube-Video, das viele Klicks brachte?

„Nein?“, wagte er nach einer Weile zu fragen.

„Nein!“, antwortete die Frau. „Wir sind nur Shop-Catcher.“ Die Stimme der Frau änderte sich. Sie wirkte plötzlich fröhlicher.

„Shop-Catching!“ Josh hatte über den neuen Hype vieles gelesen und wusste, dass Tiffany & Co. ganz oben auf der Liste stand. Aber davon zu lesen war etwas anderes, als es am eigenen Leib zu erfahren. Außerdem war er immer der Meinung gewesen, niemand würde sich trauen, Tiffany & Co. tatsächlich zu catchen, und schon gar nicht die Filiale auf der Wall Street.

„Wir wollen und werden dieses Geschäft für eine Nacht gefangen nehmen. Das heißt, dass wir hierbleiben und einfach mal alles machen dürfen, was wir wollen. Wir versprechen aber, nichts zu zerstören und nichts zu beschädigen.“

„Nichts zerstören und nichts beschädigen“, wiederholte Josh die letzten Worte wie ein Echo.

„Genau! So läuft das beim Shop-Catching! Wissen Sie eigentlich, dass Sie ganz oben auf der Liste stehen?“

„Aber Ihnen ist doch sicher bewusst, dass Sie trotzdem unerlaubt hier eingedrungen sind und mich festhalten. Das heißt, Sie werden bestraft. Die Kameras laufen schließlich mit.“ Josh wunderte sich selbst über seinen Mut, die beiden Shopnapper auf die Straftat und ihre Konsequenzen aufmerksam zu machen.

„Das interessiert uns nicht. Das werden wir schon richten.“ Der Mann hatte sich wieder zu Wort gemeldet und klang entschlossen. Auch, weil er gleichzeitig einen Schritt nach vorne auf Josh zutrat, der eine Stufe nach oben auswich.

Leichter Schweißgeruch wehte Josh entgegen. Igitt!, dachte er angewidert. Und den soll ich jetzt eine ganze Nacht aushalten?

LESTER

1 Tag zuvor, 21:15 Uhr

„Und wir ziehen das echt durch, Tiff? Is’ klar. Ich mach das nur für dich, aber Tiffany & Co.? Die stehen ganz oben auf der Liste. Die rechnen sicher mit so was.“ Lester war besorgt. Seit einem Jahr hatten sie das Shop-Catching geplant, und morgen sollte es stattfinden. Angst hatte er nicht. Jedenfalls nicht um sich. Aber Tiff sollte nichts passieren! Auch wenn sie äußerlich immer cool wirkte, wusste Lester, dass seine große Schwester ein weiches Herz hatte und sehr zerbrechlich war. Mit einem fragenden Blick sah er sie deshalb noch mal an, als könne er sie per Gedankenkraft zum Umdenken bewegen.

„Das haben wir doch schon besprochen, Lester! Ich schätze dich sehr dafür, dass du das mit mir zusammen durchziehst. Gerade weil sie damit rechnen, wird es ein Kinderspiel. Du wirst sehen.“

Tiff musste immer das letzte Wort haben. Anders kannte Lester sie nicht, und die Tatsache, dass sie nicht Less, sondern Lester zu ihm gesagt hatte, zeigte, dass er keine Wahl hatte.

Sein Gehirn würde hoffentlich auch mitmachen, davor hatte er am meisten Bedenken. Er war noch nie der Hellste gewesen. Nicht so wie Tiff. Aber wenn er eine Sache konnte, dann jemandem so richtig Angst machen. Wahrscheinlich lag das an seiner schiefen Nase und seiner stämmigen Figur.

Sein Vater hatte ihm immer wieder gesagt, er würde dem Schauspieler Danny DeVito ähneln. In jung natürlich. Lester hatte diesen DeVito nicht gekannt und ihn deshalb gegoogelt. Vielleicht bestand eine vage Ähnlichkeit in Größe und Gewicht, aber das Gesicht? Auch heute war er noch entsetzt über die Meinung seines Vaters. Sollte der sich doch selbst einmal im Spiegel ansehen. Dieser Versager! Gerade erst aus dem Knast zurück. So was nannte sich dann Vater. Er hätte einen gebraucht, wenn sie ihn wieder mal von der Schule nach Hause jagten oder sich hinter Büschen und Mauern versteckten, um ihn zu ärgern. „Knastisohn! Dein Vater ist eine Null! Na, hat er schon die Gitterstangen gezählt? Da kommt der nie raus, du kleiner Versager. Doppelnull!“ Kreischend und lachend waren sie auf ihn losgegangen. Immer ohne Zeugen, und Lester hatte sich mehr als einmal in die Hose geschifft.

Aber mit der Zeit hatte er eine gute Portion zugelegt, und nun hatte ihn niemand mehr auf der Abschussliste! Sollen sie nur kommen. Ab übermorgen würde er sich das begehrteste Shop-Catching aller Zeiten auf die Fahnen schreiben können!

Tiff war schon wieder in ihrem Zimmer. Mit der konnte man heute Abend nicht mehr rechnen. Wenn sie wortlos davonging, wusste man, woran man war.

Montag, 11:04 Uhr

Es war schon nach drei Uhr nachts gewesen, als Less endlich zum Schlafen gekommen war. Er hatte sich noch drei Horrorfilme angesehen und damit sein Nervenkostüm trainiert. So richtige Schocker waren wie ein Crashkurs in spontaner Handlungsfähigkeit. Die ganze Zeit hielt er seine Waffe in der Hand und zog sie, wenn er sich bedroht fühlte. Dann zielte er auf unterschiedliche Poster, die in seinem Zimmer hingen.

Umbringen wollte er niemanden. Die Waffe war nicht echt, wirkte aber so. Sie sollte Angst machen, niemanden verletzen.

Sein Vater hatte immer gesagt: „Du kannst alles reparieren, nur einen Toten nicht.“ In dem Punkt hatte er wenigstens nicht versagt. Jedes Mal kam er irgendwann wieder aus dem Knast raus. Er hatte eben niemanden umgenietet.

Tiff war schon auf den Beinen. Sie hatte ordentlich gefrühstückt. Wie konnte sie nur? Less kriegte keinen Bissen runter.

„Du musst was essen, kleiner Bruder“, sagte sie und lächelte dabei.

Wie konnte man nur so guter Laune sein, wenn man vorhatte, einen Shop-Catch durchzuziehen? Und gute Laune war noch untertrieben: Less hatte sie selten so happy gesehen. Ihre Augen funkelten.

„Halts Maul, Tiff! Ich kann das nicht ab!“, knurrte er. Klein hatte ihn auch der dreckige Mob immer genannt, und für seine Größe konnte er schließlich nichts.

„Hast recht. Tschuldigung. Ich meinte nicht deine Größe, sondern … egal. Ich sag’s nicht mehr. Also komm schon. Iss was.“ Sie schob ihm den Teller mit Rührei und Tomaten über den Tisch und nickte ihm zu. Less hatte keinen Bock, was zu essen, nahm aber trotzdem die Gabel. Schließlich tat er ihr jeden Gefallen.

TIFFANY

Montag, 8:04 Uhr

Die kommende Nacht würde für sie kein Problem darstellen. Durchmachen war leicht. Tiffany fühlte sich kraftvoll und hellwach. Allein der Gedanke an das folgende Ereignis war wie pures Adrenalin. Fast wie der Konsum einer Droge. Nicht, dass sie sich damit auskannte.

Tiffany wollte leben, nicht davonlaufen, und Drogen waren nichts anderes als ein feiger Kompromiss zwischen Selbstmord und Leben. Da konnten die anderen ihr etwas von Partymachen erzählen, so viel sie wollten. Drogen veränderten die Realität. Aus und basta.

Aber heute Abend würde sie die beste Ersatzdroge aller Zeiten erleben: Ihr langer Traum von einer Nacht bei Tiffany & Co. würde in Erfüllung gehen. Ihr würde nichts geschehen. Den anderen Shopnappern war auch nichts passiert. Die Justiz war noch nicht so weit, dass sie für die Fälle ein passendes Gesetz parat hatte. In der Presse hieß es immer, es sei noch eine Grauzone. Die Verkäufer hatten sich nicht wirklich bedroht gefühlt. Nur anfangs, bis sie gemerkt hatten, dass kein Schaden entstehen würde.

Tiffany hatte alles genau mitverfolgt, um die Konsequenzen ihres Plans abwägen zu können. Sie wollte nicht so dumm sein, auch ihr Leben mit kriminellen Handlungen zerstören. Mittlerweile waren schon drei Shops von der „Liste“ entjungfert worden. Keiner konnte sagen, ob sie noch einmal drankommen würden. Im Internet kursierten ähnlich viele Fotos von den Nächten wie von Victoria’s-Secret-Laufstegauftritten von Gigi Hadid. Shop-Catching war ein Hype, und die Shop-Catcher waren Helden!

Die Nacht würde alles sprengen, was Tiffany jemals getan hatte. Okay, es war schon eine verrückte und gefährliche Idee und auch nicht ganz legal. Vielleicht war es ja irgendwie doch eine Art Droge und eine Ablenkung von dem Leben, das sie führte. Aber es war real und keine Illusion.

Mit diesem Gedanken zog Tiffany sich die Laufschuhe an und machte sich auf zu ihrer täglichen Joggingeinheit durch den Central Park.

TIFFANY

Montag, 19:54 Uhr

Eine Frau verließ das Juweliergeschäft. Sie war jeden Montag dort und kam meist lachend aus dem Laden. Tiffany hatte sie jeden Montag beobachtet, seitdem sie den Entschluss gefasst hatte, die Nummer eins der Liste zu catchen. Von der großen Treppe gegenüber konnte sie Tiffany & Co. bequem beobachten, ohne dass es jemandem auffiel.

Die Frau war etwas altbacken gekleidet, aber extrem chic. Schwarzer Bleistiftrock und helle Bluse. Heute trug sie einen schwarzen Mantel darüber, den sie auch schon im letzten Winter angezogen hatte. Die hohen Pumps passten nicht zur Jahreszeit, aber sicher hatte Tiffany & Co. Kleidervorschriften. Die Frau trug jeden Montag annähernd das Gleiche. Ihre Haare wirkten, als wären sie ganzjährig festbetoniert. Selbst bei dieser klirrenden Kälte setzte sie sich keine Mütze auf. Gleich würde sie um die Ecke biegen und sich auf die Sitzbank setzen, dann in alle Richtungen schauen, ob ihr jemand zusah, und im Anschluss daran ihre High Heels gegen Sneaker tauschen und genüsslich eine Zigarette rauchen. Jede Woche sah sich Tiffany diese Szene an. Aber heute würde sie die Verkäuferin nicht rauchen sehen, sondern währenddessen selbst in den dunklen Laden gehen, in dem diese noch vor wenigen Minuten gearbeitet hatte.

Tiffany war konzentriert und hellwach, mit ganzer Leidenschaft bei der Sache. Ihr Bruder wirkte nervös, aber sie wusste, er würde alles wie geplant durchziehen. Josh Degenhardt huschte noch durch die Gänge. Tiffany hatte auch ihn montags beobachtet und bis zu seiner Haustür verfolgt. Er schien einsam zu sein und gelangweilt. Sein Blick wirkte traurig. Anfangs hatte Tiffany ihn als spießig empfunden. Steif und glattgegelt, ohne besonderes Charisma.

Aber im Lauf des Jahres war er ihr immer mehr ans Herz gewachsen. Er sah sogar recht gut aus. Groß, schlank, kantige Gesichtszüge. Nur der Schlafzimmerblick war gewöhnungsbedürftig. Sie wusste, er war fünfunddreißig Jahre alt und körperlich in Topform. Seinem traurigen Blick nach zu urteilen, hätte er aber auch Mitte vierzig sein können. Irgendetwas musste ihm nachhaltig zugesetzt haben, im Gesichterlesen kannte sich Tiffany aus. Andere hätten sicher gesagt, es sei gefährlich, sich mit den Menschen in dem jeweiligen Shop zu beschäftigen, aber sie hielt es für klug, ein Profil zu erstellen. Schließlich ging es um eine ganze Nacht und die Grauzone. Es kam darauf an, wie Josh Degenhardt diese Nacht empfinden würde, und da war es umso notwendiger, in der Kürze der Zeit eine Beziehung zu ihm aufzubauen.

TIFFANY

Montag, 20:32 Uhr

Tiffany kannte jede einzelne Bewegung des Geschäftsführers um diese Uhrzeit. Zuerst wurde der Schlüsselbund hervorgeholt, dann ein tiefer Atemzug. Heute folgte darauf aber nicht das Drehen auf dem Absatz, sondern Less, der Josh Degenhardt seinen Fake-Revolver unter das Schulterblatt drückte und ihn aufforderte, zurück ins Geschäft zu gehen.

„Okay, okay, ich mache ja, was Sie sagen“, antwortete Degenhardt.

Tiffany fand es amüsant, dass er Lester siezte. Aber das kannte man ja aus Filmen. Joshs Bewegungen waren mechanisch, er stand unter Schock. Man roch förmlich sein Adrenalin.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Tür hinter ihnen schloss und sie im Verkaufsraum angekommen waren. Tiffany sagte kein Wort. Jetzt war Lester an der Reihe. Er war derjenige, der die Angst verbreiten musste, und der Körpersprache von Josh Degenhardt war anzusehen, dass er damit durchaus Erfolg hatte. Der Raum war dunkel. Tiffany & Co. bei Nacht. Kein Frühstück. Keine Audrey Hepburn. Nur sie drei und eine ganze Winternacht bei Tiffany & Co. Der Schmuck glitzerte in den Vitrinen. Jetzt schossen auch Tiffany Adrenalin, Dopamin und andere Hormone durch die Blutbahn. Das war zu abgefahren: Sie hatten es tatsächlich hier rein geschafft! In die Nummer eins der Shop-Catching-Liste! Nun mussten sie nur noch bis zum Morgen durchhalten, ohne dass jemand verletzt oder die Polizei gerufen wurde. Aber das Wichtigste würde sein: In dieser Nacht mussten sie es schaffen, Josh zu begeistern, damit er sie später nicht anzeigte.

Tiffany rückte ihre Pfauenmaske zurecht, die sie sich über die Augen gezogen hatte. Lester wusste sicher, dass ihn seine Hundemaske ein wenig dümmlich aussehen ließ, aber so war er eben. Sie liebte ihn, egal, wie schlau oder dumm er war. Es war ihr kleiner Bruder.

„Geh nach hinten, bis an die Treppe!“, befahl er Josh Degenhardt, der gehorchte. Er drehte sich um, als er die unterste Stufe erreichte, und sah die Geschwister prüfend an. Sicher wollte er sehen, mit wem er es zu tun hatte.

Die Treppe war ein Gefahrenpunkt. Tiffany hatte sie einkalkuliert und auch andere Fluchtmöglichkeiten klar vor Augen. Umso mehr musste sie eine Beziehung zu diesem Mann aufbauen. Jetzt, in diesem Augenblick! Das Shop-Catching-Spiel konnte beginnen.

JOSH

20:35 Uhr

Kopfkino. Gedankenkarussell. Josh konnte nicht sagen, was ihm in diesen Momenten alles durch den Kopf ging. Sein Körper erstarrte. Noch nicht einmal zittern konnte er. Es war, als ob die Zeit einfach stehen blieb.

Was der Körper mit einem anrichten konnte. Nein, nicht der Körper. Andere Menschen! Oder doch man selbst?

Ein Albtraum begann, und Josh wusste nicht, wie er enden würde. Nur nichts Unüberlegtes sagen, kam ihm in den Sinn. Aber konnte man sich in solch einem Moment überhaupt richtig verhalten? Gab es ein Richtig oder ein Falsch?

Die Treppe hinter ihm bot zwar eine Fluchtmöglichkeit, aber wohin? Von hier aus würde er nicht weit gekommen, zudem wusste er nicht, ob Flucht tatsächlich die Lösung war. Diesen beiden sein Tiffany & Co. überlassen? Im Leben nicht!

Und vielleicht waren die zwei ja auch gar nicht so gefährlich. Der kleine Dicke machte ihm keine Angst. Aber die Frau! Die war, glaubte er, mit Vorsicht zu genießen. Wie alle Frauen. Besonders seine Ex-Frau. Frauen konnte man einfach nicht einschätzen. Man begab sich mit ihnen auf eine Reise, von der man nicht wusste, wohin sie führte: in den Morast oder den schönen Süden.

Wie würde die Nacht werden? Würden die beiden Shop-Catcher all den Schmuck tragen wollen?

„Was haben Sie vor?“, fragte Josh laut und war sich noch im selben Moment unsicher, ob er nicht besser den Mund hätte halten sollen.

„Das haben wir dir doch schon gesagt!“, erwiderte der kleine Dicke. Er schien nicht nur dick zu sein, sondern auch dumm.

„Das meine ich nicht! Ich meine, wie soll die Nacht ablaufen?“, schob Josh hinterher.

„Was geht dich das an?“, fragte der Dicke.

„Hey, sei nicht so unhöflich zu Mr Degenhardt. Er ist nicht unsere Geisel. Er ist unser Zuschauer und vielleicht wird er auch unser Freund.“

Unser Freund? Was meinte sie damit? Wie sollte er jemals ein Freund von Menschen werden, die ihn eine ganze Nacht lang in seinem Geschäft festhalten wollten? Die tickte wohl nicht richtig! Aber wie konnte sie auch? Schließlich stand sie gerade mitten in der Nacht in Tiffany & Co. und war der Meinung, das Geschäft eine ganze Nacht lang kidnappen zu können. Da konnte man nicht richtig ticken! Mutig allerdings war sie schon.

Josh merkte, wie sein Adrenalinpegel ein wenig sank. Um sie herum war es immer noch stockduster. Nur von außen schienen Lichter hinein, leuchteten durch die Vitrinen und ließen alles glitzern, so wie er es kannte und liebte.

LESTER

20:55 Uhr

Lester hielt die Pistole immer noch auf Josh gerichtet. Er war sich sicher, dass der Mann Angst verspürte. Zumindest hatte er das in den ersten Minuten. Jetzt wurde er langsam lockerer. Das lag wahrscheinlich an Tiffanys Worten. „Ich nehme mal meinen Rucksack ab. Was brauchst du, Tiff?“, fragte er seine große Schwester.

„Ich würde sagen, wir stellen erst mal unsere künstlichen Kerzen auf. Dann haben wir ein bisschen Licht“, antwortete sie.

Lester holte zehn große Kerzen aus seinem Rucksack und stellte sie auf dem Boden ab. „Und wo sollen die jetzt hin?“

„Wir bauen sie rechts und links vom Gang auf. So wie auf einer Startbahn oder einem Laufsteg. Ich habe auch noch vier Stück in meinem Rucksack. Die kommen hier auf die Treppe. Das ist ohnehin ein schönes Plätzchen. Treppen sind cool! Und wer kann schon von sich behaupten, er hat eine ganze Nacht auf der Treppe einer Tiffany-Filiale verbracht!“ Tiffany lachte.

Lester bewunderte sie dafür, dass sie in dieser Situation so gelassen bleib. Josh Degenhardt konnte er nicht richtig einschätzen. Aber er nahm an, dass der Typ erst mal alles über sich ergehen ließ. Was blieb ihm auch anderes übrig?

„Ich würde sagen, es ist Zeit für ein erstes Foto“, sagte Tiff. „Wir drei im Inneren von Tiffany. Um genau …“ Sie unterbrach sich und sah auf die Uhr. „… neun Uhr. Und jetzt stellen wir das Bild auf die Shop-Catcher-Seite bei Facebook. Ich schreibe nur noch die Frage ‚Wo sind wir?‘ dazu, und klick.“

Tiffany hatte das Foto tatsächlich ins Internet gestellt. Lester war kurz davor, sie zu fragen, ob das nicht riskant sei, aber das hätte den Verkäufer sicher irritiert. Außerdem musste er auf Tiffany vertrauen. Schließlich war sie die Schlauere von ihnen beiden.

„Pack den Rest auch noch aus und leg alles auf die Treppe. Die wird unser Lager.“

„Okay.“ Lester steckte die Pistole in den Hosenbund. Genauso, wie es Ganoven taten. Kurz darauf standen zwei Flaschen Tonic Water, zwei Flaschen Gin, vier Dosen Red Bull, jede Menge Schokoriegel, drei Dosen gesalzene Cashewkerne, Taschentücher, ein Handstaubsauger und drei Plastikbecher der Reihe nach wie auf einer Bar drapiert auf einer der oberen Stufen.

Plötzlich tönte ein Piepen durch den Verkaufsraum.

„Das ist das Sicherheitssystem“, erklärte Mr Degenhardt.

„Was bedeutet das?“ Tiff wirkte nun nicht mehr so gelassen wie vorher.

„Die Tür wurde noch einmal geöffnet. Das registriert das Sicherheitssystem. Wenn ich zurück in den Verkaufsraum gehe, wird ein interner Alarm ausgesendet. Man wartet jetzt darauf, dass ich wieder nach draußen gehe und den Sicherheitscode eingebe, der die Türen verschließt.“

„Das geht sicher auch von innen. Oder, Mr Degenhardt?!“ Das klang weniger nach einer Frage als nach einer Feststellung, fand Lester.

„Ich kann es versuchen“, antwortete Degenhardt.

TIFFANY

21:06 Uhr

Noch 8 Stunden und 54 Minuten bis zum Ende der Winternacht bei Tiffany

Versuchen? Tiffany hörte wohl nicht richtig. Josh Degenhardt würde das nicht versuchen. Er musste das regeln! „Mr Degenhardt. Sagen Sie mir einfach, wie wir vorgehen. Wir Shop-Catcher sind nicht hier, um irgendjemanden zu verletzen oder etwas zu stehlen, und Sie können uns darin unterstützen.“ Mit ihrer Pfauenmaske war sie so nah an ihn herangetreten, dass sie seine Augen im Kerzenlicht blitzen sehen konnte. Josh Degenhardt war ein gut aussehender Mann. Vielleicht ein wenig alt, aber durchaus attraktiv.

Tiffany hatte ihn viele Male nach Hause begleitet und ihn in unterschiedlichen Outfits begutachten können. Seine blonden, kurzen Haare versuchte er mit Stylingprodukten in den Griff zu bekommen, die gegen Abend stets versagten. Morgens saßen sie noch nach hinten frisiert, aber abends fielen ihm dichte Strähnen in die Stirn. Genau wie jetzt. Fünfmal in der Woche ging er joggen, was seinem drahtigen Körper gut bekam. Mr Degenhardt musste gut verdienen, denn seine Kleidung hatte diesen sportlich-eleganten Stil. Den, der viel Geld kostete.

Sie strich Josh mit den Federn ihrer Maske über die Wange, griff zu seinen Händen und schnitt kurzerhand die Kabelbinder los.

„Sie machen mich wieder los?“ Seine Stimme klang irritiert.

„Natürlich. Wie ich schon sagte, Sie sind nicht unsere Geisel, sondern unser Beobachter. Versuchen Sie, Spaß an der Sache zu bekommen. Dann wird es leichter für uns alle.“ Tiffany nickte ihrem Bruder zu. „Geh mit ihm zur Tür. Und sieh zu, dass er den Code eingibt.“

„Ist gut“, antwortete Lester, der die Waffe wieder auf Degenhardt gerichtet hielt, seit Tiffany die Fesseln gelöst hatte.

JOSH

21:06 Uhr

Jetzt war seine Gelegenheit gekommen, den Shop-Catchern schneller als erwartet das Handwerk zu legen. Er brauchte nur dreimal den falschen Code einzugeben, und der Alarm war aktiviert. Was dachten sich die beiden eigentlich, so einfach hier hereinzuspazieren? Dass er klaglos alles mitmachen würde? Vielleicht konnte er sich hinter einer Vitrine verstecken und so zu den Alarmknöpfen gelangen. Die junge Frau trat wieder nah an ihn heran.

„Sie machen mich los?“, fragte er scheinheilig. Wie dumm konnte man sein?

Der Duft von La vie est belle lullte ihn ein, und für einen Moment vergaß er sein Vorhaben, den Alarm auszulösen.

Die Federn der Maske streiften ihn auf eine erotische Weise. Josh zuckte zusammen, ohne seine eigene Reaktion recht zu verstehen. Eigentlich sollte er nur daran interessiert sein, so schnell wie möglich Hilfe zu holen. Stattdessen gab er sich dem Geruch seines Lieblingsparfums hin, das ihn bereits in seiner Jugend um den Verstand gebracht hatte.

Die Frau antwortete ihm, er solle sich einfach als Beobachter fühlen und Spaß haben.

War das ihr Ernst?

Der kleine Dicke zückte erneut seine Pistole. Josh stand auf und ging im Halbdunkel durch den Verkaufsraum. Die Verlobungsringe, die zu seiner Linken lagen, waren mehrere Millionen Dollar wert. Bei dem Gedanken daran wurde ihm ganz schlecht.

Sein Blick schweifte über die Vitrinen nach draußen. Dort schneite es mittlerweile so stark, dass ein weißer Vorhang die Fenster verhüllte. Schnee und Tiffany & Co. – das waren alte Bekannte. Im Jahr 1888 hatte es in New York den Weißen Hurrikan gegeben, dem Mr Tiffany trotzte, indem er sein Geschäft im Gegensatz zu allen anderen öffnete. Damals kam nur ein Kunde und kaufte das Banalste überhaupt: Silberputzmittel. Heute, hundertdreißig Jahre später, schien sich dieser Sturm zu wiederholen. Aber im Gegensatz zu damals würde der Verkaufsraum nicht nur tags, sondern sogar die ganze Nacht belegt sein.

Hinter ihm hustete der Dicke und holte Josh aus seinen Gedanken an die Vergangenheit in sein gegenwärtiges Problem zurück. Die Tür mit dem Sicherheitscode lag keine zwei Meter mehr von ihm entfernt. Er musste sich jetzt entscheiden, ob er mitspielte oder den Alarm auslöste und sein Leben riskierte. Seine Hand zitterte.

„So. Dann geben Sie mal den richtigen Code ein, Mr Degenhardt. Und keine Faxen!“

Keine Faxen. Hatte der Dicke das aus dem Fernseher?

„Dazu muss ich die Karte aus meinem Jackett holen“, erklärte er.

„Dann los!“ Langsam zum Mitverfolgen zog Josh die Karte, die er sich noch vor einer knappen halben Stunde in die Tasche gesteckt hatte, wieder hervor und hielt sie dem Dicken entgegen, der nickte und mit der Pistole in Richtung Sicherheitsschloss fuchtelte.

„Ich muss die Tür kurz öffnen, dann wieder schließen und den Code eingeben.“

„Na, dann mal los.“ Der Dicke schien nicht beunruhigt.

Joshs Hand wanderte zur Türklinke und drückte sie hinunter. Sie öffnete sich und er blieb wie angewurzelt stehen. Seine Beine waren wacklig und der Magen flau. In Sekundenschnelle bückte er sich und drückte sich durch die Tür. Doch im selben Moment riss ihm jemand die Füße nach hinten weg. Hart schlug Josh mit dem Gesicht gegen den Türrahmen, und noch bevor er sich versehen konnte, wurde er an beiden Füßen zurück in den Raum gezogen.

„Den Code bitte, Mr Degenhardt“, sagte das Mädchen, das die Ruhe weghatte und ihm schneller als er denken konnte die Sicherheitskarte aus der Hand nahm.

Die Tür schnappte ins Schloss. Benommen saß er auf dem Teppichboden vor den beiden Shopnappern und gab sich geschlagen.

„T1i8f8f8anY“, diktierte er, und das Mädchen gab die Kombination ein. Kurz darauf leuchtete die Lampe grün und Josh fand sich mit Kabelbindern ans Treppengeländer gefesselt wieder.

Nur der zarte Duft von La vie est belle tröstete seine irritierten Sinne.

TIFFANY

21:15 Uhr

Noch 8 Stunden und 45 Minuten bis zum Ende der Winternacht bei Tiffany

Tiffany zog den nächsten Kabelbinder zu. „Können wir jetzt vielleicht anfangen, uns gegenseitig zu vertrauen, Josh?“ Sie hatte sich im Schneidersitz vor ihn gesetzt und sah ihn an. „Und verzeih, dass ich dich von jetzt an duze, aber unser Verhältnis ist durch deinen Vertrauensbruch nicht mehr dasselbe.“

„Was würden Sie denn bitte machen, wenn Sie in meiner Situation wären? Den Einbrechern vertrauen? Das ist schon oft genug in die Hose gegangen. Das kennt man schließlich aus Filmen!“ Ein verständlicher Vorwurf lag in seiner Stimme.

„Du hast recht, Josh. Wenn es um Einbrüche geht, oder um kriminelle Delikte. Aber in der Vergangenheit gab es keinen Vorfall bei einem Shop-Catch. Alle sind friedlich abgelaufen. Und selbst die Justiz ist sich nicht einig darüber, ob es sich tatsächlich um eine Straftat handelt“, erläuterte Tiffany.

„Das sagen Sie so einfach. Aber Tatsache ist, Sie halten mich hier fest. Nehmen mir meine Freiheit und fesseln mich. Das ist Freiheitsberaubung!“, schoss Degenhardt zurück.

„Nur für kurze Zeit. Sie werden schon sehen …“ Tiffany hatte nicht vor, Degenhardt lange gefesselt zu lassen. Sie wollte ihn für sich gewinnen, eine Beziehung aufbauen und ihn so schnell wie möglich wieder losschneiden. „Fangen wir an.“ Sie stand auf, ging zur Treppe und holte mehrere Kleidungsstücke aus ihrem Rucksack heraus. „Less. Hol mir bitte mal ein paar Stühle aus der Nische.“

Lester gehorchte. Er brachte vier Stühle und stellte jeweils zwei rechts und links vor die Treppe, sodass man sich setzen konnte, gleichzeitig aber freie Bahn zu den Stufen hatte. Tiffany hängte die Kleidungsstücke, die sie mitgebracht hatte, über zwei Stuhllehnen. Auch Schuhe kamen kurze Zeit später zum Vorschein, die sie auf die erstbeste Glasvitrine stellte. „Wow! Das ist eigentlich das nächste Foto wert, aber es verrät zu viel.“ Sie zog ihr Handy zum Vorschein, nahm ihre Sneaker kurz vom Glas, stellte sie auf den typischen Tiffany-Teppich und fotografierte sie. Dann lud sie das Bild bei Facebook hoch und drückte auf Posten.

„Seht mal, wir haben schon über eintausend Likes und mehrere Hundert Kommentare, wo unser erstes Foto entstanden sein könnte. Und das schon nach der ersten halben Stunde!“ Tiffany konnte es kaum glauben und lachte.

„Sie werden damit nicht durchkommen“, warnte Mr Degenhardt.