Clockers - Richard Price - E-Book

Clockers E-Book

Richard Price

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Beschreibung

Clockers – das sind schwarze Dealer, die weiße Klientel 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche beliefern. Hier im Slum, wo die Welt rau ist, steht die Polizei aggressiv daneben, die Stadt resigniert. Bis sich die Spannung wieder in einer Explosion entlädt. Richard Price hat dieses Szenarium in seinem grandiosen Meisterwerk »Clockers« umgesetzt. Es entstand ein handlungsgetriebener und vor Spannung berstender Großstadtroman, den Spike Lee mit Harvey Keitel verfilmt hat und der den Grundriss für die gefeierte Fernsehserie »The Wire« schuf.

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Seitenzahl: 1097

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Richard Price

Clockers

Roman

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Peter Torberg

Fischer e-books

Für meine Frau Judy Hudsonund für meine Töchter Annie und Gen

Und sie verbreiteten bei den Israeliten falsche Gerüchte über das Land, das sie erkundet hatten, und sagten: Das Land, das wir durchwandert und erkundet haben, ist ein Land, das seine Bewohner auffrisst; alle Leute, die wir dort gesehen haben, sind hochgewachsen.

Sogar die Riesen haben wir dort gesehen – die Anakiter gehören nämlich zu den Riesen. Wir kamen uns selbst klein wie Heuschrecken vor, und auch ihnen erschienen wir so.

Numeri 13, 32–33

Ein Tod im Land der Zwei-Minuten-Uhr

1

Strike bemerkte sie: Babyspeck, Babygesicht, Shanelle oder Shanette, vielleicht vierzehn Jahre alt, stand da mit diesem gequälten Lächeln und versuchte, ihren ganzen Mut aufzubringen. Er sah weg, stellte sie sich in zwei Monaten vor, ohne Babyspeck, widerlich, noch ein Junkie mehr. Ihre unverhohlene Gier drehte ihm den Magen um, aber es war sowieso ein schlechter Tag für seinen Magen, angefangen von dem Traum letzte Nacht, wie seine Mutter am Fenster stand und ihn ansah, die Jalousien abwechselnd hochzog und runterließ und ihm damit irgendwas anzudeuten versuchte, dann weiter heute Morgen, als man ihn eine Stunde in der Stadtverwaltung warten ließ, bevor sich irgendjemand die Mühe machte, ihm zu sagen, dass sein Bewährungshelfer krank sei, dann Peanut diesen Nachmittag, der sich nicht an die Happy Hour hielt, und jetzt noch dieser dürre weiße Typ, der auf The Word zukommt und zwei Ampullen kaufen will, The Word, der zu Strike hinüberschaut, als wolle er sagen, ›was soll ich machen‹, Strike, der wegschaut und denkt, ›du ziehst dein Ding allein durch, ich hab’s dir gesagt‹, und sein Magen glüht wie ein Stück Kohle, dass er sich am liebsten zusammenkauern würde, um den brennenden Schmerz zu lindern.

Strike saß auf der Rückenlehne seiner Bank, seinem Stammplatz, thronte drohend über einem Schwarm schreiender Kinder, schwangerer Frauen und zu vieler Mädchen, trank Yoo-Hoo mit Vanillegeschmack, um seinen Magen zu beruhigen, und beobachtete The Word, der sich auf die Schnelle was auszudenken versuchte. Der Weiße, ein hagerer Rotschopf, der einen mörtelverschmierten Arbeitsanzug und ein schwarzes Anthrax-T-Shirt trug, sah zu verkrampft und verängstigt aus, um Cop zu sein, aber man konnte nie wissen. Polizisten, die die Jungs von der Straße kassieren wollten, waren normalerweise Farbige oder zumindest Italiener, die auf Puerto-Ricaner machten, keine hinterwäldlerischen Weißen, und normalerweise gaben sie sich cool oder gemein, nicht nervös. Der Typ war wahrscheinlich wirklich ein Kunde, aber das war Sache von The Word – praktische Berufsausbildung.

Der Typ zog einen Zwanziger raus, für zwei Ampullen. Strike sah zu, wie The Word überlegte und überlegte und schließlich sagte: »Geh, mach ihn klein.« Strike schüttelte den Kopf: markierte Scheine, Himmelherrgott, die werden sich doch nicht die Mühe machen und markierte Scheine nehmen, um aus dem Kauf von zwei Ampullen von einem Fünfzehnjährigen einen Fall zu basteln. Ein Kind, das sie deswegen hopsnehmen, würde wahrscheinlich vom Jugendgericht zurückgeschickt werden und wäre wieder am Ball, bevor die Vorabendflaute vorbei war, gerade rechtzeitig für den Stoßverkehr, wenn richtig Not am Mann war.

Der weiße Typ nickte und trottete davon, suchte nach einem Lebensmittelladen, und die Zwanzig-Dollar-Note ragte aus seiner Faust wie eine Blume. Niemand würde sie ihm wegnehmen, solange Strike hier auf der Bank saß und die Yoo-Hoo-Flasche zwischen seinen Handflächen rollte, aber Strike wusste, wenn er mal pinkeln ging, würde der Typ mit frisch gezogenem Scheitel im Gras liegen. Rodney sagte immer: Die meisten Nigger hier draußen wollen das ganze Geld auf der Stelle. Sie schlachten die goldene Gans, den Dauerkunden, weil sie nicht in der Lage sind, über die nächsten zwei Minuten hinauszudenken. Ein Haufen Sneakerdealer: kriegen zehn Dollar, rennen los und kaufen sich dafür einen Zehn-Dollar-Ring.

So wie Peanut vorhin; versuchte, ein paar Mäuse extra zu machen, als er während der Happy Hour nur eine Ampulle für zehn verkaufte statt zwei. Bei jedem Zehnerpack machte er hundert statt fünfzig, dann gab er vierzig weiter und sackte sechzig ein, bis so ein Junkie zu Strike kam und sagte: »Ich dachte, es ist Happy Hour.« Jetzt sah Strike zu Peanut hinüber, der, zum Schmierestehen degradiert, an der Ecke schmollte und nach dem Fury Ausschau hielt, ein lahmer Zwanzig-Dollar-Job, keine Ampullen und keine Provision. Als er Peanut sah, der die wunde Stelle auf seinem Wangenknochen befühlte, fiel Strike in sein übliches Lamento: Sneakerdealer, Junkies, der Fury. Man kann niemandem trauen, also halt dir den Rücken frei und die Augen offen – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr.

Strike suchte die Cañonschluchten der Roosevelt-Siedlung ab, dreizehn Hochhäuser mit Sozialwohnungen, zwölfhundert Familien verteilt auf zwei Blocks, und das Wohnungsamt gewährte dem Fury zur Observierung Zutritt zu allen leerstehenden Wohnungen, also wusste Strike nie, wann oder wo sie ihn überwachten. Er konnte nur jemanden abstellen, der sie dabei beobachtete, wie sie sich von hinten in ein Gebäude schlichen, jemanden, der »Fünf-Null« brüllte, damit keiner was Dummes anstellte, und dann hieß es abwarten, bis ihnen langweilig wurde und sie abzogen.

Der Fury – das waren nur eine Handvoll Polizisten, die in ihrem Plymouth Fury ein halbes Dutzend Siedlungen abzuklappern hatten – konnte sich nicht länger als eine Stunde verkriechen. Aber es war kein Geheimnis, dass André der Riese ebenfalls eine Observationswohnung hatte: 3A in der Dumont Street 14, das Apartment, das das Wohnungsamt nicht vermieten konnte, weil dort vor einem Jahr sechs Kinder und deren Großmutter bei einem Brand umgekommen waren. André hatte es auf die Drogenbande abgesehen, die auf der Dumont-Seite der Siedlungen arbeitete, anders als die im Fury, die es vorzogen, in Strikes Revier auf der Weehawken-Seite zuzuschlagen. Aber im Gegensatz zu ihnen war André ein frei operierender Knocko; er konnte überall und jederzeit auftauchen, und er konnte die Bänke von der Dumont aus wunderbar einsehen.

Die Clockers, die für Strike dealten, wurden nervös, wenn sie das Gefühl hatten, beobachtet zu werden: Sie sangen zu laut, verwickelten sich in idiotische Streitereien, ließen auf hunderterlei dumme Art Dampf ab, wurden zur Gefahr für sich selbst und für Strike. Und dann waren da noch die Freundinnen, um die man sich Sorgen machen musste. Sie waren die Schlimmsten – flirteten vor der Nase ihrer Freunde mit anderen Typen, knallten sich die Birne zu, brachen Streitereien vom Zaun. Wenn es nach Strike ging, waren die Mädchen nur für eins gut. Im Fury saßen ausschließlich Männer. Wenn ein Mädchen also die Klappe hielt und sich wie eine Dame benahm, dann konnte sie zwei Zehnerpacks in ihrem Slip tragen, zwei weitere oben, und die Bullen konnten nichts unternehmen, es sei denn, sie nahmen sie zur Leibesvisitation mit auf die Wache. Und die Ampullen aus einem BH zu servieren ging erheblich schneller, als alle bei jedem Zehn-Dollar-Geschäft ins Zwischenlager rennen zu lassen.

Aber die Mädchen konnten auch klauen, verschwanden einfach mit der Ware um die Ecke. Eine konnte einen Streit mit ihrem Freund vom Zaun brechen, den Stoff einem neuen Lover geben, der nicht in der Crew war, ihn selbst verkaufen, ihn selber rauchen. Also hielt Strike nicht viel davon, Mädchen anzuheuern; lieber machte er es langsam und stetig, ließ die Jungs die Tour zu der Wohnung rauf machen, wenigstens in den Dienststunden des Fury, also von vier bis zehn. Und er wechselte die Wohnung jeden Tag: Ohne Anklopfen kamen die Knockos über keine Schwelle, und bis der Richter den Durchsuchungsbefehl unterzeichnet hatte, war die Wohnung schon nicht mehr da.

Mädchen. Strike sagte seiner Crew immer: Lasst euch ja nicht von den Mädchen um den Finger wickeln. Sind bloß Pussys, und wenn ihr eure Karten richtig ausspielt, sind immer genug da, und ihr spielt eure Karten richtig aus, wenn ihr Geld macht und zur Seite legt. Strike wiederholte Wort für Wort, was Rodney vor knapp einem Jahr zu ihm gesagt hatte.

Strike beobachtete, wie das Mädchen mit dem Babyspeck – Sharelle, Sharette, irgendwie so – endlich den Mut aufbrachte und zu ihm herüberkam, mit einem Lächeln übers Gesicht geschmiert, als sei es glücklich oder so was.

»Hi, Strike.«

»Nein.«

»Ich wollte nicht –«

»Nein. Verschwinde.«

Futon kam aus der Weehawken Street 6, checkte die Straße ab, mampfte Cheetos und hielt ein großes Glas Gummibärchen in der Hand, während sein Kopf im Takt zu dem wackelte, was immer aus seinem wasserblauen Kopfhörer dudelte. Er nickte Strike zu und ging zu den Bänken zurück.

»Nachschub, Nachschub«, verkündete er über die Musik in seinem Kopf hinweg brüllend.

Strike kräuselte die Lippen, um zu antworten, und war überrascht, den plötzlichen Kolbenfresser irgendwo zwischen seinem Verstand und seinem Mund zu spüren.

»Wi-wie viel noch?«

Seit Wochen hatte er keinen Stotteranfall mehr gehabt: was für ein beschissener Tag.

»So vierzig, fünfundvierzig.« Futon schien Strikes aufgeregte Sprechweise nicht zu bemerken.

Strike dachte über die kommende Nacht nach, überschlug den Umsatz. Es war der Zwölfte des Monats, die Leute hatten noch ein bisschen Geld übrig. Andererseits war es Mittwoch, acht Tage seit dem letzten Zahltag. Strike dachte auch ans Wetter: sah nach Regen aus. Zweihundert Ampullen sollten reichen.

Strike stand mit steifen Beinen auf, humpelte zum Münztelefon und rief Rodneys Pager an, wählte den Tagescode und dann am Ende eine Zwei-Null. Die Ampullen würden in etwa fünfzehn, zwanzig Minuten per Fahrrad eintreffen, der Lieferant ein Zwölfjähriger, der vorbeigeschossen kam, ein Kind, das mit seinen Schulbüchern und seiner Lunchbox unterm Arm die Weehawken Street 6 betrat. Strike hasste Pager und trug seinen außer Sichtweite in der Tasche. Strike zog es vor, am Telefon zu sprechen, und das Gute an den Verteilerplätzen war, dass die Telefone hier immer intakt waren. Aber Rodney sagte, trag deinen Pager bei dir.

Wieder zurück bei der Bank, hielt ihm Futon das Glas mit den Gummibärchen hin. Strike winkte ab, Futon sagte: »Guck mal«, schraubte den doppelten Boden des Glases ab, enthüllte ein Nest mit vier Ampullen und murmelte: »Auf dem JFK verkaufen sie die Dinger in diesem Tabakladen.«

Strike blickte ihn finster an. »Das ist doch blöd. W-w-wenn sie das verkaufen, dann wissen die Cops davon. Sobald sie irgendeinen damit sehen, wissen sie sofort, was Sache ist, und bu-buchten dich ein.« Das Stottern wurde immer stärker, und Strikes Bestürzung machte es nur noch schlimmer.

Futon begann zu schmollen.

»Und außerdem, wozu hast du denn noch die Cheetos? D-das sieht nicht richtig aus, zwei Sorten Junk in der Hand.«

Futon zuckte mit den Schultern. »Ich mag keine Gummibärchen. Und außerdem kommen die doch sowieso einen Monat lang nicht wieder, stimmt’s?«

Am Vortag war Futon mit einem vom Fury um die Wette gelaufen, einem Cop namens Thumper, und hatte ihn um Längen geschlagen. Sie hatten gesagt, wenn Futon gewinnt, geben wir dreißig Tage lang Ruhe – bloß ein Witz, doch jetzt benahm sich Futon so, als sei das die reine Wahrheit. Und Futon war Strikes Stellvertreter.

Das babyspeckige Mädchen fing an, sich mit The Word zu unterhalten, sagte etwas, was Strike nicht hören konnte, aber er wusste, dass die Kleine flirtete, weil The Word anfing, herumzutanzen und wie ein Idiot zu grinsen. Das Mädchen versuchte, eine Ampulle zu schnorren, und The Word hätte sie ihr binnen einer Minute überlassen, wenn Strike nicht da gewesen wäre. Er musste immer da sein, immer. Er überlegte, Futon rüberzuschicken und dem Mädchen zu verklickern, dass er ihrer Mutter Bescheid sagen würde, doch dann entschied er, er sei doch nicht der Papst. Wenn sich die Kleine zuknallen will, bitte sehr, dies ist ein freies Land. Solange sie zehn Dollar hat. Und wenn The Word die Ampulle umsonst rausrückte, dann sollte er besser irgendwo zehn Dollar stecken haben.

Der rothaarige weiße Junge kam wieder in den Halbkreis getrottet, und Strike hatte ein schlechtes Gefühl. Er sah zu Peanut hinüber, der die Straße beobachtete, um aufzupassen, ob ein Cop um die Ecke linste. Peanut sah zu Strike herüber und berührte wieder seine Wange. Strike hatte ihm mit einer vollen Flasche Yoo-Hoo einen verpasst, und Peanut war so schnell umgefallen, dass sein Hut immer noch über der Stelle geschwebt hatte, wo sein Kopf gewesen war, wie in einem Zeichentrickfilm. Leute, die ihn beklauten, machten Strike rasend: Wenn jemand so was versuchte wie Peanut, dann musste man ihm in den Hintern treten und dann wieder auf die Straße schicken. Und wenn es erneut vorkam, dann musste man ihn richtig übel vermöbeln. Und niemals, niemals durfte man so etwas durchgehen lassen, denn wenn man das tat, dann tanzten sie einem auf der Nase rum, sie und alle anderen, und dann war das Spiel aus.

Strike wusste, er hatte das Richtige getan; Peanut wusste es auch. Doch dann begann Strike sich zu fragen, ob Peanut es ihm nicht heimzahlen und den Fury vorbeilassen würde, ohne die Hand zu heben. Niemandem konnte man trauen: Alle taten in einem Augenblick blöd und hinterlistig im nächsten, quatschten die ganze Zeit davon, Brüder zu sein und sich gegenseitig den Rücken freizuhalten, doch wenn es hart auf hart kam, dann zog Strike die Feinde den Freunden vor. Bei Feinden wusste man wenigstens, woran man war. Wie auch immer, dieses Geschäft konnte einen verschlingen, und Strike hätte alles getan, um von der Straße wegzukommen und wie Rodney in den Großhandel einzusteigen.

Der weiße Typ fächerte die Ein-Dollar-Noten vor The Word aus, als wollte er, dass The Word eine Karte zog. The Word strich die Scheine ein, sagte »Zwei-Null« zu Horace, und Horace verschwand in der Weehawken Street 6.

The Word zog ab, und der weiße Typ sagte: »He …« Eine Minute lang stand er allein da, blinzelnd und verwirrt, doch dann kam Horace wieder aus dem Gebäude und hielt eine zerknüllte Papiertüte in der Hand. Er ließ sie in einen Mülleimer fallen, zischte ein »Yo«, um die Aufmerksamkeit des Kunden darauf zu lenken, und ging dann ebenfalls weiter. Der Typ brauchte ein paar Sekunden, bevor er begriff, doch dann krallte er sich die Tüte und eilte auf die Straße zu.

Es war Strikes Idee gewesen, auf die Bänke am Rand der Siedlung umzuziehen. Von hier aus war es erheblich einfacher, den Fury auszumachen, wenn sie im Anmarsch waren, vor allem, wenn die Cops den Angriff von zwei Seiten gleichzeitig führten.

Strike hatte das Rodney vorgeschlagen, Rodney hatte mit den Schultern gezuckt und es ihm überlassen, sein eigenes Ding durchzuziehen, solange er ein halbes Kilo die Woche umsetzte. Und Strike hatte in den fünf Monaten hier draußen diese Marke kein einziges Mal verfehlt, zum Teil wegen seiner wachsamen Gereiztheit, zum Teil aufgrund der innovativen Angebote wie die Zwei-zum-Preis-von-einer-Happy-Hour, Jumbos, Redi Rocks und Einsteiger-Specials, aber vor allen Dingen, weil er begriff, dass gute Ware zählte. Die Leute wussten immer, wer sie hatte; Strike durfte nur nicht gierig werden und Rodneys Ampullen strecken, wenn sie reinkamen. Auf diese Weise hatte er stets beste Ware, weil all die anderen Unteroffiziere ihren Nachschub streckten, indem sie den Stoff verwässerten. Strike rechnete mit der Gier, die würde all die Junkies in seine Arme treiben.

»Fünf-Null«, zischte Peanut und wirbelte auf einem Fuß herum.

Scheiße. Strike sah an Peanut vorbei die Straße entlang, sah die Knockos noch in ihrem Wagen sitzen, hörte Crunch zu dem weißen Typen »He, du da!« sagen.

Strike sah zu Horace und The Word, die beide ins Gebäude zurückstürmten, saß angespannt da und beobachtete, wie Crunch ausstieg und seinen Fang zum Heck des Plymouth Fury eskortierte.

Aus der offenen Wagentür lärmte irgendein Rolling-Stones-Schrott, eine von den Kassetten, die die Cops abspielten, um sich auf der Jagd einzuheizen.

Strike sah, wie Spook und Ahmed sich davonmachten, als ob sie etwas zu verbergen hätten, und hörte, wie Big Chief auf dem Beifahrersitz etwas in sein Sprechfunkgerät flüsterte: »Batmännchen, Verkehrshütchen, beide schuldig.« Dann sah Strike, wie sich Smurf und Thumper zu Fuß von der Dumont-Seite aus anschlichen, die Zange schlossen, sich Spook und Ahmed griffen und sie gegen den nächsten Zaun schleuderten.

Der weiße Typ bettelte Crunch an, stotterte: »O Gott, o Gott, schauen Sie, hören Sie, schauen Sie, hören Sie«, brabbelte was davon, dass er Abdichter sei, dass er den Job diese Woche gekriegt hatte.

Crunch fing an, gleich da auf der Straße einen Handel abzuschließen, und Strike hörte, wie er irgendwas sagte von »nur ein Protokoll, wenn du den Burschen identifizierst, der dich bedient hat«. Der weiße Typ konnte kaum sprechen, so viel wollte er auf einmal erzählen. Er nannte The Word untersetzt statt fett: untersetzter Bursche mit einer Kappe von den St. Louis Cardinals, Officer, als sei er in der Armee.

Strike beugte sich vor und beobachtete, wie Thumper eine Handfläche auf Ahmeds Brust legte und sagte: »Was’n los, ey. Wo willst’n hin?«, in diesem brüllenden Straßenjargon, den er so gern verwendete. Zitternd und glubschäugig, als hätte er wirklich was zu verbergen, krächzte Ahmed zurück: »Ich geh nirgendwo hin, Thumper!«

»Was bist’n so nervös, Junge?« Thumper stöberte bereits in Ahmeds Taschen, schüttelte das Rotztuch heraus und durchwühlte seine Geldbörse.

»Ich bin nicht nervös!« Ahmed hörte sich an wie eine Sirene zur Mittagszeit.

»Du willst nicht nervös sein! Fühl mal dein Herz!«, zeterte Thumper und pochte mit seiner Hand auf Ahmeds Brust. Er zog Ahmeds Geld raus, zwei Dollar, ein richtiger Obergangster, steckte dann die Scheine wieder in Ahmeds Tasche, zog ihm die Batmankappe runter und prüfte die Innenseite, bevor er sie über den Zaun ins Gras schleuderte.

Big Chief unterzog Peanut derselben Prozedur, während Smurf um die Bänke herumschnüffelte, Papiertüten aufhob, nach Ampullen suchte und in den Mülleimern herumwühlte wie ein Penner. Sie sahen alle aus wie Penner, außer dass sie wohlgenährte Penner waren, einsfünfundachtzig große, neunzig Kilo schwere, weiße Penner mit bleiernen Totschlägern und .19er-Glocks an der Hüfte.

Strike hatte keine Ahnung, warum, aber der Fury hatte offensichtlich ein Faible für die Bänke an der Weehawken Street. Bullen, egal was für welche, waren einfach so, versteiften sich auf eine Straßenecke, ein Gebäude, einen Dealer und machten keinen Hehl aus ihrem Privileg.

»Peanut, Peanut, gib mir ’n paar Ampullen, Peanut.« Big Chief türmte sich über ihm auf und drückte ihn gegen den Zaun. »Los, Peanut, wo sind die Ampullen?« Dann sah er die Verletzung auf Peanuts Wange. »Hast du was Böses angestellt, Peanut?«

Big Chief drehte sich langsam um und warf Strike einen Blick zu.

Strike starrte seine Schuhe an, holte Luft, erinnerte sich an die Übung, die ihm die Sprachtherapeutin damals in der Schule beigebracht hatte. Stell dir eine Szene vor, die dich entspannt, hatte sie gesagt, und jetzt stellte sich Strike ein Bild mit Palmen und Ozean vor, wortwörtlich nur ein Bild, denn er hatte noch nie eine echte Palme gesehen.

»Strike, hat Peanut was angestellt?«

Strike nahm einen Schluck Yoo-Hoo, zuckte mit den Schultern, sagte nichts. Futon ignorierte das Ganze, wackelte mit dem Kopf im Takt zum Walkman, und seine Finger waren orangefarben von den Cheetokrümeln, als er den Grund der Tüte leerkratzte.

Peanut machte seinen Tölpeltanz: Arme in der Luft, Ellbogen angewinkelt, Handgelenke nach außen. »Kommen Sie, Big Chief, Sie wissen, dass ich nichts getan habe, weil, wieso renn ich dann nirgendwohin?«

Big Chief zog an Peanuts Hosenbund, sah hinein und knurrte: »Peanut, Peanut, zeig mir deine Nüsse.«

»Passen Sie auf, dass er Sie nicht beißt«, lachte Peanut. Big Chief lachte zurück.

Strike hörte, wie der weiße Typ Crunch volllaberte, dass er sich gerade erst verlobt habe, dass er bei den Anonymen Alkoholikern sei, hundert Treffen in hundert Tagen, dass sein Vater Feuerwehrmann in Jersey City sei. Strike konnte sehen, wie Crunchs Augen trüb wurden.

Weiße. Strike dachte, dass die im Fury schon in Ordnung waren; die meisten anderen konnte man seiner Erfahrung nach vergessen. Jedes Mal, wenn sie gefasst wurden, bekamen sie es derart mit der Angst zu tun, dass sie quatschten; zumindest wussten viele von den Jungs hier in der Gegend, wie man sich stockdumm stellte, wenn die Polizei zuschlug. Ganz gleich, was die Cops mit einem anstellten, man musste es einfach über sich ergehen lassen, weil die Cops nichts machen konnten, wenn sie nichts fanden, also hielten alle aus der Gegend, die was vom Überleben verstanden, die Schnauze und ließen sich drangsalieren, bis die Cops wieder abzogen.

Doch wenn Big Chief oder Thumper einen von den Jungs erwischten, jemanden wie Peanut, und ihn sich dann allein vornahmen … nun, jeder war auf sich gestellt. Peanut war cool und lustig, Strike war ja in der Nähe, aber Peanut ging auf eine katholische Privatschule und hatte eine Heidenangst vor seiner Mutter. Wenn sie Peanut jemals drankriegten, würde er vielleicht umkippen.

Big Chief war mit Peanut fertig, und nun sahen beide hinüber zu Strike; Big Chief wusste, dass Strike sauber war, aber jetzt war er trotzdem dran, wie immer. Strike nahm einen Schluck Yoo-Hoo, um sich zu wappnen.

Big Chief kam mit seinen zwei Metern und seinem schneeweißen Haar herangeschlurft, wippte vor und zurück wie ein Spielplatz-Frankenstein, trug sein Fury-T-Shirt – sechs Wölfe, die aus einem Polizeiwagen heraushängen – und knurrte: »Strike … Strike … Strike.« Thumper schob Ahmed beiseite und schloss sich an, »Nein, Big Chief. Das muss heißen S-S-S-Strike, S-S-S-Strike.«

Strike ließ sich langsam von der Rückenlehne der Bank herunter, hob seine Arme, sah ausdruckslos drein, ernst, geduldig.

»Hast du was, Strike?« Big Chief ließ seine Finger in Strikes Vordertaschen gleiten, förderte sein Geld zutage – zehn Dollar, nie mehr –, seine Hausschlüssel und die Hausschlüssel von drei weiteren Personen, die seinen Stoff und sein Geld aufbewahrten.

»Was bist du denn, Hausmeister?« Big Chief klimperte mit den Schlüsseln, gab sie einem Baby in einem Kinderwagen und warf einen müden Blick auf die neugierige und größer werdende Menge, die sich um die Bänke versammelte.

Strike blickte geradeaus auf Big Chiefs Kehle und dann weiter über dessen Schulter hinüber zur Siedlung, dorthin, wo seine Mutter mit seinem Bruder Victor wohnte. Strike stellte sich vor, dass sie jetzt zum Fenster hinausschauten, die ganze Szene sahen und die Jalousie runterließen.

Thumper bellte ein paar Achtjährige an: »Was’n los, ey, habt ihr etwa was von dem Zeug?«

»Ich doch nicht«, sagte ein kleines Kind, das sich voller Verachtung zurückzog.

»Wer ist hier der Boss?« Thumper beugte sich nach unten und knurrte wie Big Chief.

»Der hier ist der Boss«, sagte das Kind, griff sich zwischen die Beine und rannte fort.

»Mach den Mund auf, Strike.« Big Chief prüfte seine Zähne wie bei einem Pferd oder einem Sklaven.

Strike gähnte und sah Rodney in dem verbeulten, rostfarbenen Cadillac vorbeigleiten, den er für zweihundert Dollar in bar und weitere hundert in Ampullen von einem Junkie gekauft hatte. Rodney mit seinen Michael-Jackson-Locken, seiner goldenen vollverspiegelten Sonnenbrille und seinem Cadillac: ein Oldtimer, fünfunddreißig, vielleicht älter.

»Okay.« Big Chief sah nach rechts und links, trat dann näher. »Hosen runter, Strike. Schwanzkontrolle.«

Strike zögerte wie immer, überdachte seine Möglichkeiten, zog schließlich den Reißverschluss auf und ließ die Hosen runter, während einige der Anwohner in der Menge wegsahen und untereinander tuschelten; einige verfluchten den Fury, andere Strike.

»Unterhose runter, beug dich vor, mach Ahhh«, sagte Thumper.

Strike zog das Gummiband seiner Unterhose vor, so dass Big Chief hineinsehen konnte.

»Kurz und süß, Strike.« Big Chief runzelte die Stirn. »Lass mal unter deinen Eiern nachsehen. Lass mal sehen, was du dir unter die Eier geklebt hast.«

Strike zog seinen Hodensack hoch, erwischte Peanut dabei, wie er auf dem Gehsteig grinste und dann schnell wegsah, als er bemerkte, dass Strike ihn beobachtete. Strike dachte: Peanut ist ein toter Mann.

Thumper linste hinein. »Himmel, Strike, da hast du aber ein paar Schinkenstreifen drin, Bruder, wo bleibt deine Hygiene?«

Strike schreckte zurück: Das war eine verdammte Lüge. Strike hasste nichts mehr als Schmutz, jede Art von Schmutz. Strike war sauber, sauberer als jeder von denen. Er verlor die Beherrschung, sah direkt in Thumpers Augen und versaute sich sein ganzes Spiel.

»W-w-w-was ist l-l-l-los, S-S-Strike? A-a-alles in O-O-Ordnung?«

Strike sah weg, zog die Hose hoch, nahm dem Baby seine Schlüssel wieder ab. Das war jetzt allein Thumpers Show, und Big Chief machte sich daran, unter der Bank nach Ampullen zu suchen.

»Warum lächelst du nie, Strike? Du bist sauber, Mann. Lächle.«

Strike machte ein säuerliches Gesicht, lächelte aber ein wenig, als er den zwölfjährigen Schlepper mit seiner 200-Ampullen-Lunchbox direkt an Big Chief vorbeisausen sah. Big Chief machte sogar Platz, und der Junge betrat die Weehawken Street 6, um seine Lieferung abzugeben.

»Schau dir Futon an.« Thumper benutzte sein Kinn als Zeigestock. »Wir krallen uns Futon jeden Monat, stimmt’s, Futon?«

Futon lächelte und umklammerte sein Gummibärchenglas mit den Ampullen.

»Siehst du, Futon lächelt die ganze Zeit. Hast du ein Problem, Mann?«

Strike blieb stumm und sah zu Futon hinüber, der einen auf Tölpel machte.

»Man braucht sechs Muskeln zum Lächeln und zweihundertachtundvierzig zum Stirnrunzeln, hast du das gewusst?«

»Hör schon auf, Thumper.« Big Chief wühlte jetzt in der Mülltonne herum wie ein hungriger Bär. »Strike hat seine Rechte.«

»Das hab ich nie gesagt«, protestierte Strike und zuckte zurück, kaum dass er den Mund aufgemacht hatte. Verdammt.

»He, du hast nicht gestottert, das war sehr gut.« Thumper streckte seine Hand aus und zwang Strike, sie zu schütteln. »Jetzt sag ›Fischers Fritz fischt frische Fische‹.«

Strikes Magen pochte. Thumper hielt seine Hand fest und wartete.

Big Chief gähnte, stellte sich auf die Zehenspitzen, grabschte sich dann ein paar Gummibärchen aus Futons Glas, kaute sie mit offenem Mund und steckte beinahe träge seine dicken Pfoten in Futons Taschen, fühlte in seinen Socken herum und seine Beine hinauf.

»Kalt, Chief, kalt, kalt … warm, jetzt wird’s warm.« Futon bot Thumper die Gummibärchen an. Ein dummes Spielchen in Strikes Augen, aber wenigstens ließ Thumper Strikes Hand los, um sich ein paar Gummibärchen zu nehmen.

»Hey, Big Chief«, sagte Futon und tat so, als sei er wütend. »Was machen Sie hier überhaupt? Sie sagten, wenn ich Thumper schlage, lassen Sie uns einen Monat in Ruhe.«

»Trau niemals einem Cop, das weißt du doch«, grunzte Big Chief. »Was ist denn mit dir los?«

»Verdammt, also, das darf doch nicht wahr sein. Mann, ich bin ja nicht mal aus dem ersten Gang rausgekommen, ich hab ja bloß so rumgetrödelt.« Futon redete jetzt mit Strike, als sei Strike nicht dabei gewesen. »Thumper war doch, Mann, hach, der war so schwer am Schnaufen, dass ich dachte, der ersäuft mich in seinem Keuchrotz. Sie trinken alle zu viel, essen zu viel, rauchen zu viel.« Futon zählte ihre Gewohnheiten an den Fingern ab und zog dabei eine Grimasse.

»Schau, das Problem ist, ich mag nicht laufen«, Thumper entblößte die Zähne. »Aber wie wär’s, das nächste Mal geh’n wir in einen Aufzug, drücken auf die Vierzehn und machen’s Mann gegen Mann?« Strike konnte beinahe die Wut riechen, die Thumper jetzt hinter seinem Grinsen versprühte. »Ich hasse nämlich laufen.«

»Ja? Soll ich mal meinen Kranichstil gegen Sie einsetzen?« Blind gegenüber Thumpers Wut stand Futon auf einem Bein, die Handgelenke hoch über dem Kopf wie Karate Kid, setzte einen Tritt an, machte einen Beinschlag und versuchte, es zart und tödlich wirken zu lassen. »Sie werden betteln, im dritten Stock aussteigen zu dürfen.«

The Word trat zu früh aus der Weehawken Street 6. Big Chief sah die Kappe der St. Louis Cardinals, machte sich mit einem kleinen, hoppelnden Hüpfer hinter ihm her und knallte ihn gegen den Zaun.

»Was’n los, ey?« Er zog ihm eine fette Rolle von Ein-, Fünf- und Zehn-Dollar-Noten aus der Tasche.

The Word fing an zu greinen. »Ich hab keinem was verkauft. Big Chief! Is’ für ’n Geburtstag meiner Mutter – ich schwör’s!«

Die Cops johlten. »Muttertag! Muttertag!« Alle schlugen sich brüllend auf die Schenkel, während Big Chief The Word zum Wagen führte.

»Bitte, Big Chief … Meine Mutter, ich schwör’s!«

Strike vergaß Thumper für eine Sekunde und dachte: Was hat dieser Nigger immer noch das ganze Geld? Hat er geklaut? Will er mich reinreißen? Rodney traf sich einfach mit den Typen in Restaurants, zahlte beim Kaffeetrinken wie ein Gentleman. Strike schwor sich: Wenn ich nicht aufsteige, steige ich aus. Das halt ich nicht länger aus.

Jetzt, wo die Schatzsuche beendet war, gingen zwei Cops durch die Hochhäuser der Siedlung zurück zu dem zweiten, versteckten Wagen.

»Strike, warum siehst du immer so deprimiert aus?« Thumper tauchte wieder vor seinem Gesicht auf. »Bist du sauer? Bist du wütend auf mich?« Thumper sah besorgt drein und wartete auf eine Antwort.

»Tun Sie, was immer Sie tun müssen.« Strike hatte sich wieder unter Kontrolle, die Worte kamen steif und gelangweilt aus ihm heraus.

»Ja? Ich will mal was anderes fragen. Glaubst du, ich bin eine durchschlagende Waffe im Kampf gegen Drogen?« Unschuldig und ernsthaft starrte er Strike in die Augen und wartete. »Oder glaubst du, ich bin bloß ein Riesenarschloch?«

Strike erhaschte einen Blick auf Peanut, der ihn wieder anstarrte. Peanut war definitiv draußen. The Word auch.

»O Scheiße.« Thumper schnippte mit den Fingern. »Haben wir Socken und Schuhe auch durchsucht?«

Strike atmete durch die Nase und beugte sich vor, um seine Schnürsenkel aufzumachen. Thumper sagte: »Darf ich«, fiel dann auf ein Knie, als seien sie in einem Schuhgeschäft, machte Strikes Schuhe auf und zog ihm die Socken aus.

»Mach vorwärts, Thumper«, brüllte Big Chief vom Wagen herüber. Thumper seufzte, erhob sich, schüttelte die Socken nach verstecktem Stoff aus.

»Okay. Ich muss jetzt, mein Schatz.« Thumper drehte sich in den Hüften wie ein Diskuswerfer. Strike spannte sich an, wappnete sich für die Abschiedszeremonie. Thumper schlug Strike zwischen die Schulterblätter, ein schweres, knochenschüttelndes POCK, das eine Schockwelle aus Schmerz durch Strikes 60-Kilogramm-Körper jagte.

»Wir kriegen dich noch.«

Thumper ging hinüber zu einer Gruppe von kleinen Kindern, die sich die Show angesehen hatten, und ließ seine Hand auf eine sechsjährige Schulter fallen: »Begleite mich, Big Time.« Er spazierte mit dem Jungen als Schutz vor zum Fenster hinausgeworfenen Gegenständen zum Wagen, und Strikes Socken baumelten aus seiner Gesäßtasche.

Strike zog die Schuhe barfuß an, biss die Zähne zusammen, dass sich das Knirschen der Porzellanfüllungen in seinem Kopf um das Hundertfache verstärkte, und dachte: Schluss mit all den Idioten um mich herum. Clowns, Diebe, Kinder …

Strike ging zum Gehsteig und warf einen Blick in den Fury. The Word saß hinten; Strike versuchte, ihm einen Blick zuzuwerfen, ihm ein wenig Angst einzuflößen, doch The Word sah nicht in seine Richtung. Crunch saß mit dem Ellbogen im Fenster zum Bürgersteig und wartete darauf, dass sie losfuhren. Kleine Kinder hingen mit großen Augen überall um den Wagen herum; Big Chief nickte einem Kind zu und knurrte: »Was’n los, ey. Steht Dempsy in Flammen?«

Strike wandte sich ab und bemerkte einen elf- oder zwölfjährigen Jungen, der dastand und Crunch anstarrte, Storchenbeine in weitgeschnittenen kurzen Hosen, die Arme hoch über der Brust verschränkt wie ein Gewichtheber aus einem altmodischen Comic. Das Kind warf Crunch einen eisigen Blick zu, testete sich selbst, setzte sein Ich-hab-vor-Cops-keinen-Schiss-Gesicht auf. Crunch starrte unverwandt zurück. »Hast du ein Problem, Mann?«

Der dürre Junge gab keine Antwort, starrte einfach weiter, und Crunch machte mit bei dem Spiel und starrte zurück.

Aber Crunch hielt nicht durch. Er fing an zu lachen, und Strike war völlig überrascht von dem, was als Nächstes passierte. Er hatte erwartet, dass der Junge weiter starren oder triumphierend davongehen würde, doch als Crunch zu lachen anfing, lachte der Junge auch. Der Bursche hatte Mumm. Er war flexibel, und Flexibilität war selten. Flexibilität war etwas Besonderes, ein gutes Zeichen, wie dicke Pfoten bei einem jungen Hund. Eine Sekunde lang vergaß Strike seine Wut, war von diesem Jungen und dessen Möglichkeiten fasziniert.

Als der Fury losfuhr, sagte Big Chief auf Wiedersehen, indem er mit zwei Fingern auf Strike zielte und ihm zuzwinkerte. Kaum waren sie verschwunden, machte sich das babyspeckige Mädchen wieder an ihn ran.

»Kann ich dich was fragen?« Ihr Lächeln war angespannt, nervös, bettelnd.

Strike ignorierte sie und stellte dann selbst eine Frage. »Wer ist der Bengel da drüben?«

»Wo?«

»Der da.«

»Das ist Tyrone Jeeter.«

»Wohnt der hier?«

»Is grad in der Weehawken Street 8 eingezogen, von drüben von der anderen Seite. Kennst du seine Mutter? Diese Iris? Strike? Drückst mir eine Ampulle ab?«

Strike drehte sich um und dachte gerade über Flexibilität nach, als der rostfarbene Cadillac mit Rodney am Steuer wieder angerollt kam. Rodney linste über den Goldrand seiner Sonnenbrille und winkte dann mit seinem Finger nach Strike.

Strike sah nach links und rechts, runzelte die Stirn; er mochte es nicht, in der Öffentlickeit mit Rodney gesehen zu werden, obwohl jedes Kind auf der Straße ein Diagramm zeichnen konnte: Champ ganz oben, dann runter zu Rodney, dann runter zu Strike und dann schließlich runter zu denjenigen, denen Strike diese Woche traute.

Strike ging zu dem Wagen, steckte seinen Kopf durch das Beifahrerfenster und wurde von einem schweren Kirschgeruch getroffen, der von den Duftbäumen herrührte. Sechs Garfields mit Gumminoppen hingen ausgebreitet an den Scheiben und starrten auf den Verkehr.

Mit einer Hand im Schoß saß Rodney da. Sternzeichen- und Apollo-XII-Aufnäher prangten auf den Schenkeln seiner chemisch gereinigten Jeans, und am Bauch seines weißen, an der Brust gerafften Hemds fehlte ein Knopf. Aber er sah gut aus, hatte eine glatte Haut und war als Ex-Knacki in ziemlich guter Verfassung.

»Wen haben sie mitgenommen?« Rodney schob seine Brille mit dem Daumen den Nasenrücken hinauf.

»The W-Word.« Strike ärgerte sich, als er sein Stottern zurückkommen hörte. »Er hat nichts bei sich oder so.«

»Sagst du seiner Tante Bescheid, dass sie ihn abholt?« Rodneys Stimme klang so wohltönend wie die eines Lehrers.

»Ich kümmere mich drum.« Vielleicht sollte sich Rodney auch mal um ein paar Dinge kümmern, dachte Strike, wie zum Beispiel die Garfields loswerden. Und den Cadillac auch, wenn er schon mal dabei war – der einzige Nigger auf der Welt, der in Geld schwamm und noch einen Riesencadillac fuhr.

»Was gibt’s?« Strike schnüffelte und nahm unter dem Kirschgeruch einen leichten Frittiergeruch wahr.

»Bist du schon beim Arzt gewesen?« Noch so eine Singsangnörgelei.

»Ich hatte noch keine Zeit.«

»Diese Scheiße wird dich schneller umbringen als irgendwas hier draußen.« Rodney deutete mit dem Kinn auf das Yoo-Hoo.

»Was willst du, Rodney?« Strike versuchte, ihm geduldig zuzuhören, schaffte es aber kaum, wollte endlich zurück zur Bank und die Geschäfte neu organisieren.

»Komm mal im Laden vorbei.«

Rodneys lange Fingernägel waren glänzend grau vom Essensfett. Strikes Gedärme kräuselten sich bei dem Gedanken.

»Wann?«

»Später.«

»Es wird ’ne Menge Arbeit geben.«

Rodney zuckte mit den Schultern. »Lass Futon die Sache schmeißen.«

»Futon ist ein Blödmann.« Strike sah weg, blickte finster drein, wollte diese Fingernägel nicht länger sehen.

Rodney seufzte und schüttelte den Kopf. »Du musst ab und zu mal von dieser Bank runter, Mann, du bist ja total finster drauf.«

Strike konnte nichts darauf erwidern, das Stottern schlug heftig zu, kam direkt von den Füßen hoch. Und er wusste nicht mal, was er sagen wollte.

»Komm einfach vorbei, okay?«

»W-w-wenn ich kann.«

Das babyspeckige Mädchen machte sich an Rodneys Seitenfenster heran. Sie sah hinein und lächelte. »Ich mag diese Garfields.«

Rodney warf ihr einen langen Blick zu. »Was willst du denn?«

Strike drückte sich vom Wagen ab und ging zurück zur Bank.

 

»Yo, guck dir das mal an.« Horace hielt Strike einen Childcraft-Katalog unter die Nase und zeigte auf ein leuchtend buntes Angebot von zweihundertfünfzig Klötzen, die sich zu der doppelten Höhe eines leergesichtigen fünfjährigen Rotschopfes auftürmten. »Das ist vielleicht ein tierischer Hammer für ein Kind, diese Klötze.«

Sie saßen auf der Rückenlehne der Bank, wie Vögel auf der Leitung.

»Wofür zum Teufel willst du die Bauklötze? Bist du ein Baby?« Strike hatte einen aufgeschlagenen Hold-Everything-Katalog auf den Knien.

»Nicht für mich, Arschloch, ich sag doch bloß …«

»Ey, ey, Horace will mit Bauklötzen spielen«, lachte Peanut, der in einem engen Kreis herumwirbelte und seinen eigenen Katalog zu einem Taktstock zusammengedreht hatte.

»Hey, leck mich, Nigger!« Horace flog von der Bank auf, und Peanut tanzte mit grellem Gelächter davon, trieb es auf die Spitze.

Strike nahm an, dass Horace die Bauklötze wirklich wollte. Er wollte die Klötze, die De-luxe-Buntstiftkästen, die Burg zum Zusammenbauen, den Minirettungswagen und vielleicht sogar die Plastikroboter. Strike wusste, dass Horace mit seinem Geld heimlich Spielzeug kaufte, sagte aber nichts deswegen, weil Horace noch nie zuvor in seinem Leben irgendetwas besessen hatte und erst dreizehn war.

Seit Peanut ein Dutzend Kataloge aus einem Mülleimer gezogen hatte, befanden sich alle in einem Stadium leichter Verwirrung, reichten sich die dünnen Hochglanzbroschüren weiter, als handle es sich um Sexhefte. Strike hätte mit der Peitsche geknallt, wenn es etwas anderes gewesen wäre, aber ihn hatte es am schlimmsten erwischt. Er hatte sich vor einer Stunde vorgenommen, während der ruhigen Vorabendzeit zu Rodneys Laden rüberzugehen, war aber mit einem halben Dutzend Katalogen auf der Bank kleben geblieben, ließ seine Finger Seite für Seite über Damenunterwäsche, handgeschnitzte Weihnachtsengel, computerisierte Jogginglaufbänder, Golfputting-Sets für zu Hause und Büro, Briefpapier mit Namenseindruck und Gartenmöbel gleiten. Von den Katalogen wurde ihm weich in den Knien, sie faszinierten ihn bis an den Rand der Hilflosigkeit, die Vorstellung von all diesen Sachen, die man haben konnte, in einem Buch zusammengefasst, das er mit einer Hand halten konnte. Nicht, dass er sich je etwas bestellte: Besitz zog Aufmerksamkeit auf sich, machte einen bloß zum Ziel. Auch von den Jungs hätte sich keiner etwas aus dem Katalog bestellt, nicht weil sie einen solchen Verfolgungswahn hatten wie Strike, sondern weil der Bestellvorgang – Telefon, Briefbestellungen, Lieferungen – zu viel Kontakt mit der Welt jenseits der Straße erforderte. Es war leichter, in einen Laden auf dem JFK Boulevard zu gehen, die Geldrolle aufblitzen zu lassen und zu sagen: »Geben Sie mir das da.«

Strike hatte keine Uhr, aber er wusste, es war sieben, weil Popeye aus der Weehawken Street 4 trat. Popeye war fünfundvierzig, sah aber aus wie sechzig, ein humpelnder, krummbuckliger Junkie mit einem aus der Höhle tretenden linken Auge. Er schlurfte zur Bank herüber, leckte sich die Lippen, war wahrscheinlich pleite, mochte es aber trotzdem, in der Nähe der Ampullen zu sein, vielleicht in der Hoffnung, eine im Gras zu finden oder so. Strike hatte Popeye vor ein paar Wochen aus Mitleid eine Ampulle gegeben, aber das hatte sich als schwerer Fehler erwiesen, denn das Einzige, was schlimmer war als ein Junkie ohne Ampulle, war ein Junkie mit Ampulle, und Popeye hatte den Rest jener Nacht in einem aufgeregten Tanz verbracht und die Crew stundenlang belästigt, bis Strike ihm eine runterhauen musste. Strike erinnerte sich noch an die glitschigen Stoppeln auf Popeyes Wange und an etwas Feuchtes – Speichel, Blut – auf seiner Hand, die er voller Ekel an seinem Hosenbein abrieb, und die ganze Nacht lang musste er von dieser Feuchtigkeit auf Handflächen und Fingern träumen.

Popeye kam nun an der Bank vorbeigehoppelt, sah Strike nicht an, sondern ging hin und her wie eine Wache und murmelte: »Strike, der Mann … Strike, der Mann.«

Sieben Uhr: Der Fury war das letzte Mal um halb fünf angerollt, um The Word im Jugendgefängnis abzuliefern; wenn es so weit kam, dann zog das die Knockos für etwa neunzig Minuten aus dem Verkehr. Dann hatten sie wahrscheinlich auf der O’Brien Street zugeschlagen, dann auf der Sullivan, was bedeutete, dass sie gegen acht wieder auf Strike zurollten. Es sei denn, sie hatten bei den beiden anderen Siedlungen gepunktet, worauf sie heute Nacht nicht zurückkehren würden, weil eine zweite Verhaftung sie bis etwa zehn Uhr aufhalten würde, und die Streife machte immer um zehn Uhr Schluss, um die letzten zwei Stunden der Schicht von vier bis Mitternacht zu versaufen. Es gefiel ihnen nicht, nach zehn Uhr noch Clockers zu kaschen und zu riskieren, dass sie bis zwei Uhr früh mit Papierkram und all den nötigen Zwischenstopps auf dem Weg zum County-Knast festgehalten wurden. Also kamen sie entweder in einer Stunde oder gar nicht. Strike konnte heute nicht noch eine Schwanzkontrolle ertragen und beschloss, sich vor acht vom Acker zu machen und um zehn zurückzukommen, wenn die Luft auf die eine oder andere Weise wieder rein war.

Er wandte sich erneut den Bildern auf seinem Schoß zu, blätterte an einem vergoldeten Rasierer vorbei, an Bocciakugeln, dicker Merinoschafwollunterwäsche, schließlich einem Polizeiwagen im Kinderformat, einszwanzig hoch, hinter dem Steuer ein blonder Dreijähriger, der grinste, als hätte er sich gerade in die Hosen gemacht.

Strike liebte nicht die Dinge an sich, er liebte die Vorstellung von den Dingen, das Konzept von Besitz. Manchmal war er rasend vor Verlangen, blind von all den Visionen von Dingen, die zu kaufen er viel zu clever war, und in derart klebrigen Momenten wie diesem kam er sich vor, als würde er gefoltert, verführt, und spürte auf eine freudlose Art, dass er jemanden austrickste, war sich aber nicht sicher, wen.

Schließlich glitt er voller Widerwillen gegenüber den Katalogen und gegenüber sich selbst von der Oberkante der Bank, ging zu Futon hinüber und nahm ihm seinen Katalog weg. Futon machte »he, he«, seine Finger schnappten nach den Seiten wie ein Fisch, und Strike musste den Katalog hinter den Rücken halten, um Futons Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

»Ich geh weg. Pass auf die Bank auf.«

»Wo gehst du hin?«

»Wenn ich wollte, dass du es weißt, dann hätte ich’s dir gesagt.«

»Gehst du in Rodneys Laden?«

Strike starrte ihn an.

»Gib mir das Buch zurück, okay?«

Strike starrte weiter, so als enthielte sein Schweigen eine Art Lektion, von der er wollte, dass Futon sie lernte.

»Ich hab alles im Griff. Gib mir das beschissene Buch zurück.«

Futon täuschte Strike von links und schnappte sich dann lachend den Katalog von der rechten Seite. Strike nahm an, dass er Futon ebenso mochte wie alle anderen: nicht besonders.

Auf seinem Weg zur Siedlung hinaus sah Strike den Jungen, der Crunch niedergestarrt hatte. Tyrone. Er stand an dem Zaun, beobachtete, wie Horace und Peanut herumalberten, und blickte angewidert drein. Strike bemerkte, dass Tyrone sich einen Mercedesstern in sein Haar rasiert hatte, der jetzt größtenteils zugewachsen war und eher wie eine Art Delle aussah. Strike trat näher an den Jungen heran, checkte ihn ab, und der Junge war sich seiner Nähe derart bewusst, dass er demonstrativ wegsah, was Strike als Zeichen dafür nahm, dass der Junge aufmerksam war. Tyrone … der Junge brauchte einen Straßennamen. Strike würde darüber nachdenken.

Strike lief die drei Blocks zu seinem Wagen und schaute sich alle ein, zwei Minuten um, um zu kontrollieren, ob irgendjemand hinter ihm herlief. Er hatte kein Geld bei sich, keinen Stoff, aber er war bekannt.

Er parkte seinen Wagen in der Auffahrt einer alten Dame, zahlte ihr hundert im Monat, damit er nicht auf der Straße stand. Die Frau war fünfundsiebzig, halb blind, hörte gern Gospelradio, saß gern am Fenster und hatte ein Auge auf den zwei Jahre alten Accord, als ob er von alleine weglaufen könnte. Strike mochte alte Leute. Sie waren viel vernünftiger, weniger anfällig für Gier, fanden keinen Geschmack am High-Sein und hatten keine Neigung dazu. Er hatte sechs von ihnen auf seiner Lohnliste: diese eine für den Wagen, drei weitere, um bei Sears gekaufte Safes in ihren Wohnungen aufzubewahren, für sein Geld; einen weiteren, um auf einen Safe für die Nachschubampullen aufzupassen; und noch eine, die seine Wäsche machte. Die alten Leute kosteten ihn eine Menge Geld, zweitausend im Monat. Aber er verdiente jetzt zwischen fünfzehnhundert und zweitausend die Woche, sein Schnitt für den Verkauf von etwa fünfzehnhundert bis zweitausend Ampullen, abhängig davon, welche Einbußen er hatte: Diebstähle, Bruch, Polizei. Er hatte Angst, irgendetwas mit dem Geld anzustellen, wollte nicht damit angeben oder sich irgendwas zulegen, das man ihm hätte wegnehmen können, also war alles, was er für seine harte Arbeit vorzeigen konnte, Bares, mehr Bargeld, als er zählen konnte. Sein Auto war gebraucht und geleast; einen geleasten Wagen konnten sie nicht beschlagnahmen, außerdem zog ein Gebrauchtwagen nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich. Seine Wohnung war auf einen anderen Namen gemietet, in einer verrufenen, aber ruhigen Nachbarschaft, einer Hurengegend, in der es keine Clockers gab, und gleich auf der anderen Straßenseite stand eine Reihe von Münztelefonen.

Seine Wohnung war makellos und kahl. Keine Riesenstereoanlage, kein Fernseher, kein Telefon, nur eine dreiteilige Schlafzimmereinrichtung und eine vierteilige Wohnzimmergarnitur, alles innerhalb einer halben Stunde in einem Einkaufszentrum drüben in Queens gekauft, wo ihn niemand kannte. Er war vor sechs Monaten nach einem Krach mit seiner Mutter wegen seiner Dealerei dort eingezogen. Er war erst neunzehn, hatte aber genug Geld, um sich irgendwo ein Haus kaufen zu können, aber wenn man ihn verhaftete, würde man das Haus beschlagnahmen, und die Zeit im Knast würde bedeuten, dass kein Geld floss, keine Abzahlungen bei der Bank, und das Haus würde zurückgefordert werden. Doch zumindest hatte Strike mit dem Gedanken gespielt: Die meisten Dealer, die er kannte, dachten nicht im Traum an Häuser. Wie Horace warfen sie ihr ganzes Geld für Spielzeug zum Fenster raus – Männerspielzeug vielleicht, aber dennoch federgewichtige Eitelkeitskäufe, sie lebten in Bruchbuden und trugen zu viel Gold. Sie kamen nicht von der Idee los, von Minute zu Minute überleben zu müssen, hätten ihr Geld nie in etwas Substantiellem angelegt. »Sie haben keine Zukunft, weil sie nicht an die Zukunft glauben«, so drückte sich Rodney aus, obwohl nach Strikes Dafürhalten Rodney niemand war, mit dem man hätte reden können.

Jedes Mal, wenn er auf dem JFK auf dem Weg zu Rodneys Laden an der roten Ampel hielt, glitt seine Hand zur .25er Automatik, die er unter einem selbstgebauten Klappdeckel auf der Trittleiste verstaut hatte. Da gab es ein paar Schläger aus Newark, die es auf die Dealer aus Dempsy abgesehen hatten und ihnen nach Hause folgten oder sie an den Ampeln erwischten. Und sie machten auch von ihren Waffen Gebrauch: Ein Typ von der Sullivan-Crew lag am Beatmungsgerät, und irgendein Clocker von der Cleary Avenue war tot. Manche Leute sagten, es sei Erroll Barnes gewesen, aber Erroll Barnes’ Name tauchte jedes Mal auf, wenn ein Ding ohne Zeugen ablief. Erroll Barnes war ein übler Bursche aus Dempsy, hatte mehrere Jahre abgesessen, weil er einen Fernsehreporter umgelegt hatte, der die Bullen bei der Arbeit begleitet hatte. Er hatte nicht lebenslänglich gekriegt, weil sein Anwalt die Geschworenen davon überzeugte, dass Erroll dachte, es habe sich um andere Dealer gehandelt, die ihm an den Kragen wollten, und dass er niemals wissentlich auf Polizisten schießen würde. So konnte es manchmal gehen. Doch wenn Erroll Barnes hinter all dem steckte, dann war das die beste Versicherung für Strike, weil Erroll und Rodney gemeinsam aufgewachsen waren, gemeinsam Überfälle begangen hatten, gemeinsam gesessen hatten, und jetzt war Erroll Rodneys Mann für alles und Drogenschlepper, und Strike konnte sich nicht vorstellen, dass Erroll auf Rodneys Leute schoss. Allerdings wäre das nichts Unerhörtes gewesen; jeder war auf sich allein gestellt, und dieser ganze ›Wir sind eine Familie‹-Dreck ging sowieso den Bach hinunter.

Strike hasste es, eine Pistole zu haben, er hatte sie sich nur deswegen besorgt, weil Rodney ihm gesagt hatte, er sei zu klein und zu dürr, um irgendjemanden nur durch Worte dazu zu bewegen, bei Fuß zu stehen. Die Wahrheit war, dass er vor der Waffe von Anfang an Angst gehabt hatte – nicht Angst, dass er jemanden erschießen würde, sondern Angst vor seiner eigenen Wut. Nicht auszudenken, der Ärger, wenn er jemanden erschießen würde. Seine Angst, sie benutzen zu müssen, hatte auch ihr Gutes, ließ ihn manchmal sogar kreativ werden. Eines Abends, vor drei Monaten, hatte er herausgefunden, dass einer der Burschen, die für ihn arbeiteten, rüber zur Rydell ging und seine Ampullen für fünfzehn statt für zehn verkaufte und die überschüssigen fünf selber einsackte. Da er nicht die Pistole benutzen wollte, ging Strike in eine Tierhandlung, kaufte eine Hundekette und prügelte die gierige kleine Ratte vor der gesamten Spielplatzhorde zu Boden, stand über ihm wie ein Sklaventreiber mit Bierbauch. Es war nur Geschäft, doch Strike dachte nicht gern daran, wie gut er sich dabei gefühlt hatte, wollte sich nicht vorstellen, wie das Ganze wohl ausgegangen wäre, wenn er die Waffe in der Hand gehabt hätte.

Strike nahm ein Yoo-Hoo aus dem Handschuhfach und nippte daran, während er die Straße entlangrollte. Etwa alle zwei Blocks winkte ein JFK-Clocker als Geste des Erkennens oder rief seinen Namen, oder irgendein Junkiemädchen aus der Siedlung kriegte ein ganz glückliches Gesicht und lief auf Zehenspitzen in den Verkehr, um ihm eine Ampulle abzuschwatzen, bevor die Ampel umsprang. Trotz seiner Vorsicht liebte er insgeheim die Aufregung, die er bei anderen hervorrief: den sich aufhellenden Blick, den die Junkies bekamen, wenn sie ihn sahen. Eines Tages war es vorbei mit diesem Wiedererkennen, dieser Macht, doch abgesehen von dem lebenslangen Kleinkrieg zwischen ihm und seiner Mutter hatte er Liebe nie näher erfahren.

An der Ampel vor der Abzweigung zu Rodneys Laden zogen zwei Bullen in Zivil mit dem Accord auf gleiche Höhe. Strike achtete darauf, dass er einen zufälligen Blick durch deren Scheibe warf und dann wegsah. Es war nur natürlich, ein Polizeiauto anzusehen; durch nichts verriet sich ein Clocker schneller als durch diesen steinernen, nach vorn gerichteten Blick auf die rote Ampel.

Der Polizist auf dem Beifahrersitz, ein rosahäutiger Albino mit einem wilden weißen Rauschebart, kurbelte sein Fenster herunter und reckte sein Kinn in Strikes Richtung. Strike geriet ein wenig in Panik, vergaß die Pistole in der Trittleiste und machte sich stattdessen wegen des offenen Yoo-Hoo Sorgen.

»Strike …«

Strike kurbelte sein Fenster herunter und blinzelte, als hätte er die Kontrolle über seine Augen verloren.

»Sag Rodney, er soll mich mal anrufen.«

Strike nickte erleichtert und verwirrt. Der Typ musste auf Rodneys Lohnliste stehen, aber woher wusste der Polizist, wer er war? Strike hatte ihn noch nie gesehen. Die Ampel sprang auf Grün, und Strike ließ ihn zuerst durchstarten.

Soll mich mal anrufen – als ob Rodney wüsste, um welchen Cop es sich handelte. Der Typ dachte wahrscheinlich, dass er der Einzige auf Rodneys Schmierliste wäre. Strike zischte vor Abscheu: In diesem Spiel waren alle voller Scheiße. Die Polizisten beschissen sich gegenseitig, die Dealer beschissen sich gegenseitig, die Polizisten beschissen die Dealer, die Dealer beschissen die Polizisten, die Polizisten nahmen Bestechungsgelder an, die Dealer knallten sich gegenseitig ab wie die Ratten. Keiner wusste mit Sicherheit, wer auf welcher Seite war, keiner wusste mit Sicherheit, wie viel oder wie wenig Geld sonst wer machte. Das ganze Geschäft vollzog sich über Münztelefone in der Nacht. Genauso gut konnte man mit verbundenen Augen über ein Minenfeld laufen. Schwer zu sagen, was man tun oder lassen sollte, aber es gab drei Regeln, an die Strike sich strikt hielt: Traue niemandem, werde nicht gierig, und nimm keinen Stoff. Die meisten Leute, die hier durchhielten, lebten nach denselben Regeln, plus Regel Nummer vier, die so eine Art Balanceakt mit Regel Nummer eins darstellte. Du musst jemanden haben, der dir den Rücken freihält. Irgendeine große Nummer muss da sein, die dir den Arsch rettet. Es gibt immer was, wo du Hilfe brauchst. Kaution, Knast, Geldeintreiben, Muskeln, und an zwei Orten gleichzeitig kann man sowieso nicht sein. Dafür hatte Rodney Erroll. Strike hatte noch nie so jemanden gehabt, aber er dachte schon seit längerem darüber nach.

Rodneys Laden hieß ›Rodney’s Place‹, ein kleines Loch in einer Seitenstraße des JFK Boulevard. Rodney hatte den Namen von Hand auf die himmelblauen Presssteine unterhalb des Fensters geschrieben, gefolgt von einer unvollständigen Liste: ›Süßigkeiten, Sofedrinks, Milch, Spiele‹. Selbst wenn es einem auffiel, hatte niemand den Mumm, Rodney zu sagen, dass er ›soft‹ falsch geschrieben hatte. Rodney hatte mit einundzwanzig im Gefängnis Lesen und Schreiben gelernt, dort seinen Highschool-Abschluss nachgeholt und seitdem wie verrückt gelesen und geschrieben, war besessen von Tests, machte alle möglichen schriftlichen Prüfungen, nur um zu beweisen, dass er sie bestehen konnte. Er hatte nun sechzehn Lizenzen: Friseur, Kosmetiker, Immobilien, Reisebüro, Fahrlehrer und Reparatur von Fotokopiergeräten. Strike wusste, dass Rodney stolz wie Oskar auf seine Ausbildung per Post war, obwohl er wenig mehr vorzeigen konnte als einen Haufen gerahmter Diplome, die an den Wänden des Süßigkeitenladens hingen. Er nutzte niemals eine der Fähigkeiten, die mit all dem Papier einhergingen, abgesehen von einem gelegentlichen Haarschnitt, wenn er die Mähne von irgendeinem Bengel nicht länger mit ansehen konnte.

 

Rodney war nicht da, als Strike eintrat. Sechs Teenager spielten unter der grellen Neonbeleuchtung Poolbillard, zwei weitere hämmerten an dem Super-Mario-Spiel herum: Alle nahmen Strikes Anwesenheit mit verkifftem, maulaffigem Stirnrunzeln hin. Die Kinder waren keine Clockers. Rodney ließ keinerlei Dealerei im Laden zu, für Rodney zu arbeiten hieß wirklich arbeiten.

Strike wusste das bereits. Er hatte ein volles Jahr hier drin verbracht und fünf Dollar die Stunde unter der Hand verdient, ganz normale knochenharte Ladenarbeit ohne Rumspielerei – Inventur, hinter der Kasse sitzen, den Boden wischen, manchmal fünfzehn Stunden am Tag, dann im Hinterzimmer schlafen, dann weitere zwölf. Er hatte jeden Augenblick davon genossen und das Gefühl gehabt, es ginge ihm saugut, bis Rodney ihn eines Tages zu sich rief und ihm eine andere Art von Arbeit anbot. Jetzt führte Rodney Strike als Nachtmanager von ›Rodney’s Place‹ in den Büchern; sollte Strike jemals mit ein paar Tausendern erwischt werden, konnte er das Geldbündel damit erklären, dass er auf dem Weg zur Bank sei, um eine Nachteinlieferung für den Laden zu machen. Rodney wusste, was er tat, und er berechnete Strike gerade mal fünfhundert Dollar für den Ehrentitel. Manchmal vermisste es Strike, hier zu arbeiten; sein Magen tat ihm damals weniger weh, und er hatte das Gefühl genossen, wann immer Rodney vorbeikam und sich darüber ausließ, wie picobello der Laden doch aussehen würde.

Als sie sich das erste Mal begegnet waren, hatte Rodney Strike völlig verwirrt, als er ihm sagte, dass er seinen Sprachfehler ›bewundere‹, weil Strike sich von solchen Kleinigkeiten nicht abhalten lasse, etwas aus sich zu machen. Rodney sagte, man könne sehen, dass Strike erkannt habe, dass die einzige Stelle, an der ein Mann wirklich behindert sein könne, sein Verstand sei, und dass dem Mann, der seinen eigenen Verstand besiege, die Welt zu Füßen läge.

Strike hatte nichts von alldem gewusst, bis Rodney ihm das sagte, doch kaum hatte er es gehört, begann er auch, daran zu glauben. So machte es Rodney die ganze Zeit: Er brachte ihm Dinge auf eine Weise bei, dass er das Gefühl hatte, es schon die ganze Zeit über gewusst zu haben, und sorgte so dafür, dass Strike sich selbst erkannte. Und manchmal stellte Rodney anderen Leuten Strike als ›meinen Sohn‹ vor. Rodney wusste eben genau, was er tat.

Der einzige andere Typ, der hier drin so hart gearbeitet hatte wie Strike und den Rodney ebenso mochte wie ihn, war ein Bursche namens Darryl Adams. Darryl war in vieler Hinsicht wie Strikes älterer Bruder Victor: Kopf gesenkt, eins nach dem anderen, nie vorschnell mit dem Mundwerk, und Lächeln war auch nicht seine Sache. Er war still, sauber, zuverlässig, genau so, wie es Strikes Mutter gern gehabt hätte. Damals hatte Darryl einen Job als Assistent des Geschäftsführers im ›Ahab’s‹, einem Fastfood ein paar Blocks von Rodneys Laden entfernt, dieselbe Art Job, die Strikes Bruder drüben in einem Konkurrenzloch namens ›Hambone’s‹ hatte.

Strike drehte eine langsame Runde durch den engen Laden, blickte finster drein und widerstand dem Impuls sauberzumachen: Der Ort sah fürchterlich aus.

Rodneys pummelige Teenagertochter saß hinter der Theke, starrte in die Gegend und kaute Luft. Auf der anderen Seite des Raums saß Rodneys Vater auf einem Barhocker hinter seinen dicken Brillengläsern und seinem Zigarettenqualm, beobachtete die Poolbillardpartie und quasselte, meistens mit sich selbst. Ein zehn Monate alter Junge in einem Strampelanzug saß mit einem Schokoriegel in einem Kinderwagen vor dem Süßigkeitentresen. Sein Haar wies zwei sauber ausrasierte Stellen auf, die von vorn nach hinten liefen wie die Streifen auf einem Footballhelm, und er trug an seinen Füßen hochschaftige Baby-Nikes. Er war Rodneys Sohn, einer von dreien, von denen Strike wusste, dieser hier von einer Frau, die ein paar Häuser von dort entfernt wohnte, wo Rodney mit seiner Frau und zwei halbwüchsigen Töchtern lebte.

Die Kids um den Pooltisch und an dem Videospiel waren meist nur hier, weil ihnen nichts Besseres einfiel; die Hälfte von ihnen lebte auf der Straße oder mit Müttern, die sich von morgens bis abends die Birne volldröhnten. Rodney hielt den Laden vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet, und ein Großteil von ihnen ging nie nach Hause. Sie trugen fusselige Trainingsanzüge und billige Schuhe, Baseballkappen und keinen Schmuck. Zwei von ihnen lutschten noch am Daumen.

Strike beobachtete das Spiel eine Minute lang. Keines der Kinder konnte mehr als eine Kugel hintereinander versenken oder hatte die Geduld, einen Schuss richtig vorzulegen, und während er dastand, wurden sie noch schlechter, weil sie wussten, dass er nicht einfach ein Clocker war, sondern Rodneys Offizier. Ein paar von ihnen würden in den nächsten Monaten eine Chance auf der Straße erhalten. Die meisten würden sofort selbst abhängig werden, und ein paar würden Air Nikes und Gold tragen, wenigstens für eine kurze Weile, bis auch sie den Bach runtergingen. Sechs Monate auf der Straße waren eine gute Zeit, und man musste einen klaren Kopf und eine Menge Selbstvertrauen haben, um es wenigstens so lange zu schaffen. Strike war jetzt fast neun Monate da draußen, und er wusste, dass so gut wie niemand das Spiel heil überstand und dass fast jeder von sich glaubte, er sei die Ausnahme.

Strike wandte sich ab, so dass die Spieler sich entspannen konnten. Alles, was zum Verkauf angeboten wurde, befand sich hinter dem Tresen; auf diese Weise konnte niemand mit irgendwas verschwinden. Strike warf einen Blick auf die Regale: Windeln, Milchpulver, Glühbirnen, Tampons, Müsli, Katzenstreu, Kaffee, Streichhölzer, Feuerzeuge plus die Dreifaltigkeit der einfachen Kokainaufbereitung: Backpulver der Marke Arm and Hammer, Chore-Boy-Stahlwolle und McKessons Alkohol zum Einreiben. Eine Prise Backpulver, vermischt mit einer Zehn-Dollar-Ampulle Koks, mit Wasser besprenkelt, erhitzt, dann abgekühlt, und man hatte einen puren Nugget aus rauchbarem Kokain. Und ein Stück Chore Boy in die Pfeife gedrückt fing etwas von den Kokainschwaden auf, wenn sie aus dem brennenden Nugget stiegen. Trafen die Dämpfe auf die Putzwolle, verwandelten sie sich in eine ölige Substanz, die an den Fäden klebte; man konnte die Putzwolle für einen zweiten Hit aufheizen, zwar nicht so stark, aber immer noch im Preis inbegriffen. Der Einreibealkohol war einfach Butan für arme Leute, obwohl manche 75-prozentigen Rum vorzogen.

Jeder kleine Gemüsehändler und Süßwarenladen in jeder armseligen Straße in Dempsy hatte die Dreifaltigkeit stets vorrätig, ganz gleich, wie mickrig oder zufällig die Auswahl hinter dem Tresen auch war. Sie hatten sie nicht nur vorrätig, sie verlangten auch doppelt so viel dafür wie in den Wohlstandsgegenden, Angebot und Nachfrage eben. Rodney war ein Ghettokapitalist mit umfassendem Service: Er verkaufte die Ampullen auf der Straße und nahm dann überzogene Preise für das Zeug, mit dem man den Stoff aufbereitete.

Strike ging hinüber zu der Glastheke und baute sich vor Rodneys Tochter auf. Sie starrte ihm ein Loch durch die Brust, ihre Kiefer malmten, während sie die Hände mit den Handflächen nach oben im Schoß hielt.

»Wo ist er?«

Sie zuckte mit den Schultern und zog kaum die Augenbrauen hoch.

Strike ging hinüber zum Kühlschrank, in dem Rodney Milch und Getränke aufbewahrte. Es handelte sich um einen üblichen Küchenkühlschrank, mit dem Unterschied, dass nichts darin umsonst war. Strike war jedes Mal völlig fertig, wenn er ein Yoo-Hoo aus dem Kühlschrank nahm und dann dafür bezahlen musste. Und man musste dafür bezahlen, ganz gleich, wer man war. Eines von Rodneys Lieblingszitaten stammte von irgendeinem Milliardär: »Zehn Cent sind zehn Cent.« Strike drehte die Flasche auf, legte fünfzig Cent auf den Tresen und wanderte auf und ab, war ruhelos, hasste es, auf Leute zu warten, wenn man zu viel Zeit hatte und wirres Zeug dachte.

Das Neonlicht prallte hart von den Spanplattenwänden ab. Rodney besaß zwei solcher Läden plus Würfelspielhalle, und sie alle waren mit diesen salamigemusterten Pressholzplatten ausgeschlagen. Der Mann machte zwanzig- bis vierzigtausend Dollar mit den zwei oder mehr Kilo, die Strike und seine beiden anderen Offiziere jede Woche verkauften, aber er dachte nicht daran, anständiges Holz zu nehmen oder gar einen Farbanstrich aufzutragen.

Strike wandte sich Rodneys Diplomen zu, zumeist Fernkursabschlüssen, die alle in Woolworth-Bilderrahmen an Reißzwecken hingen, die in die Spanplatten gedrückt waren. Strike hielt das alles für ziemlichen Blödsinn von Rodney – wer ging denn schon zur Schule, um Haareschneiden zu lernen? Außerdem wusste er, dass Rodney das Frisieren in Wirklichkeit im Knast gelernt hatte.

Trotzdem spürte Strike ein leichtes Ziehen, als sein Blick auf das New-Jersey-State-Highschool-Abschlusszeugnis fiel. Er selbst hatte nie eine Schule beendet. Wenn man Geld verdienen wollte, hatte man Besseres zu tun, als seine Zeit mit Lernen zu vertrödeln. Jeder konnte einen Highschool-Abschluss machen, wenn er durchhielt, aber er führte zu nichts, außer zu noch mehr Schule oder irgendeinem nach Stunden bezahlten Job.