Commissaire Cluzet und das verschwundene Testament - Alexandre Dupont - E-Book

Commissaire Cluzet und das verschwundene Testament E-Book

Alexandre Dupont

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Beschreibung

Ein Millionenschatz in Auciel Haute? Seit Wochen erscheinen in der Lokalpresse Hinweise darauf - Einheimische und Touristen sind im Schatzfieber. Cluzet beobachtet das Ganze eher amüsiert. Doch dann wird ein Rechtsanwalt aus La Réunion ermordet aufgefunden. Als Nachlassverwalter eines ausgewanderten Sohnes der Stadt war er für die Organisation der Schatzsuche in Auciel Haute mitverantwortlich. Aber das Testament, das er wie seinen Augapfel hütete, ist verschwunden. Schreckt da jemand nicht vor Mord zurück, um vor allen anderen dem Schatz auf die Spur zu kommen?

Über die Serie:

Urbain Cluzet ist Commissaire de Police in Paris. Besser gesagt, er war es. Denn nach dem Tod seiner geliebten Frau und seiner Pensionierung zieht er sich in seinen Geburtsort, das beschauliche Auciel Haute in der Normandie, zurück. Doch das Ermitteln kann er nicht lassen. Zumal Sandrine Saidi, die begabteste Polizistin des Ortes, von ihrem inkompetenten Chef, dem Major de Police Melki, ausgebremst wird.

Dennoch - oder gerade deswegen - genießt Cluzet das gemütliche Leben in Auciel Haute, wo er im kleinen Gartenhäuschen der Pension seiner Wahl-Enkelin Nathalie Bosc wohnt und sich regelmäßig mit seinem besten Freund, dem Apfelbauern und Schwarzbrenner Bruno, auf einen Calvados trifft.

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Über diese Folge

Ein Millionenschatz in Auciel Haute? Seit Wochen erscheinen in der Lokalpresse Hinweise darauf - Einheimische und Touristen sind im Schatzfieber. Cluzet beobachtet das Ganze eher amüsiert. Doch dann wird ein Rechtsanwalt aus La Réunion ermordet aufgefunden. Als Nachlassverwalter eines ausgewanderten Sohnes der Stadt war er für die Organisation der Schatzsuche in Auciel Haute mitverantwortlich. Aber das Testament, das er wie seinen Augapfel hütete, ist verschwunden. Schreckt da jemand nicht vor Mord zurück, um vor allen anderen dem Schatz auf die Spur zu kommen?

Commissaire Cluzet – Die Serie

Urbain Cluzet ist Commissaire de Police in Paris. Besser gesagt, er war es. Denn nach dem Tod seiner geliebten Frau und seiner Pensionierung zieht er sich in seinen Geburtsort, das beschauliche Auciel Haute in der Normandie, zurück. Doch das Ermitteln kann er nicht lassen. Zumal Sandrine Saidi, die begabteste Polizistin des Ortes, von ihrem inkompetenten Chef, dem Major de Police Melki, ausgebremst wird.

Dennoch – oder gerade deswegen – genießt Cluzet das gemütliche Leben in Auciel Haute, wo er im kleinen Gartenhäuschen der Pension seiner Wahl-Enkeln Nathalie Bosc wohnt, und sich regelmäßig mit seinem besten Freund, dem Apfelbauern und Schwarzbrenner Bruno, auf einen Calvados trifft.

ALEXANDRE DUPONT

Commissaire Cluzet

und das verschwundene Testament

1

Ihre Welt wurde im Schlaf erschüttert. Wie von einem Beben. Das vor allem durch die Luft ging.

Etwas war auf den Boden aufgeschlagen, sodass sie die Vibrationen noch auf dem Holz spüren konnte, auf dem sie saß. Sie waren nicht stark genug, dass sie den Staub um sie herum hätten aufwirbeln können. Aber sie hatte sie gespürt.

Die Luft rauschte um sie herum. Vermutlich ausgelöst von den Tauben in ihrer Nachbarschaft.

Ein heller Punkt wanderte umher. Er blendete sie, als er sie traf, und machte sie für einen Moment orientierungslos.

Es konnte nicht die Sonne sein. Er war nicht warm.

Sonst hätte sie diesen düsteren Ort sofort verlassen, um sich aufzuwärmen.

Dass sie in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wurde, war nicht ohne Risiko für sie. Sie musste Kraft sparen. Die sonst vielleicht nicht mehr für den nächsten Morgen reichte.

Es folgten weitere, schwache Erschütterungen. Ganz rhythmisch. Eins, zwei, drei …

Die Erschütterungen wurden schwächer. Verschwanden.

So schnell, wie sie aufgeschreckt worden war, beruhigte sie sich auch wieder. Sie ließ die Fühler sinken und schlief wieder ein.

Von dem Toten in der Grube nur ein paar Meter entfernt hatte die Hummel nicht die geringste Ahnung.

2

Cluzet drückte den Kaffee leicht an und setzte den Siebträger in das schwarze Ungetüm von Kaffeemaschine hinterm Tresen des Vieux Moulin.

Es herrschte Hochbetrieb, und alle Tische im Gastraum waren voll besetzt. Obwohl noch nicht einmal Wochenende war. Gläser klirrten, es wurde angeregt diskutiert und laut gelacht.

Nathalies Aushilfe hatte sich eine hartnäckige Sommergrippe eingefangen. Also hatte Cluzet sich ein weißes Hemd und eine schwarze Hose angezogen und war kurzfristig eingesprungen, um seiner Wahl-Enkelin beim Ansturm der Gäste zu helfen.

Es flößte ihm gehörigen Respekt ein. Immer wieder musste er zu den einzelnen Tischen schauen und sich ins Gedächtnis rufen, wer was bestellt hatte. Er war nahe dran, den Überblick zu verlieren. Was wohl weder Nathalie noch ihrer Aushilfe jemals passiert war.

Cluzet stellte zwei dickwandige, weiße Tassen unter die Maschine und wählte die dazugehörigen Tasten, wie Nathalie es ihm gezeigt hatte. Anschließend drückte er auf »Start«.

Aber nichts geschah.

Er drückte noch einmal.

Wieder nichts.

Ebenso wenig beim nächsten Mal.

»Nathalie?«, rief Cluzet über die Schulter zur Küchentür.

»Ja?«, kam es gedämpft zurück.

»Irgendwas ist mit der Kaffeemaschine.«

»Was?« Nathalies Stimme überschlug sich beinahe. Gleich darauf flog die Schwingtür auf, und sie kam herein. Begleitet vom Duft gerösteten Kräuterbrots. Wie Cluzet trug sie eine weiße Bluse und eine schwarze Hose. Darüber hatte sie eine schwarze Schürze mit dem neuen Logo des Vieux Moulin gebunden. Die stilisierte Zeichnung der mittelalterlichen ehemaligen Mühle mit dem großen Wasserrad. Wie immer hatte sie ihr dunkelbraunes Haar streng am Hinterkopf zusammengebunden. »Was ist passiert?«

Hektisch sprangen ihre Augen über die Maschine.

Cluzet nahm sie beim Oberarm und schob sie etwas zur Seite. Dann tippte er erneut die Start-Taste. Wieder geschah nichts. »Das ist passiert.«

Hochkonzentriert tippte Nathalie auf eine der vielen anderen Tasten an dem Gerät, und ein kleines Display leuchtete auf. Sie las die Informationen ab und wischte dabei mit dem Finger darüber. Anschließend wandte sie sich Cluzet zu, runzelte die Stirn und atmete hörbar aus.

»Du machst mich noch irre, GP!«

Sie nannte ihn bei seinem Kosenamen: GP. Die Abkürzung für Grand-Père. Er hatte also zumindest nichts kaputtgemacht.

Ohne hinzusehen, drückte Nathalie eine weitere Taste und dann auf »Start«. Die Maschine spie fauchend die beiden Kaffees aus.

»Das Wasser war leer«, erklärte Nathalie Cluzet. »Wenn die Maschine sich wieder aufgefüllt hat, tippst du hier drauf.« Sie zeigte ihm die Taste, die sie als vorletzte bedient hatte. »Das ist so eine interne Sicherung. Man hätte es besser lösen können, aber so ist es eben.«

Cluzet nickte kurz.

»Fürs nächste Mal«, sagte Nathalie und strich ihm über den Arm. Dann verschwand sie schnell wieder in der Küche. »Ich muss die Lunchpakete fertig machen.«

Die Pakete waren für die Gäste des Vieux Moulin. Sie sollten eine kleine Stärkung sein, wenn sie auf die nächste Etappe der Schatzsuche gingen, die Auciel Haute gerade in Atem hielt.

Seit vier oder fünf Wochen, so genau hatte Cluzet das nicht verfolgt, erschien auf der Website der Internet-Nachrichtenseite »Actualités d’Auciel Haute« eine Suchaufgabe, die zu einem versteckten Schatz führen sollte. Ausgangspunkt war jeweils ein Lokal oder Café in Auciel Haute, und inzwischen hatte die Schatzsuche eine kleine Fangemeinde gefunden.

Heute war das Vieux Moulin der Startpunkt für eine Aufgabe, die gut und gern zu einer Nachtwanderung werden konnte. Entsprechend trugen die Gäste an den Tischen sommerliche Wanderkleidung und waren mit Rucksäcken und Geländekarten ausgerüstet. Einige hatten bereits Stirnlampen angelegt. Vor anderen warteten jeweils schwere Stablampen auf dem Tisch, wie Cluzet sie noch aus seiner Dienstzeit als Kriminalkommissar in Paris kannte.

Er selbst machte sich nicht viel aus der Suche. Tatsächlich hielt er es vor allem für eine Touristenattraktion. Obwohl auch einige Einwohner von Auciel Haute unter den Teilnehmern waren.

Cluzet nahm die Tassen mit dem dampfenden Kaffee von der Maschine und stellte sie aufs Tablett, auf dem bereits Gläser mit Wasser und Wein warteten. Er hob das Tablett vorsichtig an und balancierte es durch den Gastraum zum Tisch gleich neben dem Eingang.

Die drei Männer und zwei Frauen mittleren Alters beachteten ihn kaum, als er das Tablett ein kleines Stück auf den Tisch schob und die Getränke verteilte.

Einer der Männer schnappte sich ein Glas Wasser und verlangte mit ausgestrecktem Zeigefinger nach Cluzets Aufmerksamkeit. »Es soll ja doch noch später werden. Bringen Sie mir noch einen Chai Latte?«

»Einen was, bitte?« Cluzet hatte den Eindruck, dass er den Mann nicht richtig verstanden hatte.

»Chai Latte.« Der Mann zeigte erklärend auf die Getränkekarte.

»Wenn’s da drin steht …«, lächelte Cluzet und machte sich wieder auf den Weg hinter den Tresen. Kaum angekommen, bog er direkt in die Küche ab.

»Da möchte jemand etwas Besonderes«, sagte er, während die Tür hinter ihm ausschwang.

»Dann mach’s doch«, antwortete Nathalie. Sie hob die letzten Scheiben gerösteten Brots aus der gusseisernen Pfanne auf eine Lage Küchenkrepp.

»Ich weiß aber nicht, was das ist.« Beim Anblick und dem Duft des dunklen Brots mit den grünen Kräutern lief Cluzet sofort das Wasser im Mund zusammen.

»Wie lautet denn die Bestellung?«

Cluzet atmete ein, um zu antworten. Aber der genaue Wortlaut fiel ihm nicht mehr ein. »Es klang wie … Scharlatan?«

Nathalie sah ihn irritiert an. Dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Vielleicht Chai Latte?«

Cluzet stieß mit dem Zeigefinger in die Luft. »Das war’s!«

Nathalie lachte stumm. Dann band sie die Schürze los und zog sie über den Kopf. Sie presste sie Cluzet auf die Brust, als sie sich an ihm zur Tür vorbeischob. »Ich mach’s! Und du machst solange die Lunchpakete fertig und bringst sie zu den Gästen. Jeder eins!«

Cluzet nickte ihr nach, während sie in den Gastraum verschwand.

Womöglich war er ihr keine so große Hilfe, wie er gedacht hatte.

Cluzet schob die letzten Scheiben Röstbrot in die Papiertüten mit dem aufgedruckten Logo des Vieux Moulin. In einigen befanden sich bereits Käsewürfel, Minisalamis und Äpfel. Die Übrigen waren mit Gemüsesticks, Nüssen und Obst befüllt. Dazu gab es für jede Suchgruppe eine Flasche Cidre und kleine Apfelsaftpäckchen mit Strohhalmen.

Cluzet verstaute die Papiertüten in einem großen Weidenkorb und schob sich rückwärts durch die Tür in den Gastraum.

Nathalie stand am Tisch neben dem Eingang und unterhielt sich angeregt mit dem Gast, der das merkwürdige Getränk bestellt hatte. Immerhin hatte Cluzet sich den Namen gemerkt: Chai Latte. Das karamellfarbene Getränk mit der Milchschaumhaube sah sogar recht lecker aus. Dennoch würde Cluzet seinem tiefschwarzen, stark gezuckerten Kaffee treu bleiben.

»Möchte jemand vegetarisch?«, fragte er, als er an den ersten Tisch im Nebenraum trat und den Korb darauf abstellte. Die Leute daran waren die jüngste Suchgruppe. Je drei Männer und Frauen Anfang zwanzig in leichter, bunter Wanderkleidung. Vor ihnen leuchteten ihre Smartphones mit der heutigen Suchaufgabe. Zwischen ihnen lag eine ausgedruckte Geländekarte Auciel Hautes, in die sie die Hinweise eingetragen hatten. Die heutige Etappe führte augenscheinlich auf die großen Apfelplantagen im Süden Auciel Hautes, die ein kleines Waldstück umschlossen.

Cluzet kannte den Wald von seinen morgendlichen Spaziergängen. Am Rand stand ein altes, unbewohntes Haus aus Bruchstein. Es war nicht mehr im besten Zustand, aber irgendjemand schien sich immer noch um den Erhalt zu kümmern. Dennoch hatte Cluzet dort niemals jemanden entdeckt.

Drei Hände gingen in die Höhe, und Cluzet überreichte ihnen die Tüten mit Gemüsesticks. Die anderen erhielten Käse und Salami. Cluzet stellte die Getränke dazu in der Tischmitte ab.

»Oh, das sieht lecker aus!« Eine der Frauen fingerte sofort das Brot aus der Tüte und biss davon ab. Im nächsten Moment schloss sie die Augen und seufzte.

»Das war für unterwegs gedacht«, schmunzelte Cluzet. »Wenn Sie es jetzt schon essen, werden Sie es bereuen, wenn Sie später den anderen dabei zusehen müssen.«

»Muss ich nicht«, antwortete die Frau und wandte sich zu dem Mann neben sich. Während sie ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange gab, stibitzte sie das Brot aus seiner Tüte. Der Mann verdrehte zwar die Augen, ließ es sich aber gefallen. Gleich darauf stimmte er in das Lachen der Übrigen am Tisch mit ein.

Nachdem Cluzet die restlichen Tische im Nebenraum versorgt hatte, kehrte er in den Gastraum zurück, zum Tisch in der hintersten Ecke.

Auf den Bänken am schweren, dunklen Holztisch saßen die Initiatorin der Schatzsuche und ein Cluzet unbekannter Mann. Außer Cluzet und Nathalie waren sie die Einzigen, die keine Wanderkleidung trugen.

Lucie Beaumont war Anfang zwanzig und betrieb die Website der »Actualités d’Auciel Haute«. Ihre rötlichen Locken fielen auf die dünnen Träger ihres Sommerkleids, das ebenso pastellgrün war wie ihre Augen. Die Stupsnase verlieh ihr das Aussehen einer neugierigen Spitzmaus.

Der Mann dagegen war sicher zehn Jahre älter. Obwohl es noch immer sehr warm war, hatte er das Sakko seines hellgelben Sommeranzugs nicht abgelegt. Entsprechend glitzerten Schweißperlen auf seiner dunkelbraunen Stirn, was ihn aber nicht zu stören schien. Sein Afrohaar war an den Seiten und am Hinterkopf kurzgeschoren. Sein Lachen war einnehmend und dunkel.

Die beiden waren so vertieft in ihr Gespräch, dass sie Cluzets Anwesenheit nicht bemerkten. Sie schreckten leicht auf, als Cluzet den Korb auf dem Tisch abstellte und die Flaschen darin klirrten.

»Huch!« Lucie Beaumonts Stimme klang glockenhell. »Monsieur Cluzet!«

»Tut mir leid, wenn ich Sie unterbreche«, antwortete Cluzet und schnippte mit dem Finger an einer Papiertüte. »Für Sie auch?«

»Kommt darauf an.« Lucie Beaumont hielt ihre Nase über den Korb und schnupperte. Was ihr noch mehr das Aussehen einer Spitzmaus verlieh. Schließlich schnappte sie sich grinsend ein Tütchen aus dem Korb. »Danke!«

»Das ist eigentlich nur für Teilnehmer«, erinnerte Cluzet schmunzelnd.

»Wir sind die Organisatoren. Das gilt auch!«, gab Lucie Beaumont zurück.

»Ach, ja?« Cluzet sah zu dem Mann.

Der lächelte freundlich. Es wirkte lebensfroh und einnehmend, ohne eine gewisse Distanz zu unterschreiten. Wie jemand, der es gewohnt war, sich nicht leicht in die Karten blicken zu lassen.

»Entschuldigung!« Lucie Beaumont erhob sich und stellte sie einander vor. »Monsieur Cluzet, das ist Monsieur Razafindrakoto. Er hilft mir, die einzelnen Etappen zu planen.«

»Tatsächlich?« Cluzet konnte sich nicht erinnern, den Mann mit dem auffälligen Kleidungsstil jemals zuvor in Auciel Haute gesehen zu haben. »Sie kennen sich hier gut aus?«

»Gar nicht«, antwortete Razafindrakoto und tippte auf etwas neben ihm auf der Bank. »Aber ich habe meine Vorgaben. Eigentlich bin ich nur der Bote.«

Cluzet neigte den Kopf etwas zur Seite und entdeckte eine lederne Aktentasche. Sie sah alt aus, aber gut gepflegt. Keine Kratzer, kein abgenutzter Riemen. Ein Gegenstand, den jemand mit Bedacht bei sich trug. »Und wer schickt Sie? Oder ist das zu neugierig?«

Erneut lachte Razafindrakoto.

»Monsieur Razafindrakoto kommt aus La Réunion«, stellte Lucie Beaumont klar. »So viel können wir verraten.«

»Aber der Rest bleibt vorerst geheim«, erwiderte Razafindrakoto.

»Schon gut«, lächelte Cluzet und hob den Korb wieder an. »Ich freue mich auf die Auflösung auf Ihrer Website.«

»Warum machen Sie eigentlich nicht mit?«, fragte Lucie Beaumont. »Ein Commissaire de Police gegen einen Haufen Normalos. Wäre das keine Herausforderung? Eine lustige Anekdote auf jeden Fall.«

Cluzet wies es mit einer Handbewegung zurück und wollte noch etwas dazu sagen.

Aber Razafindrakoto kam ihm zuvor: »Sie sind von der Polizei?« Seine Miene wurde ernster. Seine Augen durchdrangen Cluzet. Die plötzlichen Fältchen in den Augenwinkeln zeugten von einem zu viel an Sonne.

»Nicht mehr«, antwortete Cluzet. »Ich bin längst pensioniert.«

»Tatsächlich?« Razafindrakoto setzte ein überraschtes Gesicht auf. »Ich hätte Sie aber jünger eingeschätzt.«

Es klang höflich und freundlich. Aber nicht ganz ehrlich. Vermutlich verstand Razafindrakoto es, sich auf gesellschaftlichem Parkett zu bewegen und dabei Sympathien zu gewinnen.

Allerdings war sich Cluzet durchaus bewusst, dass er keinen Tag jünger aussah, als er war. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten und die vielen Nachtschichten als Kommissar in Paris hatten ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Auch die vielen Schicksale, die mit den Ermittlungen in seine Hände geraten waren. Er war Anfang sechzig, daran ließ sich nicht rütteln.

Trotzdem lächelte Cluzet, als wäre er geschmeichelt, und verabschiedete sich, um die letzten Lunchpakete an die Suchtrupps zu verteilen. Anschließend gesellte er sich zu Nathalie hinter den Tresen, die gerade im Begriff war, ein Tablett mit Calvadosgläsern anzurichten.

Er stellte sich mit dem Rücken zum Gastraum neben sie. »Weißt du, wer das da bei Lucie am Tisch ist?«

Nathalie sah nur beiläufig hin. »Der Anwalt?«

»Er ist Anwalt?«

»Ich glaube, er hat’s beim Check-in erwähnt.«

»Er hat also ein Zimmer hier?«

»Ja, wieso?«

»Nur so«, antwortete Cluzet knapp und sah in den Korb. Ein Lunchpaket war übrig geblieben. Er hob es heraus und hielt es Nathalie entgegen.

Sie nahm es ihm ab und ließ es auf den Tresen fallen. »Was ist los, GP?«

»Hm?«, gab Cluzet zurück.

Nathalie stellte das Tablett mit dem Calvados auf den Tresen. Dann machte sie einen Schritt zurück, lehnte sich gegen das Regal mit den Gläsern und diversen Spirituosen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Irgendwas stört dich an ihm. Ich merke das doch.«

»Nein«, grummelte Cluzet. »Nicht er stört mich. Ich frage mich nur, was ein Anwalt bei der Schatzsuche macht.«

»Was soll er schon machen? Wahrscheinlich überwacht er das Ganze irgendwie. Bei Lotterien ist auch immer ein Notar dabei.«

»Aus La Réunion?«

Nathalie musterte ihn einen Moment lang. Dann sagte sie: »Warum bist du so misstrauisch? Blitzt wieder mal der Kommissar bei dir durch?«

Cluzet legte den Kopf schief und wollte protestieren. Allerdings hatte sie nicht ganz unrecht. Manchmal verselbstständigte sich seine zweite Natur einfach.

»Sieh sie dir an.« Nathalie verwies ihn mit der Nase auf Lucie Beaumont und Razafindrakoto. »Sie verstehen sich gut.«

Cluzet riskierte einen Schulterblick. Tatsächlich hatten die beiden die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten verschwörerisch. Lucie Beaumonts glockenhelles Lachen übertönte das Gemurmel im Gastraum.

»Beinahe zu gut«, schob Nathalie leise nach.

Cluzet sah wieder zu Nathalie. »Ach, du denkst … die beiden …« Den Rest ließ er unausgesprochen. Nathalie verstand ihn auch so.

»Ich denke, dass zu Hause ein Freund auf Lucie wartet.« Sie zuckte mit den Schultern, nahm die Calvadosflasche vom Tresen und räumte sie ins Regal. »Was geht’s mich an. Ich sollte mich aus solchen Sachen raushalten.«

Sie hatte kaum ausgesprochen, als jemand mehrmals gegen ein Glas schlug, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Gleich darauf schritt Lucie Beaumont mit ausgebreiteten Armen durch den Gastraum.

»Liebe Schatzsucher und Schatzsucherinnen, danke, dass ihr gekommen seid! Es ist gleich zwanzig Uhr, und wir veröffentlichen jetzt den letzten Hinweis für die heutige Suche.« Sie wedelte mit ihrem Smartphone in der Luft und zeigte anschließend auf das Tablett auf dem Tresen. »Vorher haben wir euch noch eine kleine Stärkung vorbereitet. Damit der Nachtmarsch leichter fällt.« Sie lachte ihr glockenhelles Lachen, und die ersten standen auf und scharten sich um das Tablett. Die Gläser klangen vom Anstoßen, und Glückwünsche wechselten vom einen zum anderen.

»Die Ersten, die das Ziel unserer heutigen Suche erreichen«, sprach Lucie Beaumont weiter, »finden einen Gegenstand vor, der ihnen einen kleinen Vorteil für die Finalrunde verschafft. Mehr kann ich an dieser Stelle nicht verraten. Bitte denkt daran, ein Foto vom Zielort zu machen. Dann loggt ihr euch auf unserer Website ein und schickt es uns mitsamt der Geodaten. So, jetzt wünsche ich allen viel Erfolg!« Sie zählte stumm mit den Fingern von fünf rückwärts und tippte anschließend aufs Handy. »Los geht’s!«

Urplötzlich herrschte Hektik im Gastraum. Es wurde auf Smartphones herumgetippt und sich gegenseitig gezeigt, was jeder gefunden hatte. Einige brachten ihre Wanderstöcke auf die richtige Länge. Wieder andere überprüften ihre Stablampen. Und wie auf ein unausgesprochenes Kommando hin drängten alle zum Ausgang. In wenigen Sekunden war der Gastraum wie leergefegt. Auch Lucie Beaumont und Razafindrakoto folgten dem Pulk nach draußen. Wobei Razafindrakoto Lucie Beaumont die Tür aufhielt und ihr eine Hand sanft in den Rücken legte.

Aber Lucie Beaumont ließ es sich anstandslos gefallen.

»Siehst du jetzt, was ich meine?«, kommentierte Nathalie und sammelte die leeren Gläser ein.

»Na ja.« Cluzet zuckte mit den Schultern. »Sie sind alt genug, um zu wissen, was sie tun.«

»Trotzdem«, antwortete Nathalie knapp und verschwand mit den Gläsern in der Küche.

Cluzet sah ihr nachdenklich hinterher. Normalerweise kümmerte sie sich wenig darum, wie ihre Gäste im Anschluss ihres Besuchs im Vieux Moulin den Abend gestalteten. Solange sie es nur wohlgelaunt verließen. Er verstand nicht, warum sie sich ausgerechnet an den beiden stieß. Aber er hatte auch nicht den Eindruck, dass er etwas erfahren würde, wenn er jetzt in sie drang.

Cluzet sah zum Fenster hinaus auf den Vorplatz. Noch war es hell. Die Suchtrupps beeilten sich, das Gelände des Vieux Moulin zu verlassen. Lucie Beaumont und Razafindrakoto folgten ihnen. Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn, und sie warf daraufhin lachend ihren Kopf in den Nacken.

Wenn es so sein soll, soll es so sein, dachte Cluzet bei sich. Dann schnappte er sich ein leeres Tablett und machte sich daran, die Tische abzuräumen.

3

Cluzet erwachte mit den ersten Sonnenstrahlen, die durch die kleinen Fenster in seinem Häuschen hinter dem Vieux Moulin schienen. Er streckte sich so weit, wie es das Bett zuließ. Es war von einer Holzverkleidung umfasst, die es wie die Schlafstätte in der Kapitänskajüte eines Segelschiffs wirken ließ.

Dann schlug er die Decke zurück, setzte sich auf die Bettkante und massierte seine Knie. Für gewöhnlich ging er sofort zu seiner Morgenroutine über. Ein kurzer Gang ins Bad, Anziehen, gefolgt von einem Spaziergang rund um Auciel Haute. Nach seiner Rückkehr würde er Kaffee kochen und die Zimtröllchen im Ofen aufwärmen, die Nathalie ihm immer in einem Papiertütchen an die Türklinke hängte.

Cluzet entdeckte eine große, dicke Hummel regungslos auf dem Boden. Sie rührte sich auch nicht, nachdem er sie mit dem Finger angestupst hatte. Sie musste über Nacht durch die offenen Fenster hereingekommen sein. Und so groß, wie sie war, war es vermutlich eine Königin.

Cluzet stieg aus dem Bett, zog seinen royalblauen Morgenmantel über und ging zur Küchenzeile. Sie war klein und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Aber sie bot alles, was man als einzelne Person brauchte, die sowieso lieber ihre Zeit draußen verbrachte. Cluzet nahm eine Untertasse aus dem Hängeregal und löste darauf etwas Zucker in Wasser auf. Damit ging er zum kleinen Fenster neben dem grünledernen Ohrensessel und dem Messingtisch, in den das Staatswappen Frankreichs eingeprägt war, und stellte die Untertasse draußen auf die Fensterbank. Anschließend trug er die Hummel auf einem Blatt Papier nach draußen, schob sie auf die Untertasse und sah ihr zu, wie sie vom Zuckerwasser trank. Es dauerte eine Weile, aber schließlich brummte sie gestärkt davon.

Cluzet atmete zufrieden durch und hielt sein Gesicht in die wärmende Sonne. Er nahm den feinen Duft der Blumenwiese wahr, die zwischen seinem Häuschen und dem Vieux Moulin lag. Es summte und brummte geschäftig daraus. Die Vögel zwitscherten. Es war ein guter Morgen.

Mit einem kleinen Schönheitsfehler. Der Cluzet schon aufgefallen war, als er die Hummel herausgetragen hatte.

Gewöhnlich hing um diese Zeit schon das Papiertütchen mit seinen geliebten Zimtröllchen an der Türklinke, die Nathalie jeden Morgen mit ihrer Brotlieferung fürs Vieux Moulin erhielt. Sie dort hinzuhängen, gehörte mit zu den ersten Dingen, die sie tat, bevor die ersten Übernachtungsgäste aufstanden.

Das Papiertütchen war nicht da.

Es war auch nicht heruntergefallen.

Cluzet sah zum Vieux Moulin. Nathalies Fenster gleich unter dem Dach stand offen. Sie hatte also keinesfalls verschlafen. Denn über Nacht hielt sie es immer geschlossen, nachdem sich einmal Fledermäuse in ihr Zimmer verirrt hatten.

Es konnte viele Gründe haben, dass sie ihm die Zimtröllchen noch nicht gebracht hatte. Vielleicht war die Lieferung noch gar nicht gekommen. Aber Cluzet drängte sich ein anderer Gedanke auf.

Nathalies Stimmung hatte sich nicht mehr gebessert, nachdem sie gesehen hatte, wie Lucie Beaumont und Razafindrakoto das Vieux Moulin verlassen hatten. Cluzet hatte ihr etwas Zeit lassen und dann nachhaken wollen. Aber nach und nach waren wieder Gäste eingetrudelt, und die Gelegenheit hatte sich nicht mehr ergeben.

Oder Nathalie war ihm ausgewichen.

Es schien sie mehr zu beschäftigen, als sie zugeben wollte. Und möglicherweise war das auch der Grund dafür, dass seine Zimtröllchen auf sich warten ließen.