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Der Himmel ist grenzenlos - Träume sind es auch. Hebe ab in eine vergangene, glanzvolle Epoche der Luftfahrt und spüre einen Hauch von Freiheit und Glamour. Ende der 1960er Jahre: Die junge Deutsche Konstanze Weber ist dem Ruf des Swinging London gefolgt, doch ihre Stelle als Au-Pair macht sie nicht glücklich. Als sie erfährt, dass die British European Airways Stewardessen sucht, der Traumjob vieler junger Frauen, setzt Konstanze alles auf eine Karte und erreicht ihr Ziel. Und noch viel mehr – sie wird Teil der Concorde-Crew werden, was nur den Besten vorbehalten ist. Auch der Pilot Anthony »Ace« Carter Fulton steht vor einer neuen Etappe seiner Karriere: Er wird auserwählt, den legendären Überschalljet Concorde zu fliegen. Über den Wolken werden nicht nur Freundschaften geschlossen, auch die dunklen Seiten menschlicher Charaktere zeigen sich in der schlanken Kabine des Prestige-Überschallflugzeugs. Vom ersten Flug an, mit dem Konstanze und Anthony die Schallmauer durchbrechen, werden sie ein unzertrennliches Team. Doch es gibt auch Neider, denen die zarten Bande ein Dorn im Auge sind …
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Concorde
Vom Himmel berührt
Ira Habermeyer
Concorde: Vom Himmel berührt
Ira Habermeyer, 2025
Coverdesign: Tinas Schreibhimmel, Bettina Sprenzel,
www.tina-sprenzel.de
Ira Habermeyer, Moltkestr. 2a, 85356 Freising
Blog/Website: https://irahabermeyer.com
Die Autorin ist auf Instagram, Mastodon sowie auf TikTok
Willkommen an Bord
Im Namen von Captain Anthony »Ace« Carter Fulton und seiner Crew darf ich Sie an Bord der Concorde begrüßen. Wir fliegen von London Heathrow über Belfast, Istanbul, München und Genf, schließlich weiter nach New York und Sydney. Auf unserer Zeitreise ist auch ein Zwischenaufenthalt in Bahrain geplant.
Dieser Roman ist kein historischer Frauenroman im klassischen Sinne, daher bitten wir Sie, während des Fluges angeschnallt zu bleiben und im Ernstfall Ruhe zu bewahren. Unterwegs erwarten wir heftige Turbulenzen, insbesondere in Liebesangelegenheiten.
Vorsorglich weisen wir Sie auf die Darstellung expliziter Szenen, Rauchen, Alkoholkonsum, Drogenkonsum und Terrorismus (Nordirlandkonflikt, Deutscher Herbst) hin. Unsere Crewmitglieder sind Kinder ihrer Zeit und denken, handeln und sprechen als solche. Da Concorde und ihre Protagonist*innen ein möglichst realistisches Bild der 1960er und 1970er Jahre wiedergeben soll, kann von ihnen nicht der Wissensstand des 21. Jahrhunderts erwartet werden. Ebenso wenig können hohe moralische Erwartungen an die Figuren dieses Romans gestellt werden.
Sämtliche Texte, sowie das Cover des Buches sind urheberrechtlich geschützt. Ähnlichkeiten mit Romanfiguren und real existierenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt, bis auf die historischen Persönlichkeiten. Bei einem Roman handelt es sich allerdings auch um ein fiktionales Werk.
Nun wünschen wir Ihnen einen angenehmen und kurzweiligen Flug. Stellen Sie Ihre Sitze in eine bequeme Position und seien Sie gespannt, wohin unsere Reise führt.
Mony Mony
London, August 1969
Ungestüm klopften Samantha und Colin mit ihren kleinen Fäusten gegen das Fenster des Zugabteils, in dem Konstanze saß. Das Lächeln, das sie ihnen erwiderte, wirkte unbefangener als sie sich fühlte. Vor Anspannung krampfte sich ihr Magen zusammen und sie atmete tief durch. Auf dem Bahnsteig zog Mrs Evans ihre beiden Kinder zurück, redete auf sie ein und winkte Konstanze halbherzig zu. Mit ihrer Entscheidung, sich als Stewardess bei den British European Airlines zu bewerben, hatte Konstanze ihre Gastfamilie vor neue Tatsachen gestellt und ihre Pläne für die kommenden beiden Jahre durchkreuzt. Damit, dass sie zum Vorstellungsgespräch nach Heathrow eingeladen würde, hatte Konstanze allerdings nicht gerechnet. Es war ein Spiel mit dem Schicksal und es schien ihre Karten neu zu mischen.
Schrill ertönte der Abpfiff des Schaffners und als der Zug langsam aus dem Bahnhof rollte, warf sich Konstanze in die Rückenlehne ihres Sitzes und seufzte auf. Welche Fragen würden sie bei dem Gespräch erwarten, und erfüllte sie die Ansprüche an eine künftige Stewardess?
»Geht es Ihnen gut, Miss?«
Erst jetzt nahm sie Notiz von dem Mann mittleren Alters, der ihr gegenübersaß. Er legte ein Lesezeichen zwischen die Seiten seines Buches und klappte es auf dem Platz neben sich zusammen.
»Ja, danke, Sir«, antwortete Konstanze in bemüht astreinem Englisch. »Ich bin nur ein wenig aufgeregt.«
»Was Sie auch immer beunruhigt, ich denke nicht, dass es nötig ist«, erwiderte der Mann mit einer Spur höflicher Neugierde.
»Ich bin auf dem Weg zu meinem Einstellungsgespräch in Heathrow«, verriet sie, erleichtert, sich jemandem anzuvertrauen.
»Möchten Sie Stewardess werden?« Die Brauen des Mannes hoben sich leicht, als er sie zurückhaltend begutachtet. »Das ist ein schöner Beruf für eine junge Frau.«
Für den wichtigen ersten Eindruck hatte Konstanze eine Bluse und einen weinroten Rock gewählt, der ihre Knie bedeckte, und Pumps mit halbhohen Absätzen. Sie presste die dazu passende Jacke auf ihrem Schoß zusammen und nickte bekräftigend.
»Ihrem Akzent nach sind sie nicht von hier, nicht wahr?«, fragte ihr Gegenüber mit einem skeptischen Blick.
Plötzlich überkam Konstanze eine leichte Unsicherheit. Alt genug, dass er den Krieg erlebt hatte, war er. In dem Jahr, das sie inzwischen in England verbrachte, hatte sie die Ablehnung der Älteren erfahren. Manchmal waren es unterkühlte Blicke, manchmal abfälliges Getuschel, wenn sie sich als Deutsche zu erkennen gab. Die Wunden schmerzten auf dieser Seite des Ärmelkanals noch immer. Konstanze versuchte, unauffällig zu bleiben, aber sich selbst verleugnen konnte sie nicht.
»Ich komme aus Deutschland«, antwortete sie leise.
Wie sie erwartet hatte, wurden die Augen des Mannes kälter und abweisend kräuselte er seinen Schnauzbart. Dennoch schien er weiter an einer Unterhaltung mit ihr interessiert.
»Wenn Sie die Frage erlauben, was hat Sie nach England verschlagen?«
»Ich bin seit einem Jahr als Au-Pair in einer Familie«, erklärte Konstanze. »Weil mich Ihr Land fasziniert und ich die Sprache besser lernen möchte.«
»Vermutlich auch wegen der Beatles und der Carnaby Street?«, entgegnete der Mann und seine Miene taute allmählich wieder auf.
»Auch deshalb«, gestand sie.
Wohin willst du? Zu diesem Kramervolk? Das kommt gar nicht in Frage, erinnerte sie sich an die Diskussion mit ihrem Vater, nachdem sie ihm ihr Vorhaben offenbart hatte. Aber Rudolf Weber, Fahrdienstleiter bei der Bundesbahn, hatte sie nicht länger in der engen Wohnung in München-Freimann halten können. Zwar hatte er den Nazis kritisch gegenübergestanden, aber die Propaganda hinterließ ihre Brandspuren tief im Bewusstsein seiner Generation. Vorurteile auf beiden Seiten – und wer sollte sie durchbrechen, wenn nicht die jungen Menschen?
Vati, ich habe die Schule abgeschlossen, mir ein paar Mark verdient und jetzt will ich etwas von der Welt sehen! Dass sie nicht werden wollte wie ihre Mutter Luise, die Wäsche wusch, bügelte, putzte und kochte, und sich bei einer Zigarette und einem Gläschen Cointreau-Likör zur Entspannung mit Reportagen über Farah Diba in der Bunten ablenkte, hatte Konstanze längst für sich beschlossen. Samstags kämpfte sie erbittert darum, den Beat Club im kleinen Fernseher sehen zu dürfen, obwohl ihre ältere Schwester Lilo darauf bestand, das andere Programm anzuschauen. In dieser einen Stunde, in der Bands aus England auftraten und das Publikum zu ihrer wilden, kraftvollen Musik tanzte, war ein Funke auf Konstanze übergesprungen. An der Nähmaschine ihrer Mutter hatte sie Röcke und Kleider angefertigt wie sie die jungen Frauen auf der Carnaby Street trugen. Sie brannte darauf, Swinging London zu inhalieren wie den ersten Frühlingswind nach einem grauen Winter.
Hast du gründlich darüber nachgedacht? Mit diesen Worten und einem sehnsuchtsvoll verklärten Blick hatte Luise das Anmeldeformular für das Au-Pair-Programm in ihre Kittelschürze gesteckt. Zwei Tage später hatte sie es Konstanze auf den Küchentisch gelegt – widerwillig unterschrieben vom Vater.
Anstelle nach der Schule eine Lehre zu beginnen, hatte Konstanze einen Sommer lang im Biergarten bedient. Mit dem Geld hatte sie sich das Zugticket und die Überfahrt finanziert. Als sie auf dem Deck der Fähre gestanden hatte und sich die weißen Klippen von Dover immer imposanter aus dem blaugrauen Wasser des Ärmelkanals erschienen waren, hatte sie die Endgültigkeit ihrer Entscheidung gespürt. Feine Nieseltropfen hatten sie liebevoll auf die Wangen und die Stirn geküsst, als wären sie ein Willkommensgruß der Insel. Im Alltagsleben schienen die Menschen so viel höflicher zu sein als in Bayern. Für alles bedankte oder entschuldigte man sich und sagte stets please. Das Essen war anders. Sie hatte geglaubt, sie hätte den Nachkriegsmief der elterlichen Wohnung abgeschüttelt, stattdessen war sie in einer genauso engstirnigen Familie gelandet. Die Evans hielten sie als eine Bedienstete, die Wäsche wusch, bügelte, putzte, kochte, fast jeden Abend die Kinder hütete, und heimlich in der Hintertür eine Zigarette qualmte.
»Jetzt zieht es Sie in die weite Welt hinaus?«, bemerkte der Mann. »Ich wünsche Ihnen viel Glück.«
»Danke«, erwiderte Konstanze.
Er nahm das Buch wieder an sich und schlug es auf. Am Fenster rauschten die grauen Wohnblocks der Londoner Vorstädte vorbei. In den vergangenen Jahren hatte die Regierung in flottem Tempo zahlreiche Kommunalwohnungen hochgezogen. Von schweren Wolken durchzogen zeigte sich auch der Himmel, und spiegelte sich in den Pfützen, die ein Regenschauer hinterlassen hatte. Konstanzes Gesicht spiegelte sich in der Glasscheibe und verschmolz damit. Ihre kinnlangen Haare hatten einen undefinierbaren Ascheton zwischen dunklem Blond und hellem Braun. Erst kurz bevor sie das Haus der Evans verlassen hatte, hatte sie die Lockenwickler aus den Spitzen gedreht und sie mit Haarspray festgesprüht. Entweder kräuselte sich ihr Haar, sobald es regnete, oder es ließ sich weder durch Hitze, noch mithilfe von Chemie bändigen. Unbewusst berührten ihre Fingerspitzen die Wangen der jungen Frau, die ihr mit diesem eigentümlichen Lodern in den braunen Augen entgegenblickte. Sie hatte sie mit einem Hauch perlfarbenen Lidschatten und Wimperntusche betont und ein dezentes Rosé auf ihren Lippen aufgetragen.
Selbst wenn ich eine Absage bekomme, ich habe es zumindest versucht, ermutigte sich Konstanze. Zahme Vögel singen von der Freiheit, wilde fliegen davon.Wer nie etwas wagt, wird niemals erfahren, was es bedeutet, seine Träume zu leben.
Jetzt war sie einundzwanzig Jahre und sie würde nie wieder um jemandes Erlaubnis oder Unterschrift bitten müssen.
Gebannt folgte Konstanze dem aufsteigenden Flugzeug, das neben dem Zug herzufliegen schien, um dann endgültig in den Himmel abzuheben. Heathrow als Endstation kam näher und der Zug rollte mit gedrosselter Geschwindigkeit darauf zu. Vor Ungeduld und Aufregung kribbelte Konstanzes Kopfhaut und ihre Knie bebten. Obwohl die Station noch ein paar Meter entfernt war, ertrug sie es nicht länger, zu sitzen. Sie stand auf, schlüpfte in die Ärmel ihrer Jacke und schritt durch den Gang auf die Tür zu. Unter ihren Füßen spürte sie, dass der Zug abbremste. Aus dem Nebenabteil erschien eine Stewardess in ihrer dunkelblauen Uniform und mit der runden Kappe der BEA auf ihrem perfekt frisierten blonden Haar. Flüchtige Blicke begegneten sich, ein Wimpernschlag, und stärker als zuvor brannte in Konstanze der Wunsch, an ihrer Stelle zu stehen. Sie war schön wie ein Mannequin und voller Eleganz. Wie würde es sein zu fliegen? Noch nie war sie in einem Flugzeug gewesen, denn diese Art zu reisen war teuer und wohlhabenden Menschen vorbehalten.
Als Konstanze ausstieg, lief die Stewardess an ihr vorbei, ihre Tasche an den Oberkörper gepresst. Neben sich bemerkte sie wieder die junge Frau, die im letzten Moment, als der Schaffner in Paddington Station den Heathrow Express bereits abgepfiffen hatte, eingestiegen war. Keuchend, als würde ihr Leben davon abhängen, dass sie diesen Zug erwischte, war sie an ihr vorbeigestürmt. Ähnlich wie sie trug sie ein streng wirkendes Kostüm, und ihre Haare hatte sie hochgesteckt.
»Verzeihung«, sprach sie Konstanze an und hielt einen Brief zwischen den Fingern, der mit ihren Schritten flatterte, »sind Sie auch auf dem Weg zum Assessment Center der BEA?«
Eindeutig erkannte Konstanze das Logo auf dem Briefkopf wieder. »Ja«, antwortete sie, froh darüber, dass sie nicht alleine herumirren musste.
»Joyce Townsend«, lächelte die junge Frau und streckte ihr die Hand entgegen.
»Konstanze Weber«, stellte sich Konstanze vor.
»Woher kommst du?«, fragte Joyce unverwandt.
»Deutschland. Genauer gesagt aus München.«
»Ah ... Constance aus München«, erwiderte Joyce, hob den Kopf leicht an. »Ich bin aus London selbst. Darf ich dich Nancy nennen?«
»Von mir aus ...« Konstanze war erstaunt, wie vertraut diese junge Frau auf sie wirkte. So als wären sie bereits jahrelang befreundet.
»Hast du dich auch auf die Anzeige im Daily Telegraph beworben?«, fragte Joyce und steckte den Brief wieder in ihre Handtasche. »Seitdem ich vor ein paar Jahren mit meinen Eltern nach Amerika geflogen bin, wusste ich, ich werde einmal ein Jet Girl. Man kommt herum, trägt diese elegante Uniform und begegnet interessanten Menschen.«
Wie bei einer kniffligen Prüfung beschlich Konstanze das unangenehme Gefühl, komplett unvorbereitet zu sein. Verlegen senkte sie ihren Blick auf das Gehsteigpflaster. Ein Hauch von Kerosin, vermischt mit dem Geruch von Regen auf warmem Asphalt, strich in ihre Nase. Das Kreischen laufender Triebwerke wurde lauter, übertrug sich wie eine Schwingung in Konstanzes Blut. Durch den Zaun, der lange betonierte Pisten umgab, sah sie, wie ein Flugzeug anrollte. Hinter dem Terminalgebäude standen sie bereit: Die glänzenden Stahlkörper mit Aufschriften wie Aer Lingus, Pan Am und Lufthansa.
»Du warst schon in Amerika? Ich bin noch nie geflogen«, gestand sie. »Wie ist es?«
»Toll«, antwortete Joyce und strahlte. Sie zeigte auf das Flugzeug, das über die Piste rollte. »Noch am Boden wird das Flugzeug immer schneller, man spürt die Vibration der Reifen, und plötzlich hebt es ab. Der Magen kribbelt wie bei einer Achterbahnfahrt, die Ohren drücken leicht, und Wolkenfetzen ziehen direkt am Fenster vorbei. Am liebsten würde man nach ihnen greifen«, schwärmte sie. »Schließlich erreicht man die Flughöhe, und oben strahlt der blaue Himmel. Dort oben spürt man kaum etwas, es fühlt sich eher an, als würde man mit dem Bus fahren.«
»Wirklich?«, fragte Konstanze ungläubig und stemmte sich gegen die gläserne Eingangstür des BEA-Gebäudes.
Der graue Klotz mit den weiten Fensterfronten wirkte ein wenig einschüchternd auf sie. Nun betrat sie die Eingangshalle, und kein Weg führte mehr zurück.
»Ja«, bekräftigte Joyce und wies auf das Schild, das am Treppenaufgang stand. »Zum Vorstellungsgespräch müssen wir hier lang. Ich bin so aufgeregt!«
»Ich auch!«
Beide dämpften ihr Kichern, als ihnen auf den Stufen ein Herr in Anzug entgegenlief. Schlagartig wurde Konstanze ernst, denn vielleicht entschied er darüber, ob ihre Karriere hier beginnen würde. Eine Etage weiter präsentierten Schaukästen Miniaturausgaben aller Flugzeugtypen, die die BEA einsetzte.
»Sieh mal«, sagte Joyce erstaunt und zeigte auf ein Modell, das aussah, als wäre es einem Zukunftsfilm entsprungen. »Sie haben die Concorde bereits ausgestellt, obwohl sie noch nicht fliegt.«
»Du meinst das Überschallflugzeug?« Konstanze erinnerte sich an die begeisterte Berichterstattung, mit der die Zeitungen und das Fernsehen kürzlich den Erstflug gefeiert hatten. »Unglaublich, wie schnell sich die Technik entwickelt. Irgendwann werden wir ins All reisen.«
Fasziniert blieb sie vor dem Schaukasten stehen und betrachtete das schlanke Flugzeug mit der spitzen, wie das Horn eines Fabelwesens gereckten Nase und den an ein Raumschiff erinnernden Tragflächen. Ihre Finger glitten über die Tafel, auf der die Geschichte des Überschalljets stand, den Großbritannien und Frankreich gemeinsam bauten.
»Ich würde so gerne damit fliegen«, seufzte Joyce. »Als nächstes geht es vielleicht zum Mond. Lass uns gehen.«
Auffordernd sah sie Konstanze an und wandte sich um. Die Spitze ihres Pumps knirschte leise, aber energisch auf dem Boden. Sie folgten einem weiteren Schild, und als sie ein Grüppchen junger Frauen entdeckten, die genauso angespannt wie sie vor einem Raum warteten, wussten sie, dass sie hier richtig waren. Kaum ein Wort fiel, nur eine Blondine mit Pferdeschwanz und breitem Mund plauderte mit ihrer Nachbarin. Sie blickte mit ihren großen, leicht schrägen hellgrauen Augen zu Konstanze und Joyce auf. Im Licht der Neonröhren an der Decke wirkte ihr offenes blondes Haar weiß wie Platin. Als die Blondine sie bemerkte, verstummte sie und sah sie herablassend an. Um ihren Hals trug sie ein Seidentuch, wohl um der BEA zu beweisen, dass sie die geeignetste Kandidatin war. Abwehrend presste sie den Cardigan, den sie um ihre Armbeugen gewickelt hatte, an den Körper. Dann ignorierte sie Konstanze, als wäre sie Luft und redete weiter. Dass sich auch zwei Männer ihres Alters beworben hatten, überraschte sie. Der eine hatte haselnussbraunes Haar und leicht gebräunte Haut, der andere war hochgewachsen und attraktiv mit seinem jungenhaften Charme. In ihrer Vorstellung war eine Stewardess stets eine Frau – Männer flogen das Flugzeug.
Die Tür öffnete sich und gespannt drehte sich Konstanze um. Eine Stewardess mit honigblondem Haar guckte heraus und rief mit einem einladenden Lächeln: »Treten Sie ein, Ladies and Gentlemen.«
Unweigerlich löste sich etwas von Konstanzes Anspannung und sie trat lächelnd in den Raum, der sie mit den Stühlen und Bänken an ein Klassenzimmer erinnerte.
»Lass uns nebeneinandersitzen«, raunte Joyce ihr zu und wählte einen Platz in der Mitte aus.
Geduldig wartete die Stewardess vor der Tafel und der Europakarte, auf der die Flugverbindungen von London wie Pfeile in alle Richtungen sprangen, dann schrieb sie in zierlicher Handschrift ihren Namen. Konstanze schätzte ihr Alter auf etwa Anfang dreißig.
»Ich bin Berryl Ashcroft, zuständig für die Rekrutierung des Kabinenpersonals«, erklärte sie. »Was wird Sie bei uns an Bord erwarten? Der Beruf des Flugbegleiters mag faszinierend sein, man reist und arbeitet zugleich, man lernt Städte und Länder kennen, deren Namen man lediglich kannte. Es ist jedoch mehr als den Passagieren mit einem Lächeln ein Glas Orangensaft zu servieren. Sie tragen auch Verantwortung, Ladies and Gentleman.« Sie hielt einen Moment inne und schuf eine spannungsgeladene Pause. »Sie sorgen dafür, dass sich unsere Passagiere während des Flugs wohlfühlen. Sie werden lernen, sich im Notfall besonnen zu verhalten, das Flugzeug zu evakuieren und Erste Hilfe zu leisten. Eines muss Ihnen ebenfalls bewusst sein, wenn Sie sich für diesen Beruf entscheiden: Ehe und Familie stehen hinten an. Für manche mag es ein Opfer bedeuten, aber eine Stewardess, ein Steward ist weder verheiratet noch hat sie oder er Kinder.« Nachdrücklich blickte sie Konstanze an, als wollte sie prüfen, wie ernst sie ihre Bewerbung meinte. »Dafür wäre auch keine Zeit, wenn Sie heute nach Paris und zurück fliegen, morgen nach Rom und übermorgen nach Athen. Noch können Sie sich aussuchen, welche Art von Leben Sie führen möchten.«
Wie ein Stein auf den Grund eines Gewässers senkte sich die Bedeutung von Berryls Worten in Konstanze. Piloten ist es wohl erlaubt zu heiraten und Kinder zu bekommen, dachte sie verdrossen. Erneut würde sie vor die Entscheidung entweder – oder gestellt werden. Entweder ihre Freiheit oder das Dasein als Hausfrau. Für letzteres fühlte sie sich noch zu jung.
»Wir sind die Nonnen der Lüfte«, flüsterte ihr Joyce zu. Offenbar erwägte sie das Gleiche.
»Nun habe ich Ihnen von mir erzählt«, sagte Berryl und streckte auffordernd die Kreide in den Raum. »Möchten Sie den Anfang machen und sich vorstellen?«
Nach einem verlegenen Moment erhob sich die Blondine und stolzierte vor. Bridget Mannings schrieb sie an die Tafel.
»Ich bin einundzwanzig Jahre, meine Eltern führen ein Hotel in Hastings, und seit meinem Schulabschluss arbeite ich dort«, erzählte sie geschäftig, dabei weiteten sich ihre Lippen und erinnerten Konstanze an einen Frosch. »Ich habe der BEA den Vorzug gegenüber der Hotelfachschule in London gegeben, weil ich das internationale Flair einer Airline kennenlernen möchte. Erfahrungen mit Gästen und dem Service bringe ich mit.«
»Sprechen Sie andere Sprachen außer Englisch, Bridget?«, fragte Berryl.
Nicht weniger von sich selbst überzeugt antwortete sie: »Selbstverständlich spreche ich Französisch und verfüge über Grundkenntnisse in Spanisch, die ich mir in den vergangenen Jahren selbst beigebracht habe.«
Mit einem Knall sprang die Tür auf und eine abgehetzte junge Frau mit rundem Gesicht schaute sich suchend um.
»Verzeihung«, sagte sie, schnappte nach Luft und fuhr in schottischem Akzent fort: »Mir ist der Zug vor der Nase weggefahren, dann musste ich mich in Heathrow zurechtfinden.«
Werden Sie auch zu spät zum Dienst erscheinen, weil Sie den Zug verpassen, schien Berryl ihr stumm zu erwidern. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich für einen Moment.
»Danke, Miss Mannings«, sagte sie, reichte der neu Angekommenen die Kreide. »Möchten Sie die Gelegenheit wahrnehmen und sich vorstellen?«
Konstanze bemerkte die scharfen, hämischen Blicke, mit denen Bridget die Neue streifte, als sie sich abwandte.
»Brianna Burns.«, erwiderte sie und begriff plötzlich, dass sie ihren Namen an die Tafel schreiben musste. »Ich bin aus Glasgow und arbeite als Verkäuferin. Mein Traum ist es, Länder und ihre Menschen kennenzulernen.«
»Welche Sprachen sprechen Sie?«
»Englisch und Gälisch, Ma’am.«
Als nächster trat der größere der beiden Männer vor. Verlegen strich er eine Strähne aus seiner Stirn. Seine Haare berührten den Kragen seines Jacketts, er hatte sie mit Pomade gebändigt, und modische Koteletten rahmten sein Gesicht ein.
»Hey, ich bin Seamus Banks, zweiundzwanzig, und aus Belfast.« Dabei schien er überhaupt nicht nervös zu sein, sondern sprühte vor guter Laune, so, als wäre er beste Freunde mit der ganzen Welt. »Nach meiner Militärzeit möchte ich etwas Interessantes und Abwechslungsreiches machen, also habe ich mich als Flugbegleiter beworben. Wie Brianna spreche auch ich Gälisch sowie Französisch.«
Die hellblonde junge Frau, die Konstanze zuvor bewundert hatte, stammte aus Finnland. Ihre Stimme klang eine halbe Oktave tiefer, als sie zu der filigranen, an Twiggy erinnernden Figur passen würde.
»Ich bin Kaia Tammsaare und arbeite als Verkäuferin und als Mannequin.«
»Wie lange leben Sie bereits in London, Kaia?«, fragte Berryl.
»Seit vier Jahren«, antwortete sie in fließendem Englisch.
Als sich Kaia umwandte, stand Konstanze auf. Ihre Knie waren schwammig, und wie in einem Fiebertraum wandelte sie nach vorne. Sie hatte beschlossen, nicht als Letzte die Vorstellungsrunde zu beenden. Erwartungsvoll und neugierig hefteten sich Augenpaare an ihren Rücken, als sie ihren Namen an die Tafel schrieb. Verlegen streifte ihr Blick Berryl, die seitlich am Pult stand.
»Mein Name ist Konstanze Weber. Ich bin einundzwanzig Jahre und stamme aus München, Deutschland«, begann sie und merkte, dass sich der Knoten in ihrer Zunge löste und ihr Herzklopfen verebbte. »Als ich vor einem Jahr als Au-Pair-Mädchen nach Croydon kam, wollte ich die englische Sprache besser erlernen, das Alltagsleben kennenlernen und viele Eindrücke und Erfahrungen sammeln. Ich habe mich auf die Annonce als Flugbegleiterin beworben, weil ich bemerkt habe, dass mich Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen interessieren.« Sie studierte Berryls Gesicht und versuchte, eine Regung darin zu erkennen. Doch sie deutete weder Ablehnung noch Begeisterung aus, hörte stattdessen stoisch zu. »Da ich bereit bin, auf die Wünsche von Jung und Alt einzugehen, damit sie sich wohlfühlen, denke ich, dieser Beruf könnte mir liegen«, setzte Konstanze ihrer Vorstellung noch eins drauf und kam sich plötzlich albern und klein vor.
Unter Bridgets argwöhnischen Blicken schrumpfte sie in sich zusammen. Mit verschränkten Armen beobachtete sie Konstanze scharf von ihrem Platz aus und rümpfte unmerklich ihre spitze Nase.
»Ich nehme an, dass Sie Deutsch als Muttersprache sprechen, Miss Weber.«
Angestrengt hörte Konstanze Berryl zu. Obwohl sie ein sehr distinguiertes Englisch sprach, klangen Vokale manchmal anders, als sie sie in der Schule gelernt hatte, und ungewohnt in ihren Ohren.
»Ja, selbstverständlich«, antwortete Konstanze.
Ein leichter, angenehmer Stich durchzuckte ihre Brust, als Seamus ihr ermutigend zulächelte und den Daumen hob. Im nächsten Augenblick besann sie sich wieder und wertete seine Geste als Zuspruch. Von Bridget, die sie offenbar nicht leiden konnte, ließ sie sich nicht verunsichern. Unbeirrt kehrte Konstanze an ihren Platz zurück und streifte an ihr vorbei. Sie wusste, falls sie und Bridget eingestellt würden, durfte sie sich weder von ihr provozieren lassen noch einen Streit mit ihr anzetteln. An Bord kam es darauf an, zusammenzuarbeiten.
Nachdem sich als Letzter Marc vorgestellt hatte, verkündete Berryl: »Jetzt werden Sie einen fünfundvierzigminütigen Test schreiben. Lesen Sie sich die Fragen sorgfältig durch und beantworten Sie diese in aller Ruhe und selbständig.«
Sie zog eine Mappe aus ihrer Tasche, schlug sie auf und blätterte die Bögen durch. Mit einem Flattern im Magen beobachtete Konstanze, wie sie durch die Reihen ging und jedem einen Testbogen austeilte. Wie einen unmerklichen Flügelschlag, der die Luft in Bewegung setzte, spürte Konstanze den leichten Hauch, mit dem Berryl ihr den Bogen reichte. Deren Schritte hallten auf dem Boden wieder, als sie ihren Platz am Pult einnahm.
»Die Zeit läuft ...«, kündigte sie an, spähte auf das Ziffernblatt ihrer feingliedrigen Armbanduhr, »ab jetzt!«
Konstanze straffte ihre Schultern und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Ihr Blick glitt zu den anderen Bewerbern, die ebenfalls angespannt wirkten, einige hochkonzentriert, manche nervös. Neben ihr schien Joyce die Gelassenheit in Person zu bleiben, was Konstanze bewunderte.
Erneut wandte sie sich dem Testpapier zu und begann, die Fragen zu lesen. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht überstürzt zu antworten. Draußen heulten Triebwerke auf, das tiefe Rumpeln der Reifen, die auf die Startpiste zurollten, lösten eine Woge Adrenalin in ihr aus. Die Luft vibrierte, als der Pilot volle Schubkraft gab und die Maschine in die Höhe zog. Dies war Konstanzes Chance, ihren Traum zu verwirklichen, und sie wollte nichts dem Zufall überlassen.
Ihre Hand zitterte leicht, als sie den Kugelschreiber ansetzte und die erste Frage beantwortete. Es überraschte sie kaum, dass sich der Test um die Betreuung der Passagiere, die Flugsicherheit und Reaktionen im Notfall drehte. Wochenlang hatte sich Konstanze auf diesen Moment vorbereitet, jeden Schnipsel aus Zeitungen und Zeitschriften zusammengetragen, der sich mit der Luftfahrt befasste, und jeder Reportage im Radio mit gespitzten Ohren zugehört. Sie war sich bewusst, dass sie nicht nur ihr Wissen beweisen musste, sondern auch die Fähigkeit, unter Druck zu arbeiten und rational zu denken.
Während sie die Antworten ankreuzte, konnte sie Berryls Blicke auf sich spüren, die jede Bewegung ihrer Hand verfolgte. Ihr schien, als würde Berryl ihre Gedankengänge durchleuchten, als würde sie nicht nur die Worte auf dem Papier erfassen, sondern auch das Feuer der Entschlossenheit, das in Konstanze brannte.
Plötzlich wurde sie aus ihrer Versunkenheit gerissen, als Berryl rief: »Noch fünf Minuten, dann werden die Testbögen eingesammelt.«
Konstanze schüttelte einen Anflug von Panik ab und konzentrierte sich nochmals vollständig auf die verbleibenden Aufgaben. Sie überprüfte ihre Antworten und und hoffte inständig, dass sie ausreichen würden. In einer Mischung aus Erleichterung und Nervenkitzel legte sie ihren Stift beiseite und gab den Bogen ab. Unschlüssig, was sie von dem Test halten sollte, schürzte sie die Lippen und sah Berryl an, bereit für das Urteil, das über ihre Zukunft entscheiden würde.
»Kann ich dich einmal anrufen, Nancy?«, fragte Joyce und richtete langsam ihren Blick auf Konstanze. »Falls das hier nichts wird, fände ich es schade, wenn wir uns aus den Augen verlieren.«
Erneut hob draußen ein Flugzeug ab und das Donnern seiner Motoren erfasste Konstanze wie die Freude darüber, dass Joyce ihr die Freundschaft anbot.
»Ich hoffe, dass es für uns beide etwas wird«, erwiderte sie, riss eine Ecke von einer Seite in ihrem Notizbuch ab und notierte die Telefonnummer der Evans.
»Nochmals viel Glück – für uns beide!«
Jumpin‘ Jack Flash
Selsdon Hall, Berkshire
Hufe trappelten über den Rasen und stoben Gras und Erde auf. Das Schnauben der Pferde vermischte sich mit dem dumpfen Geräusch, wenn der Schläger auf den Ball traf. Geschickt lenkte Anthony seine Stute Storm, die sich wendig an den Pferden der gegnerischen Mannschaft vorbeibewegte. Ihr dunkelbraunes Fell schimmerte in der Sonne, und ihr intensiver Geruch umstrich Anthonys Nase. Er verlagerte das Gewicht seines Körpers, indem er die Fersen in die Steigbügel presste und trieb Storm im Galopp an seinem Gegner vorbei. Er verfolgte den Ball, der zwischen den Fesseln der Pferde hindurch sprang und über den malträtierten Rasen rollte. Ihn anpeilend holte er mit dem Schläger aus, doch als er den Treffer versetzen wollte, schien er plötzlich unbeweglich. Dicht an Storms Flanke drängte sich sein Gegner und hatte seinen Schläger mit Anthonys verhakt. Grimmig blickte er dem Gegenspieler in die Augen, während sich die Schläger wie zwei Degen kreuzten. Holz klackte aneinander.
»Vergiss es«, zischte der Gegner Anthony siegessicher zu. »Unser Team liegt in Führung.«
»Das wäre zu einfach«, konterte er, ließ den Schläger kurz locker und zog ihn unerwartet aus der Umklammerung, »um es dabei zu belassen.«
Mit einem Schlag beförderte Anthony den Ball zum Tor der Gegner, zerrte energisch am Zügel und gewann ausreichend Vorsprung, um seine Mannschaft erneut in Führung zu bringen.
Die Glocke schrillte, und als die Zuschauer applaudierten, wandte Anthony den Kopf zu den Stuhlreihen. Ungestüm jubelte ihm seine Schwester Cassandra zu. Zurückhaltender zeigte Florence ihre Anerkennung. Ob ihre Augen voller Freude strahlten, verbargen die Gläser ihrer großen Sonnenbrille, aber ihr Lächeln hob ihre Wangenknochen an. Mit starrer Miene klatschte Gregory Carter Fulton, sein Vater, in die Hände, ehe er zu dem mit einem Drink gefüllten Glas griff.
»Großartiger Schlag, Ace.« Unvermittelt klopfte ihm Nicholas Peabody auf die Schulter, der gemächlich neben ihm hertrabte. »Dank deiner Reaktion und Hartnäckigkeit haben wir ein Spiel gewonnen, das bereits verloren war.«
»Ich habe es gerettet«, erwiderte Anthony. Mit einem Augenzwinkern verriet er seinem besten Freund aus Schulzeiten, dass er einen seiner trockenen Witze machte.
In gemächlicherem Tempo ritt Anthony auf den Spielfeldrand zu. Dahinter erhob sich von alten, mächtigen Zedern und Eichen umsäumt Selsdon Hall mit seiner von Wein umrankten Fassade. Nach seiner Heimkehr aus dem Krieg war sein Vater als stellvertretender Leiter einer Londoner Bank zu Wohlstand gekommen und hatte das Manor erworben. Auf Anthony hatte das Anwesen mit seinen unzähligen Zimmern, der Weite seiner Flure und den antiken Möbeln aus poliertem Holz einschüchternd und beengend gewirkt. Bei sonnigem Wetter wirkte Selsdon Hall einigermaßen einladend, im Winter oder wenn es regnete, strahlte das edwardianische Gebäude mit seinen grauen Mauern etwas Düsteres aus. Inzwischen lebte er mit Florence in einem Reihenhaus in Camden, das zwar klein war, aber ihm genug Freiraum zum Atmen bot. Wirklich frei und durch keine Wände aus gezierten Konventionen eingesperrt fühlte sich Anthony im Cockpit einer Boeing 707 oder einer Vickers VC 10.
Florence und Cassie umringten ihn bereits, als er sich aus dem Sattel gleiten ließ. Er nahm seinen Helm ab, tätschelte lobend Storms Hals und spürte ihren warmen Atem, als sie ihre samtige Nase in seine Hand legte. Eine angenehm kühlende Brise bauschte die weiten, transparenten Ärmel von Florences Kleid und streifte neckend durch Cassies schulterlanges, von Lockenwicklern und Spray geformtes Haar. So wie seines wäre es mittelbraun, doch sie hatte es in einen goldenen Braunton gefärbt.
»Schenkst du deinem Pferd mehr Zuwendung als deiner Frau?« Herausfordernd legte sie ihren Kopf schräg und kreuzte einen Blick mit Florence. Dabei tanzten die leichten Sommersprossen, die sich auf ihrem Nasenrücken und Wangen verteilten und hartnäckig durch das Make-up hindurchschimmerten.
Leise kicherte Florence, als Anthony sie in die Arme schloss.
»Wie könnte ich meine frisch angetraute Ehefrau vernachlässigen?«, erwiderte er und küsste sie zärtlich. »Sie muss auf mich verzichten, wenn ich die Interkontinentalstrecke fliege, aber sie wusste, worauf sie sich eingelassen hat. Schließlich hat sie mich erst vor ein paar Monaten geheiratet.«
Sie nahm die Sonnenbrille ab und blickte ihn liebevoll an. Oder sah er einen kleinen Zweifel, der das intensive Blau ihrer Augen trübte? Nein ...
Einer der Stalljungen kam herbei und nahm Storm an den Zügeln, führte sie vom Feld. Eine Erfrischung wie der eisige Wasserstrahl, mit dem ihr verschwitztes Fell abgekühlt würde, konnte Anthony ebenfalls gebrauchen, wenn nicht gleich so drastisch.
»Jetzt wäre ein Drink recht«, sagte er und strebte auf die Tische zu. Unweigerlich verirrte sich sein Blick zu seinem Vater, der ihm zunickte. Er erwiderte die Geste und setzte sich zu Florence. »Konntest du unter all den Tories, die diesem Spiel beigewohnt haben, einen finden, der deinen Wahlkampf unterstützt, Cassie?«
Erwartungsvoll, dass Gregory zumindest ein anerkennendes Wort verlor, hielt Anthony den Blickkontakt zu ihm. Bei diesem Spiel war es um nichts gegangen, trotzdem hätte er sich über ein gratuliere, Tony gefreut. Dafür, dass Cassie ausgerechnet für die Labour Party einen Sitz im Unterhaus erringen wollte, hatte Gregory kein Verständnis. Im Gegenteil. Frauen gehörten nicht in die Politik, und erst recht nicht in die Reihen der Labour, diesen Kommunisten. Dass Cassie sich der Partei von Premierminister Wilson angeschlossen hatte, kam ihm einen Verrat an der eigenen Herkunft gleich.
David, Cassies Mann, grinste vielsagend in sich hinein und füllte Pimm’s aus der Karaffe in ein Glas und reichte es Anthony. Nach etwas Alkoholischem war ihm jetzt nicht zumute, doch die geschmolzenen Eiswürfel hatten das Gemisch aus Pimm’s und Ginger Ale verdünnt. Eine Gurkenscheibe und eine Brombeere waren in sein Glas gerutscht und hingen an seinen Lippen fest, als er den ersten Schluck trank.
»Tatsächlich habe ich mich mit ein paar Gentlemen angeregt unterhalten. Was nicht leicht ist, wenn man als einzige Frau unter Männern gerne ignoriert und ständig unterbrochen wird«, erzählte Cassie und blieb stehen. Ihren Oberkörper den Gentlemen in ihren maßgeschneiderten Sommeranzügen zugewandt, drehte sie verlegen an ihrem Ring. Charmant lächelte sie in die Richtung eines untersetzten Herren mit dünnem, durch die Pomade strähnig aussehendem Haar und albernen Koteletten. Mit der Zigarre in der Hand winkte er ihr gönnerhaft zu. »Dad wird mir keinen Penny für meinen Wahlkampf im kommenden Jahr geben«, grollte Cassie und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Sie streckte ihre wohlgeformten Beine aus, die das kniefreie Kleid offenbarte. Sie setzte ein, was sie zu bieten hatte: Anmut, Intelligenz und schlagfertigen Wortwitz. »Vielleicht unterstützt mich Mister Sinclair, dem die Zulieferwerke für Ford gehören. Er ist offen dafür, seinen Arbeitern bessere Bedingungen zu bieten und höhere Löhne zu zahlen. Außerdem ist er bereit, den Gewerkschaften zuzuhören.« Nachdenklich kräuselte sie ihre dunklen Brauen und führte das Glas, das David für sie nachgefüllt hatte, an die Lippen. »Wir werden sehen.«
»Eine Kandidatin Cassie Harrington klingt besser als eine Cassandra«, spöttelte Anthony.
»Ah, du«, versetzte sie leise und verpasste ihm einen sanften Stoß gegen den Oberarm.
Für einen Moment sahen sie sich so verschwörerisch wie Bruder und Schwester an, die von klein auf zusammengehalten hatten. Sie hatten sich gegen einen strengen Vater, der keinerlei Abweichung von seinen Plänen zuließ, und einer Mutter, die zwei Gesichter zu tragen schien, verbündet. Ihre Verbindung mit David als Vorsitzenden der Labour-Gruppe hatte bereits den Bogen überspannt. Vor zwei Jahren hatte sie mit ihrer Hochzeit noch eins draufgesetzt. Auf eine kirchliche Trauung hatten beide verzichtet, und sie war in einem knielangen Brokatkleid und mit einem Strauß Maiglöckchen ins Standesamt geschritten. In dieser Familie konnte man nur rebellieren, wenn man nicht zu einer dieser innerlich ausgehöhlten Gestalten verkommen wollte, die mit hochgezogenen Oberlippen dem Spiel beigewohnt hatten.
»Mister Carter Fulton, Sir!« Schnell atmend wandte sich Martha, das Hausmädchen an Anthony. Gleichzeitig versuchte sie eine brüllende Zweijährige, deren Schlaf unsanft unterbrochen wurde, auf dem Arm zu beruhigen. »Telefon für Sie.«
Augenblicklich war ihm klar, wer anrief. Da er zwar einen freien Tag hatte, aber auf Bereitschaft war, würde er wohl für einen Kollegen einspringen. Florence sah ihn mit einem gequälten Augenrollen an. Was konnte er anderes tun, als sie mit einem Kuss zu trösten, bevor er auf das Haus zulief? Ihre Stimme und die Nicholas‘ schwirrten zu ihm und verstummten, sobald er durch den monumentalen Eingang trat.
»Phoebe, nicht weinen, mein Schatz«, nahm Cassie ihre Tochter unter den missbilligenden Blicken der feinen Herrschaften an sich.
Was will sie in der Politik erreichen, wenn sie sich nicht einmal um ihr eigenes Kind kümmern kann, zielten sie wie Giftpfeile auf Cassie ab. Kurzum schloss sie sich Anthony an und flüchtete mit ihm ins Haus.
»Wir hatten Kindermädchen«, raunte er ihr bissig zu und legte bekräftigend die Hand auf ihre Schulter.
»Ich weiß, Tony. Sie trockneten unsere Tränen und verbanden unsere aufgeschürften Knie.«
Das Poltern der Absätze seiner Reitstiefel hallte durch die Flure, als Anthony ins Arbeitszimmer seines Vaters stürmte. Seine Augen mussten sich an das von den schweren Samtvorhängen gedämpfte Licht gewöhnen, und die Kühle des alten Gemäuers berührte seine erhitzte Haut wie der Atemhauch eines Geistes.
»Anthony Carter Fulton am Apparat, ja?«, meldete er sich.
»Ace, hier ist Edward Faraday vom Recruitment«, brachte sich jener Gentleman in Erinnerung, bei dem er den Einstellungstest für die Concorde absolviert hatte. »Wäre es Ihnen möglich, nach Bristol zu kommen? Wir benötigen morgen einen weiteren Testpiloten.«
Anthony klemmte den Hörer unter sein Kinn und strich durch sein Haar. Hatte er Faraday richtig verstanden? Als er begriff, dass er der Testpilot sein würde, schoss eine Woge Adrenalin durch seine Blutbahnen und sein Herz schien sich in die Schwerelosigkeit vom Glück und unbändiger Freude zu erheben.
»Ich bin bereit, Sir«, erwiderte er.
Flughafen Bristol-Filton
Die Frische des Spätsommermorgens vermischte sich mit Kerosindunst und strich über Anthony hinweg, als er mit Captain James Reynolds das Verwaltungsgebäude verließ und auf das Vorfeld zuschritt. Dabei schwenkte er lässig den Schutzhelm in der Hand. Beide trugen Overalls wie Kampfpiloten, versorgt mit Sauerstoffzufuhr, und der Fallschirm auf den Rücken sollte sie im Notfall retten.
Beleuchtet von den goldenen Strahlen der Morgensonne erhob sich ihr schlanker Stahlkörper. Die Concorde, wahrgewordene Vision von Überschallflügen und Vollendung von Ästhetik und Fortschritt. Mit der gesenkten Nase und den deltaförmigen Tragflächen wirkte sie, als würde sie aus der Gegenwart abheben und geradewegs zu den Sternen streben. Eine Portion Ehrfurcht und die kühle Brise jagten Anthony einen leichten Schauer über die Haut. Gleichzeitig umwehte ihn der Hauch von etwas weitaus Größerem – der Geschichte. Er spürte ihn bis in die Haarwurzeln und tief in den Kammern seines Herzens. Am Bugfahrwerk erkannte er die geschäftig umherwuselnden Techniker, auf der Steuerbordseite, verdeckt vom Rumpf, befüllte der Tankwagen das Flugzeug.
»Jetzt gehört sie dir, Ace.« James zeigte mit dem Kinn auf die Concorde. »Ich kann dir versichern, dass die Lady eine Menge Feuer hat. Wenn du mit einem Rennwagen gefahren bist, wirst du wohl kaum noch in einem Bus sitzen wollen.«
Bisher hatte Anthony nur Starts und Landungen mit ihr geübt und hatte eine kleine Runde in der Luft gedreht. Sie hatte wirklich jede Menge Feuer und ihre Eigenheiten. Heute würde er eine weitere Strecke fliege. Die Fliegenden duzten einander, denn man arbeitete als eine Crew. James war älter und erfahrener als er, hatte ein rundliches Gesicht und seine buschigen dunklen Brauen stießen wie ein M auf seiner Nasenwurzel zusammen. Im Krieg war er Bomberpilot bei der Royal Air Force gewesen. »Die Realität ist immer anders als der Simulator«, antwortete Anthony gelassener, als er war. »Dass ich für den heutigen Testflug einspringen sollte, hat mich zwar überrascht, aber ich fühle mich geehrt.« Er blinzelte der Sonne entgegen, deren Strahlen die Concorde vollkommen abschirmten. Verzerrt fiel ihr Schatten auf den Beton. »Vor ein paar Wochen hat der erste Mensch den Mond betreten. Wenn wir auf der Erde über die Schallmauer springen können, wer sagt, dass wir nicht bald auch Flugzeuge konstruieren werden, die in den Weltraum fliegen?«
James schürzte die Lippen. »Wer weiß«, entgegnete er. »Wahrscheinlich werden die Russen wieder die Ersten sein. Sie waren uns auch mit ihrem Überschalljet, der Tupolew-144 voraus, den sie letztes Jahr der ganzen Welt vorgeführt haben. Ohne ihre Spione hätten Sie es wohl nie geschafft.«
»Ihr Ehrgeiz scheint unbezwingbar. Sie geben damit an, dass ihre Konkordski schneller ist«, meinte Anthony. Am Fuß der Treppe, die zum Cockpit führte, blieb er stehen und richtete James aus: »Ich nehme das technische Protokoll ab, anschließend erledigen wir den Instrumentencheck.«
Im Schatten des Rumpfes ging er auf den Ingenieur zu, der das Bugfahrwerk inspizierte und seine Ergebnisse auf dem Klemmbrett notierte. Die Reifen waren noch von den Blöcken gesichert.
»Guten Morgen, Sir«, begrüßte er Anthony und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Simon Anderson, der Flight Engineer, und ich werde den Testflug begleiten.«
»Flight Officer Anthony Carter Fulton. Oder auch Ace genannt. Darf ich die Daten sehen?«
»Selbstverständlich. Der Reifendruck am Bug stimmt«, antwortete Simon und reichte Anthony das Klemmbrett.
Obwohl er die Angaben des Ingenieurs nicht anzweifelte, befühlte er die prall gefüllten Reifen. Sein erfahrener Blick wanderte hoch zum Fahrwerk. Auch die Hydraulik schien in Ordnung, dessen würde er sich anschließend vergewissern. Daran, dass das Bugfahrwerk 35 Fuß hinter dem Steuer lag, musste er sich gewöhnen. Er sandte dem Tankwagenfahrer einen Gruß zu, der nun fertig war und in das Fahrzeug stieg. Beeindruckt von der Vorstellung, dass er dieses technische Meisterwerk bald in die Luft bringen würde, schritt Anthony seine gesamte Länge ab. Von der Spitze bis zum Heck maß sie an die zweihundert Fuß, ihre Tragflächen umspannten siebzig Fuß. Nochmals verglich Anthony die Werte der hinteren Reifen und Fahrwerke mit seinem sicheren Gespür.
»Wie sieht es mit den Triebwerken aus?«, fragte er Simon und stellte sich vor das Ende der Tragflächen, die fast nahtlos ins Heckruder übergingen.
Er begutachtete die rechteckigen Nachbrenner des Typs Rolls-Royce/Snecma Olympus 593, die der Zukunft eine klare Zusage erteilten: Rasant voraus in ein neues Zeitalter.
»Wir haben sie gewartet und sie sind in Ordnung, Captain«, versicherte Simon.
Anthony nickte schweigend und eine fast schon feierliche Stille schwebte über dem Moment.
»Überprüfen wir die Technik«, sagte er und schritt unter der Tragfläche hindurch auf die Treppe zu.
Um durch die niedrige Tür zu kommen, musste Anthony den Kopf leicht einziehen, obwohl er durchschnittlich groß war. In der Kabine strömte ihm der Geruch von Farblack, Metall und Kunststoff entgegen. Der Innenraum war wesentlich enger als der eines gewöhnlichen Flugzeugs, dafür wirkte er heller und weitläufiger. Die Fenster waren kaum größer als seine Hand. Wer hiermit reiste, musste die Schnelligkeit förmlich spüren.
James hatte bereits in seinem Sitz als Erster Offizier Platz genommen und überprüfte die Instrumente, die in dreifacher Ausfertigung mit dem Cockpit verbaut waren. Sollte eines der drei Systeme ausfallen, würden die anderen beiden einspringen.
»Funk und Notfallsystem funktionieren«, berichtete er. »Mein Ruder lässt sich ebenfalls betätigen.«
»Hervorragend«, entgegnete Anthony und klopfte auf das Polster des Pilotensitzes. »Wie angenehm, der Sitz ist sogar mit Plüsch gepolstert.« Mit dem Logbuch setzte er sich aber unter die Instrumentenzeile auf der Steuerbordseite und notierte die ersten Daten.
»Man kommt sich vor wie auf dem eigenen Sofa, nicht wahr?«, scherzte James und gab die Koordinaten durch. »Wir fliegen achtunddreißig Grad Südwest, über den Bristolkanal hinaus auf den Atlantik. Dort werden wir auf fünfzigtausend Fuß hochsteigen, um festzustellen, ob die Kabine dieser Flughöhe standhält.«
»In Ordnung«, entgegnete Anthony und setzte das inertiale Navigationssystem auf. Damit erfasste die Bodenkontrolle stets seine genaue Position. »Funktionieren der Höhen und der Geschwindigkeitsmesser? Teste mal die Steuerung, James. Anweisung ist, die Schallgeschwindigkeit von Mach eins nicht zu überschreiten.«
Er schluckte seine Verdrossenheit herunter, dabei juckte der Drang, Überschall zu fliegen geradezu in seinen Fingern. Wie würde es sich anfühlen, schneller als die Luft zu sein? Würde die Konstruktion so stabil sein, dass sie den Kräften standhielt? Ihm war klar, dass er als Versuchspilot am Steuer saß und jede Entscheidung auch fatale Folgen nach sich ziehen konnte. Jede seiner Entscheidungen bestimmte auch über die Zukunft des Überschallflugs – und Großbritannien würde sie nicht an die Sowjets abtreten. Der Wetteifer der Weltmächte entschied sich nicht mit Parolen, sondern im Himmel.
»Alles positiv, Ace. Ich habe die Klappen bewegt und das Heckruder getestet«, berichtete James.
Akribisch notierte Anthony die Funktionstüchtigkeit. »Wie sind die Wetterbedingungen über dem Atlantik?«, fragte er weiter.
»Wir haben westlichen Gegenwind von ungefähr zwanzig Knoten«, antwortete dieser. »Die Ausläufer eines Tropensturms ziehen östlich, aber sie werden sich in Regenwolken verwandeln.«
»Gegenwind bedeutet, wir verbrauchen mehr Kerosin für den Hinweg«, ergänzte Anthony, berechnete die Flugzeit und den Treibstoffverbrauch bei Schallgeschwindigkeit. »Sind alle Instrumente funktionsfähig?«
»Aye«, erwiderte James.
»Bestätigt.« Anthony wandte sich nach dem Flight Engineer um, der hinter ihm saß. »Fühlst du dich wohl, Simon? Leider haben wir kein Bordpersonal, das sich um deine Belange in Form von Whisky on the Rocks oder Bloody Mary kümmern könnte.«
»Danke, Sir«, winkte der ab. »Um diese Zeit bleibe ich lieber nüchtern.«
»Also dann.« Nach einer Stunde Vorbereitungen wechselte Anthony auf den Pilotensitz und legte den Helm an. Darin waren die Kopfhörer für den Funk eingebaut. »Ich werde den Tower um Starterlaubnis bitten. Stellen Sie Ihre Sitze in eine aufrechte Position, Gentlemen, und legen Sie die Sicherheitsgurte an«, imitierte er die Anweisungen einer Stewardess und funkte den Tower an. »Concorde-002 bittet um Starterlaubnis.«
Schaff es, mach alles richtig, befahl er sich. Denn wenn du es nicht hinkriegst, wird keine Concorde mehr abheben. Niemals mehr.
Aus den Kopfhörern drang ein Knacken. »Concorde-002, Starterlaubnis erteilt«, antwortete der Lotse.
Durch das vollverglaste Visier sah Anthony, wie die Bodenabfertiger die Blöcke von den Reifen entfernten und sich auf sicheren Abstand begaben. Er spürte den leichten Ruck, mit dem der Flugzeugschlepper andockte. Rückwärts glitt die Concorde auf die Piste hinaus. Auf den Flächen jenseits des Zauns hatten sich Schaulustige versammelt. Sie begeisterte die Menschen.
Anthony warf James einen Blick zu und nahm einen tiefen Atemzug. Aufregung und Adrenalin pulsierten in seinen Adern, als die Concorde auf ihrer Position stand und das Schleppfahrzeug wegfuhr. Auf diesen Moment hatte er sich lange vorbereitet, monatelang im Simulator trainiert, Starts und Landungen geübt und sämtliche Daten auswendig gelernt. Es konnte aber auch einiges schief gehen, und weder er noch Simon oder James infolge dessen lebendig zurückkehren. Ein Flugzeug konnte zum Grab werden.
»Bereit, James?«, fragte Anthony.
»Bereit, Ace«, bestätigte James.
»Vergleichen wir unsere Uhren«, verkündete Anthony, warf einen Blick zu Simon, dann auf den Sekundenzeiger seiner Omega-Speedmaster. »Countdown läuft. Zehn, neun, acht ...« Der Zeiger raste über das Ziffernblatt. »Drei, zwei, eins. APU starten!«
Er aktivierte die Vorrichtung und fuhr die Systeme hoch. Die Instrumententafel erwachte zum Leben, Lichter blinkten und Anzeigen begannen sich zu bewegen.
»Triebwerke zünden«, befahl er.
Synchron drehten er und James an Riegeln und drückten Knöpfe. James überwachte die Tankanzeigen, während Anthony die Startsequenz der Triebwerke einleitete. Nacheinander aktivierte er die vier leistungsstarken Nachbrenner. Er drehte den Zündschalter und bewegte den Schubhebel langsam nach vorne. Die Bremsen erforderten Feingefühl. Stieg er zu kraftvoll darauf, würden sie heiß werden und blockieren.
»Triebwerk eins läuft stabil«, meldete James und behielt die Anzeigen im Blick.
»Fahrwerk entriegeln«, sagte Anthony, und James betätigte den entsprechenden Schalter.
»Alle Triebwerke laufen stabil. Hydraulik und Pneumatik sind im grünen Bereich«, bestätigte James.
Locker aus dem Handgelenk schob Anthony die Hebel weiter nach vorne. Begleitet vom Donnern der Triebwerke rollte die Concorde auf die Startbahn. Sie war verdammt laut und ihre unbändige Kraft vibrierte in den Sehnen seiner Hand.
»Geschwindigkeit steigt. 80 Knoten ... 120 Knoten ...«, protokollierte James.
Anthony fixierte den Horizont. Sein Herz rumpelte im Gleichklang mit den Reifen auf der Piste und er bewegte das Steuer mit ruhigen Händen. Die Nase der Concorde hob sich vom Boden, und er spürte den Moment des Abhebens, als die Räder den Kontakt zur Startbahn verloren. Unerwartet steil stieg sie auf und die Fliehkraft schoss ihm in die Eingeweide, drückte ihn in den Sitz. Der stolze Vogel schwebte dem Himmel entgegen.
»Fahrwerk einfahren«, befahl Anthony.
James betätigte den Schalter, und das Fahrwerk verschwand geräuschvoll im Rumpf.
Als die Concorde weiter an Höhe gewann, die Reihenhäuser am Stadtrand, die Straßen und die Felder winzig klein wurden und sich der blaue Himmel vor ihnen ausbreitete, konnte Anthony sein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken. Er hatte sie in die Luft gebracht, und unter ihr glitzerte das Meer. Die Schiffe, die auf dem Bristolkanal kreuzten, wirkten wie Spielzeug in einer Badewanne. Mit einem Knopfdruck hob sich die Spitze und glänzte metallisch im Sonnenlicht. Einzelne Wolkenschleier zerrissen, schließlich erschien vor ihm der Himmel klar und endlos. Weit unten breitete sich der Atlantik wie ein schimmerndes blaues Tuch aus.
»Hier Concorde-002«, meldete Anthony dem Tower, dessen Funkfeuer schwächer wurde. »Die Instrumente zeigen stabile Werte, alles läuft nach Plan. Wir haben die Flughöhe von 60 000 Fuß erreicht.«
Bildlich stellte er sich die Chefkonstrukteure und die Direktoren der British Overseas Airways Corporation, der BOAC, vor, die gebannt im Kontrollraum zuhörten und darauf warteten, was auf diesem Testflug geschehen würde. Anthonys Blick ruhte auf der Geschwindigkeitsanzeige, und auf dem Mach-Regler. Seine Begierde, ihn umzuschalten und Schallgeschwindigkeit einzuleiten, brannte. Dieses Flugzeug auf Reisegeschwindigkeit zu halten war wie einen Sportwagen bei dreißig Meilen in der Stunde zu fahren.
»Bereit für den Sprung auf Mach 1?«, rief er James zu.
Entschlossen legte er den Schubhebel nach vorne, schaltete das erste Paar der Nachbrenner ein und erhöhte auf Mach 1. Anthony durchfuhr die gewaltige Kraft, die sie vorantrieb und seinen Rücken erneut in die Lehne presste. Der Geschwindigkeitsanzeiger kletterte stetig, bis er die magische Marke berührte. Ein kaum wahrnehmbares Beben erfasste ihn, als er die Schallmauer durchbrach.
»Mach 1 erreicht«, bestätigte James ehrfürchtig.
»Jeez ...«, staunte Anthony, rief dann über die Schulter: »Wie geht‘s so, Flight Engineer?«
»Danke, Captain, mir geht’s prächtig«, entgegnete Simon. »Ich protokolliere mit.«
»Schade, dass wir nicht weiter aufdrehen können«, meinte Anthony, und ein Grinsen umspielte seine Lippen. »Ich würde gerne sehen, wozu das Mädchen wirklich fähig ist.«
»Das werden wir noch früh genug«, versicherte Simon.
Die Zeit verstrich, und Anthonys Blick wechselte immer wieder zwischen den Instrumenten und der Erdkrümmung. Über ihm erstreckte sich pechschwarz das Weltall. Höher als er waren nur die Astronauten der Apollo-11 gelangt. Er vernahm das leise Summen der Elektronik und das stete, tiefe Dröhnen der Triebwerke. Der Atlantik blitzte durch die Löcher der dichter werdenden Wolkendecke. Hier war er also, der sich auflösende Tropensturm. Von seinem Auge blieb ein kreisförmiges Gebilde übrig und die Wolkenwirbel zerfransten wie eine alte Flagge. Anthony konnte nicht anders, als sich vorzustellen, wie es sein würde, irgendwann schneller als der Schall über den Ozean zu preschen, und die Welt in Rekordzeit zu umrunden.
»Bringen wir Lady Speedbird zurück in die Heimat«, sagte er. »Der Treibstoff würde noch länger reichen, aber wir gehen kein Risiko ein. Gib unsere Koordinaten ins Navigationssystem ein, James.«
»Wird erledigt, Ace«, bestätigte der und führte den Befehl aus. »Es ist schon erstaunlich, dass die Bordcomputer Treibstoffzufuhr, die Steuerung der Triebwerksklappen und der Navigation übernehmen. Dabei sitzen noch Navigatoren mit im Cockpit der VC 10 und bestimmen anhand der Sterne die Position.«
»Ich weiß«, pflichtete Anthony bei. »Insbesondere wenn man bei Nacht über den afrikanischen Kontinent oder die Polarroute fliegt, weisen sie anhand von Venus, Mars und dem Stand des Mondes den Weg.«
»Was sich bald ändern wird, denn die Technik vollzieht wahre Sprünge«, meinte James. »Eines Tages haben die Navigatoren ausgedient.«
»Die Zeiten wandeln sich, aber die Technik wird den Menschen nicht ablösen. Die Technik braucht den Menschen.«
In einer weiten Schleife zwischen Wolken und Meer wendete Anthony die Maschine. Das Steuer lag geschmeidig in seinen Händen und er spürte die Zentrifugalkraft, mit der er die Concorde seitlich neigte. Sie war wendig und leicht, und er brachte sie zurück auf die Horizontlinie. Die Sonne, die über diesem Teil des Atlantiks erst aufging, streifte durch das Cockpit.
Schimmernd tauchte die schmale Küstenlinie Englands in einer Lücke der grauweißen Wolkenbank auf. Aus Erfahrung wusste Anthony, dass er in Turbulenzen steuern würde, die ein Unwetter mit sich brachte. Schon erfasste ein leichtes Ruckeln die Concorde, und er umklammerte das Ruder.
»Hier Concorde-002, Bristol kommen«, sandte er durch den Funk und wartete, bis ihm der Tower antwortete. »Wir bitten um Landeerlaubnis.«
»Landeerlaubnis erteilt, Concorde-002«, erwiderte der Lotse.
Bekräftigend nickte Anthony seinem Ersten Offizier zu. »Ich würde vorschlagen, bereitmachen zum Landeanflug. Es könnte etwas ruppig werden, denn das Wetter ist schneller umgeschlagen als erwartet.«
Er leitete den Sinkflug ein und stellte die Landeklappen an den Tragflächen hoch. Die Welt unter ihm nahm immer klarere Konturen an, ein Mosaik aus Feldern, Ortschaften, Wäldern und Straßen erschien zwischen den Wolken. Als Anthony durch die wallende Masse sank, schaukelte das Flugzeug leicht, und er spürte, wie die Böen gegen den Rumpf drückten.
»Fuck!«, verfluchte er das Luftloch, umschloss das Steuer fester. »Fahrwerk ausfahren!«
Ein vertrautes Surren erfüllte das Cockpit. Anthony richtete seine Augen auf den Horizont und die Landebahn, die in der Ferne auftauchte. Die Triebwerke sangen fast, als er den Schubhebel nach hinten zog und die Geschwindigkeit weiter drosselte. Er schaltete auf Umkehrschub. Regentropfen zerplatzten auf den Scheiben des Visiers. Er senkte die Spitze, und seine Sicht auf die Landebahn und die Gebäude war erstaunlich frei. Die Betonpiste kam näher, und damit der heikelste Moment.
»500 Fuß«, meldete James, die Höhe genau im Blick. »Windgeschwindigkeit unverändert.«
Erneut spürte Anthony das Flugzeug leicht ruckeln, und steuerte es sicher. »300 Fuß. Wir sind gleich da. Bereit zur Landung.«
In den letzten Sekunden konzentrierte er sich voll und ganz darauf, den Vogel in die richtige Position zu bringen. Endlich berührten die Räder der Concorde den Boden, zuerst leicht, bis die Maschine mit einem Ruck sicher auf der Landebahn aufsetzte.
»Wir sind gelandet«, sagte James erleichtert, während Anthony das Flugzeug zum Stillstand brachte.
Tief durchatmend lehnte er sich zurück, ein Lächeln auf seinen Lippen. »Gute Arbeit, James. Das war eine Herausforderung, aber wir haben‘s geschafft.«
»Heute war es definitiv kein Routineflug«, antwortete James und grinste breit. »Aber es fühlt sich großartig an, wieder auf sicherem Boden zu sein.«
»Righty-ho«, stimmte Anthony zu und wandte sich nachfragend um. »Alles klar bei dir, Simon?«
»Aye, Sir«, erwiderte der Flight Engineer.
»Parken wir das Mädchen und verbuchen den Tag als Erfolg.« Mit diesen Worten rollte Anthony die Concorde langsam am Terminal vorbei.
Flüchtig blickte er zur Seite und erkannte die Zuschauer hinter dem Zaun. Wie verzaubert hingen sie daran und bestaunten die Concorde. Zuhause, war sich Anthony sicher, würden sie aufgeregt erzählen, dass sie sie gesehen hatten. Er winkte und lachte ihnen zu.
Der Lotse wies ihn zur Parkposition, und Anthony das Feuerwehrauto und den Ambulanzwagen auf dem Vorfeld entdeckte, durchzuckte ihn ein leichter Schauder. Unterwegs und bei der Landung hätte auch einiges schiefgehen können, wenn die Technik ausfiel und er oder James versagten. Er bemerkte aber auch das Aufgebot, das in sicherer Entfernung wartete, die Direktoren und die Konstrukteure. Nachdem die Concorde zum Stillstand gekommen war und Anthony die Triebwerke abgeschaltet hatte, tauschte er erleichterte Blicke mit James und Simon. »Lasst uns nach draußen gehen und uns vom Empfangskomitee begrüßen«, beschloss er und löste den Sicherheitsgurt.
Als die Tür aufschwenkte und er die Treppe hinunterstieg, hörte er Jubel und Applaus. Er sah in erwartungsvolle, leuchtende Gesichter. Einer der Direktoren, ein Mann mit scharf geschnittenen Zügen und einer ruhigen Autorität, trat auf ihn zu. Sein Name war Sir Alexander Davenport, und Anthony wusste, dass er eine bedeutende Rolle bei der BOAC spielte.
»Willkommen zurück, Flight Officer Carter Fulton, First Officer Reynolds, Flight Engineer Anderson«, begrüßte Sir Alexander die Cockpitcrew. »Wir haben Ihren Flug aufmerksam verfolgt. Ich freue mich, dass trotz der kleinen Turbulenzen beim Landeanflug alles reibungslos verlaufen ist.«
»Wie haben sich die Systeme unter den realen Bedingungen verhalten?«, fragte einer der Konstrukteure.
»Sehr gut«, antwortete Simon und zeigte ihm seine Aufzeichnungen. »Die Concorde hat die Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllt. Die Triebwerke liefen konstant, und die Flugkontrolle war präzise. Selbst unter den Turbulenzen während des Landeanflugs blieb sie stabil.«
James nickte zustimmend und Anthony schloss sich an: »Insgesamt war es ein sehr erfolgreicher Testflug.«
»Das sind erfreuliche Nachrichten.« Sir Alexander verschränkte zufrieden die Hände auf dem Rücken und richtete den Blick zur Concorde. »Captain Carter Fulton«, wandte er sich Anthony zu, »ich würde mich später gerne noch ausführlicher mit Ihnen unterhalten. Ihre Erfahrung und Ihre Meinung wären von großem Wert.«
»Gerne, Sir Alexander. Ich stehe zur Verfügung.«
Die Gruppe bewegte sich langsam vom Flugzeug weg in Richtung des Verwaltungsgebäudes, dabei gingen die Gespräche weiter. Anthony warf einen letzten Blick auf die Concorde, die nun friedlich auf dem Vorfeld stand.
Mitternacht war längst vergangen, als Anthony seinen wacholdergrünen MG Roadster vor dem Reihenhaus in Camden parkte. Katzen huschten zwischen Mülltonnen und den schmiedeeisernen Zäunen umher und verschwanden wie Schatten. Feine Regentropfen benetzten Anthonys Wangen, und in die Nachtluft schlich sich bereits der erste kalte Atem des Herbstes ein. Umsichtig, damit er die leeren Milchflaschen nicht umstieß, die Florence vor die Tür gestellt hatte, stieg er die Stufen zum Eingang hoch und schloss auf.
Um Florence nicht zu wecken, betrat er leise die Diele, hängte seine Uniformjacke an der Garderobe auf einen Bügel und warf lässig seine Kappe neben das Telefon auf dem Sideboard. Obwohl er ins Schlafzimmer geschlichen und darauf bedacht war, beim Umkleiden keine Geräusche zu verursachen, ächzte sie und wälzte sich auf die ihm zugewandte Seite.
»Love, ich bin zurück«, flüsterte er und kroch zu ihr unter die Decke. Zärtlich legte er den Arm um sie und gab ihr einen Kuss. »Verzeih mir, wenn ich dich geweckt habe.«
»Ich habe nichts dagegen«, erwiderte Florence verschlafen und schmiegte sich enger an ihn heran. »Du weißt, dass ich unruhig bin, wenn ich auf dich warte. Heute warst du lange weg.«
Jetzt stand Anthony nicht der Kopf nach Diskussionen. Gelegentlich, wenn sie Pläne fürs Wochenende schmiedete und er fliegen musste, gab sie ihm zu verstehen, dass die Männer ihrer Freundinnen zu Hause wären und sie dieses oder jenes gemeinsam unternahmen. Sie sollte dankbar sein, dass er heil zu ihr heimkehrte.
»Der Weg nach Bristol und zurück ist weit«, erklärte er, seufzte und strich über ihr Haar. »Du wusstest auch, was dich als meine Frau erwarten würde. Heute hatte ich meinen ersten Flug auf der Concorde.«
Im blauen Licht, das den Raum einhüllte, begegneten sich ihre Blicke. Eine Weile sah Florence ihn an, legte ihre Hand auf seine Brust.
»Wie war es?«, fragte sie. Allmählich erwachten ihre Sinne und ein leichtes, herausforderndes Lächeln kräuselte ihre Lippen.
»Das flotte Mädchen und ich haben unseren Testflug bei Mach 1 bestanden und unsere Freundschaft intensiviert«, antwortete Anthony mit einem schelmischen Grinsen.
»Habe ich Grund zur Eifersucht?« Forsch wanderte ihre Hand seinen Bauch abwärts.
Einen Moment zögerte er, entflammt von ihrer Berührung. Sinnlos, ihr zu widerstehen, wenn sie offenbar danach verlangte, dass er sie liebte. »Gewiss nicht«, erwiderte er und versiegelte ihre Lippen mit ungeduldigen Küssen.
Als Florence ihm auf einer Party vorgestellt worden war, hatte sie ihn mit ihren leuchtend blauen Augen in den Bann gezogen. Geheimnisvoll hatte sie ihm über den Rand ihres Weinglases zugelächelt, als er mit ihr angestoßen hatte. Ihr Lächeln war offener und verwegener geworden, nachdem er sie einige Tage später aus einem Lokal auf das regennasse Pflaster der Bayswater Road geführt hatte. Von den ersten Verabredungen an war ihm klar gewesen, dass er dieser Frau viel Aufmerksamkeit und Zeit widmen musste, wenn er sie behalten wollte. Das Leben als Pilot, mit Langstreckenflügen und Aufenthalten in fremden, weit entfernten Städten wie Rio, New York, Toronto oder Kapstadt, stellte sich dem entgegen. Dennoch hatte sie seinen Antrag angenommen und ihn geheiratet. Mit den Flitterwochen nach Barbados hatte er ihr gezeigt, dass er ihr gewisse Vorzüge bieten konnte, die sie nicht mit einem Mann haben würde, der von Montag bis Freitag acht Stunden im Büro arbeitete.
Energisch presste Florence ihren Unterleib an seine Lenden, ihre Fingerspitzen glitten erforschend über seine Hüften. Sie war hellwach und forderte ihn für sich ein. Anthony seufzte auf, schlug die Decke zurück und löste die Schleife, die ihr fast transparentes Nachthemd am Ausschnitt zusammenhielt. Auffordernd rollte sich Florence auf den Rücken und streckte ihm ihre Arme entgegen. Fest umschloss sie ihn, als er sich zu ihr beugte und ihre Brüste liebkoste. Sein Atem setzte aus, als ihre Hand über den gespannten Stoff seiner Shorts glitt und seine Männlichkeit berührte. Sie wusste, was ihm gefiel, doch er gebot ihr sanft Einhalt und umfing ihr Handgelenk. Im Gegenzug wanderten seine Lippen zwischen ihren Brüsten hinab über die weiche, erhitzte Haut ihres Unterleibs und fanden ihr Ziel. Genüsslich seufzend reckte sie sich ihm entgegen, begierig, dass er intensiver ihre Scham küsste. Er hob seinen Blick zu ihr. Unter seiner Handfläche, die auf ihrem Bauch ruhte, spürte er, wie sich ihre Muskeln anspannten. Am Blitzen in ihren Augen und den verlangend geöffneten Lippen erkannte Anthony, dass er sie an den Rand der Ekstase trieb. Er richtete sich auf und betrachtete sie. Dabei stieg eine warme Woge in seiner Brust auf, jenes machtvolle Gefühl, das ihn daran erinnerte, wie sehr er sie liebte. Wie aus dem Hinterhalt bohrte die Angst an seinem Innersten, Florence könnte sich davonstehlen. Nein, das durfte niemals geschehen. Es würde auch nicht geschehen.
»Nimm mich«, flüsterte sie und zog seine Hüfte fester an sich heran.
Wärme breitete sich in ihm aus, das Prickeln in seiner Mitte wurde zu einem brennenden Verlangen. Seine und Florences Finger verhaspelten sich, als sie gleichzeitig am Bund seiner Shorts zerrten. Behutsam drang er in sie ein, um dann kräftiger in ihr vorzustoßen. Sie schlang ihren Schenkel um ihn, parierte seine Bewegungen. Leise aufschreiend warf sie ihren Kopf zurück und kurz darauf ihren Oberkörper. Wie von einem Sog mitgerissen zuckte und bebte jede ihrer Fasern, bis sie sich an seinen Schultern festkrallte und sich fallen ließ. Ihren entspannten, seligen Gesichtsausdruck genießend rahmte Anthony ihre Wange mit seiner Hand ein und erwiderte ihr Lächeln. Abermals ließ er sich mitreißen, bis er sich auflöste und die Hitze seines Verlangens ihn forttrug.
Im Takt des strömenden Regens, der an die Scheibe trommelte, schlug Anthonys Herz gegen seinen Brustkorb. Allmählich kam er wieder zu sich, fing Florences Wimpernschlag und ihr versonnenes Lächeln ein und spürte den kühlen Hauch, der von außen die Fenster streifte. Er lauschte dem Klang des Regens und Florences gleichmäßigen Atemzügen. In diesem Augenblick, als er sich an ihre Seite legte und sie in seinen Armen barg, schwappte eine Woge des Glücks über ihn hinweg. Als sie abebbte, stellte sich ein innerer Frieden in ihm ein.
»Wie verrückt sind wir, um diese Zeit noch Liebe zu machen?«, kicherte Florence leise.
»Verrückt, ja ...«, flüsterte er, »vor allem nach dir, meine Liebste.«