Conjured - Katharina Sommer - E-Book
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Conjured E-Book

Katharina Sommer

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Beschreibung

Ein Blick zwischen Seiten aus Magie, der Herz und Vertrauen auf die Probe stellt. Die junge Dämonenjägerin Ginny war sich sicher, Hunter zu helfen, wäre die richtige Entscheidung. Nachdem dieser jedoch ihr Vertrauen missbraucht hat, fällt es ihr schwer, auf seinen Rat zu hören. Denn der Dämon verbirgt etwas vor ihr und hält seine Gefühle hinter einer dicken Mauer verschlossen. Als Ginny Seraphinas Tagebuch liest, erfährt sie von seiner Vergangenheit und ihre Zweifel an seinem Plan werden größer. Dennoch will sie die Magie der Portalhexe nutzen, wodurch die Dämonen immer mehr in Zugzwang geraten und zum Gegenschlag ausholen. Auf der Erde ist Ginny nicht mehr sicher und ausgerechnet die Unterwelt soll ihr Schutz bieten. Sobald ihr klar wird, dass sich der Schlüssel zu Seraphinas Magie in den Händen des Feindes befindet, muss sie sich sowohl den Dämonen als auch den Clans stellen. Denn für Ginny steht fest: Sie wird die Portale zur Unterwelt schließen. Doch zu welchem Preis?

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Epilog

Danksagung

Die Autorin

GedankenReich Verlag

N. Reichow

Neumarkstraße 31

44359 Dortmund

www.gedankenreich-verlag.de

CONJURED

(3)

Text © Katharina Sommer, 2023

Cover & Umschlaggestaltung: Phantasmal Image

Lektorat/Korrektorat: Marie Weißdorn

Satz & Layout: Phantasmal Image

Innengrafiken © shutterstock

E-Book: Grit Bomhauer

ISBN 978-3-98792-060-8

© GedankenReich Verlag, 2023

Alle Rechte vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Für Opa und Mam

weil ihr immer für mich da seid.

Tosend fegte der Wind über die Küste Nordschottlands und bildete gemeinsam mit der stürmischen Wolkendecke ein eindrucksvolles Bild. Durch das Muster gebrochener Wellen erschien das sonst so blaue Wasser des aufgewühlten Meeres in einem tiefen Grau. An manchen Stellen sogar fast schwarz. Schwarz wie die Nacht. Dunkel, gefährlich und unberechenbar.

Am Ufer stand eine junge Frau und blickte reglos auf den Ozean hinaus. Die Hosenbeine ihrer Jeans hatte sie nach oben gekrempelt. Ihre Zehen versanken im nassen Sand und wurden von an Land schwappenden Wellen überrollt. Das blonde Haar peitschte ihr ins Gesicht und wurde vom Wind aufgeworfen wie in einem Wirbelsturm.

Obwohl sie ihm den Rücken zugekehrt hatte, wusste er, dass sie die Augen geschlossen hatte. Die Böen zerrten an ihrem dünnen Pullover und ließen sie nur noch zierlicher wirken, wie sie dastand und dem Sturm trotzte. Erste Regentropfen setzten ein, doch sie schien sie nicht einmal zu bemerken.

»Ist sie immer noch dort draußen?«

Überrascht fuhr der am Fenster lehnende Christian aus seinem Trübsalblasen auf. Mit langen Schritten kam ein junger Mann mit stechend grünen Augen in das Zimmer und legte seine Anzugjacke auf einem der Lesesessel ab. Wachsam betrachtete er sein Gegenüber, das vom Fenster des Strandhauses das Mädchen am Wasser besorgt beobachtet hatte.

»Hol sie herein, es regnet schon«, sagte Christian an den blonden Anzugträger gewandt und warf einen unsicheren Blick zu seiner Schwester nach draußen.

»Möchtest du mit ihr reden?«, fragte der Mann erwartungsvoll.

Doch über Christians Gesicht legte sich ein dunkler Schatten. »Lieber noch nicht. Sie wird so wütend sein. Rede erst du mit ihr.«

»Sie hat sich geweigert, mich anzuhören. Daher wollte ich ihr erst die Chance geben, sich zu beruhigen. Aber du bist ihr Bruder. Wenn du mit ihr sprichst, wird sie verstehen, warum ich getan habe, was ich tun musste.«

»Tatsächlich?«, brauste Christian auf. »Inwiefern war es notwendig, sie in einer Nacht- und Nebelaktion vom Schulball zu entführen? Wäre das nicht auch mit einem einfachen Gespräch gegangen?«

Der Blonde verdrehte die Augen und ließ sich rücklings auf die Couch fallen. »Stell dich nicht so an. Ich habe dir die Situation bereits erklärt und mir waren die Hände gebunden. Ich hätte sie nicht zurücklassen können. Nicht, solange die Clans es auf sie abgesehen haben.«

»Trotzdem wird sie wütend sein, Hunter. Meine Schwester mag es nicht, wenn sie vor vollendete Tatsachen gestellt wird«, ließ ihn Christian provokant wissen.

Aber Hunter blieb ruhig und zuckte mit den Schultern. »Wütend ist sie auf mich ohnehin andauernd, damit kann ich umgehen. Aber dir wird sie vertrauen, deswegen kannst du dich nicht länger vor ihr verstecken. Wir müssen handeln und haben keine Zeit zu verlieren. Ich bin von meinem Plan überzeugt. Du auch?«

Christian schnaufte verdrossen auf. »Zumindest scheint kein besserer Plan um die Ecke zu kommen.«

Hunter zeigte sich davon unbeeindruckt. »Also sind wir uns einig?«

»Ja, das sind wir.«

»Gut, dann rede mit ihr. Auf dich wird sie hören.«

»Ich glaube, sie ist noch nicht so weit. Ich möchte warten«, wich Christian aus und trat vom Fenster weg.

Hunter seufzte resigniert. »Sie ist stärker, als du glaubst«, hielt er dagegen.

Einen Moment schien Christian zu überlegen, dann wandte er sich ab, um das Zimmer zu verlassen. »Vielleicht nicht stark genug.«

Heiße Wut brodelte in meinem Inneren. Eigentlich war ich mit der Absicht an den Strand gegangen, mein Gemüt wenigstens kurzzeitig zu beruhigen und meine Gedanken zu klären. Um abzuschalten und mich auf Standby zu setzen, sozusagen. Wäre ich doch nur ein Computer und müsste mich mit dem Gefühlschaos in meinem Inneren nicht herumschlagen. Aber durch den kräftigen Sturm und das Tosen des Meeres in meinen Ohren brodelten die Emotionen nur noch heftiger in mir hoch und an Abschalten war gar nicht zu denken. Das Bild, das sich mir bot, war atemberaubend, doch die Tatsache, dass ich hier gar nicht sein durfte (oder besser gesagt wollte), machte es mir unmöglich, die Schönheit des Moments zu genießen.

Bitterkeit erfüllte mich, als ich daran dachte, wie Ethan mich angeschrien hatte, um mir die Augen vor meiner eigenen Naivität zu öffnen. Er hatte mich für meine Entscheidung, ausgerechnet dem berüchtigten Dämon Jasper Hunt zu vertrauen, für verrückt erklärt. Wie recht er damit gehabt hatte.

Während ich jedoch auf Ethan wütend gewesen war, hatte ich Hunters und mein Handeln verteidigt. Und was hatte ich nun davon?

Ich saß entführt und gefangen von einem Dämon irgendwo in der Einöde fest. Ich hatte keinen Plan, wo ich mich befand, geschweige denn, wie ich hier wieder wegkommen würde. Und das nur durch meine eigene Dummheit verschuldet – ich schüttelte über mich selbst den Kopf.

Aber zumindest musste man mir zugutehalten, dass ich nach den Dämonenangriffen überhaupt noch am Leben war. Jener kleine Triumph wog meine Enttäuschung jedoch nicht auf. Denn Fakt war, Hunter hatte mich in seinen Fängen und das hatte ich ganz allein zu verantworten. Nun lag es auch in meinen eigenen Händen, mich wieder aus diesem Schlamassel herauszumanövrieren.

Blinzelnd öffnete ich die Augen, als die ersten Regentropfen meine erhitzten Wangen benetzten. Mit einem Seufzen legte ich den Kopf in den Nacken und genoss das kühle Gefühl des frischen Nass auf meiner Haut. Nachdem ich mich in letzter Zeit darin geübt hatte, nach außen hin nichts als Stärke zu zeigen, erlaubte ich mir nun zu weinen. Meine Tränen würden unbemerkt mit dem Regen verschmelzen. Ich konnte meine Schutzmauer herunterfahren und niemand würde es bemerken.

Doch die Tränen kamen nicht. Seit ich heute Morgen in einem mir völlig fremden Zimmer aufgewacht war und realisiert hatte, dass Hunter mich von meinem Schulball entführt hatte, war mir keine Träne entwichen, obwohl ich jeglichen Grund dazu gehabt hätte. Stattdessen befanden sich mein Körper und mein Geist in einer konstanten Spannung, wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Um mich zu beruhigen, atmete ich tief ein und aus. Allerdings verknotete die Anspannung meine Eingeweide und die Wut ließ sich nur schwer zurückhalten.

Vor dem Ball hatte ich meiner besten Freundin Scarlett versichert, ich würde mich anschließend bei ihr melden, denn seit ich sie in die Geheimnisse der Familie eingeweiht hatte, machte sie sich ständig Sorgen um mich. Nicht auszudenken, wie sie sich nun fühlen musste. Bestimmt hatten Grandpa und Dad nicht daran gedacht, Scar auf dem Laufenden zu halten. Für sie musste es wirken, als wäre ich wie vom Erdboden verschluckt. Irgendwie war das wohl auch der Fall.

»Ginny?«, erklang eine mittlerweile vertraute Stimme hinter mir.

Flatternd öffnete ich die Augen und blickte starr auf das Meer hinaus.

»Was willst du, Hunter?«, entgegnete ich harsch, ohne mich umzudrehen.

»Es ist an der Zeit, dass wir reden«, eröffnete er düster und um Dramatik bemüht. Doch damit weckte er meine Neugierde nicht – nicht mehr.

»Lass mich in Ruhe. Ich habe nicht vor, dir zu helfen.«

Demonstrativ drehte ich ihm den Rücken zu und ging den weißen Strand entlang. Der Sand unter den nackten Füßen fühlte sich gut an. Tief atmete ich die salzige Meeresluft ein. Aber so leicht ließ sich Jasper natürlich nicht abschütteln. Das wäre auch zu schön gewesen.

»Du hast die Möglichkeit, alle Dämonen von der Erde zu vertreiben, und willst sie einfach ignorieren, weil du sauer auf mich bist?«

Auch wenn ich es nicht gerne zugab: Damit klopfte er an der Tür zu meiner Vernunft. Jedoch schien er zu vergessen, dass seit unserer letzten Übereinkunft viel geschehen war, was unseren (oder viel eher seinen) Plan in ein völlig anderes Licht rückte.

Trotz meiner offensichtlichen Ablehnung sprach er ungerührt weiter. »Wenn du mir zuhören würdest, würdest du nämlich begreifen, dass nichts so ist, wie es den Anschein macht. Du liegst falsch, wenn du denkst, ich hätte dich hintergangen.«

Ich warf ihm einen verächtlichen Blick zu. In den letzten Wochen hatte ich ihm mehr Chancen gegeben, als er verdiente, und ein um das andere Mal hatte er mich enttäuscht. »Du lügst wie gedruckt. Warum sollte ich dir auch nur noch ein Wort glauben? Du bist selbst ein Dämon, ich nehme dir nicht mehr ab, dass du euch alle zurück in die Unterwelt verbannen willst.«

Sowohl mein Bruder Chris als auch Ethan hatten mir geraten, Hunter nicht zu trauen und von den Warnungen meines Großvaters und der anderen Clanoberhaupte brauchte ich gar nicht erst anzufangen.

»Ich habe dich nicht angelogen. Du weißt alles über Seraphina und darüber, wie die Portale außer Kontrolle geraten sind – wie kannst du mir unterstellen, ich wäre nicht ehrlich zu dir?« Fest packte er mich an der Schulter und drehte mich um meine eigene Achse, sodass ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.

Gerne hätte ich weggesehen, doch der intensive Blick aus seinen stechend grünen Augen hielt mich gefangen. Der Wind wehte ihm eine goldblonde Locke in die Stirn und ich unterdrückte mühsam den Impuls, ihm die Strähne aus dem Gesicht zu streichen. Daher ballte ich die Hände zu Fäusten und erinnerte mich daran, wer da vor mir stand.

»Du hast meinen Bruder angegriffen, Hunter. Als wir dir und deinem Komplizen in dem Lagerhaus begegnet sind, hast du dich gegen uns gestellt und klar gemacht, wer deine Freunde und wer deine Feinde sind. Jon hätte sterben können – oder war das ohnehin dein Plan?«, spie ich ihm entgegen und hob das Kinn.

Die Erinnerung daran, wie mein Bruder im Kampf mit Hunter bewusstlos zu Boden gegangen war, war wie ein Albtraum, dessen beklemmendes Gefühl man auch nach Tagen noch nicht abschütteln kann. Das Schlimmste war jedoch, dass es die Realität war. In jenem Moment hatte ich gedacht, Jon sei tot, und langsam war ich mir nicht mehr so sicher, ob es Hunter überhaupt interessiert hätte. Für ihn waren Menschen austauschbar – ich genauso. Zumindest, wenn ich keine mögliche Magieträgerin wäre.

»Warum hast du das getan?«

Ohne auch nur den kleinsten Anflug von Reue zu zeigen, blickte er mich eindringlich an. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es ein Unfall war? Sie haben uns angegriffen und wir haben uns gewehrt.« Angespannt presste er die Kiefer zusammen.

Die goldenen Sprenkel in seinen grünen Augen waren heute fast nicht zu sehen. Es schien beinahe, als hätten sich seine Iriden dem stürmischen Wetter angepasst und leuchteten nun in einem dunklen, saftigen Moosgrün. Noch eine Sekunde länger und ich würde ihm verfallen. Schnell wandte ich den Blick ab.

»Ich glaube dir nicht.« Das war es, was ich wirklich fühlte. Misstrauen. Ich seufzte tief und meine Stimme wurde eine Spur lauter. »Du hast mich betäubt und hältst mich nun irgendwo im Nirgendwo fest. Klingt nicht gerade so, als hätte ich einen guten Grund, dir zu vertrauen. Ehrliche Menschen lassen einem die Wahl und greifen nicht zu Trichlormethan.«

Mein beißender Sarkasmus verärgerte ihn. Schnaufend stieß er die angehaltene Luft aus und sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich. »Aurel, ein Dämon meines Vertrauens, und ich wurden in eine Falle gelockt.«

Verächtlich lachte ich auf. »Das lässt sich leicht sagen. Beweise es!«

Der Anruf von Ethan, der Jon um Verstärkung gebeten hatte, war vollkommen unerwartet gekommen. In der direkten Auseinandersetzung hatte Hunter sein wahres Gesicht gezeigt und seitdem hatte ich den Kontakt gänzlich abgebrochen. All das lag erst sechs Tage zurück, doch es erschien mir wie eine halbe Ewigkeit.

»Laut vertraulichen Quellen hätten sich zu jenem Zeitpunkt die Verräter der Clans zu erkennen geben müssen, denn sie waren mit Dealern der Unterwelt verabredet. Anstatt ihnen sind wir jedoch deinem Bruder und Ethan Darnell in die Arme gelaufen. Sie haben uns angegriffen und was hätte ich tun sollen – mich von zwei Jägern erledigen lassen?« Er funkelte mich erzürnt an. »Und als ihre Verstärkung kam, waren wir nicht gerade in der Position, um ein klärendes Gespräch zu führen.«

Beinahe war ich versucht, ihm zu glauben. Allerdings nur beinahe. »Das könnte jeder behaupten«, stellte ich tonlos fest und schüttelte den Kopf. »Was erwartest du von mir? Soll ich dir die Geschichte abkaufen und gar auch noch davon ausgehen, Jon und Ethan könnten die Verräter der Clans sein? Das ist lächerlich.«

Ich war nicht nur unglaublich wütend, sondern vor allem enttäuscht. Hätte er sich nicht wenigstens eine bessere Ausrede einfallen lassen können …

Unterdessen fuhr Hunter sich aufgebracht durch das vom Wind zerzauste Haar. »Du hörst mir nicht zu. Es war eine Falle, die echten Verräter sind nicht erschienen und dass wir ausgerechnet auf euch gestoßen sind, kann kein Zufall sein!«

Gleichermaßen ungläubig wie sauer rekte ich das Kinn. »Gut, und um mir das zu sagen, hast du mich vom Abschlussball entführt, nachdem ich unseren Deal beendet habe? Du hättest mir auch eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen können«, feixte ich.

Hunter starrte mich düster an und sprach mit einschüchternd ruhiger Stimme weiter. »Ich war auf dem Ball, um mit dir zu reden.«

»Zu reden?« Nun wurde ich wieder lauter, denn die unterdrückte Wut in mir war wie ein Feuerball, der immer weiter anschwoll. Ich stand kurz vor der Explosion. »Dann trägst du Betäubungsmittel also vorsorglich immer bei dir wie Pfefferminzbonbons und Desinfektionsmittel? Du hast sie ja nicht mehr alle.«

Von meinem Ärger unbeeindruckt, verschränkte er die Arme. »Ich wollte wirklich nur mit dir sprechen. Die Menschenmenge erschien mir als gutes Ablenkungsmanöver, um an deinen Beschützern vorbeizukommen. Sonst hatten dein Bruder und Darnell immer ein Auge auf dich, aber während des Balls waren sie abgelenkt. Alles andere war nie Teil des Plans und ich war nicht derjenige mit dem Betäubungsmittel. Wenn ich dir allerdings sage, wer dich wirklich entführen wollte, wirst du mir auch wieder nicht glauben.«

Für einen Moment stockte mir der Atem. So wie Hunter die Situation beschrieb, hörte es sich ganz danach an, als hätte es jemand anderes auf Ethan und mich abgesehen gehabt. In jener Version ging Hunter als Held hervor und er hatte recht, mein erster Impuls war, die Augen zu verdrehen und ihn einer Lüge zu bezichtigen. Doch irgendwie mischten sich auch Zweifel dazu. Denn er klang aufrichtig und ehrlich.

Ich blickte ihm direkt in die Augen. Er sah weder weg, noch sprach er weiter. Auch wenn ich es womöglich bereuen würde, fasste ich einen Entschluss und seufzte tief.

»Das lass lieber meine Sorge sein. Erzähl! Ich möchte alles erfahren.« Selbst wenn das bedeutete, meinen eigenen Fehler eingestehen zu müssen.

Er suchte meinen Blick, als wollte er sichergehen, dass ich wirklich bereit war für die Wahrheit. Auffordernd nickte ich, auch wenn sich alles in mir vor Unbehagen verkrampfte.

»Ich habe beobachtet, wie du mit Darnell aus dem Ballsaal verschwunden bist. Natürlich bin ich euch gefolgt, allerdings war ich damit nicht der Einzige. Es waren drei Männer. Sie trugen Masken, aber ich bin mir sicher, dass es Clanmitglieder waren, denn ich habe die Wappen an den Manschettenknöpfen erkannt. Einer von ihnen schlich sich durch eine andere Seitentür hinein. Er war es, der hinter dem Vorhang mit dem Betäubungsmittel gelauert hat.«

»Manschettenknöpfe?« Ich prustete los und die Anspannung löste sich. »Hast du jetzt den Verstand verloren? Das ist der Beweis, wegen dem ich dir die Geschichte abnehmen soll? Warum sollten uns Clanmitglieder angreifen? Ich habe deine Stimme gehört, bevor ich weggedämmert bin, und die Clans haben überhaupt keinen Grund, mich zu entführen! Ich habe doch endlich das Bündnis zu dir gekappt und damit gemacht, was sie wollten!«

»Ich habe dich gerettet«, wandte Hunter aufgebracht ein. »Deswegen hast du meine Stimme gehört. Die Clanmitglieder wären womöglich auch zufrieden mit dir gewesen, hätten sie gewusst, dass du den Kontakt zu mir abgebrochen und unseren Deal endgültig aufgelöst hast. Aber da waren ihre Handlanger wohl schneller als ihre Informanten. Als sie den Ballsaal verließen und ich das Chloroform gerochen habe, war mir klar, was sie vorhatten. Daher haben Jeremy und ich zeitgleich mit ihnen den Raum gestürmt. Jeremy hat mir Rückendeckung gegeben und ich habe dich geschnappt. Mir war deine Sicherheit wichtiger und ein Kampf neben einer Halle voller Zivilisten zu riskant, daher sind wir abgehauen, ohne die Maskierten zu entlarven.«

Jeremy – ich erinnerte mich an den Dämon, der für einige Tage im Stillen für meine Sicherheit gesorgt hatte. Auch wenn ich ihn nach meinem Zerwürfnis mit Hunter zum Teufel gewünscht hatte, konnte ich nicht leugnen, dass ich ihn gemocht hatte. An jenem Ballabend hatte ich ihn gesehen. Aber dennoch bedeutete das nicht, dass Hunter die Wahrheit sprach.

»Ich glaube dir immer noch kein Wort.«

»Du lässt mir keine andere Wahl«, murmelte er, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob er nur zu sich selbst sprach.

Ich sah jedoch keine Notwendigkeit, zu antworten, und wandte mich ab. Wütend stapfte ich durch den Sand davon.

»Ich habe jemanden, der dich umstimmen wird«, rief er mir nach und ich erstarrte in der Bewegung.

Mit wild klopfendem Herz drehte ich mich zu ihm um.

»Wen?«

Dem Ausdruck in seinen Augen entnahm ich, dass er mit sich haderte, ob er wirklich mit der Sprache herausrücken sollte. Oder gehörte das zu seinem Plan und er schauspielerte? Vielleicht bluffte er auch nur. Der Wind fuhr durch seine Haare und wirbelte ihm eine Haarsträhne in die Stirn. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, seine wahre Dämonengestalt hervorblitzen zu sehen, dann blinzelte ich und der Augenblick war wieder vorbei. Er schien seine Entscheidung getroffen zu haben und Entschlossenheit erschien in seinen Augen.

»Dein Bruder ist da.«

»Mein Bruder?«, wiederholte ich mit unbewegter Miene.

In meinem Inneren fegte vom einen auf den anderen Moment ein Ansturm von einem Gemisch aus Verwirrung, Schreck und einer Spur von Hoffnung durch mich hindurch. Doch äußerlich war ich wie erstarrt. Wie um meinen Gefühlszustand zu unterstreichen, wurde der Wind um uns immer stärker und peitschte mir die Haare ins Gesicht.

Ernst erwiderte Hunter meinen Blick. »Christian ist hier und es wird Zeit, dass ihr miteinander redet.«

»Er ist jetzt gerade hier?« Ungläubig sah ich ihn an.

Hunter lächelte verhalten. »Genau genommen im Haus.«

»Ich glaube dir nicht«, wiederholte ich zum tausendsten Mal und wich kopfschüttelnd zurück. »Warum hat er noch nicht mit mir gesprochen und warum habe ich ihn noch nicht gesehen? Hältst du ihn im Keller als Geisel oder wie darf ich das verstehen?«

Obwohl ich es als Scherz gemeint hatte, lachte Hunter nicht. »Er hat mich gebeten, dir noch nicht zu sagen, dass er hier ist. Allerdings ist es eine lange Geschichte und es wäre besser, würde er sie dir selbst erzählen. Aber hör auf mit deinem schockierten Blick. Christian ist freiwillig hier.«

Skeptisch hob ich die Brauen. »Als wäre eine Entführung so abwegig.«

»Sei weiterhin sauer, oder komm mit und rede mit deinem Bruder. Deine Entscheidung.«

Ohne abzuwarten, ob ich ihm folgte, ging er voraus.

Kurz zögerte ich, doch als er auf das Strandhaus zuging, in welchem sich angeblich Chris aufhielt, gab ich mir einen Ruck und eilte ihm hinterher.

Auf die Gefahr hin, Hunter in eine Falle zu laufen, betrat ich das Strandhaus. Die Dielenbretter knarzten unter unseren Schritten.

»Chris?«, rief ich laut und blickte den Dämon auffordernd an. »Wo ist er?«

Angespannt erwiderte er meinen Blick. »Versprichst du mir, ihm zu glauben?«

Nicht gewillt, mich auf so ein Spielchen einzulassen, zuckte ich abwehrend mit den Schultern. »Hängt davon ab, was er mir zu sagen hat. Also raus mit der Sprache, wo ist er?«

Mein Gegenüber seufzte tief und blickte wie für ein Stoßgebet zum Himmel. Ich hätte mich täuschen lassen, hätte ich nicht gewusst, dass er viel mehr dem Teufel verschrieben war.

»Er ist im Wohnzimmer.«

Nicht dass ich einen Schimmer gehabt hätte, wo sich besagtes Wohnzimmer befand. Denn sobald ich zu Bewusstsein gekommen war, hatte ich sofort die Flucht nach draußen ergriffen. Allerdings war ich nicht weit gekommen, da wir uns mitten im Nirgendwo befanden. Stundenlang war ich den Strand entlanggewandert und hatte darüber nachgedacht, die Hügel, die sich um das kleine Strandhaus erhoben, zu erklimmen.

Sie waren der Beweis, dass mich Hunter in die Highlands gebracht hatte, denn die grünen Erhebungen und felsigen Klippen gehörten eindeutig nicht in die Lowlands. Alles war grün und hatte mich an Hunters Augen erinnert, was meine halbherzige Flucht nicht gerade gefördert hatte. Es war nicht weiter verwunderlich, dass ich niemandem begegnet war und schlussendlich hatte ich einsehen müssen, dass ich lieber der Gefahr des Dämons als Hunger und Dehydration ausgesetzt war. Damit hatte Hunter wohl gerechnet, andernfalls hätte er sich bei meiner Bewachung mehr Mühe gegeben. Und so war ich zum Strandhaus zurückgekehrt.

Hunter deutete auf eine Schiebetür.

»Danke«, sagte ich kühl, ging darauf zu und zog die linke Tür ohne Zögern auf. »Chris?«

Bei dem Raum handelte es sich um einen Salon mit Sofa, Lesesesseln, Bücherregalen und einem Flügel. Alles, was man für eine gemütliche Teestunde brauchte. Am Fenster stand eine Person und drehte sich bei meinem Eintreten um. Ein großer Teil von mir war wohl noch immer davon ausgegangen, Hunter würde mich an der Nase herumführen. Denn als ich die großgewachsene Statur und den hellblonden Haarschopf meines Bruders erkannte, entfuhr mir ein ungläubiger Schrei.

»Chris, du bist es wirklich!« Voller Erleichterung stürzte ich auf ihn zu und warf mich ihm in die Arme. »Ich bin so froh, dich zu sehen«, murmelte ich an seiner Schulter. Für einen Moment redete ich mir ein, zu Hause zu sein.

Er drückte mich fest. »Ich freue mich auch, Ginny.«

Unterdessen lehnte Hunter am Eingang und beobachtete unsere Begrüßung mit unbewegter Miene. Es wäre mir lieber gewesen, er wäre gegangen, aber vermutlich wollte er sicherstellen, dass Chris mir genau das sagte, was er hören wollte. Ich warf ihm einen zornigen Blick zu, bevor ich mich wieder meinem Bruder zuwandte.

»Was ist passiert, warum bist du hier? Hat er dir auch eine Falle gestellt?« Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, die Stimme zu senken und legte in die Betonung von er so viel Abscheu wie möglich.

Nie und nimmer war Chris freiwillig hier. Womöglich hatte Hunter ihn unter Druck gesetzt oder erpresst.

»Wo ist Angelina? Geht es ihr gut?«, erkundigte ich mich besorgt nach Chris’ Freundin und damit auch nach Hunters Schwester.

Die Dämonin hatte meinem Bruder den Kopf verdreht und eigentlich hatten sie gemeinsam den Entschluss gefasst, sowohl den Clans als auch den Dämonen den Rücken zu kehren. Dass Chris sich nun in Hunters Gewahrsam befand, konnte nichts Gutes bedeuten. Unsicher sah Chris zwischen unserem Entführer und mir hin und her. Der einvernehmliche Blickkontakt behagte mir ganz und gar nicht. Ich zog die Stirn kraus und rückte ein Stück von ihm ab.

»Erzähl ihr die Wahrheit. Die Schonfrist ist vorbei«, warf Hunter ein und in mir schrillten alle Alarmglocken auf.

»Was ist los?«

Schwer seufzend nahm Chris auf dem alten Sofa Platz und deutete zum Lesesessel ihm gegenüber. Obwohl ich ganz hibbelig war, setzte ich mich. In weiser Vorahnung schlug mein Herz schneller und ich kämpfte gegen die aufkommende Panik an. Hunter war der Feind. Das hatte er bewiesen, als er Ethan und Jon angegriffen hatte. Denn als ich daraufhin den Deal, ihm dabei zu helfen, die Portale zur Unterwelt zu schließen, gebrochen hatte, hatte er mich auf dem Schulball betäubt und hierhergebracht, rief ich mir in Erinnerung. Außer er sagte die Wahrheit und er hatte mich tatsächlich gerettet.

»Hat er Angelina etwas angetan? Erpresst er dich?«, fragte ich eindringlich und lehnte mich nach vorne. »Was hat er gegen dich in der Hand?«

»Erpresst? Nein, so ist es ganz und gar nicht.« Chris schloss für einen Moment die Augen und wirkte gequält.

»Wie dann?« Verständnislos warf ich die Hände in die Luft. »Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht.«

Betreten sah Chris zu Boden und eine verräterische Röte stieg ihm in die Wangen. Da ging mir ein Licht auf.

»Ihr steckt unter einer Decke!« Fassungslos starrte ich meinen Bruder an. Ich atmete tief durch, nur um keine Sekunde später die Luft zischend auszustoßen. »Wie kannst du nur? Warst nicht du derjenige, der mich davor gewarnt hat, diesem Scheusal zu trauen? Und nach dem, was mit Jon geschehen ist …« Meine Stimme zitterte und meine Nasenlöcher blähten sich vor Wut, doch dann verschränkte ich resigniert die Arme. Fest kniff ich die Lippen aufeinander, schwieg und sah demonstrativ zu keinem der beiden.

»War’s das? Möchtest du mir sonst nichts an den Kopf werfen?«, fragte Chris vorsichtig, als befürchte er, mit einer falschen Bewegung das hungrige Biest zu wecken.

Doch ich war es leid. Immer wieder logen sie mich an, enthielten mir Informationen vor, ließen mich allein mit meinen Gedanken und Sorgen. Sollten sie machen, was sie wollten. Auf meine Hilfe konnten sie allerdings verzichten. Ich hatte getrost bessere Pläne für den Sommer.

»Nein, ich bin mir sicher, du weißt auch so, wie bescheuert du bist, auf den da hineinzufallen.« Abfällig deutete ich zur Unterstreichung meiner Worte auf den grünäugigen Dämon.

Hunter reagierte auf die Provokation nicht, doch Chris sprang aufgebracht vom Sofa auf, um davor auf und ab zu tigern. »Es ist keine Dummheit, sondern der einzig richtige Weg. Würdest du uns zuhören, würdest du das auch verstehen. Jasper hat einen Plan, lass ihn dir erklären.«

»Ja, von dem Plan habe ich bei Gott schon genug gehört«, höhnte ich und verdrehte die Augen.

Durchaus einschüchternd funkelte Chris mich an. »Hör mir zu, Ginny.«

Mühsam verkniff ich mir einen wütenden Kommentar, aber Chris war mein Bruder und auch wenn ich es nur ungern eingestand, würde er mich nicht absichtlich in Gefahr bringen, wenn er nicht überzeugt wäre, das Richtige zu tun.

Ich seufzte tief. »Dann erzähl mal.«

Zum Glück unterbreitete mir Chris ihren Plan und nicht Hunter, ich hätte ihm nicht unvoreingenommen zuhören können und am liebsten hätte ich ihn aus dem Zimmer geworfen, um mit Chris zu reden, ohne unter Beobachtung zu stehen.

»Als wir das letzte Mal in London miteinander gesprochen haben, habe ich dich vor Hunter gewarnt. Es beschämt mich, zugeben zu müssen, aus falschen Motiven gehandelt zu haben. Jaspers Plan war immer eindeutig und klar – alle Dämonen von der Erde zu tilgen.«

Ich verdrehte die Augen. Wer sagte heutzutage schon noch tilgen. Das war typische Jägerausdrucksweise – wie ich das vermisst hatte.

Chris schluckte schwer. »Das konnte ich nicht zulassen. Damit hätte er auch Angelina …« Er stockte und rang um Worte. »Ich kann mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen und auch wenn es selbstsüchtig ist, wollte ich mein eigenes Glück nicht hinter das der Menschheit anstellen. Deswegen wollte ich nicht, dass du mit ihm zusammenarbeitest. Ich sehe jetzt ein, wie egoistisch das war. Es tut mir leid, dass ich unehrlich gewesen bin.«

Ich schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen, als die Puzzleteile an ihren Platz fielen. Natürlich, seine Freundin war eine Dämonin und nach Hunters Plan würde Angelina entweder sterben oder zurück in die Unterwelt verbannt werden. Denn Hunter war kein Mann für Ausnahmen. Selbst wenn es sich bei dieser besonderen Dämonin um seine eigene Schwester handelte.

»Also möchtest du mir sagen, dass du Hunter doch nicht für einen sadistischen Bösewicht hältst, der sich für niemanden interessiert außer für sich selbst?«

»Ich habe ihn nie als einen sadistischen Bösewicht bezeichnet«, antwortete Chris empört und warf Hunter einen vorsichtigen Blick zu.

Ich verdrehte die Augen. »Stimmt, meine Wortwahl. Aber inhaltlich läuft es auf dasselbe hinaus. Es ist zwar schön und gut, dass offenbar wenigstens deine Warnung nichtig ist. Nichtsdestotrotz hat er Jon attackiert und mich gegen meinen Willen entführt. Also nenne mir einen Grund, warum ich ihm bei seinem Plan helfen sollte.«

»Er hat dich nicht entführt, sondern gerettet. Das ist alles ein schreckliches Missverständnis«, erwiderte Chris heftig.

»Das lässt sich leicht sagen. Warum vertraust du ihm so sehr?«

»Angelina und ich sind schon seit einer Weile hier und haben mitbekommen, was bei dem Einsatz passiert ist. Er wollte Jon nicht angreifen. Jon ist mein Zwilling. Glaubst du wirklich, ich würde mit ihm zusammenarbeiten, wenn ich auch nur den geringsten Verdacht hätte, dass er Jon böswillig verletzt hat?«

Ernst sah er mich an und ich seufzte tief. Ganz offensichtlich war Chris felsenfest davon überzeugt, Hunter trauen zu können. Das bezeugte zwar noch nicht Hunters Unschuld, aber wenigstens waren genügend Zweifel gesät, sodass ich die Möglichkeit, die Clans könnten ebenfalls etwas mit dem Angriff zu tun haben, zumindest in Betracht zog.

Obwohl ich erschöpft war, richtete ich mich eine Spur gerader auf und streckte die Schultern durch. Chris war dabei, sich von Hunter einlullen zu lassen. Vermutlich mit falschen Versprechungen. Anders konnte ich mir den plötzlichen Sinneswandel nicht erklären.

»Oh, Chris. Ich verstehe dich. Aber was hat sich geändert? Der Plan ist derselbe und du würdest Angelina verlieren.«

Ein glückseliger Ausdruck trat auf Chris’ Gesicht. »Nein, das werde ich nicht. Es gibt einen Ausweg. Jasper hat eine Lösung gefunden.

Mit gemischten Gefühlen drehte ich mich zu Hunter. »Du hast einen Ausweg gefunden?«

Einerseits erfüllte mich Erleichterung, andererseits Misstrauen. Hatte ich ihn nicht schon bei einem unserer ersten Gespräche genau danach gefragt? Nach einer Möglichkeit, unschuldige Dämonen zu verschonen. Aber er war es gewesen, der sich vehement dagegen gewehrt und mich davon überzeugt hatte, es gäbe nur den einen Plan – nach dem sie alle verschwinden mussten.

»Ja, dein Bruder hat recht.« Mit unbewegtem Mienenspiel erwiderte er meinen Blick. Ich wartete auf eine Fortführung seiner Gedanken, aber er blieb stumm, als hätte sich das Thema damit erledigt.

»Nun gut, und wie soll das jetzt funktionieren?«, fragte ich gereizt.

Hunters Antwort fiel knapp aus: »Ein Zauber.«

»Ein Zauber. Aha. Da hätte ich ja auch selbst drauf kommen können.« Ich verdrehte die Augen. »Geht es eventuell auch etwas genauer?«

Hunter spiegelte meine Geste, wobei die goldenen Sprenkel in seinen grünen Iriden tanzten. »Beim Durchforsten von Seraphinas Aufzeichnungen bin ich über einen Zauber gestolpert, der meine Neugierde geweckt hat. Er legt die wahren Absichten und Motive einer Person offen. Lügen ist unmöglich und nur jene mit reinem Herz überleben die Auswirkung der Magie.«

Ich runzelte die Stirn. »Eine Art Wahrheitsserum? Aber als wir davon gesprochen haben, sagtest du, selbst wenn die verschonten Dämonen von Grund auf gut wären, sei es zu gefährlich, da ihre Kinder oder Kindeskinder die Dämonenkräfte in ihrem Blut missbrauchen könnten.«

Sofort dachte ich an Rachel.

Meine Mitschülerin trug Dämonenblut in sich und hatte bis vor Kurzem nicht einmal geahnt, wozu sie fähig war. Es machte mich krank, wenn ich daran dachte, dass selbst sie in Hunters eigentlichem Plan dem Tod oder der Unterwelt geweiht gewesen wäre, obwohl sie ihr Leben lang davon ausgegangen war, ein gewöhnlicher Mensch zu sein. Nun gut, gewöhnlich hatte sich Rachel vermutlich nie gefühlt, schließlich war sie die klassische Schulkönigin und die Sonne, um die sich alles drehte. Aber zumindest hatte sie sich mit Sicherheit nie für einen Dämon gehalten.

»Ja, da hast du recht. Aber auch das lässt sich mit einem Zauber lösen.«

Hunter zuckte mit den Schultern und blickte zur Decke, als wäre er das Thema langsam leid.

Ungläubig hob ich die Augenbrauen. »Du möchtest einen Haufen Dämonen mit einem Zauber sterilisieren? Und du glaubst, davon wird die Gegenseite begeistert sein?«

Seine Miene blieb ungerührt. »Besser als der Tod oder die Unterwelt.«

Ich lachte freudlos. »Aus deinem Mund klingt es etwas zu einfach. Und was hält deine Schwester von dem Plan?«

Mit verschränkten Armen lehnte sich der Dämon gegen den Türrahmen und sprach mehr zum Bücherregal als zu mir. »Sie ist froh, dass ich einen Ausweg gefunden habe, und unterstützt mich. Andernfalls wären sie und Christian nicht hier.«

Um mich doppelt zu vergewissern, wandte ich mich meinem Bruder zu. »Sagt er die Wahrheit?«

»Ja. Es ist die beste Option.« Chris kniff die Lippen zu einem angestrengten Lächeln zusammen. »Die einzige. Ich kann ohne Angelina nicht mehr sein.«

In meinen Ohren klang das etwas melodramatisch für einen 18-Jährigen – aber wer war ich, zu urteilen? Schließlich stand das Leben meines Freundes nicht gerade auf der Kippe. Egal ob Dämon oder nicht, Chris war nun mal Hals über Kopf in Angelina verliebt und hatte für sie sogar seiner eigenen Familie den Rücken gekehrt. Nichts und niemand würde ihn dazu bringen, sie zu verlassen. Das hatte ich zu akzeptieren. Dass die große Lösung nun jedoch ein simpler Zauber sein sollte, stimmte mich viel eher skeptisch als glücklich. Denn erstens schrie Zauberei nach Schwierigkeiten und zweitens kam mir etwas an der Geschichte nicht ganz stimmig vor.

»Gut, und wer ist für die Zauber verantwortlich?«, fragte ich, obwohl die Antwort dafür auf der Hand lag. Als keiner der beiden antwortete, seufzte ich. »Großartig, das wäre dann wohl ich.«

»Wo sind wir? Nördlich von Aberdeen? In der Nähe von Inverness?«, erkundigte ich mich bemüht beiläufig, als ich Hunter nach dem Gespräch mit Chris in das Arbeitszimmer des Dämons folgte.

Auch wenn ich nicht erwartete, eine Antwort zu bekommen, beobachtete ich sein Gesicht ganz genau, um die feinste Regung abzufangen. Doch er durchschaute mich und hob lediglich spöttisch die dunklen Brauen.

Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es mir ohnehin egal. Mein Plan war, ihn erst mal in Sicherheit zu wiegen, so würde ich mehr Informationen aus ihm herausbekommen.

»Ich werde meinen Bruder nicht allein hierlassen. Somit bin ich mit an Bord.« Zumindest vorerst. »Also kannst du mir ruhig anvertrauen, wohin du mich gebracht hast«, sprach ich weiter.

»Und riskieren, dass du abhaust? Versuch es gar nicht erst. Du bist für diese Sache zu wertvoll.«

Er setzte sich an den Schreibtisch und mir blieb damit nur der Platz auf dem schmalen Sofa vor den Bücherregalen übrig. Zwar fühlte ich mich dadurch wie die Patientin in einer Therapiesitzung, aber ich war noch zu erschöpft, um weiter stehen zu bleiben. Daher ließ ich mich auf die Sitzfläche plumpsen und lehnte mich mit verschränkten Armen zurück.

»Ich kann auch so verschwinden, Hunter. Irgendwo gibt es bestimmt eine Bushaltestelle.«

»Wenn du dieses Grundstück auch nur auf hundert Meter verlässt, werde ich das bemerken. Also spar uns die Zeit. Wir haben Wichtiges vor uns. Außerdem dachte ich, dein Morgenspaziergang hätte dir schon zur Genüge gezeigt, dass du sehr, sehr lange laufen müsstest, um auch nur irgendein Fünkchen von Zivilisation zu finden.«

Da hatte er recht, der Rundgang hatte mich wirklich frustriert und geschlaucht. Womöglich befanden wir uns ja sogar auf einer Insel. Dann war Flucht tatsächlich aussichtslos.

Ich seufzte tief. »Gut, dann erklär mir doch erst mal, was auf dem Ball passiert ist. Ich will jedes Detail wissen.« Später konnte ich immer noch entscheiden, ob ich ihm glaubte oder die Fliege machte. »Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist mein Streit mit Ethan.

Ich erwähnte nicht, worüber ich mit dem besten Freund meiner Brüder (und zugegeben auch meinem Exfreund in der kürzesten Beziehung jeher) gestritten hatte. Denn die Erinnerung, wie er mich als naives Dummchen beschimpft hatte, weil ich Hunter vertraut und gegen jegliche Vernunft mit ihm zusammengearbeitet hatte, war noch besonders präsent in meinem Kopf.

»Mit dem hast du dich auch gestritten?«, fragte Hunter und erinnerte mich damit unfreiwillig auch an unseren Streit, während wir auf der Tanzfläche gewesen waren.

Im Gegensatz zu Ethan hatte ich einen wirklichen Grund gehabt, auf Hunter wütend zu sein. Schließlich hatte er meinen Bruder Jon im Kampf schwer verletzt. Abwartend verschränkte ich die Arme und ignorierte seine amüsierte Frage. »Bringst du mich jetzt endlich auf den neusten Stand? Für mich bist du nämlich noch immer der Bösewicht.«

»Nichts anderes habe ich erwartet«, feixte er. »Aber diesmal liegst du falsch, Ginny. Du hast doch gehört, was Chris gesagt hat.«

»Nur weil du Chris mit deinem Charme und falschen Versprechungen eingewickelt hast, ändert sich damit nicht viel an meiner Einstellung.«

»Es sind keine falschen Versprechungen«, erwiderte Hunter heftig.

»So wie ich das sehe schon. Denn wenn deine großartige Lösung ein Zauber ist, brauchst du mich dafür und ich habe noch nicht Ja gesagt. Darum geht es doch die ganze Zeit, nicht wahr? Du möchtest mich als Magieträgerin für Seraphina und da ich dir nicht mehr helfen wollte, hast du Chris eine Idee in den Kopf gesetzt, bei der du mich genauso als Magieträgerin brauchst. Zufall? Ich denke nicht.« Herausfordernd hob ich das Kinn. »Du glaubst, mich durch Chris manipulieren zu können, und vielleicht hast du auch recht. Schließlich würde Chris mir niemals verzeihen, dass seine große Liebe sterben musste, obwohl ich es hätte verhindern können. Deswegen wird Chris alles dafür tun, mich zu überzeugen, dass ich Seraphinas Magie übernehmen muss und ich weiß nicht, ob ich es ihm abschlagen kann.«

Seraphina war Hunters Frau und ebenso aus der Unterwelt gewesen. Anstatt eine Dämonin war sie jedoch eine Portalhexe gewesen, deren Aufgabe eigentlich daraus bestanden hätte, die Dämonen in der Unterwelt zu halten. Die Betonung liegt jedoch auf eigentlich, denn sie hatte aus Gutherzigkeit immer mehr Dämonen die Freiheit ermöglicht und schlussendlich war alles aus dem Ruder gelaufen. Daraufhin waren alle Portalhexen von Dämonen gejagt und getötet worden, um zu gewährleisten, dass sie niemals wieder in die Unterwelt verbannt werden konnten und die Portale auf ewig geöffnet bleiben würden.

Hunter war der Meinung, ich würde Seraphina auf eine Art und Weise ähneln, die mich zu einer möglichen Magieträgerin machte, und er hatte recht behalten. Das hatte er mir bewiesen, als ich tatsächlich die Verbindung zu Seraphina aufgebaut hatte und mittlerweile hielt ich nichts mehr für unmöglich.

»Du hast recht, ohne dich wird der Zauber nicht funktionieren, genauso wenig wie das Schließen der Portale. Aber du weißt, wie wichtig es ist. Das zeigen die momentanen Angriffe umso mehr.«

Mir wurde kalt ums Herz. »Was für Angriffe?«

»Ich sammle Zeitungsbeiträge, in denen von sonderbaren Unfällen berichtet wird, und habe Kontakt zu Agenten des Morddezernats. Somit erfahre ich von Angriffen, die Dämonen zu verantworten haben«, erklärte Hunter ernst. »In letzter Zeit nehmen sie gehäuft zu und auch heute Morgen hat es eine Massenkarambolage gegeben.«

Damit erinnerte er mich unfreiwillig an die Gala des Fortescue-Clans, bei der mir Hunter zum ersten Mal offiziell vorgestellt worden war und ich mich in sein Gästezimmer geschlichen hatte, um ihn in einem Anflug jugendlicher Naivität und Neugierde auszuspionieren. Mein Plan war kolossal schiefgelaufen, dennoch hatte ich einen Blick auf die unzähligen Zeitungen erhascht. Damals hatte ich mich noch gefragt, was es mit den Artikeln auf sich hatte. Dämonen verursachten nichts als Chaos und Gefahr auf der Erde und wie die Zeitungen aus den unterschiedlichsten Jahrzehnten zeigten, würden sie mit ihren Gräueltaten auch nie aufhören.

»Erzähl mir weiter von gestern«, verlangte ich und seufzte tief.

Denn auch wenn wir im Grunde ein und derselben Meinung waren, was die Notwendigkeit der Vertreibung der Dämonen betraf, würde eine Zusammenarbeit nicht funktionieren, solange ich mich nicht auf ihn verlassen konnte und mich immer auf ein Schachmatt vorbereiten musste.

»Nach unserem Streit wollte ich deinem Wunsch nachgehen und den Ball verlassen, aber da hat mich Jeremy abgefangen. Er war der Meinung, du seist in Schwierigkeiten und er hätte mehrere Clanmitglieder gesehen.«

Also so ging eine gute Erklärung in meinen Gedanken nicht los.

»Natürlich. Es war schließlich ein Schulball. Jon, Ethan, Alexandra und Avery waren mit Sicherheit dort. Daran ist nichts Verwerfliches«, stellte ich klar.

»Und der Meinung bist du auch noch, wenn ich dir sage, dass sie Betäubungsmittel bei sich hatten?«

Ich schnappte nach Luft.

Avery Fortescue war einer der Verdächtigen auf Hunters Liste gewesen und auch Chris hatte ihn bereits des Verrats an den Clans beschuldigt. Denn Hunter glaubte, dass nicht mehr alle der sieben Clans noch ihr ursprüngliches Ziel, die Vertreibung der Dämonen, verfolgten.

»Was? Wer?«

»Alexandra Cavanaugh. Allerdings war sie nicht in dem Raum, in dem ich dich gefunden habe. Dein Angreifer war viel größer und breiter – ich vermute einen Mann. Wie schon erwähnt, waren sie maskiert«, erklärte er und drehte den Schreibtischsessel, bis er mir den Rücken zuwandte. Entweder wollte er mir nicht mehr in die Augen sehen, oder er konnte es nicht, weil ich ihm die Lüge ansehen würde. »Aber ich habe ihre Manschettenknöpfe gesehen. Ein silberner Löwe auf schwarzem Hintergrund.«

Schon wieder diese Manschettenknöpfe. Ich verdrehte die Augen. Leider erinnerte ich mich in dem Moment jedoch daran, Grandpa genau solche tragen gesehen zu haben. Mir wurde mulmig.

»Es können nur die Clans gewesen sein. Sie wissen von meinem Plan und wollten mir das Schlüsselelement stehlen. Außerdem hätte sich ein Dämon nicht die Mühe gemacht, sein Gesicht zu verbergen oder dich zu betäuben, sondern kurzen Prozess gemacht und dich an Ort und Stelle getötet. Sie kennen keine Skrupel und du bist momentan ihre größte Bedrohung.«

Letzteres konnte ich zu hundert Prozent unterstreichen. Ersteres überzeugte mich nicht ganz. »Was hätten die Clans deiner Meinung nach denn mit mir angestellt? Immerhin würden sie mir niemals etwas antun.«

»Bist du dir da wirklich sicher?« Nun klang Jasper spöttisch, und ich sah sein überhebliches Lächeln vor mir, auch wenn er mir immer noch den Rücken zuwandte. »Früher mögen die Clans wohl auf einer Seite verbunden gegen den Feind gestanden haben, aber das ist mittlerweile nicht mehr der Fall. Du musst auf dich aufpassen. Im Moment will dich jeder. Ich brauche dich – und die Verräter der Clans und die Dämonen haben es auf dich abgesehen. Daher werde ich dir nicht von der Seite weichen.«

»Danke, aber ich verzichte«, sagte ich augenverdrehend. »Als erstes möchte ich mit meinem Dad telefonieren, um ihm zu sagen, dass es mir gut geht.«

»Das ist nicht nötig. Er ist bereits informiert – Christian hat bei euch zu Hause angerufen.«

Abrupt richtete ich mich auf und starrte auf die Rückenlehne des Schreibtischsessels. »Wissen sie, wo wir sind?«

Mit ernster Miene wandte er sich mir wieder zu. »Natürlich nicht. Sie könnten genauso auf der Seite der Verräter stehen.«

Empört schnaufte ich auf. »Sie sind meine Familie. Sie würden mir niemals etwas antun.«

Er drehte den Schreibtischstuhl, bis er mir wieder in die Augen sah. »Das weißt du nie.«

Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Warum sagst du das? Immerhin hast du auch alles dafür getan, um einen Ausweg zu finden, der deine Schwester verschont. Wo wir schon dabei sind: Ich glaube, es ist an der Zeit, dass du mir den Plan genauer erklärst. Ich will alles darüber wissen, angefangen vom Zauber bis hin zu den Gefahren und Nebenwirkungen. Bisher klingt es nämlich sehr nach Hokuspokus.«

Und zu einfach, viel zu einfach. Aber wenn ich eines in meiner Zeit als Dämonenjägerin gelernt hatte, dann, dass alles mit Magie hochkompliziert war. Schließlich war es Magie und nicht das kleine Einmaleins.

»Du bist noch nicht so weit.«

»Wenn ich dir vertrauen soll, wäre Entgegenkommen deinerseits genauso angebracht«, betonte ich gereizt und knirschte mit den Zähnen.

»Ich habe dich gerettet. Das sollte genügen.«

»Zumindest behauptest du das. Aber einen Namen der Verräter kannst du mir doch nicht nennen.«

»Nein. Fakt ist aber: Alexandra war im Besitz des Betäubungsmittels. Also würde ich an deiner Stelle in nächster Zeit nicht unbedingt mit ihr shoppen gehen.«

»Woher weißt du das so genau?«, äußerte ich skeptisch.

»Jeremy hat gesehen, wie sie ein kleines Fläschchen an einen Mann übergeben hat. Du erinnerst dich vielleicht noch daran, dass dämonische Sinne etwas besser ausgeprägt sind als die von Menschen. Daher ist Parfüm als Inhalt auszuschließen.«

Zu gut war mir noch im Gedächtnis, wie er das Schlangengift, das ich zu Verteidigungszwecken bei mir getragen hatte, in meiner Handtasche gerochen hatte. So schnell vergaß man nun mal nicht, wie sich die eigene Waffe gegen einen richtete. Von jenem Abend stammte auch die Narbe an meinem Hals.

»Ja, gut. Aber du sagst selbst, während der Auseinandersetzung war sie nicht im Raum. Also könnte sie auch unwissend von jemandem angestiftet worden sein, immerhin stand sie auch nicht auf deiner Liste an Verdächtigen.«

»Du meinst so unwissend wie Ethan? Er könnte dich geradewegs in die Falle gelockt haben.«

Nun klappte mir der Mund auf. »Nein! Ganz bestimmt nicht. Ich habe ihm die Überraschung angesehen. Nie im Leben hat er etwas damit zu tun gehabt.«

Herablassend blickte mich der Dämon an und verschränkte nun ebenfalls die Arme. Aber davon würde ich mich ganz bestimmt nicht beeinflussen lassen. Zwischen Ethan und mir hatte es vielleicht nicht unbedingt geklappt, aber trotzdem war er mir wichtig und er würde mir niemals etwas Böses wollen, selbst wenn er es mit Ehrlichkeit oft nicht so genau genommen hatte. Davon war ich überzeugt. Jedoch war ich auch felsenfest überzeugt gewesen, Hunter trauen zu können, und da hatte ich mittlerweile mehr als genug Zweifel.

Auf meine Menschenkenntnis konnte ich mich wohl nicht mehr verlassen. Oder sollte ich besser Dämonenkenntnis sagen?

»Wenn du meinst«, entgegnete Hunter herablassend und reizte mich mit der nasalen Tonlage bis aufs Blut.

»Ja, das meine ich«, wiederholte ich fest.

Er machte eine wegwerfende Handbewegung, als würde ihn die Wendung unseres Gesprächs langweilen und auch ich hatte kein Interesse daran, mit Hunter über Ethan zu streiten.

»Dann lass uns anfangen!«, verkündete der Dämon gedehnt und erhob sich.

Der Themenwechsel kam für mich dann doch zu abrupt. Fragend blickte ich zu ihm. »Womit?«

»Wie wir bereits festgestellt haben, bist du unser Schlüssel für unsere Probleme. Bevor du allerdings Seraphinas Magie aufnehmen kannst, muss eure Verbindung erst stark genug werden. Um das zu erreichen, wirst du üben müssen«, erklärte Hunter und lehnte sich vor. »Wir können vorerst nicht zurück zu unserem alten Haus, Jäger haben es ins Visier genommen und observieren es. Aber ich habe so viel wie möglich aus Seraphinas Arbeitszimmer mitgenommen und habe die Sachen in einen Raum im oberen Stockwerk bringen lassen, er befindet sich neben deinem Zimmer.«

Nun wurde es ernst und ich kam zum Zug. Jedoch nahm altbekannte Angst von mir Besitz und anstatt zur Tat zu schreiten, hätte ich lieber noch eine Weile mit Hunter gestritten und diskutiert. Alles war besser, als mich meinen Unsicherheiten zu stellen. Denn wen Magie und Zauberei eines war, dann unsicheres Terrain.

»Nein, das reicht nicht«, stieß ich nervös aus und schluckte schwer. »Ich habe die Verbindung gefühlt, weil ihre Magie an das Haus geknüpft ist. Es war ihr Arbeitszimmer und ihre Präsenz war noch zu fühlen. Aus diesem Grund konnte ich in ihre Erinnerungen eintauchen. Hier wird das nicht funktionieren.«

Panik schnürte mir die Brust zu. Niemals würde ich schaffen, was er und Chris von mir verlangten. Was Hunter von mir hielt, war mir egal. Doch Chris würde nicht nur am Boden zerstört sein, sondern vor allem enttäuscht.

Entschlossenheit überschattete sein Mitgefühl, während er mir in die Augen sah. »Doch, Ginny, das wird es. Du bist stärker, als du glaubst. Außerdem gibt es keinen anderen Weg. Wenn wir zurückkehren, laufen wir den Clanjägern direkt in die Arme.«

Mühsam kämpfte ich gegen die Verzweiflung an. Normalerweise war ich nicht gerade eine Schwarzseherin, doch das alles war eine Spur zu groß für mich. »Das ist eine Katastrophe.«

»Nein«, entgegnete Hunter fest. »Es ist eine Herausforderung.« Er kam um den Schreibtisch herum und auf mich zu. Ich rückte auf der Couch ein Stück zur Seite, da er sich neben mich setzte. »Als ich dich zum Haus gebracht habe, hast du auch gedacht, du würdest niemals eine Verbindung aufbauen können und schlussendlich hast du es trotzdem geschafft. So wird es auch diesmal sein.« In seinen moosgrünen Augen lag nichts als absolute Überzeugung.

Hunters plötzliche Nähe warf mich aus der Bahn und schaffte es gleichzeitig, mich zu beruhigen. Aber am wichtigsten: Er hatte recht. Ich musste es zumindest versuchen. Tief durchatmend straffte ich die Schultern. »Gut, dann zeig mir die Sachen.«

Über die mit rotem Teppich ausgelegte Holztreppe gingen wir hinauf in das Obergeschoss. Die Stufen knarrten bei jedem Schritt und ich hoffte, der Lärm würde Chris aus dem Wohnzimmer locken, denn ich hätte unser nächstes Vorhaben gern noch weiter hinausgezögert. Im Gegensatz zu dem, was ich Hunter verkündet hatte, war ich nämlich alles andere als bereit und da mein letzter Versuch, eine Verbindung zu Seraphina aufzubauen, zu einem Kuss zwischen uns geführt hatte, war ich auch deutlich nervös.

Wie Hunter angekündigt hatte, lag das zweite Arbeitszimmer direkt neben dem Raum, in dem ich heute Morgen aufgewacht war und für unbestimmte Zeit nun mein Zimmer sein würde. Er öffnete die Tür für mich und ich trat ein.

Während ich mich umsah, lehnte der Dämon mit verschränkten Armen im Türrahmen und beobachtete mich. Ich war mir seines intensiven Blickes vollauf bewusst, dennoch sah ich absichtlich nicht in seine Richtung. Das große Fenster gab einen wundervollen Ausblick auf das Meer und davor stand ein Schaukelstuhl aus weiß gestrichenem Holz, der mich an Seraphinas Stuhl in ihrem Arbeitszimmer (oder viel eher in ihrer Hexenstube) erinnerte.

Wie von einem Magneten angezogen, bewegte ich mich automatisch darauf zu und warf dann einen Rundumblick in den Raum. Die Bücherregale ragten bis zur Decke und an der Unordnung erkannte ich sofort, dass Hunter das Zimmer in aller Eile mit Seraphinas Sachen befüllt hatte. Die Bücher und Ordner standen teils schief in den Regalen und zusammengerollte Schriften lagen quer darüber. Mitten im Raum residierte ein Schreibtisch, der auch schon mal bessere Jahre gesehen hatte, und der weiße Weidenstuhl sah aus, als hätte ihn jemand von der Veranda stibitzt. Alles in einem war das Arbeitszimmer mehr als provisorisch und kunterbunt zusammengesetzt, aber ich fühlte mich wohler als in dem hotelzimmerähnlichen Schlafzimmer, in dem ich aufgewacht war.

»Brauchst du noch etwas? Andernfalls würde ich dich jetzt allein lassen.«

Plötzlich fühlte ich Panik in mir aufsteigen. Ich fuhr herum und starrte Hunter hilfesuchend an. »Du willst nicht hierbleiben?«, fragte ich mit wild pochendem Herzen.