Corellis Mandoline - Louis de Bernières - E-Book

Corellis Mandoline E-Book

Louis de Bernières

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Beschreibung

Wer auf der kleinen Insel Kephallonia im Ionischen Meer westlich des griechischen Festlands anlegt, ist geblendet von der Leuchtkraft ihrer Farben: dem satten Grün der Pinien, dem schillernden Türkis des Meers, dem warmen Gelb der Sonnenstrahlen, die sich im klaren Wasser brechen. Dieses Paradies nennt die wunderschöne siebzehnjährige Pelagia ihr Zuhause, Tochter des alten Arztes Iannis und frisch verlobt mit dem Fischer Mandras, der mit den Delfinen schwimmt. Doch es ist 1941, und der Krieg bricht auch über Kephallonia herein: Mandras wird eingezogen, das Eiland von den Italienern besetzt, und Iannis gewährt einem von ihnen widerwillig Obdach. Capitano Antonio Corelli wird zunächst von den Einheimischen geächtet, doch mit der Zeit zeigt sich: Der Soldat ist rücksichtsvoll, nachdenklich und kultiviert – und er spielt betörend schön Mandoline. Pelagia ist verzaubert. Aber darf sie, die einem anderen versprochen ist, sich verlieben? Noch dazu in einen Feind?

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Louis de Bernières

Corellis Mandoline

Roman

Aus dem Englischen von Klaus Pemsel

Oktopus

Meiner Mutter und meinem Vater gewidmet, die an verschiedenen Orten und auf unterschiedliche Weise gegen Faschisten und Nazis kämpften, viele ihrer engsten Freunde verloren, jedoch nie ein Wort des Dankes für ihren Kampf zu hören bekamen

Der Soldat

 

Schlank und groß über kaltes Feld schreiten

die jungen Männer durch eine Nirgendwelt.

Selbst mit ihrem Lachen können sie keinen Ton verbreiten,

wie klar sie auch rufen, das Schweigen hält.

 

Sie erzählen sich von vergeblicher Liebe im Herzen,

doch von dem, was sie sagen, bleibt nichts in der Luft.

Einst jung und golden, kamen sie hierher voll Schmerzen,

ihr Gold ist nun fahl, ihre Jugend verpufft.

 

Sie rufen sich zu, im Herzen ganz unverändert:

»Was, lieber Bruder, haben sie unsren verlorenen Leben angetan?

Sind sie mit unserer Jugend gegürtet, unserem Gold bebändert

und lächeln, weil wir gefallen sind, den Tod frech an?«

 

Suchenden Blickes über kaltes Feld wagen

die Jungmänner sich ins Land, in das niemand sie wies.

Die Jungen voll Gold im Herzen stellen sich Fragen

nach der Welt, die ihnen geraubt in ihrem Paradies.

 

Humbert Wolfe

Das Buch, das mein Leben auf den Kopf stellte

Vorwort des Autors

Bis ich ungefähr Mitte dreißig war, konnte ich mir keinen schöneren Urlaub vorstellen, als mit meinem Morris Traveller und dem Zelt im Gepäck quer durch Frankreich zu fahren. Frankreich war mit Abstand mein Lieblingsland, und ich habe nicht nur französische Vorfahren, sondern auch ein – zumindest teilweise – französisches Temperament. Die péage umfuhr ich meist großräumig und hielt mich stattdessen an die Routes Nationales. Die führten eigentlich immer an der Sorte von Dorfgaststätte vorbei, wo nur ein einziges Gericht auf der Karte stand, und man konnte überall anhalten, um sich die Gegend anzuschauen und spazieren zu gehen. Camping sauvage war in Frankreich nicht erlaubt, aber dafür interessierte sich wirklich kein Mensch. Frankreich ist viel größer als England und weniger dicht besiedelt; man konnte problemlos einfach irgendwo in den Wäldern oder Feldern verschwinden und ein kleines Zelt aufschlagen. Wenn ich mal von der gendarmerie angehalten wurde, dann nur, weil sie sich für das Auto interessierten und einen Blick unter die Motorhaube werfen wollten. Wenn das Wetter gar nicht mitspielte, fand sich auch immer ein günstiges Hotel, in dem man unterkommen konnte. Am liebsten setzte ich mir zwar ein Ziel für die Reise, nahm mir aber für den Weg hin und zurück alle Zeit der Welt, sodass ich nach einem zehntägigen Aufenthalt in einer Stadt wie Saint-Rémy-de-Provence oder Arcachon auch noch ein paar Tage in der freien Natur verbringen konnte.

Meine Freundin Caroline ließ diese Reisen in den Achtzigerjahren ein paarmal über sich ergehen, und ich redete mir ein, sie hätte daran genauso viel Freude wie ich. Aber nach einer Weile fragte sie: »Können wir bitte auch mal was anderes machen, als mit dem Morris durch Frankreich zu kurven?« Und ich antwortete: »Okay, such dir was aus!«

Im Bus vom Flughafen Kephallonia aus erwähnte der Tourguide immer wieder das große Erdbeben von 1953. Wir begriffen sofort, dass die Einwohner noch längst nicht über diese fürchterliche Katastrophe hinweg waren, die das gesamte architektonische Erbe, das die Venezianer auf der Insel hinterlassen hatten, zerstört hatte. Was vom Erdbeben verschont geblieben war, hatte das Corps of Royal Engineers aus Sicherheitsgründen gesprengt. Es gibt immer noch Linke auf der Insel, die den Verlust ihrer architektonischen Schätze den hinterhältigen britischen Imperialisten in die Schuhe schieben.

Ich spinne meine Geschichten gerne um große historische Ereignisse herum, und an einem Erdbeben hatte ich mich noch nicht versucht. Außerdem hatte ich damals das Gefühl, dass meine Lateinamerika-Reihe sich dem Ende neigte. Eigentlich hatte ich fünf Romane geplant, aber inzwischen langweilte mich der magische Realismus zu Tode. Es fühlte sich nicht mehr befreiend an, Geschichten zu schreiben, in denen jederzeit alles Erdenkliche passieren konnte. Es fühlte sich an wie Schummeln. Jedenfalls spürte ich, dass meine lateinamerikanische Phase vorbei war. Das nächste Buch hätte von einem Diktator handeln sollen, aber kürzlich waren außer Kuba alle Länder der Region zu Demokratien geworden, was das Projekt anachronistisch erscheinen ließ. Die Trilogie hatte sich ordentlich verkauft und mir ermöglicht, die Arbeit als Lehrer aufzugeben; mich so radikal umzuorientieren bedeutete also ein großes Risiko. Den magischen Realismus ließ ich mit Erleichterung hinter mir, aber am politischen Realismus hielt ich immer fest, ebenso wie an meinem humorvollen Stil.

Auf Kephallonia war es unglaublich heiß. Caroline gewöhnte sich an, ein nasses Handtuch um den Kopf geschlungen zu tragen, und ich bekam, wie immer, einen Sonnenstich. Die heißen und kalten Schauer gefallen mir ja, das Brennen und der Durchfall dafür umso weniger. Wir mieteten ein Motorrad, und ich verbrachte die meiste Zeit damit, einfach durch die Gegend zu fahren und die Landschaft zu bewundern. Auf diesen Touren wurde mir klar, dass die griechischen Kommunisten ihr Land nicht besonders lieben können – sonst würden sie nicht jede seiner wunderschönen Ecken mit ihren hässlichen roten Graffitis beschmieren. Einmal kam ich auf der Straße an einem überfahrenen Baummarder vorbei, der mich zu der Figur von Psipsina inspirierte. Bis dahin hatte ich angenommen, die Tiere wären nur in Schottland heimisch. In einem Lokal in Argostoli, auf dem großen Platz, beobachtete ich eine bezaubernde junge Frau mit langem schwarzem Haar, ganz in Weiß gekleidet, die die Gäste im Café nebenan bediente. Sie war so zauberhaft, dass ich sofort wusste, sie musste in meinem Buch auftauchen, und sie wurde zu Pelagia. Dann war da der einsame Mann, der jeden Abend seine Ziegen durch unser Tal trieb. Er wurde zu Alekos.

Am meisten brachten mich aber die Geschichten aus dem Krieg weiter, von der italienischen Besatzung. Die Italiener seien mit den griechischen Inselbewohnern recht gut ausgekommen, hieß es. Sie hingen keiner Rassenideologie an, der zufolge sie sich den Griechen überlegen gefühlt hätten, und das Schlimmste, was über sie erzählt wurde, war, dass sie Hühnerdiebe seien. Sie verhielten sich auf Kephallonia allen Klischees entsprechend: Sie sangen, flirteten, spielten Fußball, Gitarre, Mandoline und Akkordeon. Mein Vater war im Krieg im Italienfeldzug und hat ähnliche Erinnerungen. Kephallonia war ohnehin schon sehr italienisch geprägt: Die traditionelle Musik der Insel, die »Kantaden«, haben griechische Texte, aber italienische Melodien und Instrumentationen. Innerhalb Griechenlands war Kephallonia der einzige Ort, wo mehrstimmige Kirchenmusik gespielt wurde.

Die Deutschen handelten im Gegensatz dazu willkürlich und brutal und marschierten gerne zu Blasmusik durch die Gegend. Vor fünfundzwanzig Jahren waren die Ramschläden in Griechenland und die Flohmärkte, wie der in Monastiraki, immer noch überschwemmt von ihren Flügelhörnern und Tuben. Es hatte auf Kephallonia nur eine einzige Romanze zwischen einem Deutschen und einer Griechin gegeben, und die Frau musste nach dem Krieg um ihr Leben fürchten und von der Insel fliehen. Aber italienisch-griechische Liebesgeschichten gab es zuhauf.

Liebesgeschichten »über alle Grenzen hinweg« wurden schon immer erzählt und geschrieben. Mein Buch war also nur in dem Sinne originell, dass diese spezielle Ecke Europas als Kriegsschauplatz bis dahin in der Literatur vernachlässigt worden war. Für mich lag auf der Hand, dass hier eine Romeo-und-Julia-Geschichte nur darauf wartete, geschrieben zu werden.

Als ich wieder zu Hause war, wandte ich mich an das Museum für Inselgeschichte in Argostoli, das von einer Frau namens Helen Cosmetatos geleitet wurde. Sie war so respekteinflößend, dass sie während des Krieges sogar von den Deutschen gefürchtet wurde. Sie schickte mir eine lange Leseliste, und für mich begann die Recherchephase. Bevor ich nach Earlsfield gezogen war, hatte ich griechische Nachbarn gehabt, und ich schneite immer wieder bei ihnen in Raynes Park herein, um ihnen entscheidende Fragen zu stellen, zum Beispiel: »Wie sagt man ›Verpiss dich!‹ auf Griechisch?« Einmal hatte ich ganz besonderes Glück: Sie hatten Besuch von jemandem, der das Erdbeben selbst miterlebt hatte.

Ich versuchte, so tief wie möglich in die griechische und italienische Kultur einzutauchen. Auf der Suche nach alten Geschichtsbüchern und Biographien stellte ich die Charing Cross Road auf den Kopf, ich kochte griechische Gerichte, hörte griechische Musik, las die Werke griechischer Schriftsteller. Zum Beispiel verschlang ich jedes Buch von Kazantzakis und stellte begeistert fest, dass Griechenland mit Abstand die besten modernen Lyriker und Komponisten zu bieten hat. Ich bin immer noch ganz hin und weg von diesen Künstlerinnen und Künstlern. In Portugal kaufte ich eine erstklassige Mandoline und brachte mir die Stücke bei, die auch Corelli gespielt hätte. Früher habe ich immer damit angegeben, wie sehr mein Protagonist dieses Instrument geliebt hätte. Das Holz ist während einer Frostperiode in Calgary gesprungen, und ein zweites Mal in Norfolk, aber die Mandoline klingt einfach immer besser und besser.

Das Buch zu schreiben war ein Vergnügen, und ich schrieb es genau im richtigen Moment meines Lebens. Es hat die Energie eines jungen Mannes, aber auch die Ausgeglichenheit von jemandem, der an der Schwelle zum mittleren Alter steht. Ich hatte genau die richtige Freundin an meiner Seite und sogar genau den richtigen Kater. Den Lehrerberuf hatte ich kurz zuvor an den Nagel hängen können, und ich war beschwingt über meine neu gewonnene Freiheit. Endlich hatte ich genug Zeit und Geld, um wieder Golf zu spielen. Zweimal die Woche ging ich im Richmond Park auf den Platz und lernte dabei tolle Persönlichkeiten kennen, wie Basil, einen Antiquitätenhändler, dem es große Freude bereitete, mich mit Anekdoten von seinen fragwürdigen Geschäften zu unterhalten. Er war über achtzig und fand, wegen seiner Herzschwäche, außer mir keine Spielpartner. Ich sagte ihm, ich würde es ihm nicht weiter übelnehmen, wenn er während unserer Partie tot umkippte. Ich spielte auch mit einer Künstlerin namens Diana, die immer und überall eine CIA-Verschwörung vermutete, und einem großartigen weißbärtigen Jamaikaner, der, genau wie ich, nicht davor zurückschreckte, im Schnee zu spielen. Wir bemalten unsere Bälle mit roter Farbe; es war ein großer Spaß.

Ich war damals sehr glücklich und der Literaturwelt noch nicht überdrüssig. Dass ich ein Autor mit echten Publikationen war, ließ mich noch immer staunen, und ich hatte große Träume von einer großen Zukunft. Die meisten meiner Bücher hatte ich schon im Kopf. Caroline war in jeder Hinsicht ein Schatz, und Toby, der Kater, vertrieb die Tauben vom Dachboden der Nachbarn. Alles lief gut für uns. In dem Buch verarbeitete ich historische Ereignisse von unglaublichem Schrecken, aber wenn ich es jetzt in der Hand halte, erstrahlt es für mich in genau dem Licht, das ich um mich herum wahrnahm, als ich das erste Mal auf Kephallonia war. Tatsächlich kam das Licht aber aus mir selbst heraus; das Buch ist in der glücklichsten Zeit meines Lebens entstanden.

Corellis Mandoline ist das Buch, das mein Leben völlig auf den Kopf stellte. Ich habe jetzt zum Beispiel ein Haus, und die Rückschläge und Hoffnungslosigkeit meiner jüngeren Jahre kommen mir vor wie die Erfahrungen einer ganz anderen Person. Gleichzeitig wurde das Schreiben viel schwieriger, nicht nur weil ich wieder weniger Zeit und dadurch kaum Phasen anhaltender Konzentration hatte, sondern auch, weil mir klar war, was von mir erwartet wurde: dasselbe Kunststück noch mal hinzulegen, aber natürlich auf ganz neue Art. Mir war außerdem klar, dass die Briten Leute gern auf ein Podest stellen, nur um sie von dort oben schnell wieder herunterstoßen zu können. Ich versuchte ganz bewusst, den Lobreden auf mich mit Skepsis zu lauschen. Ich wusste, früher oder später würden sie verstummen. Ich konzentrierte mich lieber auf die enorme Herausforderung, Traum aus Stein und Federn zu schreiben, das Buch, für das ich – so meine Überzeugung – letztlich in Erinnerung bleiben werde. Aber trotz alledem hat Erfolg etwas an sich, das uns verändert. Ich denke an diese Zeit nach dem Erscheinen von Corellis Mandoline als eine Phase von rockstarartigem Ruhm zurück, deren Nachwirkungen mich noch lange beeinflusst haben und aus der ich nur langsam herausgewachsen bin. Eine weise und doch in anderer Hinsicht bedauerliche Entscheidung, die ich damals traf, war, nicht im Fernsehen aufzutreten, höchstens im Ausland. Um keinen Preis wollte ich auf der Straße erkannt werden.

Einer der größten Nachteile des Erfolgs ist, dass es andere Leute dazu bringen kann, sich selbst darüber zu belügen, warum sie dich eigentlich kennenlernen oder Zeit mit dir verbringen wollen. Man kann immer wieder auf die Illusion hereinfallen, dass jemand deine Nähe sucht, weil er oder sie dich wirklich mag oder begehrt oder liebt. Darum braucht man in solchen Zeiten so dringend Geschwister, Haustiere, kleine Kinder oder Freunde von früher, für die man nie etwas anderes sein wird als man selbst. »Vergiss nicht, wer deine Windeln gewechselt hat!«, hat meine Mutter einmal zu mir gesagt.

Auf der anderen Seite ziehen sich viele Leute zurück, denen man andernfalls nahestehen könnte, weil sie nicht für opportunistische Schmeichler gehalten werden wollen.

Mit Corellis Mandoline hatte ich meine eigene Messlatte jedenfalls hoch gelegt, aber ich finde, mit Traum aus Stein und Federn bin ich diesen Erwartungen noch einmal gerecht geworden. Jetzt, wo ich älter bin, betrachte ich mein Werk zunehmend als ein einziges umfangreiches Buch, das sich aus allen meinen Büchern zusammensetzt. Ich bin und bleibe ein Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts und schreibe auch über das zwanzigste Jahrhundert – ein Diamant, den ich weiterhin von allen möglichen Seiten ins Licht halten werde. Das einundzwanzigste Jahrhundert ist für mich nur eine Art Extra.

Die meisten Leute, denen in ihrem Leben ein herausragender Erfolg zuteilwird, empfinden diesen irgendwann als Bürde. Bob Dylan ärgerte sich immer darüber, wenn die Leute, zwanzig Jahre, nachdem er »Blowin’ in the Wind« geschrieben hatte, keinen einzigen anderen Song von ihm hören wollten. Ralph McTell weigerte sich eine Weile lang, »The Streets of London« zu spielen. Der Roman Besessen lastete schwer auf A.S. Byatts Schultern, und Arundhati Roy veröffentlichte nach Der Gott der kleinen Dinge jahrelang kein Wort. Ich verstehe vollkommen, warum.

Ich empfinde Corellis Mandoline aber nicht als Bürde. Ich habe den Prozess des Schreibens geliebt, und das Buch liebe ich noch immer. Ich vertraue darauf, dass es irgendwann als ein wesentlicher Teil meines Œuvres betrachtet werden wird und nicht als »die Sensation auf dem Buchmarkt der Neunziger« mit dem unverwechselbaren Cover. Als die Buchhandlung an der Waterloo Station eines Tages plötzlich mit Stapeln meines Buchs vollgestopft war und dann in der U-Bahn auch noch alle ein Exemplar in der Hand hielten, verspürte ich große Freude und Ehrfurcht.

In den Jahren danach definierten Dan Brown und J.K. Rowling den Titel »Sensation auf dem Buchmarkt der Neunziger« noch einmal ganz neu. Aber ich bin vollauf zufrieden mit den Früchten, die mein Erfolg mir eingetragen hat: das Dankesschreiben der Region der Ionischen Inseln; die Freundschaft mit Alison Stephens, der größten Mandolinistin unserer Zeit; den griechischen Künstler, der zu einer meiner Lesungen in Athen kam und mir später ein gigantisches Gemälde voll mit Geschehnissen aus dem Roman schickte; die leidenschaftliche junge Griechin, die bei einer Veranstaltung tränenüberströmt auf mich zustürzte und mir in die Arme fiel; die Tatsache, dass Dr Iannis’ Ratschläge an seine Tochter über die Liebe inzwischen gerne auf Hochzeiten vorgetragen werden; die Nachricht von Spiros Galiatsatos vom Hotellerieverbund der Ionischen Inseln auf meinem Anrufbeantworter: »Fünfundzwanzig Prozent! Danke, danke, danke!«; die vielen Freundschaften und ausschweifenden Abende mit Griechinnen und Griechen, die ich ohne das Buch nie kennengelernt hätte. Ein Paar, das von der geteilten Begeisterung für das Buch zusammengeschweißt worden war, lud mich sogar zur Hochzeit ein und bat mich, die Zeremonie anzuleiten. Beim Adelaide Festival gab mir ein bezauberndes kleines blondes Mädchen ihr Buch zum Signieren in die Hand. Ihr verdanke ich die Erkenntnis, dass ich selbst Vater werden wollte. Jetzt werden meine Kinder erwachsen, und sie sind mit Abstand der beste Teil meines Werks.

Corellis Mandoline eröffnete mir Griechenland, und dann eröffnete es mir die Türkei. Eins führte zum anderen.

Natürlich gab es auch den ein oder anderen Stein auf diesem Weg. Bei den griechischen Kommunisten bin ich nicht besonders beliebt, weil ich sie angeblich in ein schlechtes Licht rücke. Der Guardian schickte jemanden nach Griechenland, um den alten Stalinisten zu erklären, dass ich sie beleidigt hätte, und sie dann zu einer Erklärung aufzufordern, wie tief beleidigt sie von meinen Beleidigungen seien. Meines Wissens haben die kommunistischen Widerstandskämpfer auf Kephallonia keinen einzigen Italiener oder Deutschen umgebracht, wohl aber ein paar Griechen. Die Insel ist immer noch ziemlich links, und mit einem Denkmal kann ich dort wohl nicht rechnen. Dann war da noch die Frau, die fast zur Stalkerin geworden wäre. Und außerdem erinnere ich mich noch an den Tag, als ich mir eingestehen musste, dass ich meine Angelegenheiten nicht mehr allein regeln konnte und einen Buchhalter brauchte. Ein Unternehmen zu sein war ein bedrückendes Gefühl, und am liebsten hätte ich alles an den Nagel gehängt.

Noch eine Sache geht mir manchmal auf die Nerven. Oft bekomme ich zu hören: »Dein Buch hat mir super gefallen«, als hätte ich nur das eine geschrieben. Und den Titel können sich die Leute trotzdem nie richtig merken. Meine liebste Variante bislang: Gorillas Mandarine.

Louis de Bernières, 2019

Aus dem Englischen von Lena Riebl

1Dr. Iannis beginnt seine Geschichte

Dr. Iannis blickte zufrieden auf einen Tag zurück, an dem keiner seiner Patienten gestorben oder kränker geworden war. Er hatte bei der überraschend leichten Geburt eines Kalbes geholfen, einen Abszess aufgestochen, einen Backenzahn gezogen, eine Dame von lockerem Lebenswandel mit Salvarsan versorgt, ein unerfreuliches, aber sensationell ergiebiges Klistier verabreicht und durch einen medizinischen Taschenspielertrick ein Wunder vollbracht.

Er lachte in sich hinein, denn zweifellos wurde dieses Wunder bereits als eines St. Gerasimos würdig hingestellt. Er war ins Haus des alten Stamatis gegangen, zu dem er gerufen worden war, um Ohrenschmerzen zu behandeln, und hatte in einen Gehörgang geblickt, der feuchter, flechtenbehangener und stalagmitischer war als selbst die Drogarati-Grotte. Zunächst hatte er die Flechten mithilfe eines alkoholgetränkten und um ein langes Streichholz gewickelten Wattebäuschchens entfernt. Ihm war bekannt, dass der alte Stamatis seit seiner Kindheit auf diesem Ohr taub war und ständig unter Schmerzen litt. Es überraschte ihn aber doch, als die Streichholzspitze tief in der haarigen Höhlung offenbar auf etwas Hartes und Unnachgiebiges stieß, etwas, für dessen Vorhandensein es sozusagen keine physiologische oder anatomische Begründung gab. Er führte den alten Mann ans Fenster, riss die Läden auf, und blitzartig breiteten sich Mittagshitze und blendende Helligkeit im Zimmer aus, als hätte ein übereifriger und ungemein strahlender Engel irrigerweise diesen Ort für eine Epiphanie gewählt. Die Frau des alten Stamatis murrte; eine gute Hausfrau konnte es sich schlichtweg nicht leisten, zu dieser Stunde so viel Licht ins Haus zu lassen. Sie war sicher, dass es den Staub aufwirbelte; sie sah schon deutlich überall Flusen aufsteigen.

Dr. Iannis drehte den Kopf des alten Mannes und spähte ins Ohr. Mit dem langen Streichholz drückte er das Gestrüpp von starrem grauem Haar beiseite, das mit Flocken abblätternden Schorfs belaubt war. Darin war etwas Kugeliges. Er schabte die harte, braune Ohrenschmalzkruste ab und erblickte eine Erbse. Ganz ohne Zweifel: Es war eine Erbse; sie war hellgrün, und ihre Oberfläche war schon etwas runzlig, aber an dem Tatbestand an sich war nicht zu rütteln. »Hast du dir jemals etwas in die Ohren gestopft?«, wollte er wissen.

»Bloß meinen Finger«, erwiderte Stamatis.

»Und wie lange bist du schon taub auf diesem Ohr?«

»Schon seit ich mich erinnern kann.«

Dr. Iannis sah in seiner Phantasie plötzlich ein absurdes Bild Gestalt annehmen. Es zeigte Stamatis als Kleinkind – doch mit demselben knorrigen Gesicht, derselben gebückten Haltung, demselben dichten Haargestrüpp im Ohr –, das zum Küchentisch hochlangte und eine trockene Erbse aus einer Holzschüssel nahm. Er steckte sie sich in den Mund, fand sie zum Beißen zu hart und stopfte sie sich ins Ohr. Der Arzt kicherte. »Du musst als kleiner Junge ein ziemlicher Quälgeist gewesen sein.«

»Er war ein Teufel.«

»Halt deinen Mund, Frau, du hast mich damals ja noch gar nicht gekannt.«

»Ich hab’s von deiner Mutter, Gott sei ihrer Seele gnädig«, erwiderte die alte Frau, die schmollend den Mund verzog und die Arme verschränkte. »Und ich hab’s von deinen Schwestern.«

Dr. Iannis erwog das Problem. Er hatte es zweifellos mit einer widerspenstigen und störrischen Erbse zu tun, die zu fest im Ohr steckte, um sie einfach herauszustochern. »Hast du einen Angelhaken, etwa die Größe für eine Barbe, mit einem langen Ende? Und hast du ein Hämmerchen?«

Die Eheleute sahen sich an und hatten nur den einen Gedanken, dass ihr Doktor den Verstand verloren haben müsse. »Was hat das mit meinen Ohrenschmerzen zu tun?«, fragte Stamatis argwöhnisch.

»Du hast eine exorbitante auditive Störung«, versetzte der Arzt, sich stets der Notwendigkeit einer gewissen medizinischen Geheimniskrämerei bewusst, denn er war sich vollständig im Klaren darüber, dass er mit »eine Erbse im Ohr« wohl kaum Ehre eingelegt hätte. »Ich kann sie mit einem Angelhäkchen und einem Hämmerchen beseitigen; das ist die ideale Art, un embarras de petit pois zu beseitigen.« Er sprach die französischen Wörter mit geziertem Pariser Akzent aus, wenngleich nur ihm die Ironie klar war.

Das benötigte Werkzeug wurde prompt geholt. Der Arzt klopfte den Haken auf den Fliesen des Steinbodens sorgfältig gerade. Dann ordnete er an, der alte Mann solle seinen Kopf auf den lichtbeschienenen Sims legen. Stamatis gehorchte, verdrehte die Augen, und die alte Frau schlug die Hände vors Gesicht und spähte durch die Finger. »Beeile dich, Doktor«, rief Stamatis, »dieser Sims ist höllisch heiß.«

Der Arzt führte den gerade gebogenen Haken sorgfältig in die struppige Öffnung ein und hob das Hämmerchen, doch da wurde er durch ein heiseres Krächzen abgelenkt, das ihn stark an einen Raben erinnerte. Verstört und entsetzt rang die Alte die Hände und lamentierte: »Oh, oh, oh, du wirst ihm einen Angelhaken ins Gehirn treiben. Christus, erbarme dich unser, alle Heiligen und Maria mögen uns beschützen.«

Dieser Ausruf ließ den Arzt innehalten. Er dachte an die Möglichkeit, dass der Widerhaken, falls die Erbse sehr hart war, nicht eindringen, sondern die Erbse tiefer in den Gehörgang treiben würde. Das Trommelfell könnte sogar durchbohrt werden. Er richtete sich auf und zwirbelte mit dem Zeigefinger nachdenklich seinen weißen Schnurrbart. »Plan geändert«, verkündete er. »Ich habe nochmals nachgedacht und entschieden, es wäre besser, sein Ohr mit Wasser zu füllen und die impedimentale Okklusion aufzuweichen. Kyria, sorge dafür, dass dieses Ohr mit warmem Wasser gefüllt bleibt, bis ich heute Abend wiederkomme. Der Patient darf sich nicht rühren, er soll mit dem gefüllten Ohr auf der Seite liegenbleiben. Verstanden?«

Dr. Iannis kam um sechs Uhr wieder und spießte die aufgeweichte Erbse ohne Zuhilfenahme eines Hämmerchens erfolgreich auf. Er holte sie behutsam heraus und hielt sie dem Ehepaar zum Anschauen hin. Da sie mit dickem, dunklem Ohrenschmalz verkrustet war und faulig roch, war sie für keinen der beiden als Hülsenfrucht erkennbar. »Das ist sehr leguminös, nicht wahr?«, fragte der Arzt.

Die alte Frau nickte so beflissen, als hätte sie verstanden, was freilich nicht der Fall war, denn ihre Augen leuchteten vor Verwunderung auf. Stamatis schlug sich seitlich an den Kopf und rief aus: »Da drin ist’s kalt. Mein Gott, ist das laut. Ich meine, alles ist laut, sogar meine eigene Stimme.«

»Deine Taubheit ist geheilt«, verkündete Dr. Iannis. »Eine sehr gelungene Operation, meine ich.«

»Ich bin operiert worden«, sagte Stamatis höchst befriedigt. »Von allen Menschen, die ich kenne, bin ich der einzige, der operiert worden ist. Und jetzt kann ich hören. Es ist ein Wunder, ja genau. Mein Kopf fühlt sich leer und hohl an, mir ist so, als wär mein ganzer Kopf voller Quellwasser, kalt und klar.«

»Also, ist er nun leer oder voll?«, wollte die alte Frau wissen. »Red vernünftig, wenn der Doktor schon so nett war, dich zu heilen.« Sie ergriff Iannis’ Hand und küsste sie, und kurz darauf war er schon auf dem Heimweg, unter jedem Arm ein fettes Hühnchen und eine dunkel glänzende Aubergine in jeder Jackentasche. Die uralte Erbse trug er ins Taschentuch gewickelt bei sich, um sie seiner privaten medizinischen Sammlung hinzuzufügen.

Er war an diesem Tag üppig entlohnt worden, denn er hatte außerdem noch zwei prächtige große Langusten bekommen, einen Topf Sardellen, einen Topf mit Basilikum und ein Angebot zum Geschlechtsverkehr (nach seinem Belieben einzulösen). Er hatte aber beschlossen, dieses besondere Angebot nicht anzunehmen, selbst wenn das Salvarsan wirken würde. Er hatte noch den ganzen Abend vor sich, um an seiner Geschichte von Kephallonia zu schreiben, vorausgesetzt, Pelagia hatte daran gedacht, noch etwas Öl für die Lampen zu besorgen.

»Die neue Geschichte Kephallonias« war ziemlich problematisch. Es schien unmöglich, sie ohne Beimischung seiner eigenen Gefühle und Vorurteile zu schreiben. Objektivität war anscheinend nicht zu erreichen, und er hatte das Gefühl, seine misslungenen Anfänge hatten mehr Papier verschwendet, als auf der ganzen Insel normalerweise in einem Jahr verbraucht wurde. Die Stimme, die aus seinem Bericht klang, blieb hartnäckig seine eigene; sie war nie und nimmer die eines Historikers. Ihr fehlten Größe und Unparteilichkeit. Sie war nicht olympisch.

Er setzte sich hin und schrieb: »Kephallonia ist eine Fabrik, die Babys für den Export erzeugt. Im Ausland oder auf See gibt es mehr Kephallonier als zu Hause. Eine einheimische Industrie, die die Familien zusammenhielte, ist nicht vorhanden, es gibt nicht genügend Ackerland, und im Meer mangelt es an Fischen. Unsere Männer gehen ins Ausland und kehren nur zum Sterben zurück, und so leben wir auf einer Insel der Kinder, alten Jungfern, Priester und Greise. Das einzig Gute daran ist, dass nur die wirklich schönen Frauen unter den übrig gebliebenen Männern einen zum Heiraten finden, und so hat der natürliche Selektionsdruck dafür gesorgt, dass es bei uns die schönsten Frauen ganz Griechenlands und vielleicht des gesamten Mittelmeerraums gibt. Die Kehrseite ist, dass bei uns schöne und geistvolle Frauen mit den absonderlichsten und unpassendsten Männern verheiratet sind, die nie im Leben zu etwas taugen, und dass bei uns einige traurige und hässliche Frauen, die keiner will, zum Witwenstand verurteilt sind, ohne je einen Ehemann gehabt zu haben.«

Der Arzt stopfte sich seine Pfeife neu und las das Geschriebene durch. Er hörte, wie Pelagia draußen im Hof mit Töpfen klapperte, weil sie die Langusten kochen wollte. Er las, was er über die schönen Frauen geschrieben hatte, und erinnerte sich an seine Gattin, die so hübsch gewesen war wie nun ihre Tochter, aber trotz all seiner Bemühungen an Tuberkulose gestorben war. »Diese Insel betrügt ihre eigenen Leute schon in deren bloßem Dasein«, schrieb er, und dann knüllte er das Blatt zusammen und schmiss es in die Zimmerecke. So ging es nie und nimmer; warum konnte er nicht wie ein Historiker schreiben? Warum konnte er nicht leidenschaftslos schreiben? Ohne Zorn? Ohne dass sich ein Gefühl des Betrogenseins und der Bedrängnis einschlich? Er hob das Blatt auf, das er zuerst beschrieben hatte und das an den Ecken schon zerknittert war. Es war die Titelseite: »Die neue Geschichte Kephallonias«. Er strich die ersten beiden Wörter durch und ersetzte sie durch »Eine persönliche«. Jetzt brauchte er keine gefühlsbeladenen Adjektive und keinen uralten geschichtlichen Groll mehr wegzulassen, jetzt konnte er ätzend über die Römer, die Normannen, die Venezianer, die Türken, die Briten und sogar die Inselbewohner selbst herziehen. Er schrieb:

»Die halb vergessene Insel Kephallonia erhebt sich leichtsinnig und unbesonnen aus dem Ionischen Meer; es ist eine so ungeheuer geschichtsträchtige Insel, dass selbst die Felsen noch Nostalgie ausdünsten und die rote Erde nicht nur von der Sonne betäubt daliegt, sondern auch vom unsäglichen Gewicht der Erinnerung. Die Schiffe des Odysseus wurden aus kephallonischem Pinienholz gezimmert, seine Leibwächter waren kephallonische Riesen, und einige behaupten sogar, dass sein Palast nicht auf Ithaka, sondern auf Kephallonia stand.

Doch schon bevor dieser listige und weit gereiste König von Athene begünstigt wurde oder durch die unversöhnliche Bosheit Poseidons auf dem Meer umherirrte, hatten mesolithische und neolithische Menschen aus Obsidian Messerklingen geschlagen und Fischernetze ausgeworfen. Die mykenischen Hellenen kamen hier an und hinterließen die Scherben ihrer Amphoren und ihre brustförmigen Gräber, zeugten Nachkommen, die lange nach der Abreise von Odysseus für Athen kämpften, von Sparta tyrannisiert wurden und dann sogar den größenwahnsinnigen Philipp von Mazedonien besiegten, den Vater von Alexander, der merkwürdigerweise ›der Große‹ genannt wird, aber eigentlich ein noch eingebildeterer Megalomane war.

Diese Insel war ein Tummelplatz der Götter. Auf dem Gipfel des Berges Ainos stand ein Schrein für Zeus, und ein weiterer befand sich auf der winzigen Insel Thios. Demeter wurde verehrt, weil sie die Insel zum Brotkorb Ioniens gemacht hatte, desgleichen Poseidon, der Gott, der sie in Gestalt eines Hengstes vergewaltigt hatte, worauf sie ein schwarzes Pferd und eine mystische Tochter zur Welt brachte, deren Name verloren ging, als die Eleusinischen Mysterien durch die Christen unterdrückt wurden. Hier war Apollo, der Python erschlug, der Hüter des Nabels der Welt; er war schön, jugendlich, weise, gerecht, stark, hyperbolisch bisexuell und der einzige Gott, dem die Bienen einen Tempel aus Wachs und Federn bauten. Hier wurde auch Dionysos verehrt, der Gott des Weins, der Freude, der Zivilisation und der Vegetation, den Aphrodite zum Vater eines kleinen Jungen mit dem riesenhaftesten Penis machte, der je einen Menschen oder Gott belastete. Ihre Anbeter hatte hier auch Artemis, die vielbrüstige jungfräuliche Jägerin, eine Göttin von solch radikal frauenrechtlerischer Gesinnung, dass sie Aktaion, weil er sie zufällig nackt gesehen hatte, von Hunden in Stücke reißen und ihren Geliebten Orion von Skorpionen zu Tode stechen ließ, weil er sie aus Versehen berührt hatte. Sie war derart pingelig und pedantisch, was Sittsamkeit und summarische Züchtigung betraf, dass ganze Dynastien wegen eines ungebührlichen Wortes oder einer fünf Minuten zu spät dargebrachten Opfergabe ausgelöscht wurden. Es gab auch Tempel für Athene, die ewige Jungfrau, die (im Vergleich zu Artemis erst nach großer Überwindung) Teiresias blenden ließ, weil er sie nackt gesehen hatte, ein ungeheures Geschick in jenen Fertigkeiten bewies, die für die Wirtschaft und das häusliche Leben unverzichtbar sind, und die Schutzheilige der Ochsen, Pferde und Oliven war.

In der Wahl ihrer Götter bezeugten die Inselbewohner schon den ungeheuren und unerschütterlichen Gemeinsinn, der das Geheimnis ihres Überlebens durch all die Jahrhunderte gewesen ist; es liegt auf der Hand, dass der König der Gottheiten verehrt werden musste; es liegt auf der Hand, dass ein Volk von Seeleuten den Meeresgott besänftigen musste; es liegt auf der Hand, dass die Weinbauern Dionysos ehren mussten (es ist immer noch der häufigste Vorname auf der Insel); es liegt auf der Hand, dass Demeter dafür geehrt werden musste, dass die Insel sich selbst versorgen konnte, dass Athene für ihre Gaben der Weisheit und des Geschicks in den täglichen Lebensdingen verehrt werden musste, genauso wie es ihr oblag, über die unzähligen militärischen Streitfälle zu wachen. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Artemis ihren Kult hatte, denn das galt als unfehlbare Lebensversicherung; sie konnte einem gehörig zusetzen, und deshalb musste alles dafür getan werden, dass sie Schaden woanders anrichtete.

Dass Apollo auf Kephallonia seinen Kult hatte, ist gleichzeitig das größte wie das kleinste Geheimnis. Für diejenigen, die nie auf dieser Insel gewesen sind, ist es völlig unerklärlich, doch für diejenigen, die sie kennen, ist es ganz und gar unvermeidlich, denn Apollo ist ein Gott, der mit der Macht des Lichts in Verbindung steht. Fremde, die hier landen, sind zunächst zwei Tage lang geblendet.

Es ist ein Licht, das anscheinend weder aus der Luft noch aus der Stratosphäre kommt. Es ist völlig jungfräulich, erzeugt ein gestochen scharfes Bild und hat eine gewaltige Leuchtkraft. Es zeigt Farben in ihrem ursprünglichen Zustand vor dem Sündenfall, als kämen sie direkt aus Gottes Vorstellungskraft in Seinen frühesten Tagen, als Er noch glaubte, alles wäre gut. Das dunkle Grün der Pinien ist von einer unergründlichen Tiefe, das Meer ist, von einer Klippe aus betrachtet, platonisch in seiner Art, azur, chromgrün oder wie ein Türkis, Smaragd oder Lapislazuli zu schillern. Das Auge einer Ziege ist ein lebender Halbedelstein, etwa zwischen Bernstein und Arylid, und die Grillen sind vom leuchtenden Grün der frischesten Grashalme im Garten Eden. Sobald die Augen sich an die äußerst vestalische Keuschheit dieses Lichts gewöhnt haben, erscheint im Vergleich dazu das Licht an jedem anderen Ort kümmerlich und trüb – lediglich als etwas, was das Sehen ermöglicht, eine Enttäuschung, ein Makel. Selbst das Meerwasser Kephallonias ist durchsichtiger als andernorts die Luft; hier kann ein Mensch im Wasser treiben, zum Meeresboden hinabblicken und deutlich wehmütige Strahlen sehen, die aus unerfindlichen Gründen stets von kleinen Plattfischen begleitet sind.«

Der gelehrte Arzt lehnte sich zurück und las das eben Geschriebene durch. Es kam ihm wirklich sehr poetisch vor. Er las es nochmals und schwelgte in einigen Sätzen. Am Rande notierte er: »Dran denken, dass alle Kephallonier Dichter sind. Wo kann ich das einbringen?«

Er ging in den Hof hinaus und urinierte auf den Streifen mit der Pfefferminze. In einem strikten Turnus versorgte er die Gewürzpflanzen mit Stickstoff, und morgen würde der Oregano drankommen. Er kehrte gerade noch rechtzeitig ins Zimmer zurück, um Pelagias kleine Ziege dabei zu erwischen, wie sie seine Seiten mit offensichtlichem Behagen verzehrte. Er riss dem Tier das Papier aus dem Maul und jagte es wieder nach draußen. Es sprang zur Tür hinaus, um dann ungehalten hinter dem breiten Stamm des Olivenbaums zu meckern.

»Pelagia«, schimpfte der Arzt, »dein verdammter Wiederkäuer hat alles aufgefressen, was ich heute Abend geschrieben habe. Wie oft muss ich dir noch sagen, das Vieh nicht reinzulassen? Wenn das noch mal vorkommt, wird es am Spieß enden. Das ist mein letztes Wort. Es ist schon schwer genug, bei der Sache zu bleiben, ohne dass dieses Tier alles sabotiert, was ich mir ausgedacht habe.«

Pelagia blickte lächelnd zu ihrem Vater hoch. »Wir werden um etwa zehn Uhr essen.«

»Hast du mir überhaupt zugehört? Ich habe gesagt, keine Ziegen mehr im Haus, kapiert?«

Sie hielt beim Aufschneiden einer Peperoni inne, strich sich eine störrische Strähne aus dem Gesicht und erwiderte: »Du magst sie so gern wie ich.«

»Erstens mag ich diesen Wiederkäuer nicht, und zweitens hast du mir keine Widerworte zu geben. Zu meiner Zeit hat keine Tochter sich ihrem Vater widersetzt. Ich dulde das nicht.«

Pelagia stemmte eine Hand in die Hüfte und verzog das Gesicht. »Papas«, sagte sie, »es ist immer noch deine Zeit. Du bist doch noch nicht tot, oder? Jedenfalls mag dich die Ziege.«

Dr. Iannis gab sich geschlagen und räumte das Feld. Es war wirklich der Gipfel, wenn die eigene Tochter ihre weibliche Tücke gegen ihn ausspielte und ihn dabei noch an ihre Mutter erinnerte. Er ging zurück an seinen Tisch und nahm sich ein neues Blatt Papier vor. Ihm fiel wieder ein, dass er in seinem letzten Schreibversuch vom Thema Götter auf das Thema Fische gekommen war. Aus literarischer Sicht geschah es ihm recht, dass die Ziege das Blatt gefressen hatte. Nun schrieb er: »Nur eine so unverschämte Insel wie Kephallonia kann die Unverfrorenheit besitzen, sich auf einer Verwerfungslinie niederzulassen, die sie der ständigen Gefahr von verheerenden Erdbeben aussetzt. Nur eine so unbekümmerte Insel wie diese wehrt sich nicht gegen eine Invasion gleichgültiger und aufdringlicher Ziegen.«

2Der Duce

Kommen Sie her. Ja, Sie. Kommen Sie nur. Jetzt verraten Sie mir mal: Welches ist mein bestes Profil, das rechte oder das linke? Wirklich, meinen Sie? Da bin ich mir nicht so sicher. Ich meine, die Unterlippe macht sich auf der anderen Seite vielleicht besser. Oh, Sie pflichten mir also bei? Sie sind vermutlich in allem, was ich sage, meiner Meinung. Ah ja, tatsächlich. Wie soll ich mich dann auf Ihr Urteil verlassen können? Was ist, wenn ich sage, dass Frankreich aus Bakelit besteht; stimmt das? Werden Sie mir beipflichten? Was soll das heißen, sissignore, nossignore, ich weiß nicht, Signore; was ist das für eine Antwort? Sind Sie ein Kretin, oder was? Holen Sie mir ein paar Spiegel, damit ich meine Pose selbst überprüfen kann.

Ja, es ist von großer Bedeutung und auch ganz natürlich, dass das Volk in mir die Apotheose des idealen Italieners sieht. Mich wird niemand mit heruntergelassenen Hosen filmen können. Mich wird eigentlich auch niemand mehr in Anzug und Krawatte zu sehen bekommen. Das Volk soll mich nicht für einen Geschäftsmann, für einen bloßen Staatsbeamten halten, und außerdem steht mir diese Uniform. Ich bin die Verkörperung Italiens, womöglich noch mehr als der König selbst. Das ist Italien, schneidig und stramm, wo alles wie am Schnürchen läuft. Italien ist so unbiegsam wie Stahl. Eine der Großmächte, da ich es zu einer gemacht habe.

Ah, da sind ja die Spiegel. Stellen Sie den dahin. Nein, da, Idiot. So ist’s recht. Nun stellen Sie den anderen dorthin. Herrgott noch mal, muss ich alles selbst erledigen? Mann, was ist los mit Ihnen? Hm, ich glaube, ich mag das linke Profil. Kippen Sie den Spiegel ein wenig. Mehr, mehr. Halt, so ist’s recht. Wunderbar. Wir müssen es so einrichten, dass das Volk immer zu mir aufsehen muss. Ich muss immer erhöht stehen. Schicken Sie jemand in die Stadt, um die geeignetsten Balkone ausfindig zu machen. Notieren Sie sich das. Und notieren Sie sich auch noch Folgendes, da es mir gerade einfällt. Auf Anordnung des Duce sollen alle Bergzüge in Italien massiv aufgeforstet werden. Was soll das heißen, wofür? Das liegt doch auf der Hand. Je mehr Bäume, desto mehr Schnee, das weiß doch jeder. Italien soll kälter werden, damit die Menschen, die es hervorbringt, zäher, wendiger und widerstandsfähiger werden. Es ist traurig, aber wahr, dass unsere Jungen keine so guten Soldaten mehr sind wie ihre Väter. Sie müssen kälter werden, wie die Deutschen. Mehr Eis in die Seele, das brauchen sie. Ich könnte schwören, das Land ist seit dem Großen Krieg wärmer geworden. Das macht die Männer faul, macht sie untauglich. Das macht sie für das Imperium nicht geeignet. Das verwandelt das Leben in eine Siesta. Sie nennen mich nicht umsonst den Diktator, der niemals schläft. Sie werden mich nie dabei erwischen, dass ich den ganzen Nachmittag durchschlafe. Notieren Sie das. Das wird eine unserer neuen Parolen: Libro e Moschetto – Fascisto Perfetto. Die Leute sollen verstehen, dass der Faschismus nicht bloß eine soziale und politische Revolution darstellt, sondern auch eine kulturelle. Jeder Faschist muss ein Buch im Tornister haben, verstehen Sie? Wir werden keine Spießer sein. Ich will faschistische Buchclubs selbst in den kleinsten Städten haben, und ich möchte nicht, dass die verfluchten squadristi aufkreuzen und sie in Brand setzen, ist das klar?

Und was höre ich da von einem Regiment Alpini, das durch Verona gezogen ist und gesungen hat: Vogliamo la pace e non vogliamo la guerra? Ich möchte, dass dies untersucht wird. Es darf keine Eliteeinheiten geben, die herummarschieren und pazifistisch-defätistische Lieder singen, wo wir uns noch gar nicht richtig im Krieg befinden. Und weil wir gerade von den Alpini reden: Was soll das, dass sie sich mit faschistischen Legionären Schlägereien geliefert haben? Was soll ich denn noch alles tun, damit das Militär die Miliz akzeptiert? Wie wäre denn das als weitere Parole: »Der Krieg ist für den Mann das, was die Mutterschaft für die Frau ist«? Sehr gut, da werden Sie mir wohl beipflichten. Eine herrliche Parole mit einer guten Portion Mannhaftigkeit darin, viel besser als »Kinder, Küche, Kirche« die ganze Woche über. Rufen Sie Clara an und sagen Sie ihr, dass ich sie heute Abend besuchen werde, wenn ich meiner Frau entkommen kann. Und wie wäre das als neue Parole: »Mit wagemutiger Umsicht«? Sind Sie sicher? Ich kann mich nicht erinnern, dass Benni das in einer Rede verwendet hat. Muss Jahre hersein. Vielleicht ist sie gar nicht so gut.

Notieren Sie sich das. Ich möchte ein für alle Mal klarstellen, dass unsere Leute in Afrika die Praxis des sogenannten madamismo abzustellen haben. Ich kann es einfach nicht gutheißen, dass italienische Männer mit eingeborenen Frauen zusammenziehen und die Reinheit des Blutes verwässern. Nein, eingeborene Prostituierte kümmern mich nicht. Die sciarmute sind für die Moral unserer Männer unentbehrlich. Nur Liebschaften darf es nicht geben, das ist alles. Was soll das heißen, Rom war assimilativ? Das weiß ich, und ich weiß auch, dass wir das Imperium neu schaffen, doch wir leben in anderen Zeiten. Wir leben in faschistischen Zeiten.

Da wir gerade von den Kameltreibern reden: Haben Sie mal in mein Exemplar dieses Artikels Partito e Imperio reingesehen? Mir gefällt das Stück, wo es heißt: »Kurz gesagt, wir müssen versuchen, dem italienischen Volk eine imperialistische und rassistische Gesinnung einzuimpfen.« Ach ja, die Juden. Nun, ich meine, es ist ein für alle Mal klargemacht worden, dass jüdische Italiener sich entscheiden müssen, ob sie vorrangig Italiener oder Juden sind. So einfach ist das. Es ist mir nicht entgangen, dass das internationale Judentum antifaschistisch ist. Ich bin ja nicht dumm. Ich weiß sehr wohl, dass die Zionisten die Handlanger der britischen Außenpolitik sind. Was mich betrifft, so müssen wir diese Beschäftigungsbeschränkungen für Juden in öffentlichen Ämtern durchsetzen; ich werde keine Unverhältnismäßigkeit dulden, und es kümmert mich nicht, wenn das bedeutet, dass dann einige Städte ohne Bürgermeister dastehen. Wir müssen mit unseren deutschen Kameraden Schritt halten. Ja, ich weiß, dass der Papst das nicht mag, aber für ihn steht zu viel auf dem Spiel, als dass er sich dafür weit aus dem Fenster lehnen würde. Er weiß, ich kann die Lateranverträge widerrufen. Ich habe ihm schon einen Dreizack in den Hintern gesteckt, und er weiß, dass ich den drehen kann. Um des lieben Friedens mit der Kirche willen habe ich den atheistischen Materialismus aufgegeben, aber ich gehe keinen Schritt weiter.

Notieren Sie das; ich möchte die Löhne und Gehälter einfrieren, um die Inflation einzudämmen. Wir erhöhen die Familienbeihilfe um fünfzig Prozent. Nein, ich glaube nicht, dass das Letztere die Wirkung des Ersteren aufheben wird. Meinen Sie, ich verstünde nichts von der Wirtschaft? Wie oft muss ich noch erklären, Sie Dummkopf, dass das faschistische Wirtschaftssystem immun ist gegen die zyklischen Schwankungen des Kapitalismus? Wie können Sie es wagen, mir zu widersprechen und zu sagen, es sähe so aus, als wäre das Gegenteil wahr? Warum, glauben Sie, haben wir uns all die Jahre um Autarkie bemüht? Wir hatten einige harte Nüsse zu knacken, das ist alles, Sie zuccone, Sie sciocco, Sie balordo. Schicken Sie Farinacci ein Telegramm mit ein paar bedauernden Worten darüber, dass er eine Hand verloren hat. Aber was kann er schon erwarten, wenn er mit Handgranaten zum Fischen geht? Sagen Sie der Presse, es hätte sehr heldenhafte Gründe. Wir werden am Montag einen Artikel darüber in Il Regime Fascista bringen. Etwa so: »Parteichef im heldenhaften Einsatz gegen Äthiopier verletzt.« Dabei fällt mir ein, wie weit sind die Experimente mit dem Giftgas? Die gegen die Kameltreiberguerilla. Ich hoffe, der Abschaum stirbt langsam, das ist alles. Ein möglichst langer Todeskampf. Pour encourager les autres. Sollen wir in Frankreich einmarschieren? Wie wär’s mit »Faschismus überwindet Klassengegensätze«? Ist Ciano schon hier? Aus dem ganzen Land erhalte ich Berichte, dass die Stimmung so gut wie einmütig gegen den Krieg ist. Ich verstehe das nicht. Industrielle, Bürgerliche, Arbeiter, selbst die Armee, um Himmels willen. Ja, ich weiß, dass eine Abordnung von Künstlern und Intellektuellen wartet. Was? Sie werden mir eine Auszeichnung verleihen? Holen Sie sie auf der Stelle herein.

Guten Abend, meine Herren. Ich gestehe, es ist mir eine große Freude, dies von einigen unserer, ähm, größten Geister zu empfangen. Ich werde sie mit Stolz tragen. Wie weit sind Sie mit Ihrem neuen Roman? Oh, tut mir leid, das hab ich ganz vergessen. Sie sind ja Bildhauer. Ein Lapsus linguae. Ein neues Standbild von mir? Großartig. Mailand braucht noch ein paar Denkmäler, oder nicht? Ich darf Sie daran erinnern – obwohl ich mir sicher bin, dass es bei Ihnen nicht nötig ist –, dass der Faschismus im Grunde auf ästhetischen Vorstellungen aufbaut und dass es Ihre Aufgabe ist, als Schöpfer schöner Dinge die erhabene Schönheit und unverkennbare Wirklichkeit des faschistischen Ideals mit größter Eindringlichkeit darzustellen. Vergessen Sie das nie; wenn die Streitkräfte das Mark des Faschismus sind und ich sein Gehirn, dann sind Sie seine Phantasie. Sie haben eine schwere Verantwortung. Nun entschuldigen Sie mich bitte, meine Herren, Staatsangelegenheiten. Sie wissen ja, wie das ist. Ich habe eine Audienz mit Seiner Majestät dem König. Ja, selbstverständlich, ich werde Ihre ergebensten Gefühle der Loyalität übermitteln. Er würde auch nicht weniger als das erwarten. Guten Abend.

Die bin ich los. Ist das nicht hübsch? Vielleicht schenke ich es Clara. Das wird sie bestimmt amüsieren. Ah, Ciano ist tatsächlich im Anmarsch? Wurde auch Zeit. Hat erst noch ein paar Golfbälle verdroschen, da bin ich sicher. Verdammt blödes Spiel, wenn Sie mich fragen. Ich würde ja noch verstehen, wenn einer Karnickel zu treffen versuchte oder mal ein Rebhuhn schnappen wollte. Ein hole-in-one lässt sich doch nicht essen, oder? Wenn einer toll eingelocht hat, dann hat er doch nichts, dem er die Gedärme rausreißen kann.

Ah, Galeazzo, wie gut, dich zu sehen. Komm doch rein. Bene, bene. Und wie geht es meiner lieben Tochter? Es ist doch wunderbar, die Regierung sozusagen in der Familie zu behalten. Wie gut, jemanden zu haben, dem ich vertrauen kann. Golf gespielt? Hab ich mir doch gedacht. Ein prächtiges Spiel, so faszinierend; was für eine Herausforderung, sowohl geistig wie körperlich, nehme ich an. Ich wünschte, ich hätte auch Zeit dafür. Man fühlt sich völlig auf verlorenem Posten, wenn die Rede auf Löffler, Cleeks und Dreier-Eisen kommt. Beinahe ein Eleusinisches Mysterium. Ich hab »eleusinisch« gesagt. Oh, das macht nichts. Was für ein prächtiger Anzug. Ein so toller Schnitt, und auch so feine Schuhe. So, George-Stiefel heißen sie? Ich frage mich, warum. Die sind doch nicht englisch? Für mich tun’s echte Militärreitstiefel, Galeazzo; in puncto Eleganz kann ich es nicht mit dir aufnehmen, das gebe ich unumwunden zu. Ich bin eben ein Mann der Scholle, und was kann einem Besseres passieren, wenn die Scholle zufällig italienisch ist, meinst du nicht auch?

Hör mal, wir müssen die Geschichte mit Griechenland ein für alle Mal klären. Ich glaube, wir stimmen darin überein, dass wir nach all unseren Erfolgen eine neue Richtung einschlagen müssen. Stell dir vor, Galeazzo, als ich noch Journalist war, hatte Italien kein nennenswertes Imperium. Jetzt, da ich der Duce bin, haben wir eins. Das ist eine große und schwere Verpflichtung, daran gibt es nichts zu rütteln. Eine Sinfonie bekommt mehr Applaus als ein Quartett. Doch können wir mit Afrika und ein paar Inseln aufhören, von denen noch nie jemand was gehört hat? Dürfen wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen, wenn wir rundherum Spaltungen in der Partei sehen und merken, dass unsere Politik keine einheitliche Stoßrichtung hat? Wir müssen der Nation Dynamit in den Hintern stecken, nicht? Wir brauchen ein großartiges und einendes Unternehmen. Wir brauchen einen Feind, und wir müssen den imperialistischen Schwung aufrechterhalten. Deswegen komme ich auf die Griechen zurück.

Ich habe mir die Berichte angesehen. Zunächst einmal haben wir einen historischen Makel zu tilgen, eine noch offene Rechnung zu begleichen. Ich meine den Tellini-Zwischenfall von 1923, wie du zweifellos erkannt hast. Übrigens, mein lieber Graf, fällt mir mehr und mehr auf, dass du eine von mir unabhängige Außenpolitik betreibst; deswegen ziehen wir oft nicht an einem Strang. Nein, widersprich nicht, ich erwähne das bloß als eine unerquickliche Tatsache. Unser Botschafter in Athen ist sehr verwirrt, und vielleicht ist es auch in unserem Interesse, wenn er das bleibt. Ich möchte nicht, dass Grazzi gegenüber Metaxas Andeutungen macht, und es passt uns, dass sie befreundet bleiben. Es ist ja noch kein Schaden angerichtet; wir haben uns Albanien genommen, und ich habe Metaxas geschrieben, um ihn in Sicherheit zu wiegen, und habe seine Behandlung von König Zog gelobt, also läuft alles ausgezeichnet. Ja, mir ist bekannt, dass die Briten mit Metaxas Kontakt aufgenommen haben, um ihm zu sagen, dass sie im Fall einer Invasion helfen werden, Griechenland zu verteidigen. Ja, ich weiß, dass Hitler Griechenland in der Achse haben will, aber seien wir ehrlich, was schulden wir denn Hitler schon? Er bringt ganz Europa durcheinander, seine Gier und seine Unberechenbarkeit scheinen grenzenlos zu sein, und zur Krönung des Ganzen schnappt er sich die rumänischen Ölfelder, ohne uns auch nur ein Stück vom Kuchen abzugeben. Diese Dreistigkeit. Für wen hält er sich denn? Ich fürchte, Galeazzo, wir müssen unser Vorgehen danach ausrichten, wie die Würfel fallen, nur muss ich sagen, dass Hitler derzeit offenbar lauter Sechser würfelt. Entweder wir verbünden uns mit ihm und teilen uns die Beute, oder wir setzen uns der Gefahr einer Invasion aus Österreich aus, sobald der kleine Mann es für richtig hält. Es geht darum, die Gelegenheit beim Schopf zu packen und Risiken zu vermeiden. Es geht auch darum, das Imperium zu erweitern. Wir müssen außerdem den Befreiungsbewegungen im Kosovo und dem Irredentismus in Tsamouria Dampf machen. Wir kriegen Jugoslawien und Griechenland. Stell dir vor, Galeazzo, die ganze Mittelmeerregion wieder zu einem neuen Römischen Reich vereint. Wir haben Libyen, und jetzt müssen wir nur noch die Punkte verbinden. Das müssen wir tun, ohne Hitler was zu verraten; zufällig weiß ich, dass die Griechen von ihm Zusicherungen gewollt haben. Stell dir vor, wie das dem Führer Eindruck machen wird, wenn er uns blitzartig Griechenland überrollen sieht. Da wird er sich das Ganze sicher noch mal überlegen. Mal dir doch aus, wie du selber an der Spitze einer faschistischen Legion im Gefechtsturm eines Panzers in Athen einziehst. Stell dir vor, unsere Fahnen flattern am Parthenon.

Erinnerst du dich noch an den Guzzoni-Plan? Achtzehn Divisionen und ein Jahr Vorbereitung? Und ich habe verkündet: »Griechenland liegt nicht auf unserem Weg, wir wollen da nichts«, und dann habe ich zu Guzzoni gesagt: »Aus dem Krieg gegen Griechenland wird nichts. Griechenland ist ein abgenagter Knochen und nicht das Leben eines einzigen sardischen Grenadiers wert.« Nun, die Verhältnisse haben sich geändert, Galeazzo. Ich habe das gesagt, weil ich Jugoslawien wollte. Aber warum nicht beide nehmen? Wer sagt, dass wir ein Jahr Vorbereitung brauchen? Doch bloß so ein dummer General vom alten Schlag. Mit einer Legion könnten wir das in einer Woche schaffen. Es gibt auf der Welt keine so entschlossenen und kühnen Soldaten wie unsere.

Und die Briten provozieren uns. Ich rede jetzt nicht von de Vecchis Gefasel. Da fällt mir ein, de Vecchi hat dir gesagt, dass die Briten ein Unterseeboot bei Levkas, zwei weitere bei Zante angegriffen und in Milos einen Stützpunkt eingerichtet haben. Ich habe einen Bericht von Kapitän Moris, dass nichts davon geschehen ist. Du musst dir einfach klar darüber sein, dass de Vecchi ein größenwahnsinniger Irrer ist, und eines Tages, wenn mir danach ist, werde ich ihn an seinem fetten Schnauzer aufhängen und ihm ohne Betäubung die Eier abschneiden. Gott sei Dank ist er in der Ägäis und nicht hier, sonst säße ich bis zum Hals in der Scheiße. Der Mann macht noch die ganze Ägäis braun.

Aber die Briten haben die Colleoni versenkt, und die Griechen lassen schamlos britische Schiffe in ihre Häfen. Was soll das heißen, wir haben aus Versehen ein Versorgungsschiff und einen Zerstörer der Griechen bombardiert? Aus Versehen? Was macht das schon? Da müssen wir später nicht mehr so viele Schiffe versenken. Grazzi behauptet, es gäbe in Griechenland überhaupt keine britischen Stützpunkte, aber das sehen wir ihm noch einmal nach, oder? Es ist doch nichts Schlimmes, zu behaupten, dass dort welche sind. Wichtig ist, dass wir Metaxas so weit bringen, dass er sich in die Hosen macht. Hoffentlich kann ich deinem Bericht Glauben schenken, dass die griechischen Generäle auf unserer Seite sind; aber wenn das stimmt, wie kommt es dann, dass sie Platis verhaftet haben? Und wohin ist das ganze Geld gekommen, mit dem die Staatsbeamten bestochen werden sollten? Das sind doch Millionen, wertvolle Millionen, die wir besser für Gewehre hätten ausgeben sollen. Und bist du sicher, dass die Bevölkerung von Epirus wirklich albanisch sein will? Woher weißt du das? Ach so, der Geheimdienst. Ich habe übrigens entschieden, die Bulgaren nicht zu fragen, ob sie zur gleichen Zeit wie wir einmarschieren wollen. Freilich würde es uns die Sache erleichtern, aber es wird sowieso ein Spaziergang, und wenn die Bulgaren ihren Zugang zum Meer bekommen, wird das uns die Nachschub- und Nachrichtenwege kappen, meinst du nicht auch? Wir wollen nicht, dass sie sich in dem Ruhm sonnen, der eigentlich uns gebührt.

Also, ich möchte, dass du ein paar Angriffe gegen uns arrangierst. Unserem Feldzug müssen wir aus weltpolitischen Gründen ein legitimes Deckmäntelchen umhängen. Nein, um die Amerikaner mache ich mir keine Sorgen; Amerika ist militärisch unbedeutend. Aber denk dran, wir wollen einmarschieren, wenn wir einmarschieren wollen; ich will keinen kolossalen Casus belli haben, der uns in Zugzwang bringt, bevor wir bereit sind. Avanti piano, quasi indietro. Ich meine, wir sollten uns einen albanischen Patrioten zur Ermordung aussuchen, sodass wir den Griechen die Schuld in die Schuhe schieben können, und ich meine, wir sollten ein griechisches Kriegsschiff so versenken, dass es augenscheinlich ist, dass wir es waren, aber doch nicht so offensichtlich, dass wir nicht den Briten die Schuld geben können. Es dreht sich darum, die Griechen wohlüberlegt einzuschüchtern; das wird ihre Moral schwächen.

Übrigens, Galeazzo, ich habe entschieden, dass wir kurz vor der Invasion die Armee demobilisieren werden. Was soll das heißen, das klinge verquer? Es geht doch darum, die Griechen einzulullen, die Ernte einzubringen und den Anschein der Normalität zu wahren. Denk darüber nach, Galeazzo; stell dir vor, was für ein gerissener Zug das wäre. Die Griechen seufzen erleichtert auf, und wir machen sie prompt mit einem Hammerschlag platt.

Ich habe mit dem Generalstab gesprochen, mein lieber Graf, und Pläne angefordert für die Invasion von Korsika, Frankreich und der Ionischen Inseln und für einen neuen Feldzug in Tunesien. Ich bin sicher, wir schaffen das. Sie beschweren sich laufend über mangelnde Transportmittel, und so habe ich den Befehl ausgegeben, die Infanterie so zu trainieren, dass sie am Tag fünfzig Meilen marschieren kann. Mit der Luftwaffe haben wir allerdings ein kleines Problem. Die ist komplett in Belgien, also werde ich deswegen in den nächsten Tagen vermutlich etwas unternehmen müssen. Erinnere mich gelegentlich daran. Ich muss mit Pricolo darüber reden; es geht nicht an, dass der Chef der Luftwaffe als Einziger nicht weiß, was los ist. Auch militärische Geheimhaltung hat ihre Grenzen. Der Generalstab stellt sich gegen mich, Galeazzo. Badoglio schaut mich immer an, als wäre ich verrückt. Eines Tages wird er dem Verderben ins Gesicht sehen und merken, dass dieses Gesicht meins ist. Ich kann das nicht ausstehen. Ich meine, wir sollten uns Kreta auch noch nehmen und es den Briten verweigern.

Jacomoni hat mir telegraphiert, dass wir innerhalb der griechischen Reihen mit allerhand Verrat rechnen können, dass die Griechen Metaxas und den König hassen, sehr niedergeschlagen sind und über eine Preisgabe von Tsamouria nachdenken. Gott ist anscheinend mit uns. Außerdem muss sich etwas daran ändern, dass sowohl Seine Majestät als auch ich der Erste Marschall des Königreichs sind; mit solchen Ungereimtheiten lässt es sich wirklich nicht leben. Übrigens hat mir Prasca telegraphisch mitgeteilt, dass er für die Invasion keine Truppenverstärkungen benötigt, aber wie kommt es dann, dass mir bisher jeder gesagt hat, dass wir unmöglich ohne sie auskommen würden? Denen fehlt der Mumm in den Knochen, das ist es. Nach meiner Erfahrung lässt sich kein Experte so in die Irre führen wie ein Militärexperte. Anscheinend muss ich deren Arbeit auch noch erledigen. Ich erhalte nichts als Klagen über die Knappheit von allem Möglichen. Warum sind alle Eventualfonds verschwunden? Ich möchte, dass das untersucht wird.

Darf ich dich daran erinnern, Galeazzo, dass Hitler gegen diesen Krieg ist, weil Griechenland ein totalitärer Staat ist, der von Natur aus auf unserer Seite sein sollte. Also sag ihm nichts. Wir werden ihm zeigen, was ein Blitzkrieg ist, und er wird grün werden vor Neid. Und es kümmert mich nicht, wenn wir es mit den Briten zu tun kriegen. Die werden wir auch noch windelweich prügeln.

WERHATDIESEKATZEREINGELASSEN? SEITWANNGIBTESEINEPALASTKATZE? ISTDASDIEKATZE, DIEINMEINENHELMGESCHISSENHAT? DUWEISST, ICHKANNKATZENNICHTAUSSTEHEN. WASSOLLDASHEISSEN, ESSPARTMAUSEFALLEN? DUHASTMIRNICHTZUSAGEN, OBICHMEINENREVOLVERHIERDRINNENBENÜTZENKANNODERNICHT. GEHAUSDEMWEG, ODERDUKRIEGSTAUCHEINEKUGELAB. O Gott, mir ist schlecht. Ich bin ein sensibler Mensch, Galeazzo, ich habe ein künstlerisches Temperament, ich kann all dieses Blut und diese Schweinerei gar nicht sehen. Hol jemand, der das sauber macht, mir ist nicht gut. Was soll das heißen, sie ist noch nicht tot? Bring sie raus und dreh ihr den Kragen rum. NEIN, ICHWILLESNICHTSELBSTMACHEN. Glaubst du, ich bin ein Barbar oder so was? O Gott. Gib mir meinen Helm, schnell, ich brauch was, worein ich mich übergeben kann. Schaff den hier weg, und besorg mir einen neuen Helm. Ich werde mich jetzt hinlegen, es muss schon längst Zeit für die Siesta sein.

3Der starke Mann

Die unergründlichen Ziegen auf dem Berg Ainos stellten sich in den Wind und sogen im Morgengrauen die Meeresdünste auf, die in diesem trockenen, wilden und unwirtlichen Land das Wasser ersetzten. Ihr Hirte Alekos, der so wenig an menschliche Gesellschaft gewöhnt war, dass ihm sogar beim Selbstgespräch die Worte fehlten, regte sich unter seinen Felldecken, streckte die Hand vergewissernd nach dem Schaft seines Gewehrs aus und fiel wieder in Schlaf. Es blieb noch genug Zeit zum Wachsein, zum Verzehren eines mit Oregano bestreuten Brots und zum Zählen seiner Herde, um sie dann auf einen neuen Weidegrund zu treiben. Sein Leben war zeitlos, er hätte auch einer seiner Vorfahren sein können, und auch seine Ziegen würden sich so verhalten, wie kephalonische Ziegen es schon immer getan hatten; sie würden sich mittags an den steilen Nordhängen der Felsen vor der Sonne verstecken und schlafen, und am Abend waren ihre laut tönenden Glocken wohl noch auf Ithaka zu hören, von der stummen Luft hinübergeweht, und die Dorfbewohner in der Ferne mochten aufblicken und sich wundern, welche Herde in der Nähe vorbeizog. Alekos war ein Mann, der mit sechzig derselbe sein würde wie mit zwanzig, dünn und stark, von bewundernswerter Zähigkeit und Ausdauer, so wenig zur Sprunghaftigkeit fähig wie seine Ziegen.

Weit unter ihm stieg feiner Rauch kerzengerade in die Luft, weil es in einem Tal brannte. Es war unbewohnt, und die Macchia flammte ungehindert auf, nur von denen mit Sorge betrachtet, die fürchteten, dass Wind aufkommen könnte, der die Funken zu den wertvollen Flächen um ihre Behausungen, zu ihren Kräutern oder ihren winzigen steinigen Feldern tragen könnte, die von den im Lauf der Jahrhunderte aufgehäuften Felsbrocken umringt waren. Sie waren an passender Stelle zu Wällen zusammengetragen worden, die bei jeder Berührung wackelten, aber nur bei Erdbeben einfielen. Weil die Griechen die Farbe der Jungfräulichkeit liebten, waren viele Wälle weiß gestrichen, als genügte die blendende Helligkeit der Sonne noch nicht. Ein umherstreifender Patriot hatte auf die meisten in Türkis ENOSIS gemalt, und kein Kephallonier hatte sich veranlasst gesehen, ihre ursprüngliche Reinheit wiederherzustellen. Jeder Wall erinnerte sie wohl an ihre Zugehörigkeit zu einer Familie, die von den anomalen Grenzen uralter rivalisierender Reiche auseinandergerissen, von der aufrührerischen See in alle Winde zerstreut und Opfer einer Geschichte geworden war, die sie am Scheideweg der Welt angesiedelt hatte.

Nun brandeten neue Reiche an die Küsten der alten. Binnen Kurzem würde nicht mehr bloß ein Tal eingeäschert werden oder würden Eidechsen, Igel und Heuschrecken den Feuertod sterben, sondern Juden, Homosexuelle, Zigeuner und Geisteskranke würden verbrennen. Es würde so weit kommen, dass Guernica und Abessinien groß an den Himmeln Europas, Nordafrikas, Singapurs oder Koreas geschrieben standen. Die selbst ernannten Herrenrassen, berauscht von Darwin und nationalistischem Übermut, betört von Eugenik und verführt von Mythen, waren dabei, eine Völkermordmaschinerie in Gang zu setzen, die bald auf eine Welt losgelassen würde, die solche maßlose Dummheit und niederträchtige Eingebildetheit bereits herzlich leid war.

Doch Stärke erregt überall Bewunderung und verführt jeden, so auch Pelagia. Als sie von einer Nachbarin hörte, dass auf dem Dorfplatz ein starker Mann Wundertaten vollbrachte, die sogar eines Atlas würdig waren, stellte sie gleich den Besen in die Ecke, mit dem sie den Hof gefegt hatte, und eilte hinaus, um sich der neugierigen Schar der leicht zu Beeindruckenden anzuschließen, die beim Brunnen zusammengelaufen war.

Megalo Velisarios, auf allen Ionischen Inseln berühmt, mit Pluderhose und verschnörkelten Sandalen wie ein türkischer Spielmann gekleidet, laut eigener Aussage der stärkste Mann, der je auf der Welt gelebt hatte, das Haar so erstaunlich lang wie das des Nazareners oder gar Samsons, hüpfte zum Takt klatschender Hände auf einem Bein. Dabei trug er auf jedem verblüffenden Bizeps seiner ausgestreckten Arme einen erwachsenen Mann. Der eine klammerte sich eng an seinen Körper, der andere, versierter in der Kunst der Schaustellerei, rauchte in aller Gemütsruhe eine Zigarette. Zur Krönung des Ganzen saß auf Velisarios’ Kopf ein verängstigtes, etwa sechsjähriges Mädchen, das seine Hopserei noch dadurch erschwerte, dass sie ihre Hände fest auf seine Augen gedrückt hielt. »Lemoni!«, brüllte er. »Nimm die Hände von meinen Augen und halt dich an meinem Haar fest, sonst muss ich aufhören.«