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Kleiner Streuner, große Magie Der kleine Streunerkater Cosmo kann es kaum glauben: Er ist als Tiergefährte auserwählt worden und wird an die Zauberschule von Wickfield geschickt. Dort soll er ausgebildet werden, damit er später einem Zauberkind dienen kann. Doch irgendwie läuft alles schief: Beim Besenreiten wird ihm ständig übel, dann vermasselt er seine Prüfung in Kräuterschnüffelkunde und zu allem Übel wird er ausgerechnet dem tollpatschigen Zaubermädchen Aywa zugeteilt. Doch es kommt noch schlimmer: Cosmo stellt fest, dass er zaubern kann – was für Tiere streng verboten ist. Und das entgeht auch den dunklen Magiern nicht ...
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2023
Für Ruby und Julian, Taho & Miggel
5 4 3 2 1
eISBN 978-3-649-64671-6
© 2023 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG,
Hafenweg 30, 48155 Münster
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugweise
Text: Barbara Rosslow
Vermittelt durch Ulrike Schuldes
Illustrationen: Dorothee Mahnkopf
Lektorat: Anja Fislage
Satz: Sabine Conrad, Bad Nauheim
www.coppenrath.de
Die Print-Ausgabe erscheint unter der ISBN 978-3-649-64497-2
Prolog
Ein Straßenkater mit Höhenangst
Ein Tag zum Fürchten
Einbruch in die Zauberhutfabrik
Wenn eine zu spät kommt …
Das silberne F
Die Prüfung
Ein Trainingscamp für Tiere?
Hilfe, eine Bestie!
Silbereiche und Funkelgrotte
Schmunzelpulver
Kräuterschnüffeln leicht gemacht
Blauer Eisenhut
Flamingo oder Pegasus?
Das Besenflugtraining
Der Schattenwandler
Schwarze Magie!
Wer kommt zu wem?
Wilder Straßenkater und schusseliges Zaubermädchen
Wenn es schwarze Kater vom Himmel regnet
Das Kinderbesenrennen
Verfluchter Kater!
Wickfield in Gefahr
Wenn der Nebel flüstert …
Der Hüter des Munkelwaldes
Die Jenseitsbrücke
Die Kreischstimme
Der dunkle Hexenmeister
Die weiße Pfote
Alles muss geheim bleiben!
Epilog
Willst du ins Land der Zaubermagie?
Dann tritt nach links ins Nirgendwo,
danach beug dreimal dein rechtes Knie,
schon landest du im Anderswo:
Wickfield heißt dieser vergess’ne Ort.
Tauch ein in seine magische Welt,
Wo gesprochen wird manch Zauberwort
und ein Straßenkater wird zum Held’.
Es war kurz vor Mitternacht. Der Vollmond tauchte die Stadt Wickfield in fahles Licht. Keine einzige Wolke war am dunklen Himmel zu sehen. Nur kreischende Schatten flitzten auf ihren Besen über den Horizont und feierten ein Fest. Hexen, Zauberer und Magier! Es war ihre Nacht. Die letzte Nacht im Oktober.
Da erscholl aus dem Nichts ein ohrenbetäubender Donner, und aus dem Nirgendwo schoss ein Blitz heraus und schlug in die hohe Fichte ein. Direkt in den Hinterhof der alten Zauberhutfabrik, die am Rande der Stadt aufragte. Der Baum brannte lichterloh. Hastig flatterte eine silbergraue Eule davon in Richtung des Waldes.
Meister Frenos, der Zauberhutmacher, eilte erschrocken aus dem Nebengebäude in den Hof. Er hatte nur einen lila-blauen Schlafanzug an. Sein dicker Bauch quoll bleich unter der Pyjamajacke hervor und seine silbernen Haarsträhnen zeigten wirr in alle Richtungen. Der Rauch biss ihm in den Augen und kratzte ihm im Hals.
»Ihr jungen Spinner!«, krächzte er und mit geballten Fäusten fuchtelte er gegen den Himmel, »könnt ihr nicht anständig feiern? Fast hättet ihr meine Fabrik abgefackelt! Und wo bekämt ihr dann eure verdammten Hüte her, he?«
Dort, wo einst die alte Fichte gestanden hatte, züngelte jetzt nur ein kleines Feuerchen. So als hätte jemand ein Lagerfeuer hinter der Zauberhutfabrik angezündet.
Frenos schnippte mit den Fingern. Ein Eimer, randvoll mit Wasser, schwebte aus der Fabrik heran und löschte das Feuer.
Müde stapfte Frenos ins Nebenhaus zurück. Er wollte nur eines: schlafen.
Und so bemerkte er nicht, wie der Boden unter seinen Füßen immer noch bebte und es tief unten in der Erde brodelte.
Neve, die schneeweiße Straßenkatze, hatte keine Zeit, sich um solche Dinge zu kümmern. Sie war gerade sehr beschäftigt: denn genau in dem Moment, als der Blitz in die alte Fichte eingeschlagen war, hatte sie ein Kätzchen zur Welt gebracht. In der dunkelsten Ecke des Hinterhofs aus einer Mülltonne maunzte es jetzt unaufhörlich. Das Kätzchen tappte in einem Nest aus alten Stofffetzen herum. Es war im Gegensatz zu Neve pechschwarz – bis auf sein weißes Gesicht und die linke Vorderpfote, die ebenfalls weiß war. Noch blind suchte das nasse Fellbündel ihre Zitze und nuckelte hungrig seine erste Milch. Neve schnurrte. »Was für ein süßer Kerl du bist! Ich werde dich Cosmo nennen. Ja, kleiner schwarzer Kater Cosmo.«
Das Kätzchen streckte die weiße Vorderpfote nach Neve aus. Als die frisch gebackene Katzenmutter darüberleckte, schoss ein heller Funke aus dem Pfötchen und erhellte für einen kurzen Augenblick das Innere der Mülltonne mit seinem warmen Licht.
An diesem Septembermorgen nieselte Regen auf die Straßen von Wickfield und ein böiger Wind tanzte durch die feuchten Gassen.
Kater Cosmo bohrte die Krallen in den unteren Ast einer Blutbuche, die im Hinterhof der Zauberhutfabrik stand und ihr rotes Blätterdach trotzig in den grauen Himmel reckte. Sein Schwanz zuckte nervös hin und her und der Magen knurrte – so wie immer. Aber er hatte jetzt andere Sorgen. Einfach nicht nach unten schauen, dachte er und starrte mit seinen grünen Katzenaugen verbissen auf den Ast.
»Komm schon, Cosmo!«, miaute es ungeduldig über ihm. Es war Ebba, die struppige rote Straßenkatze, die leichtfüßig auf dem Geäst balancierte. Sie war nur einen Tag früher als er in einer der vielen Straßen von Wickfield geboren worden.
Seit zwei Monaten war Cosmo mit Ebba unterwegs. Zusammen gingen sie auf Mäusejagd und vertrieben andere Streunerkatzen von ihrem Schlafplatz. Bei einem dieser Straßenkämpfe hatte eine Katze Cosmos linkes Ohr zerfetzt.
»Eine Katze ohne Schrammen ist keine echte Straßenkatze«, sagte Ebba immer. Und Cosmo stimmte ihr zu. Er war sogar ziemlich stolz auf sein zerfetztes Ohr. Damit sah er nämlich ein bisschen gefährlich aus. Und das war ein Vorteil, wenn man auf der Straße lebte.
Aber bei einer Sache half sein zerfetztes Ohr leider kein bisschen: beim Klettern. Cosmo litt unter Höhenangst. Im Gegensatz zu Ebba, die soeben wie der Blitz die Blutbuche hochgeschossen war, weil sie einen Vogel entdeckt hatte.
»Nun mach schon, Cosmo«, rief Ebba zu ihm hinunter.
»Du brauchst keine Angst zu haben: Bis jetzt ist noch keine Katze vom Himmel gefallen!«
»Na ja, nicht vom Himmel«, bellte es von unten. Luise, die alte Hündin von Zauberhutmacher Frenos, hatte sich trotz Nieselregen aus ihrer Hundehütte gewagt. Rasselnd zog sie ihre Kette über das Kopfsteinpflaster des Hinterhofs, mit der sie an der Hütte festgebunden war. Die Kette war nun straff gespannt. »So einen tollpatschigen Kater habe ich noch nie gesehen«, schnaubte sie. »Da kann ich mit meinen Hundepfoten ja besser klettern!« »Köter können überhaupt nicht klettern!«, fauchte Cosmo wütend vom Baum. Für einen Moment blickte er hinab zur alten Hündin Luise. Das war ein Fehler. Denn jetzt passierte es: Seine Schwanzspitze zitterte und dann zuckte es in seinen Barthaaren. Sofort verlor er das Gleichgewicht und fiel vom Ast. Er landete auf dem glitschigen Kopfsteinpflaster. Zum Glück auf den Pfoten, wobei seine weiße Vorderpfote seltsam juckte – so wie immer, wenn er wieder mal irgendwo hinunterstürzte.
»Ich wusste es ja!«, knurrte die alte Luise höhnisch, »der Kater kann nicht klettern!«
Dann drehte sie sich um und trottete – ihre Hundekette hinterherschleifend – in ihre Hütte zurück.
»Hast du dir wehgetan?«, fragte Ebba und sprang in zwei Sätzen elegant vom Baum.
»Nein, das nicht«, murrte Cosmo, »aber …«
»Aber was?«, fragte Ebba.
»Warum kann ich nicht einen Baum hochklettern wie alle anderen Katzen?«, fragte er und warf ihr einen neidvollen Blick zu.
Vom Dach der Hutfabrik flatterte Ybor hinab, der Rabe des Zauberhutmachers Frenos. Er landete direkt neben Cosmo und Ebba. Der Kater machte ihm sofort Platz. Denn der Rabe war etwas Besonderes: Er war der persönliche Tiergefährte von Meister Frenos. Ein solcher Tiergefährte konnte zwar selbst nicht zaubern, denn über magische Kräfte verfügten nur die Menschen. Aber ein Tiergefährte war der treue Begleiter und Gehilfe seines Zaubermeisters und durfte damit als einziges Tier im Hause des Meisters leben.
Cosmo bewunderte den Raben dafür und wünschte sich insgeheim nichts sehnlicher, als dass er auch ein Tiergefährte werden könnte. Doch dass dies nur ein Wunschtraum bleiben würde, war Cosmo klar, denn er war ja nur ein einfacher Straßenkater!
»Cosmo«, krächzte der Rabe, »als du hinuntergefallen bist, hat da wieder deine weiße Pfote gejuckt?«
Cosmo nickte.
»Zuerst bringt mich dieses Zittern in der Schwanzspitze aus dem Gleichgewicht und beim Runterfallen juckt dann immer meine Vorderpfote. Das bringt mich jedes Mal durcheinander.«
»Vielleicht ist es nur die Angst vor dem Hinunterfallen. Das wird sicher besser, wenn du dir mehr vertraust«, sagte Ebba zuversichtlich.
Der Rabe blickte nachdenklich auf Cosmos weiße Pfote und murmelte: »Oder es ist was anderes …«
Cosmo wollte gerade nachfragen, was der Rabe damit gemeint hatte. Da brüllte es aus dem dunklen Gebäude der Zauberhutfabrik: »Yyyybooooor!« Und als wäre ein Windstoß durch die Fabrik gefahren, wurden ruckartig alle Fenster und Türen aufgestoßen: Zuerst donnerte die gusseiserne Tür gegen die rußige Backsteinwand, dass es nur so krachte. Dann schwangen scheppernd alle Fenster auf. Glas klirrte. Erschrocken sah Cosmo, wie ein Hut nach dem anderen aus dem Gebäude flog. Erst ein braun-orange geringelter Hexenhut, dann ein roter Zylinder, eine grüne Melone und zum Schluss eine Schar von samtig-schwarzen Spitzhüten. Keinen Atemzug später schwebten schillernde Seifenblasen in Violett und Gelb hinaus und zerplatzten im Regen mit einem Plopp. Kurz hing ein Duftgemisch aus herbem Rosmarin und süßer Vanille in der Luft.
»Verhext und verflucht!«, schrie es aus der Fabrik.
»Yyyyybooooor, wo ist das verdammte Buuuuuuuch?«
»Ihr müsst mich entschuldigen – der Meister …«, krächzte der Rabe. »Heute steht die magische Hutwäsche an. Er hat wohl wieder sein Zauberbuch verlegt.« Dann flatterte er eiligst zum offenen Dachfenster der Fabrik.
Cosmo starrte dem Raben hinterher. Der Nieselregen hatte sich verstärkt. Er spürte auf einmal, wie durchnässt sein Fell war. Von seinen Schnurrhaaren rannen kleine Rinnsale hinunter. Wie er das hasste! Vor Kälte plusterte er das Fell auf, doch es nützte nichts. »Ebba«, bibberte Cosmo, »lass uns in unsere Mülltonne gehen und unsere Futtersuche auf später verschieben.«
Ebba nickte und beide trippelten mit knurrendem Magen ins Trockene.
Zur gleichen Zeit, ungefähr eine Besenrittstunde von der Zauberhutfabrik entfernt, mitten in der Stadt von Wickfield, stand das Zaubermädchen Aywa in seiner Villa vor dem Fenster. Sie starrte in das trostlose Grau dieses Septembermorgens. Ihr Blick glitt über die pastellfarbenen Spitzdächer ihrer schicken Nachbarschaft. Sie wunderte sich, ob dieses scheußliche Wetter natürlich war oder ob eine Wetterhexe mit verbotener Magie die Hände im Spiel hatte. Verbeulter Hexenkessel und krummer Zauberzylinder!, fluchte Aywa in Gedanken. Es konnte doch nicht sein, dass es seit drei Tagen nur regnete!
Aywa schaute in den Nachbargarten, wo zwei Zaubergeschwister sich im Regen um einen Spitzhut stritten, bis deren Mutter sie ins Haus rief. Wie sie diese beiden beneidete! Sie hätte so gerne auch eine Schwester oder einen Bruder gehabt. Oder zumindest eine Freundin oder einen Freund. Dann wäre sie nicht immer so allein.
Genervt stülpte sie einen gelben Spitzhut über ihr schwarzes Kraushaar. Sogleich rutschte der Hut wieder hoch. Ihre Haare waren einfach zu widerspenstig.
Von unten hörte sie ihre Mutter rufen: »Aywa, beeil dich. Wir müssen los. Heute ist ein wichtiger Tag für dich.«
»Ich weiß!«, brüllte Aywa zurück und seufzte. Sie wusste genau, welcher Tag heute war – und sie freute sich kein bisschen darauf! Mehr noch, sie fürchtete ihn. Heute war die Aufnahmeprüfung für die Zauberschule der magischen Elemente für alle Kinder, die demnächst ihren elften Geburtstag feierten. Diese Schule nahm nur die begabtesten Zauberkinder auf. Was dort gelehrt wurde, blieb streng geheim. Niemand hatte sie je gefragt, ob sie überhaupt an diese Schule wollte. Ihre Mutter, die berühmte Lichtzauberin Enomis von Luz, hatte sie einfach angemeldet, denn sie hatte einst selbst diese Schule besucht. Magische Kräfte werden vererbt – sagten immer alle zu Aywa.
Aber leider nicht bei mir!, dachte Aywa grimmig.
»Aywa, komm JETZT runter!«, schrie es von unten. Aywa zuckte zusammen. Ihre Mutter musste richtig wütend sein, was eigentlich nie vorkam. Schließlich war die berühmte Zauberin nicht nur ein Mitglied im höchsten Zauberrat von Wickfield, sondern auch als Schutzbeauftragte gegen dunkle Magie tätig. Und dafür brauchte man Nerven aus Osium-Stahl. Das sagte Aywas Papa jedenfalls immer.
Aywa huschte zur Zimmertür und hielt inne. Sie wollte es jetzt noch ein einziges Mal probieren. Heute war ihre Prüfung und da musste sie die Alltagsmagie beherrschen. Konzentriert starrte sie auf die Tür und hob langsam beide Hände. Laut sprach sie: »Te aperi!«
Ihre Handflächen kribbelten. Die Tür schwang auf. Es hatte funktioniert! Aywa strahlte.
»Ich komme!«, rief sie und rannte in Richtung Zimmerausgang, doch in letzter Sekunde knallte die Tür wieder zu und prallte ihr gegen die Nase.
»Au! Verdammter Teufelsbraten und verfluchter Hexenkuchen!«, fluchte sie.
Schluchzend riss Aywa die Tür auf und stürzte polternd die geschwungene Marmortreppe hinunter.
Unten in der hellen Eingangshalle empfing sie ihre Mutter. Sie hatte die gleichen schiefergrauen Augen wie Aywa. Wie immer war ihre hochgewachsene Mutter elegant in Hellgelb gekleidet. Die roten Haare hatte sie aufwendig aufgetürmt. Auf ihre linke Schulter flatterte ein braun-weißer Greifvogel. Es war der Falke Trux.
Aywa seufzte. Es gab einen wichtigen Grund, warum sie heute diese Prüfung unbedingt schaffen wollte: Nur dann bekäme sie ein Tier als treuen Gehilfen, einen sogenannten Tiergefährten, wie der Falke Trux einer war. Diese treuen, lebenslangen Begleiter waren ausschließlich den Schülerinnen und Schülern der Zauberschule der magischen Elemente vorbehalten. So war die Regel.
»Aywa, Liebes, deine Nase ist rot! Hast du dir wehgetan?«, fragte ihre Mutter und nahm sie in die Arme. Der Falke Trux krächzte: »Meisterin, soll ich zum Salbeholen hinunter ins Kräuterlabor von Meister Obaxa fliegen?« »Ach, es geht schon wieder«, schniefte Aywa und versuchte den hochgerutschten gelben Spitzhut wieder über ihren Wuschelkopf zu ziehen.
Doch ihre Mutter wandte sich an ihren Falken: »Gerne, Trux. Aber beeil dich und sag ihm, wir brauchen etwas gegen eine Prellung.«
Trux flatterte durch die Eingangshalle in Richtung Kellertreppe.
Ihre Mutter betrachtete Aywas Nase. »Das nächste Mal musst du dich beim Zaubern einfach mehr konzentrieren und unbedingt weniger fluchen. Dann klappt es bestimmt.« Sie lächelte zuversichtlich. »Es ist reine Übungssache.«
Aywa schaute genervt weg. Wie oft hatte sie diese Sätze von ihrer Mutter gehört: konzentrieren und nicht fluchen. Wenn es doch nur so einfach wäre … Sie hoffte inständig, dass es heute bei der Prüfung zumindest einmal funktionieren würde. Denn bisher war bei ihr beim Zaubern immer etwas schiefgelaufen.
Leichte Schritte hallten. Dann kam Trux in die Eingangshalle geflattert, gefolgt von einem spindeldürren, kleinen Mann. Es war Aywas Vater, der Kräuteroberhexer Obaxa. Sein Kraushaar umringte seinen Kopf wie eine riesige Wolke. Strahlend nahm er ein kleines Fläschchen aus seinem wild gemusterten Gewand. »Aywa, mein Zauberfunke, hast du dir wehgetan?«, fragte er mit tiefer Stimme.
Dann zog er mit einem Plopp den Korken aus dem Fläschchen und träufelte drei blumig duftende Tröpfchen auf seinen Finger. »Deine Nase bekommt jetzt einen Tupfer Arnika-Calendula-Öl, verfeinert mit einer Prise Mondscheinzauber. Und im Nu ist alles wieder gut.« Und genauso war es. Immer wenn Aywa Arznei aus dem Kräuterlabor ihres Vaters bekam, dauerte es nur einen Augenblick, bis ihre Verletzung wieder geheilt war.
»Danke, Papa«, sagte sie.
Er lächelte. »Und jetzt husch, ihr beiden. Sonst kommt Aywa zu spät.«
Ihre Mutter nickte. »Wir müssen los!«, sagte sie und setzte sich einen hellgelben Spitzhut auf. Auf dem Hut leuchtete ein silbernes Emblem. Darauf waren kunstvoll zwei geöffnete Hände eingraviert, die in der Mitte eine schillernde Kugel hielten – das Ehrenabzeichen für die Mitglieder im hohen Zauberrat von Wickfield.
Die große Zauberin schnippte mit dem Finger. Knarzend öffnete sich die schwere Eichentür in der Eingangshalle.
Kühler Wind wehte herein. Er brachte Nieselregen und einen modrigen Straßengeruch mit. Der Falke Trux flatterte zurück auf die Schulter der Zauberin. Als Aywas Mutter den Zeigefinger hob, schwebte eine hellgelbe geflügelte Kutsche lautlos heran. Sie hielt vor der Tür.
»Einsteigen«, sagte ihre Mutter.
Aywa schluckte und presste die Hände zusammen. Sie wusste: Der Tag, vor dem sie sich seit Monaten am meisten fürchtete, hatte begonnen.
Cosmo spähte aus der Mülltonne. Der Regen hatte endlich aufgehört. Er musste eingeschlafen sein, während Ebba ohne ihn auf Futtersuche gegangen war. Wie lange sie wohl schon weg war? Sein Magen knurrte so sehr, dass es schmerzte. Er musste dringend etwas essen.
Da – ein Tapsen! Alarmiert stellte er die Ohren auf, duckte sich und fuhr die Krallen aus. Bereit zum Angriff.
»Cosmo?«, miaute eine bekannte Stimme.
»Ebba!« Erleichtert sprang er aus der Tonne.
»Wie siehst du denn aus?«, mauzte das struppige Katzenmädchen. »Hast du etwa Angst vor mir?«
»Angst nicht! Bin nur vorsichtig«, murrte Cosmo und fuhr gereizt fort: »Es gibt viele Streunerkatzen hier, die auch gerne so ein schönes, trockenes Plätzchen hätten. Das weißt du genau.«
Ebba sagte nichts. Sie sah auf einmal erschöpft aus und irgendwie noch dünner als sonst.
»Hast du was zum Fressen gefunden?«, wollte er wissen.
»Nein, leider nicht«, antwortete sie. »Weder Mäuse noch Ratten sind bei diesem Wetter unterwegs.« Sie seufzte.
»Und die Mülltonnen beim Wirtshaus?«, fragte Cosmo hoffnungsvoll.
»Sind alle leer. Die fliegenden Müllkutschen haben heute alles abgeholt.«
»Verdammt!«, ärgerte er sich.
Warum mussten die Wickfielder ihren Abfall immer so schnell wegräumen? Er hätte sich über jede angebissene Brotrinde oder weggeworfene Fischgräte gefreut! Bei diesem Gedanken verkrampfte sich sein Magen erneut vor Hunger.
»Heiliger Mäusedreck! Ich muss jetzt was zu fressen finden. Koste es, was es wolle!«
»Ich komme mit, Straßenbruder«, miaute Ebba.
Beide trippelten über den Hof. Als sie an der Hundehütte vorbeikamen, öffnete die alte Hündin Luise die Augen. Langsam hob sie den Kopf. »Na«, knurrte sie, »was führt ihr zwei im Schilde?«
Die beiden Katzenkinder würdigten die Hündin keines Blickes. Sie stolzierten mit erhobenem Haupt weiter – in sicherem Abstand zur Reichweite der Kette.
Wütend bellte Luise ihnen hinterher: »Ihr nutzlosen Streuner! Sucht Futter und findet nichts, was?!«
Cosmo kochte vor Wut. Was bildete sich diese Hündin nur ein? Sie, die ihren Fraß jeden Morgen und Abend in ihren Futternapf bekam! Er drehte sich um und fauchte: »Du alte Hündin! Was weißt du denn schon? Der Meister stellt dir jeden Tag dein Fressen hin. Aber seine Gefangene bist du trotzdem und in sein trockenes Haus lässt er dich auch nicht!«
Luise fletschte die gelben Zähne und knurrte: »Du frecher Kater! Hinein ins Haus des Meisters darf kein Tier – außer dem Raben. Das weißt du genau!« Cosmo ging einige Schritte auf die Hündin zu.
»Pass auf, Cosmo!«, warnte Ebba.
Sofort preschte Luise auf den Kater los. Die Kette der Hündin war nun gestrafft. Ihre Vorderbeine rannten immer noch in der Luft weiter. Cosmo reckte den Kopf so nah zu der fletschenden Hundeschnauze, dass er ihren stinkenden, warmen Atem riechen konnte. Angeekelt verzog er die Schnauze und sagte: »Im Gegensatz zu dir, Hundchen, sind wir Katzen frei und keine Gefangenen. Wir können überallhin – und auch überall hinein.« Dann verzog Cosmo den Mund, sodass seine spitzen Eckzähne hervorblitzten. Er raunte der Hündin ins Ohr: »Und jetzt brechen wir in die Zauberhutfabrik ein und schnappen uns dein Hundefutter!«
Luise bellte wie verrückt. »Das wagst du nie! Das wagst du nie!«
Cosmo rannte davon. Ebba folgte ihm.
»Cosmo«, sagte das rote Katzenmädchen außer Atem, als sie stehen blieben. »Das war nicht dein Ernst. Du wolltest die alte Luise nur ärgern, oder?«
»Ebba, überleg doch mal«, sagte er eindringlich. »Die Mülltonnen sind leer. Keine Mäuse sind unterwegs. Wir beide müssen dringend was fressen. In der Zauberhutfabrik finden wir vielleicht etwas – und wenn es nur Hundefutter ist.«
Ebbas Fell sträubte sich. »Aber Cosmo, das ist verrückt – und außerdem strengstens verboten! Was, wenn uns der Meister entdeckt und in Kröten verzaubert?«
Cosmo blickte die dunkle Backsteinmauer der Zauberhutfabrik hoch. Er wusste, Ebba hatte recht. Und er erinnerte sich genau an die Worte seiner Mutter, die sie ihm damals im Nest eingebläut hatte: ›Wir Straßenkatzen sind frei und können überallhin. Aber wir betreten niemals uneingeladen das Haus eines Meisters. Nur die Tiergefährten dürfen dort wohnen. Die Zauberer mögen uns Straßentiere nicht. Merk dir das!‹
»Heiliger Mäusedreck!«, murrte Cosmo. »Dann sind wir eben die ersten Straßenkatzen, die in die Zauberhutfabrik eindringen. Sobald wir etwas zum Fressen gefunden haben, schleichen wir uns wieder hinaus, damit keiner was merkt.«
»Und wenn der Meister uns erwischt?« Ebbas Schwanz zuckte nervös.
»Er wird uns nicht erwischen!«, miaute Cosmo etwas zu laut, als wollte er sich selbst überzeugen.
Ebba fixierte ihn mit halb geschlossenen Augen. »In Ordnung, lass uns gehen.«
Cosmo schlich an der rußigen Mauer der Fabrik entlang, dicht gefolgt von Ebba. Von drinnen hörte er mechanische Geräusche und ein melodisches Summen, aber keine Raben- oder Menschenstimmen. Ein gutes Zeichen.
Wahrscheinlich war Meister Frenos mit seinen Zauberhüten ins Stadtzentrum zum Markt geflogen.
»Cosmo«, riss ihn Ebba aus den Gedanken. »Schau mal nach oben. Ich glaube, da steht ein Fenster offen.«
Cosmos Blick wanderte die Mauer hoch. Tatsächlich, das Fenster war ein bisschen geöffnet.
Das war ihre Gelegenheit!
Schon sprang Ebba mit einem Satz auf die Fensterbank.
»Siehst du was?«, miaute Cosmo ungeduldig von unten.
»Ich glaub, da drin ist keiner. Aber ich kann’s nicht richtig sehen,« maunzte sie leise.
Cosmo versuchte, zu ihr hochzuspringen, rutschte aber mit den Pfoten ab.
»Ich nehme mal richtig Anlauf«, murrte er.
»Geht klar«, antwortete sie.
Und dann prallte er von hinten auf sie drauf und mit einem Rumms knallten beide zusammen in die Zauberhutfabrik.
Aywa schaute aus der Kutsche. Seit sie das Villenviertel verlassen hatten, nahm der Flugverkehr stetig zu. Aber statt mit Kutschen waren die meisten Leute hier mit ihren Besen unterwegs. Ihr Blick glitt nach unten, über die düsteren Backsteinhäuser, die so ganz anders aussahen als die herausgeputzten Villen mit ihren bunten Türmchen in ihrem Stadtquartier. Der faulige Geruch der engen Gassen drang bis zu ihr hinauf. Ein mulmiges Gefühl schlich sich in ihren Magen. Zumindest hatte der Regen aufgehört. Ob das ein gutes Zeichen für die Prüfung war?
»Alles in Ordnung, Aywa?« Der Falke Trux, der auf der Schulter ihrer Mutter saß, musterte sie aufmerksam.
Aywa nickte.
»Wir sind da«, rief ihre Mutter, hob die Hand und sprach: »Descende hic in ea platea!«
Sofort landete die geflügelte Kutsche sanft, inmitten der Stadt, auf einem quadratischen Platz.