Costa-Blanca-Connection - Christel Görres-Strohmeier - E-Book

Costa-Blanca-Connection E-Book

Christel Görres-Strohmeier

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Beschreibung

Eine zweifellos rasante Kriminalkomödie mit durchaus sozialkritischem Hintergrund. Es agieren auf bizarre Weise eine ins Alter kommende aber nach Jungbrunnen gierende Juwelierin sowie Kleinganoven und Mafiosibanden, die sich – das vereinigte Europa macht es möglich – zwischen der spanischen Costa Blanca und dem beschaulichen Münchener Englischen Garten eine furiose Diamantenjagd liefern. Das Buch quillt über von skurrilen Charakteren, tragisch-komischen Verwicklungen und grotesken Situationen, in die alle mit vielen menschlichen Schwächen behaftete Protagonisten immer wieder geraten. Die Autorin, die selbst auf der Iberischen Halbinsel lebt, zeichnet mit der unerschöpflichen Kraft des burlesken Humors, der subtilen Ironie und der satirischen Übertreibung ein urkomisches Sittengemälde der spanischen und deutschen Mentalitäten.

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Seitenzahl: 397

Veröffentlichungsjahr: 2011

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für Udo

Inhaltsverzeichnis

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Eins

Die spanische Sonne brannte auf die malerisch gelegene maurische Burg von Dénia. Ihre majestätisch erhabene Lage über Hafen und Stadt schien Zeugnis einer bewegten Vergangenheit abzulegen, in der Römer, Mauren und Christen über Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen hatten. Mit ihrem mediterranen Flair und der weitverzweigten Hafenanlage, die im Süden von der Bergkette des Montgó und im Osten von langen weißen Sandstränden eingerahmt war, wirkte die lebendige Stadt während der mittäglichen Siesta wie ausgestorben.

Erdmute Mooshuber, geborene Hintenlang, öffnete die oberen Knöpfe ihrer eleganten, bajuwarisch blau-weiß gestreiften Seidenbluse mit der linken Hand, wobei sie krampfhaft mit der rechten das Fernglas vor ihr schweißüberströmtes Gesicht hielt. Seit einer geschlagenen Stunde wartete sie in der brütend-windstillen Hitze auf den spanischen Fischtrawler, den man ihr – von der Insel Ibiza kommend – für 11.00 Uhr angekündigt hatte. Von einem der knapp 2 000 Liegeplätze, auf dem ihre flotte Motoryacht ankerte, konnte sie die Einfahrt des Hafens von Dénia gut überblicken, in die gerade die große Fähre der Baleária-Line einlief. Langsam, dumpfe Warnsignale von sich gebend, manövrierte sie an einer prächtigen Ketsch vorbei – einem Zweimaster von mindestens 15 m Länge und über 80 qm Segel am Wind –, die soeben den Hafen des spanischen Festlandes Richtung Mallorca verließ.

Plötzlich entdeckte sie die winzige Nussschale, die hinter dem riesigen Fährschiff auftauchte und heftig in dessen Bugwelle schaukelte. An Deck erblickte sie einen Mast, ein kleines Ruderhaus sowie mehrere Luken, die in den Miniladeraum hinunterführten; und dann vernahm sie das leise Tuckern des Dieselmotors. Sie drehte am Binokular des Feldstechers, um die Schärfe zu regulieren. Jetzt konnte sie den Namen der Rostlaube ausmachen, die anscheinend nur noch von Farbe zusammengehalten wurde. Temperamento entzifferte sie mühsam die verwaschenen Lettern am Heck des Trawlers. Was an diesem Kahn allerdings temperamentvoll sein sollte, dachte sie herablassend, indem sie liebevoll mit ihren sorgfältig manikürten und grellrot lackierten Fingernägeln über das glänzende Teakholz des Cruisers strich, wusste außer dem Eigner wohl niemand. Aber wie auch immer, ihr sollte das vollkommen gleichgültig sein. Sobald sie die glitzernden Juwelen in ihrem Besitz hegte, konnte sie sich endlich in der Kühle ihrer Villa am Fuße des Berges Montgó, oberhalb Javeas, im Schatten der überdachten Luxusterrasse bei einem geeisten Daiquiri ausruhen. »Viktor!«, rief sie und stieß kräftig mit dem Fernglas gegen den muskulösen Oberarm ihres vor sich hindösenden, jugendlichen Liebhabers.

Erschrocken ließ Viktor seinen erhitzten, 1,98 m großen, sonnengebräunten Astralkörper von der Waagerechten in die Senkrechte emporschnellen. »Muschilein«, greinte er weinerlich, »du sollst mich nicht immer so erschrecken.« Leicht taumelnd hielt er sich am Ankerspill der Yacht fest und berührte ungewollt den Sicherungsbolzen der Ankerkette. Im gleichen Augenblick, da die Kette mit lautem Getöse dem Grund des Hafenbeckens entgegenrasselte, schlug die Winde des Spills gegen den Musikknochen seines linken Armes. Vor Schmerz stieß er unflätige Schimpfworte gegen das gleißende Blau des Costa-Blanca-Himmels, schaute mit kreideweißem Gesicht auf seinen blutenden Ellenbogen, würgte ein »Muschilein, mir ist ja so schlecht!« zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und bereicherte – eine volle Breitseite von sich gebend – Muschileins glänzende Planken ihres teakholzverkleideten, sündhaft teuren Cruisers.

»Du ungeschickter, bayrischer Riesenknödel!«, tobte Erdmute mit hochrotem Kopf. »Mach die Yacht wieder klar! Wenn ich gleich zurückkomme, will ich sofort auslaufen!«

Die weiße Farbe im Gesicht des bayrischen Riesenknödels war dem zarten Lindgrün eines Granny-Smith-Apfels gewichen, als er sich mit spitzen Fingern bemühte, das Ergebnis seines erbrochenen Mageninhaltes über die Reling zu werfen.

»Mein Gott!«, stöhnte Erdmute angeekelt, um dann völlig entfesselt zu brüllen, »du bist aber auch zu nichts anderem zu gebrauchen, als zum bums...« Sie unterbrach ihre wortgewaltige Schimpfkanonade, weil vom Schwarz-Rot-Gold beflaggten Nachbarschiff ein untersetzter Endfünfziger entgeistert zu ihr herüberblickte, um sich unvermittelt wieder von ihr ab- und der Takelage seiner Brigg zuzuwenden.

»Sehr heiß, selbst für spanische Verhältnisse, finden sie nicht?«, säuselte Erdmute hinüber, indem sie den Inhalt ihrer Körbchengröße 90 D nach vorne straffte und mit gespreizten Fingern versuchte, ihre aufgelöste, platinblond gefärbte Frisur in Form zu zupfen.

»Ja, dat is rischtisch«, erwiderte der Vierschrötige zögerlich in perfektem Hochdeutsch mit Kölschen Knubbeln, wobei sein schwarzbehaarter Bauch über die Bundkante eines knappsitzenden Tangas wabbelte. »Wir kommen nämlisch jerade von der Nordküste Afrikas und jlauben Se mir, in Marokko zeischte dat Quecksilber vor drei Tagen noch fuffzisch Jrad an. Deshalb sin wir auch wieder nach Dénia zurückjekehrt, um in unserer baracca modesta ein kühles Plätzjen zu finden.«

Bei diesen Worten – Erdmute übersetzte gedanklich blitzschnell: bescheidene Baracke – zuckte sie ein wenig zusammen. Jedoch beim Anblick der pompösen Zweimaster-Brigg war ihr klar, dass es sich nur um ein absichtliches Understatement handeln konnte. »Wir haben unser bescheidenes Bretterbüdchen«, konterte sie, albern kichernd, »gleich nebenan in Javea aufgestellt. Heute, am späten Abend, veranstalten wir ein winziges Barbecuechen. Möchten Sie nicht daran teilnehmen?«

»Dat is wirklisch freundlisch«, entgegnete der behaarte Wabbelbauch, während er mit abschätzenden Blicken den Wert der exquisiten Motoryacht taxierte. »Isch werde jleich meine media naranja fragen, ob se damit einverstanden is. Müsje«, gurrte er die Kajütentreppe hinunter.

Einen Augenblick herrschte Stille. Und dann kam das zwanzig Jahre jüngere Mäuschen, die halbe Apfelsine: die bessere Hälfte des Untersetzten, in Gestalt einer 1,90 m großen, mit beachtlichen Bizeps ausgestatteten, in schwarzes Nappaleder gezwängten Walküre die Treppe heraufgestapft. Devot hinter ihr herhechelnd zwei schwarz-weiß gefleckte Deutsche Doggen, die die Größe und das Aussehen von Kälbern hatten.

Mäuschens schwarze Hotpants lagen knapp an den durchtrainierten, braungebrannten Oberschenkeln. Das viel zu enge, vorn geschnürte Mieder presste die immensen Brüste – die bei jeder Bewegung aus dem Ausschnitt zu hüpfen drohten – gegen den muskelbepackten Hals. Die karottenrote, kurze Fransenfrisur hatte sich farblich der sonnenverbrannten, kräftig gebogenen Hakennase angepasst. Ihre dunklen Augen, die unter buschig-schwarzen Augenbrauen zu Schlitzen zusammengekniffen waren, bekamen einen stechenden Ausdruck, als sie stakkatoartig bellte: »Was ... willst ... du?!«

Beim Klang ihrer scharfen Stimme setzten sich die Doggen wie auf Kommando vor den Tangaträger und knurrten ihn warnend an.

Unterwürfig, geradezu ängstlich zum Karottenkopf hinaufschauend, schnurrte der Angeknurrte: »Kleines, können wir heute Abend nit in Javea auf e‘ner Fiesta tanzen? Die nette Frau auf der schicken Jacht nebenan hat uns einjeladen.«

Ruckartig drehte die Walküre den Kopf in Richtung Cruiser, ohne Erdmute auch nur eines Blickes zu würdigen. Mit Daumen- und Zeigefinger packte sie zwischen die prallen Arschbacken des sie anhimmelnden Bittstellers, zog den Tangastring hervor und ließ ihn laut zischend in die vorherige Position zurückschnellen. »Hast du das auch verdient, Bürschchen?!«, donnerte sie, streng und gebieterisch auf ihn herabblickend.

Das dumpfe Grollen der gefleckten Zwillingskälber klang noch bösartiger.

»Aber sischer dat!«, beeilte sich das Bürschchen zu nicken und legte einschmeichelnd seinen Kopf an Mäuschens wogende Brust.

Erdmute schaute fasziniert der sich ihr darbietenden Szene auf dem Nachbarschiff zu. Selbst Viktors grüner Granny-Smith-Teint hatte inzwischen roten Apfelbäckchen Platz gemacht. Gebannt starrte er auf die aus dem Mieder hervorquellenden Riesentitten der schwarz gelederten Domina.

»Viktor!« Erdmute war der lüsterne Blick ihres jungen Liebhabers nicht entgangen. »Gib unseren Gästen meine Visitenkarte und erkläre ihnen, wie sie meine Villa in Javea erreichen. Ich bitte vielmals um Entschuldigung: aber ich muss schnellstens einer wichtigen, unaufschiebbaren geschäftlichen Verabredung nachkommen.« Sie klemmte eine große Handtasche unter den Arm, kletterte – majestätisch mit einer Hand zur Brigg hinüberwinkend – über die Reling ihrer Yacht auf die Kaimauer und eilte zu der im Anlegemanöver befindlichen Temperamento.

Vom Deck des Fischtrawlers stieg leichtfüßig ein zierlicher, 1,75 m großer und gut gebauter junger Mann mit halblangem, brünett-lockigem Haar auf die Hafenmole. Mit weibisch-gezierten Bewegungen versuchte er, das schmutzige, nach Fisch stinkende Tau am Poller des Anlegeplatzes zu befestigen.

»Mein Name ist Mooshuber ...«, begann Erdmute mit nörgelnder Stimme. In ihrem verschwitzten Gesicht hatte sich die dick aufgetragene blaue Wimperntusche mit dem tiefen Schwarz ihres Kajalstifts vereint, um – durch die sonnengegerbten Falten ziehend – eine zwar neuartige, aber durchaus interessante Landkarte zu zeichnen.

»Stöppchen, Schwester!«, fiel ihr der gut Gebaute abrupt ins Wort, indem er mit dem rechten Patschhändchen eine sanfte Stopp-Bewegung andeutete, sich auf dem Absatz umdrehte, eine trichterförmige Hand bildete und laut in Richtung Ruderhaus rief: »Hallöchen, Baldi! Die Juwelenjule ist da!«

Erdmute Mooshuber, geborene Hintenlang, verschlug es die Worte. Die vor Entrüstung in der Sprachbewegung steckengebliebenen, rundgeformten Lippen verliehen ihr das Aussehen eines nach Luft schnappenden Karpfens, der auf dem Trockenen gelandet war.

Baldi trat aus dem Ruderhaus und insistierte: »Sie sind Frau Mooshuber!?« Er entschärfte die Situation, indem er galant eine schmierige Schlägerkappe undefinierbarer Farbe vom schwarzlockigen Kopf zog, eine tiefe Verbeugung machte, sich zum Zierlichen umdrehte und schelmisch lachend mit dem Zeigefinger mahnte. »So spricht man aber nicht mit einer älteren Dame, Gottlieb!«

Der Ermahnte wandte sich mit einem beleidigten »Du kannst mich mal!« von Baldi nebst der älteren Dame ab und versuchte murrend, den Fischkutter endgültig am Kai zu befestigen. Jedoch die eben erlittene Schmach, in aller Öffentlichkeit vor dem von ihm verachteten Weibervolk bloßgestellt worden zu sein, machte Gottlieb so zornig, dass er unbeherrscht gegen den blankgescheuerten Eisenpoller trat. Laut quietschend und vor Schmerz auf dem gesunden Bein hüpfend, bemühte er sich, das Tau straff um den Anlegepfosten zu ziehen, was jedoch aussichtslos war. Plötzlich glitt das gespannte Seil – eine brennende Furche ziehend – durch seine Finger, schnellte im hohen Bogen gegen Baldis Hinterteil, schlingerte zurück auf den Kai und schlug Erdmute so hart gegen die Waden, dass es ihr die Beine wegriss.

Während die drei Protagonisten sich damit beschäftigten, ihre lädierten Körperteile zu bejammern, verfolgte Baldi aus den Augenwinkeln, wie der Trawler – seiner Halterung beraubt – katapultartig seitwärts krängte und den linken Ausleger eines fest verankerten Katamarans rammte. Jählings wurde er zu Boden geschleudert und unter der langsam in sich zusammenbrechenden Besegelung des Doppelrumpfbootes, die auf den Trawler fiel, begraben.

Augenblicklich vergaß Gottlieb seinen gepeinigten Fuß, jumpte vom Kai auf den unbeschädigten Ausleger, balancierte über die Reling des Fischkutters, sprang auf die von der Takelage bedeckten Planken und suchte in hektischer Betriebsamkeit unter dem zerfetzten Segeltuch nach seinem Lebenspartner. »Ich krieg’ ‘nen Pickel! Oh mein Gott: wenn ihm was passiert ist, krieg’ ich ‘nen Pickel!«, murmelte er. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf den großen Riss im dreieckigen Vorwindsegel, durch den sich Baldis schwarzer Haarschopf langsam empor schraubte. Erleichtert stieß er den angehaltenen Atem aus. Vorsichtig befreite er den Freund vom zerrissenen Spinnaker, half ihm auf die wackeligen Beine, setzte ihm die Kappe auf und betitelte die vor ihnen ausgebreitete Katastrophe lakonisch mit: »Das sieht alles total Scheiße aus!«

Dies war zwar derb und typisch deutsch ausgedrückt, beschrieb aber überaus treffend den Zustand der beschädigten Schiffe.

»Musst du jedes Mal dieses vulgäre Wort benutzen?« Brummend befühlte Baldi mit der rechten Hand ein rot-heiß anlaufendes Horn an der Stirn, rieb mit der linken seine schmerzende Kehrseite und stöhnte zum Gotterbarmen.

Als der zierliche Gottlieb sich eingeschnappt abwenden wollte, lenkte Baldi ein. »Wir sollten uns zusammenreißen«, besänftigte er sein Pendant. »Die Leute schauen zu uns rüber. Fehlt noch, dass gleich der Hafenmeister erscheint. Wir müssen die Juwelen loswerden und dann die Havarie beim Hafenamt melden.«

»Hättest du mich nicht vor dieser Mooshuber bloßgestellt, wäre nichts passiert. Du weißt genau, wie sensibel ich bin.«

»Hast ja recht! Wird nicht mehr vorkommen! Großes Ehrenwort!«, schwor Baldi, indem er drei heiße Finger zur Abkühlung in den Wind hielt. »Ich habe eine hervorragende Idee, wie wir der Mooshuber die Schlappe heimzahlen können.«

»Treu nach meinem Motto: lieber gemeinsam gemein sein, als einsam ganz allein sein«, grinste der sensible Gottlieb diabolisch zurück.

Erdmute war von einer Menschenmenge umringt, da sie den Spanier – der ihr auf die Beine half – lauthals einen Dieb schimpfte, weil er ihre prallgefüllte Tasche vom Boden aufhob. Zum Glück verstand der höfliche Iberer kein Deutsch. Mit einem erstaunten Achselzucken wandte er sich von ihr ab und tippte vielsagend an seine Stirn, als sie ihm erzürnt die Geldtasche aus der Hand riss.

Baldi zurrte mit Gottliebs Hilfe die Temperamento fest. Er drängte sich durch die Menschenmenge, packte die keifende Deutsche am Handgelenk und zog sie hinter sich her. »Frau Mooshuber«, zischelte er und schüttelte energisch ihre Hand. »Reißen Sie sich zusammen! Oder wollen Sie die Hafenpolizei auf uns aufmerksam machen?« Verstohlen blickte er sich unter seiner Schlägerkappe nach allen Seiten um. »Außer dem Schmuck, dessen Preis Sie mit unserem Big-Boss Boris ausgehandelt haben, kann ich Ihnen noch ein Säckchen mit Diamanten anbieten. Natürlich geht das Geschäft diskret am großen Chef vorbei und muss unter uns bleiben.« Er blickte sich furchtsam um und dann brüsk in Erdmutes Augen. »Oder haben Sie kein Interesse an Diamanten?«

Schlagartig beruhigte sich die Erregte. Da sie ein gutes Geschäft witterte, ließ sie sich folgsam von Baldi auf das Deck des Trawlers helfen.

»Gottlieb, beobachte den Kai! Wenn du etwas Auffälliges siehst, gib postwendend Bescheid!«, wies Baldi seinen Freund an und ging mit Erdmute in das stickige, nach Fisch stinkende Ruderhaus. »Ich hoffe, Sie haben genügend Moos dabei, Frau Mooshuber.« Seine Mundwinkel zeigten vergnügt nach oben, als er unter einen wackligen Tisch kroch und drei lose Planken von den Bohlen löste. Aus der Vertiefung hob er zwei Seehechte, die einen tranigen Geruch verbreiteten, als er die Folie von den Fischen entfernte.

Erdmute nahm weder die Hitze noch den bestialischen Gestank der vergammelten Meeresfrüchte wahr. Gierig griff sie in den geöffneten Bauchraum der Kadaver und zog drei Plastiksäcke heraus. In den ersten beiden befanden sich hervorragend gearbeitete, wertvolle Halsketten und Armbänder sowie vier Rolex-Uhren. Als das kleinere Säckchen geöffnet vor ihr lag, langte sie mit zitternden Fingern in die Handtasche und entnahm ihr eine Lupe. Nach eingehender Betrachtung stand für sie fest, dass es sich um ein Lot geschliffener, lupenreiner Diamanten der Farbe D, River, hochfein handelte. Ihr Gehirn arbeitete fieberhaft. Inbrünstig hoffte sie, dass der deutsche Dussel nichts von Diamanten verstand und stellte ihn mit der nächsten Frage auf den Prüfstand. »Nun ja«, begann sie mit mäßigem Interesse. »Die Diamanten haben viele sichtbare Einschlüsse und der Schliff der Facetten lässt sie bei weitem nicht das größtmögliche Licht reflektieren. Ich will nicht sagen, dass der Schliff stümperhaft ist, aber ...« Sie machte eine bedeutsame Pause, nahm einen der Steine in die Hand, hielt ihn ins Licht und schaute ihrem Gegenüber dabei von unten listig ins Gesicht.

»Gute Frau«, antwortete Baldi, »ich verstehe nicht viel von solchen Klunkern. Sollte ich aber herausbekommen, dass Sie mich über den Tisch ziehen, dann werde ich Sie in München persönlich besuchen oder dem Big-Boss einen Hinweis auf Ihre Nebengeschäfte geben. Sie können sich vorstellen, wie die Ostblock-Mafia reagieren wird.«

Erdmute fuhr zusammen. »Zu Geschäften gehören mindestens zwei Parteien!«, drohte sie mit blitzenden Augen und kritzelte rasch Zahlen auf einen Zettel, um ihn unter die Hand des Kontrahenten zu schieben.

Eingehend betrachtete Baldi die Ziffern. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen entsprach die aufgeschriebene Summe keineswegs seiner Vorstellung. »Ich hatte mir zwanzig Riesen mehr vorgestellt«, bemerkte er lauernd.

»Gut! Ich lege zehntausend Euro auf meinen vorgeschlagenen Preis drauf, aber nur, weil ich eine weitere Zusammenarbeit mit Ihnen wünsche.« Mit blutigen Fingern nahm Erdmute einen fest verklebten Umschlag aus der Tasche. »Hier ist die vereinbarte Summe für den Big Boris«, erklärte sie und blätterte anschließend die Tausender für das Diamantengeschäft auf den Tisch.

Baldi versteckte den Umschlag unter den losen Planken, kontrollierte die blutverschmierten Tausender, roch daran, verzog angewidert die Nase und stellte sarkastisch fest: »Da soll mir einer sagen, dass Geld nicht stinkt.«

Sorgfältig steckte Erdmute die wertvollen Pretiosen in die Plastiktüten, stopfte sie in die Bauchhöhlen der Fische, wickelte die Folie um die übelriechenden Früchte des Meeres und zwängte alles in ihre Tasche. »Die Menschenmenge hat sich zerstreut!«, murmelte sie und blickte misstrauisch auf die Hafenmole.

»Die Luft scheint rein zu sein«, bestätigte Baldi, verschloss die Tür des Ruderhauses und tippte geistesgegenwärtig zum Gruß an seine Schlägerkappe, als Erdmute sich mit blutverschmierter Hand von ihm verabschieden wollte.

»Wie ist es mit der Juwelenjule gelaufen?« Geziert nahm Gottlieb die Zigarettenspitze aus dem Mund und trat aus dem Schatten des Hafenstandes, an dem der Frischfischan- und -verkauf in vollem Gange war. Eine Hand in der Hosentasche schlenderte er lässig zu seinem Kumpan, blies ihm gelangweilt kleine Rauchringe ins Gesicht und vermittelte den Eindruck, als beschäftige ihn der Ausgang der Geldverhandlung nur am Rande.

»Sie hat zehn Riesen mehr rausgerückt, als wir vorher besprochen haben«, lachte Baldi. »Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie uns gewaltig über den Löffel balbiert hat.« Er rieb nachdenklich seinen Nasenrücken. »Aber dies macht überhaupt nichts«, er grinste verschlagen. »Da wir erst morgen auslaufen, haben wir heute Abend genügend Zeit, um uns die Diamanten zurückzuholen.«

»Du willst ihr die verhökerten Klunker wieder klauen?« Verdutzt blickte Gottlieb auf seinen Freund. Dann lachte er unbändig und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel.

»Komm, wir gehen zum Hafenamt!« Amüsiert boxte Baldi seinem Pendant in die Seite. »Da wir eine hohe Versicherungssumme für unseren alten Kahn abgeschlossen haben, passt die Havarie bestens in meinen Plan. Wenn wir die Rostlaube auf hoher See mit einem großen Leck absaufen lassen, können wir auf die amtlich beglaubigten Beschädigungen hinweisen.«

»Na, Viktörchen?« Beschwingt bestieg Erdmute ihre Luxusyacht. Als der Liebhaber keine Anstalten machte, ihr zu antworten, blickte sie in die gleiche Richtung, in die Viktor seit geraumer Zeit starrte. Erneut bot sich ihnen auf dem Nachbarschiff ein grotesk anmutendes Szenarium.

Die schwarz gelederte Domina befahl harsch, indem sie die Hände in die Hüften stemmte: »Du wischst ruckzuck die Hundekacke von den Bohlen, Bürschchen!«

Einer der Zwillingshunde setzte sich knurrend vor den eingeschüchterten Befehlsempfänger. Der andere wurde daran gehindert Gleiches zu tun, weil er seine hockende Stellung nicht aufgeben konnte. Anscheinend litt er an Diarrhö. Das, was sich auf den Planken der geschmackvollen Brigg entlud, erreichte die Dimension eines Kuhfladens und weitete sich mit jeder weiteren Sekunde – nicht in der Konsistenz, dafür aber im Umfang – zu einem kolossalen Elefantenhaufen aus.

Der dickbäuchige Tangaträger schluckte erregt, schaute von der zähnefletschenden Fleckendogge zum Befehle belfernden Mäuschen und dann erschüttert auf die vom Durchfall drangsalierte Deutsche Dogge. »Aber sischer dat Müsje«, stotterte der devote Untertan und presste angeekelt die Lippen zusammen. Resigniert zuckte er die Achseln und schaufelte vorsichtig unter dem Hundehintern das dünnflüssige, nach Jauche stinkende Verdauungsprodukt mit dem Kehrblech in einen Eimer.

»Der Volksmund sagt: Scheiße bringt Glück!«, flüsterte Erdmute ergötzt und schlug, beglückt über den guten Geschäftsverlauf, auf ihre Handtasche, der ebenso ein übelriechendes Düftchen entwich. Mit geübten Griffen warf sie den Motor des Cruisers an, der mit einigen Fehlzündungen in die Gänge kam.

Durch das ohrenbetäubende Geknatter erschrak der hockende Hund heftig, sodass er laut winselnd den Ausscheidungsprozess einer Interruption unterzog, abrupt den Schwanz einklemmte und jaulend die Kajüttreppe hinunter flüchtete.

»Knödelchen? Alles klar zum Auslaufen?«, gurrte Erdmute ihrem jugendlichen Geliebten über die Schulter zu.

»Ich habe den Anker hochgekurbelt«, schrie Viktor, vom Schauspiel auf der Brigg abgelenkt, durch den Lärm zurück.

Erdmute hatte ihre Yacht geschickt im Hafen vertäut, sodass sie nötigenfalls direkt fliehen konnte. Frohgelaunt startete sie durch. Das am Poller vertaute Heckseil, das Viktor vergessen hatte einzuholen, spannte an und blieb samt des Halterungshakens der Yacht am Kai von Dénia zurück, als Erdmute Richtung Javea brauste.

Zwei

Die Glocken der Theatinerkirche schlugen geräuschvoll die neunte Stunde an, als Erasmus Mooshuber die Riegel der fünffach gesicherten Panzerglastür des Juwelierladens am Odeonsplatz zurückschlug. Beschwingt summte er zu den Klängen eines Marsches und entsperrte bei jedem Tsching-de-rasa-bum einen Verschluss nach dem anderen. Ächzend kniete er sich nieder und griff durch die Stäbe des zusätzlich angebrachten Eisengitters, um die davorliegende Tüte mit Semmeln sowie die leicht vom Winde verwehten Blätter des Münchner Merkurs hereinzuholen.

Im gleichen Augenblick beschnupperte von der Straße ein großer Boxerrüde die frischgedruckten Neuigkeiten, hob hechelnd das linke Bein und setzte erleichtert eine tropfnasse Duftmarke über Zeitung, Semmeln und Mooshubers Hand. Angewidert fuhr Erasmus in die Höhe und schlug mit seiner Glatze, die nur noch ein spärlich-weißer Haarkranz zierte, gegen den Griff des Eisengitters. Als die Lade nach oben schnellte, traf die untere Kante sein Kinn, sodass er mit einem klassischen K.o. zu Boden ging.

Aus dem Inneren des Juwelierladens rannte eine junge Frau und von der Straßenseite ein junger Mann auf das halbgeöffnete Eisengitter zu. »Mein Gott!«, rief der Jungmann, »Ihr Vater ist ohnmächtig!« Rasch zog er ein Handy aus der Jackentasche. »Ich rufe einen Krankenwagen herbei!«

»Einen Moment«, erwiderte die junge Frau. »Ich glaube er kommt zu sich. Herr Mooshuber, können Sie mich hören?«

Benommen richtete sich Erasmus auf und schaute verstört von einem zum anderen. Sein Blick fiel auf den Boxer, der mit einer kalt-sabbernden Hundeschnauze seine unteren Extremitäten beschnüffelte und langsam kam die Erinnerung zurück.

»Warten Sie!«, insistierte der junge Mann, indem er das fragile Häuflein Mensch am Ellenbogen packte. »Wenn Ihre Tochter unter den anderen Arm fasst, können Sie bestimmt bis zum Stuhl im Juweliergeschäft gehen.«

Erasmus Mooshuber erreichte, gestützt auf zwei jugendliche Arme, den rotsamtenen Stuhl des frühen 20. Jahrhunderts. Mit einem schwerfälligen Plumps ließ das späte Jahrzehnt sich darauf nieder und versuchte verstört, seine wirren Gedanken zu ordnen. Er wusste nicht, worüber er sich zuerst aufregen sollte. Über den schrecklichen Hund, der unablässig außer- und innerhalb seines Hosenbeins geifernd herumschnüffelte oder über die impertinente Bezeichnung des gutaussehenden, hochgewachsenen Hundehalters, der die reizend-süße Julia als seine Tochter hinstellte. So eine Unverschämtheit! Hatte man ihn nicht oft genug hämisch auf den beträchtlichen Altersunterschied zwischen seinen einundsechzig und den zarten vierundzwanzig Jahren der von ihm innig Geliebten aufmerksam gemacht? Dabei wusste doch jeder, dass heutzutage ein Endfünfziger noch voll in Saft und Kraft stand!

Gerade einmal – er sah auf das großziffrige Blatt seiner Seniorenarmbanduhr – ein Monat, vier Tage, zwei Stunden und ... vierundzwanzig Minuten (zu Mooshubers Freude funktionierte sein Verstand wieder) war es her, dass er Julia während eines mittäglichen Spaziergangs im Englischen Garten kennen gelernt hatte. Dieses wunderbare Gefühl, das über ihm zusammenschlug, als sie zu ihm herüberblickte, während er seine müde gelaufenen, steifen Glieder auf einer Bank des Biergartens am Chinesischen Turm ausstreckte und sich – genüsslich ein kühles Weizenbier trinkend – die warme Maisonne auf den Bauch scheinen ließ. Ganz plötzlich saß sie ihm gegenüber, die Erfüllung seiner heimlichen Träume: in Gestalt einer wunderschönen, jungen Frau mit einem engelsgleichen, von goldenen Locken eingerahmten Gesicht, die ihn aus großen blauen, aber sehr traurigen Augen ansah. Erasmus war völlig überwältigt, als Julia mit einem sanften Lächeln einwilligte, nachdem er sie zu einer Tasse Kaffee eingeladen hatte. Freimütig erzählte sie ihm, schüchtern an einem Cappuccino nippend, dass alle Versuche, einen kleinen Nebenjob zu ergattern, fehlgeschlagen waren. Ganz Kavalier der alten Schule, bot er ihr eine Halbtagsbeschäftigung im Juwelierladen an.

Allerdings hatte er hier die Rechnung ohne den Wirt, respektive seine Frau, gemacht. Redselig teilte er seiner Gattin mit, dass er einer hilfsbedürftigen, jungen Studentin unter die Arme gegriffen und ihr einen kleinen Job in seinem Geschäft gegeben hätte. Woraufhin Erdmute ihm – sechsundfünfzigjährig, und in den besten Jahren ihres Klimakteriums befindlich – stimmgewaltig zur Kenntnis brachte, dass es erstens: nicht sein Geschäft, zweitens: deshalb auch nicht seine Aufgabe sei, Leute einzustellen sowie drittens: und das vor allen Dingen, es ihm einundsechzigjährig nicht zukäme, vierundzwanzigjährigen Studentinnen unter die Arme oder sonst wohin zu greifen. Während der lautstarken Ansprache überschlugen sich nicht nur die schrillen Töne ihrer Stimme, sondern auch ihre zwei neurotischen Cockerspaniels, die sich just in einer heiß-läufigen Phase befanden. Laut kläffend sprangen sie über sämtliche Möbel, bissen in Vorhang- oder Teppichkanten und knurrten tiefkehlig alles an – im Besonderen aber Mooshuber –, was sich bewegte. Erst als Erasmus seiner Angetrauten – innerlich sehr bewegt aber äußerlich stocksteif dastehend – klarmachte, dass jene Studentin verhaltensforschende Zoologie studiere, man sie nicht nur als Niedriglohnverkäuferin einstellen, sondern auch mit der Erziehung ihrer Rassehunde beauftragen könne, beruhigte sich die Wechseljährige und mit ihr zwei heiße Hündinnen. Kurz darüber nachdenkend, kam Erdmute schließlich zu der für sie nützlichen Erkenntnis, großzügig seinem Wunsch nachgeben zu können.

Die junge Frau hatte sich in kürzester Zeit eingearbeitet und selbst Erdmute – die sowohl Julia als auch ihn mit Argusaugen bewachte – musste zugeben, dass die hilfsbedürftige Studentin nicht nur ein Gewinn für den Verkauf der teuren Pretiosen war, sondern auch einen beruhigenden Einfluss auf ihre geliebten Spaniels ausübte. Einige Tage später reiste Erdmute samt dem heißen Hunde-Doppelpack an die Costa Blanca, um sich vom enervierenden Münchner Geschäftsleben zu erholen.

Jetzt war der Weg frei und Erasmus felsenfest davon überzeugt, dass er seiner geliebten Julia näherkommen würde.

»Herr Mooshuber!« Sanft schüttelte Julia ihren Chef an der Schulter, um ihn in die raue Wirklichkeit zurückzuholen. »Geht es Ihnen gut?« Besorgt beugte sie sich über ihren Arbeitgeber. »Seit fünf Minuten machen Sie einen völlig abwesenden Eindruck.«

»Aber ja!« Verklärt schaute Erasmus zu ihr auf. »Ach, es tut gut, dass Sie sich um mich sorgen.«

Immer aufgeregter beschnüffelte derweil der Rüde Erasmus untere Extremitäten, besprang plötzlich sein linkes Schienbein und vollzog – vor Lust schnaufend – einen Quickie-Koitus.

Regungs- und sprachlos vor Entsetzen schaute der Juwelier dem Begattungsakt seines Beines zu. Noch bevor der dazugehörige Hundehalter hinzuspringen konnte, beendete der Rüde seinen sexuellen Fehltritt mit einem brünstigen Stöhnen, stieg befriedigt von Mooshubers Schienbein, hob seinen Hinterlauf und beglückte den Rotsamtenen des frühen Zwanzigsten mit einem kräftigen Guss seiner hündischen Leidenschaft.

»Herr Mooshuber, ich kann mir diesen Vorgang überhaupt nicht erklären«, befleißigte sich der Hundebesitzer zu stottern und ließ dabei schuldbewusst den Kopf hängen. »So etwas hat Rambo noch nie gemacht. Ist es vielleicht möglich, dass hier läufige Hündinnen herumliefen und Sie in deren Duftmarkierungen getreten sind?«

Julia sprang für ihren apathisch dasitzenden Arbeitgeber ein. »Die Gattin des Herrn Mooshuber hat zwei Hündinnen. Bevor sie nach Spanien abfuhr, waren beide Spaniels läufig, und ...«

»Ja, damit ist natürlich alles gesagt!«, unterbrach Rambos Herrchen erleichtert Julias Erklärungsansatz. »Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, dass ein so edler und wohlerzogener Rassehund, Rambo hat nämlich einen ganz berühmten Stammbaum ...«

Rambos Loblied wurde jäh durch ein hysterisches Schluchzen unterbrochen. »Wenn Sie auch nur noch ein einziges Wort über diesen entsetzlichen Köter von sich geben«, empört sprang Erasmus vom besudelten Rotsamtenen hoch, »dann vergesse ich meine gute Erziehung und schmeiße Sie samt ihres Beine bumsenden Bellos im hohen Bogen durch das Hintenlang‘sche Juwelierfenster, damit ...« Als er mit starren Augen auf den feucht-steifen Stoff des vergewaltigten Hosenbeins blickte, bewegten sich seine Lippen zwar weiter, aber er brachte vor Erregung kein Wort mehr hervor. An seinem hochroten Kopf, bei dem sogar der weiße Haarkranz wie ein kurz vor dem Ausbruch stehender Vulkan zu glühen schien, trat die Zornesader rot-blau und stark pochend hervor, sodass jeder der im Raum Anwesenden einen kurzfristig einsetzenden Schlaganfall befürchten musste.

Dem Hundehalter schien es angebracht, den Tatort zu verlassen, der entsetzlich nach Exkrementen roch. Fluchtartig suchten er und sein wohlerzogener edler Rassehund das Weite.

Überrascht schaute Julia den Davoneilenden nach und rannte, ohne lange zu überlegen, hinterher. »So einfach lassen wir die Missetäter nicht davonkommen!«, rief sie Herrn Mooshuber im Hinauslaufen zu. Kurz vor den Stufen der Feldherrnhalle erreichte sie das Hunde-Herrchen-Gespann und hielt todesmutig den einen am Halsband und den anderen energisch am Ohr fest.

Blitzartig drehte sich der große Boxerrüde und sprang Julia an, sodass sie rückwärts auf den Boden schlug und den am Ohr gepackten Jungmann fast mitgerissen hätte. Der Hund stellte sich auf ihre Brust, riss das Maul weit auf, bleckte seine großen Fangzähne und ... schleckte sie schwanzwedelnd von oben bis unten ab.

»Igitt, Rambo!«, quiekte Julia, »ich habe mich heute schon gewaschen.«

Der Hundebesitzer, dessen schmerzendes Ohr rot angelaufen war, half der jungen Frau auf die Beine.

»Mensch, Markus!« Julia klopfte zuerst ihre Kleidung und dann liebevoll den Kopf des Hundes. »Das hätte leicht ins Auge gehen können. Was hast du mit Rambo angestellt, dass seine Sexualhormone mit ihm durchgegangen sind?«

»Ich bin gestern Nacht mit der läufigen Hündin meiner Nachbarn zum Hintenlang’schen Juwelierladen gewandert. Die läufige Yorkshire-Terrier-Dame ist begeistert durch das Eisengitter gekrochen und hat überall ihren betörenden Duft hinterlassen. Wahrscheinlich tappte dein liebestoller Kavalier heute Morgen kräftig darin herum.« Markus bekam einen Lachanfall, als die Bilder der vergangenen Stunde vor seinem inneren Auge abliefen. »Das Ergebnis dieser Operation muss unter dem Slogan: totaler Erfolg eingestuft werden! Auf jeden Fall habe ich das erreicht, was ich wollte. Mir blieb genügend Zeit, den Innenraum des Juwelierladens anzusehen, weil dein ältlicher Verehrer längere Zeit weggetreten war. Jetzt musst du mir nur noch mitteilen, wann die respektable Frau Mooshuber mit den geklauten Juwelen aus Spanien zurückkommt. Der Tipp meines Informanten ist bombensicher und mein Plan perfekt. Oder glaubst du etwa, dass man gestohlenen Schmuck der Polizei meldet?«

»Mag sein«, gab Julia zögernd zu, »aber ich kann mir den verkappten Don Juan nicht mehr lange vom Leibe halten. Seit die olle Mooshuber an die Costa Blanca verreist ist, habe ich mit dem kahlköpfigen Fan der deutschen Marschmusik meine liebe Mühe und Not.«

»Julia, du schaffst das!«, insistierte Markus, indem er ihr zärtlich über den Kopf strich. »Also: geh bitte zurück zu deinem verliebten Schwerenöter und halt ihn bei Laune. Wir sehen uns heute Nachmittag und besprechen noch einmal alles genau. Bis dann, Liebes.«

Drei

Erdmute Mooshuber nahm Kurs auf Cap Sant Antoni, das weit ins Meer hinausragte und hinter dem sich der Hafen von Javea befand. Langsam steuerte sie am Playa del Tango vorbei, um vor dem Playa de la Grava mit einer Rechtskurve zielsicher in den Hafens einlaufen zu können. Da das Heckseil durch Viktors Unachtsamkeit die Kaimauer des Hafens von Dénia zierte, rief sie mit hohntriefender Stimme: »Viktor, mein bayrischer Wurzelsepp! Glaubst du, dass du in der Lage sein wirst, das übriggebliebene Bugseil am Poller zu befestigen, um anschließend – falls nötig: mit stündlicher Meldung beim Vorgesetzten – den Anker zu betätigen? Natürlich nur, wenn du dir dieses Mal nicht den Ellenbogen blutig schlägst!«

»Muschilein! Du sollst nicht immer so gemein zu mir sein!« Viktors Augen blitzten zornig auf. Mit versteinertem Gesicht wandte er sich ab, um voller Selbstmitleid in das übliche Gejammer zu fallen. »Du weißt ganz genau, dass mir schon bei der Erwähnung des Wortes: Blut«, schaudernd verhakte er seine Finger ineinander, »die Hände einschlafen und es mir furchtbar schlecht geht.«

Erdmute schlug die Augen gen Himmel, nahm dem jungen Geliebten das Befestigungsseil aus den schlaffen Händen und zurrte es am Anlegepfosten fest. »Gut! Um die Yacht zu verankern, braucht man nur auf einen Knopf zu drücken. Wenn du das schaffst, lade ich dich zu einem kühlen Drink und einem exzellenten Essen ins Fünfsterne-Hotel: Mediterranea in Javea ein. Schließlich müssen wir den fulminanten Geschäftsabschluss feiern.«

Da sich Viktors beleidigter Gesichtsausdruck nicht erhellen wollte, lockte Erdmute: »Wurden nicht von dir Wünsche geäußert?«, sie schaute scheinbar gelangweilt auf die abgesplitterte Farbe ihrer rot lackierten Fingernägel. »Soweit ich mich erinnere, ging es um einen Rubinring. Mit diesem Geschenk, das ich dir machen sollte, wolltest du doch unsere Liebe besiegeln.«

Ihr Geliebter zeigte keine Regung.

»Jetzt fällt es mir wieder ein: es ging um den Ring und um ein Auto! Wie hieß die Marke dieses flotten Flitzers denn gleich? ... Porsche-Carrera?!«

In Viktors starres Mienenspiel und die eingeschlafenen Hände schien Bewegung zu kommen. Bevor er den Knopf der elektrischen Ankerwinde betätigte, entfernte er die manuell zu betreibende Kurbel des Spills. Während der Anker nach unten rasselte, umarmte Viktor stürmisch seine ältliche Geliebte und half ihr mit übertriebener Galanterie auf die Hafenmole. Fröhlich vor sich hinpfeifend geleitete er sie zu dem im Hafen geparkten Mercedes 500 SL und schien heute keinen Ärger darüber zu empfinden, dass er den Wagen nicht chauffieren durfte.

Zielstrebig fuhr Erdmute über die Avenida del Port zum Zentrum von Javea, das man im Mittelalter zur Abwehr von Piratenangriffen landeinwärts im Schutze der Hänge des Montgó errichtet hatte. Vorbei an der Befestigungskirche Sankt Bartholomé, die Anfang des 16. Jahrhunderts im gotisch-isabellinischen Stil erbaut wurde, steuerte sie über die Carretera de Jesús Pobre das Hotel Mediterranea an.

Angeekelt hielt Viktor die Nase aus dem geöffneten Beifahrerfenster. Selbst die auf Höchstleistung laufende Aircondition war machtlos gegen den Gestank, der Erdmutes Handtasche entströmte. Sie selbst schien den Geruch nicht wahrzunehmen. Im Gegenteil. Immer wieder strich sie verzückt über das glatte Leder und murmelte: »Das war das beste Geschäft meines Lebens. Jetzt bin ich all meine drückenden Geldsorgen mit einem Schlag los.«

Als sie vor dem Hotel parkte, betätigte Viktor – im fluchtartigen Aussteigen begriffen – den automatischen Fensterheber. Er fasste zwischen Türholm und Scheibe, um die Wagentür zuzuschlagen. Im gleichen Augenblick, als er sich in dem langsam hochfahrenden Fenster die Finger einklemmte, zog Erdmute den Schlüssel aus dem Zündschloss. Sie kletterte aus dem Auto und schaute verständnislos über das Wagendach in das wachsbleiche Gesicht ihres unter Schock stehenden Liebhabers.

»Muschilein, auch wenn du mich draußen stehen siehst«, flüsterte Viktor stocksteif und mit starrem Blick, »befinden sich meine Finger noch immer im Auto.«

Begriffsstutzig sah Erdmute ihn an, bückte sich ins Wageninnere und blickte entgeistert auf Viktors eingezwängte Finger. Bevor sie den Schlüssel ins Zündschloss stecken konnte, um den elektrischen Fensterheber zu aktivieren, schrie Viktor vor Schmerzen jäh auf.

Der Page, der abwartend auf der Hoteltreppe stand und des tölpelhaften Missgeschicks ansichtig wurde, war übereilt hinzugesprungen und hatte Viktor in hektischer Unbesonnenheit nach rückwärts vom Auto weggezogen, sodass beide krachend auf den staubigen Boden fielen.

Der vom Geschrei aufgeschreckte junge Geschäftsführer des Nobelhotels eilte hinzu, um helfend einzugreifen. Er brachte nur noch ein bestürztes »Olé!« über die Lippen, als er die blutigen Finger des großen, depperten Deutschen sah, der auf dem kleinen, irritierten Iberer lag und ihn mit seinem Gewicht zu zerquetschen drohte.

Erdmute fasste sich zuerst und rief dem Geschäftsführer überfordert zu: »Pepe! Hilf mir, diesen damisch-bayrischen Riesenhirsch ins Haus zu bringen!«

»Viktor ist und bleibt ein Unglücksrabe«, seufzte der schlanke, dunkelgelockte Geschäftsführer in einwandfreiem Deutsch. Gemeinsam zogen sie den weißgesichtigen, flachatmenden Germanen vom rotgesichtigen, nach Luft ringenden Spanier. Wie ein nasser Sack hing Viktor zwischen Erdmute und Pepe, als man ihn die Hotelstufen hinauf schleppte.

Mühsam rappelte sich der Page vom Boden hoch, atmete keuchend durch und steckte seinen Kopf in den Innenraum des Mercedes, um das Gepäck herauszuholen. Augenblicklich schreckte er zurück, als ihm der bestialische Gestank von verfaultem Fisch entgegenschlug. Mit weit von sich gestreckten Armen beförderte er die übelriechende Tasche in den Abstellverschlag neben dem Hoteleingang.

Während Baldi die havarierten Schiffe im Hafenamt zu Protokoll gab, bemühte sich Gottlieb um einen Leihwagen bei der Firma Sol-Mar, die gegenüber dem Hafen von Dénia ihre Dienste anbot. Startbereit saß er in einem Seat Ibiza, als sein Partner die Wagentür des karminroten Kleinwagens hinter sich zuwarf und neben ihm Platz nahm.

»Hallöchen, Baldi! Ich habe im Telefonbuch nachgesehen. Die Juwelenjule wohnt unterhalb der Ermita Santa Llucia«, erklärte Gottlieb voller Tatendrang. »Das ist eine bekannte Einsiedelei in Javea. Ich habe eine Karte der Stadt besorgt.« Mit dem ihm eigenen weiblichen Scharm betätigte er geziert den Anlasser. »Wenn wir hurtig losfahren, könnten wir die olle Juwelenjule im Hafen abfangen und ihr die wertvollen Klunker abjagen.«

Gottlieb fuhr zügig auf der Küstenstraße nach Javea durch den Parc Natural del Montgó. Hinter dem Kloster Nuestra Senora de los Angeles bog er rechts in die Costa de San Antonio, eine kleine Straße, die sich in engen Serpentinen bis nach Javea hinunterschlängelt. Als er den Seat im Hafen auf der Plaza Almirante Bastarreche parkte, stieg sein Kumpan aus, der seine Augen aufmerksam über die vielen Touristen schweifen ließ, die gemächlich auf dem Platz flanierten.

Plötzlich erblickte Baldi Erdmute, die vor einer silbergrauen Nobelkarosse stand. »Halt dich startbereit, Gottlieb!«, flüsterte er, indem er in den Wagen zurücksprang. »Siehst du den Anabolika-Muskelprotz, der gegenüber bei dem Mercedes steht und der Mooshuber lakaienhaft die Wagentür aufhält?«

»Oh!«, entfuhr es Gottlieb, wobei er schwärmerisch die Augen verdrehte. »Meinst du den atemberaubenden Adonis? Ist es nicht absurd, dass dieser wohlgestaltete Mensch der alten Schachtel den Hof macht!?«

»Mein Dummerchen«, grinste Baldi breit. »Auch du solltest wissen: Geld regiert die Welt!«

»Dann wird es allerhöchste Zeit«, das Dummerchen knirschte hörbar mit den Zähnen, »dass wir dieser hässlichen Faltenschrulle die wertvollen Steinchen klauen.« Schnaubend startete Gottlieb das Fahrzeug und verfolgte die gemütlich fahrende Nobelkarosse durch den Ort. Sie verbargen den Seat hinter einem Kleinlaster, als Erdmute auf dem Platz vor dem Hotel geparkt hatte und beobachteten Viktors Auftritt aus sicherer Entfernung.

Im Gegensatz zu Gottlieb, der beim Anblick von Viktors blutenden Fingern wahrhaftig in Tränen ausbrach, verleitete Baldi das trottelige Verhalten des dämlichen Deutschen zu Heiterkeitsausbrüchen, die er zu unterdrücken suchte, indem er sich die Faust vor den prustenden Mund hielt. Gottliebs Tränenfluss versiegte schlagartig, als er sah, wie der plattgedrückte Page Erdmutes prallgefüllte Handtasche mit ausgestrecktem Arm und abgewandter Nase in den Abstellraum des Hotels verfrachtete.

Die brütende Nachmittagshitze hatte sich wie eine Glocke über das Barrio Castellans gelegt, sodass sie keiner Menschenseele ansichtig wurden, als sie zaghaft hinter dem Pritschenwagen hervorlugten. Geduckt schlichen sie zum Hotelverschlag, schlossen die Tür leise hinter sich und blieben furchtsam stehen, als ihnen drei Paar gelbe Augen unheimlich aus der Dunkelheit entgegenfunkelten.

Um Viktor, der schlaff und blass auf einem Stuhl des Speisesaals hockte, hatte sich das halbe Hotelpersonal versammelt. Während eine Kellnerin seine Hand verband und dabei unentwegt »Por Dios!« murmelte, reichte ihm eine andere ein Glas Cognac, das er dankbar mit seiner intakten Hand annahm, um vorsichtig daran zu nippen.

Erdmute unterhielt sich unterdessen mit dem Geschäftsführer und aß hungrig einen salmón con salsa de yogur griego. »Pepe«, begann sie und schob sich eine vollbeladene Gabel Lachs in den Mund, der in eine pikante, griechische Joghurtsoße getunkt war, »hast du an das Barbecue gedacht, das ich heute Abend in meiner Villa veranstalte?«

»Natürlich, Doña Erdmute!«, beruhigte sie der Geschäftsführer. »Wie besprochen, werden die Speisen gegen 22.30 Uhr in deinen Palacio geliefert. Vorher solltest du die Fiesta bei dieser Hitze nicht beginnen.«

»Keine Sorge, Don Pepe.« Erdmute nahm den letzten Bissen vom Teller. »Wir haben uns an die spanischen Verhältnisse adaptiert und eröffnen keine Party vor 23.00 Uhr, nicht wahr?«, sie blickte zu Viktor, »mein armer, bayrischer Wolpertinger!« Gesättigt und zufrieden tätschelte sie Viktors gesunde Schulter, wodurch sie dessen lustloses Herumstochern auf dem Teller mit Köstlichkeiten unterbrach.

»Ach, Muschilein«, jammerte das bajuwarische Fabelwesen, »wenn du wüsstest, wie schlecht mir ist.«

»Komm, Viktörchen!«, tröstete Erdmute ihren Geliebten. »Trink tapfer deinen Cognac. Ich gehe derweil zur Toilette und mach’ mich frisch, bevor wir zur Villa fahren.« Gereizt suchte sie nach ihrer Handtasche, die unauffindbar war. »Mein Gott«, flüsterte sie leichenblass, »nun ist alles verloren!«

Ungeachtet der sengenden Sonne rannte sie auf den Parkplatz, riss die Fahrertür auf, schaute auf und unter den Vorder- und Rücksitz, umrundete das Fahrzeug und wiederholte den Vorgang auf der anderen Seite. Aber der kostbare Gegenstand blieb verschwunden.

Sie hastete die Treppen zum Hotel hoch und schrie hysterisch: »Pepe! Man hat uns beklaut!« Mit hochrotem Kopf lief sie am Geschäftsführer vorbei, der ihr auf der Hoteltreppe entgegenkam.

Verblüfft blickte der Spanier zuerst der vorbeistürmenden Deutschen hinterher und dann hinaus zum Abstellverschlag, vor dessen Tür ein tumultartiges Gefecht zwischen zwei lautstark fluchenden Männern und drei bösartig fauchenden Katzen stattfand.

Auf Baldis Rücken saß ein fetter, rabenschwarzer Kater, der knurrend und mit angelegten Ohren die Krallen in seinen blutenden Kopf hieb. Gottlieb schien es noch schlimmer erwischt zu haben. Er kreischte in den höchsten Tönen, weil eine grau getigerte Katze, die quer über seinem Kopf lag, mit ihren scharfen Fängen die Muschel seines linken Ohres blutig schlug, während eine dreifarbige Glückskatze sich mit gesträubtem Fell in seinem Schritt verkrallt und verbissen hatte. Geschwind rannte Baldi hinter den Kleinlaster. Ununterbrochen schlug er gegen seine Schulter, um den dicken Kater zu vertreiben. Gottlieb spurtete laut schreiend hinter dem Kumpan her und bearbeitete seinen Unterleib mit gezielten Boxhieben.

Was sich dann abspielte, ereignete sich innerhalb weniger Sekunden. Viktor trat, aufgeschreckt durch das laute Spektakel, neugierig ans Fenster und sah mit käsigem Gesicht zwei fliehende Gestalten, von deren Kopf und Ohren das Blut heruntertriefte.

Gleichzeitig betrat Erdmute den Speisesaal und blickte verständnislos auf den bleichen Hünen, der gequält seine eingeschlafenen Hände ineinander verhakt hatte und mit verdrehten Augen auf den Boden sackte. Ihr geöffneter Mund formte Wörter, deren Laute ihr vor Entsetzen gelähmter Kehlkopf nicht mehr bilden konnte.

Pepe eilte die Hoteltreppe – zwei Stufen auf einmal nehmend – hinunter, um der Diebe habhaft zu werden. Auf dem letzten Treppenabsatz strauchelte er, fiel fluchend zu Boden und sah nur noch das rote Heck eines davonrasenden Autos. Erbost rannte er dem fauchenden Katzentrio nach, das zielstrebig hinter der Tür der Abstellkammer verschwand.

Erdmute, deren Haare vor Hysterie wortwörtlich zu Berge standen, erschien auf der Treppe und herrschte den Geschäftsführer genervt an: »Pepe! Du musst uns helfen!«

»Was ist passiert, qué pasa?«, fragte der Angeherrschte über die Schulter, ohne sich umzudrehen. Vorsichtig knipste er das Licht im dunklen Verschlag an, aus dem ihm aggressive Laute entgegenfauchten.

»Viktor liegt ohnmächtig im Speisesaal. Wir Frauen können den Kolossalknödel nicht hochheben. Du musst mit anpacken!«

»Hier befindet sich eine große Ledertasche«, erklärte Pepe zusammenhanglos und betrachtete verdutzt den Schauplatz des Geschehens. Angewidert näselte er durch seine von Daumen- und Zeigefinger eingeklemmte Nase. »Aus der ragen zwei zerfetzte, übelriechende Fischkadaver heraus, die von drei Katzen berserkerhaft verteidigt werden. Doña Erdmute! Das ist doch wohl nicht der von dir gesuchte Gegenstand, oder?!«

Das misslaunige Gezeter der Doña verebbte schlagartig. Wie von allen Furien gehetzt, stürmte sie die Treppe hinunter, nahm ein auf der Erde liegendes Tennisracket mit der rechten Hand, zog den verdatterten Spanier mit der linken von der Eingangstür und hieb auf jenes ein, welches die Frechheit besaß, das zu stehlen, was sie ihr Eigen nannte.

Zutiefst erschrocken wichen die wilden Katzen vor der entfesselten Bestie Mensch zurück. Mit gesträubtem Fell und angelegten Ohren versuchten sie ihre Flucht einzuleiten, indem sie, knurrend und starren Blickes – in geduckter Haltung – langsam rückwärtsgingen. Mit einem geschmeidigen Satz durch eine Öffnung in der hinteren Wand brachten sie sich in Sicherheit.

Erleichtert warf Erdmute den zertrümmerten Tennisschläger auf den Boden, krallte ihre gierigen Finger in das stinkende Aas und stopfte es eilends in die Tasche. Ekstatisch presste sie das schleimige Leder an den in Seide gehüllten, blau-weiß gestreiften Bajuwarenbusen, ging schleppenden Schrittes zum Auto und setzte sich ausgepumpt auf den Beifahrersitz ihrer Luxus-Limousine. »Pepe«, sagte sie zum Geschäftsführer, der ihr zum Wagen gefolgt war, »ihr Spanier solltet darauf achten, dass den Dieben auf die Finger gesehen wird. Wenn die Deutschen und Engländer sich von der schönen Halbinsel zurückziehen, bricht nicht nur die touristische Wirtschaft des Landes zusammen.«

»Frau Mooshuber!«, redete sie der Geschäftsführer förmlich an, da er sich in seiner nationalen Ehre gekränkt fühlte. »Erst seit die reichen Ausländer bei uns wohnen, fühlen sich die Ganoven – und zwar aus der gesamten Welt – in unserem Land heimisch. Bei uns Spaniern gab es nie viel zu stehlen. Apropos, warum verteidigst du diese stinkenden Meeresfrüchte so fanatisch? Man hat den Eindruck, als hättest du etwas Wertvolles darin versteckt. Diebesgut vielleicht? Ha, ha, ha!«

»Bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?!«, rief Erdmute pikiert. »Du weißt genau, dass meine geliebten Spaniels grundsätzlich nur Frisch- und niemals Dosenfisch essen. Außerdem habe ich in meiner Tasche sehr viel Bargeld, Kreditkarten, Fahrzeugpapiere, Ausweise und ...«

»Ist schon gut! Reg dich nicht auf!«, beschwichtigte der Geschäftsführer seine gut zahlende Kundin. »Das war ein kleiner Broma meinerseits.«

»Es ist absolut kein Witz, jemand als Dieb zu bezichtigen, der wie ich sein Leben lang ehrlich und hart gearbeitet hat!«, behauptete Erdmute voller Entrüstung, ohne rot zu werden. Erleichtert atmete sie auf, als der unerfreuliche Disput unterbrochen wurde.

Mit wackeligen Beinen und farblosem Teint erschien Viktor im Hoteleingang. Erdmute winkte ihrem jungen Geliebten zu und zeigte auf den Fahrersitz neben sich. Der überraschte Geschäftsführer erlebte die Metamorphose eines menschlichen Wracks. Urplötzlich verwandelte sich Viktor von einem jammernden und kranken Lazarus in einen rotwangigen, vor Kraft strotzenden Muskelmann, als seine ältliche Geliebte ihn aufforderte, den 500-SL zu chauffieren.

Freudestrahlend setzte Viktor sich neben sie und betätigte überglücklich den Anlasser. Schwungvoll fuhr er rückwärts gegen eine Mülltonne, legte mit krachendem Getriebe den Vorwärtsgang ein, schrammte mit dem linken Kotflügel an eine lila blühende Bougainvillea, riss einen starken Ast aus dem herrlich blühenden Strauch und beschwor ein frenetisches Hupkonzert herauf, als er sich mit quietschenden Reifen rücksichtslos in den fließenden Verkehr auf der Straße vor dem Hotel einordnete.

Zurück blieb ein spanischer Geschäftsführer namens Pepe, der sich kopfschüttelnd in den Schatten des Hauses zurückzog, um über Erdmute und Viktor im Einzelnen und die verrückten Deutschen im Besonderen nachzudenken.

Gottlieb hielt am Straßenrand unter dem schattigen Dach einer Pinie und lehnte sich stöhnend in das Polster des Seats. Baldi klappte den Beifahrerspiegel herunter und erschrak, als er sein blutverschmiertes Konterfei betrachtete. »Das sieht schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist«, beruhigte er sich selbst, zog ein Taschentuch aus der Hosentasche, schüttete Wasser aus einer Flasche darauf und rieb behutsam sein Gesicht ab. »Kopfwunden bluten immer stark«, bekräftigte er seine Diagnose und fühlte sich bestätigt, als nach der Reinigung nur noch einige Kratzer am Haaransatz übrig blieben. Er sah zu seinem Kumpan hinüber und schluckte betroffen.

Unter leisem Wimmern hatte Gottlieb seine Unterseite entblößt. Bestürzt blickte er auf die übel zugerichteten Genitalien und meinte fatalistisch: »Die Bezeichnung Rühreier wäre überaus angebracht!«

»Das kriegen wir wieder zusammengeflickt«, versuchte Baldi ihn zu beruhigen. »Jedenfalls säubere ich erst einmal dein blutiges Ohr. Dann fahren wir sofort zu einer Klinik. An dein wertvolles Stück lassen wir lieber ‘nen Fachmann ran. Wir müssen uns sowieso eine Tetanus- und Tollwutspritze geben lassen. Bei diesen verwahrlosten Tieren weißt du nie, ob sie die Tollwut, die Krätze oder sonst was haben.« Notdürftig versorgte er die Wunden seines Partners, drehte sich erschöpft zur Seite und nahm einen Schluck aus einer Baldrianflasche, die er ständig bei sich führte. Mit bebenden Händen verabreichte er unbeabsichtigt auch seiner Hose einen kräftigen Schuss des Beruhigungsmittels.

»Huch!«, frotzelte Gottlieb und kicherte wie eine alberne Fünfzehnjährige. »Du brauchst dich nicht schamhaft abzuwenden. Jeder weiß, woher du deinen Spitznamen hast: Baldi von Baldrianowitsch!« Schmerzhaft verzog er sein Gesicht. »Ich hätte nichts dagegen, wenn du mir ein paar von den grässlich riechenden Tropfen gibst, denn ich krieg’ jetzt schon ‘nen Pickel, wenn ich daran denke, was man in der Klinik mit meinem Schniedelwutz anstellen wird.«

»Deinen ... was? Äh, jedenfalls bin ich froh, dass du in der Lage bist, mich und den Rest der Welt schon wieder ironisch auf die Schippe zu nehmen. Dein ... äh, Sch...nudelwitz muss doch grauenhaft weh tun.«

»Worauf du einen lassen kannst!« Mit zittrigen Fingern nahm Gottlieb die Flasche und träufelte das Beruhigungsmittel nicht nur in seinen Mund, sondern ließ auch T-Shirt und Hose in den Genuss des stark duftenden Gebräus kommen.

Baldi half seinem Pendant auf den Beifahrersitz, übernahm das Steuer und fuhr schnurstracks zum Centro Sanitario nach Javea. In der Notaufnahme empfing sie ein deutsch-sprechender spanischer Arzt. Schnell und fachmännisch versorgte der Medico ihre Kopfwunden und legte Gottlieb mit entblößtem Unterleib auf eine Liege. Als er ihn zur weiteren Behandlung an eine Fachärztin übergeben wollte, wurde Gottlieb schlagartig von einem Erstickungsanfall geplagt.

Rasch griff der Arzt zum Beatmungsgerät. »Leidet ihr Freund unter einer Jod- oder anderen Allergie?«, fragte er besorgt.

»Er leidet unter einer allergischen Reaktion auf Frauen«, entfuhr es Baldi unüberlegt.

Der Medico schaute ihn verständnislos an.

Baldi suchte krampfhaft nach Erklärungen und stotterte: »Wissen Sie, mein Freund ist sehr genant gegenüber Frauen. Es wäre besser, wenn Sie ihn behandeln würden.«

Der Doktor blickte auf Gottliebs, von Hämatomen übersäten und blutig zerkratzten Unterleib und legte das Sauerstoffgerät zur Seite. Nachdenklich sah er vom schweratmenden Gottlieb zu seinem vor Verlegenheit schluckenden Freund und erklärte zögernd in Baldis Richtung: »Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich bei der Polizei Anzeige erstatten werde, wenn Sie mir keine glaubhafte Erklärung für diese schweren Verletzungen geben können.« Er sah Baldi drohend an. »Dabei ist es mir vollkommen gleichgültig, ob Sie ein Sado-Maso-Gespann oder ein brutaler Schläger sind.«

»Stöppchen, Doktor!« Gottlieb nahm sein zartes Händchen zur Hilfe und setzte sich empört auf. »Baldi würde mich niemals schlagen. Wie können Sie nur so etwas Hässliches sagen, Sie schlimmer Mensch, Sie?«