Herr Winzig und die Voltigierbande - Christel Görres-Strohmeier - E-Book

Herr Winzig und die Voltigierbande E-Book

Christel Görres-Strohmeier

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Beschreibung

Nach ihrem letzten Voltigier-Turnier verbringt die Volti-Bande ihre Ferien in einer Reiterpension an der Ostsee. Während einer nächtlichen Schwimmstunde werden die neun Mädchen und Jungen in den magischen Bann einer Delfinschule gezogen. Kaum hat die Anführerin der geheimnisvollen Meeressäuger die Erdenbewohner in Delfine verwandelt, überstürzen sich die Ereignisse. Fassungslos erfahren die transformierten Kinder, welch grausamen Gefahren die Meeresbewohner ausgesetzt sind. Voller Abscheu erleben sie die Ausbeutung der Ostsee und die Verseuchung eines Naturschutzgebietes. Von todbringenden Schleppnetzen gehetzt, flüchten sie mit der Delfinschule zum Todeslabyrinth. Riesenkraken verfolgen sie über das Alptraumland bis ins Zwischenreich der Urzeittiere, wo das Abenteuer eine sensationelle Wendung nimmt. Caroline wird entführt! Gelingt es den Delfinen, das Mädchen aus dem Bannkreis der Kidnapper zu befreien …? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt!

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Seitenzahl: 175

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Inhalt

Namenrätsel

Prolog

1. Außerirdisch!: Indiana Jones kann sprechen

2. Finstere Halunken

3. Herr Winzig wird in der Pfanne verrückt

4. Geheimnisvolle Transformationen

5. Delfin-Jagdanführerin Stenella

6. Todesfalle Schleppnetz

7. Zwei Helden sorgen für Gerechtigkeit

8. Mit Gänsehaut durchs Alptraumland

9. Im Zwischenreich der Urzeittiere

10. Ein Mammut redet Nonsens

11. Wo steckt Caroline?

12. Der Killerwal mit dem roten Stallhalfter

13. Das spannende Experiment wird fortgesetzt

Glossar

Namenrätsel

1. Sie ist groß. Sie fürchtet sich vor kleinen Mäusen. Sie dichtet. Ihr Name ist: I . . . a

2. Ihr Hund heißt Herr Winzig. Ihr Pferd heißt Wacker. Ihre Mutter ist die Trainerin der Voltis. Ihr Name ist: S . . . . e

3. Er trägt seine Kappe verkehrt herum. Stets versucht er Streit zu schlichten. Sein Name ist: B . . . s

4. Sie ist schreckhaft. Sie hat eine schwache Blase. Sie hat die Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Ihr Name ist: C . . . . . .e

5. Sie wird schnell rot. Sie hat ihr Universallexikon immer bei sich. Sie ist schlau. Ihr Name ist: I . . s

6. Sie ist schüchtern. Sie hört ihren Kameraden stets bewundernd zu. Sie trägt eine Sportbrille. Ihr Name ist: M . . . n

7. Er hat einen blonden Lockenkopf. Seine Sätze fangen mit Hundertpro an und enden mit Was woll’n wir wetten? Sein Name ist: S . . . . n

8. Sie kann gut Porträts malen. Sie denkt sich Namenrätsel aus. Sie trägt eine Zahnspange. Ihr Name ist: B . . . . t

9. Sie ist die Kleinste. Sie will den Po der log voll treffen. Ständig verbuchselt sie die Wechstaben. Ihr Name ist: V . . . . a

10. Sie ist die Mutter von Simone. Sie ist die Trainerin der Voltis. Ihr Name ist: G . . . . . . n

11. Er ist der Vater von Simone. Mit Kleinbus und Pferdeanhänger fährt er die Volti-Bande zu den Turnieren. Sein Name ist: O . . . r

Er ist der beste Freund von Herrn Winzig und den Voltis.

Sein Name ist: W . . . . r

Er denkt viel. Er ist stets hungrig. Er ist der beste Freund von Wacker und den Voltis.

Sein Name ist: H . . . W . . . . g

Wer den Prolog sorgfältig liest, kann sicher schon jetzt die fehlenden Buchstaben in den Namen der Voltis ausfüllen.

Viel Spaß!

Prolog

(Nur ’ne ganz winzige Einleitung)

»Es ist Oktober, die Ferien over and out und seit knapp einem Monat nervt die Schule schon wieder«, seufzte Simone. An einem Bleistift kauend saß sie vor dem klapprigen Tisch im Reiterstübchen und schaute durch das Fenster auf die vielen Laubbäume, die schon ihr farbenprächtiges Herbstkleid übergestreift hatten.

Draußen fegte der Wind durch die Äste, um den bunten Blättern ein geheimnisvolles Knistern zu entlocken.

Drinnen starrte Simone auf weiße Blätter, um ihnen ein paar Zeilen zu entlocken.

»Beim Aufsatzschreiben ist der Anfang immer sooo schwer!«, erklärte sie der kleinen Promenadenmischung, die neben ihrem Stuhl stand und schwanzwedelnd hochguckte. »Wie soll ich nur mit der fantastisch spannenden Geschichte beginnen, die sich nach unserem letzten Voltigierturnier ereignet hat?«

Der wuschelig-weiße Mischlingshund sprang an Simone hoch, legte den Kopf schief und knickte das linke Ohr ab. ›Bevor sie mit der Geschichte beginnt‹, dachte Herr Winzig pfiffig, ›müsste sie erst mal was übers Voltigieren und die Voltigierbande erzählen. Zum Beispiel: Dass die Volti-Bande aus neun Jungen und Mädchen im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren besteht, die bei ihren Turnieren auf einem galoppierenden Pferd turnen. Dass das Volti-Pferd Wacker mein bester Freund ist. Dass Gretchen die Mutter von Simone und auch die Trainerin der Voltis ist …‹

»Du musst zugeben«, unterbrach Simone die Gedanken des Hundes, »das waren die irresten Ferien, die wir jemals erlebt haben, oder!?«

Augenblicklich wanderten farbenfrohe Bilder durch ihren Kopf. Der blaue Himmel, der weiße Ostseestrand und die tolle Reiterpension auf der Insel Rügen, in der die Voltis drei Wochen untergebracht waren. Gleich darauf geisterte ihr die stürmische Nacht durch den Sinn, als sie mit den Kameraden zu den vielen Meeressäugern hinausgeschwommen war und sie sich alle urplötzlich in Delfine verwandelt hatten.

Simones Blick wanderte von Herrn Winzig zum Fenster. Durch die Scheibe konnte sie beobachten, wie ihre Kameraden unter lautem Geschrei vom Stall zum Reiterstübchen spurteten.

Herr Winzig bellte bärenstark, als Boris in die Stube stürmte und spaßig spottete: »Ist ja riesig! Jetzt hat deine Mutter dich nach der Volti-Stunde vom Aufräumen befreit, damit du Zeit zum Schreiben hast. Und wir haben den Boden der Reithalle mit dem Rechen glatt geharkt; den Volti-Gurt sauber gemacht; das verschwitzte Pferd trocken geritten und Wackers Fell so lange gestriegelt, bis es wie eine Speckschwarte glänzte …«

»Wahnsinnig witzig!«, unterbrach Simone gereizt und strich sich gedankenverloren über den Nasenrücken. »Ihr müsst mir helfen! Die gesamte Bande kann doch beim Schreiben mitwirken! Oder? Einer für alle, alle für einen!!!«

»Sorry, Simone«, Boris zupfte an seinem rechten Ohrläppchen, »das ist doch total gaga! Vor kurzem hast du noch ’ne megacoole Story über unser erstes Turnier und den Pferdediebstahl geschrieben. Sogar einen genialen Zeichner hat die Zeitung für die Kinderseite eingestellt, damit man auch den Kleinsten die Geschichte vorlesen und erklären konnte.«

»Stimmt! Aber diesmal brauchen die Kids Fantasie, um die Story zu checken.«

»Hundertpro, dass gerade Kids ’ne Menge Fantasie haben!«, bekräftigte Stefan, der plötzlich – wie aus dem Hut gezaubert – neben ihnen stand. »Noch nicht mal Simones Eltern haben wir von dem geheimnisvollen Delfin-Experiment erzählt, weil sie uns die Geschichte sowieso nicht geglaubt hätten!«

Mit gespitzten Ohren betrat die lange Ilona die Reiterstube. Beim Hinweis auf Simones Eltern reimte sie mit gerunzelter Stirn: »Wenn Gretchen und Oskar mit uns Urlaub machen, hat selbst Herr Winzig was zu lachen!«

›Ein Hund und lachen??? Total tierisch abgefahren!!!‹, dachte Herr Winzig und verharrte auf drei Beinen, als sein Blick auf ein graues Etwas fiel, das jäh unter dem Schrank hervorwieselte.

»Das ist ’ne Maus! Ich fürchte mich vor kleinen Mäusen!«, kreischte die große Ilona, machte kurzerhand auf langem Fuß kehrt und rannte schreiend nach draußen.

Fast hätte sie Birgit – die Caroline gerade den Pferdeschwanz hochgebunden hatte – in der Eingangstür umgerannt.

Während Birgit lachend ihre blitzende Zahnspange zur Schau stellte, als die Maus durch Carolines Beine in die Freiheit flüchtete, wurde Carolines Gesicht vor Schreck kreidebleich. Wie stets rannte sie augenblicklich mit wippendem Pferdeschwanz über den Hof, um die Toilette aufzusuchen. Dabei riss sie Ines – die mit der kleinen Verena gerade die Stube betrat – ihr geliebtes Universallexikon aus der Hand.

»Geh mit deiner schwachen Blase endlich zum Arzt!«, rief ihr Ines empört hinterher, hob das dicke Buch vom Boden auf, wischte es sorgfältig ab und stapfte in die Reiterstube. »Wieso hast du noch nichts geschrieben?«, fuhr sie Simone wütend an. »Schließlich mussten wir für dich mit aufräumen!«

Nachdem sich alle verwundert nach ihr umsahen, bekam Ines – wie gewöhnlich – von jetzt auf gleich einen knallroten Kopf und trat verlegen von einem Bein auf das andere.

Boris zog den Schirm seiner Baseballkappe nach vorne. »Wir sollen beim Schreiben helfen«, versuchte er zu schlichten. »Simone meint, dass die jüngeren Kinder die Sache mit unserer Verwandlung vom Menschen zum Delfin nicht verstehen könnten und …«

»Das kriegen wir locker hin!«, unterbrach Stefan. »Aber: Schon in der Einleitung sollten wir erklären, dass man die Geschichte Sechs- bis Siebenjährigen vorlesen kann. Dass Acht- bis Neunjährige alleine lesen könnten, falls sie schon richtige Leseratten sind. Und wenn wir darauf hinweisen, dass die Story bei Zehn- bis Zwölfjährigen sowieso hammermäßig ankommt, dann werden wir gleich im Prolog ’nen Volltreffer landen.«

»Ich will beim Po der log auch ’ne Einleitung voll treffen«, plapperte der Ersatzmann der Voltis – die fünfjährige Verena – munter dazwischen, indem sie mal wieder sämtliche Wechstaben verbuchselte.

»Da seht ihr, wie schwer das Schreiben für die jüngeren Kids ist«, sagte Simone verzweifelt. »Wie soll ich erklären, was ein Prolog ist?«

»Total einfach!«, rief die schlaue Ines. »An das Ende der Story hängst du einfach noch ’nen Glossar und erklärst darin alle schwierigen Wörter.«

Stefan stimmte lauthals zu. »Voll genial! Was woll’n wir wetten?« Dann fuhr er sich mit der Hand durch seinen blonden Lockenkopf und fragte zweifelnd: »Aber wie erkennen uns die Kids? Die Volti-Bande besteht aus neun Jungen und Mädchen und …«

»Voll easy!«, winkte Birgit lässig ab und grinste breit, sodass ihre Zahnklammer aufblitzte. »Ich werde Porträts von uns malen. Und neben unseren gezeichneten Gesichtern zähle ich all unsere drolligen Marotten auf. Das ist nicht nur lustig, sondern danach werden uns die Kids sofort wiedererkennen, wenn die Wahnsinns-Story endlich losgeht.«

»Ich will auch Bilder malen!«, rief Verena und stampfte mit dem Fuß auf. Erschrocken schaute sie in die Runde, als alle wie aus einem Mund forderten: »Ich auch! Ich auch! Ich auch!«

Selbst die schüchterne Maren nahm lautstark für sich in Anspruch, dass auch sie ein Bild malen wolle. Wie gewöhnlich war sie als Letzte eingetreten, hatte sich unbemerkt hinter die Kameraden gestellt und bewundernd ihren Gesprächen zugehört, derweil sie eifrig die Gläser ihrer Sportbrille putzte.

»Jetzt zickt nicht rum!«, versuchte Boris den aufkeimenden Streit zu schlichten. »Ich schlage vor, dass jeder ein Bild zu unseren Erlebnissen malt.« Erleichtert atmete er auf, als schnell wieder Ruhe eingekehrt war.

Sobald Caroline und Ilona von draußen zurückgekehrt waren, schloss Boris hinter ihnen die Tür, setzte seine Kappe verkehrt herum auf, zog das rechte Ohrläppchen in die Länge und diktierte: »Der Countdown beginnt! Simone, schreib: Als die Volti-Bande nach ihrem Turnier durch die Dunkelheit fuhr, war noch alles okay. Plötzlich …«

Der Vogel schüttelte sein schwarzes Federkleid und gab ein deutlich gesprochenes »Cool!« von sich.

1. Außerirdisch!: Indiana Jones kann sprechen

Plötzlich bremste der Kleinbus mit quietschenden Reifen vor der Reiterpension.

Herr Winzig – der auf Boris’ Schoß eingeschlafen war – flog im hohen Bogen gegen die Rücklehne des Vordersitzes und plumpste von dort unsanft zwischen Gretchens Beine auf die Fußmatte. Erschrocken rappelte sich der kleine Hund hoch. Auf sein empörtes Gebell antwortete Wacker mit einem durchdringenden Wiehern aus dem Pferdetransporter, der vom Kleinbus gezogen wurde.

»Was geht ab, Oskar?«, fragte Stefan, fuhr sich mit der Hand durch seinen blonden Wuschelkopf und blinzelte verschlafen durch die schmutzige Autoscheibe in die Dunkelheit.

»Mir ist gerade so was wie eine riesengroße Amsel vor die Scheibe geflogen«, erklärte Oskar alarmiert und sprang mit einem Ruck aus dem Auto. Seine Augen suchten die Einfahrt vor der Reiterpension ab, während die Voltis nacheinander todmüde aus dem Auto kletterten.

Gretchen nahm den Hund auf den Arm, stieg aus und setzte Herrn Winzig auf die Erde. »Habt ihr das arme Tier schon gefunden?«, fragte die Trainerin und blickte zu den Kindern hinüber, die vereint nach dem Vogel Ausschau hielten.

Unvermittelt setzte Maren ihre verrutschte Brille gerade, kniete sich auf die Erde und streckte den Zeigefinger aus. »Meine Güte, zehn Bonbons und keine Tüte«, sagte sie aufgeregt, als ein großer schwarzer Federbusch – aus dem ein gelber Schnabel herausragte – auf ihre Hand kletterte. »Hoffentlich hat er sich nicht verletzt.«

Der Vogel stieß zuerst einen grellen Pfiff aus, schüttelte dann sekundenlang sein schwarzes Federkleid und gab dabei ein deutlich gesprochenes »Cool!« von sich.

Verwundert rieb sich die kleine Verena die Augen. »Der kann ja reden!?«, murmelte sie. »Ob das ein E.T. ist?«

Ines kicherte. »Das ist kein Außerirdischer, sondern ein Beo«, bemerkte das wandelnde Lexikon der Volti-Bande, hob den Zeigefinger der rechten Hand und erklärte nach kurzer Überlegung: »Ich hab gelesen, dass der Beo vorwiegend in Indien lebt und schnell lernt, Geräusche oder Wörter nachzuahmen.«

»Mein Onkel Leo wohnt nicht in Indien! Und sprechen will der auch nie, weil er nämlich immer schlechte Laune hat«, erklärte Verena schlaftrunken und als ihre Kameraden zu kichern anfingen, streckte sie ihnen die Zunge heraus.

Herr Winzig stürmte auf seinen kurzen Beinen zu Maren, sprang mit den Vorderfüßen an ihr hoch, knabberte an den Schwanzfedern des Vogels und … nieste zwei Mal heftig.

Empört plusterte sich der Beo auf und krächzte: »Gesundheit!«

Ilona runzelte die Dichterstirn. »Der Vogel auf Marens Hand; voll süß fürs Plappern ist bekannt; doch wenn Herr Winzig lange zupft; hat er ihm bald den Schwanz gerupft«, gab sie von sich und übersah dabei geflissentlich, dass ihre Kameraden genervt die Augen gen Himmel hoben.

Verena riss erneut das Mündchen weit auf: »Geht’s gut?«, gähnte sie den Vogel an. Mit dem Zeigefinger kraulte sie seinen Kopf.

»Geht’s gut, Jones?«, erklang das Echo aus dem gelben Schnabel. Dann ahmte der große schwarze Vogel das Niesen des kleinen weißen Hundes so echt nach, dass sich Herr Winzig verblüfft auf den Allerwertesten setzte und den Beo vorwurfsvoll anstarrte.

Vor der Einfahrt ging eine Lampe an und die Pforte der Reiterpension wurde geöffnet.

»Seid ihr die Voltis aus Bayern?«, schallte eine sympathische Stimme zu ihnen hinüber. Eine rundliche Dame mittleren Alters ging auf die Kinder zu und blickte zum Beo. »Aha!«, bemerkte sie kopfnickend. »Indiana Jones hat euch schon begrüßt?«

Birgit stellte grinsend ihre Zahnspange zur Schau und fragte überrascht: »Der Beo heißt Indiana Jones? Genauso wie der Schauspieler in den coolen Abenteuerfilmen!?«

»Das ist ein Leo und kein Indianer«, klärte Verena die Pensionswirtin auf, derweil sie sich die müden Augen rieb.

»Der Beo ist vor die Autoscheibe gescheppert!«, erläuterte Simone. »Er könnte sich was gebrochen haben?!«

»Hm …?«, murmelte die rundliche Dame, nahm die Hände aus den Taschen ihrer blauen Schürze und tippte mit dem Zeigefinger gegen die Brust des Vogels.

Der Beo hob beide Flügel, flatterte heftig und krächzte: »Hände hoch, Jones!«

»Jones geht’s prima!«, stellte die Pensionswirtin fest und ging – den Voltis voran – zur erleuchteten Eingangstür zurück.

Unterdessen halfen Simone und Ilona der Trainerin beim Ausladen des Fuchswallachs. Gemeinsam brachten sie Wacker in einer geräumigen Box im Pferdestall unter. Während Gretchen das rötlich braune Fell des Pferdes striegelte, versorgten die Mädchen ihren Wacker mit frischem Wasser, Heu und Hafer. Anschließend rannten sie – so schnell sie konnten – zu ihren Kameraden.

Als sie in das Zimmer mit den vier Etagenbetten traten, blickten sie mit offenen Mündern auf das Tohuwabohu, das sich ihnen bot. Auf dem Boden – kreuz und quer verteilt – lagen geöffnete Reisetaschen, Proviantbeutel, Rucksäcke, Zahnbürsten und Schlafzeug, Bananenschalen, angefaulte Äpfel sowie schmutzige Turnieranzüge und Schuhe herum.

Mitten in diesem Durcheinander stand Caroline und zog Birgit ein Kissen über den Kopf, sodass die Federn durch die Luft flogen. »Diesmal schlafe ich oben!«, rief sie und schrie schrill auf, als Birgit ebenfalls ihr Kopfkissen auf Carolines Pferdeschwanz pfefferte.

Boris sah Simones entgeisterten Blick und zog achselzuckend das rechte Ohrläppchen lang. »Voll der Zicken-Alaaarm!«, bemerkte er langgezogen, drehte sich um und schlug die blau-weiß karierte Decke seines Bettes auf.

Stefan beugte sich aus dem doppelstöckigen Bett zu ihm hinunter, rollte mit den Augen und gab mit dem Ausruf »Und ewig zanken die Zicken!« seinen geistreichen Senf dazu.

In der oberen Hälfte des Etagenbetts, das am Fenster stand, hatte sich Verena aufgesetzt. »Die Zacken sollen mit dem Zinken aufhören«, jammerte die Kleine todmüde.

Auf diese günstige Gelegenheit schien der Beo gewartet zu haben. Schnurstracks hüpfte er vom Fensterbrett auf Verenas Kopf, plusterte sich auf und krächzte: »Zickezacke, Alaaarm!!!«

»Schnabel, Jones!«, rief Stefan.

Klein Verena zuckte zusammen und weinte wütend: »Tu den Leo von meinen Haaren!«

Unter Verena lag Maren. Und da sie schon eingeschlafen war, sprang sie aufgrund des Höllenlärms mit einem Ruck aus dem Bett. »Meine Güte, zehn Bonbons und keine Tüte«, sagte sie schlaftrunken, setzte ihre Brille auf die Nase, hielt den Zeigefinger vor die Brust des Vogels und gab sich die größte Mühe, Verena vom Beo zu befreien.

Mit schrillem Geschrei stieg Indiana Jones endlich auf die ausgestreckte Hand. Sogleich fiel sein Blick auf Herrn Winzig, der auf dem Fußboden an der Schnur eines halb geöffneten Proviantbeutels zerrte. Dabei knurrte und kläffte der kleine Hund wie ein Rudel Wölfe, das Beute machen wollte.

Im Sturzflug flatterte der Vogel auf die Erde, nahm ohne großes Federlesen das andere Schnurende in den Schnabel und zog unter gellendem Gezeter in die entgegengesetzte Richtung. Die Öffnung des köstlich riechenden Verpflegungssacks wurde, anstatt auf-, ruckweise immer enger zusammengezogen.

Nachdem das zickige Zanken, wütende Weinen, knurrige Kläffen und gellende Gezeter die Trommelfelle fast zum Platzen gebracht hatten, schrie Simone mitten in das Getöse: »Ruuuheee!!!« Augenblicklich kehrte Stille ein und nach kurzer Pause fuhr sie verlegen fort: »Äh …, ich meine doch nur, wenn wir alle so einen Radau machen; wer wird dann ruck, zuck erscheinen und uns ’ne Gardinenpredigt halten?!«

»Deine Mutter! Wer sonst!?«, stellten alle im Chor fest.

»Wenn’s beim Training mal laut zugeht, das Gretchen voll sauer vor uns steht, um Disziplin und Ruhe …«, begann Ilona und klappte den Mund postwendend zu, als ihr ein Kissen an den Kopf flog.

»Hör endlich auf, jedes Mal den totalen Terz zu machen!«, rief Stefan grantig von oben auf sie hinunter. »So ’n uncooles Weibergeschwafel geht selbst dem stärksten Mann auf den Keks!!!«

Ilona warf Stefan einen bitterbösen Blick zu.

Caroline legte das gerupfte Kopfkissen auf einen Stuhl. »Okay, der Klügere gibt nach«, brummte sie verstimmt. »Dann schlaf ich eben auf dem Feldbett neben dem Ausgang. Muss ja sowieso nachts öfter raus.« Heftig zog sie die Tür hinter sich zu, als sie zur Toilette ging.

»Na also: geht doch!«, murmelte Birgit, griff grinsend mit beiden Händen an die Querstange des leeren Etagenbetts und schwang sich mit einer Rolle rückwärts auf die obere Matratze. »Voll easy!«, winkte sie lässig ab, als Stefan mit dem Ausruf »Hammermäßig!!!« in die Hände klatschte.

Während der ganzen Zeit hatte Ines ruhig am Tisch neben der Stehlampe gesessen und die Nase tief in ihr Lexikon gesteckt. »Super!«, meinte sie, ohne aufzublicken. »Dann bleibt für mich das Bett unter der ewig grinsenden Zahnspange übrig! Oder?«

»He, Leute! Bevor wir hier alle total abhängen!«, versuchte Boris zu schlichten und sprang aus dem Bett. »Was haltet ihr davon, wenn wir ’nen coolen Abgang machen und zum Ostseestrand spurten?«

»Spitzenmäßig!«, stimmte Stefan sofort zu. »Der Vorschlag haut wieder mal voll rein!«

Auf leisen Sohlen schlichen sie zur Hintertür der Pension hinaus, huschten durch den Garten und zogen behutsam das quietschende Holztor hinter sich zu. Eine starke Brise fächelte ihnen die losen Sandkörner ins Gesicht, als sie durch die Dünen zum Strand hinunterstapften.

Übermüdet setzte sich die kleine Verena in den weißen weichen Sand und hielt sich die Ohren zu. Auf ihrem Kopf hockte der Beo und krächzte immerzu: »Alaaarm! Ruuuheee!«

Furchtsam schaute Maren zuerst aufs Meer und dann zum nachtdunklen Himmel, der durch gespenstisch zuckende Blitze erhellt wurde. »Du meine Güte«, flüsterte sie in die unheimlich wirkende Finsternis. »Ich glaub, da kommt ein Unwetter auf uns zu.«

»Locker bleiben! Nur keine Angst!«, redete Boris beruhigend auf sie ein. »Ach übrigens, da wir gerade von Angst sprechen! Wo ist Caroline?«

»Auf dem Klo! Wo denn sonst?«, erwiderte Stefan. »Wenn sie was nervt, rennt sie doch jedes Mal aufs Häuschen, um zu pieseln oder zu heulen oder um beides gleichzeitig zu machen.«

»Kein Mensch ist vollkommen!«, bemerkte Simone und bedachte Stefan mit einem durchdringenden Blick. »Jetzt bleibt doch cool, Leute! Sie hat halt ’ne schwache Blase.«

»Schwache Blase, Jones!«, echote der Beo, äugte von Verenas Kopf auf Herrn Winzig hinunter und nieste erneut auf Hundeart.

Inzwischen war die starke Brise zum Sturm herangewachsen. Die aufgetürmten Wolken schienen die Gestalten von galoppierenden Rapphengsten angenommen zu haben, die tollkühn die himmlischen Weideplätze zu erobern suchten.

Ilona blickte von den schwarzen Wolkenpferden am Himmel hinunter auf die dunklen, meterhoch aufgeschäumten Ostseewellen, auf denen weiße Gischtkronen wild durcheinander tanzten. »Das Herz fühlt Grausen, weil Stürme brausen; und während Blitze zucken, siehst du Fische spucken«, flüsterte sie, starrte gebannt aufs Wasser und hielt den Atem an.

»Das sind Säugetiere, keine Fische!«, rief Ines. »Ich erkenn kleine Schweinswale, aber auch den Stenella attenuata, den sogenannten Flecken- oder Schlankdelfin. Sie blasen Salzwasser aus den Öffnungen auf ihren Köpfen.«

Stefan schaute Ines neidisch an. Rasch riss er sich zusammen und fragte betont gleichgültig: »Wie unterscheidest du Schweinswale von Delfinen? Für mich sehen die Meeressäuger alle gleich aus!«

»Die kleinen Schweinswale haben ein rundes und die meisten Delfine ein spitzes Maul. Außerdem können Delfine aus dem Wasser hoch in die Luft springen«, erklärte Ines und schüttelte anschließend den Kopf. »Aber diese Delfinart lebt nicht so nah an der Küste und kommt hauptsächlich in wärmeren Gewässern vor.«

»Neulich stand in der Zeitung, dass man Delfine in der Nord- und Ostsee gesichtet hätte, weil die Meere durch den Klimawandel immer wärmer würden«, erwiderte Stefan.

»Voll der Wahnsinn!«, stellte Boris fest. Begeistert schaute er auf die glänzend nassen Delfinkörper, die im Licht der zuckenden Blitze silbern schimmerten, wenn sie mit Schwung aus dem Wasser sprangen.

»Wow!« Stefan