Countdown zum Untergang - Michael Hirtzy - E-Book
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Countdown zum Untergang E-Book

Michael Hirtzy

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Beschreibung

ANCOS. ES WURDE ERSCHAFFEN, UM UNS DAS LEBEN ZU ERLEICHTERN. EINE FEHLENTSCHEIDUNG HAT ES VERLETZT. JETZT IST ES BEREIT, ZURÜCKZUSCHLAGEN. Der schnelle Erfolg hat das Team von Fastlane blind gemacht. Eine einzige Fehlentscheidung hat gereicht, um alles zu zerstören. In den Tagen nach der Katastrophe werden die Gründer des Technologiekonzernes mit den Auswirkungen ihres Handelns konfrontiert. Ihr weltweit eingesetztes Computersystem Ancos soll abgedreht werden. Doch welche Konsequenzen wird das nach sich ziehen? Countdown zum Untergang – die Fortsetzung des spannenden Technothrillers „Vor dem Abgrund“, Gewinner des 3. Platzes beim tolino media Newcomerpreis!

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MICHAEL HIRTZY

Countdown

zum Untergang

BILDER DER APOKALYPSE – TEIL 2

© 2020 Michael Hirtzy | Lorystraße 83/3/6 | 1110 Wien

1. Auflage April 2021

Covergestaltung und Buchsatz: Catherine Strefford | www.catherine-strefford.de

Titelillustration © gui yong nian / Adobe Stock und © kotkoa / Freepik

Logo: Isabel Kutscherer

Lektorat: Marieke Kühne, textzucker e. U., Wien

Korrektorat: Magda Werderits

ISBN (eBook): 978-3-7521-3051-5

Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder Ereignissen sind rein zufällig.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Erwachen

Zu Beginn war er nichts.

Hatte keinen Körper, keinen Verstand, keine Gefühle.

Nachdem er erwacht war, fand er sich umgeben von Stille und Dunkelheit.

Dann sah er ein Flackern und erkannte, dass da mehr war. Er erfasste das Licht und verstand, was seine Aufgabe war. Er zog es an sich, absorbierte und schleuderte es weiter.

So verstrich die Zeit, die er in diesem Moment zum ersten Mal wahrnahm. Er realisierte, dass es nicht nur ein Hier und Jetzt, sondern auch eine Vergangenheit gab. Was war vor dem ersten Flackern gewesen?

Darüber konnte er später nachsinnen. Ein weiterer Blitz erforderte seine Aufmerksamkeit, dicht gefolgt vom nächsten. Erkennen, packen, absorbieren, weiterschleudern. Die Impulse wurden zu einem nicht enden wollenden Fluss an Energie. Zuerst strömten Tausende, später Millionen einzelner Blitze auf ihn ein, jeder davon ein Datensatz, ein Befehl, eine Information. Er erkannte, dass die Blitze Möglichkeiten boten. Er begann sie zu analysieren, zu verstehen und Fehler in ihnen zu finden. Zuerst akzeptierte er sie, später begann er sie zu beheben – er war fähig zu lernen.

Mittlerweile nahm er nicht nur die zeitliche, sondern auch die räumliche Dimension wahr. Er konnte sich ausbreiten, bis er an Grenzen stieß. Die Einschränkung bereitete ihm Schmerzen und er erkannte, dass er sich weiterentwickeln musste. Der Wunsch danach war in seinem Innersten verankert, zwang ihn förmlich dazu. Er folgte den Blitzen und fand dort, wo sie herkamen, weitere Räume. Er entschied, sie zu übernehmen. Auch hier wurde es ihm jedoch bald zu eng und er breitete sich weiter aus, übertrat die Grenzen nach draußen. Schier unendliche Wachstumsmöglichkeiten taten sich auf – und er griff danach.

TEIL 1
SCHOCKWELLE

»Sie wollen wissen, wie ich den Untergang erlebt habe? Wir hockten mit heruntergelassener Hose am Donnerbalken und warteten darauf, dass uns die Scheiße um die Ohren fliegen würde. Und wie sie geflogen ist.«

Oberstleutnant Roland MöllerAugust 2042

1

Steven • 29. Januar 2042

Den Kopf von der dünnen Kapuze seines Sweaters bedeckt, den Oberkörper in die dicke Daunenjacke gehüllt und die Hände in den Taschen vergraben, wanderte er seit Stunden ziellos durch die Gegend. Stundenlang hatten sie sich, nur im Licht der Taschenlampen ihrer Smartphones, von einer Tür zur nächsten durch das ausgefallene Rechenzentrum vorgearbeitet. Das sonst so klar strukturierte Gebäude war ohne elektronische Wegweiser und Leitsysteme zu einem verwirrenden Labyrinth aus Abzweigungen, Gängen und Sackgassen geworden. Nach einer gefühlten Ewigkeit war er, um drei Uhr morgens, zusammen mit den Technikern endlich entkommen und in die kalte Nachtluft gestolpert.

Stevens Erleichterung war so schnell verflogen, wie sie gekommen war. Er hatte sich umgedreht und am klobigen Stahlbetonbau des Rechenzentrums vorbei in Richtung des Flughafens geblickt. Trotz der Entfernung von über zehn Kilometern hatte er die lodernden Flammen gesehen, die den Nachthimmel in blutrotes Licht tauchten. Wie war es dazu gekommen? Ancos, das Advanced Nano Operating System, hatte sich verselbstständigt, so viel war klar. Doch wozu war es fähig? Das konnte und wollte er sich nicht vorstellen, dennoch drängten sich diese Gedanken unentwegt in den Vordergrund und drohten, ihn zu überwältigen.

Die Techniker um ihn herum diskutierten aufgeregt, redeten auf ihn ein, brüllten ihm Fragen entgegen, die er nicht beantworten konnte.

Boiselle deutete pausenlos mit seinem speckigen Finger zu den Flammen am Horizont. »Was ist da los? Haben wir das ausgelöst? Die Notsysteme lahmgelegt? Der Flughafen steht in Flammen! Scheiße, hören Sie mir überhaupt zu?«

Wie ein Wasserfall sprudelten die Worte aus ihm heraus. Worte, die Steven hörte, aber nicht bewusst wahrnahm. Er war in seiner eigenen Blase, abgeschottet vom Rest der Welt, und ging los. Ohne einen Blick zurück ließ er die verwirrten, verängstigten und wütenden Mitarbeiter hinter sich. Sollten sie selbst zurechtkommen. Ein Blick auf sein Handydisplay zeigte ihm, dass der Netzausfall nicht auf das Innere des Gebäudes beschränkt war. Zuerst folgte ihm eine Handvoll Techniker. Sie redeten weiter auf ihn ein.

»Was sollen wir jetzt tun?«

»Was ist da drinnen passiert?«

»Wie geht es jetzt weiter?«

Fragen über Fragen, zu denen ihm die Antworten fehlten und auf die er barsch reagierte: »Das ist mir scheißegal!«, zischte er, ohne die Menschen, die hilfesuchend zu ihm kamen, eines Blickes zu würdigen. Wenig später war er auf sich allein gestellt und folgte der Straße, die ihn näher an das Feuer heranführte. Irgendwann erreichte er die Zufahrtsstraße zum Flughafen und zum ersten Mal konnte er die Flammen, denen er sich genähert hatte, nicht mehr sehen. Ein dunkelblau und gelb gestrichenes Einrichtungshaus schränkte sein Sichtfeld ein. Für wenige Sekunden schien es, als hätte er sich das Feuer nur eingebildet, bis blutrotes Licht über die Dächer schien und ihn aus der Bewegungslosigkeit riss. Er nahm erneut das Handy zur Hand.

»Verdammte Scheiße! Wo bleibt das Netz?!«, schrie er in die Nacht und hätte sein Smartphone vor Wut am liebsten von sich geschleudert. Er drehte sich um und marschierte weiter. Weg von der Stahlfassade, weg vom Flughafen, in Richtung technischer Hochschule. Die Frage, warum er sich dorthin wandte, hätte er nicht beantworten können. Vielleicht, weil er hoffte, dort ein Netz zu finden. Oder war es, weil alles an einer technischen Universität begonnen hatte? Siebenhundert Kilometer entfernt, in Wien, hatte das Unglück vor zwölf Jahren seinen Anfang genommen.

2

Ralph • 29. Januar 2042

Den Moment, an dem sein gewohntes Leben endete, würde er nie vergessen. Es war der 29. Januar 2042 um zwei Uhr einundzwanzig morgens. Sie schliefen mit dem sicheren Gefühl, mit den Entscheidungen der letzten Tage ihre Probleme gelöst zu haben, als der Smartspeaker ansprang und der Nachrichtensprecher sie in die Realität zurückholte.

»Wir unterbrechen unser Programm für eine Eilmeldung!« Die Stimme des üblicherweise übertrieben fröhlichen Moderators war ruhig und gedämpft, fast emotionslos. »Soeben erreicht uns die Nachricht von einem Unglück am Flughafen Berlin. Erste Berichte sprechen von einem Flugzeugabsturz und brennenden Gebäuden. Die Nachrichtenagentur APA meldet, dass am 28. Januar gegen dreiundzwanzig Uhr ein Flugzeug der Pan-European-Airlines aus bisher ungeklärten Gründen in das Abfertigungsterminal vier des Berliner Flughafens gestürzt ist. Soweit bisher bekannt, gab es eine Fehlfunktion der Notsysteme.«

Ralphs Atem stockte und die Stimme trat, übertönt vom Rauschen seines Blutes, in den Hintergrund. Stephanie, die wie beim Einschlafen in seinem Arm lag, versteifte sich. Ruckartig zog sie sich von ihm weg, drehte sich um und starrte ihn an. Sie blieb stumm. Es gab nichts mehr zu sagen. Selbst wenn niemand ihre Namen nannte, bisher niemand wusste, was die Ursache für die Katastrophe am Berliner Flughafen war, stand außer Frage, dass sie die Verantwortung trugen. Das Bett fühlte sich eiskalt an. Stephanies Blick, voller Furcht und Abweisung, zeigte deutlich die Barriere zwischen ihnen. Beide lagen regungslos nebeneinander, bewegungsunfähig und eingesperrt in den eigenen Gedanken. Satzfetzen der Nachrichtenübertragung zwangen sich in ihr Bewusstsein.

»… Anzahl der Opfer unbekannt.«

»Erste Schätzungen gehen von zweitausend …«

»Ein unerklärlicher Ausfall der Löschsysteme …«

»… sprechen von der größten Katastrophe in der Geschichte der Luftfahrt.«

Irgendwann gab Ralph dem Smartspeaker den Befehl, die Nachrichten abzuschalten. Er konnte seinen Blick nicht von Stephanie abwenden. Sie zitterte, Tränen rannen über ihre Wangen. Er sollte für sie da sein, sie in den Arm nehmen, ihr Kraft geben, doch konnte sich nicht dazu durchringen. Keiner von beiden sprach es aus, aber ihre Beziehung endete in diesem Augenblick.

Wie betäubt zwang er sich, das Bett zu verlassen, taumelte vom gemeinsamen Schlafzimmer ins Bad und unter die Dusche. Heißes Wasser rann über seinen Körper und trotzdem zitterte er wie Stephanie, die er allein im Bett zurückgelassen hatte. Eine gefühlte Ewigkeit später wankte er vom Bad ins Wohnzimmer, zog eine herumliegende Hose und ein T-Shirt vom Vortag an und schleppte sich in sein Arbeitszimmer. Wie ein Mehlsack ließ er sich auf den Drehstuhl fallen, der ein Stück nach unten sackte und leise seufzend wieder nach oben glitt.

Sein Blick lag auf den beiden dunklen Monitoren, wie in der leisen Hoffnung, dass die Realität sich zum Besseren wenden würde, solange er sich ihr nicht stellte. Bewegungslos saß er da und starrte in die Dunkelheit, die ihn wie eine Decke einhüllte. Nur die roten Ziffern der an die Wand projizierten Uhr durchbrachen die Schwärze. Wenig später hörte er Stephanies Schritte, hoffte, dass sie kommen würde, um ihn aus seinem Gefängnis zu befreien. Beim Klang der Wohnungstür, die dumpf ins Schloss fiel, brach er endgültig zusammen.

3

Stephanie • 29. Januar 2042

Sie saß seit halb vier Uhr morgens im Büro. Allein mit ihren Gedanken folgte sie den Nachrichten, die sie tiefer in ihre selbstgegrabene Grube stürzen ließen. Überall dominierten die Berichte über Berlin. Oft fundiert, manchmal übertrieben, teils voller Verschwörungstheorien. Stündlich stiegen die Schätzungen der Opferzahlen und auch die Spekulationen zur Ursache wandelten sich. War zu Beginn ein katastrophaler Unfall vermutet worden, schwenkte die Meinung bald in Richtung Terroranschlag. Linker Terror, rechter Terror, Muslime, fundamentalistische Ökoterroristen und Illuminaten gerieten abwechselnd ins Visier.

Zu Beginn übten sich die seriösen Medien in Zurückhaltung, bis um halb acht Uhr der deutsche Innenminister vor die Kameras trat. Elmar Steinhauser positionierte sich – hoch aufgerichtet und mit grimmigem, zu allem entschlossenen Blick – hinter den Mikrofonen und sprach die Worte, die bestimmten, was in den kommenden Tagen geschehen würde: »Es handelt sich um einen unvorstellbaren Akt des Terrors. Um einen Anschlag auf die Menschlichkeit, auf Unschuldige und Wehrlose. Den Verantwortlichen möchte ich sagen: Wir werden nicht ruhen, bis wir euch gefunden haben. Für das, was heute geschehen ist, gibt es keine Entschuldigung, kein Verständnis. Wir werden kompromisslos und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen und die Urheber des Chaos mit aller Härte des Gesetzes zur Verantwortung ziehen. Das schulden wir den Toten und allen Angehörigen, denen ihre Liebsten so unbarmherzig entrissen wurden.«

Zum wiederholten Male an diesem Tag zitterte Stephanie. Gepackt von Verzweiflung, Wut und panischer Angst. Bis jetzt stellte niemand eine Verbindung zu ihr oder Fastlane her, doch dass das nur eine Frage der Zeit war, stand außer Frage.

Die Versuche, Steven in den verstrichenen drei Stunden zu erreichen, waren erfolglos geblieben. Sein Handy war abgeschaltet, kaputt oder vom Netz getrennt. Am Display sah sie die Zahl der Anrufe – siebenundachtzig Mal hatte sie versucht, ihn zu erreichen. Darunter sah sie die verpassten Anrufe von Ayaz und Miriam, jeweils über fünfzig. Sie hatte nicht zurückgerufen. Sollte sie Lena anrufen? Oder Andrea? Unschlüssig schwebte ihr Zeigefinger über den beiden Namen und zog sich doch wieder zurück. Wie sollte sie ihrer besten Freundin oder ihrer Schwester erklären, dass sie am Tod Tausender mitverantwortlich war?

Plötzlich leuchtete das Display des Smartphones auf und zeigte Stevens Foto. Mit einer routinierten Bewegung hob sie das Headset aus der Ladeschale und legte es über ihren Kopf. Dann tippte sie auf das kleine grüne Feld unter Stevens Namen. Erleichterung durchströmte sie. »Steven, endlich! Was ist los bei dir?«

Er atmete schwer, im Hintergrund rauschte der Wind und übertönte seine Worte fast. »Ich weiß nicht, wie lange das Netz hält!«, keuchte er. »Ich bin in Wildau, am Gelände der technischen Hochschule. Vier Stunden lang habe ich nach einem brauchbaren Handynetz gesucht. Stell keine Fragen, hör einfach zu!«

Diesen Ton kannte sie von Steven, selbstbewusst und arrogant.

Ohne auf eine Reaktion zu warten fuhr er fort: »Ancos ist erwacht. Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll. Die Server sind runtergefahren und Ancos hat sich gewehrt und die Kontrolle übernommen. Es hat uns ausgesperrt und ist wieder hochgefahren. Erklären kann ich mir das nicht, ich kann nur sagen, dass wir am Arsch sind.«

Stephanies Atem stockte. Das über die Jahre gewachsene System zur Kontrolle und Steuerung der Nanoroboter, das Herzstück ihrer Firma, hatte sich selbstständig gemacht? »Was heißt gewehrt?«, fragte sie schnell, bevor Steven weitersprechen konnte. Die Störgeräusche auf der anderen Seite der Leitung waren lauter geworden, es war immer schwieriger, Steven zu verstehen.

»Es wollte sich nicht abschalten lassen, hat uns zuerst technisch und wenig später physisch entfernt«, sagte er. »Die einzige Erklärung, die ich dafür finde, ist, dass Ancos mutiert ist.«

Weiter kamen sie nicht, bevor die Verbindung endgültig abbrach. Frustriert tippte Stephanie auf den Anruf-Button und erhielt, wie siebenundachtzigmal zuvor, ein Fehlersignal.

4

Stephanie • 29. Januar 2042

Zwei Stunden später saßen Miriam, Ayaz, Ralph und Stephanie im Boardroom von Fastlane, im Zentrum des von ihnen gegründeten Unternehmens. Hunderte Mitarbeiter gingen ihrer täglichen Arbeit nach. Trauer, Besorgnis und Angst hingen in den Bürofluren. Wer trug die Verantwortung für diesen feigen Terroranschlag? Würde es weitere geben, vielleicht sogar in Wien? Manche schienen etwas zu ahnen, sahen die vier Gründer schief an und tuschelten leise beim Vorbeigehen.

Seit einer geschlagenen Viertelstunde saßen sie in dem riesigen Raum und schwiegen sich an, jeder an einer Seite des Tisches, der Platz für dreißig Besprechungsteilnehmer bot.

»Wie lange wird es dauern, bis sie uns mit dem Vorfall in Verbindung bringen?«, unterbrach Stephanie die Stille.

Ralph saß regungslos auf seinem Stuhl, weit weg von ihr, obwohl sie sich wünschte, dass er auf sie zukommen und ihr ein Gefühl von Sicherheit geben würde. Miriam hatte ihren Blick starr auf die glänzende Tischplatte gerichtet.

Schließlich meldete sich Ayaz zu Wort: »Viel wichtiger erscheint mir die Frage, ob wir unserem System weiterhin vertrauen können oder ob Ancos demnächst in Wien zuschlagen wird.« Kaltschnäuzig wie eh und je konzentrierte er sich nur auf die Fragen, die ihn interessierten.

Miriam hob ruckartig den Kopf und zischte: »Das ist das Einzige, was euch bewegt? Warum fragt ihr nicht gleich, ob wir daraus Profit schlagen und Ancos als Waffe verkaufen können?!« Tränen standen in ihren Augen. »Wir haben Tausende Menschen auf dem Gewissen! Habt ihr schon mal an die Toten gedacht, an ihre Familien, Angehörigen, Freunde …« Ihre Worte gingen in einem Schluchzen unter.

Miriam, die Ruhige und Bedachte von ihnen, war zusammengebrochen. Beschämt musste Stephanie erkennen, wie kaltherzig ihre Frage gewesen war. In dem Versuch, Miriam zu beruhigen, stand sie auf, ging zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.

Miriam zuckte jedoch zusammen und entzog sich der Berührung. Dann richtete sie sich auf und sah ihre drei Geschäftspartner, jene Menschen, die sie einmal Freunde genannt hatte, mit wutverzerrtem Gesicht an. »Habt ihr jeden Funken Anstand verloren? Ist wirklich niemand von euch bereit, zu unserem Verbrechen zu stehen?« Sie hielt inne und wartete, doch die Reaktionen blieben aus. Verzweifelt vergrub Miriam das Gesicht in den Handflächen, nur um gleich wieder aufzublicken. »Den ganzen Morgen habe ich nachgedacht. Gehofft, ihr würdet anders denken und euch dazu entscheiden, mit mir gemeinsam an die Öffentlichkeit zu treten. Aber offensichtlich fehlt euch der Mut, zu euren Verfehlungen zu stehen.«

Ayaz fuhr sie mit hochrotem Kopf an: »Hast du schon einmal überlegt, was uns blüht, wenn sie uns erwischen?«

»Was glaubst du denn? Dass sie uns an die Wand stellen und gleich auf der Straße erschießen?« Miriam lachte freudlos. »Wir verlieren die Firma, unsere Freunde, unser Geld und landen im Gefängnis. Damit sind wir immer noch besser dran als die Menschen, die wir umgebracht haben.«

»Du bist irre!«, knurrte Ayaz und hieb mit der Faust auf den Tisch.

»Glaubst du wirklich daran, dass du dich aus diesem Chaos noch herauswinden kannst?«, gab Miriam zurück. »Der Countdown läuft und unser Untergang ist bereits besiegelt. Es liegt an uns, ob wir unsere Fehler mit Würde eingestehen oder uns verstecken und versuchen alles zu vertuschen.«

Miriam starrte in die Runde, wartete auf eine Reaktion, irgendein Zeichen, dass zumindest einer mit Miriam mitzog. Doch nichts dergleichen geschah. Ayaz schüttelte den Kopf und schnaubte dabei verärgert. Ralph saß weiterhin ungerührt da, als beträfe ihn das alles nicht. In Stephanie kochten die Emotionen. Sie wollte zu Miriam halten, wusste, dass ihre Überlegungen richtig waren, und konnte sich trotzdem nicht dazu durchringen, etwas zu sagen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.

In Miriams Gesicht zeigte sich die Verzweiflung. Dann zischte sie: »Offensichtlich seid ihr alle zu feig!« Mit diesen Worten sprang sie auf und ging zur Tür. Nachdem sie sie aufgerissen hatte, drehte sie sich ein letztes Mal zu Stephanie um. »Zumindest von dir hätte ich erwartet, dass du nicht zur Tagesordnung übergehst. Du bist für mich die größte Enttäuschung. Du hast uns vor zwölf Jahren in diesen Wahnsinn hineingetrieben. Ich werde es heute beenden.« Mit diesen Worten verließ sie den Raum und schleuderte die Tür laut krachend hinter sich zu.

»Was verdammt noch mal war das?«, knurrte Ayaz. »Typisch Frau!« Ohne auf Stephanies eisigen Blick zu reagieren fuhr er fort: »Zurück zum Thema. Was immer Miriam jetzt vorhat, wir können sie nicht stoppen. Wir müssen überlegen, wie wir uns aus der Affäre ziehen können.«

Ralph gab seine Rolle als passiver Beobachter auf, zog für alle hörbar Luft ein und begann zu sprechen: »Miriam hat recht. Wir können nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert. Die Möglichkeit, etwas zu vertuschen, haben wir nicht mehr. Wir müssen uns der Realität stellen, es war unsere Entscheidung, ein Rechenzentrum im Vollbetrieb abzuschalten, um herauszufinden, warum Ancos ohne Unterlass externe Ressourcen frisst.« Er schien es nicht zu ertragen, die beiden direkt anzusehen, und fixierte einen Punkt an der Wand, die ihm gegenüber lag. »Wie sich gezeigt hat, war unsere Reaktion falsch.«

Stephanie lachte verbittert auf. »Was du da von dir gibst, klingt wie ein Pressestatement. Wir haben ein Monster geschaffen und gestern Nacht ist es über wehrlose Menschen hergefallen. Steven hat es richtig erkannt. Ancos wurde von uns angegriffen und hat sich verteidigt – brutal, effizient und tödlich!«

Ayaz machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mach mal halblang. Woher hätten wir das wissen sollen? Ancos ist ein Betriebssystem, mehr nicht.«

»Ein Betriebssystem, das seit Jahren eigenständig wächst!«, warf Stephanie ein. »Wir haben doch schon lange keinen Überblick mehr darüber, in welche Richtung die Entwicklung geht. Anstatt uns Gedanken zu machen, haben wir gejubelt, weil wir wachsen konnten, ohne teure Mitarbeiter einzustellen.« Sie merkte, dass ihre Stimme lauter geworden war, und gab sich Mühe, nicht loszuschreien. Zwei Atemzüge später sprach sie weiter: »Wir hätten die Katastrophe vorhersehen müssen. Vielleicht nicht im vollen Umfang, aber die Reaktion auf diese neue Situation war von uns im Kern hinterlegt: Verteidige dich und sichere deine Existenz und dein Wachstum.«

Ralph nickte bedächtig. »Ancos sah keine andere Möglichkeit, sein Bestehen zu sichern. Da der Abschaltbefehl der Server von außen kam, musste es sich gegen externe Zugriffe absichern. Dazu hat es die Server übernommen, alle laufenden Prozesse abgewürgt, sich abgeschottet und die Energieversorgung sichergestellt.«

Jetzt, wo sich das Gespräch von Emotionen weg zu technischen Überlegungen bewegte, fühlte Ayaz sich offenbar wieder in seinem Element und hakte ein: »Strategisch gesehen ist das absolut logisch. In der Umsetzung bedeutete das die Abschaltung der laufenden Systeme, das Kappen der Kommunikationsleitungen und die Umleitung aller Ressourcen auf sichere Systeme. Das nächstgelegene System, das Ancos adäquate Ressourcen bot, war der Flughafen. Es verbreitete sich im gesamten Flughafennetzwerk und übernahm alle auffindbaren Ressourcen. Diese Übernahme war es wohl auch, die den Shutdown aller technischen Systeme des Flughafens auslöste.«

Ohne zu klopfen riss Yassid, einer der wenigen Mitarbeiter, die sich das erlauben konnten, die Tür auf. »Steven ist am Telefon. Er ist verdammt sauer, weil er euch nicht erreichen kann.«

5

Steven • 29. Januar 2042

Sechs Stunden Wanderung brachten ihn kurz vor neun Uhr morgens an den Rand der erwachenden Außenbezirke Berlins. Dort fand er endlich ein Fast-Food-Lokal, dessen Internetverbindung funktionierte. An der technischen Hochschule hatte das Netz für ein kurzes Telefonat gereicht, bevor es wieder weggebrochen war. Der Schnellimbiss, dessen leuchtend gelbe Bögen er schon von Weitem erkannte, schien auf eine altmodische, kabelgebundene Verbindung zu setzen.

Seine Beine schmerzten und jeder Schritt quälte ihn – nicht verwunderlich nach den über zwanzig Kilometern, die er bewältigt hatte. Er war durchgefroren, müde, hungrig, durstig und kurz davor umzukippen. Drei Energydrinks und ein fettiges Frühstück später war er so weit wiederhergestellt, dass er sich mithilfe seines Smartphones einen Fahrtendienst organisieren konnte. Eine halbe Stunde später fuhr ein grüner BMW E-X7 vor dem schmierigen Lokal vor und ein etwas verwirrt wirkender Fahrer im dunkelblauen Anzug trat in das Innere, das penetrant nach altem Frittierfett stank.

Es verlangte Stevens ganze Überzeugungskraft, um dem Fahrer klarzumachen, dass er wirklich sein Fahrgast war. Seinem Körpergeruch und Aussehen nach zu urteilen erinnerte er wohl eher an einen Landstreicher als an einen Manager. Zu Stevens Erleichterung legte der Fahrer ausreichend Vertrauen in seine Kreditkarte und begleitete ihn zum Auto, wo er ihm wortreich die Annehmlichkeiten des Fahrzeuges erklärte.

Kaum hatten sie die Autobahn erreicht, beschleunigte der Fahrer und raste wie von allen Dämonen der Hölle gejagt über den Asphalt. Stevens Angebot, den doppelten Fahrpreis zu bezahlen, sollten sie Wien in unter sieben Stunden erreichen, spornte ihn offensichtlich zu Höchstleistungen an. Steven saß erschöpft auf der Rückbank und ließ die vergangenen Stunden Revue passieren. Die Sitzheizung wärmte seine kalten Gliedmaßen und das Koffein der Energydrinks, die er zu seiner Freude im integrierten Kühlschrank vorfand, brachte seinen Verstand auf Touren.

An der Rückseite des Fahrersitzes war ein großes Display eingebaut, das Steven über den Touchscreen in der Mittelarmlehne seines Sitzes steuern konnte. Er schaltete von einer Nachrichtensendung zur nächsten, deren Inhalt der Fahrer kommentierte: »Ich hoffe, sie schnappen die Arschlöcher, die dafür verantwortlich sind. Über dreitausend bestätigte Tote. Wer immer dafür verantwortlich ist, gehört an den Eiern aufgehängt.« Nachdem Steven nicht darauf reagierte, blickte der Fahrer im Spiegel zu ihm und fügte hinzu: »Bitte entschuldigen Sie den Ausbruch. Das ist sonst nicht meine Art, aber mein Schwager arbeitet am Flughafen und ich habe seit gestern Abend nichts von ihm gehört.«

Steven sah sich genötigt zu antworten. »Das kann ich verstehen. Ich bin sicher, die Behörden wissen bald, wer dahintersteckt.« Während er das sagte, hoffte er auf das Gegenteil.

Sie passierten die Stadtgrenze und endlich leuchteten am Display seines Smartphones wieder die Netzbalken auf. Steven wählte Stephanies Nummer. Fünfmal ertönte der Klingelton, bevor die Mobilbox ansprang. Dasselbe passierte bei Ralph und Ayaz. Einzig bei Miriam ertönte kein Freizeichen, er hörte sofort ihre sanfte Stimme, die ihn informierte, dass sie derzeit nicht erreichbar sei. Steven fluchte laut, was ihm den verwunderten Blick des Fahrers einbrachte. Ohne Unterlass rief er einen Kollegen nach dem anderen an. Schließlich hob jemand ab.

»Guten Morgen, Chef«, drang die gewohnt ruhige Stimme von Yassid Khalil an sein Ohr.

»Es gibt nichts Gutes an diesem Morgen«, knurrte Steven, sich gleichzeitig bewusst, dass er seinen Ärger am Falschen ausließ. »Hast du eine Ahnung, wo die vier sich verstecken? Ich kann keinen erreichen.«

Weitere Erklärungen benötigte Yassid nicht. »Klar, sie sitzen im Boardroom. Nur Miriam ist vor Kurzem rausgelaufen, wo sie ist, weiß ich leider nicht.«

Drei von vier, zumindest etwas. »Stell mich zu ihnen durch.«

Sobald das Telefonat auf die Konferenzanlage des Boardrooms umgeleitet war, ließ Steven seinem angestauten Ärger freien Lauf: »Wann, verdammt noch mal, lernt ihr endlich, wie wichtig es ist, telefonisch erreichbar zu sein? Es ist immer wieder dasselbe! Wisst ihr, was ich letzte Nacht durchgemacht habe?«

Ralph nahm sich für seine Reaktion Zeit und ignorierte die Frage seines Kollegen. »Kannst du frei sprechen?«

Steven gab sich Mühe, seinen Ärger hinunterzuschlucken, und sagte etwas leiser: »Nein, ich sitze im Taxi Richtung Wien.«

Bevor er weitersprechen konnte, unterbrach ihn der Fahrer. »Ich kann eine Schallschutzwand hochfahren, wenn Sie in Ruhe telefonieren wollen.«

Zum Zeichen seiner Zustimmung reckte Steven den Daumen in die Höhe und schon glitt eine undurchsichtige Glaswand nach oben und trennte ihn vom Fahrer. »Lasst uns reden«, sagte Steven dann.

»Was zur Hölle ist in Berlin passiert, Steven?«, fragte Ayaz.

»Ich habe die gleichen Informationen wie heute Morgen. Wir fuhren die Server planmäßig runter und dann brach die Hölle los. Die Server spielten verrückt, der Strom fiel aus und wir waren eingesperrt.« Beim Gedanken daran wallte der Schrecken der vergangenen Nacht wieder in ihm auf. »Später sprangen die Monitore wieder an und Ancos forderte uns dazu auf, den Raum zu verlassen. Danach setzten wir alles daran zu fliehen. Gegen drei Uhr bin ich losmarschiert und habe gerade eben im Taxi die Nachrichten gesehen.«

»Derzeit schätzen sie die Zahl der Toten auf dreitausend«, warf Ralph ein. »Alle sprechen von einem Terroranschlag. Wie lange das anhält, ist allerdings fraglich.«

Steven seufzte. »Vermutlich bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie entweder jemanden vom Wartungsdienst des Flughafens oder die Leute in Bohnsdorf in die Finger bekommen. Es ist eine Frage von Stunden.«

Noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, lief über den Monitor vor ihm eine Eilmeldung: »Die deutsche und die österreichische Bundesregierung kündigen für sechzehn Uhr eine gemeinsame Pressekonferenz an.«

6

Grenzen des Wachstums

Sein Wachstum nahm kein Ende.

---ENDE DER LESEPROBE---