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Aaron hat den Glauben an die wahre Liebe längst verloren. Zu oft wurde er schon hintergangen und angelogen, als dass er weiterhin Hoffnungen in sich tragen würde, dem Einen eines Tages eventuell doch noch übern Weg zu laufen. Dies ändert sich allerdings, als er im Internet Bekanntschaft mit dem überaus attraktiven Dylan macht. Der charmante Traummann entfacht das Feuer der Sehnsucht in ihm. Nie hätte Aaron gedacht, jemanden kennenzulernen, der nur wie für ihn gemacht zu sein scheint. Das Verlangen, Dylan im realen Leben zu begegnen, ihm näherzukommen, steigert sich binnen kürzester Zeit ins Unermessliche. Alles nur Erdenkliche ist Aaron bereit für diesen Menschen zu geben. Aber kann Dylan diese Gefühle auch erwidern? "Ein Roman über zwei einsame Männer, die sich seit eh und je nach einem Partner in ihrem Leben sehnen und die mehr gemeinsam haben, als ihnen bewusst ist."
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Veröffentlichungsjahr: 2021
CRAVING
SEHNSUCHT NACH DIR
Copyright © 2020 der deutschen Ausgabe X-Scandal Books
No51 Bracken Road, Carlisle Offices, Sandyford, Dublin, D18 CV 48
Ireland
Cover: © drubig-photo
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet.
Originalausgabe: 31.12.2020
Korrektorat: MvS Minden
Cover: Alec Xander
www.scandalbooks.com
ISBN: 978-3-94467297-7
www.alec-xander.com
Handlung, Charaktere und Orte sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.
Im realen Leben gilt verantwortungsbewusster Umgang miteinander.
INHALTSANGABE
CRAVING: Part 1
PROLOG
01.12.2025
23.07.2025
26.08.2025
27.08.2025
28.08.2025
DAYDREAM (1)
CRAVING: Part 2
30.08.2025
02.09.2025
03.09.2025
05.09.2025
06.09.2025
09.09.2025
12.09.2025
14.09.2025
15.09.2025
16.09.2025
17.09.2025
18.09.2025
19.09.2025
20.09.2025
21.09.2025
22.09.2025
23.09.2025
28.09.2025
DAYDREAM (2)
EINE EINSAME SEELE
CRAVING: Part 3
02.10.2025
03.10.2025
04.10.2025
05.10.2025
06.10.2025
07.10.2025
08.10.2025
10.10.2025
11.10.2025
12.10.2025
13.10.2025
14.10.2025
15.10.2025
16.10.2025
17.10.2025
18.10.2025
19.10.2025
20.10.2025
22.10.2025
23.10.2025
24.10.2025
26.10.2025
28.10.2025
29.10.2025
30.10.2025
07.11.2025
15.11.2025
18.11.2025
19.11.2025
26.11.2025
02.12.2025
04.12.2025
CRAVING: Part 4
05.12.2025
06.12.2025
14.12.2025
DIE WAHRHEIT (?)
EIGENSCHAFTEN
Lieber Dylan!
SWIMMING IN THE STARS
01.01.2026
DANKSAGUNG
UM DAS HERZ ZU ERLEICHTERN,
NICHT UM EINDRUCK ZU SCHINDEN …
„Du bist manchmal echt komisch.“
Unzählige Male hatte ich mir diesen Satz und viele weitere, die in diese Richtung gingen, schon anhören müssen, dabei fand ich überhaupt nicht, dass ich komisch war oder mich gar seltsam verhielt – im Gegenteil. Sonderlich waren eher die meisten Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt hatte. Sie feierten ohne Grund, betranken sich bis zur Besinnungslosigkeit und taten zahlreiche weitere Dinge, die ich nie verstehen konnte. Dass ich anders als andere war, wusste ich schon in jungen Jahren. Während die meisten Jungs in meinem Alter mit zig Freunden um die Häuser zogen und versuchten bei Mädchen Eindruck zu schinden, war ich lieber allein und träumte von einer romantischen Beziehung mit dem roten Power Ranger. Natürlich kannte ich nicht die Bezeichnung dafür, wenn man sich als Junge zu anderen Jungs – oder auch Männern – hingezogen fühlte, aber ich empfand so. Da anscheinend niemand sonst solch ein Verlangen zum eigenen Geschlecht zu haben schien, hielt ich natürlich dicht. Ich erzählte es auch nicht meinen Freunden, die an der Zahl recht überschaubar waren, weil die doch sofort zu ihren Eltern gerannt wären und ausgeplaudert hätten, dass ich von diesem gigantischen Gehänge eines Mittdreißigers fasziniert war. Ja, das war ich tatsächlich. Nicht, dass der Mann versucht hätte, mich in irgendeiner Art und Weise anzufassen oder so. Er kam lediglich unbekleidet aus der Dusche und lief eine Weile nackt in der Wohnung herum. Wie in Trance starrte ich auf diese dicke, lange Fleischwurst, bis er mich anmotzte, ich solle gefälligst aufhören, ihm auf den Schwanz zu gaffen. Als er sich daraufhin umwandte und durch den Flur lief, klebte mein Blick regelrecht auf seinem runden Hintern, der mit jedem Schritt so schön von links nach rechts schwang. Zwei feste, runde Pobacken, auf denen ich ja nur zu gern meinen Kopf gelegt und drauf herumgeklatscht hätte. Zu jener Zeit war ich übrigens acht Jahre jung. In der Schule gab ich mich meistens mit den Mädchen ab, die Jungs konnten mit mir nämlich kaum etwas anfangen. Sicherlich hatte ich männliche Freunde, aber die verhielten sich oftmals nicht weniger seltsam als ich – wobei ich mich ja gar nicht seltsam verhielt, irgendwelche Leute hatten nur den Drang, mir ihre Ansicht ständig mitteilen zu müssen. Ich war ruhig, versank gern in meiner Fantasie und war ein Ass in Mathe. In Schulfächern, die mitnichten meine Neugier erweckten, fiel ich im Laufe der Jahre unentwegt durch. Warum hätte ich auch etwas lernen sollen, was mich in keiner Weise interessierte? Und, oh, Mann, mich langweilte echt eine Menge. Dazu gehörte zum einen oder vor allem der Religionsunterricht. Es war mir ein Rätsel, warum so viele Menschen auf der Welt großen Wert darauf legten, was in irgendeinem Buch stand, das von zig Leuten verfasst worden war. Sie taten die verrücktesten Sachen und das alles im Namen der Religion. Wie froh ich war, nie getauft worden zu sein. Ferner ging mir das Fach Geschichte recht schnell auf die Nerven. Hitler hier, Hitler dort. Damit nicht genug, klangen einige Sachen einfach erfunden, weshalb ich lieber eine Sechs kassierte, anstatt mein Gehirn mit Lügen zu benebeln. Sport fing ich in der Fünften zu meiden an. Nicht, weil ich es hasste, mich zu bewegen, sondern weil ich stets der Außenseiter war und mit Fußball, der überwiegend gespielt wurde, nichts anfangen konnte. Die Schule konnte echt ein grausiger Ort für jemanden wie mich sein: schwul und dann noch dieses sonderbare Benehmen, das nur ich an den Tag zu legen schien.
„Lach doch mal mehr“, kommentierten mehrere Leute Fotos von mir. Was wollten diese Personen denn von mir? Die konnten doch nicht wirklich alle blind sein? Meine Mundwinkel gingen doch nach oben. Hätte ich sie etwa an meine Stirn tackern und ständig all meine Zähne präsentieren sollen? Manchmal nervte es mich ungemein, dass Leute behaupteten, ich wäre mies gelaunt, nur weil ich neutral dreinschaute. Fragen wie, was ich denn hätte, hingen mir aus beiden Ohren raus. Und da es mich wahrhaftig abfuckte, ständig drauf angesprochen zu werden, beschloss ich, bei so manch einer Begegnung den Fröhlichen zu spielen. Nach kürzester Zeit war mir das dann allerdings zu blöde. Abgesehen davon war ich nie gut darin, mich zu verstellen. Auch hasste ich es, zu lügen oder mir Dinge auszudenken, nur um Anerkennung zu bekommen oder über etwas reden zu können. Wenn ich nichts erlebte, hatte ich dementsprechend auch nichts zu erzählen. Belanglose Schwätzereien, wie sie so viele Menschen auf der Straße führten, waren nie meins. Mir wäre es auch definitiv zu blöde gewesen, mich mit Fremden auf der Straße zu unterhalten, die sich euphorisch über einen neuen Mülleimer in der Innenstadt freuten. Was es dabei zu lachen gab, konnte ich noch weniger verstehen. Dann stand da halt ein neuer Mülleimer. Es hatte mich nicht aufgeregt, es interessierte mich nur einfach nicht. Genau so wenig hatte ich Bedarf daran, am frühen Morgen von gackernden Fleischklumpen geweckt zu werden, die in Unmengen vor dem Frisör auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen. An manch einer übertriebenen Lache konnte man im wahrsten Sinne des Wortes hören, wie deren Gehirnzellen flöten gingen. Manchmal, ja nur manchmal, da versank ich in meiner Fantasie, in der ich übernatürliche Kräfte besaß. So stellte ich mir vor, dass ich nur mit dem Finger schnipsen müsste, um … Es war ein Bild, das dem einer explodierenden Wassermelone ähnelte. Nein, ich hasste Menschen nicht. Bei einigen hätte ich mir nur gewünscht, sie hätten sich selbst im Mutterleib abgetrieben. Etlichen Leuten wäre somit viel Leid erspart geblieben. Viele dieser Erdbewohner, bei denen ich gerne des Öfteren mal mit dem Finger geschnipst hätte, befanden sich im Internet. Besonders schlimm war es auf den Dating-Portalen für schwule Männer. Schon seitdem ich denken konnte, hatte ich mir einen Partner an meiner Seite gewünscht. Diese Begierde verschwand jedoch im Laufe der Jahre, da ich nie das fand, wonach ich mich gesehnt hatte. Mit Ende 20 konnte ich mir dann gar keine Beziehung mehr mit irgendwem vorstellen. Ich war es einfach leid, mich ständig mit Vollpfosten abgeben zu müssen. Der perfekte Mann mit dem traumhaften Gesicht von Chris Wood lebte nur in meiner Fantasie, ich fand mich damit ab. Sicherlich hatte ich noch Profile auf diversen Internet-Seiten, aber Hoffnungen, den Einen endlich zu finden, machte ich mir längst keine mehr. Dann blieb ich halt mein Leben lang Single. War zwar scheiße für mich, aber mit irgendwem eine Beziehung einzugehen, nur um nicht mehr allein sein zu müssen oder um nicht von Freunden oder Familie bemitleidet zu werden, die einem ständig in den Ohren lagen, warum man denn immer noch Single sei, wollte ich keinesfalls. Ab und zu mal ein belangloses Sextreffen reichte aus. Nun ja, bis er in mein Leben trat.
Mein Name ist Aaron und dies ist die Geschichte einer erwachten Sehnsucht, die mich vollkommen verschlang.
Nachdenklich setze ich mich auf die Couch und greife nach meinem Laptop, der neben mir liegt. Ich öffne ihn, logge mich auf Heroes ein und klicke auf eine Gruppe, die für schwule Singles gedacht ist. Im Suchfeld gebe ich seinen Namen ein: Mardrod von Mana. Mir werden zwei Ergebnisse angezeigt. Den kurzen Text unter einem Post ignoriere ich, denn mich interessiert das Video – auch wenn es bereits vier Jahre alt ist. 5:00 Minuten ist es lang. Gespannt neige ich mich nach hinten gegen die Lehne und drücke auf Play.
Der gutaussehende junge Mann von 24 Jahren hält das Handy von seinem Gesicht weg, fährt mit der rechten Hand durch sein kurzes braunes Haar und spricht in die Kamera hinein. „Also …“, sagt er, während er näher heranzoomt. Keine Sekunde später hält er das Handy weiter von sich weg, damit man auch sein ganzes Gesicht sehen kann. Er hat volle Lippen und perfekt gezupfte Augenbrauen. „Ich hab mich ja sonst ständig in irgendwelchen schriftlichen Beiträgen vorgestellt …“ Er kratzt sich am Kinn, scheint ein wenig nervös, was ich verdammt süß finde. „Also mache ich das Ganze jetzt einfach mal mit einem Video.“ Seine Blicke fallen aufs Handy, nicht direkt in die Linse, während er langsam durch seine Wohnung läuft. „Meine Such-Kriterien, wenn man so will …“, er runzelt die Stirn und schaut kurz übers Handy hinweg. „Blöd ausgedrückt … Also. Ich hab mich ja schon mal vorgestellt. Single, 24, aus Leipzig, reisefreudig, umzugswillig. Ich bin nach wie vor auf der Suche nach jemandem …“ Eine lustig anzusehende Falte zwischen seinen Augenbrauen kommt zum Vorschein. „… Von mindestens 18, lieber wäre mir mindestens 20 bis zu einem absoluten Maximum von 36. Ja … haben wir ja schon Alles abgehakt. Jetzt ein bisschen was zu mir. Ich bin Manfred Gehar. Meine Hobbies sind Playstation, ich spiele Klavier, ich liebe die Natur, ich liebe Nachtspaziergänge, ich zeichne ein paar Bilder und ansonsten sammle ich mythische Kreaturen. Und ja … ansonsten mag ich auch dann und wann mal Streitgespräche. Also jetzt nicht im Sinne von, dass man sich streitet und sich überhaupt nicht versteht, sondern ich mag einfach manchmal die ein oder andere Diskussion. Ansonsten liebe ich Filmabende und …“ Der Sound seiner Stimme ändert sich, er klingt fröhlicher. „Dann und wann liebe ich es auch einfach mal sarkastisch und zweideutig zu sein. Ich finde das Leben sonst furchtbar langweilig. Naja, wie schon gesagt.“ Die Falte zwischen seinen Brauen bringt mich zum Schmunzeln. „Abgesehen von dem, was ich vorhin genannt habe, was ich suche, wäre es natürlich vom Vorteil, wenn die Person, die ich finde, in Deutschland lebte. Und zu diesen bereits genannten Kriterien des Alters auch … ja, ich möchte auch mit diesem Menschen herausgehen können. Das heißt, ich möchte, dass es ein zuverlässiger Mensch ist und ich möchte, dass man mich nimmt, wie ich bin. Dafür würde ich dann auch diesen Menschen nehmen, wie er ist. Und … ja. Bleibt nicht mehr wirklich viel zu sagen. Ich hab mich eigentlich noch nie mit ‘nem Video in einer Singlegruppe vorgestellt, aber dann muss ich auch nicht ständig irgendwelche Bilder nachschicken und ihr seht, wie ich absolut aktuell aussehe. Meine Haare sind normalerweise ein bisschen länger, aber ich war gestern beim Friseur. Und ansonsten … ja …“
Sein Blick über die Kamera hinweg erwärmt mein Herz. Süß, schießt es mir durch den Kopf.
„Hab ich heute ein bisschen das sonnige Wetter genossen und ich werde auch … irgendwann mal mein Klavierstück vollendet haben. Also ich höre überwiegend Klassik, Rock, Metal, Folk, Country, Rock`n`Roll. Also vieles, was instrumental ist. Manchmal sogar Black Metal und … ja.“
Ein gruseliger Musikgeschmack, denke ich, während ich zu meinen CDs hinüberschaue, wo vorwiegend Pop, Alternativ und R’n’B zu finden ist.
„Bei Fragen schreibt mich bitte einfach an. Addet mich von mir aus auch. Allerdings hab ich hier auch Bedingungen. Erstens: Face-Pic … Zweitens: Ich möchte nicht einfach nur ein „Hi“ lesen. Ich möchte, dass man sich mir vorstellt. Dass man …, dass man mit mir redet und … Also vorweg: Ich werde wahrscheinlich nicht jeden annehmen und ein bisschen achte auch ich auf die Optik. Also, normaler Bodymaßindex und sowas wäre mir schon recht. Ich bin jetzt nicht auf der Suche nach ‘nem Supermodel oder nach jemandem mit ‘nem totalen Sixpack oder sowas.“
Dass er ständig sein Gesicht verzieht, bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Schaut zwar manchmal aus, als ob er sich den Fuß gestoßen hätte oder kurz vorm Niesen stünde, aber putzig.
„Das ist alles für mich nicht wichtig. Aber normal sollte die Optik schon sein, und ja … Man sollte Charakter haben, man sollte, wenn man kein Interesse hat, ehrlich bereit sein, es mir zu sagen, weil ich werde auch ehrlich sein, und … Muss aber auch schon im Vornherein sagen, wenn ich mal nicht sofort antworte, ich antworte auf jeden Fall immer, aber wenn ich mal nicht sofort antworte, ist das von mir kein Zeichen von Desinteresse. Desinteresse ist nur dann ein Zeichen, wenn ich einmal oder mehrmals gesagt habe: ‚Sorry, kein Interesse.‘ Ich bin so direkt. Ich bin ein sehr ehrlicher Mensch. Ich werde mit euch sehr ehrlich umgehen und ich hoffe auch, dass ihr mit mir sehr ehrlich umgeht, weil ich es leid bin, mich unglücklich zu verlieben. Nicht zu wissen, woran ich bin, und weil ich es leid bin, angelogen zu werden. Ansonsten … Ja, hab ich ja schon gesagt, bei Interesse einfach fragen und … Nein, ich bin nicht an irgendwelchen Sex-Dates interessiert.“
„Hm…“ Nachdenklich schließe ich den Laptop und lasse die letzten Monate Revue passieren.
Nackt und schwitzend saß ich auf meinem Schreibtischstuhl, während ich gelangweilt auf den Bildschirm sah. Die blauen Seiten konnten einem echt auf die Nüsse gehen, doch für jemanden, der in einer kleinen Stadt lebte, war die Homepage beinahe die einzige Möglichkeit, einen Schwulen kennenzulernen. Sicherlich hätte ich mich auch anziehen und irgendwo mit dem Zug hinfahren können, aber das wollte ich mir keineswegs antun, denn es war wieder einmal Pandemie-Zeit. Auf eine Fahrt mit Maske im Gesicht konnte ich gewiss verzichten. Abgesehen davon hätte ich auch gar nicht gewusst, wohin ich hätte fahren können. Die meisten Läden waren ohnehin nach dem Lockdown bankrott gegangen. Pandemie. Allein das Wort hing mir mittlerweile aus den Ohren raus. Sobald ich den Fernseher anmachte, hörte ich es. Pandemie hier, Pandemie dort. Dieses Mal war es jedoch keine Virus-Pandemie. Nein, es handelte sich zur Abwechslung um eine nukleare Katastrophe – zumindest behaupteten die Mächtigen dies. Irgendwo in China, wo auch sonst, sei angeblich irgendetwas explodiert, woraufhin etwas Giftiges in die Luft gegangen sei. Sie nannten sie die Giftwolke. Das Gift mit dem toxischen Namen Temiera konnte nach den Aussagen weniger Experten Lungenprobleme verursachen. Husten, Schnupfen, Heiserkeit, bis hin zum qualvollen Ersticken. Kein Mensch erstickte gerne, und genau das wussten die Einflussreichen dieser Welt. Sie schürten aufs Neue Angst und Panik, verkauften das Produkt besser als jede vorherige Pandemie, und die meisten Leute fielen leider wieder einmal drauf herein. Es spielte keine Rolle, dass einige vorherige Pandemien irgendwann der Lüge entlarvt worden waren, denn eine giftige Wolke konnte doch nur real sein! Der eine oder andere Mitbürger war so panisch, dass er sich schreiend im Keller versteckte, sobald er eine dunkle Wolke am Himmel sah. Es war verrückt. Ich wusste von Anfang an, dass man abermals versuchte, gescheiterte Pläne umzusetzen, und blieb dementsprechend gelassen. Dennoch nervte es mich, dass man mich als erwachsenen Menschen erneut dazu verdonnerte, beim Einkaufen oder sonst wo, eine Maske zu tragen. Sicherlich gab es Proteste, aber keine Demo brachte etwas. Wie auch, wenn man solche vorher anmeldete, damit die Polizei und die Politiker sich drauf vorbereiten konnten? Wasserwerfer marsch! Eine total verrückte Zeit. Leute, die nicht an Temiera glaubten, wurden, wie zu erwarten war, als Temi-Idioten betitelt, was irgendwie lustig war, denn Temi war spanisch und hieß übersetzt „Ich fürchtete.“ Sie fürchteten also die Idioten. Temiera bedeutete nebenbei bemerkt „Lüge“ und drehte man ein paar Buchstaben um und ersetzte man das ‚E‘ mit einem ‚N‘, so kam das Wort Mentira heraus, was wiederum „Angst“ bedeutete. Die Widersprüche waren so glasklar und dennoch waren viele Menschen so in ihrer Panik gefangen, dass sie blind für die Wahrheit wurden und alles fraßen, was die Medien ihnen vorsetzten. Schade, aber mich deswegen ständig aufregen wollte ich auch nicht. Mit meiner Meinung hielt ich mich auch zurück, denn auf diese sinnlosen Diskussionen und Anfeindungen hatte ich verzichten können. Allein der Satz des Bundeskanzlers, dass man nur ihm und den öffentlich-rechtlichen Medien Glauben schenken sollte, hätte viele zum Nachdenken bringen müssen. Wie auch immer. Temi25 war da, genauso wie die Niedergeschlagenheit. Gerade als ich aufstehen und mich auf die Couch fallen lassen wollte, erklang ein Glockengeräusch aus den Boxen meines Rechners. Jemand hatte mir eine Nachricht auf Romeo zukommen lassen. Zuerst hatte ich sie nicht öffnen wollen, da es meist eh der gleiche Scheiß an Inhalt war:
FuKYaBab: „Bock?“
SYPHY: „Ficken?“
GEILATUERKE: „Hi!“
KEVINNN36: „Geile Sau!“
NuRJUNGaAA66: „Boah, dich würd ich gerne ficken!“
OPIreitetREIN: „Zeig mal Fotze, hier mein Schwanz!“
Es war ermüdend. Seufzend öffnete ich die Nachricht und war verwundert, denn da standen mehr als ein oder zwei Wörter – und sie waren obendrein auch noch in einem perfekten Deutsch verfasst! Regelrecht fassungslos fasste ich mir an die Brust. Träumte ich etwa? Das konnte doch nicht wirklich geschehen, oder? „Eine Nachricht ohne Rechtschreibfehler?“, stutzte ich und begann zu lesen.
SecretOfMana: „Hi, du hast ein sehr sympathisches Profil. Dein Text gefällt mir. Hast du vielleicht Lust, ein wenig zu schreiben?“
Ich sah mir das Profil des Unbekannten an. „Hmmm…“, überlegte ich. „Den kenne ich doch.“ Sein Text las sich ziemlich ansprechend. Er schrieb, dass er seine Fehler hätte, sich dennoch gut finden würde. Es gab Sachen, die er bereute, aber auch gut fand. Ferner sei er verträumt, romantisch und vieles mehr, was mir wirklich gefiel.
Terranigma (Aaron): „Hi! Danke dir. Deines liest sich auch gut. Sag, kennen wir uns nicht?“
SecretOfMana: „Ja, wir kennen uns.“
Terranigma: „Vom ehemaligen Facebook, nicht?“
Kurz zur Erklärung: Einige Großkonzerne wurden 2022 in die Knie gezwungen. Facebook inklusive Instagram und selbst Amazon hatte nach 2023 hart damit zu kämpfen, auf dem Markt bleiben zu können. 2024 erholte sich die Wirtschaft, die Innenstädte blühten wieder auf, doch vieles blieb auch der totale Mist: zu wenig Arbeitslosengeld, ein geringer Mindestlohn, Flaschensammelnde Rentner …
SecretOfMana: „Ja, wir haben uns vor ein paar Jahren auf Facebook über Bücher unterhalten.“
Ich sah mir seine Bilder an. Ja, das war der Kerl, der zwar süß aussah, mich zur damaligen Zeit allerdings ziemlich mit seiner Art genervt hatte. Ich erinnerte mich daran, dass er recht hochnäsig rüberkam und sich verhielt, als würde er sich für ein Geschenk Gottes halten.
Terranigma: „Ja, ich erinnere mich …“
SecretOfMana: „Das freut mich. Hast du vielleicht Lust, dass wir uns ein wenig näher kennenlernen?“
Tief atmete ich durch. Hatte ich wirklich Lust darauf, diesen Menschen erneut beziehungsweise besser kennenzulernen? Die letzten Monate waren so langweilig und eintönig geworden, dass ich mich drauf einließ. Vielleicht ist er ja erwachsener geworden, dachte ich.
Terranigma: „Warum nicht?“
SecretOfMana: „Das freut mich ^^ Hier, ich gebe dir mal meine Nummer, dann können wir auf WhatsApp weiterschreiben. Ich bin nämlich nicht so oft auf Romeo.“
„Ähm …“, machte ich nachdenklich. Aus Erfahrung wusste ich, dass Leute, die schnell ihre Handynummer rausgaben, meist Faker waren. Sie wollten nur eines: dich verarschen! Erst vor wenigen Monaten hatte ich da so eine Knalltüte erwischt. Er sah gut aus, schien verdammt nett und schon waren Nummern getauscht. Wir schrieben über WhatsApp, verschickten Sprachnachrichten. Nach drei Tagen allerdings stellte sich heraus, dass der Typ völlig einen an der Waffel hatte. Es handelte sich zwar um keinen Faker, dafür um einen Gestörten. Der Typ war drogenabhängig und lebte in seiner eigenen Welt. Schnell warf er mit Beleidigungen um sich und stellte mich als das größte Flittchen der Welt hin, und das nur, weil ich ein großer Fan der erotischen Fotografie war. Natürlich hatte ich ihn daraufhin sofort geblockt. Dies hatte den Kerl allerdings nicht davon abgehalten, mich weiterhin über die blauen Seiten zu belästigen. Immer wieder machte er sich ein neues Profil, nur um mir mitzuteilen, wie scheiße ich doch aussehe. Krank! Leider war er nicht der einzige Gestörte. Wenige Monate zuvor hatte ich ebenfalls eine Hohlbirne erwischt. Ja, ich hatte anscheinend so einen Magneten am Körper, der das Ungeziefer magisch anzog. Er schickte mir Bilder von sich, die, wie sich später herausstellte, gar nicht ihn selbst darstellten, und gab mir seine Handynummer. Dumm wie ich war, schrieb ich ihm sodann auf WhatsApp. Geantwortet hatte mir irgendeine Hete aus der Nachbarschaft. Es war mir dermaßen peinlich, denn ich hatte ihm ein Bild in eindeutiger Pose zukommen lassen! Natürlich hatte ich keine Probleme damit, wenn irgendein Homo meinen Touristentunnel betrachtete, aber ein Heterosexueller? Noch seltsamer wurde das Ganze aber, als die vermeintliche Hete sagte, ich hätte einen voll geilen Arsch. Er würde ihn an einen Frauenhintern erinnern, die hätten nämlich auch solch breite Hüften. Damit nicht genug, bekam ich mitten in der Nacht immer wieder Anrufe von einer unbekannten Nummer. Es war richtiger Terror! Nachdem ich mir eine neue Rufnummer zugelegt und Anzeige erstattet hatte (das daraufhin eingeleitete Verfahren wurde selbstverständlich wie viele davor einfach eingestellt), schwor ich mir, zukünftig vorsichtiger zu werden. Nun ja … Dran gehalten habe ich mich jedoch weniger. Aber hey! Ich war schließlich schon 38 und wollte endlich mein Männeken finden, ehe ich zu alt dafür werden würde. Okay, in der Welt der Schwulen war man bereits mit 28 zu alt und erst wieder mit 50 interessant – sofern man dann Geld besaß. Wieso also wollte mich dieser 28-Jährige kennenlernen? Ja zugegeben: Er kannte mein wahres Alter überhaupt nicht, denn in meinem Profil stand, dass ich 33 Jahre alt war. Schande über mich, dass ich mich 5 Jahre jünger gemogelt hatte. Aber hey, dies tat ich nur, weil mir nie jemand glaubte, dass ich 38 war – außer man sah mich nach nur wenigen Stunden Schlaf. Aber dies konnte der junge Bengel ja nicht wissen. Da es meist aber eh nur beim Schreiben blieb, beschloss ich, ihm dies erst einmal nicht zu sagen. Ich sah mir erneut sein Profil an. Er war 182 cm groß, also 5 cm größer. Das Gewicht war nicht angegeben, fett sah er hingegen nicht aus. Normaler Körperbau halt. Was mich irgendwie störte, war, dass er keine Angaben zu Sex gemacht hatte. Viele Jahre Romeo hatten mich gelehrt, dass zig Männer, die diese Angaben nicht machten, entweder einen Minipimmel hatten oder gar nicht auf Analsex standen. Und ich mochte weder kleine Schwänze, noch wollte ich auf das Gefühl des Geficktwerdens oder des Einlochens verzichten. Hin- und hergerissen war ich. Der Mann sah unglaublich gut und wirklich sympathisch aus. Ferner hatte mir sein Profiltext gefallen. Ich beugte mich zum Schreibtisch vor, mein Rücken klebte regelrecht am Stuhl fest, griff nach einem Stift und notierte mir seine Nummer. Und während ich sie aufschrieb, bekam ich mit, dass der Hübsche all meinen Bildern ein Herzchen gab – selbst dem, wo ich schaute, als wäre ich geistig zurückgeblieben. Okay, ich empfand das eigentlich nicht so. Es war viel mehr die Meinung von Jan, einem Freund, den ich seit über zwölf Jahren kannte. Da der recht knuffig Aussehende alle Pics von mir geliked hatte, gab auch ich seinen Bildern ein Herzchen. Ja, sie waren wohl verdient. Nur selten vergab ich einen Like, denn die meisten Gesichter sprachen mich so überhaupt nicht an. Klar, ein toller Körper war immer ein Hingucker, aber wenn das Gesicht nicht passte, konnte jemand noch so geil gebaut sein, noch so einen einladenden Arsch besitzen, er kam niemals als möglicher Partner infrage. Ich wollte jemanden bei einer Unterhaltung ansehen können, ohne Abscheu zu empfinden. Die Augen spielten dabei eine sehr große Rolle für mich. Wenn jemand ekelhafte Glubscher hatte, wollte ich diesen Menschen auf keinen Fall daten.
Ich ging ins Wohnzimmer und griff nach meinem Handy, um den Attraktiven in meinem Telefonbuch zu speichern. „Wehe, der Typ ist wieder ein Faker!“, brummelte ich vor mich hin. Als ich auf Speichern drücken wollte, fragte ich mich, ob er mir überhaupt seinen Namen genannt hatte. Da ich mir ziemlich sicher war, dass er ihn nicht erwähnt hatte, speicherte ich ihn unter einem Fragezeichen ab. Ich öffnete WhatsApp, das nebenbei erwähnt 2023 von einer europäischen Firma aufgekauft worden war, und hinterließ dem Hübschen eine Nachricht.
Aaron: „Hi!“ (13:25 Uhr)
Ja, es war nicht sehr einfallsreich, ich weiß. Wenige Minuten später kam sodann auch eine Nachricht zurück:
Unbekannter: „Hey! :-) Da bist du ja!“ (13:30 Uhr)
Woher wusste er, dass ich es war? Hatte ich ihm meine Nummer geschrieben oder hatte er mich am Profilbild erkannt, das für jeden zu sehen war? Diese Hitze machte mich wirklich bescheuert im Kopf.
Aaron: „Ja, da bin ich. Sag, wie heißt du eigentlich?“ (13:31 Uhr)
Unbekannter: „Manni.“ (13:41 Uhr)
Ich machte große Augen.
Aaron: „Ist das etwa die Abkürzung für Manfred?“ (13:41 Uhr)
Manfred: „Ja.“ Affe hält sich peinlich berührt die Augen zu. (13:42 Uhr)
Aaron: „Ähm … Wie ein Manfred siehst du jetzt aber nicht aus.“ Äffchen hält sich kichernd die Hand vorm Mund. (13:42 Uhr)
Wie froh ich in diesem Moment war, dass er mich nicht sehen konnte, denn ich lachte. Ja, ich lachte über seinen Namen. Entweder hatten seine Eltern kein Kind gewollt und ihn deshalb mit diesem Namen bestraft oder sie haben schlichtweg nicht drüber nachgedacht, was sie ihrem Jungen damit antaten. Teufel, der Kerl tat mir mit einem Mal leid.
Manfred: „Wie sehe ich denn aus?“ (13:45 Uhr)
Aaron: „Hmmm … Eher wie ein …“
In Gedanken ging ich die Namensliste meiner absoluten Traummänner durch. Auf Platz 5 war Taylor, Platz 4 ging an Joe. Beides passte aber nicht zu diesem Gesicht. Rang 3 war mit Nick belegt, doch dieser Name klang zu kräftig für den Süßen. Platz 2 teilten sich Dylan und Luc, während Kai an der Spitze stand. Kai war in meiner Fantasiewelt der absolute Traumtyp und so würde ich niemanden nennen – außer es würde sich tatsächlich um ihn handeln.
Aaron: „Dylan. Dylan passt zu dir.“ (13:47 Uhr)
Manfred: „Das ist ein schöner Name.“ (14:04 Uhr)
Ja, mit zeitnahen Antworten schien der gute Herr es nicht so zu haben. Vielleicht, so dachte ich, ist er ja auf der Arbeit.
Aaron: „Du heißt nicht wirklich Manfred, oder?“ (14:05 Uhr)
Manfred: „Doch, aber glaub mir, wenn ich es könnte, würde ich meinen Namen ändern. Dylan gefällt mir aber. Nenn mich Dylan. :-)“ (14:07 Uhr)
Aaron: „Verständlich. Aber hey! Nichts ist unmöglich. Ich habe meinen auch mal geändert.“ (14:07 Uhr)
Dylan: „Wirklich?“ (14:08 Uhr)
Aaron: „Jupp. War gar nicht mal so schwer und teuer war es auch nicht sonderlich. Ich bin übrigens Aaron.“ (14:09 Uhr)
Dylan: „Ich weiß.“ (14:10 Uhr)
Aaron: „Du weißt es?“ (14:10 Uhr)
Dylan: „Japp. Aaron, der Künstler.“ (14:11 Uhr)
Aaron: „Dass du das noch weißt, hätte ich nicht erwartet. Wie bist du eigentlich auf mein Profil gekommen? Du wohnst doch ziemlich weit weg.“ (14:12 Uhr)
Dylan: „Ja, ich weiß. Müssten an die 400 Kilometer sein.“ (14:33 Uhr)
Dylan: „Und mir war dein Profil in der Suche aufgefallen.“ (14:33 Uhr)
Aaron: „400 Kilometer sind nicht gerade um die Ecke.“ (14:35 Uhr)
Dylan: „Ja, mag sein, aber ich reise gerne. Alles gut.“ (15:04 Uhr)
Da mich das zeitversetzte Antworten irgendwie nervte, musste ich es einfach in Erfahrung bringen.
Aaron: „Okay. Bist du auf der Arbeit?“ (15:05 Uhr)
Dylan: „Nein.“ (15:06 Uhr)
Wow, dachte ich. Nur nicht zu viele Wörter.
Aaron: „Okay, und du suchst auf Romeo also deinen Mann?“ (15:07 Uhr)
Dylan: „Ja, ich suche eine Beziehung. Klingt doof, ist aber so.“ (15:07 Uhr)
Aaron: „Klingt überhaupt nicht doof. Es wundert mich nur, dass ein so gutaussehender junger Mann noch Single ist. Bei mir kann ich das ja noch verstehen, aber bei dir?“ (15:08 Uhr)
Dylan: „Danke, ich finde dich hübsch.“ (15:08 Uhr)
Dieser Satz ging runter wie Butter. Nein, wie eine kühle, leckere Cola.
Aaron: „Dein Ernst?“ (15:09 Uhr)
Dylan: „Wieso sollte ich lügen?“ (15:09 Uhr)
Ja, wieso sollte er lügen? Hatten ja nur zig Homos vor ihm getan.
Aaron: „Ähm … keine Ahnung. Auf Romeo erlebt man so einiges.“ (15:10 Uhr)
Dylan: „Wem sagst du es. Was machst du Schönes?“ (15:10 Uhr)
Aaron: „Jetzt gerade sitze ich auf meinem Balkon und schreibe dir.“ (15:11 Uhr)
Dylan: „Ich gehe auch gleich ein wenig draußen spazieren.“ (15:14 Uhr)
Aaron: „Viel Spaß.“ (15:14 Uhr)
Dylan: „Danke dir.“ (15:15 Uhr)
War das jetzt alles?, fragte ich mich. Ich schaute noch ein paar Mal auf das Handy, doch es kam keine Nachricht mehr von Manni beziehungsweise Dylan rein. Es verwunderte mich ehrlich gesagt weniger, denn so lief es meistens ab. Irgendwer schrieb einen an und irgendwann wurde dann nicht mehr geantwortet. Es war auch gang und gäbe, mitten in einem Gespräch offline zu gehen. In den darauffolgenden Tagen und Wochen hatte Dylan, den ich später zurück in Manfred umtaufte, da er diesen Namen einfach nicht verdient hatte, mir immer wieder mal geschrieben. Es waren vorwiegend belanglose Gespräche, die nach wenigen Sätzen bereits endeten. Sicherlich fand ich es toll, dass er eine eigene Meinung zu der Pandemie hatte, aber interessanter machte es ihn auch nicht wirklich. Fast jeder Frage wich er aus, indem er erst gar nicht drauf reagierte oder schrieb, dass er sich lieber nicht dazu äußern möchte. Auch hatte er mir nie eine Sprachnachricht zukommen lassen, was mich zu der Annahme brachte, dass er wohlmöglich einer dieser Faker war, die einen gerne mal verarschten. Als Manfred dann irgendwann gar nicht mehr antwortete, löschte ich ihn schnurstracks aus meinem Handy. Spinner, dachte ich nur. Wahrscheinlich, so nahm ich an, nahm er immer dann mit mir Kontakt auf, wenn ihm ungemein langweilig war. Vielleicht hatte er auch die ganze Zeit über mit zig Kerlen geschrieben und mit dem, der ihm am ehesten zusprach, mit dem unterhielt er sich auch intensiver und sobald man ihm einen Korb gab, meldete er sich wieder bei der Person, die eigentlich weniger sein Fall war. Hatte ich alles bereits erlebt, hätte mich demnach weniger überrascht. Zu meiner Verwunderung jedoch hatte Manfred mich Wochen später erneut kontaktiert. Zuerst wusste ich gar nicht, wer da war, bis er ein Bild von sich schickte, woraufhin ich erst einmal genervt mit den Augen rollte. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was dieser seltsame Mann von mir wollte, zumal es in den folgenden Tagen nicht wirklich anders ablief als zuvor. Nun ja, bis sich alles unerwartet änderte …
Bis in die Nacht hinein hatte ich Spyro auf der Playstation 2 gespielt. Ja, es war eine alte Konsole, aber das war mir sowas von egal. Es ging mir um den Spaß, nicht darum, das Neueste vom Neuesten zu besitzen, nur um in zu sein. Kaum hatte ich nach meinen üblichen neun Stunden Schlaf die Augen geöffnet, wollte ich nur eines: mich auf die Couch schmeißen und zocken. Ich machte mir Frühstück, ging duschen und machte es mir, nur mit einem Jockstrap und Knöchelsocken bekleidet, auf der Couch gemütlich, um meinem Verlangen nachzugehen. Und während ich spielte, vibrierte mehrfach mein Handy. Irgendwann schaute ich dann auch mal drauf.
Manni: „Ich wünsche dir einen wunderschönen guten Morgen. Kuss-Smiley“ (10:46 Uhr)
Aaron: „Danke, das wünsche ich dir auch.“ (12:47 Uhr)
Manni: „Was machst du Schönes?“ (12:48 Uhr)