Crushed Rocks - Barra la Garra - E-Book

Crushed Rocks E-Book

Barra la Garra

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Beschreibung

"Oh nein, die Georgs -
die Drachentöter-Loge, die seit Jahrhunderten Jagd macht auf alles was Klauen, Hörner und Schwingen hat
- haben gewonnen."

Durch Jaciaras Blut wird Hadar befreit, der sein Dasein in Stein fristete. Aber wozu brauchen die Georgs diese durchgedrehte, groteske Bestie?
Ganz einfach: Helden brauchen Monster, zum Erschlagen.

Für Jaciara beginnt ein Wettlauf gegen die Versteinerung, denn wenn sie die Loge nicht aufhält, bleibt der Fluch an ihr kleben. Doch wer ist hier das wahre Monster? Und seit wann steht sie auf Kerle, die durch ihr Wohnzimmerfenster crashen und überall ihre Steinsplitter liegen lassen?

Steinharte Gargoyle-Gestaltwandler mit entflammten Herzen und Wohlfühl-Romance in Deutschland.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Impressum
Triggerwarnungen
There Be Rock
Under Pressure
Break Free
Rock Me
Fools Rush In
Bite The Dust
Wanna Rock
Stairway

 

 

 

 

 

 

CRUSHED ROCKS

Steinerne Tränen

 

Barra la Garra

 

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

Crushed Rocks – Steinerne Tränen

Ein Roman von Barra la Garra

[email protected]

c/o

Annika Thomaßen

Finkenstr.26

84169 Altfraunhofen

Alle Rechte vorbehalten

 

Umschlaggestaltung: BRoseDesignz

ISBN: 9783757960858

Veröffentlicht mit tolino media

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

 

Triggerwarnungen

 

 

 

 

 

 

Dieser Roman enthält Szenen, die einige Leser*innen als beunruhigend empfinden könnten.

 

Darunter fällt die Darstellung von:

Sexuellen Handlungen, Drogenkonsum (Alkohol und Tabak), blutige Rituale, Mord, Verletzungen und Foltermethoden (seelische Pein, körperliche Demütigung und Fesseln)

Themen dieses Werkes sind außerdem:

Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung

Erwähnt werden zudem:

Diverse Körperflüssigkeiten, Spinnen, Schlangen, Insekten und Höhenängste des freien Falls

Zur Vorwarnung zählen zuletzt noch die Verwendung von:

Schimpfworten und das Fluchen

 

 

 

 

Abb. 1 Art by Barra la Garra

 

 

Für alle, die ihre Liebsten schon gefunden haben.

&

Für alle, die ihre Liebsten noch finden werden.

 

 

There Be Rock

>>> Füge Drachen hinzu <<<

Der Schatten eines gewaltig wirkenden Drachens glitt über die Baumwipfel unter ihnen. Der Sog der ledernen Schwingen pfiff schneidend im Wind. Dies war der markante Unterschied von einem Drachen zu einem Gargoyle: Erstere schlugen mit ihren Schwingen wie mit Flügeln, Letztere glitten auf den Membranen im Wind.

Die Menschenfrau in den Klauen der segelnden, glutäugigen Kreatur hieß Jaciara. Sie war freiwillig hier, was sie sich seit dem Absprung jedenfalls einredete. Noch bereute sie es nicht, diese Reise zu unternehmen, sie beschlich aber das Gefühl, dass etwas schief gehen würde. Ihr Bauch war da sehr deutlich und suggerierte ihr eine anhaltende Übelkeit, die nicht von gewissen Mondphasen herrühren konnte.

Ihre Flugbegleitung im anderen Arm des rotbraun Geflügelten war Noomi, die gerade seufzte. »So schön der Ausblick, ich bin so lange nicht in der Luft gewesen.« Mit ihrer einen verbliebenen Schwinge, konnte die Goyle das auch nicht mehr alleine.

Im Gegensatz zu Noomi war Jaci noch keine zig Male von Mo, dem Goyle, der für sie Segelflieger spielte, durch die Gegend geflogen worden. Klar schaute Jaci nun auch runter und korrigierte sich: Ihr Bauchgefühl war wahrscheinlich die Höhe. Sie litt bisher nicht an Höhenangst, ihre Wohnung befand sich in einem vielstöckigen Hochhaus!

Eine Wohngemeinschaft war nie zur Debatte gestanden, bis letztes Jahr unerwartet der Goyle eingezogen war. Seitdem gab es Steinstaub neben den heimischen Wollmäusen, Barthaare im Waschbecken und Croûtons im Feldsalat sowie eine beachtliche Playlist an Rockmusik.

Der neue Mitbewohner hieß Mordechai, kurz Mo und die Eigentümerin der Wohnung im elften Stock des riesigen Komplexes war damals ein wenig überrumpelt gewesen. Ihre Mutter hätte das nicht gut geheißen, wenn sie wüsste, dass Jaci so schnell mit einem Mann zusammengezogen war. Besonders nicht nach dem Zoff.

War nicht so gewesen, dass sie nicht miteinander leben konnten, im Gegenteil, das war tatsächlich recht entspannt und angenehm. Doch sie hatte ihm vorgeworfen ein Lügner zu sein. Egal ob Mensch, Goyle oder Wurzelmann, so etwas duldete sie nicht. Schließlich hatte es sich nicht um eine kleine Verlegenheitslüge gehandelt, wie sie vermutlich jeder dann und wann mal aussprach. Wenn sie zum Beispiel sagte, es wären keine seiner heißgeliebten Marshmallows mehr da.

Womit Mo nicht gelogen hatte: Damit, dass er ein Goyle war. Sie hatten sich nämlich als Menschen kennengelernt im Supermarkt, ganz unspektakulär und erst danach, beim Kaffee kam das zur Sprache. Es war überraschend gewesen, aber schon zu spät. Sie hatte sich schon verknallt und war bereit gewesen es mit ihm auszuprobieren.

Nach gut einem Jahr dann die Kehrtwende. Wie ein geheimes Doppelleben. Er sagte, er sei bereits an jemanden gebunden, beteuerte seine Gefühle für sie, aber dass er nicht abstreiten konnte, dass er jemanden gesucht hatte, der ihm helfen würde, seinen Partner zu befreien.

Das war etwas zu viel gewesen für Jaci. Was hätte der arme Kerl tun sollen? Es ihr direkt zur Zimtschnecke im Café dazu reichen? ‚Hi, ich bin ein Goyle und übrigens suche ich nur eine Frau, die meine bereits vorhandene Partnerschaft aufpeppt.‘ Da wäre sie sicher direkt abgehauen.

Es hatte ihr dennoch weh getan und sie hatte ihn rausgeworfen.

 

Mo zog ein paar große Kreise und sank tiefer auf die Baumkronen zu. Noomi streckte ihr Bein und konnte schon mit den krallenbewährten Zehenspitzen ein paar Blätter streifen. Doch der Baumbestand des viele Hektar bewachsenen europäischen Mischwaldes wurde lichter, als sie sich den Felsformationen näherten. Was Noomi gefiel, war gar nichts für Jaci und sie klammerte sich in Mos dichtes dunkelbraunes Fell, welches ihm in seiner Goyle-Gestalt wuchs.

Das gab zu Hause immer mächtig Ärger. Nicht nur die Steinsplitter, wenn sich die Goyles aus ihrer Gestalt lösten und zu Menschen wurden. Nein, Mo war auch noch einer derjenigen (Goyles unterschieden sich auf viele Weisen voneinander), die es in puncto Kuscheligkeit mit einem Teddybären aufnehmen konnten und in puncto Fellwechsel mit norwegischen Waldkatern. Alle Goyles hatten die Drachenschwingen und einen langen Schwanz zum Steuern in der Luft. Krallen an Fingern und Zehen, Hörner auf dem Kopf. Manche hatten Schnauzen, andere eher Schnäbel. Es gab auch Ausnahmeerscheinungen mit mehr als zwei Flügeln. Jaci kannte nicht viele Goyles persönlich, um da alle Unterschiede zu kennen. Tatsächlich kannte sie namentlich genau zwei: Mo und Noomi.

Dabei war die süße, aber total verpeilte Noomi nicht die pflegeleichteste Mitbewohnerin. Seit sie bei Jaci lebte, war sie recht anspruchsvoll was die Streaming-Serien, die Cornflakes und die Duftseifen betraf. Ein passendes Wort wäre vermutlich pingelig.

Das war in Ordnung, Jaci ließ ihr so ziemlich alles durchgehen, denn die Goyle hatte eine schwere Zeit hinter sich und Jaci dabei geholfen einen heftigen Fehler zu korrigieren. Der Fehler:

Goyle-Töter.

 

Von denen war gerade zum Glück keine Spur zu sehen.

Mo landete, dazu musste er die beiden Frauen zuerst absetzen. An seinen gestreckten Armen, die Muskeln bebend, ließ er sie zu Boden. Elegant sprang Noomi das letzte Stück und landete sanft, wie nur eine Goyles es konnte, selbst wenn sie, wie in Noomis Fall, nur eine Schwinge hatte und nicht mehr selbst segeln, geschweige denn anständig hätte landen können. Sie war dennoch, im direkten Vergleich mit Jaci, eine Libelle auf einem Seerosenblatt. Jaci mehr so ein Plumpssack, der in Entengrütze platschte.

Der Goyle richtete sich neu aus, holte Schwung, sauste in eine enge Kehrtwende und spannte die Schwingen knallend auf. Der Ruck ließ ihn senkrecht in der Luft stehen. Als er dann die Schwingen erneut anzog, sank er einem grotesken Engel gleich herab, um mit den Hinterläufen zuerst aufzukommen.

Jaci rappelte sich auf und klopfte sich Dreck und Laub vom Hinterteil. Sie nahm den Rucksack ab und öffnete die Schnallen, um Mo die Kleidung herauszufischen. Vorbereitung war alles.

Der Goyle öffnete das Maul, seine Zunge entrollte sich und hing heraus, er grinste wie ein zuckersüßer Hund, der jetzt sein Leckerli fürs Brav-Sein forderte. Auch die Zunge war eines jener typischen Goyle-Attribute, die meisten von ihnen hatten sehr lange. Wie die einer Schlange, kein Wunder, so hieß es doch, dass Goyles direkte Nachkommen von Medusa sein sollten. Was die Leute nicht immer alles tratschten.

Viele dieser Gerüchte und Mythen stammte aus alten Büchern, die in Klöstern von gewissen Mönchen verfasst worden waren. Manchmal sogar von Minnesängern und anderen Poeten. Das meiste dürften haltlose Übertreibungen und freie Dichtkunst sein, fand Jaci.

Nachdem sie Mo rausgeworfen hatte, war sie nämlich auf die selten dämliche Idee gekommen, zu den Goyle-Tötern zu gehen und denen zu stecken, dass ein Goyle sie versucht hatte zu verarschen. Das war kein Verpetzen gewesen, eher eine Kontaktaufnahme mit der Verbraucherschutzzentrale. Hätte sie ihn anzeigen wollen, wäre sie eh zur Polizei gegangen. Doch das war die Crux, für die Belange der Goyles waren die Georgs, also die Goyle-Töter zuständig. Nicht die menschliche Polizei. Es gab klare Sektionen der Zuständigkeit.

Deshalb gab es in jeder größeren Stadt Georgs. Manchmal nur ein Schreibzimmer, oft aber gleich eine ganze Station, ihre Logen. Sie hatten seit Jahren abgebaut, Unterkünfte geschlossen und sich zusammengezogen, wie die Banken mit Kundenzulauf, die alle umstellten auf digitale Bezahlweisen. Doch ihren Job online zu erledigen, war etwas kniffliger. Wie sollten sie aus der Ferne einen Goyle in Gewahrsam nehmen, wenn dieser sich daneben benahm? Dafür gab es in jedem Anwesen der Georgs entsprechende Zellen und Wärter.

In Jacis Fall hatte es Noomi gegeben, die in der Loge gelebt hatte, eingesperrt. Jaci war für einige Tage dortgeblieben, um ihr Leid zu klagen, sich ihre Wunden zu lecken, angeblich, um unter dem Schutz der Goyle-Töter zu stehen. Heutzutage wurden sie auch gern Georgs genannt, denn das Töten von Goyles war, anders als im Spätmittelalter, keine anerkannte Praktik mehr.

Genauso wenig wie viele andere Vorgehens- und Verhaltensweisen, die sich im Laufe der Zeit gewandelt hatten, seit es das Abkommen gab.

 

Mo versteinerte. Es war ein gruseliger Anblick. Es dauerte nicht lange, bis sein ganzer Körper hart war und eine aus Lavastein gehauene Statue mitten im Wald stand, halb im Schatten der Bäume, auf der anderen Seite von der Sonne geküsst.

Noomi interessierte sich nicht weiter für ihn und sah sich um, sie deutete voraus. »Ein Loch!«

Wie Mo vorhergesagt hatte, er hatte die Erkundungen schon vorgenommen.

Fasziniert behielt Jaci den Stein im Blick. Ein Spektakel war es ja schon, wenn die robuste Schicht aufbrach, die Risse sich verästelten und dann die Steinsplitter von der Haut platzten und abfielen. Sie musste sogar dabei grinsen, als Mo sich schüttelte. Er war nackt, seine dunkle Haut glänzte samten und frisch. Echt praktisch so eine regelmäßige Hauterneuerung, ersparte einem eine Masse an Cremes. Sie reichte ihm die Hose und den Pulli.

»Hoffe es hat euch gefallen?«, wollte er wissen.

Die beiden Frauen warfen ihm jede einen abschätzenden Blick zu und stimmten überein.

»Natürlich.«

»Klar.«

»Nur damit wir uns alle an denselben Plan halten«, wechselte Jaci das Thema und pfiff Noomi zurück. Die Goyle war schon auf halben Weg zum Loch im Fels, gut möglich, dass das wirklich ein Eingang war. »Auch für dich, Noomi.«

So war das mit den beiden verspielten Freunden, die nur Unsinn anstellten, wenn Jaci nicht hinter ihnen her war.

In der Loge der Georgs war Noomi wesentlich ängstlicher gewesen. Zum Glück ging es ihr inzwischen viel besser. Nachdem Jaci dort zu viele Fehlinformationen und der ganzen Legendenkram zu Ohren gekommen waren, musste Noomi alles entkräften und richtigstellen. Sie waren zu dem Entschluss gekommen, bloß schnell das Weite zu suchen. Da Noomi danach nicht wusste, wo sie hinsollte, hatte Jaci ihr einen Schlafplatz angeboten.

 

Ta da: Wohngemeinschaft mit Goyles – falls so etwas je auf einer Bucket-List stehen würde, fand Jaci, war es nur bedingt zur Nachahmung empfohlen.

Es war kein Problem gewesen Mo zurückzuholen, sich mit ihm auszusprechen, ihm zu gestehen, dass sie ihn beinah in den Kerker der Goyle-Töter gebracht hatte. Er verzieh es ihr. Generell war er nicht von der nachtragenden Sorte. Zur Entschädigung hatte Jaci eingewilligt sich mal anzuhören, was er mit ‚Befreien‘ seines Partners meinte. Es war überraschenderweise anders gelagert, als sie sich vorgestellt hatte. Keine weitere Flucht aus einer Georg-Loge.

»Das ist die Höhle in der Hadar sich befindet.« Mos Stimme dröhnte aus dem Pulli, den er sich überstülpte.

Soweit Jaci wusste, waren Mo und Hadar vor langer Zeit getrennt worden. Mo hatte erzählt, Hadar sei zu Unrecht eingesperrt. Das glaubte Jaci sofort. Die Menschen waren gegenüber den Goyles echte Cabrãoes: Arschlöcher. Außerdem hatte Jaci live miterlebt, wie Noomi geflohen war, kein Wunder also, dass Mo seinen Freund auch befreien wollte.

»Du warst schon drin?«, fragte sie dennoch. Sie wollte keine unliebsamen Fallen oder Erdrutsche. Es war kein normales Gefängnis. Versteinerte Goyles ließen sich doch bestimmt bequemer abstellen. Diente die Höhle mehr dem Schutz der versteinerten Bestie?

Mo nickte und wuschelte sich durch die Locken. »Da drin ist nichts, außer Hadar.«

Er drängte nicht zur Eile. Noomis Schwanz peitschte aufgeregt. Sie war laut ihr selbst die einzige Goyle, die es je geschafft hatte einen der unter Goyles berüchtigten Zwischenstadien zu halten und verließ diesen Zustand nur noch, wenn es absolut nötig war. In der Goyle-Gestalt konnten sie nämlich sonst nicht reden. Noomi jedoch hatte erlernt sich nur teilweise zu wandeln. Was passé war, sobald sie sich versteinerte. Es kostete sie viel Zeit und Konzentration sich zurückzuwandeln.

»Ich halte Ausschau und wenn was passiert, warne ich euch.«

Das war vermutlich schon viel für ihre Aufmerksamkeitsspanne.

Mo versicherte, dass gar nichts passieren würde. »Ja, pass einfach nur auf und wenn du Angst bekommst, rennst du einfach raus und wartest auf uns.« Er machte sich am Rucksack zu schaffen, um sein Messer zu suchen. »Es wird alles gut.«

Sie hob beide Daumen. »Check.«

Ein prüfender Griff an ihre Hörgeräte und Jaci verschloss den Rucksack. Dann konnte sie sich dem anderen Teil widmen. Dem, in dem eben doch was passieren sollte. »Und du bist sicher, dass das klappt? Ich hab nicht so Lust auf Nebenwirkungen wie Handabbeißen oder so.«

Mo schüttelte den Kopf. Er steckte sich ein Klappmesser in die Hosentasche und streckte sich noch mal. »Pastetchen, so was hab ich auch noch nie gemacht, keine Ahnung was passieren wird. Aber er wird dir sicher nicht die Hand abbeißen, versprochen.«

Es reichte nicht, um sie vollends zu beruhigen, aber weil er sie bei seinem Lieblings-Kosenamen ‚Pastetchen‘ nannte, war sie immerhin bereit es drauf ankommen zu lassen. Vielleicht sollten sie erst einmal reingehen und sich das ansehen.

 

>>> Der böse Plan <<<

»Ihr habt’s vergeigt.« Die Stimme spiegelte sowohl die Befriedigung als auch Belustigung des Goyle-Töters wider. Sie zeugte vom überbordenden Selbstbewusstsein des Sprechers und von seiner Überheblichkeit. Gut abgedeckt mit einem schicken Schal, gestrickt aus der Wolle der eigenen Katze. ‚Furciver‘ erfreute sich eines hohen Alters und man konnte das aus dem Heim adoptierte Höllengetier jeden Frühling scheren.

Der Goyle-Töter stand weit oben am Berg auf seinen Gehstock gestützt und blickte auf das Ergebnis all seiner Vorbereitung herab. Er streichelte den Halswärmer und dachte an seine Familie, die er endlich rächen konnte. Der entscheidende Schritt war getan, nicht der erste in einer langen Reihe der Komposition, die er sorgfältig geplant hatte bis zu diesem Augenblick. Dem Moment, in dem er diesen Versagern zurufen konnte, dass sie alles genauso getan hatten, wie erwartet. Alles war gekommen, wie erhofft. Es war ein erhabener Augenblick und er genoss ihn.

Drei Gestalten wuselten im Kessel der Höhle herum wie erbärmliche Insekten um einen leblosen Steinbrocken. Die größte war eine Goyle in ihrer wahren Gestalt, sie besaß nur einen Flügel und schlich geduckt verängstigt umher. Die anderen beiden waren ein Mann und eine Frau, und keine Unbekannten. Die Frau war einige Tage in der Goyle-Töter-Loge zu Gast gewesen, nachdem sie verunsichert gewesen war, weil genau der Mann, der da unten bei ihr war, versucht hatte, sie zur Ausführung eines mysteriösen, blutigen Rituals zu überreden. Jaciara Schüßler hieß die Frau, sie hatte gut daran getan, sich bei ihnen zu melden und sich helfen zu lassen. Aber dann hatte sie ihre Meinung geändert und die einflügligen Goyle befreit.

Oh nein, das hatte aber seine Pläne so was von zerstört: Nicht. Er grinste mies. Die drei Ameisenhirne führten seine Brüder und Schwestern exakt choreografiert hier her.

Kadmos triumphierte und nun war es an der Zeit, seine Belohnung einzuholen. Er rieb sich über seinen Bart, dabei geriet ein Katzenhaar an seine Lippen und er versuchte es mit spitzen Fingern wieder aufzunehmen, kurz drauf klebte es an seiner Zungenspitze, er streckte die Zunge aus. Zwei Goyle-Töter an seiner Seite warfen ihm einen herablassenden Blick zu. Kadmos schnippte ihnen das feuchte Haar entgegen und hob den Stock: Bereithalten.

In diesem Augenblick war er siegesgewiss. Denn nichts bleibt für die Ewigkeit. Außer Stein mochte man annehmen. Dieser Stein jedoch nicht mehr. Soeben steckte die Frau ihre ganze Hand in das Maul der mit Moos bewachsenen Steinstatue, vorbei an den spitzen langen Reißzähnen und nur schön mutig rein in den Schlund.

 

>>> Entsteinerung <<<

Da waren Gerüche. Da war Geschmack auf seiner Zunge. Es schmeckte nach etwas, das er nicht kannte und ihm doch seltsam vertraut vorkam. Er nahm Schemen am Rande seines Bewusstseins wahr. Einen glaubte er, zu kennen. Er war davon überzeugt, dass sein Goyle Freund Mord seinen Namen gerufen hatte: ‚Hadar.’ Mordechai, oh, er hatte sich oft an ihn erinnert in der ganzen Zeit. Das war aber nicht Mords Geschmack in seinem Mund. Es war der einer ihm fremden, Person, geradezu verlockend und lecker. Endlich öffneten sich seine Augen.

Die Versteinerung war ein Kinderspiel, der Körper überzog sich statt mit Gänsehaut mit grauen Schuppen, die verhärteten. Das dauerte nicht lange. Nein, der Clou war das Entsteinen, das Aufbrechen. Es war vergleichbar mit einer Gesichtsmaske aus Kreide und Schlamm, die wenn sie getrocknet war, in verzweigten feinen Adern aufriss und abbröckelte. Das war das Gegenteil der Gänsehaut. Es dauerte. Erst die Risse, dann das Bröckeln und schließlich das richtige Brechen. Ein Goyle konnte nicht in der Gestalt eines Menschen versteinern, dazu musste er in seiner wahren Gestalt sein.

Hadar hatte so lange in dieser Gestalt festgesteckt. Dazu verdammt mit ewig kreisenden Gedanken reglos zu verharren, Tages- und Mondlicht, um sich vorbeiziehen zu sehen. Insekten, Reptilien, die über ihn krabbelten, musste er erdulden, bei nicht ganz vollen Bewusstsein, aber auch nicht im Tiefschlaf befindlich. Als würde er gefesselt weder atmen noch sein Herz schlagen spüren können und war nur mit seinen Gedanken alleine.

*

Die Statue, die wie ein angriffsbereiter Dämon zum Sprung bereit da hockte, die vier Flügel angelegt und voller Spannung. Die Klauen erhoben, um zuzupacken. Dieses Monster, an dem nichts wirkte wie ein kauernder Gefangener, der Blutlüstern darauf wartete befreit zu werden. Dieses scharfzahnige Maul, aufgerissen, brüllend und bereit Jaci die Hand abzureißen.

All das war er nicht.

Als sie ihn befreit vom Steinschlaf, spürte sie ein Kribbeln in ihrer Handinnenfläche. Dort, wo sie sich mit Mos Klappmesser geschnitten hatte und ihre Wunde auf die Zunge der Statue gepresst.

Die Schwingen entfalteten sich, wie befürchtet war es ein angsteinflößender Anblick. Dennoch konnte Jaci nicht verhehlen, dass der Goyle eher wirkte, als schüttele er eingeschlafene Gliedmaßen aus. Die erhobene Klaue sank zu Boden, die Krallen kratzten kraftlos über den Stein. Als der Dämon das bedrohliche Maul, von dessen Fängen Blut tropfte, weiter aufriss und keuchend Luft holte, atmete auch Jaciara heftig ein. Das hatte echt geklappt? Mega.

Dann sackte die ganze Gestalt nach vorn.

Mo hechtete vor und griff nach dem Goyle, der im Vergleich zu seiner menschlichen Gestalt monströs wirkte. Eben ein Dämon aus unzähligen Schauergeschichten und Albträumen. Mos Stimme war bloß ein Brummen, als er sich an den nun weichen Torso schmiegte und gegen die aschfahle Haut gedämpfte Worte raunte. Die monströse Pranke hob sich und zog den Mann in eine Umarmung. Ein Aufschrei voller Erleichterung aus Hadars Maul, der seit Ewigkeiten wieder seine Lungen mit frischen Luft füllen konnte, hallte durch die Höhle.

Dieser Augenblick gehörte den beiden allein. Jaci trat zurück, umschloss ihre Hand und senkte den Blick. In weiser Voraussicht hatte Jaciara sich Verbandsmaterial mitgenommen und klebte sich ein großes Pflaster auf die Schnittwunde. Der Schnitt war weder tief, noch blutete er stark. Wie Mo vorausgesagt hatte, waren schon ein paar wenige Tropfen und ein paar gemurmelte Worte ausreichend gewesen. Wobei Letztere nur Jacis Nerven beruhigen sollten. Da hatte sie ja echt Schlimmeres befürchtet. Mehr so in Richtung: Menschenopfer auf einem Altar mit einem blitzendem Dolch und Ablaufrinnen für Blut, die in den Boden führten. Diversen Blockbustern der 80er Jahre sei Dank für diese martialischen Vorstellungen. Mo hatte also nicht gelogen. Jaci lächelte erleichtert und wartete.

 

>>> Pech gehabt <<<

Das war nicht ganz so gelaufen wie in der Legende beschrieben. Hätte es nicht zum Gebrüll der buchstäblichen Höllenbestie ein rumpelndes Erdbeben dazu geben sollen? Dieser Moment gehörte keinem Happy End, kein ‚Endlich haben sie sich wieder und das Unrecht wurde gutgemacht.’ Kein: ‚Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.’ Dieser Moment der Erlösung war der Triumph eines anderen. Happy Ends waren auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Noomi war die Erste, die bemerkte, dass etwas geschah. Mit einem Jaulen ging sie in Deckung, als auf einmal Dinge geflogen kamen. Ein langer Bolzen mit Widerhaken sauste dicht an den beiden Frauen vorbei. Aus hellem Holz mit einer Metallspitze gefertigt. Es kam ihr surreal vor, wie das überdimensionale Projektil neben ihr polternd über den Stein schlug. Es gab kein ‚Zing’ und es blieb auch nicht im Boden stecken.

Noomi kauerte sich hinter sie auf den Boden und zog ihre verbliebene Schwinge schützend über sich. »Sie kommen, sie kommen, um mich mitzunehmen, ich war ein böses Mädchen.«

Jaci sah hinter sich und schnaubte: »Was?« Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Trotz ihres neongelben Hörgerätes glaubte sie sich verhört zu haben.

Dann bekam sie ihr Brüllen doch noch geliefert, welches sie von dem angeblichen Monster vorhin erwartet hatte. Aber es klang nicht nach dem wütenden Dämonen, der – wenn er erst einmal befreit wäre – die Welt in Schutt und Asche legte. Es klang vielmehr nach Schmerzen. Noomi zitterte und heulte zusammengekauert bei diesen Tönen, als würde sie sie selbst spüren. Vielleicht, dachte Jaci, tat sie das sogar. So geschunden wie die Goyle aussah, war es nicht von der Hand zu weisen, dass sie ähnliche Folter erlitten hatte.

Der Beschuss auf sie und die Goyle hörte auf. Was, wie Jaci schnell erkannte, nicht an ihr lag, oder an der Aussicht eine so kleine Beute wie Noomi zu treffen. Sondern daran, dass die Speerschleudern präzise auf jemand anderen gerichtet wurden. Sie wich einen Schritt zurück, hatte vergessen, dass Noomi dort saß, und fiel daher über sie. Unsanft landete sie auf dem Hintern, lag über der Goyle, die sich wohl noch kleiner und flacher machte und sich auf den Steinboden drückte, in der Hoffnung, dass man sie einfach übersah. Jaci hingegen konnte nur hilflos zusehen.

Mo hielt Hadar noch immer im Arm, oder hielt der Goyle seinen Freund? Mo versuchte einen der Speere abzubrechen, der durch Hadars Flügel und Schulter gedrungen war. Keine lebensbedrohliche Verletzung, erst recht nicht für einen Goyle, aber eine, die ihn behinderte und verhinderte, dass er die Flügel ausbreiten, geschweige denn fliegen oder sich anständig aufrichten konnte. Doch Mo schrie ebenfalls gepeinigt auf, nichts hinderte ihn daran, seinem Freund zu helfen, also griff er mit beiden Händen den Schaft und zog ein Stück, was bestimmt noch mehr Schmerzen verursachte. Aber der große Goyle hielt tapfer durch und wartete. Rauch stieg auf, Mo schrie weiter und war nicht in der Lage das Holz zu brechen. Ein Ruck zerrte an ihm, an dem Speer und an Hadar.

An dem anderen Ende des Speers, hinter Hadars Rücken, war die lange Rückholleine angebracht, wie bei der Harpune eines Walfängers. Sicher aus derselben Waffenfamilie entsprungen und doch wesentlich wirksamer, durchdrang diese Waffe die lederne Haut des Goyles, zerriss das Fleisch und hakte sich ein. Der Goyle, unfähig das Eschenholz zu brechen, konnte sich nicht dagegen wehren. Hadar wurde Mo entrissen. Er ließ ihn vielleicht bewusst los, um ihn nicht mitzuziehen. Das straff gespannte Seil führte hinauf zu den Speerwerfer-Apparaturen, welche die Goyle-Töter errichtet hatten. Hadar kippte rittlings über die Kante, von dem Sockel, auf dem er seit Jahren gehockt hatte. Hinter ihm ging es ein beträchtliches Stück abwärts. Er konnte den Sturz mindern, in dem er seine Klauen in die Wand grub und tiefe Kratzer hinterließ. Unten angekommen, war er jedoch nicht sicher. Denn die Speere rauschten hinab, als hätte jemand dort unten eine Zielscheibe vorsorglich aufgemalt.

Jaci hörte die dumpfen Einschläge in seinem Fleisch, grauenvolle Geräusche. Sie war regelrecht dankbar für sein Brüllen, welches die nachfolgenden Treffer übertönte. Dann hörte sie kaum noch deutlich, Mo schrie, machte Anstalten in die Grube zu klettern, Noomi jaulte und krabbelte in die entgegengesetzte Richtung. Jaci bemerkte, dass sie selbst schrie, da sie gerade selbst die Nerven verlor. Sie krabbelte über den Boden, packte Mo von der Seite am Arm. »Mo! Vamos!«

Sein Kopf ruckte herum. »Ich muss Hadar holen.«

Jaci drängelte: »Nein, es ist zu spät, wir müssen hier weg.«

Ihr Freund streifte ihre Hand ab. Nicht willens seinen gerade erst befreiten Partner den Georgs zu überlassen.

 

>>> Der Haken an der Sache <<<

Die Gegenwehr erstarb schlagartig, als sich ein Speer in seinen Körper bohrte und hinten wieder herauskam. Jaci kreischte erschrocken auf. Viel Geschrei dieser Tage. Aber wann wurde schon mal der Ex- und wieder Freund vor den eigenen Augen aufgespießt? Zur Hölle, sowas wünschte man sich nicht mal im Geheimen, wenn man gerade sitzen gelassen worden war. Aber wenn so etwas in Wirklichkeit geschah, kurz nachdem man sich versöhnt hatte und ausgesprochen, war es noch einmal doppelt surreal und beängstigend. Jaciara spürte in sich Galle aufsteigen. Sie wollte fort von hier und hatte gerade noch gedacht, dass wenn Mo nicht mitkommen wollte, sie eben ohne ihn ging. Es war unmöglich. Scheiße verdammt! Aller Goyle-Selbstheilungs-Theorien zum Trotz, sie konnte ihn doch hier nicht liegen lassen, mit einer Stange durch seinen Körper, das musste doch selbst ihn umbringen. Sie kannte sich da nicht aus. Goyle-Kräfte war nicht gerade ein prüfungsrelevantes Schulfach. Es hatte sich nie jemand die Mühe gemacht eine Bedienungsanleitung für den Umgang mit verwundeten Goyles zu verfassen. Im Gegenteil. Allein die ganzen Märchen und Lügen, die die Georgs ihr hatten weißmachen wollen, die Noomi versucht hatte zu berichtigen. Die sich sicherlich nicht nur auf das Wissen der regenerativen Kräfte beschränkten, sondern genauso auf die Herkunft und sagenhafte Abstammungslinie, in denen so illustre Persönlichkeiten auftauchten wie Medusa und Pazuzu. Verdammt, wieso musste sie jetzt an das ganze Halbwissen denken, das verursachte Kopfsalat!

Dabei hatte sie den Salat hier. Oder eher den Mo-Döner. Der in die Knie ging und sie mitzog. Sie hörte immer noch das schmerzerfüllte Brüllen von Hadar und ein Schatten zog über ihnen auf. Sie hielt Mo, der zur Seite kippte und röchelte. »Nicht sterben, Mo, bitte stirb jetzt nicht.« Tränen bildeten sich in ihren Augen und trübten ihr die Sicht.

Der Schatten zappelte und wie ein unheilvoll aufgespannter Engel des Todes kam Hadar herauf. In Armen, Beinen, Schulter steckten die grausamen Speere und die Harpunen wurden gnadenlos eingeholt. Das zähe metallene Ächzen der Winden malträtierten ihre Ohren. Hätte sie nicht mit beiden Händen Mo gehalten, sie hätte liebend gern ihre Hörgeräte ausgeschaltet. Jaci hob den Kopf, ihr blieb der Mund offen stehen. »Oh heilige –« Was immer sie hatte sagen wollen, blieb, wo es war.

»Hadar.« Mo klang so erschöpft, so fertig, das zerriss erst recht Jacis Herz. So hatte sie sich das hier nicht vorgestellt und das war auch nicht Teil des Plans gewesen. Mo hatte gesagt, es gäbe keinen Haken. Scheiße. Keinen Haken, sollte das ein Witz des Schicksals sein? Haken waren hier überall kreuz und quer. Ein riesiger Goyle wurde vor ihren Augen durch die Luft hochgezogen, als wolle man ein Segel setzen. Die Schwingen zerfetzt vom Sperrfeuer, womöglich hatte er instinktiv, wie Noomi, die Lederhaut über seinen Körper gelegt. Soweit Jaci wusste, waren die Flügel zum Teil feuerresistent und wasserabweisend und ziemlich zäh, so dass es schon echt scharfe Klingen oder eben einen ziemlich heftigen Durchschlag brauchte, um sie zu zerfetzen.

Mo keuchte: »Esche.«

Stimmt, oder Eschenholz, da reichte ein Splitter und ein Goyle erlitt Höllenqualen. Welcher humorlose Gott hatte sich nur so einen Schwachsinn ausgedacht? Die mächtigsten humanoiden Wesen, die je über die Welt geflogenen waren und sie reagierten allergisch auf ein paar Holzspäne. Hätte sie es nicht eben gesehen, würde sie es nicht glauben.

Sie bluteten, sie konnten augenscheinlich viel bluten, bevor sie schwächer oder gar ohnmächtig wurden. Hadar wurde immer höher gezogen, seine Füße und Hände bewegten sich wie von einem Marionettenspieler dirigiert. Sein Kopf hing unnatürlich verrenkt zur Seite, er konnte ihn nicht zur anderen Seite legen, weil eine Stange direkt an seinem Kinn lag. Dennoch durchdrang sein Brüllen die ganze Höhle. Es war energisch und zeugte von seiner Kampfeslust, er würde jeden, den er in die Klauen bekam zerreißen, ganz so wie man es diesem blutrünstigen Monster nachsagte. Allerdings bezweifelte Jaci, dass er dazu noch in der Lage sein würde, sobald er oben angekommen war.

Quälend langsam verstrichen die Minuten, während er immer höher gezogen wurde und sein Schatten Jaci und Mo bedeckte. Der Goyle in ihren Armen keuchte: »Jaci, zieh ihn raus.«

Erst als er ihre Hand so fest drückte, dass sie den Blick von dem gefangen Goyle abwenden konnte, sah sie hinab und schluckte hart. »Mo?« Es war mehr die Frage nach dem: ‚Wie kannst du noch leben und reden und bist noch nicht ohnmächtig?’

Der Mann legte ihre Hand um den Speerschaft aus Holz und drückte ihre Finger darum: »Zieh.«

Sie reagierte lethargisch: »Ich bin nicht stark genug.«

Er nickte tapfer. »Du musst, ich kann es nicht.« Seine Hände waren ohnehin schon verbranntes Fleisch, als er vorhin versucht hatte, den Speer aus Hadars Schulter zu ziehen. Die Handflächen trugen keine besonders schlimmen Wunden davon, eher Verätzungen und eine gute Steinschicht würde das bestimmt heilen können; hoffentlich auch das Loch in seinem Körper.

Sie stand auf und ließ Mo am Boden kniend zurück. Dann stellte sie sich hinter ihn und griff mit beiden Händen zu, bevor noch jemand auf die Idee kam, an dem Rückholfaden zu ziehen und ihr Mo zu entreißen. Mo gab keinen Mucks von sich, er sah hinauf zu Hadar. Sein Freund erwiderte den Blick und das Brüllen erstarb langsam und wurde zu gedämpften Klagelauten. Jaci hatte das Gefühl, dass die beiden sich unterhielten, womöglich stumm, in Gedanken? Beherrschten Goyles eine Art Telepathie, wusste jemand davon? Sie musste sich das einbilden, sie meinte selbst ein hintergründiges Grollen in ihrem Kopf vernehmen zu können.

Dann stemmte sie ihren Fuß gegen Mos Rücken und zog kräftig mit beiden Händen den Speer durch ihn hindurch heraus. Erst sobald die hindernde Esche fort war, konnte Mo wieder mit eigener Kraft an seiner Befreiung mitarbeiten und das Seil durchtrennen.

Hadar würde bald den Rand erreichen, auf dessen Anhöhe bereits die Goyle-Töter warteten und mit langen Widerhaken nach ihm schlugen, damit er nur bloß nicht mit seinen scharfen Krallen in ihre Nähe kam. Um Mo und Jaci scherte sich niemand mehr. Auch um Noomi nicht, war diese inzwischen mit dem Boden verschmolzen?

Jaci hauchte: »Als wären wir ihnen egal.«

Das waren sie aller Wahrscheinlichkeit nach.

 

>>> Abmarsch jetzt <<<

Jaci riss an Mos Arm. »Lass uns endlich abhauen.« Endlich war auch die Zeit gekommen, dass Mo das ebenfalls einsah. Hadar war außerhalb ihrer Reichweite. Mo hätte sich verwandeln müssen, um zu ihm hochzuklettern. So stark die Goyles in ihrer wahren Gestalt wirkten, sie konnten aus eigener Kraft nicht fliegen. Sie waren keine Vögel. Eher Fledertierartige, die gut gleiten und segeln konnten. Selbst Fledermäuse konnte flattern. Goyles hingen weder kopfüber, noch fraßen sie Fliegen im Flug, höchstens unfreiwillig, wenn sie das Maul öffneten. Es war etwas ganz anderes, einen zwei Meter großen Goyle vom Boden in die Luft zu katapultieren, als einen winzigen Flughund. Flughörnchen traf es da womöglich noch genauer, vor allem was auch die Behaarung anging. Jaci fand schon, dass Mo in seiner Goyle-Gestalt durchaus als flauschig durchgehen konnte. Mo hielt das nicht für besonders sexy, aber der hatte dabei eh kein Mitspracherecht. Was Jaci von Hadar gesehen hatte, war eher struppig gewesen, dem musste sie aber zu Gute halten, dass er gerade erst entsteinert war.

Aus Mos Wunden sickerte unaufhaltsam Blut. Als Jaci noch nicht gewusst hatte, dass er ein Goyle war, hatte sie schlichtweg angenommen, er hätte einfach nur verdammt gutes Heilfleisch, als er sich beim Brotschneiden in den Daumen geschnitten hatte. Beinah hätte er sich eine hauchdünne Scheibe seines Fleisches abgesäbelt, zusätzlich zum Roggenmischbrot. Sie hatte die Wunde desinfizieren und verbinden wollen, er hatte aber abgewunken und sich den Finger in den Mund gesteckt. Blutend war er dann ins Bad gestapft und erst eine halbe Stunde später wieder herausgekommen, um ihr den Finger zu zeigen: ‚Siehst du? Kein Krankenhaus nötig.’

Es war aber nötig, sie hätte gern einen Krankenwagen hier gehabt und ihn in eine Notaufnahme gebracht. So ein Blutverlust konnte einfach nicht gesund sein. Ganz davon abgesehen, dass so ein kleiner Schnitt in die Hand nicht zu vergleichen war mit einem Loch im Rumpf – sie hätten ihm auch gleich das Herz aus der Brust reißen können.

Er gestand ihr leise: »Ich kann mich hier nicht in Stein verwandeln, es ist zu viel Esche zugegen.« Als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Sie verloren Zeit, um zu fliehen. Noomi hatte es hoffentlich aus dem Tunnel geschafft, durch den sie hereingekommen waren. Bitte bloß keine unliebsamen Überraschungen mehr, von denen hatte Jaci die Nase voll. Abgesehen davon, hatte sie sich in die Hand geschnitten. Wie so ein Noob in einem Computerspiel, um irgendein Siegel zu brechen.

Sie hatten hier kein Siegel benötigt. Mo und Noomi hatten ihr erklärt, dass es so etwas nicht gab, dass alles allein an der Esche und an dem Blut lag. Dass man einen Goyle, der sich gerade verwandelte mit einem Eschenstab daran hindern konnte, je wieder zu entsteinern, es sei denn, das Blut ließ den Goyle wiederaufleben. So jedenfalls verstand es Jaci und quod erat demonstrandum: So zerbröselte der Stein. Hadar war frei. Wenn das geklappt hatte, dann müsste es jetzt ja auch funktionieren.

Jaci schlurfte los, mit einem Arm von Mo über ihrer Schulter. »Mein Blut«, rief sie, »ich gebe dir etwas davon und du kannst dich heilen.«

Mo schüttelte den Kopf: »So funktioniert das nicht, Jaci.«

Jaci, nicht Pastetchen, das hatte sie schon raus. Es war ihm selten etwas ernst genug, aber wenn, dann nannte er sie beim Namen und nicht bei irgendeinem seiner lächerlichen Spitznamen. »Aber wieso denn nicht? Es hat doch auch bei Hadar geklappt.«

Erneut ein Kopfschütteln vom inzwischen ziemlich blassen Mo. »Ja, aber es ging jetzt nur bei ihm.«

»Hä?« Das kam von Herzen. Sie verstand kein Wort.

»Ich erkläre es dir später.« Erschöpfung, Blutverlust und das Schlimmste – Hadars Gefangennahme – zehrten an seinen Kräften.

Sie schulterte Mos Arm erneut und hielt sein Handgelenk umklammert. Dann stapfte sie voran und schleifte den stolpernden Mann mit sich. »Ich werde darauf bestehen.« Keine weiteren Geheimnisse mehr, die sie verwirrten und immer mehr Fragen als Antworten aufwarfen.

Mo gab ein Brummen von sich. Wehe das hieß nicht: ‚Ja’.

Als sie schon ein Stück weit im Tunnel waren, hielt Mo an, stützte sich an der Wand ab und hinterließ dort einen blutigen Abdruck. Er sah sich um, warf einen gequälten Blick zurück. Keinen körperlich angestrengten, sondern einen voll verzehrender Sehnsucht. Jaci konnte regelrecht spüren, wie er die Hand zur Faust ballte, und erschauderte. Von seinem Freund war nichts mehr zu sehen und ein paar der Georgs machten sich daran, in die Grube zu klettern und ihre Arbeitsmaterialien zusammenzusuchen. Diese geizigen, kleinen Elstern würden nichts liegen lassen, was sie noch gebrauchen konnten. Die abgeworfene und zerbröselte Steinhaut, um zu experimentieren. Die zerbrochenen Eschenspeere, um Pflöcke daraus zu machen, oder fiese Nägel, um Goyles zu zwingen, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Die noch intakten Speere, würden zweifellos erneut Anwendung finden und Jaci konnte sich leider sehr genau vorstellen wofür. Sie hatte ein paar Wortfetzen mitbekommen, als sie in der Loge der Georgs zu Gast gewesen war.

Sie hatte so viel dort gehört, dass sie inzwischen nicht mehr wusste, was davon stimmte.

Dass sie Hadar für einen ‚Unsere Umfragewerte rauschen derzeit in den Keller, aber wenn wir einen echt kapitalen Bock von Goyle auftreiben könnten, dann wäre alles geklärt‘-Rettungsplan brauchten. Wie die Loge das umsetzen wollte, hatte sie nicht mitbekommen, ihr war der Zugang zum Konferenzraum verwehrt geblieben. Das war der einzige unvollständige Satz eines lauten, überheblichen Mannes gewesen, der es bis auf den Flur hinaus geschafft hatte, als sie vorübergegangen war.

Es ging wohl lange das Gerücht um, dass eine gewisse Goyle-Töterin mit dem Titel ‚Martha von Bethania’ sich aus den abgebrochenen Eschenspeeren Latten für ihr Bett schleifen ließ. Das gehörte sicher eher zum Geschwätz unter den Ratsmitgliedern und hochrangigen Georg-Titularen, und kam angeblich aus der Ecke ‚Magareta von Antiochia’, die eine Kontrahentin schlecht reden wollte. Wenn Maggy wüsste, dass Martha schon ihren eigenen Feldzug gegen die anderen Georgs verfolgte, hätte sie sicher weit pikantere Details verraten.

Zum Beispiel, dass eine gewisse Goyle-Töterin, niemand wollte ihren Namen nennen, eine ganze Sammlung Eschenholzdildos ihr Eigen nannte. Letzteres war definitiv nichts, was Jaci je hatte erfahren wollen und ihr gruselte noch immer bei der Erinnerung an die Gelegenheit im Speisesaal, als sie diesen Wortfetzen vom Nebentisch aufgefangen hatte. Manchmal war sie dankbar sich nicht alles merken zu können, wieso war ausgerechnet das hängen geblieben? Sie hatte weder Magareta noch Martha je gesehen und wusste ohnehin schon zu viel über sie.

Jaci bedauerte inzwischen, dass sie je zu den Georgs gelaufen war, hätte sie Mo doch einfach nur vertraut.

 

>>> Kleiner Schreck <<<

»Komm weiter.«

Der Scheiß Tunnel war genauso duster wie auf dem Hinweg. Jaci fiel auf, dass sie ihre Taschenlampe am Steinsockel liegen gelassen hatte. Reflexartig griff sie sich an die Tasche ihres Kapuzenpullovers. Gut, Dori war noch da. Eine Geldbörse führte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr mit sich, Ausweis und Kreditkarte passten hervorragend neben einen Geldschein hinter das Mobiltelefon, welches sie Dorothea getauft hatte. Mo fand es süß, dass sie ihrem Inventar Namen gab. Nicht allem. Aber der Backofen war Antonia, der Wasserkocher Marina, die Vierte und die Badewanne Fernando. Aus Gründen, die selbst Jaci fremd waren. Hätte sie ein Auto, hieße es Jonathan. Dann war da noch der Blumentopf, den sie letztes Jahr auf der Jahreshauptversammlung aka Weihnachtsfeier ihrer Arbeit beim Schrottwichteln gezogen hatte. Gut, sie selbst hatte eine furchtbar geschmacklose Sparbüchse verwichtelt, aber immerhin war sie das Ding losgeworden und ‚Gundibert Blumentopf‘ war inzwischen fester Bestandteil ihres Haushalts.

Mo torkelte neben ihr weiter, fuhr mit einer Hand an der Wand entlang, damit sie nicht gegen eine der Abzweigungen liefen. Er mit seinen guten Augen konnte wenigstens noch Abstufungen im Grau erkennen, Jaci blickte einfach gar nichts mehr. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie das auch nicht.

»Glaubst du, sie folgen uns?«, hauchte sie. Darauf gab Mo keine Antwort. Womöglich, um sich ihn zu holen. Für eine versehrte Goyle mit nur einem Flügel hatten sie sicher keine Verwendung und für Jaci genauso wenig. Denn sie konnte ihnen nichts mehr bieten. Wenn Mo Recht hatte und ihr Blut nur einmal funktionierte, dann hatten die Georgs einfach eine hübsche Ansammlung Blutkonserven in praktischer Größe im Eisfach lagern. Jaci stellte sich vor, wie in einigen Jahren der neueste Goyle-Töter das Eisfach auftaute und dann die Röhrchen fand. Ob Zukunfts-Georg sie wohl einfach in den Müll werfen würde? Durfte man das denn, Blut wegwerfen? Oder musste das speziell entsorgt werden? Tja, die Georgs würden sich darum sicher kaum scheren. Dann fiel ihr ein, dass das Unsinn war, natürlich würde das Blut aufgetaut und dann wegschüttet werden.

Als das Schwarz vor ihren Augen erst grau und dann hell wurde, verbannte sie die unnötigen Gedanken. Sie waren nur dazu gut gewesen, dass sie in dem Tunnel keine Angst bekam.

Das einfallende Licht im Höhleneingang wurde unterbrochen, als ein Schatten hindurch huschte. Mo und Jaci zuckten erschrocken zusammen. Das zum Thema Angst und Überraschungen. Bitte, nicht schon wieder.

»Noomi«, seufzte Mo erleichtert und entspannte sich.

Die Goyle mit ihrem scharfen Gehör tauchte als großer Schatten im Höhleneingang auf. Jaci konnte erst erleichtert aufatmen, als sie die einzelne Schwinge erkannte. »Du bist nicht davon gelaufen.« Zudem nicht gefangen genommen geworden, wie erfreulich.

»Da seid ihr ja endlich«, überging die Goyle ihre Worte und machte Platz. »Ich warte schon ewig hier und dachte, sie hätten euch alle getötet. ‚Noomi’, hatte ich gerade gedacht, ‚Noomi geh einfach, solange du noch kannst.’ Ich wäre beinah.«

»Noomi?«

Der Kopf der Goyle ruckte herum und sie holte endlich mal Luft.

Jaci lächelte sie an, Mo wurde langsam echt schwer. »Er wurde von einem dieser Speere getroffen, kannst du mir helfen?«

Mo jankte und grub seine Finger in Jacis Schulter, zum Zeichen, dass er unter keinen Umständen loslassen würde. Was dachte er sich denn? Dass er sie jetzt, nachdem sie sich versöhnt hatten, bevor sie diese komplett hirnrissige Entsteinerungs-Aktion angeleiert hatten, krampfhaft an sie klammern musste?

Da griff Noomi seinen anderen Arm und hängte ihn sich über die Schulter. Sofort spürte Jaci die Entlastung, denn das komplette Gewicht des Mannes lastete nun nicht mehr allein auf ihr und Mo atmete auf, als er gerade stehen und besser einatmen konnte.

»Einer dieser Speere? Die sind alle aus Esche«, dozierte Noomi. Sie war lange Zeit bei den Georgs gewesen, sie wusste das ziemlich sicher. Was untermauerte, wieso sie gleich Reißaus genommen hatte.

»Ach, was du nicht sagst«, kam es von Mo, der nun doch Jacis Schulter losließ.

Noomi fachsimpelte weiter: »Weißt du Jaciara, wir müssen die Wunden ausspülen, wenn Splitter zurückbleiben, werden sie niemals heilen, und das kann sich dann richtig übel entzünden.«

»Ach, wirklich?«, fragte Mo. Das war für ihn wohl nichts Neues. Für Jaci zugegebenermaßen schon.

»Wir brauchen am besten eine Alkohollösung, oder kennt ihr hier in der Umgebung einen guten Goyle-Doktor? Solange da Splitter vom Holz drin sind, kannst du dich nicht verwandeln, Mo.«

Mo pampte ungeduldig zurück. »Sag bloß! Können wir erst mal von hier abhauen? Und uns später Gedanken darum machen, wie wir das säubern? Ich würde wirklich gern woanders zusammenbrechen, als hier auf freier Fläche, wo uns jeder, wirklich jeder, sofort sieht.«

Dem Argument war schwer beizukommen. Jaci nickte und ging dann voraus. »Na dann, schnell.« Wobei ihr wirklich nicht klar war, wie sie mit einem blutenden Mo irgendwohin kommen wollten. Er war nicht nur langsam, sondern wurde immer schwerer. Welcher Busfahrer würde sie so einsteigen lassen, wenn er damit rechnen musste, dass Mo alles dreckig machte? Sie brauchten eine andere Möglichkeit. Sie konnte ein Taxi rufen, sobald sie wieder an der Straße waren. Mit einem Fahrer zu diskutieren war wesentlich einfacher als mit einem Busfahrer und dessen Fahrgästen. Die meisten hatten heutzutage eine echt kurze Zündschnur. Jaci zupfte Dori aus der Tasche. »Ich rufe uns ein Taxi.«

Mo griff nach vorn und packte ihre Hand, drückte das Telefon hinunter. »Kein Taxi.« Er hustete und spuckte Blut. »Das ist alles so nachvollziehbar und weißt du was das kostet bis hier raus?«

Wer sollte das denn nachvollziehen? Die Georgs wussten doch, dass sie hier gewesen waren. Sie blickte ihn ratlos an. Wie sollten sie sonst wieder in der Stadt kommen? Es gab so Momente, wie diesen, in denen sie es echt bedauerte keinen Führerschein gemacht zu haben. Sie war schließlich nur schwerhörig und nicht blind. Wenn es um Reflexe ging und vorausschauendes Handeln, dann konnte sie sicher einige Pluspunkte auf ihrer Seite verbuchen. Andererseits war es echt teuer, und wenn man mitten in der Stadt wohnte und über eine passable ÖPNV Anbindung verfügte, konnte man sich den Führerschein sparen. Das hatte sie zumindest angenommen.

Na ja, und wenn man Mo hieß, dann machte man keinen, weil man ja durch die Luft gleiten konnte. Es war auf jeden Fall unbestreitbar blöd kein Vehikel zur Verfügung zu haben. Ein Lastenrad wäre von Vorteil. Den verletzten Mann reinlegen, die Blutung stoppen, weil er so geknautscht da drin hockte und die Füße auf der anderen Seite runterbaumelten. Oder würde das dann eher den gegenteiligen Effekt haben und wie bei einem Ballon noch mehr Blut rausschießen lassen? Aber sicher würde er dann gleich maulen, weil die Reifen zu tiefe Furchen im Boden hinterließen.

Oh, Reifen. Jaci hatte eine Idee, es gab da jemanden, dem sie mal die Reifen zerstochen hatte. »Ich weiß wen ich rufen kann, aber das wird dauern, bis er kommen kann, meinst du, du hältst eine Weile durch?« Kritisch betrachtete sie Mo von Kopf bis Fuß.

Der Mann streckte sich gerade aus. »Alles was du willst, Pastetchen.«

Jaci grinste anzüglich. »In Ordnung, für’s Erste suchen wir die Straße und uns dann irgendwo einen Platz, an dem man uns finden kann.« Jap, es ging ihm schon viel besser als gerade noch in der Höhle. Mo war stark, er schaffte das.

 

>>> Wird ein Spaziergang <<<

Noch im Laufen blickte Jaci auf die Anzeige des Displays ihres Handys. Kaum zu glauben, dort wo sie wohnte, musste sie sich täglich darüber ärgern, dass sie nur am Fenster, oder auf dem Gäste-WC vollen Empfang hatte. Wenn sie gemütlich auf dem Sofa lag, war ihr Mobiltelefon geradezu nutzlos. Aber das lag wohl daran, dass es eben ‚Mobiltelefon’ und nicht ‚Couchfon’ hieß. Hier jedenfalls, im Nirgendwo eines herbstlichen Mittages, konnte sie problemlos telefonieren.

»Hm?«, kam es aus der Leitung.

»Ruprimon«, frohlockte Jaci und ließ ihre beste Heile-Welt-Stimme ertönen.

Am anderen Ende blieb es einen Augenblick verdächtig ruhig, dann kam ein Seufzen. »CiCi, was willst du?«

»Bruderherz«, säuselte Jaci.

Noomi blieb mit Mo stehen, beide Goyles sahen sie fragend an. Sie lächelte und hob einen Finger an die Lippen.

»Komm mir nicht so«, herrschte ihr Bruder sie am anderen Ende der Leitung an. Ihre Beziehung konnte man mit einem Wort beschreiben: Ausreichend. Aber eine Niere würde sie womöglich nicht von ihm kriegen, sollte sie je eine brauchen. Bevor er sich jedoch wirklich aufregen, oder auflegen konnte, senkte sie ihre Stimme und verstellte ihre Stimme nicht weiter. »Erinnerst du dich an das Notrad vom Nissan?«

Sofort kam ein »Scht« aus der Leitung, dann lange Zeit nichts. Sie ahnte, dass er den Raum verlassen hatte und sich einen Ort suchte, wo sie in Ruhe reden konnten. »Was willst du?«, blaffte er dann ungehalten. »Du weißt, ich lasse mich nicht erpressen.«

Zu ihrer Schande musste sie gestehen, dass sie das schon mal versucht hatte und bis gerade war sie gewillt gewesen, es erneut zu testen. Sie hatten als Kinder mal so eine Phase gehabt, in der sie der Meinung gewesen waren, sie könnten die Welt und Natur retten, wenn keine Autos herumfuhren und hatten deswegen ein paar Reifen zerstochen. Selbst die vom Nissan ihres Vaters. Es war nie herausgekommen, wer es gewesen war. Das würde wohl auch so bleiben. Sie blinzelte und sah Mo lange an.

---ENDE DER LESEPROBE---