Cybermobbing - Catarina Katzer - E-Book

Cybermobbing E-Book

Catarina Katzer

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Beschreibung

Das Buch befasst sich mit Hintergründen, Risikofaktoren und Auswirkungen (Opfer-Tätersituation) des digitalen Gewaltphänomens. Cybermobbing wird dann als Herausforderung für den schulischen Alltag praxisorientiert betrachtet. Wie sollte ein umfassendes Präventionsmanagementkonzept aussehen, welche Strukturen, Inhalte und Methoden sollten vor medienpädagogischem Hintergrund im Schulcurriculum implementiert werden? Das Buch zeigt anhand von Fallvignetten konkretes Handeln auf. Ziel ist dabei, die Fähigkeit zu entwickeln, Handlungsstrategien für eine generalisierte Anwendbarkeit zu entwickeln, ohne den Blick für die Individualität des Einzelfalles zu verlieren.

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Seitenzahl: 169

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Fallbuch Pädagogik

 

Herausgegeben von Armin Castello

 

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

 

https://shop.kohlhammer.de/fallbuch-paedagogik

 

Die Autorin

 

Dr. Catarina Katzer ist Volkswirtin, Soziologin sowie Sozialpsychologin; sie promovierte und lehrte am Institut für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Universität zu Köln und leitet heute das Institut für Cyberpsychologie und Medienethik in Köln. Sie gilt als internationale Expertin für die Vernetzung von Digitaltechnologie und künstlicher Intelligenz mit Individuum und Gesellschaft und deren Einfluss auf Denken, Fühlen, Handeln, Ich-Kultur, Gemeinschaftserleben, Politik und Wirtschaft. Zu ihrer Spezialdisziplin gehört das negative digitale Sozialverhalten (»Digitale Hasskulturen, Fake News, Cybergrooming oder Cyberbullying«). So entwickelte sie erste Studien im deutschsprachigen Raum zu der Thematik »Virtuelle Aggression, Cyberbullying und sexuelle Viktimisierung in den Online Medien«.

Catarina Katzer

Cybermobbing

Digitale Gewalt pädagogisch überwinden

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmunge und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2023

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-040432-8

 

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-040433-5

epub:     ISBN 978-3-17-040434-2

Inhaltsverzeichnis

1           Einleitung

2           Fachliche Grundlagen

2.1          Formen von Cybermobbing

2.2          Prävalenzen an Schulen

2.3          Betroffene und Täter*innen

2.4          Genderbezogene Unterschiede

2.5          Risiko- und Schutzfaktoren bezüglich Täterschaft

2.6          Risiko- und Schutzfaktoren bezüglich Viktimisierung

2.7          Krisen als Risikofaktor

2.8          Auswirkungen für die Betroffenen von Cybermobbing

2.9          Die Situation der Täter*innen

3           Pädagogisches Handeln bei Cybermobbing

3.1          Bedeutung pädagogischer Prävention

3.2          Bestandteile präventiven Handelns

3.2.1       Medienerziehung

3.2.2       Gewaltprävention

3.2.3       Ausbildungs- und Beratungsstrukturen

3.3          Präventionsmanagement an Schulen

3.3.1       Erhebung zu Cybermobbing innerhalb der Schule

3.3.2       Fortbildung für Lehrkräfte

3.3.3       Bauliche Situation

3.3.4       Schüler*innenkompetenz: Klassenprojekte zum Thema Cybermobbing

3.3.5       Widerstandskraft gegen Cybermobbing: Resilienzförderung

3.3.6       Coaching von Bystanderprozessen

3.3.7       Digitale Medienbildung in die Fächer integrieren

3.3.8       Beratungs- und Hilfestrukturen

3.4          Handeln bei akuten Cybermobbing-Ereignissen

3.4.1       Informationen erheben

3.4.2       Aufarbeitung der Taten

3.4.3       Aggressives Verhalten reduzieren

3.4.4       Bedürfnisse ansprechen

3.4.5       Erkennen von Emotionen, entwickeln sozialer Kompetenzen und konstruktiver Konfliktlösungen

4           Fallvignette Lina

4.1          Ausgangslage

4.2          Erhebung weiterer Informationen

4.2.1       Kollegialer Austausch

4.2.2       Externe fachliche Unterstützung

4.2.3       Kontakt zur betroffenen Person

4.2.4       Elterngespräch

4.2.5       Externe Unterstützung für die Eltern

4.2.6       Elterngespräch mit Lina

4.3          Pädagogisches Vorgehen

4.3.1       Einbindung der involvierten Personen

4.3.2       Handeln gegenüber Betroffenen, Täter*innen und im Klassenumfeld

4.3.3       Resilienzförderung

4.3.4       Prävention

4.4          Schlussbetrachtung und Auswertung

5           Fallvignette Paul

5.1          Ausgangslage

5.2          Erhebung weiterer Informationen

5.3          Gespräch mit Paul und dessen Eltern

5.4          Pädagogisches Vorgehen

5.4.1       Hilfe für die Verarbeitung der Situation

5.4.2       Cybermobber*innen und deren Eltern

5.4.3       Vorbereitung: Opfer und Täter*innen Aufarbeitung

5.4.4       Konfrontation: Hintergründe, Lösung der Situation und Wiedergutmachung

5.4.5       Resilienzförderung für Paul

5.4.6       Resilienzförderung der Cybermobber*innen

5.5          Auswertung der Maßnahmen

6           Fallvignette Marvin

6.1          Ausgangslage

6.2          Erhebung weiterer Informationen

6.3          Pädagogisches Vorgehen

6.3.1       Intervention: Bewältigung des Cybermobbing

6.3.2       Prävention

6.3.3       Schlussbetrachtung

7           Abschließende Bemerkungen

8           Ressourcen

8.1          Hilfe und Rat bei Cybermobbing

8.2          Praktische Beispiele für den Schulunterricht zu »Cybermobbing«

8.3          Präventionskonzepte gegen Cybermobbing und Mobbing/Gewalt

9           Literatur

10         Anhang

Cybermobbing Fragebögen

Cybermobbingreport für Schüler*innen

Cybermobbingreport für Lehrer*innen

Cybermobbingreport für Eltern

Fragen zu Cybermobbing für Grundschüler*innen

Resilienztraining Cybermobber*innen

Diskussionsleitfaden für die Gruppenarbeit in Klassen

Diskussionsleitfaden für den Einsatz von Fokusgruppen Gesprächsleitfaden in Anlehnung an die Farsta-Methode (modifiziert nach Taglieber, 2008)

1

Einleitung

Das gesellschaftliche Umfeld von Kindheit und Pubertät hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Internet, Smartphones und soziale Medien wie Facebook, WhatsApp, Instagram, Snapchat und TikTok sind zu einem neuen Koordinatensystem für emotionale und kognitive Prozesse und soziales Handeln geworden. Auch in Schulen wird intensiv wahrgenommen, dass digitale Technologien den Umgang miteinander verändern und entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben. Einerseits ist das »Netz« ein ideales Medium für das Spielen mit der eigenen Identität und Persönlichkeit im Jugendalter, andererseits werden neue Kommunikationsformen immer stärker auch für eine destruktive Kommunikation und Austragung von Konflikten genutzt.

Eine besondere Rolle nimmt hier Mobbing ein, denn durch das Internet ist diesbezüglich eine neue Dimension entstanden, das sogenannte Cyberbullying oder Cybermobbing (Belsey, 2005; Beran & Li, 2005; Cross et al., 2008; Jäger et al., 2007; Jones et al., 2013; Katzer et al., 2009a, b; Katzer und Fetchenhauer, 2007; Floros et al., 2013; Katzer, 2009,2013, 2019; Kowalski et al., 2008, 2014; Li, 2007,2006; Patchin & Hinduja, 2006; Riebel et al., 2009; Scheithauer et al., 2020; Schultze-Krumbholz & Scheithauer, 2010; Kliem et al., 2020; Slonje & Smith, 2008; Willard, 2006). Cybermobbing zeigt sich in zahlreichen Erscheinungsformen, wie z. B. in herabsetzenden Kommentaren oder Hassgruppen auf Facebook und WhatsApp, entwürdigenden Videos auf YouTube oder Fotos von Mitschüler*innen in unangenehmen, peinlichen Situationen, teilweise auch Fälschungen, die über Snapchat oder andere Fotodienste wie Instagram verbreitet werden, sowie in Gerüchten, Verleumdungen und Beleidigungen. Cybermobbing nimmt inzwischen bedenkliche Ausmaße an, denn immer mehr Kinder und Jugendliche sehen sich den scheinbar unausweichlichen Angriffen über die sozialen Medien ausgesetzt. Im europäischen Durchschnitt erlebt jeder fünfte Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren Cybermobbing, bei Jugendlichen mit soziökonomischer Benachteiligung ist jede*r Vierte betroffen (Athanasiou et al., 2018; Scheithauer et al., 2019). Ein besonderes Problem dabei ist, dass Täter*innen und Opfer immer jünger werden. In einer Befragung aus dem Jahr 2020 geben rund 10 Prozent der Eltern von Grundschüler*innen an, dass ihre Kinder Opfer von Cybermobbing geworden sind (Beitzinger et al., 2020). Auch hat die Belastung der Betroffenen in den letzten Jahren deutlich zugenommen, ca. 30 Prozent sind dauerhaft traumatisiert und jede*r Vierte denkt an Suizid (Leest und Schneider, 2017; Beitzinger et al., 2020).

Insgesamt erweist sich Cybermobbing als vielschichtiges Phänomen, denn nicht nur die Opfersituation hat sich aufgrund der öffentlichen Bloßstellung, fehlender Schutzräume und häufiger Endlosviktimisierung verändert. Auch die Situation der Täter*innen ist eine vollkommen neue und zeigt Auswirkungen auf emotionale und kognitive Prozesse. Somit bedarf Cybermobbing im schulischen Alltag einer besonderen Aufmerksamkeit. Kinder und Jugendliche können zwar in der technischen Handhabung der Hard- und Software sehr versiert und vielfach kompetenter als die Erwachsenen sein. Dennoch fehlt es ihnen in der Regel an Lebenserfahrung, um belastende Erlebnisse zu verarbeiten oder zu verstehen, was sie mit ihrem Handeln anderen antun können.

In pädagogischen Kontexten besteht in vielen Fällen ein sehr hoher Aufklärungsbedarf. Dabei spielt Präventionsmanagement in Form von Schutzmaßnahmen, Hilfsangeboten, Betreuung, nachhaltiger Prävention und Intervention eine besondere Rolle. Pädagogisches Wissen ist hier das zentrale Element, denn es verknüpft das Erkennen der situativen Bedingungen und Hintergründe, lösungsorientiertes Vorgehen sowie die Implementierung neuer Lerninhalte und Organisations-, Hilfe- und Beratungsstrukturen.

Der erste Teil dieses Bandes wird sich mit den Hintergründen, Risikofaktoren und Auswirkungen des digitalen Gewaltphänomens Cybermobbing auf Opfer- und Täter*innenseite befassen. Im zweiten Teil wird Cybermobbing als Herausforderung für den schulischen Alltag praxisorientiert betrachtet. Dabei wird erläutert, wie ein umfassendes Präventionsmanagementkonzept aussehen könnte und welche Strukturen, Inhalte und Methoden vor einem medienpädagogischen Hintergrund im Schulcurriculum implementiert werden sollten. Im dritten Teil des Buches wird anhand von drei Fallvignetten konkretes pädagogisches Handeln unter Einbezug theoretischen und empirischen Wissens aufgezeigt. Ziel ist es, die Komplexität der Problematik aufzubrechen und fundierte Handlungsstrategien zu erarbeiten. Dabei wird die Vorgehensweise, die Entwicklung einer Handlungsstrategie und deren Organisation dargestellt, ohne den Blick für die Individualität des Einzelfalles zu verlieren. Den Abschluss bilden Ressourcen für die methodische Umsetzung sowie Online-Informationen, Experten*innenkontakte und Arbeitsmaterialien.

Ein herzliches Dankeschön an Friederike Grabowski und Felix Castello, die die Entstehung dieses Buches mit großem Einsatz und Engagement unterstützt haben.

Köln im März 2023

Catarina Katzer

2

Fachliche Grundlagen

2.1        Formen von Cybermobbing

Tokunaga (2010) definiert jedes Verhalten als Cyberbullying oder Cybermobbing, das via elektronischer bzw. digitaler Medien geschieht und, um anderen Schaden zuzufügen, in wiederholten aggressiven Botschaften besteht.

Untersuchungen aus den USA, Europa und Asien zeigen, dass sich virtuelle Kommunikationsräume, ob Chaträume, Messengerdienste, soziale Netzwerke oder Foto- und Videoportale, zu einem Tatort für digitale Gewalt entwickeln (Balakrishnan, 2015; Chan & Wong, 2016; Cross, 2008; Dehue et al., 2008; Katzer, 2016a; Erdur-Baker, 2010; Finkelhor et al., 2000; Hinduja & Patchin, 2008, 2010; Kolodej, 2011; Katzer & Fetchenhauer, 2007; Katzer, 2013; Schultze-Krumbholz & Scheithauer, 2009, 2010; Ybarra & Mitchell, 2004). Formen verbalen und psychischen Mobbings können über das Internet und die mögliche Vernetzung verschiedener technologischer Equipments leicht ausgeübt werden (Ey et al., 2019; Gradinger et al., 2009; Li, 2006; Katzer, 2009, 2011a, b; Petras & Petermann, 2019; Peter & Petermann, 2018; Rivers & Noret, 2010; Staude-Müller et al., 2009; Floros et al., 2013; Smith et al., 2008; Ybarra et al., 2006). Innerhalb von Sekunden werden verletzende Inhalte unabhängig vom Aufenthaltsort versendet oder intime, peinliche oder manipulierte Fotoaufnahmen und Videos per E-Mail, über soziale Netzwerke oder Videoportale Hunderttausenden im Internet zugänglich gemacht.

Unterschieden wird zwischen verbalem und psychischem Cybermobbing: Unter verbalem Cybermobbing versteht man z. B. Hänseleien, Beleidigungen, Erpressungen oder Drohungen über SMS, E-Mails, in Chatrooms, sozialen Netzwerken, Blogs oder über Webseiten. Um psychisches Cybermobbing handelt es sich, wenn online Gerüchte und Lügen verbreitet werden, Menschen bei Chatgesprächen isoliert, nicht beachtet oder blockiert oder Freundschaftsanfragen immer wieder abgelehnt werden. Auch das Veröffentlichen intimer oder peinlicher Fotos und Videoclips in sozialen Netzwerken oder über Videoplattformen wie YouTube zählt dazu.

Differenziert werden kann weiterhin zwischen direkten und indirekten Verhaltensweisen. Direktes Cybermobbing beinhaltet Beleidigungen (harassment), sozialen Ausschluss (exclusion) oder Drohungen und Erpressungen (threat). Indirektes Cybermobbing bezeichnet das Verbreiten von Lügen (denigration), von Geheimnissen oder privatem Bildmaterial (outing and trickery) oder die Identitätsübernahme einer Person (impersonation).

Cybermobbing tritt vor allem in Form von Beschimpfungen und Beleidigungen auf, gefolgt von Gerüchten und Verleumdungen (Beitzinger et al., 2020). Eine besondere Art ist die Gründung sogenannter »Hassgruppen« in sozialen Netzwerken oder auf WhatsApp. Was zunächst wie ein Fanclub aussieht (z. B. »Tims beste Freunde«), hat das eigentliche Ziel, jemanden durch Hänseleien oder Verleumdungen zu schädigen. Deutlich zugenommen haben Ausgrenzungen und Ablehnungen von Kontaktanfragen sowie der Einsatz von peinlichem Foto- oder Videomaterial (Beitzinger et al., 2020). Jugendliche werden z. B. im Umkleideraum oder der Sporthalle beobachtet und fotografiert bzw. per Video beim Duschen aufgenommen. So lassen Cybermobber*innen beispielsweise den Eindruck von einem 13-jährigen Jungen entstehen, er schaue den anderen Jungen beim Umkleiden gerne auf die Genitalien. 2020 gab außerdem jeder vierte jugendliche Betroffene an, dass Fotos von seinem Social-Media-Profil oder aus anderen Online-Fotoalben kopiert und woanders veröffentlicht wurden. Von den weiterführenden Schulen sind hiervon besonders Haupt- und Realschulen betroffen (Beitzinger et al., 2020). Mittlerweile werden auch zunehmend häufiger Passwörter von Profilen in sozialen Netzwerken wie Facebook »geknackt« oder gezielt Fake-Profile erstellt, um z. B. peinliche oder veränderte Fotos, Vorlieben, Meinungen etc. einzufügen und den Betroffenen zu verleumden oder bloßzustellen. Mädchen werden etwas häufiger Opfer von Fake-Profilen. Dabei kann es auch zu einer Verlinkung mit Webseiten kommen, die pornografische, homophile/homophobe oder rechtsradikale Inhalte zeigen. Der Einsatz von Fake-Profilen kommt am häufigsten an Haupt- und Werkrealschulen sowie in Berufsschulen vor (Beitzinger et al., 2020). In aller Regel wissen Betroffene zunächst nicht, dass dieses Profil von ihnen existiert. Im schulischen Umfeld zeigen sich dann die Auswirkungen der Diffamierung in Form von Beschimpfungen.

Profile in sozialen Netzwerken sollten aus diesem Grund regelmäßig überprüft werden. Fake-Profile sollten dem Provider unverzüglich gemeldet werden. Eine hilfreiche Suchmaschine zum Auffinden eigener Inhalte ist z. B. das Portal Yasni. Hier kann ein Profil mit dem eigenen Namen unter Angabe der E-Mail-Adresse angegeben werden und man erhält in regelmäßigen Abständen von Yasni eine Liste von allen Einträgen, Fotos etc., die unter diesem Namen im Internet existieren.

Auch die »Tatorte« für Cybermobbing haben sich gewandelt: Waren es vor einigen Jahren überwiegend Chatrooms, Blogs oder E-Mails, zeigt sich 2020 für Deutschland, dass mittlerweile am häufigsten Instant Messaging, z. B. WhatsApp, und soziale Netzwerke wie Facebook für Cybermobbing genutzt werden, gefolgt von Chaträumen, Videoplattformen, Foren und E-Mailing (Beitzinger et al., 2020). Das Smartphone ist dabei seit Jahren die »Tatwaffe« Nummer eins (vgl. Katzer, 2016a).

2.2        Prävalenzen an Schulen

Cybermobbing ist zwar kein neues Phänomen, hat sich aber in den letzten Jahren den digitalen Veränderungen angepasst und an Brisanz zugenommen. So macht es die Verbreitung der Smartphones möglich, dass Cybermobbing an nahezu jedem Aufenthaltsort und jederzeit stattfinden kann. Mehr als jedes zweite Kind zwischen 6 und 7 Jahren (54 Prozent) nutzt zumindest hin und wieder ein Smartphone. Ab 10 Jahren haben 75 Prozent ein eigenes Gerät (Berg, 2019). Die beteiligten Personen bei Cybermobbing werden daher immer jünger. Jede vierte Grundschullehrkraft kennt mindestens einen Fall an der eigenen Schule (Beitzinger et al., 2020). Problematisch ist, dass insbesondere Grundschulen aktuell die geringsten Aktivitäten im Bereich Prävention aufweisen. Dies liegt möglicherweise daran, dass es an fachlich fundierten Konzepten zur Prävention von Cybermobbing mangelt.

Die meisten Cybermobbingvorfälle finden aber an Haupt-, Werkreal- und Realschulen statt. 71 Prozent bzw. 76 Prozent der Lehrkräfte dort kennen mindestens einen Fall. Etwas geringer fällt die Prävalenz an Gymnasien (65 Prozent) und Gesamtschulen (62 Prozent) aus (Beitzinger et al., 2020). Ein Blick auf die Entwicklung in Deutschland dokumentiert insgesamt einen erheblichen Anstieg von Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen. Zwischen 2017 und 2020 stieg die Zahl der Betroffenen zwischen 8 und 19 Jahren in Deutschland von ca. 1,5 Mio. auf 2 Mio. (Leest und Schneider, 2017; Beitzinger et al., 2020; s. auch JIM Studie, 2020). Dabei verstärken gesellschaftliche Krisen die Cybermobbingproblematik. Der zweite und dritte Corona-Lockdown in der Bundesrepublik hat zu einer Ausweitung von Cybermobbing beigetragen (Beitzinger et al., 2020).

In den Nachbarländern Deutschlands wird ebenso ein Zuwachs sichtbar, wie z. B. in der Schweiz. Mittlerweile wird dort jede*r Vierte der 12–19-jährigen Opfer von Cybermobbing (Bernath et al., 2020). Eine Zunahme der Mobbing- und Cybermobbingproblematik sieht man auch in Österreich. Bei unseren Nachbarn wird seit 2017 ein Plus von 12 Prozent verzeichnet. Unter Berücksichtigung von Überschneidungen geben 28,1 Prozent der österreichischen Schülerinnen und Schüler in der 3.–13. Schulstufe an, von Mobbing/Cybermobbing betroffen zu sein. Rund 37 Prozent haben Cybermobbing bereits bei anderen beobachtet (Arbeiterkammer Steiermark, 2019).

Die Forschung in den vergangenen Jahren macht erhebliche Länderunterschiede in der Auftretenshäufigkeit sichtbar. Der asiatische Raum hat die höchsten Prävalenzraten: So sind 44 Prozent der chinesischen Schüler*innen im Alter von 14 Jahren von Cybermobbing betroffen (Rao et al., 2019). Während in den USA seit Jahren die Betroffenheit bei circa einem Drittel der 10–18-Jährigen stabil bleibt (vgl. Hinduja und Patchin, 2019), zeigt sich in Deutschland in den letzten Jahren der bereits dargestellte Anstieg. Es lohnt sich außerdem, einen Blick in die nordeuropäischen Staaten und die Niederlande zu werfen. Finnland berichtet eine Prävalenz von ca. 15 Prozent in der Altersgruppe der 14–16-Jährigen (Hassinen, 2018). Hier wird seit Jahren das positiv evaluierte Präventionsprogramm KiVa der Universität Turku implementiert (https://www.kivaprogram.net/), das mittlerweile fast an 90 Prozent der finnischen Ausbildungsinstitutionen zum Einsatz kommt. Die Niederlande setzen seit 2016 eine Verpflichtung aller Schulen zur Prävention von Cybermobbing um (s. Katzer, 2016a), deren Finanzierung und Ausstattung von staatlicher Seite zur Verfügung gestellt werden. Die Einhaltung der Verpflichtung wird über ein Monitoring des niederländischen Bildungsministeriums kontrolliert. Während ca. 25 Prozent der deutschen 14–16-Jährigen in Cybermobbing viktimisiert werden, sind es in den Niederlanden 15 Prozent in dieser Altersgruppe (Athanasiou et al., 2018).

Die positiven Auswirkungen zeigen sich insbesondere bei der Risikogruppe der Jugendlichen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien: In den Niederlanden sind 15 Prozent sozioökonomisch benachteiligter Jugendlicher von Cybermobbing betroffen, in Deutschland über 35 Prozent (Fannrich-Lautenschläger, 2019; Scheithauer et al., 2019, auch Blurred Lives Project). Somit steht die Förderung digitaler Skills und sicherer Nutzungsstrategien in deutlichem Zusammenhang mit geringeren Prävalenzen.

2.3        Betroffene und Täter*innen

Bei der Altersverteilung werden zwei Gruppen als Hauptbetroffene unterschieden. Cybermobbing tritt am häufigsten bei den 13- und den 17-Jährigen auf (ca. 28 Prozent) (vgl. Beitzinger et al., 2020). Vor einigen Jahren betrug deren Anteil noch weniger als 20 Prozent: Die Hauptbetroffenen waren damals in der Gruppe der 14–16-Jährigen zu finden (25 Prozent; vgl. Leest & Schneider 2017). Es deutet sich eine Altersverschiebung nach oben und unten an. Eine Erklärung hierfür bietet die Veränderung der kritischen Lebensphasen. Die Pubertät, in der Konflikte mit sich selbst, aber auch dem schulischen oder elterlichen Umfeld zunimmen, erfährt seit einigen Jahren eine Vorverlagerung. Bei fehlender Unterstützung, emotionaler Vernachlässigung und fehlenden Strategien zur Konfliktbewältigung kann sich dieses Aggressionspotenzial erhöhen. Gleichzeitig steigt die Gefahr, in eine Opferrolle zu geraten, wenn man den Erwartungen der Peergroup nicht entspricht und es an einem stabilen Selbstbild sowie Selbstwertgefühl fehlt. Andererseits haben sich mit dem Abitur nach der 12. Klasse der Übergang in das Erwachsenenleben und die damit verbundenen komplexen Veränderungsprozesse vorverlagert. Prävention sollte sich deshalb intensiv mit der besonderen Situation dieser Kohorten auseinandersetzen und außerordentliche Krisensituationen einbeziehen.

Auch der sozioökonomische Hintergrund spielt insofern eine Rolle, als in geringer qualifizierenden Bildungsgängen vergleichsweise höhere Raten an Cyberviktimisierungen auftreten (Schneider et al., 2013; Leest & Schneider, 2017; Beitzinger et al., 2020; Müller et al., 2016; Scheithauer et al., 2019; Felder-Puig & Teufl, 2020). Negative Einflussfaktoren sind hierbei z. B. eine soziale Randlage, Migrantenstatus oder eine Broken-Home-Situation. Auf der Seite der Täter*innen ist hingegen kein signifikanter Zusammenhang mit sozioökonomischen Faktoren nachweisbar. Allerdings sind Schüler*innen mit Migrationshintergrund häufiger in (Cyber-)Mobbing-Aktivitäten involviert. Besonders eklatant ist der Unterschied zwischen Schüler*innen mit und ohne Migrationshintergrund bei den Täter*innen (Beitzinger et al., 2020). Auch Daten aus Österreich belegen, dass Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund öfter an Cybermobbing beteiligt sind (Felder-Puig & Teufl ,2020). Hier sind möglicherweise Zusammenhänge mit Rollenbildern, Geschlechtsstereotypen und der kulturspezifischen Sozialisation wirksam.

2.4        Genderbezogene Unterschiede

Nicht ganz eindeutig sind die Befunde zum Einfluss des Geschlechts hinsichtlich einer Täterschaft bzw. Viktimisierung (Katzer & Fetchenhauer, 2007; Floros et al., 2013), obwohl vielfach die stärkere Betroffenheit von Mädchen angenommen wird (Foody et al., 2019; Heiman & Olenik-Shemesh, 2015; Låftman et al., 2013; Smith et al., 2019). Möglicherweise werden Mädchen statistisch häufiger viktimisiert, weil Jungen seltener bereit sind, sich selbst als Betroffene zu bezeichnen. Einige Studien weisen darauf hin, dass Jungen häufiger als Cybermobber auftreten (Hinduja & Patchin, 2008, 2015; Katzer & Fetchenhauer, 2007; Porsch & Pieschel, 2014). Dabei werden sie eher von anderen Jungen mit digitalen Medien drangsaliert, Mädchen hingegen gleichermaßen von beiden Geschlechtern (z. B. Hinduja & Patchin, 2015).

Im konkreten Cybermobbingverhalten zeigen sich klare Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen (s. auch Underwood & Rosen, 2010). So werden Beleidigungen, Verleumdungen und Lügen eher von Mädchen verbreitet (Anderson, 2018). Mädchen geben zudem häufiger als Jungen an, Opfer manipulierter Profile zu sein. Jungen drohen eher mit »Abziehen« d. h. Geld oder Gegenstände stehlen, körperlicher Aggression, und sie verwenden häufiger manipuliertes oder peinliches Foto- und Videomaterial (Leest & Schneider, 2017; Beitzinger et al., 2020).

Cybermobbing in Form des Ausgrenzens oder Ausschließens aus einer Gruppe (auch »Blockieren«) in sozialen Netzwerken wird von beiden Geschlechtern gleichermaßen ausgeübt (Beitzinger et al., 2020). Hier zeigen sich möglicherweise auch Auswirkungen der Corona-Krise. Der soziale Faktor »Affiliation« (Anschlussmotiv) leidet aufgrund der Schutzmaßnahmen stark, so dass der Zugehörigkeit zu einer Gruppe eine noch größere Bedeutung beigemessen wird. Besonders schaden kann man anderen insofern, wenn man ihnen die Gruppenzugehörigkeit verweigert.

Auch in der Bewältigung von Cybermobbing liegen Geschlechtsunterschiede vor. Jungen wenden eher aktive Strategien an (Sittichai & Smith, 2018). Allerdings erzählen sie anderen seltener ihre Erlebnisse (Daneback et al., 2018). Mädchen wiederum reagieren zurückhaltender, verdrängen häufiger, versuchen, die Angriffe zu ignorieren oder blockieren ihre »Peiniger«. Bei Mädchen könnten Schamgefühle eine Rolle spielen, die einen aktiven Umgang verhindern (vgl. Sittichai & Smith, 2018; Hinduja & Patchin, 2019), was allerdings zu einem starken psychischen Druck führen kann.

Prävention und Intervention sollten also spezifische Angebote z. B. für Mädchen einplanen. Hierzu gehört eine niederschwellige Beratungsoption an Schulen, besetzt u. a. mit weiblichen Peers, wie beispielsweise in Form einer Erste-Hilfe-Hotline per Mail oder Chat.

2.5        Risiko- und Schutzfaktoren bezüglich Täterschaft