Da brat mir doch einer den Storch - Thorsten Läsker - E-Book

Da brat mir doch einer den Storch E-Book

Thorsten Läsker

0,0
5,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dieter Poslowski, 33-jähriger freiberuflicher Kleiderbügelvertreter aus Hamburg, erzählt die Geschichte der wichtigsten Zeit seines Lebens. Bisher bestritt er sein Dasein größtenteils mit feuchtfröhlichen Skatrunden, gelegentlichen Frauengeschichten und ganz viel Fußball. Doch dann lernt er Tanja kennen, die nicht nur seinen von Fettnapf zu Fettnapf stolpernden Weg durchs Leben toleriert, sondern auch ungewollt von ihm schwanger wird. Neun Monate im Leben eines Mannes, die alles verändern. Gewürzt mit jeder Menge Fallstricken, Humor und ungeplanten Überraschungen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

04/2023

 

Da brat mir doch einer den Storch … oder bringt der die

Babys dann trotzdem noch?

 

© by Thorsten Läsker

© by Hybrid Verlag, Westring 1, 66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2023 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Lektorat: Matthias Schlicke, Emilia Laforge

Korrektorat: Birgit van Troyen

Buchsatz: Rudolf Strohmeyer

Autorenfoto: privat

 

Coverbild ›Watsons Welt‹ © 2018 by Esther Schnitzer

Coverbild ›Funkschatten‹ © 2019 by Creativ Work Design, Homburg; Fotograf/Bild:© by Ruth Ledersteger

Coverbild ›Der Grendel – Heimweh ist auch keine Lösung‹ © 2020 by Dana Müller, Tintenfieber©hotmail.de, Bildmaterial pix-abay.com

Coverbild ›Prefix of Death‹ © 2020 by Hygin Graphix

 

ISBN 978-3-96741-197-3

 

www.hybridverlag.de / www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

Printed in Germany

 

 

 

 

Thorsten Läsker

 

 

 

 

 

Da brat mir doch einer den Storch

oder bringt der die Babys dann trotzdem noch?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Roman

 

 

 

1. Wie alles begann

2. Der Tag danach

3. Ein Date, eine Traumfrau und dann auch noch ich

4. Und wieder ein Tag danach

5. Juhu, wir sind schwanger

6. Leben, lieben und feiern

7. Schwiegereltern und andere Katastrophen

8. Einmal ultraschallen bitte

9. Nomen est Omen

10. Die Babyphone-Odyssee

11. Der Geburtsvorbereitungskurs und seine Tücken

12. Ein Schock jagt den nächsten

13. Job hin oder her oder was auch immer

14. Der Countdown läuft

15. Das Wunder der Geburt

16. Da ist er ja

17. Home sweet Home

Der Autor

Hybrid Verlag …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich und Kinder?

Nein, mit diesem Thema hatte ich mich bisher eigentlich nie wirklich beschäftigt. Das war immer etwas für die anderen gewesen, aber nicht für mich selbst. Passte einfach nicht so richtig zu mir und meinen Lebensplänen. Schließlich wollte ich frei und unabhängig sein. Kinder hätten da am Ende nur gestört.

Abgesehen davon empfand ich mich persönlich als viel zu unreif, um eine derartig große Verantwortung übernehmen zu können. Mein ganzes bisheriges Dasein hatte sich eben nur auf Fußball, Kumpels, Skatabende, diverse Frauengeschichten und allerlei Sauftouren beschränkt. Also nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen standesgemäßen Papa. Und überhaupt konnte ich mit Kindern sowieso nicht viel anfangen. Mir fehlte einfach jeglicher Bezug zu diesen sabbernden, schreienden, tobenden und nervigen kleinen Menschen. Wieso hätte ich mir da selbst so ein Exemplar anschaffen sollen? Immerhin fühlte ich mich pudelwohl, so als kinderloser Single-Mann. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte und musste niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen. Ein Zustand, den ich wahrhaft genoss.

Natürlich mochte ich Kinder trotzdem irgendwie, aber nur, wenn es nicht meine eigenen waren und ich nichts weiter mit ihnen zu tun haben musste. Das Älterwerden war schließlich schon unangenehm genug. Besonders, nachdem ich die 30 bereits seit einigen Jahren hinter mir gelassen hatte. Die Aufzucht eines Nachkommen hätte mir diesen Prozess nur noch deutlicher vor Augen geführt und die ganze Sache unnötig verschlimmert.

Ja, ich weiß schon: Das hört sich jetzt alles nach recht vielen Ausreden und fadenscheinigen Begründungen an. Und vermutlich war es auch so. Aber so empfand ich eben damals … in meinen wilden Sturm- und Drang-Zeiten.

Zumindest bis zu jenem einen Abend im Jahre 2008, an welchem sich mein bisheriges Leben komplett verändern sollte. Schuld daran trugen die richtige Frau, der richtige Moment und das falsche Kondom. Und plötzlich zeigte der Schwangerschaftstest zwei Streifen an. Was folgte, waren die wohl aufregendsten und ereignisreichsten neun Monate meines bisherigen Erdendaseins.

Mein Name ist Dieter Poslowski. Zum damaligen Zeitpunkt war ich 33 Jahre alt und wohnte in der schönen Stadt Hamburg, wo ich als freiberuflicher Kleiderbügelvertreter mein Geld verdiente.

Und hier … ist meine Geschichte.

 

1. Wie alles begann

 

»Mensch Dieter, du bist dran! Jetzt pass doch endlich mal auf«, rüffelte mich eine genervt klingende Stimme von der Seite aus an, nachdem ich zum wiederholten Male mein Ausspiel beim Skat verpasst hatte.

Erschrocken zuckte ich zusammen, riss meine Augen auf und sagte leicht bedröppelt: »Oh ja, sorry!«, während ich dabei in die ungeduldigen Gesichter meiner Stammtischkollegen blickte.

Keine Ahnung warum, aber irgendwie war ich heute einfach nicht so richtig bei der Sache. Für meine Verhältnisse schon ein wenig ungewöhnlich. Denn normalerweise handelte es sich bei mir um einen recht aufmerksamen und zuverlässigen Mitspieler. Es musste also einen triftigen Grund für meine geistige Abwesenheit geben, soviel stand fest. Allerdings fiel mir partout keine vernünftige Erklärung dafür ein. An meinem Alkoholpegel konnte es auf jeden Fall nicht gelegen haben, denn der befand sich eigentlich auf einem völlig normalen Wochenend-Niveau. Und auch ansonsten gab es bei mir nichts Weltbewegendes zu vermelden. Kein Wunder also, dass selbst meine engsten Freunde allmählich die Geduld verloren.

Besonders mein bester Kumpel Vorhaut-Kalle, der direkt neben mir saß, konnte meine kleineren Aussetzer so gar nicht nachvollziehen. »Mann Alter, was ist denn heute nur los mit dir? Hast wohl die Bratwurst von vorhin nicht vertragen oder was?«

Ich zuckte nur kurz mit den Schultern, da ich in diesem Moment noch nicht einmal ansatzweise ahnen konnte, dass dieser schicksalsträchtige Freitagabend mein Leben gehörig durcheinanderwirbeln sollte. Rückblickend betrachtet also ein ganz klarer Fall von Vorahnung. Zumindest schien mein Unterbewusstsein schon recht gut informiert gewesen zu sein und wollte mich wohl immer wieder durch kleinere Konzentrationsschwächen darauf aufmerksam machen.

Nichtsdestotrotz gefiel Kalle meine wortlose Reaktion ganz und gar nicht, was er durch ein striktes Kopfschütteln überdeutlich zum Ausdruck brachte.

Statt allerdings nachzubohren, beließ er es glücklicherweise dabei und sagte: »Also los! Jetzt mach schon«, was wiederum auf sehr viel Gegenliebe bei meinen anderen Kumpels stieß, da diese bereits hektisch mit den Hufen scharrten und endlich weiter Karten spielen wollten.

Bevor ich also noch als gelynchte Galionsfigur über dem Eingangsschild der Kneipe endete, gab ich dem Drängen lieber nach und versuchte mich wieder voll und ganz auf das Spiel zu konzentrieren. Natürlich sehr zur Freude der gesamten Runde, welche diesmal aus einer eher ungewohnten Besetzung bestand, da Paule aufgrund einer schmerzhaften Wurzelbehandlung vorsichtshalber zu Hause geblieben war. Ausnahmsweise hatte daher unser guter Horst dessen Part übernommen, was schon einem kleinen Wunder gleichkam. Denn eigentlich spielte Horst gar nicht so gerne Skat, sondern saß lieber etwas abseits, um Kreuzworträtsel zu lösen. Passte irgendwie auch mehr zu ihm, zumindest rein optisch betrachtet. Schließlich wirkte er mit seiner dicken Brille, dem lichten Haarwuchs sowie seinen völlig unmodernen Pullovern ein wenig altbacken. Eben mehr so wie der Lehrer von nebenan. Entsprechend gut kam sein aufopferungsvoller Gnadenakt bei uns allen an. Und ganz besonders bei Detlef, da dieser nun endlich einmal die rote Laterne als schlechtester Spieler abgeben konnte. Für einen ansonsten recht unscheinbaren Kerl wie ihn, der zuhause mächtig unter den Pantoffeln seiner Frau stand, kein ganz so unbedeutender Aufstieg. Die anhaltende Freude in seinem schlanken und lang gezogenen Gesicht sprach zumindest Bände. Und dann gab es eben noch Vorhaut-Kalle, den Vierten im Bunde, auf dessen Spitzname an dieser Stelle aber nicht weiter eingegangen werden soll. Nur so viel sei verraten: Wäre der kräftig gebaute Kalle jemals beschnitten worden, so hätte man für den Eingriff sicherlich eine Menge Arbeit einplanen müssen.

Und genau im Kreise dieses richtig schön illustren Haufens spielte, trank und lachte ich mich in das bevorstehende Wochenende. Unsere urige Stammkneipe mitten in der Hamburger Altstadt, die übrigens auf den herrlich klingenden Namen Zum Gorgonzola-Soufflé hörte, war wie immer recht gut besucht und die Stimmung entsprechend ausgelassen. Kaum verwunderlich, dass dadurch aus allen Ecken und Enden irgendwelche völlig undefinierbaren Gerüche und Laute in die Gaststube hineinströmten. Glücklicherweise gewöhnte man sich aber nach einer gewissen Zeit daran. Anders hätte man es hier auch nicht aushalten können. Der dichte Zigarettenqualm und dieser müffelnde Gestank standen schließlich förmlich in der Luft, während der Geräuschpegel bereits ein mehr als unerträgliches Limit überschritten hatte. Nicht zuletzt der scheppernden Jukebox wegen, aus der immer wieder die gleichen alten 80er-Hits ertönten. Wie in einer Art Dauerschleife, nur eben wesentlich nervtötender. Das angebrachte Spaßschild am Eingang, das einen Zutritt erst ab 18 Jahren gewährte, kam also nicht von ungefähr. Genauso wenig wie die gesamte Atmosphäre, die man am treffendsten mit den Worten »laut, stickig undwarm« umschreiben konnte. Dementsprechend gab es natürlich auch viele durstige Kehlen zu befeuchten. Wirt Herbert - aufgrund seiner mehr oder weniger ruhmreichen Seefahrervergangenheit von allen nur »Der Kapitän« genannt - kam aus dem Bierzapfen kaum noch heraus. Doch das störte ihn reichlich wenig. Von Stress keine Spur. Ganz im Gegenteil. Denn umso hektischer das Treiben wurde, desto gelassener verrichtete er seine gastronomischen Tätigkeiten. Selbst ein vorbeifliegender Stuhl als Zeugnis einer soeben begonnenen Schlägerei vermochte nichts daran zu ändern. Der Kapitän schüttelte nur kurz den Kopf, grinste in seinen Bart hinein und zapfte gemütlich das nächste Bier. Kleinere Auseinandersetzungen waren schließlich keine Seltenheit und gehörten fast schon zum guten Ton, weshalb er es stets recht locker nahm. Statt sich also darüber aufzuregen, stand er lieber die meiste Zeit über völlig cool und entspannt hinter dem Tresen, während seine ständig qualmende Pfeife und das bereits stark in die Jahre gekommene Kapitänsmützchen ein wenig Seemannsflair in dieses muffige und raue Ambiente zu zaubern vermochten.

Alles in allem gab es somit nur zwei Möglichkeiten: Entweder man liebte das Ganze hier oder man hasste es eben. Und ich gehörte definitiv zur ersten Fraktion. Genauso wie meine drei Kumpels, weshalb wir uns ebenfalls recht unbeeindruckt von den meisten kneipeninternen Ereignissen zeigten und lieber weiter unserem Kartenspiel frönten. Zu meinem Pech zeigte mir Fortuna an diesem Abend allerdings durchgehend die kalte Schulter. Ich verlor ein Spiel nach dem anderen. Und das, obwohl der unerfahrene Horst mit am Start war. Mein Kapital schrumpfte somit zunehmend, während mein Frust vergleichsweise anstieg. Ein Zustand, der sich nur noch mit reichlich Alkohol ertragen ließ. Unablässig floss daher ein kühles Blondes nach dem anderen in meinen gierigen Schlund, was tatsächlich zu einer spürbaren Stimmungsaufhellung führte und das verlorene Geld allmählich vergessen machte. Ein Hoch auf die Erfindung des Hopfen-Antidepressivums, selbst wenn das Ganze nicht völlig nebenwirkungsfrei verlief. Denn irgendwann wollte das, was so reichlich von oben reingekommen war, auch wieder unten raus. Ein dringendes menschliches Bedürfnis eben, weshalb mir letztlich nichts anderes übrigblieb, als die gesellige Runde für einen kurzen Moment zu verlassen. Jedoch nicht, ohne vorher noch einen tiefen Schluck aus der Pulle zu nehmen. Schließlich sollte sich der Weg ja auch lohnen, und zwar richtig.

Bereit für eine ausgiebige Blasenentleerung marschierte ich also gut gelaunt - wenn auch mit erheblichen Gleichgewichtsproblemen - schnurstracks Richtung Herren-Klo. An der Tür empfingen mich allerdings ein unangenehm stechender Geruch sowie eine kleine Wasserlache, die sich langsam, aber sicher unter dem Türschlitz herauszudrängen versuchte. Grund genug, um nicht direkt hineinzustürmen, sondern zuerst nur ein Ohr an das spröde Holz zu legen und den seltsamen Geräuschen zu lauschen, die aus dem Inneren der Toilette zu kommen schienen.

»So ein Mist! Das blöde Scheißhaus ist schon wieder verstopft. Alles läuft raus. Was für eine verdammte Sauerei!«

Ich konnte es mir nicht nehmen lassen und warf einen Blick durch das Schlüsselloch. Dabei sah ich einen stark verschwitzten und völlig verzweifelt wirkenden Mann, der händeringend versuchte, ein offenbar übergelaufenes Klo freizubekommen. Dazu rammte er immer und immer wieder einen Pömpel in die randvolle Schüssel, was aber scheinbar nichts brachte. Zumindest floss unaufhörlich weiteres Wasser nach, was das ganze Unterfangen zu einem schier aussichtslosen Kampf machte. Auch das großflächig auf dem Boden ausgelegte Toilettenpapier, das wie eine Art Damm fungieren und die ausgetretene Flüssigkeit aufsaugen sollte, nutzte nicht wirklich viel.

Kurz zusammengefasst: Eine richtig schöne und klitschnasse Schweinerei, auf die sich die Putzfrau bereits freuen konnte.

Leicht amüsiert, aber dennoch bewusst darüber, dass dieses Klo wohl heute nicht mehr zur Verfügung stand, beendete ich meine kleine Observation und entschied mich kurzerhand für den Gang zur Freiluft-Toilette.

 

Draußen angekommen, suchte ich mir den erstbesten Laternenpfahl, öffnete blitzschnell die Hose und wollte mir nur noch Erleichterung verschaffen. Doch leider begannen nun auch die letzten beiden Bierchen so allmählich ihre alkoholisierende Wirkung zu zeigen. Ein kontrolliertes Wasserlassen schien zumindest kaum mehr möglich und entpuppte sich stattdessen als nicht zu unterschätzende Schwerstarbeit. Das Resultat war ein tanzender Pinkelstrahl, der fast schon rhythmisch meinen schwankenden Körperbewegungen folgte. Im Dunkel der Nacht betrachtet, nahm das Ganze beinahe künstlerisch anmutende Züge an, was mich richtiggehend erheiterte und auch ein wenig stolz werden ließ.

Jetzt fehlt eigentlich nur noch Musik, schoss es mir daraufhin durch meinen leicht benebelten Kopf.

Und kaum hatte ich diesen Gedanken geformt, pfiff ich bereits ein paar munter klingende Liedchen dazu, die allerdings von wiederkehrenden Rülpseinlagen begleitet wurden. Hinzu kam, dass sich meine Augen nun ebenfalls der stetig steigenden Promillezahl anzupassen schienen. Mein Sichtfeld verschwamm zumindest zunehmend, und ehe ich mich versah, waren es auf einmal zwei Strahlen, die fröhlich in der Luft umherschwirrten. Jedoch blieb es nicht dabei. Denn ab diesem Moment startete ein regelrechtes Wechselspiel, bei dem sich mal zwei, dann wieder einer und manchmal sogar drei Strahlen bildeten.

Huch, wo kommen die denn auf einmal alle her?

Ich nahm es recht gelassen und machte mir sogar einenSpaß daraus, indem ich meine derzeitigen optischen Unzulänglichkeiten zusätzlich mit frenetischen Anfeuerungsrufen unterstützte.

»Na los, dann zeigt mal, was ihr könnt! Nur keine Müdigkeit vorlegen. Auf geht´s, Burschen, auf geht´s!«

Während ich nun also schwankend und mit freigelegter Gurke an einer Laterne lehnte und unter frivolen Selbstgesprächen meine Körperausscheidungen in der Gegend verteilte, hörte ich plötzlich eine leise, aber engelsgleiche Stimme von hinten zu mir sprechen: »Na du scheinst ja Spaß zu haben, oder?«

Erschrocken, jedoch immer noch am Pinkeln, warf ich einen kurzen Blick über meine Schulter und ließ ein fragendes »Hmmmmm?« folgen. Ich wartete anschließend noch einen Moment, bis endlich auch der letzte Tropfen seinen Weg ins Freie gefunden hatte, ehe ich mich vollständig umdrehte. Es wurde schließlich allerhöchste Zeit, den Urheber der unbekannten Stimme zu ermitteln. Da ich aber nach wie vor mit Gleichgewichtsproblemen und erheblichen Sehstörungen zu kämpfen hatte, fügte sich das Gesamtbild nur ganz langsam zusammen. Aber dann … Nach weiteren endlos wirkenden Sekunden war es endlich geschafft. Und siehe da: Hinter mir stand eine Frau. Oder waren es zwei? Zwillinge? Nein, ich glaube, es handelte sich nur um eine. Und die war auch noch ganz zauberhaft. Wie einem Bilderbuch entsprungen. Ein funkelnder Stern am nächtlichen Firmament. Als wäre sie mitten aus meinen wunderbarsten Träumen in die Wirklichkeit entstiegen.

Okay, unter Alkohol werden selbst graue Mäuse weiß.

Aber bestimmt nicht in diesem Fall. So sehr konnten mich meine Sinne nicht trügen. Diese Frau musste ein Geschenk der Götter sein, Punkt aus. Alles andere hätte mich schon sehr gewundert.

Nichtsdestotrotz störte mich etwas an dieser Situation. Also abgesehen von der Tatsache, dass wir uns mitten vor meiner kleinen Pinkelpfütze gegenüberstanden und ich voll wie eine Haubitze war. Es betraf eher ihre Augen, die unentwegt auf etwas zu starren schienen.

Nur auf was, und warum grinst sie dabei auch noch so verschmitzt?

»Ähm, du hast da was vergessen«, sagte sie auf einmal mit kichernder Stimme und streckte ihren Zeigefinger aus.

Und so wie ihre Worte klangen, ließ das leider nichts Gutes erahnen. Dennoch folgte ich der angezeigten Richtung ihres Fingers, welche mich unweigerlich in die tieferen Regionen meines Körpers führte, ehe mir … der wohl peinlichste Moment meines bisherigen Lebens widerfuhr.

Um es jetzt einmal bildlich zu umschreiben: Der Elefant streckte noch immer seinen Rüssel aus dem Fenster.

Ich hätte in einem Erdloch versinken können, so beschissen fühlte ich mich in diesem Augenblick. Und dass ich mich mitten unter einer hellen Straßenlaterne befand, verbesserte meine Situation nicht wirklich. Wie ein großer Bühnenscheinwerfer brachte dieser dämliche Lichtstrahl mein bestes Stück noch ein wenig mehr zur Geltung.

»Oh« war daraufhin der einzige Laut, der mir just in diesem albtraumhaften Moment über die Lippen kam.

Ein Höhlenmensch hätte das sicherlich auch nicht wesentlich schlechter ausdrücken können. Fehlten eigentlich nur noch der Lendenschurz, die Steinaxt und ein Knochen im Haar. Ein cooler Spruch hätte die Situation vielleicht noch ein wenig retten können, aber ein dümmliches Oh? Damit setzte ich dem Ganzen natürlich noch die Krone auf.

Voller Scham schnappte ich mir den freigelegten Ladykiller und verfrachtete ihn schnellstmöglich zurück hinter Schloss und Riegel. Unfähig, meinem weiblichen Gegenüber anschließend noch in die Augen zu schauen, versuchte ich die Situation durch gespielte Coolness zu entschärfen. Dabei kratzte ich mich völlig unschuldig wirkend am Hinterkopf, blickte ein wenig in der Gegend umher, ehe ich mich locker-flockig an die Laterne lehnen wollte. Mein alkoholisierter Zustand führte jedoch dazu, dass ich dieses Ziel ein klein wenig verfehlte und etwas unsanft zur Seite weg stolperte. Zwar konnte ich einen Sturz gerade noch so verhindern, indem ich den blöden Laternenpfahl mit beiden Armen umklammerte, doch einen wirklich tollen Eindruck hinterließ das Ganze trotzdem nicht. Erschwerend kam hinzu, dass ich den eingeflößten Alkohol der letzten Stunden nun immer deutlicher zu spüren bekam. Die umklammerte Laterne wieder loszulassen, geschweige denn mich überhaupt noch auf den Beinen zu halten, entwickelte sich somit zu einem stetig größer werdenden Kraftakt.

»Geht es dir nicht gut? Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?«, fragte die unbekannte Frau meiner Träume und streckte ihre Hand nach mir aus.

Oh Mann, dachte ich mir, muss die das Ganze auch noch auf die Spitze treiben? Kann die nicht einfach abhauen und mich mit meinem schlimmsten Fauxpas aller Zeiten alleine lassen?

Gedankenlesen konnte sie ganz offensichtlich nicht. Stattdessen kam sie immer näher und näher an mich heran, so als wollte sie mich gleich in den Arm nehmen und ganz fest drücken. Unter anderen Umständen hätte ich bestimmt nichts dagegen gehabt. Ganz im Gegenteil. Schließlich war das eine echte Hammerfrau. Und genau das machte die Sache ja auch so unerträglich. Endlich traf ich mal ein super Mädel, das nicht gleich angewidert vor mir flüchtete, und ich war wieder einmal hackedicht.

Nichtsdestotrotz blieb sie, was mich schon arg verwunderte. Irgendwie schienen sie diese ganzen Peinlichkeiten wohl nicht zu stören, auch wenn sie inzwischen stehen geblieben war und einen gewissen Abstand zu mir hielt.

Und dann ertönte sie wieder, diese wunderbare Stimme. »Kann ich irgendetwas für dich tun? Soll ich vielleicht einen Arzt rufen? Du siehst nämlich gar nicht gut aus.«

Ihre Worte klangen so lieblich und fürsorglich, als hätte Gott mir einen Engel geschickt, der just in diesem Moment auf mich aufpassen sollte. Allerdings war mir das gar nicht so recht, da ich jetzt lieber alleine gewesen wäre. Verzweifelt versuchte ich ihr diesen Umstand durch meine glasigen Blicke klarzumachen, was sie jedoch gänzlich fehlinterpretierte und eher zum Weiterstochern animierte.

»Soll ich vielleicht in der Kneipe Bescheid sagen? Gibt es da drinnen jemanden, der dich nach Hause bringen kann?«

Ich konnte es nicht fassen. Die Frau war wirklich unglaublich und offensichtlich völlig schmerzbefreit. Zumindest schien sie nicht einmal im Ansatz zu bemerken, dass mir die ganze Sache ein wenig unangenehm aufstieß.

Oh du wunderbares Geschöpf. Lass mich doch jetzt einfach in Ruhe und begegne mir an einem anderen, wesentlich besseren Tag noch einmal.

Leider konnte ich diese Worte nur noch im Kopf formen, aber nicht mehr aussprechen, da mein Sprachzentrum seinen Dienst inzwischen vollständig eingestellt hatte. Zusammen mit meinen körperlichen Unzulänglichkeiten, die sich immer deutlicher zeigten, ergab sich daraus ein hochexplosives Gemisch. Es war demnach nur noch eine Frage der Zeit, bis mir dieser teuflische Widersacher namens Alkohol den finalen Knock-out verpassen würde.

Aber dann … Noch bevor dieser brutale Zapfenstreich gnadenlos zuschlagen konnte, spürte ich plötzlich eine menschliche Hand, die mich behutsam von vorne an der Schulter berührte. Ich hob langsam meinen wackeligen und schweren Kopf, öffnete die müden Augen und schaute direkt in ihr Gesicht. Oder besser gesagt, in ihre vielen Gesichter, denn doppelt und dreifach sah ich schon lange nicht mehr. Dabei lächelte mich dieses wunderschöne Wesen freundlich an, bevor es zuerst über meinen Arm und anschließend sanft meine Wange strich.

»Hey, alles klar bei dir? Geht es dir gut?«, fragte sie anschließend.

Eine Antwort blieb ich ihr allerdings erneut schuldig, was sie jedoch nicht zu stören schien.

Stattdessen bewegte sie ein weiteres Mal ihre sinnlichen Lippen und sagte: »Ich bin übrigens Tanja. Und wie heißt du?«

Ihre Worte sowie ihr gesamtes Antlitz waren dabei so bezaubernd, dass ich tatsächlich noch einmal meine Kräfte bündelte, mich aufraffte und die Hände von der Laterne nahm. Ich öffnete den Mund, um ihr zu antworten, als sich mein Magen urplötzlich umdrehte und der Alkohol mit aller Gewalt wieder herauswollte.

Oh nein, schoss es mir durch den Kopf, das darf jetzt auf keinen Fall passieren!

Mit zunehmender Vehemenz versuchte ich diesem fatalen Ereignis entgegenzuwirken. Immer wieder schluckte ich das aufkommende Etwas herunter und schluckte und schluckte. Doch der Brechreiz wurde stärker und stärker, bis er allmählich die Oberhand zu gewinnen schien. Auch meiner Angebeteten blieb das drohende Unheil nicht gänzlich verborgen, weshalb sie langsam, aber sicher zwei Schritte zurückwich.

Hatte ich nicht vorhin etwas vom »peinlichsten Moment meines Lebens« gesagt?

Vergessen und abhaken, denn der peinlichste Moment meines Lebens ereignete sich just in diesem Augenblick. Von einem Urschrei begleitet riss ich den Mund dabei ganz weit auf und erbrach mit einem Mal den gesamten Mageninhalt der letzten Stunden. Und zwar mitten vor ihre Füße. Anstatt einer vernünftigen Antwort bekam meine Traumfrau also lediglich einen riesigen Haufen Kotze präsentiert.

Absolute Schwärze folgte diesem glorreichen Ereignis. Ebenso wie ein kompletter Filmriss. Vermutlich auch besser so. Denn ganz ehrlich: Manche Erlebnisse sollten lieber für immer tief begraben im Innersten einer geschundenen Seele verbleiben, auf dass sie niemals mehr das Licht der Welt erblicken können. Und genau dieser körpereigene Selbstschutzmechanismus funktionierte bei mir offenbar hervorragend. Eine wahrhaft evolutionäre Meisterleistung.

Na dann gute Nacht, Dieter Poslowski.

 

2. Der Tag danach

 

Panisch schreckte ich hoch und riss die Augen weit auf. Das Herz raste und meine Atmung stand kurz vor einer Hyperventilation. Doch bereits einige Augenblicke später erkannte ich erfreulicherweise die Räumlichkeiten meiner eigenen Wohnung. Allerlei eingerissene Fußballposter, das ungewaschene Geschirr des Vortages sowie ein Mobiliar, das nur selten farblich zusammenpasste, sprachen zumindest deutlich dafür, dass ich mich wirklich zu Hause befand. Erleichtert ließ ich mich zurück in mein Bett fallen und schnaufte erst einmal ganz tief durch. Das änderte allerdings nichts daran, dass mir ordentlich die Birne dröhnte und leicht übel war. Allem Anschein nach hatte ich wohl eine ziemlich krasse Nacht mit völlig unbekanntem Ausgang gehabt. Und auch wenn ich mich an das meiste noch irgendwie erinnern konnte, fehlten dennoch so einige wichtige Details. Besonders die Frage, wie ich denn überhaupt nach Hause gekommen war, ließ mich mächtig grübeln. Doch so sehr ich mich auch zu konzentrieren versuchte … Es wollte und wollte mir einfach nicht einfallen. Mein Gedächtnis machte ständig an der gleichen Stelle einen Cut, und zwar an einer ziemlich unangenehmen, die irgendetwas mit einer hübschen Frau, einem Laternenpfahl und Erbrochenem zu tun hatte. Ich hoffte daher inständig, dass ich nur Zeuge eines richtig fiesen Albtraums geworden war. Zumindest was diesen Teil anging. Alles andere wäre auch einfach viel zu schlimm und zudem extrem peinlich gewesen. Um mich also gar nicht weiter damit beschäftigen zu müssen, schob ich diese bösen Gedanken galant zur Seite und klammerte mich hoffnungsvoll an meine Albtraumtheorie. Die anfängliche Befürchtung, dieser ganze Spuk der vergangenen Nacht könnte sich tatsächlich so ereignet haben, löste sich somit allmählich in Luft auf.

So richtig entspannen konnte ich allerdings trotzdem nicht und auch meine Kopfschmerzen wurden nicht wirklich weniger, weshalb ich mir einige Male sanft das Gesicht rieb. Und genau in diesem Moment schnellte ich wie von einer Tarantel gestochen in die Höhe. Mich durchfuhr plötzlich so eine Art Flashback. So als würde das sanfte Streicheln meiner Wange eine tief liegende Erinnerung freisetzen. Eine Erinnerung, die sicherlich ihre schönen Seiten besaß, aber auch dazu führte, dass meine Albtraumtheorie von vorhin mit einem Mal in sich zusammenzustürzen drohte.

Hab ich das wirklich alles gestern Abend erlebt? Hab ich in meinem Suff also tatsächlich die Frau meiner Träume kennengelernt und ihr anschließend vor die Füße gereihert?

Und während ich mir panisch diese Fragen stellte, fiel mir auf, dass noch irgendetwas anderes dafür zu sprechen schien. Ich zog meine Decke ein wenig zur Seite und schaute an mir herab. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ich das ganze Übel, ehe meine Kinnlade fast bis auf den Boden fiel. Denn noch immer steckte ich in meiner vollen Freitagabend-Montur, Schuhe inklusive. Zudem erinnerten die ekligen Flecken und Spritzer, die galant den unteren Teil meiner Kleidung zierten, stark an Erbrochenes.

Shit! Das Ganze ist offenbar tatsächlich passiert. Verdammt, was ist da gestern Abend nur abgegangen?

Völlig mit den Nerven am Ende mühte ich mich aus dem Bett heraus und lief grübelnd durch die Wohnung. Allerdings sorgte meine kleine Katerstimmung dafür, dass ich nicht allzu schnell vorankam und immer wieder kleinere Pausen auf allen möglichen Sitzgelegenheiten einlegen musste. Pausen, die dennoch nichts an den offensichtlichen Tatsachen zu ändern vermochten. Ganz im Gegenteil. Denn als ich einen erneuten Zwischenstopp am Esstisch einlegen musste, entdeckte ich ihn plötzlich, diesen unscheinbaren, aber enorm aussagekräftigen Notizzettel.

»Hallo Fremder. Ich hoffe, dir geht es wieder etwas besser. Dich hat es ja letzte Nacht ganz schön umgeweht. Ich wollte eigentlich einen Notarzt rufen, aber deine Kumpels meinten, das wäre nicht nötig, da so etwas wohl häufiger bei dir vorkommt. Ich solle mir daher keine allzu großen Sorgen deswegen machen. Ordentlich ausschlafen, ein starker Kaffee und du wärst wieder ganz der Alte. Ich hoffe, dass sie damit recht haben. Vorhaut-Kalle und ich – wenn ich denn seinen Spitznamen richtig verstanden habe – haben dich dann nach Hause gebracht und ins Bett gelegt. Sorry, aber die Kotzflecken an deiner Kleidung wollte niemand so recht anfassen. Eine Dusche und frische Sachen wären also sicherlich nicht die schlechteste Idee. Den starken Kaffee musst du dir übrigens auch selbst machen. Auf jeden Fall wollte ich dir nur noch sagen, dass ich dich gerne wiedersehen würde. Also nur, wenn du auch Bock darauf hast, mich näher kennenzulernen und zwischenzeitlich nicht an einer Alkoholvergiftung gestorben bist. ;-) In dem Fall würde ich mich über einen Rückruf sehr freuen. Meine Nummer lautet 040 … Alles Liebe, Tanja.«

Oh … Fuck! Mehr ging mir in diesem ersten Moment nicht durch den Kopf.

Meine gesamte Gedankenwelt spielte daraufhin völlig verrückt. Einerseits hätte ich im nächsten Erdloch versinken können, aber andererseits schwebte ich auf Wolke 7. Umso länger ich allerdings darüber nachdachte, desto größer wurden meine Zweifel an der Echtheit der Nachricht. Denn auch wenn nun offenbar feststand, dass der Vorfall der letzten Nacht kein Traum, keine Einbildung und auch kein schlechter Witz gewesen war, kam mir das Ganze ein wenig spanisch vor.

Selbst nach dieser mehr als peinlichen Aktion will mich diese umwerfende Traumfrau wiedersehen? Das kann doch nur ein Scherz sein. Oder meint die es wirklich ernst? Ich grübelte und grübelte. Unmöglich. Mit Sicherheit war das nur wieder so ein blöder Streich meiner dödeligen Kumpels. Die lassen sich schließlich öfters solch einen Mist einfallen.

Trotz dieser ganzen Skepsis ließ es sich nicht vollends vermeiden, dass in meinem Kopf auf einmal wunderschöne Bilder auftauchten. In diesen befand ich mich mit Tanja an einem paradiesischen Strand, während wir Hand in Hand durch den weichen Sand schlenderten und uns dabei verliebt in die Augen blickten. Und dann … der erste Kuss. Wow, was für ein Wahnsinnserlebnis. Ich konnte ihre sanften Lippen regelrecht fühlen, genauso wie den Rest ihres Körpers.

Vielleicht stimmt das Ganze ja doch. Ich spürte, wie die Euphorie mich immer stärker zu packen drohte. Und vielleicht sind wir sogar füreinander bestimmt und werden auf ewig zusammen bleiben. Dieter und Tanja – Forever in Love! Ach, wäre das herrlich.

Doch irgendwann zerplatzte auch die letzte dieser Seifenblasen und die Vernunft, wie auch meine Zweifel, kehrten schlagartig zurück.

So ein Quatsch! Das ist doch Blödsinn hoch zehn. Für mich gibt es so etwas nicht. Welche Frau würde mich schon lieben wollen? Klar, hin und wieder vielleicht mal ein kleines Techtelmechtel, aber eine ernsthafte Beziehung? Nein, das tut sich bestimmt keine auf Dauer an. Die Nachricht kann also nur von meinen Kumpels stammen. Alles andere wäre einfach viel zu unwahrscheinlich.

Meine Stammtischkollegen schuldeten mir also eine Erklärung. Bis es allerdings so weit war, versuchte ich das ganze Thema in einen vorübergehenden Stand-by-Modus zu verfrachten. Was sollte ich mich auch weiter mit ungelegten Eiern beschäftigen? Zudem gab es derzeit Wichtigeres, um das ich mich kümmern musste. Schließlich stand heute Nachmittag das nächste Heimspiel meines Hamburger Fußballvereins auf dem Programm. Und bis dahin gab es noch einiges zu erledigen. Eine Dusche, frische Kleidung und starker Kaffee standen dabei ganz weit oben auf der Agenda.

 

Die Zeit verging anschließend wie im Fluge und der heiß ersehnte Anpfiff rückte in greifbare Nähe. Noch schnell in mein Fanoutfit geworfen und schon wollte ich mich in Richtung Stadion aufmachen.

Doch was war das? Irgendjemand hatte da einfach sein Fahrrad mitten vor meine Wohnungstür gestellt. Sah irgendwie schmutzig aus. Fast so, als wäre es von oben bis unten vollgereihert worden. Und so stank es leider auch.

Pfui, was für ein Schweinkram.

An der Seite des besudelten Drahtesels, der mich stark an das Eigentum meines Nachbarn aus der unteren Wohnung erinnerte, hing ein großer Zettel, auf dem in deutlichen Worten: »Wasch mich, du Sau« zu lesen war.

Ups, dachte ich mir peinlich berührt. Gestern Nacht habe ich wohl mehr als nur einmal meinen Magen entleert. Und scheinbar auch einmal direkt über dem neuen Mountainbike von Herrn Pingler aus dem Erdgeschoss.

Doch für eine ausgiebige Radreinigung war nun wirklich keine Zeit mehr. Mit dem Fuß schob ich das stinkende Gefährt zur Seite und verließ stattdessen schnurstracks das Haus, um mich schnellstmöglich in mein geliebtes Fußball-Stadion aufzumachen, wo meine Kumpels bereits sehnsüchtig auf mich warteten.

 

Kaum hatte ich meinen persönlichen Dauerkarten-Sitzplatz bezogen, befand ich mich auch schon voll und ganz in meinem Element. In meinem Fußball-vernarrten Kopf existierten nur noch zweiundzwanzig kleine Männchen, die voller Tatendrang einem runden Leder hinterherrannten. Kein Gedanke mehr an letzte Nacht oder an meine Traumfrau. Das alles war vorerst in die hintersten Regionen meines Gehirns verbannt worden und sollte auch bis zum Abpfiff dort verbleiben. Denn jetzt zählte nur noch eins: Fußball, Fußball und nochmals Fußball. Ich liebte diesen Sport eben und besonders die Heimspiele. Das war dann wie Geburtstag, Weihnachten, Männertag und das Erscheinen des neuen Playboy-Magazins zusammen.

Und ganz ehrlich: Was konnte es auch Schöneres geben, als einen sonnigen Samstag-Nachmittag mit guten Kumpels und einem Kasten Bier im Stadion zu verbringen, während man in voller Fanmontur zwischen zigtausend anderen Fußball-Bekloppten stand und leidenschaftlich seine Lieblingsmannschaft anfeuerte?

Leider vergingen die 90 Minuten wieder einmal viel zu schnell und der Schiedsrichter holte uns mit seinem gnadenlosen Schlusspfiff zurück in die harte Realität. Als Zeugen eines glanzlosen Remis blieb uns somit nichts weiter übrig, als ein wenig betrübt und leicht beschwipst die heilige Stätte zu verlassen.

Auf dem Stadionparkplatz angekommen, war es nun aber doch an der Zeit, mir endlich Klarheit wegen letzter Nacht zu verschaffen. Ohne Umschweife sprach ich meine Kollegen direkt auf den Vorfall an. Unter Schmunzeln und fiesem Gelächter erfuhr ich daraufhin die ganze schreckliche Wahrheit. Doch diese beinhaltete nicht nur Schlimmes oder Peinliches. Denn abgesehen vom Vollsuff, der offenstehenden Hose, dem Ankotzen meiner Traumfrau, der vorübergehenden Ohnmacht, dem Kriechen über die Straße, dem grundlosen Beschimpfen einer Gruppe Nonnen, dem Auslösen einer Porsche-Alarmanlage, dem Flirt-Versuch mit einem bissigen Bullterrier, dem sinnlosen Verschenken von fünfzig Euro an Rotlicht-Lothar, dem unverschämten Duzen eines mies gelaunten Polizisten und der abschließenden Fahrrad-Verschönerung bekam ich tatsächlich auch einige angenehme Dinge zu hören. Okay, im Prinzip gab es nur eine positive Sache. Nämlich, dass diese wunderbare Frau namens Tanja mich tatsächlich zusammen mit Vorhaut-Kalle nach Hause gebracht hatte und die nette Nachricht von ihr stammte. Sie wollte mich also allen Ernstes wiedersehen. Unglaublich, aber wahr.

Entweder besaß dieses Girl ein ausgeprägtes Helfersyndrom und ich war ihr nächstes Projekt oder sie hatte einen Vollschaden. Anders konnte ich mir das Interesse einfach nicht erklären. An Sachen wie Liebe auf den ersten Blick oder dass ich ihr irgendwie als Mann gefallen könnte, glaubte ich schließlich nicht. Zwar hielt ich mich nicht für hässlich oder unattraktiv, aber eine Wahl zum Mr. Germany hätte ich auch nicht gleich gewonnen. Wahrscheinlich noch nicht einmal zum Mr. Gorgonzola-Soufflé.

Meine Kumpels versuchten mir dennoch Mut zu machen und mich zu einer sofortigen Kontaktaufnahme mit Tanja zu überreden, was allerdings eher wie eine Bedrängung auf mich wirkte. Zumindest fühlte es sich ein wenig unangenehm an, als sich irgendwann alle ganz dicht um mich herum versammelt hatten und unentwegt sinnbefreite Sätze von sich gaben.

»Mann, Alter, das ist doch so eine heiße Braut. Die kannst du dir doch nicht entgehen lassen.« Detlefs Kommentare klangen dabei noch am vernünftigsten.

Aber auch Horst hielt sich im Großen und Ganzen zurück und sagte höchstens solche Sachen wie: »Greif zu, solange der Braten noch frisch ist. Alt und ranzig wird das Fleisch schließlich ganz von alleine, und zwar schneller als einem lieb sein kann.«

Paule trat jedoch weniger auf die Bremse. Stattdessen gab er richtig Gas und schleuderte mir einen blöden Spruch nach dem anderen um die Ohren. »Schnapp dir das Häschen und mach ihr den Rammler!« Oder auch: »Zeig der Ollen, wo der Hammer hängt!«

Als wenn sie das nicht bereits gesehen hätte.

Ich weiß gar nicht mehr, wer es war, aber einer brachte sogar den sinnigen Vorschlag, dass ich sie doch zu mir nachHause einladen könnte, um ihr dort meine Fußball-Stickeralben zu präsentieren, da Weiber angeblich voll darauf stehen würden. All diesen Käse und noch viel mehr musste ich mir etwa 30 Minuten lang anhören.

Doch dann fuhr Vorhaut-Kalle das größte aller Geschütze auf. Mit erhobenem Zeigefinger stellte er sich ganz dicht vor mich, blickte mir dabei tief in meine leicht angetüdelten Augen und sagte mit ernster Stimme: »Also, wenn du sie nicht nimmst, mein Freund, dann schnapp ich sie mir, damit das mal klar ist.«

Oh Mann! Der wusste wirklich, wie er mich packen konnte. Nicht, dass ich Kalle keine Frau gegönnt hätte. Schließlich hatte er sicherlich auch so seine Vorzüge oder Vorhäute, oder was auch immer. Aber Tanja konnte ich ihm einfach nicht überlassen. Das durfte ich dieser Frau nicht antun. Hamburg brauchte schließlich nicht noch mehr Vorhaut-Kalle-Liebesopfer, wie man sie nächtens bereits zur Genüge durch die dunklen Gassen der Altstadt schlendern sehen konnte. Gebrochene und traurige Seelen, unheilbar in einem niemals endenden Trauma gefangen. Oh nein, davor galt es Tanja unbedingt zu beschützen.

Ich gab mich daher geschlagen und versprach, sie gleich nach unserem ersten Nachspiel-Bierchen anzurufen. Meine Kumpels hielten das für eine hervorragende Idee, weshalb wir uns umgehend auf den Weg in unsere urige Stammkneipe machten.

 

Kaum hatte das kühle Nass meinen Verdauungstrakt erreicht, schubsten mich Paule, Detlef, Horst und Vorhaut-Kalle regelrecht vom Tisch und verwiesen mich nachdrücklich auf das versprochene Telefonat. Glücklicherweise hatte ich mir Tanjas Nachricht eingesteckt und so stand einer ersten und halbwegs nüchternen Kontaktaufnahme nichts mehr im Wege.

Voller Tatendrang schnappte ich mir mein Handy, verdrückte mich in den hinteren Bereich der Kneipe und wählte mit leicht zittrigen Fingern ihre Nummer. Und tatsächlich … Es tutete, was mein Herz nur noch wilder pochen ließ. Nichtsdestotrotz hob niemand ab. Ich befürchtete schon, die falsche Nummer von ihr erhalten oder mich verwählt zu haben.

Doch gerade als ich die Sachlage überprüfen und wieder auflegen wollte, erklang auf einmal ihre liebliche Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ja, hallo. Wer ist denn da?«

Und obwohl sie noch gar nicht so viel gesagt hatte, brachten ihre wenigen Worte mein Herz fast zum Schmelzen. Ich hätte regelrecht in meinem Handy versinken können, so schön fühlte es sich an, ihre Stimme zu hören.

»Ähm, ja«, stotterte ich verlegen los. »Hier ist der Dieter … von gestern Abend. Weißt du noch, wer ich bin?«

»Ja klar weiß ich das noch! Hi Dieter. Schön, dass du dich meldest.« Sie schien sich ernsthaft über meinen Anruf zu freuen, zumindest wirkte es so auf mich.

Nachdem das anfängliche Eis gebrochen war, quatschten und lachten wir einige Minuten über alles Mögliche, bevor ich endlich die entscheidende Frage zu stellen wagte: »Hättest du vielleicht Lust, dich heute Abend mit mir zu treffen?«

Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Klar! Sehr gerne doch. Wann und wo?«

Da ich nicht mit solch einer schnellen Erwiderung gerechnet hatte und demnach noch keinen wirklichen Plan besaß, versuchte ich mit einem lang gezogenen »Ähm« ein wenig Zeit zu schinden. Währenddessen grübelte und grübelte ich. Etwas Passendes wollte mir dennoch nicht einfallen. In meiner Not kam ich nicht umher, sogar den völlig bekloppten Vorschlag mit dem Fußball-Stickeralbum in Erwägung zu ziehen. Am Ende schien es mir aber nicht so ganz das Richtige, weshalb ich den Gedanken lieber für mich behielt und stattdessen verzweifelt weiterüberlegte.

Verdammt noch mal! Was unternimmt man am besten bei einem ersten Date? Mein Kopf war wie leergefegt. Warum fällt mir einfach nichts Vernünftiges ein?

»Also, wie sieht es aus?«, hakte sie plötzlich nach. »Was wollen wir heute Abend machen?«

»Na ja, wir könnten zum Beispiel … also …«, murmelte ich irgendwelche Wortfragmente in das Telefon, während ich weiter angestrengt nachdachte.

Doch dann … Als der Kampf schon fast verloren schien, fiel mein Blick auf einen Aushang gleich neben dem Damen-WC. Er bezog sich auf ein recht nobles Restaurant, was die Frage aufwarf, warum dieser Fetzen dann ausgerechnet hier hing. Vermutlich der sinnige Scherz eines betrunkenen Gastes oder der völlig hirnverbrannte Versuch einer ernsthaften Werbung. Etwas anderes konnte letztlich nicht dahintergesteckt haben. Mir war es allerdings völlig schnuppe. Denn wie auch immer dieser Zettel seinen Weg in diese Spelunke gefunden hatte, für mich bedeutete er auf jeden Fall die Rettung.

Kurz den Aushang überflogen, erzählte ich Tanja sofort von diesem feinen Etablissement und trug dabei ordentlich auf: »Da können wir richtig schön zu Abend essen, mit ganz leckeren und erlesenen Gerichten. Da bin ich mir absolut sicher. Die haben schließlich schon ganz viele Sterne und überall nur Top-Bewertungen. Ein Spitzenladen eben. Die erste Adresse für jeden Gourmet, sagt man. Und Musik soll es angeblich auch dazu geben. Sogar live. Das ist definitiv das Beste vom Besten. Also genau das Richtige für dich. Und daher würde ich dich sehr gerne dorthin einladen.«

Vielleicht trug ich auch ein wenig zu viel auf, aber ich wollte ihr eben gefallen. Und dank dieser umwerfenden Location gelang mir das sogar. Tanja zeigte sich auf jeden Fall direkt begeistert von meinem Vorschlag und bat mich darum, sie doch gegen 20.00 Uhr zu Hause abzuholen. Mir graute zwar jetzt schon ein wenig vor den horrenden Preisen dieses gehobenen Luxustempels, besonders, da ich diesen Monat schon etwas knapp bei Kasse war, aber ein Rückzieher kam jetzt nicht mehr infrage. Also schob ich meine Geldsorgen vorerst galant zur Seite und freute mich stattdessen auf das bevorstehende Rendezvous mit meiner Traumfrau. Den Rest … wollte ich einfach ganz locker auf mich zukommen lassen. Wie so oft in meinem Leben.

 

Nachdem ich meinen Stammtischkollegen die frohe Botschaft übermittelt und noch ein bis zwei weitere Bierchen zu mir genommen hatte, verabschiedete ich mich von dieser geselligen Runde. Schließlich wollte ich ja nicht zu spät zu meinem anstehenden Date erscheinen. Außerdem benötigte mein Körper eine kleine Auszeit, um den derzeitigen Promillewert wieder etwas nach unten zu bringen. Und das ging nur an einem Ort, und zwar zu Hause.

Dort angekommen, begab ich mich erst einmal auf eine sprichwörtliche Schatzsuche, denn irgendwo mussten doch schließlich noch ein paar Euros zu finden sein. Die Ausbeute nach dieser etwa 20-minütigen Aktion war allerdings überschaubar.

Tja, dachte ich mir, jetzt hätte ich die 50 Euro, die ich Rotlicht-Lothar letzte Nacht geschenkt habe, gut gebrauchen können.

Selbst die anschließende Notschlachtung meines rosafarbenen Sparschweins brachte aufgrund meines relativ trägen Sparsinns nicht wirklich viel zutage. Alles in allem kam ich auf knapp 75 Euro. Nicht die Welt, aber das musste einfach für heute reichen.

Es folgte eine kleine Entspannungsrunde vor dem Fernseher, bevor ich damit begann, mich schick und ausgehfertig zu machen. Dazu warf ich mich extra in meinen feinsten Zwirn, kämmte mir ordentlich die Haare, ehe ich nach einem letzten tiefen Atemzug frohen Mutes meine Wohnung verließ.

Beim Abschließen der Tür fiel mir allerdings erneut das verdreckte Fahrrad meines Nachbarn auf, das noch immer nach einer ordentlichen Reinigung schrie. Doch auch diesmal hatte ich keine Zeit dafür.

Das Zeugs bröckelt doch sowieso schon langsam von alleine ab, dachte ich mir so bei dem Anblick. Wenn das so weiter geht, reicht später auch ein kräftiger Tritt und alles ist wieder blitzsauber.

Bestärkt durch diesen positiven Ausblick ließ ich den schmutzigen Drahtesel erneut links liegen und stieg in mein Auto. Voller Tatendrang sah ich anschließend noch einmal in den Innenspiegel und sprach mir ein paar aufmunternde Worte zu, bevor ich erwartungsvoll den Zündschlüssel umdrehte und in das erste ernstzunehmende Date seit Jahren startete.

 

3. Ein Date, eine Traumfrau und dann auch noch ich

 

Leicht nervös erreichte ich nur wenige Minuten später die Wohnung meiner Angebeteten. Mein erster Eindruck sagte mir, dass es sich hierbei wohl um eine recht friedliche und angenehme Gegend zu handeln schien. Zumindest sprachen die gepflegten Vorgärten und die aufgeräumten Gehwege deutlich dafür. Aber nicht nur das fiel mir sofort positiv auf, denn ich fand auch direkt einen freien Parkplatz vor dem Haus. In Hamburg schließlich nicht alltäglich. Die Vorzeichen standen also nicht schlecht. Entsprechend bestärkt stieg ich aus und schlenderte auf das Gebäude zu, welches von außen recht schick und modern aussah. Selbst im Inneren setzte sich dieser Trend nahtlos fort. Alles wirkte so sauber und geputzt, was ich jedoch umgehend durch einen kleinen Fingertest auf den angebrachten Briefkästen überprüfen wollte.

---ENDE DER LESEPROBE---