... damit war die ganze Hexerei geschehen ... - Andreas Schaaf - E-Book

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Andreas Schaaf

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Beschreibung

Etwas mit Leidenschaft tun ist Tugend. Das könnte ein Lebensmotto von Max Hermann Löbner gewesen sein, der 1869 in Markranstädt bei Leipzig geboren wurde. Er war ein leidenschaftlicher Pflanzenzüchter, und Gärtner, Gartenkünstler mit Leib und Seele. Nach seiner Lehrzeit im herzoglichen Altenburg ging Löbner nach Potsdam, Erfurt, Danzig und an den Botanischen Garten Berlin. Später folgte er dem Ruf in die Schweiz nach Wädenswil am Züricher See, danach in die Residenzstadt des sächsischen Königs nach Dresden Pillnitz. Seine erfolgreiche Karriere fand einen noch heute sichtbaren Abschluß in Bonn Bad Godesberg. In der Nachzeichnung seines spannenden Lebensweges an europäischen Schauplätzen eines vielfältigen pflanzenzüchterischen Wirkens begegnen der interessierten Leserschar anhand kleiner Episoden viele berühmte Gärtner, Gartenkünstler und botanische Wissenschaftler neben Max Löbner. Eine Magnolie (2019 hundert Jahre alt) trägt Löbners Namen und erinnert, wie auch ein Blattkaktus, eine alte Apfel-Rarität, sowie eine Dahlie, Rosen oder eine Hortensie, Flieder und noch vieles mehr an einen berühmten Sohn seiner Heimat.

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Umschlagvorderseite

„ … damit war die ganze Hexerei geschehen …“

ist ein Zitat aus M. Löbner, Die Pflanze bringt keinen

Samen, in: Gartenflora Band 50 (1901)

Andreas Schaaf

… damit war die ganze Hexerei geschehen …

Erinnerungen an das kreative Leben des Pflanzenzüchters und Gartenkünstlers Max Löbner

1869-1947

Meiner Frau

Um einen Garten anzulegen

braucht man

ein Stück Erde und die Ewigkeit.

Gilles Clément

Wer sich das Alte

noch einmal vor Augen führt,

um das Neue zu erkennen,

der kann anderen ein Lehrer sein.

Konfuzius

Das Bewußtsein,

das Ziel zu erreichen zu können

und zähe Ausdauer

im Aushalten

führen zu Erfolgen,

die oft in weiter Ferne

zu liegen scheinen.

Max Löbner

Inhalt

Vergangenes lebendig werden lassen

Ein Spaziergang

Vor 150 Jahren

Lehrzeit in Altenburg

In Potsdam

Nach Erfurt

Und weiter nach Danzig

Intermezzo

Bei L. Späth

Am Botanischen Garten – Dahlem

Und nu reise – und sey glücklich – in der Schweiz

Wädenswil

Dahlie ´Höhenfeuer´

Amaryllis

Von Lobelia fulgens ´Queen Victoria´zu Lobelia dresdensis

Gustavs Dauerapfel

Avancement nach Dresden

Kakteen

Phyllocactus Loebneri

Pflanzenkrankheiten

Maiblumen

Noch einmal Palmen

Gemüseanbau

Magnolia x Loebneri

Weitere Aktivitäten

Der sächsische Albrechts-Orden für Max Löbner

In der Rheinprovinz

Hortensie Hydrangea Macrophylla

Von Löbners Rosenzucht

Die Ziegenbalg-Plakette

Noch einmal über´s Reisen

Und immer Familie

Dezennien und Laudatoren

Widerhall der Tätigkeit

Max Löbner – Begründer und Pioner des allgemeinen gärtnerischen Versuchswesens

Epilog

Acknowledgements / Danksagung

Anhang Kleine Zeittafel

Kleine Übersicht Magnolien-Hybriden von M. x loebneri var.

Register

Verwendete Abkürzungen

Übersichtsbibliografie

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Quellen

Lexika

Quellennachweis verwendeter Zeitungen und Zeitschriften

Archive, Gärten und Museen

Schriftwechsel

Auswahl von Zeitschriften-Artikeln (Max Löbner) alphabetisch

Vergangenes lebendig werden lassen – das gelang einer spektablen Magnolie, die im eigenen kleinen Garten letzte Frosteskapaden des zeitigen Frühjahrs blühend überstand. Es gelingt ihr jedes Jahr aufs Neue, und das seit 100 Jahren.

Anhand der Löbnerschen Magnolie erleben wir immer wiederkehrend, jahrein jahraus eine Vergegenwärtigung der gärtnerisch-botanischen Vergangenheit.

Obwohl in diesem Jahr nunmehr einhundert Jahre alt, ist sie als Grazie frisch und jung geblieben, wie zum Zeitpunkt ihrer Schöpfung. Sie ist sichtbar präsent und eroberte als eine wahre Züchtungs-Ikone der Pflanzenwelt die botanische Geschichtskultur; so jedenfalls kommt sie bei den Recherchen entgegen.

Augen auf – denn wer will, kann sie erleben.

Überaus vielfältige Recherchen zu diesem Buch waren erforderlich, um mindestens einen anspruchsvollen Teil von Löbnerschem Engagement und Ergebnissen seiner Arbeiten vorzulegen. Sie konnten durch verschiedene auf großen Reisen wie bei kleineren Ausflügen erhaltene Fotoaufnahmen ergänzt werden. Manche Planungsziele, Wünsche ließen sich noch nicht erfüllen, so dass die nunmehr zwar fertiggestellte Publikation dennoch unvollständig bleibt, denn wie der Gilles Clement betonte, bedarf es mindestens zweier Zutaten, „Um einen Garten anzulegen braucht man ein Stück Erde und die Ewigkeit.“

Das kommt nicht demotivierend daher, sondern beschreibt ermutigend das Gegenteil, dass ein Garten ein Wunderwerk als Teil der Natur ist und ständig zur Veränderung auffordert, sowie sich Alles auch selbst verändert ohne Zutun des Menschen.

Nicht viel anders ist es bei der Erstellung eines Manuskripts über einen vielseitigen, auch vielschichtigen Menschen wie Max Löbner, ständig auf der Suche zu sein um zu ergründen, warum er wie war und was er -in seiner Zeit- geleistet hat, dass es die Zeiten überdauerte und uns noch heute anspricht, so wie ´seine´ Magnolie.

Bei der ´Reise rund um Max Löbner´ in die Vergangenheit, die zuerst dem Hinterfragen der Pflanzenschöpfung Magnolia X loebneri diente und wenn möglich, eine short story hinter der Historie der Pflanzenzüchtung ergeben sollte, begeisterte nicht viel später das Wiederentdecken der als ´verschollen´ geltenden Dahlie ´Höhenfeuer´ und ihrer genetischen Mutter ´Helvetia´ nachhaltig.

En passant stiftete das zu weiterer Neugier an, daneben auch einige mit spezifischen Namen bedachte Rosenzüchtungen in ein heutiges Licht zu rücken.

So ergab es sich fast nebenbei, dass auch ein prächtiger Phyllocactus das Auge erfreuen konnte.

Aus einem anderen Blickwinkel geriet in den Fokus der botanischen Spurensuche ein heutzutage als pomologische Rarität ausgewiesener Apfel ´Gustav Durabil´ - sein Geschmack war überzeugend.

Allesamt sind diese botanischen Objekte lediglich ein nur geringer Teil der besonderen pflanzenzüchterischen Leistungen des ´Begründers und erfolgreichsten Pioniers des allgemeinen gärtnerischen Versuchswesens´ im Deutschland vor über einem Jahrhundert – dem in Markranstädt vor 150 Jahren geborenen Max Löbner.

Bei der Recherche um ihn, sein Leben und Wirken, begegnet man einem gärtnerischen Multitalent, einem die Möglichkeiten seiner Zeit auslotenden ´Selfmademan´, einem Suchenden, der wahrlich Grenzen überschritt.

Es soll aufgezeigt werden, wie es Max Löbner gelang, von Kindheit und Jugend an über Jahrzehnte hinweg eine besondere Haltung zur Natur zu entwickeln.

Es wird in Facetten erlebbar, wie er schaute, staunte, zu verstehen suchte und verstand, schließlich mit (s)einem Wissen um Natur seinen Beruf arrangierte und Bleibendes schuf. Je mehr man von ihm erfährt, seinen Lebenslauf aufdeckte und hinterfragte, umso faszinierender bildete sich sein Leben wie ein Kaleidoskop als „Grüne Vielfalt“ ab.

Vor Ihnen liegt das Buch zur Erinnerung an das kreative Leben des Pflanzenzüchters und studierten Gartenkünstlers Max Löbner, an dessen gärtnerische Erkenntnisse und zu seiner Zeit wahrhaft aufregenden botanischen Forschungen, vor allem an deren sichtbar beeindruckenden Ergebnissen man auch heute noch teilhaben kann.

Auch für ihn kann postuliert werden, dass der beste Gärtner ein guter Botaniker und der beste Botaniker ein guter Gärtner ist. Beim Durchforsten Löbnerscher Arbeiten wurde verständlich, dass es ihm, Max Löbner, notwendig war, beide Disziplinen zu verstehen, um Pflanzen zu verstehen. Davon ließ er sich leiten und gelangte zu seinen Erkenntnissen, die facettenartig heute noch Bestand haben.

Mit neugierigen Blicken ´über die Schulter´, anspornenden Fragen sowie zunehmend interessiertem Zuhören begleitete meine Familie, der für eine förderliche Geduld zu danken ist und die mich dennoch davor bewahrt hat, völlig in den Recherchen zu versinken, das Entstehen und alle Sondierungen zu dieser Story.

Man kann kaum erahnen, was meine Mitmenschen ertragen mußten, wenn ich anfing, diesem einen meiner Lieblingsthemen zu frönen. Gewiß, zuerst Geduld war bei meiner Umgebung angesagt, aber auch die Bereitschaft, mit mir Reisen zu unternehmen oder für mich zu Zielen zu reisen, die den Hauptzweck einer Recherche abrunden sollten – noch mehr über Max Löbners Lebensgang und damit sein berufliches Wirken zu erfahren.

Es ist bekannt und kaum bestritten, wie wichtig Kenntnisse der historischen Gegend früheren Geschehens sind, Lokalkenntnisse sowie zu großen als auch kleineren Schauplätzen des Wirkenskreises vorhanden sein oder erlangt werden sollten.

Von Anfang an konnte es nicht die Absicht sein, ein alphabetisch gegliedertes gärtnerisches Nachschlagewerk über Löbners bearbeitete Pflanzenwelt zu schaffen. Dennoch reizt es nach wie vor, ein A – Z aller von Max Löbner bearbeiteten Züchtungen, aller seiner Pflanzen´Schätze´ und darüberhinaus Arbeitskomplexe in einem einzigen Werk zu erfassen. Tatsächlich ist es möglich, von Löbner bearbeitete, in Kultur behandelte oder gezüchtete Pflanzennamen in realiter von A wie Amaryllis, B wie Begonia oder auch Buddleya, Clivia und weiter bis Z wie Zantedeschia zu notieren. Würde man auf diesem Wege komplettieren, entstände wohl tatsächlich ein A-Z.

Doch schnell machte sich die Erkenntnis breit, dass ein solches abschließendes, allumfassendes A – Z kaum oder nicht zu bewerkstelligen ist, da auch die gewissen short stories nicht außen vor bleiben sollten, sofern sie entgegentraten. Erst solche scheinbaren Nebensächlichkeiten machen eine Persönlichkeit aus und lassen sie gewissermaßen ´verstehen´.

Es blieb die Aufgabe, sich an einen Grundsatz zu halten, in der Kürze liege die Würze.

Allerdings, hatte nicht schon Goethe´s Direktor im Faust festgestellt, ´wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.´ Das mag oft die Krux bei Büchern sein, wenn von Autoren nicht an geschickter Stelle ein rigoroser Stop angelegt und ein Text auf das Wesentliche reduziert wird.

Ich fragte mich mit konstanter Hartnäckigkeit, ob, wo und wie nach dem Sammeln schließlich das Sezieren nebst Aussortieren der erlangten Recherchergebnisse durchzuführen sei. Tatsächlich schien alles Aufgefundene in Löbners Leben und Wirken über einen Grad an Belanglosigkeit hinauszugehen.

Und so ist es schließlich gekommen, dass hiermit Dargebotenes dem Einen zu umfangreich sein kann, einem Anderen hier und da vielleicht zu knapp blieb, weil eine besondere Spezifik von tieferem Interesse sein mag.

Da hinter der gärtnerisch-botanischen Historie noch formidable Geschichtchen zu entdecken waren und notiert wurden, blieb es aus, lediglich bloß eine Zusammenstellung biografischer Daten qua Lexikon vorzunehmen. Das hätte nicht zum Lesen gereizt. Auch scheint ein komplexer und dennoch weit gefaßter Rahmen notwendig zu sein, um diesen Max Löbner zu erfassen.

Die vorliegende Arbeit versteht sich in erster Linie als ein Beitrag zur Geschichte des gärtnerisch-botanischen Berufes an der Epochenschwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Der Beleuchtung dieses Aspekts dienten jedoch auch bürgertumsgeschichtliche und konflikthistorische Aspekte, die nicht vernachlässigt werden konnten, um über einen einfachen lokalhistorischen Ansatz etwas weiter hinaus zu gehen. Löbner blieb jedenfalls nicht in seiner Geburtsstadt ´hängen´, ihn zog es hinaus; und das hatte seine Gründe, brachte die Erfolge, die man bei Löbner verzeichnen kann. Dennoch blieb er seiner Geburtsstadt, seiner Heimat, seiner zurückbleibenden elterlichen Familie stets eng verbunden.

Löbner konnte ohne die Grundlagen seiner Familie und der besonderen Lebensumstände seiner Kinder- und Jugendzeit nicht der werden, wie ihn spätere Zeitgenossen erlebten und als ´Pionier der Pflanzenzüchtung´ apostrophierten.

Es wurde folglich versucht, manchmal durch knappe Hinweise, auch mit exemplarischen Situationsbeschreibungen auf Beziehungen, Kontakte, gewisse Netzwerke zwischen Menschen, Löbnersche Mitstreiter, Fachkollegen und Freunde, nicht zuletzt auf seine Familie hinzuweisen sowie durch historische Zeitbetrachtungen das Ganze lebendiger und natürlich, hoffentlich, lesenswert zu gestalten.

So schärfte sich die Aufmerksamkeit auf scheinbar unwichtige Details, die oft der Interpretation von Wesentlicherem dienlich wurden: das facettenreiche Bildnis des ´vergessenen´ Pflanzenzüchters und ´Gartenkünstlers´ wie in einem Mosaik zusammen zu tragen und zu erhellen.

Bestätigung fand, was J. W. v. Goethe postulierte: „Alles worauf sich der Mensch einlässt, ist ein Unendliches.“

Max Löbner hätte sich vielleicht gut mit Gilles Clément, diesem französischen modernen Landschaftsarchitekten verstanden. Für Clément gibt es keine ´gärtnerischen Grenzen´, weil die Natur grenzenlos ist. So wird es wohl auch für Löbner gegolten haben.

Wer Vieles hinterfragt, die Mühe weiterer Recherche nicht scheut, den die Suche nach Erklärungsmöglichkeiten nicht hindert, soweit möglich mit persönlicher Inaugenscheinnahme vor Ort zu agieren, der mag erleben, wahrlich ´ersehen´, welch besonderes, auch unruhiges Glück es für Max Löbner war, stets das Neue zu suchen.

Wenn sich die vorliegende Arbeit zu einem überwiegenden Teil auf gedruckte Quellen stützen konnte, so ist um so mehr Grund genug, für aufmunternde Gespräche mit vielfachen Anregungen und konstruktiven Kritiken zu danken, nicht zuletzt nochmals am Schluß dieses Buches.

Der Verfasser wünscht sich eine Leserschar, die in der lebendig gezeichneten Physiognomie Max Löbners und seiner fachlichen Komplexität eine großartige Persönlichkeit zu vergegenwärtigen bereit ist, die Max Löbners weitreichendes Wirken innerhalb des Horizonts historischer sowie gesellschaftlicher Denk- und Erlebnisformen seiner Zeit und bis in die Gegenwart differenziert.

Allem voran unterstreicht der Verfasser seinen warmherzigen Dank für bereitwillige und geduldige Unterstützung an die Enkel Max Löbners.

Auf dem Weg des Suchens und Aufdeckens scheinbar vergessener Pflanzenzüchtungen verdankte das Büchlein sachkritische Anmerkungen von Fachleuten genauso wie spezielle Hinweise auf wahrlich noch verborgene ´Gartenschätze´, die der Tatmensch Max Löbner hinterlassen hat.

Leipzig, im Frühjahr 2019

Andreas Schaaf

Ein Spaziergang

Pflanzen als Reiseleiter in die Vergangenheit… das stellte sich alsbald als eine spannende Entdecker-Story, fast wie ein Abenteuer heraus, das sich bei dem fiktiven Spaziergang mit Max Löbner erfüllen sollte und doch eine unendliche, im Moment unvollendete Geschichte blieb.

Mir war desöfteren so, als nähme mich wie im Traum Max Löbner an die Hand, zeigte und erläuterte mit engelsgleicher Geduld, was da in der Natur vor sich ging. Durch ihn schien ich zu lernen, die Welt mit anderen, weit mehr geöffneten Augen zu sehen.

Begeben wir uns an den frühen Ort des Geschehens, den Lebensausgangspunkt von Max Löbner, der vor nunmehr 150 Jahren, am 28. Februar 1869, in Markranstädt geboren wurde.

Markranstädt…?

Max Löbner…?

Etwa so lauteten die meisten der Gegenfragen bei unserer Suche nach einer oral history. Und erstaunte Gesichter vieler Gegenüber sprachen, bildlich, Bände, um eine Floskel der Unwissenheit zu bemühen. Jemanden zu finden, zu treffen, der Näheres über den durchaus berühmten Pflanzenzüchter, Gärtner zu berichten hatte, blieb längere Zeit eine ungelöste Aufgabe.

So klammerte man sich zunächst an den Gedanken, gut, es würde sich leicht anderweitig klären lassen, was es damit auf sich hat. Dass ein Verwirklichen dieser Hoffnung sich über erheblich lange Zeit hinzog, zahlreiche Recherchen erforderlich wurden, die auch Vergnügen bereitet haben, weil ´wieder etwas´ entdeckt worden war, konnte bzw. mußte konstatiert werden.

Schließlich kamen einige Aspekte zusammen, die zur Idee dieses Buches geführt haben, über Aspekte aus Leben und Wirken eines Gärtners, Gartenkünstlers, Pflanzenzüchters zu reflektieren.

Vor den westlichen Toren Leipzigs, dieser über Jahrhunderte berühmt gewordenen und bis heute imposant gebliebenen Stadt, diesem Konvolut von fulminanten historischen Begebenheiten, liegt ein wesentlich bescheidenerer Landkartenpunkt: Markranstädt.

Im Vergleich zur berühmten Handels- und Messestadt ist dieses Städtchen auf den ersten Blick eher ´unscheinbar´.

Auch mit den Namen anderer umliegender Orte dieser Gegend rund um Markranstädt verbindet sich weitaus bekanntere europäische Historie; sei es die südwestlich von Markranstädt liegende Stadt Lützen mit der dramatischen Episode aus dem Dreißgjährigen Krieg des 1632 dort gegen Wallenstein unter ´rührendem Lied´, wie Schiller umschrieb, gefallenen Schweden-Königs Gustav Adolf.

Selbst ein nordwestwärts von Markranstädt liegendes Dorf namens Altranstädt kann mit einem in der europäischen Geschichte bedeutenden Datum, dem Friedensschluß von Altranstädt in seinem Schloß (1706), aufwarten; somit geschichtlich Interessierten bekannt.

Seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts blühten bis weit in das 20. Jh. hinein die damals durchaus weltberühmten Rosenfelder von Miltitz und gaben einmalige Ingredienzien für die in jener Zeit aufstrebende Duftstoff- und Kosmetik-Industrie her; ein Grund, Miltitz hier zu erwähnen.

So scheint es auf einen ersten Blick, dass allein die bedeutungsschwere Begriffsfindung „Völkerschlacht bei Leipzig“ auf Markranstädt verweist: dieser Ort ´punktete´ strategisch für die in jener Leipziger Völkerschlacht geschlagenen Truppen Napoleons 1813, die faktisch hier entlang und über die einstige ´via regia´ durch Markranstädt flüchteten.

Wie heftig sich das Geschehen der Völkerschlacht auch unmittelbar um Markranstädt abspielte, ist in den Archiven mehrfach verbürgt. Ein Zeitgenosse konstatierte: ´Zuvor hatte die Reiterei-Division von Tzschaplitz bei Markranstädt gestanden, die Vordertruppen von Graf Stroganof lagerten bei Lützen, und alles geschah im Zusammenhang mit der Verfolgung der napoleonischen Truppen durch Generalmajor von Kreutz, der den Feind von Leipzig aus „auf der großen Straße nach Lützen“ verfolgte,1 eben jener Straße, die durch Markranstädt als ´via regia´ führte.

Dass der Stadt Markranstädt seit der ´Gründerzeit´ am Ausgang des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Bedeutung auch als Ansiedlungspunkt einiger überregional agierender Industriebetriebe zukam, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Dazu liegen etliche Publikationen aus profunder Hand vor.

All diesen Geschicken im Umkreis der Stadt Leipzig nachzuspüren und möglicherweise Wiederholungen zwischen Buchdeckel zu pressen, sollte gerade eben nicht das primäre Anliegen sein, dieses Buch entstehen zu lassen.

Eher reizte es, verschiedene, durchaus weniger bekannte Marksteine aufzufinden und abzuschreiten, die allerdings wegen Max Löbners Lebensbetrachtung einen Zeitstrahl von etwa anderthalb Jahrhunderten markieren und noch einer umfassenderen, gar vollständigen Entdeckung harren.

Dabei kleine Stories hinter der bekannten Historie zu entdecken, soll eine bescheidene Maxime sein.

Schön auch, wenn es ´Geschichte in Geschichten´ zu erzählen gibt. Beide Seiten, Vergangenheit und Gegenwart, gehören m. E. zu einem Blatt, und wer dieses aufzudecken beginnt, erfährt allemal etwas von der Zukunft.

Dieser fiktive Spaziergang durch die Zeit, durch Jahrzehnte und aufaddiert durch anderthalb Jahrhunderte, zu verschiedenen Geschehensorten, beginnt als botanischer Exkurs.

Auf verlorenen Spuren eines über lange Zeitenläufte in Vergessenheit geratenen Sohnes der Stadt Markranstädt wandeln, quellennahe Einblicke in spannende Historie als Ganzes geben, neugierig zu entdecken suchen, scheint zunächst ein kaum zu erfüllendes Recherche-Unterfangen.

Zur Stadtmitte Markranstädts leitet der von allen Himmelsrichtungen im flachen Land weithin sichtbare Turm der ev.-luth. Stadtpfarrkirche im romanischen Baustil des 12. Jahrhunderts. Das Bild aus alten Tagen zeigt Stadtkirche und Rathaus.2 Vorn über den Dächern der Stadt, in den Himmel strebend, überragt der Turm der Laurentius-Kirche die Silhouette Markranstädts.

Später, nach einem gemächlichen Schlendern durch Straßen und auf Parkwegen, geht unser Blick hinweg über die Garteneinzäunungen, Hecken und Büsche und trifft auf Pflanzen, Büsche, Bäume, Blumen aller Art.

Einige Grünflächen, die die Stadt durchziehend verschönern, können als ein wahrer Schatz der Stadt gelten, voran der ehemalige König-Albert-Park, für den schon in Löbners Kindertagen ein Parkaufseher namens Gottfried Heinicke sorgsam patroullierte; weit hatte er es nicht von seiner Wohnung in der Schkeuditzer Straße.3

Das Interesse an einer Neugestaltung des Parkes war um 1900 deutschlandweit groß. So konnte man vermelden, dass bereits über hundert Entwürfe aus allen Teilen Deutschlands eingegangen waren und mehrere dieser Entwürfe ausgestellt werden sollten.4

Noch ein weiterer, notwendiger Blick in die Historie zurück: Markranstädts geschichtliche Entwicklung war ein ziemliches Auf und Ab.

Lange noch nach dem unsäglichen Martyrium des ganz Europa in einen blutigen Bann ziehenden 30jährigen Krieges (1618-1648) lag Markranstädt wie andere Städte nach der „Höllenfahrt mit Gottes Segen“ am Boden und erholte sich daraufhin nur langsam. Belegt für den gesamten Leipziger Raum ist etwa eine „Erholungsphase“ bis um 1681, dass erst ab diesem Zeitpunkt die Erschütterungen des Dreißigjährigen Krieges als weitgehend abgeschlossen gelten konnten.5 Die Einwohnerzahl war gewaltigen Schwankungen unterworfen, wie in Bevölkerungsstatistiken erfasst wurde: Von ehedem 625 Einwohnern hatte die Stadt nach dem Dreißigjährigen Krieg lediglich nur noch 200. Im Jahre 1855 beherbergte die Stadt 1300 Einwohner, und dann knapp 100 Jahre später bereits über 8800 Einwohner.6

Weit zweihundert Jahre später nach dem Dreißigjährigen Krieg bestimmten in dem vorwiegend Ackerbau treibenden Städtchen überwiegend Bauern sowie vor allem auch Handwerker den wirtschaftlichen Ablauf, und in notwendigem Maße fanden Kleingewerbetreibende ihr Auskommen. Alle diese prägten aufstrebend das wirtschaftsproduktive Gewerbe-Stadtbild. Für die etwa 500 Einwohner (1816) waren 1 Fleischer, 1 Bäcker, 1 Tischler, 2 Glaser, 4 Schuhmacher, 1 Sattler, 4 Schneider, 2 Kürschner, 2 Seiler, 1 Beutler, 1 Leineweber besorgt und fanden ihr Auskommen. Um das medizinische Wohlergehen im schlimmsten Fall bemühten sich zwei Chirurgen. Eine Apotheke wurde ab 1833 eröffnet, deren Inhaber bis etwa 1870 auch das Postdienstgeschäft, zusammen mit einem Briefträger, besorgte.7 1880 wirkte dort Apotheker W. Herb.

Das Abbild zeigt einen zeitgenössischen Postmeister.

Die Gerichtsbarkeit repräsentierte ab 1840 das Amtsgericht Markranstädt. 1880 waltete hier Amtsrichter Kilian. Die Sächsische Dorfzeitung8, ein ´unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann´ gab entsprechende Offizial-Entscheidungen kund.

Anfang bis Mitte des 19. Jh. entwickelten sich im Rahmen einer Hausindustrie in geringem Umfang die Hutmacherei (1816: 1 Hutmacher) sowie die Anfertigung von Posamenten, besonders von Gold- und Silbertressen, Möbelschnuren und Quasten (1816: 6 Posamentierer), die jedoch nicht über hundert Jahre Bestand hatten und um 1920 wieder fast verschwunden waren.9 Dafür nahmen ab etwa 1840 Rauchwarenzurichtereien und Kürschnereien, die in jener Zeit als größte Fabriken Deutschlands ihrer Art galten10, seit sich Leipzig etwa seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. zum Zentralpunkt des Welt-Rauchwarenhandels entwickelte11, sowie Färbereien einen ziemlichen Aufschwung. Allein für Markranstädt sind unter der Einwohnerschaft zu Anfang der achtziger Jahre 125 in Anstellung stehende Kürschner, also ein hoher Prozentsatz wie kein anderer Beruf, ausgewiesen.

Noch in der nahen Erinnerung der Bevölkerung haften geblieben war zu Beginn des 19. Jh. das brodelnde, chaotische Durcheinander des Rückzugs napoleonischer Truppen, die sich etwas mehr als fünfzig Jahre zuvor 1813 in dieser Gegend auf der ungeordneten Flucht nach der Leipziger Völkerschlacht 1813 befanden, die alte Königsstraße12 nutzend, wie bereits erwähnt.

Und noch etwas hatte jene Zeit des ausgehenden 18. Jh. lange geprägt: über die deutsche Kleinstaaterei spottete ein Dichter mit obigen Verszeilen noch zu Beginn des 19. Jh.13

Alte Karten zeigen die territoriale Zersplitterung der Gegenden anschaulich.

Die Nähe zum bekannten und mächtigen Handelszentrum Leipzig, mit dessen Namen man zu allererst die seit dem 16. Jh. abgehaltene bedeutende Warenmesse verband und noch bis in die jüngere Zeit verbindet oder bislang verbunden hat, war ein gewisser Gewinn für die Kleinstadt Markranstädt.

Bescheiden im Glanz der Messestadt14 vor deren westlichen Stadttoren liegend, eilte Markranstädt immerhin der löbliche Ruf voraus, ein zumeist bequemer und zudem sicherlich kostengünstigerer Aufenthaltsort für Handelsreisende zu sein, als in der überteuerten Messestadt Logis zu suchen. Die Existenz einiger Gasthöfe und deren Gästefrequenz, manchmal durch berühmte Leute, hier und da eher mehr als bescheiden in ihrer wirtschaftlichen Verwertung, belegt dies.

Vom Boom beginnender Industrialisierung im 19. Jh. profitierte auch Markranstädt, zumal die Eisenbahn im Jahre 1856, nach einer kosten- und aufwandsbegründeten Wartezeit seit 1840 und der Einigung Preußens mit Sachsen, auf ihrer 31 km langen Fern- und Hauptstrecke Corbetha - Leipzig hier einen Haltepunkt einrichtete.

Die viel beschriebene und auch gepriesene ´Gründerzeit´ beleuchtete durch die ersten Petroleumlampen auf dem kleinstädtischen Marktplatz erstmals um 187015 nicht nur sinnbildlich die wirtschaftlich und sozial aufstrebende Gesellschaftsentwicklung Markranstädts. Schließlich ist eine weitere Anmerkung dienlich, die jene Stadt konturierte: im Ort waren um 1880 mindestens zwei Nachtwächter beschäftigt, die auch für den reibungslosen Betrieb der Nachtlaternen zuständig waren ´hört, ihr Leute, laßt euch sagen…´

Während überwiegend handwerkliche, bäuerliche, kleinbürgerliche Strukturen überliefert waren, prosperierte nun zunehmend eine stärker werdende bürgerliche Industrie. Das gesamte 19. Jh., mehr noch dessen zweite Hälfte – eben gerade mit dem vielsagenden Terminus der ´Gründerzeit´ apostrophiert- entsprach gleichsam einem Aufeinandertreffen der moderneren Industrie, einer unaufhaltsam nach Profit strebenden Ökonomie, aber auch zunehmend sozial engagierter Denkweise.

´Gründerzeit´ wurde als umfassender, nämlich technischer, wirtschaftlicher und ausdrücklich sozialer Wandel innerhalb eines bestimmten Zeitraums charakterisiert, und ist, vielleicht in erhebend-dramatisierender Absicht, oft als ´industrielle Revolution´ bezeichnet.

Während eine ´Durchbruchsphase´ für das gesamte Deutschland um etwa 1860-1873 beschrieben wird16, ließen sich in Markranstädt später beispielhaft in den Jahren vor und um die Jahrhundertwende mehrere Betriebe auch der Eisenbranche und andere nieder17, beispielhaft das Verwaltungsgebäude von Gasparys Fabrik gezeigt.18

Die vorangegangene Beschreibung dieser wirtschaftlichen Situation (an anderer Stelle durch profundere Autoren bereits ausführlicher geschehen) ist der Überlegung und Frage geschuldet, warum sich Max Löbner, von dem in diesem Buch hauptsächlich die Rede ist, später einen solchen Beruf wählte, der eben gerade nicht den zahlreich gebotenen städtischen, industriellen oder kleingewerblichen Möglichkeiten, die so immens prosperierten, entsprach.

1 Plotho 1817

2um 1920

31880

4Gartenwelt 1904

5Flügel 2000

6nach Schmekel in AHM 1926 (1855: 1302 Ew., 1926: 8828 Ew.)

71603 fuhr durch Markranstädt der erste Postwagen für die Thurn-und-Taxische Postverwaltung (Frankfurt/Main – Leipzig). Ohne Passagiere aufzunehmen, querte 1698 die Sächsische Kaleschenpost den Ort. Die Frequenz erhöhte sich um 1841, da die Strecke, nunmehr mit Passagieren, dreimal hin und zurück befahren wurde.

8Sächsische Dorfzeitung: Anzeiger für Stadt und Land ; Amtsblatt, Band 35, 1873

9AHM 1926

10Meyers Universallexikon 1885-1892

11Zobeltitz 1906

12Im frühen Mittelalter „via regia“ von Lyon/Frankreich über Frankfurt/M. bis nach Kiew/Rußland

13BUW 1902

14„Mutter aller Messen“- Mit der Erfindung der Mustermesse Ende des 19. Jh. verfünfzehnfachte sich binnen weniger Jahre die Zahl der ausstellenden Firmen.

15die erste, nach damaligen Maßstäben einwandfrei und dazu noch hell brennende Petroleumleuchte, die Firmengründer Albert Graetz 1860 erfand

16 Vec 2006

17Herstellung von Maschinen aller Art, speziell der Bereiche Aufbereitungs-und Baumaschinen, Holzbearbeitungsmaschinen.

18Dr.Gaspary-Fotosammlung 1912 AdVf.

Vor 150 Jahren

Max Hermann Löbner wurde am 28. Februar 1869 in Markranstädt bei Leipzig geboren. Kalendarisch korrekt schien es aufs Erste, er sei tatsächlich ein Sonntagskind. Das zwar digital bearbeitete Foto zeigt, entsprechend unscharf, die stolzen Eltern des Kindes, das mit einer hübschen Mütze im Stil der Zeit auftritt.

Jedoch die Umstände seiner Geburt sowie der ersten Zeit danach waren scheinbar nicht unbesorgt.

Wie aus kirchenamtlichen Dokumentenüberlieferungen hervor geht, erfolgte die Kindstaufe nicht wie sonst gewöhnlich in der Kirche, sondern am 18. März 1869 in der elterlichen Wohnung als Haustaufe19, wohl noch durch den Pfarrer Weißbach.20 Das obige Foto zeigt Max Löbner und seine Eltern.

Diese urkundlich belegte Information war auch durch eine persönliche Notiz Max Löbners zu verifizieren: Im Gedenken an den 100. Geburtstag seines Vaters schloß der einstige Täufling Max Löbner seine selbst gefertigten Aufzeichnungen einer Familiengeschichte.21

Daraus ist ein Hinweis zu entnehmen, warum es zu einer Haustaufe gekommen war: „Meine Mutter hat Zeit ihres Lebens, oft tief bis in die Nacht hinein, immer zufrieden, beruflich mitgearbeitet und in den jüngeren Jahren viel die Nähmaschine getreten. Wohl deshalb kam ich als schwächlicher Knabe zur Welt und erhielt die Nottaufe, aber Lebenszähigkeit habe ich doch von den Eltern ererbt.“22 Eine medizinisch korrekte Deutung ist hier nicht entscheidend, mehr als die persönlichen Hinweise Max Löbners aufzunehmen ist kaum von Nutzen.

Allerdings hob Max Löbner auch hervor, dass er ´durch die vortrefflichen Eigenschaften seiner Eltern auf die Lichtseite des Lebens´ kam.

Das Bild zeigt die Hordisstraße23 um die 19. Jahrhundert-Wende (das Löbnersche Haus befand sich links im Bild) mit Blick zur Laurentiuskirche (Markt).24

Die Kenntnis der in den Chroniken verzeichneten Namen anwesender Taufpaten von Max Hermann lässt einen ersten, aber auch ziemlich genauen Blick auf die familiäre Situation sowie das verwandtschaftliche Umfeld der Eltern zu: neben dem Großvater, dem in der Kleinstadt alteingesessenen Sattlermeister Ferdinand Löbner, waren zur Taufe anwesend dessen Schwager und zugleich Berufskollege, Sattlermeister W. Frenkel25 sowie von der städtischen Verwaltung C. R. Hörold26, registriert als damaliger Stadtkassierer in Markranstädt.27

Des Täuflings Vater, Hermann Gustav Löbner28, als Sohn des ortsansässigen Sattlers Carl Ferdinand Löbner und dessen Ehefrau Christiane Sophie gebürtig, hatte 1868 die aus Zwickau stammende Amalie Auguste Kunze geehelicht29, Tochter eines im sächsischen Staatsdienst stehenden Bediensteten. Diese junge Frau, Amalie Auguste Kunze, war als Schneiderin und Verkäuferin in das Markranstädter Kaufhaus von C.R. Ronniger „an der Kirche“, also am städtischen Mittelpunkt, dem Markt, gekommen. Der junge Hermann Gustav Löbner hatte, wie auch sein Bruder Ferdinand30 das Handwerk der Sattlerei erlernt, fühlte sich jedoch infolge ´einer gewissen handlichen Ungeschicklichkeit´, wie Max Löbner später reflektierte, nicht gerade zum Handwerk berufen und konnte dem Bruder nicht ernsthaft Konkurrenz bieten, so dass er am Markt ein kleines Weiß- und Schnittwarengeschäft, verbunden mit Zigarren- und Tabakhandel aufbaute.

Allerdings, auch das lassen uns die Löbnerschen Familien-Annalen wissen, errichtete die junge Familie später mit fremden Mitteln in der Zwenkauer Straße ein eigenes Haus, um das Geschäft zu erweitern.31

Die eheliche Gemeinschaft der jungen Eheleute bildete sich sozial differenziert in der kleinstädtischen Gesellschaft folglich als eine kleinbürgerlich standesgemäße, wenn auch wirtschaftlich wohl eher bescheidene Verbindung der beiden Elternteile ab. In seinen späteren Familienaufzeichnungen gab Max Löbner kund:

„Vaters Erbteil betrug 1123 Taler, und Mutter wird sich neben einer bescheidenen Ausstattung auch nur wenig gespart haben können.“32

Dennoch: aus einem sogenannten ´guten Hause´ zu kommem, um im Tenor jener Epoche zu sprechen, denn ein Erbteil von über tausend Talern entsprach etwa dem Jahressold eines Bürobeamten33, war für beide Partner notwendig. Mit der sozialen, zugleich wirtschaftlichen Sicherheit einer Familie im Rücken war das Fortkommen erheblich leichter. Wenn auch in kleinbürgerlichen und gerade den Kaufmannsfamilien jener Zeit der familiäre Zusammenhalt, das Zusammenwirken und das Sich-ein-Bringen jedes Einzelnen eine große Rolle spielte, so hatte die Frau in einer Familie des damals aufstrebenden Bürgertums gleichsam stereotyp die Tugenden von Sittlichkeit, Ergebenheit, von Anstand und Reinheit auszustrahlen.

Wirtschaftlich und damit sozial doch etwas Anderes, eher Ungewöhnliches in jener Zeit ist über Max Löbners Mutter Amalie Auguste in Erfahrung zu bringen, dass sie ´zuerst als Hausmädchen gedient und danach die Schneiderei betrieben hatte, ihrem Ehemann die nötige Ergänzung und gelegentlich die treibende Kraft der Familie war.´

Weiter erfahren wir, dass ´Mutter mit der Schneiderei sehr viel Arbeit hatte, (sie) konnte keine Haushaltgeschäfte besorgen; diese hat über ein Jahrzehnt ein braves Hausmädchen versehen.´34 Die Familie jener Zeit war privater Rückzugsraum: Kochen, Gesundheitspflege und Hygiene, Kindererziehung gehörten zu den als typisch geltenden weiblichen Aufgaben.35

Max Löbners Mutter 36 zeigt obiges Abbild.

So bildete sich auch die Löbnersche Familie in den verfügbaren Überlieferungen ab: „Trotzdem war Mutter der Mittelpunkt des Hauses und der Familie.“

Die Rolle der Frau in der Zeit des erstarkenden Bürgertums war und ist Bestandteil zahlreicher Forschungsarbeiten.

Max Löbner erinnerte sich später: „Mit Anliegen, die ich Vater nicht vorbringen konnte, fand ich bei Mutter immer Verständnis. Ihr Lebensgrundsatz war, lieber Unrecht leiden als Unrecht tun. Sie hörte aber auch still zu, als ich ihr einmal erklärte, Unrecht tun wolle ich nicht, aber auch nicht Unrecht leiden.“ Diese Bemerkung spiegelt Tradition und lässt aufhorchen, denn sie umschreibt zunächst ein geflügeltes Wort aus der griechischen Antike37, wobei das wohl eher dem herrschenden Zeitgeist geschuldet gewesen war.

Andererseits verweist der zweite Teil seiner Darlegung bereits hinsichtlich (s)eines Durchsetzungsvermögens Max Löbners, wie es in seinen späteren Jahren bemerkenswert zum Ausdruck kommen würde. Vielsagend und aus unterschiedlicher Sicht im Geist der Zeit zu interpretieren wäre auch die Erwähnung, so habe sich wohl seine Mutter damals ´über das Erwachen des Sohnes still gefreut´.38

Der geläufige Spruch von der sogenannten ´Drei-K-Regel´, also ´Kinder Küche Kirche´, wurde aus jener Zeit manchmal noch bis ins Heute tradiert, zumal die Mutter von Max Löbner immer unersetzbarer Mittelpunkt für die Familie war, so dass sie auch in seltenen schweren Stunden ´einen Tag lang klaglos im Bett (blieb), um am nächsten wieder arbeitsfroh aufzustehen.´39 Max Löbner war mit seinen Formulierungen, auf das Wesentliche konzentriert und reduziert, er war in der Lage, mit knappen Worten ganze Lebenssituationen bildhaft und nacherlebbar zu skizzieren

Im sozialgeschichtlichen Bezugsrahmen, wo sich Kultur und Gesellschaftspolitik unmittelbar aufeinander beziehen und quasi gegeneinander aufrechnen lassen, entsteht mit Max Löbners Lebensreflektionen ein gut erkennbares Epochenbild jener Kinder- und Jugendjahre Max Löbners und über ihn hinaus auch eines gesellschaftlichen Rahmens der Stadt.

Insofern trafen die selbst auf alten Gobelins eingestickten Floskeln als Beispiele einer zeitüblichen ´Goldstaublyrik´ auch auf die liebenswürdige Mutter Max Löbners zu: ´Dulde, gedulde dich fein, über ein Stündlein ist deine Kammer voll Sonne.´40

Ähnliche Lyrik fand sich zu jener Zeit häufig in fein gestickter Art auf Küchenutensilien, damit Hausfrauen es sprichwörtlich ständig vor Augen hatten

„Präge es tief in´s Herz Dir ein,

willst Sonnenschein Du,

mußt selbst Sonne Du sein.“

Noch heute weht die anmutige Aura jener vergangenen Zeit Besucher manch gut sortierter Heimatmuseen an, wenn sie die handarbeitlichen Werke der Großmütter und Ureltern betrachten können. So drückt sich, anderthalb Jahrhundert zeitentrückt und doch manchmal fast lebendig mit Erinnerungen an die Großmütter aus, wie diese trotz Lebens- und mehrfachem, unvorstellbarem Leidensdruck von Kriegen und Unbill (nur) scheinbar gleichmütig, überaus tapfer und zugleich gütig ihr Leben meisterten.

Der stadtgeschäftlich angespannte Vater Löbner war für die Kinder seiner Familie gerade an den Wochenenden der besonders begehrte Mittelpunkt, wenn sich die arbeitssame Mutter nach einer schweren Woche an den Sonntag-Nachmittagen in der Laube des Hausgärtchens einmal erholte und Vater Gustav ´mit uns Kindern Ausflüge in die nähere Umgebung, nach Dürrenberg, Naumburg, Kösen, Eisenach machte.´41 Was war das für eine Lust – hinaus in die Ferne.

Diese von Max Löbner bezüglich der Kinder- und frühen Jugendjahre genannten Reiseziele wurden wahre ´Sehepunkte´ für die Kinder der Löbners, ob es nun die Saline mit ihren von Salzreisig tropfenden Wandelgängen in Bad Dürrenberg war, die den Spaziergängern gleichzeitig vorteilhafte gesundheitliche Aspekte darbot.

Das etwas weiter entfernte Naumburg mit seinem berühmten Dom, vor dem die Kinder staunend nach den gotischen Statuen von Uta und Ekkehard aufschauten, oder das berühmte Saale-Unstrut-Tal mit dem Kurbad Kösen. In der Nähe die prächtigen Weinhänge von Freyburg oder die mittelalterliche Burgenlandschaft von Rudelsburg und Burg Saaleck waren sozusagen fantastische Reisen zu sagen- und legendenumwobenen Regionen. In gesummten oder geträllerten Melodien von eingängigen Wanderliedern, im schulischen Unterricht unnachgiebig geübt, brach sich der sonntägliche Frohmut bahn und gipfelte, wie sollte es anders sein, in dem Hit jener Zeit „An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn…“

Noch spannender für die Kinder konnte es auf der stundenlangen Eisenbahnfahrt bis zur berühmten Wartburg im thüringischen Eisenach werden.

Solche Ausflüge in die landschaftlich reizvollen, auch geschichtsträchtigen Gegenden des nahen Thüringen oder von Sachsen sowie -Anhalt, die vor allem herrliche Landschaftseindrücke oder spannende Erinnerungen an mittelalterliche Zeiten und Sagen hinterließen, waren bis weit in das Max Löbners Kinder- und Jugendjahren folgende 20. Jahrhundert für viele Familien aus der Umgebung der Leipziger Großstadt und ihrer Umgebung gang und gäbe, wie es auch für schulische Ausflüge galt.

Dem in zeithistorischen Quellen übermittelten Bild ist zu entnehmen, dass die Frau und Gattin als liebreich, gütig, bescheiden, anpassungsfähig zu gelten und gleichsam moderierend zwischen einem (manchmal eher gestrengen) Vater und den Kindern zu sein hatte.

Im Rückblick auf seinen Vater Gustav schrieb der erwachsene Sohn Max nieder: „Ich habe meinen lieben Vater während seines Lebens nicht immer ganz verstanden, aber geliebt und geachtet; nach seinem Tode42 ist er mir der Freund geworden, mit dem ich mich oft beschäftige.“43 Schade für den Vater, könnte man sarkastisch anmerken. Doch, diese feinfühligen Anmerkungen Max Löbners berühren in sonderbarer Weise, weil sie eine Welt von Söhnen (und Vätern) offenbaren, die nicht von vornherein immer erklärbar ist und dennoch psychologisch zum analytischen Standardrepertoire wissenschaftlicher Professionen gehört.44 Max Löbner würde mindestens noch zweimal ähnlich zu verortende Anmerkungen machen, die außerhalb jeden Voyeurismus noch genannt werden, weil sie ausdruckstark von Max Löbner benannt worden sind.

Um diese interessante, psychologisch tiefgehende Einschätzung in einem Kontext weiterer Erlebnisse besser bewerten zu können, fehlen zusätzliche persönliche oder Familienzeugnisse, die weder aufgefunden werden konnten noch durch ausführliche und intensiv nachfragende Gespräche mit den Enkeln zu einer Verifizierung hätten beitragen können. Insofern wäre gerade dadurch die gewiß herausragende Besonderheit zu bewerten gewesen, dass Max Löbner seinem Vater eine die Zeiten überdauernde Zuwendung darbrachte, als er ihm -und eben nicht seiner hochgeschätzten und geliebten Mutter- eine Obstsorte, ´Gustav´s Dauerapfel´, widmete. Das war ein Zeugnis höchster Zuwendung, das auch unter einem gewissen konservativen Rollenverständnis zu verstehen ist.

Auch strahlten diese ´althergebrachten´ Tugenden noch in Vf.´s eigene Kinderzeit hinüber, wenn die gütige Großmutter Ella von ´der guten alten Zeit´ sprach, uns Kinder aufmunterte ´hab Sonne im Herzen´ und sich still, ältlich schlurfend zum Chaiselongue bewegte, um anschließend andächtig, für Enkel einfühlsam, von ihrer Kindheit und allerlei guten wie schlechten Erinnerungen berichtete. Das schlichte und doch gediegene Ambiente ihrer bescheidenen Wohnzimmer-Möbel, über die zwei furchtbare Kriege hinweg gegangen waren, konnte lauschende Kinder ebenso sanft vereinnahmen – diese Großmutter war wirklich warmherzig.

Es ist ein Faktum, dass die Frauen jener Epoche ´in Ergebenheitshaltung´45 zu verharren hatten. Das ´traute´, von der meistens ´nicht arbeitenden´ Frau geführte kleinbürgerliche oder auch bürgerliche Heim galt als Ruhepunkt des Mannes, dessen wahres Leben in den Auseinandersetzungen mit und in der Welt ablief.46 Ähnlich ging manche Kirchenpredigt „nun gehet hinaus ins stürmische Leben und seid gottgefällig allda, wandelt auf dem Pfad der Tugend“.

Die gezielt ermunternde Abfolge ähnlicher Verszeilen mit dem Grundsatz, der Mensch müsse hinaus ins stürmische Leben, war für die Betreffenden oder besser Betroffenen kaum wirklich überschaubar. Poetisch und anregend sollte das Leben ´draußen, außerhalb der Familie als eigener Heimstatt´ sein. Doch was hielt ´wahres Leben´ ohne die schützende Hand von Mutter oder Vater nicht noch alles an Unbekanntem parat. Nicht umsonst traf mancher Buchtitel, beispielsweise verniedlichend wie ´Jugendtraum und Lebenswahrheit´47, die wirklichen Gegensätze.

So hatte bereits fünfzig Jahre zuvor der Dichter Ludwig Uhland notiert:

„Muthig und trotzig ins Leben hinaus,

Was auch die himmlischen Mächte uns spenden,

Ob sie die Boten des Glükes uns senden,

Ob auch die Wonne zum Harme sie wenden,

Rufen in Kampf sie und Sturmesgebraus:

Muthig in´s stürmische Leben hinaus.“48

Dabei machte gerade die ´gutbürgerliche´ Löbnersche Familie eine gewisse Ausnahme, da die Mutter eben auch einer beanspruchenden Arbeit nachging, wie Max Löbner in den erinnernden Passagen zu seiner Geburt zusammenfaßte. Wenn auch der Begriff ´Mein Haus ist meine Burg´ aus noch weit früheren Zeiten herrührte, gewann dieser Spruch ebenso eine recht hohe Bedeutung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Zur Familie Löbner gehörten neben dem ersten Kind, Sohn Max, auch dessen beide Schwestern; Emma Lina, 187049 geboren, und die jüngste, Maria Martha, die 187250 auf die Welt kam. Die verfügbaren Daten der Taufpaten und –patinnen der beiden Löbner-Töchter ergänzen das Wissensspektrum über die gesellschaftlichen, freundschaftlichen und familiären Verbindungen der Familie Löbner.51 Sie bieten Ansatzpunkte für weitere Untersuchungen zur Stadtgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Der durch Max Löbner exemplarisch gegebene bzw. bei der Recherche um ihn erhaltene Einblick in Max Löbner´s Erinnerungen ist insofern einzigartig, geben diese doch die Chance, in die persönliche und familiäre Gedanken- und Lebenswelt unter den Geschicken der Zeit einzutauchen. Faktisch für die Bewertung einer späteren beruflichen Entwicklung ´erschlossen´, bergen sie einen weitreichenden Fundus an Lebenssituationen, an sozialen und wirtschaftlichen Geschicken jener Epoche. Sie ergänzen und erläutern manche persönliche Äußerung Max Löbners in seinen beruflichen Notizen, die ohne Kenntnis der frühen Löbnerschen Lebensjahre wesentlich unverständlich blieben.

Den Kern der Betrachtungen um Max Löbner bildete folglich der engere Familienzweig Löbner in Markranstädt, nicht ohne zu erwähnen, dass auch der sogenannte Oschatzer Zweig gesellschaftlich renommierte Familienmitglieder in Sachsen repräsentierte.52 So sind weitere Nachrichten über die Familiensituation, über Bekanntschaften und Freundschaften sowie eheliche Bindungen enthalten, die für den Aufschluß der Lebenssituation Max Löbners weitgehend Berücksichtigung finden konnten bzw. könnten.

Die fast ein Jahr jüngere Schwester Lina hatte sich mit einem Markranstädter Lehrer53 verheiratet, während die jüngste Schwester Martha ledig geblieben war, da ´ihre stille Liebe als Missionar nach China ging´54, wie sich Max Löbner warmherzig erinnerte. Dabei bleiben sowohl Zeitpunkt als auch Reiseziel in China des Missionars derzeit mit der durchgeführten Recherche (noch) unbeantwortet.

Überblickt man die Situation wie in einem Panorama, bot Markranstädt zu jener Zeit, vor gut 150 Jahren, das in vielfacher Hinsicht typische Bild einer Kleinstadt, eben im grauen Schatten der über die Zeiten hinweg schon lange berühmten Messe- und Handelsstadt Leipzig.

Im heutigen Zeitalter ist es oftmals schwierig, sich in jene Zeit zurück- und hineinzuversetzen, als im Jahre 1865 die elektrische Telegraphie eingeführt worden war, es seit 1877 Fernsprecher gab. Der Gründerboom war eine Zeit anwachsender Nachrichtenflut und steigenden Kommunikationsbedarfs. Seit 1879 fuhren elektrische Eisenbahnen. Das Streckennetz im Gebiet des ´Deutschen Zollvereins´ war innerhalb von zehn Jahren 1840 bis 1850 von über 450 Kilometer auf bereits 5700 Kilometer mehr als verzehnfacht. Damit entwickelte es sich nach England zum zweitgrößten Schienensystem Europas; für einige Jahre war die ´Fernstrecke´ Leipzig – Dresden mit 120 Kilometern die längste Eisenbahn-Einzelverbindung Europas.

Es war eine aufregende Zeit, die sukzessive imposante Neuerungen brachte, von Betroffenen nicht immer zustimmend kommentiert: „Diese … Hallen, die von gleißendem Licht durchflutet sind, peinigen das an die dunkle Behausung gewöhnte Auge. Hier gibt es kein Dunkel, in das sich der Gedanke zurückziehen, (in dem) die Einbildungskraft ihren Träumen nachhängen kann. In dieser Behausung ist keine Illusion möglich.“55 So beklagte ein genervter Zeitgenosse die Einführung des Gaslichts, und er forderte weiter: „Das Lampenöl und die Kerzen sind die einzig zulässigen Leuchtstoffe für ein Zimmer, in dem man sich mit den Seinen wohlfühlen möchte.“56 Man kann heutzutage feststellen, gut so, dass Innovationen nicht immer aufzuhalten waren (und sind).

Max Löbners Eltern wohnten zunächst in der Hartisgasse 2257 /Hordisstraße 1458, die einem bereits ab jener Zeit durch mehrere kleine und mittlere Gewerbetreibende immer stärker frequentierten, aber doch bloß Nebenstraßenzug entsprach, der von der Leipziger (Haupt)-Straße (noch heute als ´Hordisstraße´) abgeht. In den Folgejahren zunehmend bebaut59, reichte diese Achse vom Markt gegenüber der Kirche am Stadtgut vorbei in östlicher Richtung bis zur Albertstraße, und die Hartisgasse bzw. Hordisstraße wurde vor der bleibenden Bebauung links und rechts von baumbestandenen Grünflächen begrenzt.

Wie sich das heimatliche Stadtbild von Markranstädt im Geburtsjahr 1869 des Kindes Max Löbner weiterhin darstellte, kann im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Umstände jener Zeit gut erfasst werden. Spezifisch auf den Ort bezogen sind spezielle Informationen vorhanden; Kenntnisse und Wissen waren auch aus anderen Quellen zu übertragen oder konnten durch sie belegt werden.

Schließlich fanden sich um die Jahrhundertwende in der nur etwa paar hundert Meter langen Hordisstraße charakteristisch für die Verhältnisse einer solchen Kleinstadt faktisch ´dicht an dicht´ die unterschiedlichsten Gewerbetreibenden.60 Auch Markranstädt bot als Kleinstadt den repräsentativen Querschnitt jener aufstrebenden bürgerlichen Epoche, der Gründerzeit. In Deutschland setzte nach dem gewonnenen deutschfranzösischen Krieg von 1870/71 und den Reparationszahlungen durch Frankreich an das junge Kaiserreich ab etwa 1880 ein beispielloser wirtschaftlicher Aufschwung ein. Die Jahrzehnte bis zum 1. Weltkrieg können, wie umschrieben, auch folglich für Markranstädt als „Gründerjahre” in die Geschichte eingegangen sein.

Vom Markt aus gesehen, gegenüber dem Stadtgut befand sich der wuchtige Stadtkeller61 mit angegliedertem mehrgeschossigem Wohnhaus, in dem auch ein Stadtgärtner wohnte. Dann folgte neben einem Fleischer, dem Kupferschmied, einem weiteren Stadtgut sowie dem Grundstück eines Fuhrwerksbesitzers bereits Familie Löbners Haus, weiterhin noch zu beiden Seiten in der Straße eine Materialwarenhandlung, Schmiede und Schlosserei, zwei von insgesamt dreizehn Rauchwarenzurichtereien in der Stadt, drei Herrenschneider, eine Weißnäherin und gegen Ende der Straße ein weiteres Stadtgut.

Rückwärtig hinter Max Löbner´s elterlichem Haus schloß sich als hochbegehrtes Refugium für den gärtnerisch interessierten Vater ein Obstgartenstück an, das längsseitig an benachbarte Hausgärten, frontal an das (spätere) Vogel´sche Stadtgut62 grenzte - eine wesentliche Möglichkeit dafür, dass ´Vater in uns Kindern die Freude an der Natur und am Gartenleben gelegt und gepflegt hat´.63

So emphatisch reflektierte Max Löbner seine ´grüne´ Kinderzeit, die offensichtlich ganz wesentlich vom Vater geprägt bzw. gar dominiert wurde; ein wichtiger Hinweis bei der Spurensuche um Max Löbners gärtnerische, naturnahe Neigungen.

Später führte Max Löbner in einigen eigenen Buchzeilen faktisch durch ein halbes Gartenjahr und beschrieb seine ´grüne Kinderzeit´, die ihn außerordentlich prägte, da der Vater „uns Kinder in die Wunder der Gartenpflege einführte…“64

Wie Max Löbner von seiner vermeintlich überwiegend „grünen Kindheit“ unvergeßlich beeindruckt und beeinflusst war, würde er später nachhaltig mit einer besonderen Entscheidung, der Berufswahl als Gärtner, kenntlich machen.

Die Kleinstadt bot Arbeitsgelegenheiten; und die Fortführung des großelterlichen Sattlereigeschäfts der Löbner-Familie war in der Albertstraße 30 möglich. Nachfolge-Sattlermeister und die spätere Sattlermeisterswitwe wohnten in der Krakauer Str. 36.65

Als Kaufmann betrieb Max Löbners Vater, Hermann Gustav Löbner, eine sogenannte Ausschnittwarenhandlung, ein Weiß- und Schnittwarengeschäft in Markranstädt. Über die Spezifik der ´Ausschnittwaaren´ erläuterte ein antiquarisches Handbuch der ´Comptoir-Wissenschaft´ ausführlich die Geschäftsinhalte, auch Tätigkeiten einer solchen Unternehmung. Als „Ellen- oder Ausschnittwaaren“ bezeichnete man in jener Zeit zum Beispiel ´Tücher, Seidenzeuge, Leinwand, Cattun, Bänder, Garn´ usw.66, was diesen speziellen Händler wirtschaftlich als Kaufmann klassifizierte. Gewisse Gruppen von Handeltreibenden wurden vom Gesetz besonders begünstigt, „ein bestimmter Gewerbetreibender, der Handel mit Waaren und Wechseln als sein Hauptgeschäft betreibt, wird ein Kaufmann genannt“.67

Werbung in einem Nachschlagewerk68