Dancing Flames - Klara Juli - E-Book

Dancing Flames E-Book

Klara Juli

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Beschreibung

Hat er ihr Herz erobert oder ihre Welt in Flammen gesetzt?
Nach dem verheerenden Brand ihrer geliebten Tanzhalle steht Leandra vor dem Nichts. Ohne Trainingsraum scheint ihr Traum von der Bühne zu zerplatzen – bis sich eine ungewöhnliche Lösung findet: Ausgerechnet die Fußballmannschaft soll ihren Raum mit den Tänzerinnen und Tänzern teilen.
Dort trifft Leandra auf James, den selbstbewussten Kapitän des Teams, der sie zunächst mit seiner arroganten Art nur auf die Palme bringt. Doch bei dem Versuch, gemeinsam eine Spendengala für die Tanzcrew auf die Beine zu stellen, rücken die Fußballer und die Tanzgruppe näher zusammen, ebenso wie Leandra und James. 
Gerade als Leandra glaubt, sich auf ihn einlassen zu können, gerät James unter Verdacht, das Feuer gelegt zu haben. Kann sie ihm wirklich vertrauen, oder bleibt von ihrer Liebe am Ende nur Rauch und Asche?

Der New Adult Liebesroman “Dancing Flames” ist der zweite Band der “Beyond the Game”-Reihe von Klara Juli über Liebe und Ambition an einer elitären Sportuniversität. Für Fans von emotional aufgeladenen College-Romances mit Sports-Drama, Geheimnissen und Slow Burn.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DANCING FLAMES

BEYOND THE GAME

Buch 2

KLARA JULI

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Klara Juli

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat: Dr. Andreas Fischer,

TE Language Services – Tanja Eggerth

Cover: Florin Sayer-Gabor –

www.100covers4you.com

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-508-3

Kämpfe für deine Träume.

PLAYLIST

Head Down – Lost Frequencies

Good Life – Fast Boy

Dancing in the Flames – The Weeknd

Burning Down – Alex Warren

Geschlossene Augen – Santos, Sido

SOMEONE TO YOU – Matt Hansen

Never Going Home Tonight (feat. Madison Love) – David Guetta, Alesso

Burning Down (with Joe Jonas) – Alex Warren, Joe Jonas

Better Days (feat. Deaclan J Donovan) – Glockenbach

Deine Schuld – Ayliva

Burn – David Puentez

Iris – mgk, Julia Wolf

I Hate That Ist True – Dean Lewis

VERSIONS OF FOREVER – Matt Hansen

Pretty Slowly – Benson Boone

1

LEANDRA

Ich sinke auf den Boden, bis meine Knie die Fliesen der Terrasse berühren. Kälte kriecht meinen Körper hinauf, bohrt sich bis tief in meine Knochen, während meine Augen starr nach vorne gerichtet sind. Auf die Flammen, die nach dem Himmel greifen. Die Rauch produzieren, in der Dunkelheit knistern. Alles in sich verschlingen. Rechts und links an den Mauern des Gebäudes lodern.

Ich schluchze. Schlage mir die Hand vor den Mund. Tränen rinnen über meine Wangen, brennen auf meiner Haut. In meinen Ohren höre ich das Blut rauschen.

Mein Herz schlägt fest gegen meine Rippen, droht herauszuspringen. Gleichzeitig ist mir schlecht. So unglaublich schlecht, weil alles, wofür ich gekämpft habe, wortwörtlich in Flammen aufgeht. Eine Klaue legt sich um meinen Brustkorb, drückt fest zu und nimmt mir die Luft zum Atmen. Meine Kehle schnürt sich zu, wird blockiert von einem Kloß, der mit jedem Atemzug anwächst. Ich versuche, zu schlucken, dabei entfährt mir ein seltsam erstickter Laut.

Eine Hand berührt mich am Oberarm, zieht mich fest an sich. Kurz darauf wird meine Sicht von braunen Haaren verdeckt.

»Leandra.« Die Stimme meiner besten Freundin Ava dringt an mein Ohr. Sie ist vor mir in die Hocke gegangen, will mich hochziehen und dazu bewegen, mit ihr zu gehen. Schließlich befinden wir uns draußen, in einem Dezember, der zwar ungewöhnlich warm, in einem Abendkleid aber doch zu kalt ist. Selbst die Heizpilze, die vereinzelt aufgestellt sind, können die kühle Luft nicht vollends aufhalten.

Ein Schluchzen löst sich aus meiner Kehle, und ich habe das Gefühl, einatmen zu können.

»O Gott«, wimmere ich, noch immer erstarrt.

Erneut rüttelt Ava an mir, doch ich rühre mich nicht.

Die Tanzhalle.

Mein Herz verkrampft.

Sie ist einfach in Flammen aufgegangen.

Ich fühle mich wie in einem falschen Film. Es ist wie ein nicht enden wollender Albtraum, während ich dabei zuschaue, wie sich mein Lebenstraum in Luft auflöst.

Ja, das Tanzen ist mein Lebenselixier. Es ist das, worin ich besonders gut bin. Es ist das, was mich stets hat glauben lassen, dass ich etwas wert bin.

Und jetzt?

Verliere ich es.

Ich greife nach Avas Hand an meiner Schulter, umklammere ihre Finger, als mich erneut eine Welle der Traurigkeit erfasst.

Gleichzeitig habe ich das Gefühl, die Zeit vergeht nicht. Sie bleibt stehen, einzig und allein das Feuer wird immer größer, während ich untätig herumsitze.

»Wir müssen die Feuerwehr rufen«, platzt es plötzlich aus mir heraus, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Als würde ich aus einer Art Trance erwachen und begreifen, was da überhaupt vor sich geht.

»Leandra, das ist erledigt.« Ava drückt meine Hand sanft. »Siehst du? Da hinten sind sie schon.« Mit ihrer anderen zeigt sie in die Richtung, in der blaues Licht zu sehen ist. Erst jetzt nehme ich den Klang der Sirenen wahr. Sie erfüllen die Nacht, mischen sich unter das Stimmengewirr der Leute, die um uns herum sind.

Ich wende mich ab, schaue zu den Gästen auf. Vereinzelt haben sich welche die Hand vor den Mund geschlagen, andere haben ihre Augen vor Schreck weit aufgerissen. Manche haben ihre Handys gezückt. Die einen machen ein Foto, die anderen ein Video, nehmen das Spektakel auf, als wäre es etwas, das sie ihren Freunden, Kindern oder Enkelkindern zeigen wollen. Dass andere mit dem Brand ihre bloße Existenz verlieren, ist dabei vollkommen egal.

Keine Ahnung, wie, aber ich rapple mich auf. Ich schaffe es, Halt auf meinen Füßen zu finden, wobei sich Ava sicherheitshalber bei mir einhakt. Mein Blick klebt regelrecht an der Tanzhalle, um die sich bereits mehrere Feuerwehrleute versammelt haben. Sie holen einen Wasserschlauch, verbinden ihn mit einem Hydranten, um den Brand zu löschen. Aus der Entfernung wirkt es, als würden sie sich alle Zeit der Welt nehmen. Sie sind wie winzige Figuren, die hin und her laufen, den Schlauch mit sich ziehen und auf die Flammen richten.

Machtlosigkeit überrollt mich, als mir allmählich bewusstwird, was der Brand bedeutet.

Ich fröstle, reibe mir über meine Arme, die mittlerweile eiskalt sind.

»Komm, lass uns reingehen.« Ava zieht an meiner Hand, als ich zunächst nicht nachgebe. Es fühlt sich falsch an, dem Feuer den Rücken zuzukehren. Die Tanzhalle hinter mir zu lassen, als wäre sie mir egal.

»Ich kann jetzt nicht einfach gehen«, murmle ich und bleibe ruckartig stehen. »Das ist doch scheiße.«

»Was willst du denn sonst tun?« Ava schüttelt den Kopf. »Die Feuerwehr muss ihren Job machen.«

In mir tosen Gefühle, verbinden sich zu einem Tornado, sodass ich sie kaum greifen kann. Ich habe keine Ahnung, was angebracht wäre. Sollte ich hinübergehen? Schauen, was von meiner Trainingsstätte übrig ist? Oder sollte ich lieber hierbleiben? In Sicherheit?

Scheiße.

»Komm schon.« Ava zieht mich an ihrer Hand mit sich, und ich gebe nach. Ich folge ihr hinein in den Veranstaltungsraum, rechne fest damit, dass hier alles so ist wie vorher. Stattdessen erwartet mich das reinste Chaos. Die Gäste reden wirr durcheinander, stehen in Grüppchen beisammen und wenden sich immer wieder dem Feuer zu, das sie vom Fenster aus sehen können. Von Edward und seinem Grandpa ist weit und breit keine Spur.

Mein Herz verkrampft sich. Ich weiß genau, dass die Tanzhalle ein Pilotprojekt ist. Seit gerade mal drei Jahren existieren die Räumlichkeiten, seit ungefähr zwei Jahren wird ein Stipendium für Tänzerinnen und Tänzer angeboten.

Ob das so bleiben wird? Der Gedanke schleicht sich so schnell in meinen Kopf, dass ich ihn gar nicht aufhalten kann. Aber machen wir uns mal nichts vor, Mr Brighton Senior hat das Tanzen noch nie als die Sportart an der Edgar-Brighton-University gesehen. Schließlich sind wir nicht mal ein Dutzend Leute und werden mit jedem Studienjahr weniger – einerseits wegen mangelnder Bewerbungen, andererseits wegen der Abgänge. Abgesehen davon haben wir uns dieses Jahr zum ersten Mal für die Landesmeisterschaften qualifiziert.

Die Landesmeisterschaften.

Mit einem Mal bildet sich ein Knoten in meinem Magen, fühlt sich an wie ein Stein. Wird mit jedem weiteren Gedanken, der mir durch den Kopf schießt, fester.

Was ist, wenn wir jetzt nicht mehr antreten können?

Hastig schiebe ich die Überlegung auf die Seite. Schließlich muss man erst mal abschätzen, was für ein Schaden entstanden ist.

Ich blinzle, als könnte ich die grauen Wolken, die meinen Kopf mit negativen Gedanken füllen, dadurch vertreiben. Ava bleibt mitten im Raum stehen und löst sich von mir.

»Siehst du unsere Eltern irgendwo?«, fragt sie mich. Damit holt sie mich in die Gegenwart zurück, und ich habe etwas, das mich kurzzeitig von meinen Ängsten ablenkt.

Ich lasse den Blick wandern, entdecke unsere Familien allerdings nirgends. Ehrlich gesagt: Ich nehme niemanden wirklich wahr. Vielmehr erlebe ich alles wie durch einen seltsamen Schleier.

»Vielleicht sind sie nach draußen gegangen?«, gebe ich zu denken. »Schließlich haben wir ihnen gesagt, dass wir kurz auf die Terrasse gehen und frische Luft schnappen.« Meine Stimme klingt seltsam belegt. So, als wäre ich gar nicht wirklich da.

»Leandra?« Mein älterer Bruder Quentin löst sich aus der Menge, lässt sein Smartphone in der Hose seines dunkelblauen Anzugs verschwinden, mit der anderen Hand streicht er seine rot-braunen Haare zurück. Auf seinem Gesicht liegt ein besorgter Ausdruck, als er bei uns ankommt.

Keine Ahnung, was in diesem Moment passiert, aber ich schlinge meine Arme um seinen Hals, drücke ihn fest an mich. Ein Schluchzen entfährt mir, und dann melden sich die Tränen zurück. Sie brennen in meinen Augen, drohen über mein Gesicht zu laufen, während ein qualvoller Schmerz in meiner Brust zu platzen droht.

»Lea«, wispert er und streicht mir übers Haar, so wie er es früher getan hat, wenn ich mit Mom und Dad gestritten habe. Wenn ich traurig war, weil mich Grandma und Grandpa erneut abgewiesen und mir zu verstehen gegeben haben, dass ich ihnen nicht wichtig bin.

»Ich habe alles verloren.« Mühsam bahnen sich die Worte einen Weg über meine Lippen.

»Scht«, macht er, und ich weiß, dass er mir Trost spenden will, aber ich ignoriere das.

»Was ist, wenn ich nie wieder tanzen kann? Was ist, wenn ich hier nicht weiterstudieren kann?« Ich schlucke hart, kämpfe gegen den Kloß in meinem Hals.

»Das wirst du«, verspricht er mir.

»Meinst du?« Ich löse mich von ihm, schaue ihn hoffnungsvoll an. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«

»Ja.« Er lächelt. »Du musst nur daran glauben.«

Ich seufze. »Quentin, das Gebäude ist abgebrannt«, bringe ich das Geschehene auf den Punkt. »Vor meinen Augen. Wie soll ich da noch daran glauben, dass ich dort je wieder tanzen werde?«

»Man weiß ja noch nicht mal, welchen Schaden das Feuer angerichtet hat«, wirft Ava ein, die mir nicht von der Seite gewichen ist. »Die Feuerwehr war verdammt schnell da, und ich bin mir sicher, dass sie noch einiges retten können.«

Skeptisch schüttle ich den Kopf. Dabei fällt mein Blick auf die anderen Gäste, die sich näher zu den Fenstern bewegt haben. In der Menge kann ich Poppie, meine Kommilitonin und Mitglied der Dancing Souls, meiner Tanzmannschaft, ausmachen. Sie hat sich eine Hand vor den Mund geschlagen, die dunkelblauen Augen sind vor Schreck geweitet. Mit der anderen greift sie nach JJs Arm. Er ist ebenfalls Tänzer in unserer Crew.

»Ich muss zu meinem Team«, murmle ich an Quentin und Ava gewandt, ehe ich mich zu Poppie und JJ begebe. »Poppie, JJ?«

Ruckartig drehen sie sich zu mir. »Leandra!« Poppie fällt mir direkt um den Hals, wobei ihre dunkelblonden Haare meine Sicht verdecken. »Wie konnte das passieren?«

»Ich habe keine Ahnung«, erwidere ich ehrlich.

»Du hast nichts gesehen?«, hakt JJ nach, als ich mich aus Poppies Umarmung winde.

»Nein, wieso sollte ich?« Verwirrt runzle ich die Stirn.

»Na ja, wir haben gesehen, wie du auf die Terrasse gegangen bist, und dachten, dass du vielleicht etwas beobachtet haben könntest.« JJ zuckt mit den Achseln. Obwohl seine Stimme cool klingt, steht ihm der Schock über den Brand ins Gesicht geschrieben.

»JJ?«, hören wir jemanden rufen. Keine zwei Sekunden später steht Remus, ein weiteres Mitglied unseres Teams, neben uns. Er greift nach JJ, nimmt dessen Gesicht sanft in seine Hände. »Dir geht es gut«, stellt er erleichtert fest.

»Wieso sollte es mir nicht gut gehen?« Verwundert hebt er eine Braue, wobei mir nicht verborgen bleibt, wie seine Augen nervös zu uns wandern.

»Weil du heute Mittag noch meintest, dass du deine Kopfhörer in der Umkleide vergessen hättest.« Remus folgt JJs Blick und lässt ihn sofort los, als er uns sieht. »Poppie, Leandra.« Verlegen fährt er sich durchs schwarze Haar. Auf seinen Wangen bildet sich ein hellrosa Farbton, und ich muss trotz der Umstände schmunzeln.

»Fuck!«, flucht JJ. »Fuck, fuck, fuck!«

»Du hast sie noch nicht geholt?«

»Nein.« JJ klatscht sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Scheiße, die sind bestimmt hinüber.« Verzweiflung zeichnet sich in seinem Gesicht ab.

»Hey.« Poppie legt ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Das ist ersetzbar.«

»Das schon, aber …«

Ich weiß genau, was JJ sagen möchte. Sie sind ein Geschenk seiner Mom, die am anderen Ende von England wohnt, und er kann sich keine neuen leisten. Genauso wenig wie sie. JJ gehört zu den wenigen Studierenden an der Edgar-Brighton-University, die nur dank ihrer ausgezeichneten Leistungen ein Stipendium erhalten haben.

»Hey Leute, da kommt die Polizei.« Poppie deutet mit einem Kopfnicken in Richtung der Flügeltüren, die den Veranstaltungsraum von der Lobby des Hauses trennen. Mehrere Personen in Uniform treten ein, an ihrer Seite Edward und sein Grandpa, die sich mit einem der leitenden Offiziere unterhalten. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es sich dabei um eine Frau Mitte dreißig handelt.

Sie nehmen direkten Kurs auf die Bühne, kurze Zeit später dringt Mr Brighton Seniors Stimme durch das Mikrofon. »Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit.« Mit einem Mal ist es im Raum mucksmäuschenstill. »Officer Cold hat Ihnen etwas mitzuteilen.«

Er entfernt sich vom Pult, und die Polizistin nimmt seinen Platz ein. »Liebe Anwesende«, beginnt sie. »Wie Sie bereits bemerkt haben, kam es auf dem Gelände zu einem Brand. Die Ursache ist noch ungeklärt, und da sich einige von Ihnen außerhalb des Gebäudes befanden, bitte ich Sie darum, für eine Aussage vor Ort zu bleiben.«

»Auch, wenn wir uns drinnen aufgehalten haben?«, meldet sich eine junge Frau aus der Menge zu Wort. Ich habe die Brünette noch nie an der EBU gesehen, weshalb ich davon ausgehe, dass sie nicht hier studiert.

»Nein, nur, wenn Sie etwas Verdächtiges gesehen haben«, erwidert die Polizistin postwendend. Sie schiebt dabei ihre schwarze Polizistenmütze nach hinten. »Alle, die draußen waren, bitte ich, zu einem meiner Kollegen zu gehen.« Sie deutet auf die Cops, die sich an den Glastüren zur Veranda positioniert haben. »Für Fragen stehen Ihnen ebenfalls zwei Beamte in der Lobby zur Verfügung. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit«, beendet sie ihre Ansprache und dreht sich anschließend wieder zu Mr Brighton Senior.

Während um uns herum Getuschel ausbricht, schwirrt mir der Kopf. Ich bin erschöpft von der Anspannung und den Ängsten, die mir in den Knochen sitzen. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, und ich schlinge die Arme um meinen Körper.

»Dann stellen wir uns mal an, oder?«, meint JJ und schiebt seine Hände in die Taschen seiner Anzughose.

»Jep«, stimmt ihm Remus zu.

»Ihr seid draußen gewesen?« Poppie hebt eine Augenbraue.

»Ja, ich habe frische Luft geholt.« Verlegen blickt JJ zu Boden.

Fieberhaft überlege ich, ob ich sie draußen gesehen habe. Schließlich waren Ava und ich auch auf der Terrasse. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.

Ehe ich nachbohren kann, wo sie standen, schlendern sie hinüber zu einem der Polizisten.

»Zwischen den zweien läuft doch was, oder?« Poppie hebt fragend die Augenbraue und spricht meine Vermutung laut aus, die ich schon länger hege. Mir ist die Verbindung zwischen den beiden nicht nur im Training aufgefallen, sondern auch auf Harrisons Party im Herbst. An jenem Abend sind sie händchenhaltend die Treppe heruntergekommen und haben uns nicht mal richtig wahrgenommen.

»Keine Ahnung«, murmle ich bloß und zucke mit den Achseln. »Ich muss mich jedenfalls auch einreihen.« Mein Blick fällt auf die Schlange, die sich vor den Beamten sammelt.

»Warst du auch draußen?«

»Mit Ava«, antworte ich und sehe mich gleichzeitig nach meiner besten Freundin um. Ich entdecke sie bei Edward und Avas Grandpa. Sie stehen in der Nähe der Bühne und reden miteinander. Als sich Ava in meine Richtung dreht, winke ich sie zu mir. Sie nickt, ehe sie Edward einen Kuss auf die Wange haucht und auf mich zuläuft.

»Ich kann es immer noch nicht glauben«, murmelt Poppie. »Leider habe ich nichts gesehen, weil ich mit meinen Eltern hier war.«

»Ich auch nicht.« Ich schließe die Augen, kneife mir in die Nasenwurzel.

»Wie wird es weitergehen?«

»Das ist eine verdammt gute Frage.« Mein Herz verkrampft sich bei ihrer Frage, auf die ich keine Antwort habe. Mit einem Mal ist das mulmige Gefühl in meiner Magengrube zurück, die Angst, nicht wieder tanzen zu können. Die Angst, eine neue Uni suchen zu müssen. Die Angst, mein Team aufgeben zu müssen.

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals.

»Hast du deine Aussage schon gemacht?« Ava stellt sich neben uns.

»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Du?«

»Nö.« Sie seufzt, dann hakt sie sich bei mir ein. »Wir machen das zusammen, okay?«

»Soll ich mit euch warten?«, fragt Poppie, wobei ihr Blick auf zwei ältere Leute fällt, die an einem der hohen Tische warten. Ich tippe darauf, dass es sich dabei um ihre Großeltern handelt. Soweit ich weiß, leben ihre Eltern in Amerika und konnten für die heutige Gala nicht anreisen, weil sie einen wichtigen Geschäftstermin hatten. Sie sind Baulöwen und haben wohl die Möglichkeit, nach England zu expandieren.

»Nein, alles gut. Wir schaffen das.« Ich zwinkere ihr zu.

»Okay.« Sie greift nach meiner Hand, zieht mich in eine kurze Umarmung, wobei mir ihr teures Parfüm in die Nase dringt. »Wir schaffen das. Hörst du?«

»Jap.« Ich hoffe, meine Stimme klingt überzeugter, als ich es tatsächlich bin.

Poppie verabschiedet sich, und ich bin ehrlich gesagt froh, endlich mit Ava allein zu sein. So gern ich Poppie auch mag, im Augenblick brauche ich meine beste Freundin, die mich blind versteht.

»Komm.« Ava zieht mich sanft mit sich, und wir reihen uns in die Schlange.

Ob ich das hier ohne sie schaffen würde? Vermutlich ja, aber ich weiß, dass ich unglaublich dankbar bin, sie an meiner Seite zu haben.

2

JAMES

Mit meiner Sporttasche über der Schulter schlendere ich über den Campus. In meiner rechten Hand halte ich einen Kaffeebecher, in der linken mein Smartphone. Ich scrolle gerade durch die neuesten Klatschberichte, als ich an der Tanzhalle vorbeilaufe.

Beim Anblick der verkokelten Wand, der geschmolzenen Müllcontainer und zerstörten Fenster kriege ich Gänsehaut. Unwillkürlich wandern meine Gedanken zum Abend der Benefizveranstaltung. Jenem Abend, an dem das Inferno ausgebrochen ist. Der Geruch von Feuer dringt in meine Nase. Und obwohl ich weiß, dass das nur Einbildung ist, überkommt mich dennoch Furcht.

Seit dem Brand sind drei Wochen vergangen. Drei Wochen, in denen nicht aufgeklärt werden konnte, warum es dazu kam.

Eine Nachricht trudelt auf meinem Smartphone ein und lenkt mich von meinen Überlegungen ab. Zum Glück.

Edward

Wo bleibst du?

Sie ist von Edward, der am See wartet. Dort, wo wir schon einige Geheimnisse miteinander getauscht haben. Es klingt wie eine krasse Bromance, und ich bin ehrlich: Es ist auch eine. Bei ihm habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass er mich nimmt, wie ich bin. Er hat mir gegenüber keine Vorurteile und akzeptiert mich mit meinen Fehlern. Anders als so einige meiner Teammitglieder.

Ich seufze und tippe hastig eine Nachricht in mein Display, ehe meine Gedanken abdriften können.

James

Laufe gleich in den Pfad.

Ich folge dem Weg um den See herum, bis hin zu Büschen und Bäumen, die das Ufer säumen. Die Edgar-Brighton-University ist wirklich großflächig angelegt, und ich weiß von Edward, dass sein Grandpa noch einiges verändern möchte. Unter anderem sollen neue Gebäude hinzukommen, um mehr Studierende aufzunehmen und das Studienangebot auszuweiten.

Ich komme an dem braunen Pfad an und biege ein. Sobald ich an dem Gestrüpp vorbeigelaufen bin, kann ich die Holzbank sehen, auf der Edward bereits sitzt. Er trägt seine Sportkleidung, hat sich mit den Armen auf die Knie gestützt. Sein Blick ist auf das Wasser gerichtet, und er wirkt nachdenklich. Ob es etwas mit der Tanzhalle zu tun hat? Oder mit seinem Vater? Letzterer darf nach den Vorkommnissen im vergangenen Semester die Schwimmmannschaft nicht weiter trainieren.

»Hey«, sage ich in die Stille hinein.

Sofort dreht sich Edward zu mir. »Hi.«

Er hält mir seine Hand hin. Hastig schiebe ich mein Smartphone in die Tasche meines Hoodies, dann schlage ich ein.

»Wie geht’s dir?«, hake ich nach und lasse mich neben ihn sinken.

»Eigentlich gut.« Er fährt sich durchs Haar.

»Sicher?« Ich runzle die Stirn. »Du wirkst nicht so.«

»Ne, wirklich alles gut.« Er grinst. »Ich habe nur gerade an Ava gedacht. Sie kommt morgen wieder zurück.«

»War sie bei ihren Eltern?« Ich nippe an meinem Kaffee, der mittlerweile lauwarm ist.

»Jap, sie und ihre Mom haben ein paar Tage in Schottland verbracht.«

»Hältst du es ohne sie nicht aus?« Ich stoße ihn in die Seite.

»Nope, so was habe ich noch nie gespürt.« Er lacht. »Scheiße, ich hör mich wahrscheinlich an wie ein liebeskranker Teenager.« Dann kratzt er sich an seinem Dreitagebart. »Aber es fühlt sich an, als würde ein Stück von mir fehlen.«

»Das … klingt, als wärst du verliebt?« Obwohl es eine Aussage sein soll, hört es sich wie eine Frage an.

»Natürlich.« Er schüttelt den Kopf. »Hattest du das schon mal?«

Ich denke an meine bisherigen Beziehungen. Meine längste ging ein Jahr und war auch die letzte. Hier an der EBU. Ihr Name ist Rose, sie ist im gleichen Semester wie ich und ebenfalls Fußballerin. Wir kennen uns schon seit Ewigkeiten, weil wir im gleichen Verein mit dem Spielen angefangen haben. Zeitweise waren wir im gleichen Team, aber erst an der EBU habe ich gemerkt, wie sexy sie ist. Sie ist witzig, humorvoll, fußballtechnisch wirklich begabt und Kapitänin der Damenmannschaft.

Trotzdem ist unsere Beziehung zerbrochen. Und sie ist der Grund, warum ich beinahe meinen Platz in der Startelf und meinen Status als Kapitän verloren hätte.

Aber ob ich in sie verliebt war?

»Ja, schon«, antworte ich Edward schließlich. »Sonst hätte ich meinen Posten wahrscheinlich nie so aufs Spiel gesetzt.«

Mitfühlend schaut er mich an. »Wie läuft es denn im Moment?«

»Na ja, nach meinen Patzern im letzten Semester hat sich die Lage wieder beruhigt. Momentan läuft es wirklich gut.« Und ich hoffe, das bleibt so, füge ich gedanklich hinzu. Denn nochmal diese Unsicherheit zu durchleben, meinen Traum in Gefahr zu sehen, das halte ich nicht aus.

›Du bist so ein Weichei.‹ Dads Stimme taucht in meinen Gedanken auf, und ich fühle mich in meine Kindheit zurückversetzt. Auf den Rasen meines Heimatvereins. Dorthin, wo ich zum ersten Mal gegen andere gespielt habe. An jenem Tag habe ich ihm nämlich offenbart, dass ich Profifußballer werden möchte. Mit gerade einmal sieben Jahren habe ich den Entschluss gefasst, obwohl er einen anderen Weg für mich vorgesehen hat. Als ich aber von einem Gegner gefoult wurde und direkt gegen den Pfosten des Tors gekracht bin, ist mir die Luft weggeblieben. Ich konnte nicht mehr aufstehen, war wie gelähmt und hatte Angst. Tränen liefen mir übers Gesicht, und alles, was Dad tat, war, mich von oben herab anzuschauen und den Kopf zu schütteln.

›Du willst Profisportler werden?‹, fragte er mich vor allen. ›So wirst du es niemals schaffen. Keiner von denen auf dem Feld heult wie ein Baby.‹

Mein Herz verkrampft sich, und ich balle die Hand zur Faust. Allein die Erinnerung an diese Geschehnisse macht mir wieder bewusst, warum ich so verbissen an meinem Ziel festhalte. Ich möchte meinen Eltern beweisen, dass ich es schaffen kann.

»James?« Edward schaut mich an, eine Augenbraue nach oben gezogen. Sein Anblick katapultiert mich ins Hier und Jetzt zurück.

»Ja?«

»Ist … alles in Ordnung?« Er runzelt die Stirn.

»Ja, alles bestens«, sage ich hastig. Dann verändert sich sein Gesichtsausdruck, wird beinahe etwas vorwurfsvoll. »Okay, okay. Ich habe gerade an meinen Dad gedacht und … den Scheiß, den ich im letzten Semester abgezogen habe.«

Verständnisvoll nickt er. »Hey, du bist auf einem guten Weg«, versichert er mir. »Eigentlich darf ich nicht über Interna sprechen, aber ich habe von Grandpa mitbekommen, dass Coach Tremblay dich gelobt hat. Er meinte, du hättest die Kurve gekriegt und würdest dich gut machen. Schließlich bist du der beste Stürmer im Team und egal, was in der Vergangenheit war, leb in der Gegenwart. Nur jetzt kannst du weiter an deinen Zielen arbeiten.«

Er zwinkert.

Ich atme geräuschvoll aus. »Du hast recht.« Kurz halte ich inne, ehe ich weiterrede. »In zwei Wochen ist ein Spiel, da möchte ich unbedingt auf dem Platz stehen.«

»Das wirst du«, verspricht er mir. »Bleib einfach am Ball.«

Diesmal ist es an mir, zu nicken. Es gibt tatsächlich eine Sache, die mich meinen Platz an der EBU kosten könnte. Die dafür sorgen könnte, dass ich meinen Eltern den perfekten Beweis liefere, ein Nichtsnutz zu sein und mich selbst am meisten zu enttäuschen. Begleitet von einem mulmigen Gefühl, schiebe ich die negativen Gedanken beiseite.

»Wann musst du los?«, frage ich Edward, um mich abzulenken.

»In zwanzig Minuten ist Trainingsbeginn. Grandpa hat gerade noch ein Gespräch wegen der Tanzhalle«, erzählt er.

»Weißt du schon, wie es weitergehen wird?«, hake ich nach.

»Im Moment sieht es danach aus, dass die Tanzgruppe eingestampft wird.« Edward seufzt. »Es ist echt verzwickt, aber die Halle wird niemals so schnell wiederhergestellt sein.«

»Und die Landesmeisterschaften?« Irritiert schaue ich ihn an. »Die sind doch auch am Ende des Semesters, oder nicht?«

»Ja, aber Grandpa hält es für unrealistisch, dass die Mannschaft weitertrainieren kann. Wo auch?« Edward zuckt mit den Achseln. »Ich würde gern mehr für sie tun, vor allem, weil Leandra Avas beste Freundin ist und ich sie echt gern mag. Andererseits … Ich kann mich nicht in Grandpas Angelegenheiten einmischen. Es ist seine Uni, also muss er die Entscheidungen treffen.«

»Das verstehe ich.« Ich richte den Blick wieder aufs Wasser, verspüre ein seltsames Ziehen in der Brust. »Ich stelle mir das echt krass vor, einfach so die Trainingsstätte zu verlieren.« Ein Kloß bildet sich in meinem Hals.

»Ich möchte es mir nicht mal vorstellen«, murmelt Edward. Dann hebt er die Hand, um auf die goldene Rolex an seinem Arm zu gucken. »Also, ich muss dann langsam los.« Er steht auf, greift neben die Bank und hängt sich eine Tasche, die ich zuvor gar nicht bemerkt habe, über die Schulter.

Ehe ich es mir anders überlegen kann, schließe ich mich ihm an. »Klingt gut, dann kann ich auch noch ein paar Extraeinheiten einlegen.«

Gemeinsam schlendern wir den Weg zurück und unterhalten uns über Belanglosigkeiten. Edward erzählt mir, dass er in den Semesterferien eine Woche lang auf dem spanischen Festland war, um einen Bekannten zu treffen, mit dem er sich in Amerika ein Zimmer geteilt hat. Ich hingegen berichte ihm von meinem Onkel Johann Reed, den ich besucht habe.

»Er spielt doch aktuell bei Manchester City, oder?«, rät Edward.

»Ja, genau. Seit dieser Saison.« Stolz macht sich in meiner Brust breit. Obwohl Johann Anfang dreißig ist, wurde er von einer der bekanntesten und besten Mannschaften Englands verpflichtet. Er ist der einzige Fußballer in unserer Familie und zweifelsohne mein großes Vorbild.

»Wahnsinn.« Edward grinst. »Irgendwann möchte ich ihn spielen sehen.«

»Das klingt nach einer indirekten Aufforderung, dass ich dich einladen soll.« Ich lache.

»Ganz genau.« Er reckt den Daumen in die Luft. Dann bleibt er stehen, als wir bei einer Abzweigung ankommen. Der rechte Weg führt zur Schwimmhalle, der linke zum Fußballstadion.

»Vielleicht ergibt sich was.« Ich grinse ihn an, wohl wissend, dass ich für das kommende Heimspiel zwei Karten in meinem Zimmer liegen habe. Es ist unmittelbar vor Semesterbeginn, und ich wette, Edward wird niemals damit rechnen. »Hast du am kommenden Wochenende Zeit?«

Zunächst runzelt er die Stirn, dann nickt er. »Klar. Grandpa hat mir nochmal eine Trainingspause eingeräumt.«

»Sehr gut, wir machen einen Wochenendtrip.« Ich zwinkere ihm zu.

»Ist es das, was ich denke?« Verblüffung zeichnet sich auf seinem Gesicht ab.

Erst zucke ich mit den Achseln, dann lache ich. »Ganz genau. Wir werden ein Wochenende in Manchester verbringen, übernachten bei meinem Onkel und gehen auf sein Spiel.«

»Da bin ich auf jeden Fall dabei!« Er hält mir die Hand hin, und wir schlagen ein. Er freut sich, das sehe ich ihm deutlich an. Dabei sollte man meinen, dass er sich selbst eine Karte für das Match kaufen könnte. Er könnte sich auch ein Meet-and-Greet mit der Mannschaft leisten. Trotzdem freut er sich wie ein kleines Kind, das zu Weihnachten sein Lieblingsgeschenk bekommen hat.

Ich sag ja: Wir haben eine richtige Bromance.

»Der Privatjet meiner Eltern startet am Freitag um vier Uhr«, sage ich zu ihm.

»Perfekt, dann kann ich noch normal am Training teilnehmen.«

»Alles so geplant.«

Noch immer grinsend verabschieden wir uns voneinander. Während er Richtung Schwimmhalle läuft, mache ich mich auf den Weg zum Fußballstadion. Die weiße Außenfassade erstreckt sich vor mir, ragt einige Meter in die Höhe. Direkt über den Eingängen steht in dunklen Blockbuchstaben geschrieben: Edgar Brighton Stadium.

Die großen Schiebetüren bestehen aus reinem Glas, die einen Blick ins Innere freigeben. In der Lobby befindet sich eine Imbissbude, an der man an den Spieltagen Fingerfood und Getränke kaufen kann. Direkt daneben ist ein Café, das jeden Tag geöffnet hat und Sandwiches für die Studierenden anbietet. Im Moment ist eine ältere Frau hinter der Theke, die die Kaffeemaschine reinigt.

Sobald ich in die Nähe des Sensors komme, öffnet sich die Tür, und warme Luft strömt mir entgegen. Obwohl die Temperaturen im Freien recht mild sind, kommt mir das gerade recht, um mich vor dem Training nochmal aufzuwärmen.

Ich werfe meinen leeren Kaffeebecher in einen der silbernen Mülleimer, die innen neben dem Eingang stehen, und schlage den Weg Richtung Umkleiden ein. Dafür folge ich einem Flur, der rechts neben dem Café entlanggeht. An der Wand befinden sich Männer- und Frauensymbole, die nicht nur dort auf einem Schild, sondern auch an den dazugehörigen Holztüren angebracht sind. Würde ich dem Flur weiter folgen, käme ich zum Büro der Trainer und der Journalisten. Soweit ich weiß, kümmern sich derzeit Mary-Ann Ford und Joe Foster um unsere Pressemitteilungen. Und wenn ich es richtig im Kopf habe, stehen bald wieder Interviews an.

Ich stoße die schwere Holztür zur Herrenumkleide auf und lasse meine Tasche an meinem Platz fallen. Direkt auf Augenhöhe prangt die Zahl neun, die als rote Ziffer dort angebracht ist. Meine Rückennummer.

Ich lasse mich auf die Holzbank sinken, öffne die Schnürsenkel meiner Sneaker und ziehe sie aus. Dann entledige ich mich meiner Jeans, schlüpfe aus meinem Hoodie sowie meinem Shirt und schnappe mir meine Trainingskleidung aus meiner Sporttasche. Sie besteht aus einem roten Trikot, einer dunkelblauen Hose und dazu passenden Stutzen. Auf der Brust des Oberteils prangt das Logo der EBU, an der Hose befinden sich die Anfangsbuchstaben meines Vor- und Nachnamens.

Abschließend binde ich meine Sportschuhe zu. Dabei fahren meine Finger über die Buchstaben, die an der Oberseite der Zunge eingestickt sind.

JD

James Davies.

Mein Onkel hat alle meine Schuhe mit meinen Initialen versehen lassen, weil das auch ihm selbst Glück gebracht hat. Er ist der Einzige, der mich immer auf meinem Weg unterstützt hat. Der immer für mich da war und ist, wenn meine Eltern Bullshit erzählen und mir das Gefühl geben, dass ich einem luftleeren Traum hinterherjage.

Ich schlucke hart. Was er wohl dazu sagen würde, dass ich ständig meinen Platz im Team gefährde? Ich immer wieder von meiner Spur abkomme, weil ich Entscheidungen treffe, die einfach scheiße sind?

Unwohlsein packt mich. Allein das Wissen, dass ich ihm am Wochenende gegenüberstehen werde, macht mich nervös. Ich weiß, dass er mich lesen kann wie ein Buch.

Um den Gedanken zu vertreiben, schüttle ich den Kopf, hole dann mein Smartphone und meine Kopfhörer aus dem Seitenfach meiner Sporttasche. Die AirPods stöpsle ich in meine Ohren, während ich meine Lieblingsplaylist auswähle.

Dann verlasse ich die Umkleide und durchquere den Flur, der in die Lobby führt. Dort biege ich in einen weiteren Gang ein, laufe vorbei an den vielen Bildern vom Stadion, die an der Wand hängen, und blicke durch die Glastür, die in den Fitnessraum führt. Obwohl es nur noch eine Stunde bis Trainingsbeginn ist, ist niemand da.

Zum Glück.

Die Ruhe kann ich wirklich brauchen.

Ich muss mich sortieren, den Fokus für die bevorstehenden Spiele finden. In den Wochen vor dem Brand habe ich mich gut gemacht, Coach Tremblay war zufrieden, Coach Morton hat mich gelobt. Und auch Edwards Worte haben mir wirklich gutgetan, aber ich weiß, dass das nicht reicht. Ich brauche mehr als ein paar nette Unterhaltungen, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen.

Während ich einem Rapper lausche, wärme ich mich in den folgenden fünfzehn Minuten auf. Beginnend mit einer Einheit auf dem Laufband, gehe ich über zu Sit-ups und Liegestützen. Danach widme ich mich meinen Beinen, die ich mit klassischen Kniebeugen und Ausfallschritten trainiere, ehe ich zu Übungen mit Gewichten übergehe. Mein Ziel ist es, meinen Schussfuß zu stärken, um gezieltere Angriffe aufs Tor ausführen zu können. Denn das ist meine Aufgabe als Stürmer. Tore schießen.

Irgendwann bekomme ich Gesellschaft im Fitnessraum. Das fällt mir allerdings erst auf, als mich jemand von hinten an der Schulter antippt und mir das Herz vor Schreck beinahe in die Hose rutscht. Ich war so fokussiert auf meine Einheiten, dass ich meine Außenwelt und meine Gedanken komplett ausgeblendet habe.

Ruckartig drehe ich mich herum und schaue direkt in ein Paar blaue Augen.

»Rose«, kommt es mir über die Lippen. Ich nehme die Kopfhörer aus meinen Ohren.

»Hi.« Sie lächelt schüchtern, und es fühlt sich absolut absurd an, ihr gegenüberzustehen. Klar, wir sind schon eine Weile getrennt, und ich dachte, ich bin drüber weg, aber irgendwie berührt sie immer noch was in mir.

›Eine Weile‹ dauert gerade mal sechs Wochen, erinnert mich meine innere Stimme. Wie auch immer.

»Was kann ich für dich tun?«

»Können wir sprechen?« Sie verschränkt ihre Finger miteinander, schaut auf den Boden. Dabei fallen ihre hellbraunen Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hat, über ihre Schulter.

»Worüber?« Ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Warum ist es so schwierig für mich, eine normale Unterhaltung mit ihr zu führen?

»Über uns.« Rose hebt den Kopf, ihre Augen funkeln mich an.

»Ich wüsste nicht, was es noch zu reden gibt.« Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, greife ich nach dem Handtuch, das ich mir aus dem Regal neben den Trainingsgeräten nehme. Ich streiche mir damit über die Stirn und wische den Schweiß fort.

»James, bitte.« Sie stellt sich mir in den Weg, als ich zu den Wasserspendern gehen möchte, um einen Becher zu trinken.

»Nein, Rose. Es ist alles gesagt.« Ich klinge harscher als beabsichtigt.

»Definitiv nicht.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust. Ihr Gesichtsausdruck verfinstert sich. »Wir müssen uns über das, was passiert ist, unterhalten.«

»Welchen Teil genau meinst du?« Ich runzle die Stirn. »Als du mit Jordan rumgeknutscht hast? Oder als du die Beine für Oliver breit gemacht hast?« Es versetzt mir einen Stich, ihre Fehltritte aufzuzählen. Einerseits, weil mir wieder bewusstwird, wie oft sie mit mir gespielt hat. Andererseits, weil in mir noch ein Funken Gefühl für sie übrig ist. Ob es sich bei diesem Gefühl allerdings um Liebe oder Verletztheit handelt, kann ich nicht einordnen.

Niemand ist perfekt, ich bin es auch nicht. Schließlich genieße ich die Aufmerksamkeit, die mir dank meiner Position zufliegt, genauso und habe den einen oder anderen One-Night-Stand. Fremdgehen ist für mich allerdings ein absolutes No-Go.

Nicht nur Rose’ Wangen färben sich rot, sondern es bilden sich kleine Flecken an ihrem Hals. Die gleichen, die sich auf ihrer Haut abgezeichnet haben, wenn wir Sex hatten.

Ob sie Oliver auch aufgefallen sind?

»Es tut mir leid.« Verlegen starrt sie auf ihre Schuhspitzen.

»Scheiße, Rose!« Verzweifelt raufe ich mir die Haare. »Das sind meine Teamkollegen! Ich stehe in jedem Spiel mit ihnen auf dem Rasen!«

»Das war auch nicht beabsichtigt.« Unsicher kaut sie auf ihrer Lippe.

Ich kann nicht verhindern, dass sich die Wut in mir ballt. Ich dachte wirklich, dass ich all das hinter mir gelassen hätte. Sie vergessen und mich wieder auf meine Karriere konzentrieren könnte. Tja, falsch gedacht. »Rose! Wie kannst du unabsichtlich mit zwei meiner Mannschaftsmitglieder ins Bett steigen?«

»Ich war mit Jordan nicht im Bett.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust.

»Das ändert nichts an der Tatsache, dass du mich betrogen hast.«

»Alter, du hattest nur noch das Scheißtraining im Kopf.«

»Ja, genauso wie du.« Ungläubig starre ich sie an. Will sie mir gerade wirklich die Schuld dafür geben, dass sie fremdgegangen ist?

»Boah, James! Wir haben uns beide für diese Uni entschieden. Wir wollten gemeinsam durch das Studium, uns gegenseitig supporten. Seit wir hier sind, hast du nichts anderes mehr getan, als zu trainieren.«

»Weil das unser Alltag ist.« Ich schüttle den Kopf.

»Natürlich! Aber du hast es übertrieben und tust es noch immer. Sieh dich doch mal um, es ist noch keiner da!« Sie deutet mit ihrer Hand auf unsere Umgebung. »Du bist als Einziger hier im Fitnessraum, machst eine Einheit vor deinem Training. Das ist einfach absolut überflüssig.«

»Ich muss den Kopf freikriegen, okay? Nicht jeder ist in einer supertollen Familie aufgewachsen, die einen unterstützt und immer da ist, wenn man mal fällt. Kapiert?« Ich balle die Hände zu Fäusten.

»Als ob dich deine Familie nicht unterstützen würde. Du bist doch ihr Liebling.« Sie lacht bitter auf. »Also jetzt verarschst du dich selbst.«

»Natürlich.« Ungläubig wende ich mich von ihr ab.

»Ich bin noch nicht fertig!« Sie greift nach meiner Schulter, will mich daran hindern, dass ich weggehe.

»Lass mich los.« Ich schüttle ihre Hand ab.

»Nein, ich möchte das jetzt mit dir zu Ende besprechen.«

Hastig drehe ich mich um, versuche, den Schmerz, den meine Fingernägel in meiner Handfläche hinterlassen, zu ignorieren. »Rose. Lass mich bitte einfach in Ruhe.«

»Ey, James! Wir kennen uns von klein auf! Du kannst mir doch jetzt nicht einfach den Rücken zukehren.« Die Verzweiflung ist ihr deutlich anzuhören, und ich bin kurz davor, einzuknicken. Etwas in meinem Inneren flammt auf. Es ist wie ein schlechtes Gewissen, das ich ihr gegenüber habe. Dabei ist das völliger Bullshit. Schließlich hat sie mich betrogen und nicht ich sie.

»Ja, wir kennen uns schon sehr lange«, sage ich ruhig, »deswegen hätte ich auch nie damit gerechnet, dass dir unsere Beziehung so wenig wert ist und du mich trotz der zweiten Chance, die ich dir nach dem Patzer mit Jordan gegeben habe, wieder betrügst.«

Die Worte schweben zwischen uns, dehnen sich aus, füllen den Raum mit ihrem Gewicht. Ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich muss hier dringend raus.

Ehe sie noch etwas erwidern kann, werfe ich das benutzte Handtuch in den dafür vorgesehenen Korb, entsorge den Pappbecher im Mülleimer und verlasse das Zimmer.

3

LEANDRA

Ich sitze im verglasten Anbau meiner Eltern, schaue hinaus in den Garten, der sich im Winterschlaf befindet, und lausche der Stimme, die aus den Lautsprechern meiner Kopfhörer tönt.

Seit dem Brand der Tanzhalle verschanze ich mich hier. Normalerweise wäre ich mit meinem Team an der EBU, um für die Meisterschaften zu trainieren. Da wir aber keine Trainingsstätte haben und noch vollkommen offen ist, ob sich das überhaupt je wieder ändern wird, habe ich mich verkrochen. Der Abstand zur EBU tut mir offen gesagt verdammt gut. Ich werde nicht ständig damit konfrontiert, dass mein Studium gefährdet ist, sondern komme auf andere Gedanken. Gemeinsam mit Mom und Dad tüftle ich an einem Design für die Speisekarte, die ab dem kommenden Monat in Dads neuem Restaurant zum Einsatz kommen soll.

Er ist nämlich gelernter Koch, betrieb einen Imbiss und konnte mit Moms Hilfe expandieren. Zum Leidwesen meiner Großeltern, die sich eine andere Zukunft für meine Mutter erhofft haben. Dass Mom und Dad heute Inhaber der erfolgreichsten und bekanntesten Restaurants in ganz England sind, juckt sie nicht. Warum auch? Mom ist schließlich nicht in ihr Immobilienunternehmen eingestiegen und hat sogar noch ihr Erbe verprasst, wie meine Großeltern auszudrücken pflegen.

Aus diesem Erbe ist aber Dads Traum entstanden. Allisters Bar & Grill.

Ich lenke meine Aufmerksamkeit wieder vom Garten auf meinen Laptop, der aufgeklappt auf meinem Schoß liegt. Auf dem Bildschirm prangt mir das Logo entgegen, das aus einem zur Hälfte abgebildeten, in eine Grillzange übergehenden Weinglas besteht. Außen herum ist kreisförmig der Name des Restaurants zu lesen.

Zum hundertsten Mal gehe ich die Speisekarte durch, kontrolliere, ob alles an Ort und Stelle ist, und bin einmal mehr dankbar, dass ich als Nebenfach Design gewählt habe. Auch, wenn mein Herz fürs Tanzen schlägt.

»Und? Wie sieht’s aus?« Dad betritt das Wohnzimmer, in der Hand hält er zwei Weingläser.

»Ist das mein Lieblingswein?«, frage ich ohne Umschweife, stoppe das Hörbuch und schiebe meine Kopfhörer hinunter, sodass sie wie ein Reisekissen in meinem Nacken liegen.

»Was denkst du denn?« Er wackelt mit den Augenbrauen, stellt die Getränke auf den Glastisch und lässt sich neben mich auf das Cordsofa sinken.

»Perfekt.« Ich gebe ihm den Laptop, damit er die Speisekarte durchschauen kann. In der Zwischenzeit greife ich nach meinem Wein und genieße den himmlischen, fruchtigen Duft, der mir in die Nase dringt.

»Wow, das Logo ist richtig gut geworden.« Dad schaut verblüfft zu mir. Seine schwarze Augenbraue schießt dabei in die Höhe, fast so hoch, dass sie mit seinem Haaransatz verschmelzen könnte. »Wann hast du das gelernt?«

»Im ersten Semester.« Ich lache. »Tatsächlich lernen wir neben dem Tanzen mehr, als ich dachte.« Als ich mich damals an der EBU beworben habe, bin ich ziemlich naiv an die Sache rangegangen. Ursprünglich bin ich davon ausgegangen, dass der Fokus auf dem reinen Tanzstudium liegt. Meinetwegen noch ergänzt um ein paar Einheiten zur Anatomie. Dass wir allerdings Module belegen können und, die nichts mit unserer Sportart zu tun haben, hätte ich niemals gedacht.

Dafür liebe ich es umso mehr, weil ich so einige versteckte Talente entdecke.

»Wahnsinn.« Dad scrollt begeistert durch das Programm, betrachtet jedes noch so kleine Detail, das ich in die Karte eingearbeitet habe. »Man könnte meinen, du machst den ganzen Tag nichts anderes.«

»Na ja.« Ich zucke mit den Achseln. »Wir hatten auch einen wirklich guten Dozenten. So gut, dass ich das Aufbauseminar, das er im kommenden Semester anbietet, wieder belegt habe«, erzähle ich ihm grinsend.

»Du hast schon recht.« Er nickt. »Tu unbedingt das, was du gern machst.« Zufrieden heben sich seine Mundwinkel.

»Danke, Dad.« Seine Worte freuen mich, doch gleichzeitig stimmen sie mich traurig. Schließlich habe ich keine Ahnung, wie es weitergehen wird.

»Oh nein«, sagt Dad plötzlich. »Ich glaube, ich habe etwas Falsches angeklickt!« Er runzelt die Stirn, schiebt mir schnell den Laptop wieder zu.

»Was denn?« Verwundert nehme ich ihm den Computer ab und sehe, dass er eine neu eingegangene E-Mail geöffnet hat.

Mein Herz setzt für einen Schlag aus.

Sie ist von der EBU.

Ich schlucke hart, als ich den Cursor bewege und die Mitteilung öffne. Mein Puls schießt in die Höhe, das Blut höre ich in den Ohren rauschen.

Brandursache Tanzhalle und weiteres Vorgehen

»Leandra?«

»Du hast eine Nachricht von der EBU geöffnet«, beruhige ich ihn. »Ich … möchte sie nur kurz lesen, weil es um die Tanzhalle geht.« Mit einem Mal fühlt sich alles viel zu schwer an. Meine Arme, meine Beine, mein ganzer Körper. Meine Gedanken hingegen flitzen durch meinen Kopf, drehen sich wie in einem Tornado, während die Angst nach meinem Brustkorb greift.

Ich öffne die Mail, und meine Augen heften sich an den Text.

Liebe Studierende,

nach dem Brand am 30.12.2022 haben wir leider keine guten Nachrichten.

Zum Stand der Ermittlungen:

Aktuell ist unklar, ob es sich um eine vorsätzliche Brandstiftung handelt. Diesbezüglich warten wir auf eine offizielle Mitteilung seitens der Polizei.

Zum Trainingsbetrieb in den Hallen:

Leider hat der Brand einen enormen Schaden hinterlassen. Rund ein Drittel der Halle wurde zerstört, und ein Zutritt ist im Moment nicht möglich. Somit kann auch kein Trainingsbetrieb gewährleistet werden. Wann dieser wieder aufgenommen werden kann, steht noch nicht fest.

Alle Studierenden, die zum Team der Dancing Souls gehören, können ihr Studium unverändert fortsetzen. Wie das Training ab dem kommenden Semester aussehen wird, werden wir Ihnen noch mitteilen. Wir freuen uns sehr, Sie im folgenden Semester wieder an der Edgar-Brighton-University begrüßen zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Verwaltungsteam

Der Kloß in meinem Hals wird mit jedem Wort, das ich lese, größer. Mit jedem Satz bohrt sich die Verzweiflung tiefer in meine Magengrube. Wie ein Parasit, der sich festbeißt.

»Leandra?« Dad stupst mich in die Schulter. »Was ist los?«

»Ich … ich kann nicht weitertanzen.« In meinem Kopf sammeln sich die Überlegungen. Alle Planungen, die wir als Team hatten, liegen auf Eis. »Wir können uns die Landesmeisterschaften in die Haare schmieren.« Scheiße, wie soll ich nur meinem Team klarmachen, dass wir vielleicht nicht antreten können?

»Wie, du kannst nicht weitertanzen?« Er runzelt die Stirn, und ich drehe ihm den Bildschirm so hin, dass er die Mail lesen kann.

»Aber … das können sie doch nicht machen!« Ich raufe mir die Haare. »Das … das geht doch nicht!«

»Was ist los?« Quentin streckt seinen Kopf zur Tür herein. In der Hand hält er seine Laufschuhe. »Habe ich etwas verpasst?«

»Die EBU.« Ich springe auf. »Sie … sie können uns keinen Trainingsort mehr anbieten.«

»Wie, sie können euch keinen Trainingsort anbieten?«, wiederholt er meine Worte fragend. Dann holt er sein Handy aus seiner Sporthose, das einen Piepton von sich gibt. Er tippt mit seinem Finger auf den Bildschirm, während ich in eine Art Starre verfalle. »Oh«, macht er nur, dann hebt er den Kopf. In seinen hellbraunen Augen erkenne ich Mitgefühl. »Du kannst weiterhin dort studieren.« Ich weiß, dass er mir gut zureden will. Dass er mir sagen möchte, dass doch alles in Ordnung ist, solange ich nicht ohne Studienplatz dastehe. Schließlich legen wir jeden Monat eine Menge Geld dafür hin.

Aber nichts ist gut.

Gar nichts.

Fuck.

Ich verberge mein Gesicht in meinen Händen. »Das kann nicht wahr sein«, murmle ich. »Das kann einfach nicht wahr sein.«

»Hey Lea«, wispert Quentin. Er berührt mich an der Schulter, drückt sie sanft. »Es ist alles gut.«

»Nein, Quentin, nichts ist gut.« Ich nehme meine Hände runter, schaue ihn an. »Das Tanzen ist mein Leben. Wie soll ich an der EBU studieren, wenn ich meinen sportlichen Schwerpunkt verliere?« Die Gefühle tosen durch mich hindurch, finden keinen Halt. Sie wirbeln herum wie kleine Blätter, die vom Wind angepustet werden.

»Wer sagt denn, dass du ihn verlierst?« Dad hat sich mittlerweile ebenfalls erhoben. »Sie können nur im Moment keinen Trainingsbetrieb gewährleisten. Sobald sicher ist, ob es Brandstiftung war oder nicht, wird eine Versicherung einspringen und das Gebäude renovieren.«

»Ganz genau«, pflichtet ihm Quentin bei. »Sie müssen abwarten, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind.«

»Ihr versteht mich nicht«, murmle ich.

»Doch«, versichert mir Quentin. »Natürlich verstehen wir dich.«

»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Hier geht es um weit mehr als die Tatsache, dass wir keinen Trainingsort haben. Es geht darum, dass in drei Monaten die fucking Landesmeisterschaften anstehen und wir uns zum ersten Mal dafür qualifiziert haben. Unsere Trainingsklamotten sind verbrannt, das Material, das wir für die Aufführung brauchen, ebenfalls. Es ist alles neu gewesen, wir haben keinen Ersatz und unsere Sportart gibt es erst seit diesem Studienjahr an der EBU. Wir sind so was wie ein Pilotprojekt. Wenn wir also nicht teilnehmen, wette ich, dass Mr Brighton Senior den Schwerpunkt einstampfen wird!« Die Verzweiflung schwingt in jedem meiner ausgesprochenen Worte mit.

»Leandra.« Dad schaut mich eindringlich an.

»Nein, Dad.« Meine Stimme klingt gequält. Die Nachricht hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Tatsache, dass Dad und Quentin das Ausmaß der Situation nicht begreifen, macht es mir noch schwerer. »Ich bin Kapitänin der Mannschaft. Seit diesem Semester habe ich das Zepter in der Hand und muss meinem Team jetzt klarmachen, dass wir halt einfach nicht weitertrainieren können? Dass unsere ganzen Bemühungen bisher umsonst waren?«

Quentin schüttelt den Kopf. Dabei fallen ihm seine rotbraunen Locken in die Stirn, und er streicht sie mit einer Hand zurück. Irgendwas an seiner Reaktion ärgert mich tierisch, und ich muss mich echt beherrschen, nicht auszuflippen. Schließlich können weder Quentin noch mein Dad was dafür.

»Warum schüttelst du den Kopf?« Durch zusammengekniffene Augen sehe ich meinen älteren Bruder an. »Stell dir doch mal vor, die Brighton Steelers könnten nicht mehr trainieren! Oder keine Matches mehr austragen!«

»Lea, du bist Kapitänin.« Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Wenn du dich hier in Rage redest, führt das zu nichts. Dad und ich können in diesem Fall nichts bewirken.« Er seufzt. »Wo ist dein Kampfgeist?«

Ja, genau, wo ist bloß mein Kampfgeist? Hat sich wahrscheinlich in Luft aufgelöst, als ich festgestellt habe, dass es im Augenblick ziemlich ausweglos ist.