Daring Rejection - Christine Troy - E-Book

Daring Rejection E-Book

Christine Troy

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Beschreibung

Eine aufregende Liebesgeschichte mit Herz, Witz und jeder Menge Spannung. Als Heather herausfindet, dass ihr langjähriger Freund Ed sie betrügt, verlässt sie ihn und findet Unterschlupf bei ihrer Arbeitskollegin Ella. Während sie versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, treibt Ellas Entscheidung, ihm keine zweite Chance zu geben, Ed in den Wahnsinn. Rasch zeigt sich, dass dieser Mann zwei Gesichter und mehr Leichen im Keller hat, als die beiden Frauen sich vorstellen können. Keine von ihnen ahnt, in welcher Gefahr sie sich befinden … Hinweis: Neuauflage! Dieser Roman wurde bereits unter dem Titel "Hard Change" veröffentlicht. Der Roman ist in sich abgeschlossen.

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Christine Troy

Daring Rejection

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Darling Rejection

Inhaltsverzeichnis

Kurzbeschreibung

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Heather

Ella

Epilog – Heather

Danksagung

Die Autorin

 

 

Kurzbeschreibung

Kurzbeschreibung

 

 

Als Heather herausfindet, dass ihr langjähriger Freund Ed sie betrügt, verlässt sie ihn und findet Unterschlupf bei ihrer Arbeitskollegin Ella. Während sie versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, macht Ed ihre Entscheidung, ihm keine zweite Chance zu geben, verrückt. Rasch zeigt sich, dass dieser Mann zwei Gesichter und mehr Leichen im Keller hat, als die beiden Frauen sich vorstellen können. Keine von ihnen ahnt, in welcher Gefahr sie sich befinden …

Eine aufregende Liebesgeschichte mit Herz, Witz und jeder Menge Spannung.

 

Ella

Ella

 

»Du packst das, Ella, nur noch eine Stunde«, ermutige ich mich, während ich mein Gesicht im goldumrahmten Spiegel betrachte. Der Ausdruck in meinen nachtblauen Augen ist nicht zu übersehen. Ich bin genervt wie immer, wenn ich gezwungen werde, auf eine Firmenfeier von Beans & More zu gehen. Wenn meine Mutter wüsste, wie übel ich deswegen schon wieder drauf bin, würde sie mir vermutlich die nächste Stunde die Ohren vollquatschen darüber, wie wichtig diese Firma für uns ist und wie schwer sie es damals hatte …

Damals, das ist jetzt ziemlich genau einundzwanzig Jahre her. Mom und Dad lebten zu jener Zeit in ärmlichen Verhältnissen und hatten gerade so genug, um über die Runden zu kommen. Dad arbeitete in einer Großbäckerei und Mom kellnerte. Bis sie mit mir schwanger wurde. Dann bestand mein Vater darauf, dass sie ihren Job an den Nagel hängte. Er fand es schlecht für das Baby, wenn sie sich stundenlang die Hacken ablief oder die Beine in den Bauch stand. Mit Moms Kündigung verschärften sich ihre Geldsorgen. Es blieb kaum genug für die wichtigsten Lebensmittel. An teure Extravaganzen wie Obst oder Gemüse war nicht zu denken. Weil es meiner Mutter aber wichtig war, dass ihr Baby mit allen Vitaminen, die es zum Wachsen braucht, versorgt war, kaufte sie günstige Samenkörnen und legte in Eimern auf dem Dach ihres Wohnblocks einen kleinen Garten an. Mit Liebe gehegt und gepflegt, wuchs die Saat rasch und versorgte meine Eltern über den ganzen Sommer mit Bohnen, Tomaten, Paprika und Erdbeeren. Weil Moms Garten prächtig gedieh, verkaufte sie einen Teil der Ernte an Freundinnen und Bekannte. Die Erstklassigkeit der Ware sprach sich rasch herum, und so fungierte schon bald nicht nur das Hausdach, sondern auch die Wohnung als Setzlingsaufzucht. Als ihr Kundenstamm schließlich für sie alleine nicht mehr zu stemmen war, kündigte mein Vater und unterstützte sie.

Eineinhalb Jahre später hatten es die beiden dann geschafft, waren stolze Besitzer des Obst- und Gemüsegroßhandels Beans & More.

Seither kümmern sie sich mit Leib und Seele um ihre Firma. Sie und alle anderen unserer Verwandten, die, heiß darauf, am Erfolg meiner Eltern teilzuhaben, im Lager, der Buchhaltung, dem Außenhandel oder der hauseigenen Gärtnerei von Beans & More arbeiten. Tja, und ich bin der Quertreiber, die Einzige, die nicht in der Firma mithilft und auch nichts vom Höher-schneller-weiter-Motto hält. Das liegt vermutlich daran, dass ich bei meiner Großmutter aufgewachsen bin.

Granny bedeuten die alten Werte viel. Sie findet, dass eine Frau bei den Kindern zu Hause bleiben und Eltern Zeit für ihren Nachwuchs und die Erziehung aufbringen sollten. Familienzusammenhalt ist das Wichtigste, meint Granny. Meine Eltern sehen das ähnlich, mit dem Unterschied, dass die Familie bei ihnen an zweiter Stelle steht, gleich nach der Firma. Zusammenhalt ist ihnen wichtig, keine Frage, aber die Firma ist nun mal auch ihr Baby. Und dieses Baby gilt es mit der aufopfernden Hingabe einer Matriarchin zu stillen.

Meine Kindheit war in zwei Extreme gespalten. Auf der einen Seite war da Granny, bei der ich unter der Woche lebte und die mich Demut, Anstand und andere wichtige Werte lehrte. Auf der anderen Seite waren Mom und Dad, bei denen ich die Wochenenden verbrachte. Sie verwöhnten mich maßlos, kauften mir jeden Plunder und all die Süßigkeiten, nach denen ich verlangte. Ich glaube, dass sie das schlechte Gewissen plagte, weil sie so wenig Zeit für mich hatten. Von meinen Eltern lernte ich eigentlich bloß eine Sache: Arbeite hart, arbeite viel und du wirst ein wohlhabendes Leben führen. Faulheit ist was für Dumme und heißt, dass man keine Stufe auf der Erfolgsleiter erklimmen wird.

Weil meine Eltern viele Jahre in Armut gelebt haben, schätzen sie Geld bis heute. Sie horten es wie Eichhörnchen ihre Nüsse. Manchmal glaube ich, dass sie tief in ihren Herzen Angst davor haben, noch einmal in die Mittellosigkeit abzurutschen. Es muss schwer für sie gewesen sein. Wenn die beiden von früher erzählen, meine ich, den Kummer von damals in ihren Augen lesen zu können. Wofür sie mir schrecklich leidtun. Ich weiß, dass sie das Herz am rechten Fleck haben und alles für mich, ihr einziges Kind, geben würden. Dennoch, die Jagd nach dem Geld hat ihr Wesen verändert.

»Okay, ich bin gleich so weit«, ertönt hinter mir Tessas Stimme. Sie ist die neue Flamme von Daniel, meinem Cousin väterlicherseits. Tessa arbeitet seit einer Woche in der Buchhaltung von Beans & More und ist schrecklich aufgeregt, weil sie bei der Firmenfeier dabei sein darf – die gibt es bei Beans & More übrigens wegen jeder Kleinigkeit. Der heutige Anlass ist eine Gebietserweiterung. Onkel Hank hat gute Arbeit geleistet und die Exklusivrechte einer kanadischen Handelskette an Land gezogen.

Ich will mich eben umwenden, als die ein Meter fünfzig große Frau neben mir ans Waschbecken tritt und sich die Hände wäscht. Sie passt wie die Faust aufs Auge zu Daniel. Mit ihrem schwarzen Pagenschnitt und der olivfarbenen Haut ist sie das perfekte Gegenstück zum rotblonden und sommersprossigen Daniel.

Der Lufttrockner verschluckt den größten Teil ihres »Okay, wir können«. Und auch das Seufzen, das mir angesichts des gähnend langweiligen Abends, der mir bevorsteht, entfährt. Tessa hingegen kann es kaum erwarten. Mit einem Oh-wie-aufregend-Lächeln greift sie nach dem Türknauf, und wir gehen zurück in den firmeneigenen Festsaal.

Hier ist alles feierlich mit Blumen, Ballons und Kerzen geschmückt. Vor der Bühne am Ende des Saals sind etwa 30 runde Tische mit je sechs Stühlen darum aufgebaut. Die Gäste haben sich alle herausgeputzt, als wäre das hier die Oscarverleihung und nicht eine simple Firmenfeier. Mit meinem sandfarbenen Abendkleid, das mir Mom letzte Woche gekauft hat, passe ich gut dazu. Wohl fühle ich mich trotzdem nicht. Ich bin keine Schickimicki-Braut, sondern vielmehr der Jeans-und-Chucks-Typ. Für elegante Designerteile habe ich wenig übrig. Zum Ärger meiner Mutter, wie sie mir stets deutlich zu verstehen gibt.

Als Tessa und ich uns wieder auf unsere Plätze zu Daniel und seinen Zwillingsschwestern, den Wasserstoffblondinen Madison und Morgan setzen, hebt Dad oben auf der Bühne zu seiner Rede an. Das brünette, von grauen Strähnen durchzogene Haar zum Seitenscheitel gekämmt und in einen nachtschwarzen Anzug gekleidet, bedankt er sich für die großartige Leistung von Onkel Hank und seinem Team. Im Anschluss folgt für die Neulinge die Erfolgsgeschichte von Beans & More, welche er wie üblich voller Enthusiasmus zum Besten gibt. Ich lasse den Blick über die Zuschauer wandern und erkenne bei manchem Ehrfurcht. Ja, Reden hat mein Vater drauf – so viel steht fest. Er ermutigt sein Team aus herausragenden Fachkräften, wie er sie nennt, weiterhin so Gas zu geben, und meint, dass die Firma nur dank der Unterstützung jedes Einzelnen von ihnen so florieren konnte.

Für seine Worte erntet er tosenden Applaus. Dann tritt Mom in ihrem blütenweißen Versace-Kleid und dem hochgesteckten blonden Haar an das Mikro. Mit einem strahlenden Lächeln bedankt sie sich ihrerseits für all die fleißigen Bienchen in ihrem Stock und bittet Mr. Hunting vom London Catering, das Dinner zu eröffnen.

Endlich. Darauf habe ich gewartet!

Mein Magen knurrt schon seit einer Ewigkeit. Das letzte Mal hatte ich zum Frühstück etwas. Der Lunch fiel aus, weil ich mit Granny einkaufen musste, und danach drängte Mom mit dem Frisör. Lange Rede, kurzer Sinn, die Schüssel Cornflakes heute Morgen war alles, was mein Magen bekommen hat, und jetzt ist es gleich acht Uhr am Abend.

Einer Fliegenschar gleich surren die Kellner heran. Jeder Tisch hat seinen oder seine eigene, und alle sind sie voll beladen mit Suppentellern. Wir werden von einer dunkelhäutigen Dame in meinem Alter bedient. Der erste Gang ist eine Karottenschaumsuppe mit einer Serranoschinken-Blätterteig-Rolle. Die Servicekraft hat den Teller kaum vor mir abgestellt, da schnappe ich ihn mir auch schon. An Cousine Morgans gerümpfter Stupsnase erkenne ich, dass ich die Suppe für ihren Geschmack entschieden zu schnell in mich hinein löffle. Das ist mir aber schnurzegal. Ich bin am Verhungern!

Um von meinem unmöglichen Benehmen abzulenken, verwickelt Morgan die restliche Truppe am Tisch in ein belangloses Gespräch über das Wetter – wobei sie versucht, so viele Fremdwörter wie möglich zu verwenden. Bei ihrem Etepetete-Gehabe könnte mir die Suppe regelrecht wieder hochkommen. Ich hasse die arrogante Art der Zwillinge. Als Kinder waren die beiden offen und nett und ich mochte sie, ehrlich. Doch seit sie in die Firma eingestiegen sind und die Buchhaltung leiten, sind die zwei unausstehlich. Sie halten sich für die Wichtigsten und ihrem Benehmen nach seit Neuestem für Adlige oder zumindest für was Besseres. Normalerweise würde ich jetzt einen Witz über ihre verbohrte Art reißen, aber mir ist nicht danach. Ich will einfach nur dieses brennende Gurgeln in meinem Magen stoppen.

Der zweite Gang ist eine Kalbsterrine mit Preiselbeeren. Das ist zwar nicht nach meinem Geschmack, aber in der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen. Als uns der dritte Gang, ein Rucolasalat an Safrandressing, serviert wird, hat unsere Bedienung Verstärkung in Form eines etwa ein Meter achtzig großen Kellners. Der Typ sieht unverschämt gut aus mit seinen schwarzen Locken, der braun gebrannten Haut und diesem warmen Blick. Er muss gut gebaut sein, denn sein weißes Hemd spannt sich um seine Oberarme. Ich schätze ihn auf fünfundzwanzig, vielleicht ist er auch älter. Das ist schwer zu sagen, weil er seinen Blick auf die Teller gesenkt hält. Als er und seine Kollegin unseren Tisch verlassen, höre ich die Zwillinge über ihn tuscheln. Viel verstehe ich nicht, nur ein »heißer Hintern« und »diese Locken« schaffen es zu mir herüber. Ich grinse. Die beiden mögen ja zu unausstehlichen Besserwisserinnen mutiert sein, aber ihren guten Geschmack, was das andere Geschlecht betrifft, haben sie nicht verloren. Madison, unsere Männerfresserin, wirft sich das blondierte Haar über die Schulter und entschuldigt sich. Mit offenem Mund sehe ich ihr dabei zu, wie sie dem Kellner hinterhergeht und ihn in ein Gespräch verwickelt.

»Dieses Luder!«, schimpft Morgan, steht auf und stöckelt zu den beiden hinüber. Madison hat inzwischen ihre manikürte Hand auf den Oberarm des Kellners gelegt und lacht gekünstelt. Als Morgan zu ihnen stößt, sieht sich der Kellner gestresst nach seinen Arbeitskollegen um. Er kann einem richtig leidtun, denke ich. Und als ihn die Zwillinge von beiden Seiten in Beschlag nehmen und mit irgendwelchen, wie ich vermute, saudummen Fragen löchern, schäme ich mich für sie. Ich schüttele den Kopf und wende mich meinem Salat zu. Wie kann man nur so aufdringlich sein? Und da stören sich die beiden an einer banalen Taktlosigkeit, wie die Suppe zu schnell zu essen. Na ja, ist ihre Sache, denke ich und widme mich wieder meinem Salat.

»Dir ist klar, dass auf diesem Hintern mein Name steht, oder?«, höre ich die piepsende Stimme von Morgan, die, gefolgt von ihrer Schwester, zu uns zurückkommt.

»Träum weiter, Süße, der gehört mir. Oder hast du etwa nicht gesehen, wie deutlich sein Blick war?«

»Bitte, bei dem Ausschnitt ist das keine Kunst!«

»Tja, wer hat, der hat«, triumphiert Madison und lässt sich an der Seite ihrer Schwester auf ihrem Platz nieder. Ich muss mir auf die Lippe beißen, um mir ein Glucksen zu verkneifen. Madison und Morgan schaffen es beide kaum auf ein volles A-Körbchen. Nicht, dass ich mit meinem B-Körbchen weiß Gott wie viel mehr hätte, aber ich stelle die Dinger nicht ständig zur Schau. Im Gegensatz zum tief ausgeschnittenen und hautengen Männerverrücktmacher in Purpurrot, den die beiden tragen, ist mein sandfarbenes Abendkleid geradezu bieder.

»Weißt du was, möge die Bessere gewinnen«, schlägt Morgan herablassend vor, die schmalen Lippen kräuselnd.

»Einverstanden, aber sei ja nicht beleidigt, wenn er sich für mich entscheidet.« Die Zwillinge schütteln die Hände, und ich reiße mich zusammen, um nicht laut aufzustöhnen. Man könnte echt meinen, dass sie mit fünfzehn hängen geblieben sind. Vor lauter Wetteifern rühren die beiden ihren Salat gar nicht an. Schade drum.

Der nächste Gang, gebratene Vongoli mit Kaviar-Tagliatelle, wird serviert. Zu Madison und Morgans Freude vom heißen Kellner.

»Das sieht ja großartig aus, vielen Dank!« Wimpernklimpernd nimmt Madison ihren Teller entgegen und streift dabei bewusst über die Hand des Typen. Ich rechne bereits mit einem »Na, dann lass es dir schmecken« oder wenigstens einem fetten Grinsen, doch der Kellner gibt keine Regung von sich, sondern kümmert sich um den restlichen Tisch. Als wir alle unser Essen haben, zieht er sich mit einem »Guten Appetit« zurück.

»Na toll, jetzt hast du ihn verschreckt«, mault Morgan und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Was denn, woher soll ich denn wissen, dass er schüchtern ist?«

»Bitte, das hatte ja wohl ganz klar nichts mit Schüchternheit zu tun. Der Typ ist einfach nicht an dir interessiert.«

Weil ich das Gezanke der beiden Hohlbirnen nicht länger ertrage, widme ich mich meinem Essen. Oje, ich hasse alles, was mit Fisch zu tun hat. Ganz besonders aber Kaviar. Ich schiebe die Muscheln zur Seite und versuche, den Kaviar von den Nudeln zu pulen, was sich als eine ebenso klebrige wie eklige Angelegenheit entpuppt. Als ich endlich ein paar Tagliatelle befreit habe und sie mir in den Mund schiebe, habe ich Mühe, den Würgereflex zu unterdrücken und das Zeug runterzuschlucken. Hätte ich mir aber auch denken können, dass die Nudeln trotzdem nach Fisch schmecken. Ein tüchtiger Schluck Wein spült das Fischaroma aus meinem Mund. Gott sei Dank, ich dachte schon, ich müsste mir den ekligen Geschmack mithilfe der Serviette von der Zunge rubbeln.

Weil die Zwillinge noch immer in ihre Wette vertieft sind, wende ich mich Daniel zu. »Also«, sage ich, »wie läuft die Aufzucht?« Daniel leitet die Setzlingsaufzucht in der hauseigenen Gärtnerei. Ich erinnere mich, dass er bereits als Kind einen grünen Daumen hatte.

»Ich kann nicht klagen. Wir züchten gerade eine neue Sorte Cocktailtomaten. Sie sollen deutlich größer als die ursprünglichen werden, trotzdem aber ihren kräftigen Geschmack beibehalten.«

»Klingt spannend«, lüge ich. In Wirklichkeit kann ich das ganze »Tomaten-, Erbsen-, Erdbeeren- und was weiß ich noch alles«-Thema nicht mehr hören. Es ist zum Kotzen. Egal, mit wem ich aus der Familie rede, es gibt immer nur ein Thema: die Firma. Weil ich weiß, dass ich jetzt gleich eine Informationslitanei über Düngemittel, Temperaturschwankungen, den idealen Wasserhärtegrad und dergleichen über mich ergehen lassen muss, seufze ich innerlich und bereite mich auf eine Reihe »Aha«, »Interessant«, »Nein, wirklich?« oder »Wie toll!« meinerseits vor. Doch Daniel überrascht mich, indem er mich nach der Kindertagesstätte fragt, in der ich arbeite. Ich glaube bereits, mich verhört zu haben, als Tessa ihre Hände um seinen Oberarm schlingt und sich auf meine Antwort wartend an ihn schmiegt. Insgeheim frage ich mich, ob die zwei so über beide Ohren verliebt sind, dass sie jetzt schon, nach kaum drei Monaten, an Nachwuchs denken.

»Das Alip Day Care Center ist toll«, erkläre ich. »Meine Kollegin Heather und ich sind für die Drei-bis-vierJährigen zuständig. Die sind echt zum Fressen süß, sag ich dir.« Ja, ich liebe meinen Job im Care Center. Mit Kindern konnte ich immer schon gut umgehen, und Basteln und Malen liegen mir in etwa so im Blut wie meiner Mutter das Gärtnern.

»Das glaube ich«, seufzt Tessa und erklärt: »Meine Freundin Gabriela hat eine kleine Tochter. Sie ist eben zwei geworden und zum Knuddeln. Allein, wie süß sie das R rollt.«

Tessas Wangen leuchten, als sie von der quirligen Kleinen erzählt und gesteht, dass sie Kinder über alles liebt. Daniel betrachtet sie die ganze Zeit über wie ein verliebter Schuljunge. Schön, die beiden scheinen sich tatsächlich gefunden zu haben. Irgendwie bin ich davon überzeugt, dass sie sich demnächst eine eigene Wohnung zulegen und mit der Nachwuchsplanung starten werden.

Als der heiße Kellner geschätzte zehn Minuten später am Tisch erscheint, um die Teller abzuräumen, plappert Tessa immer noch fröhlich vor sich hin. Inzwischen weiß ich, dass es in ihrer Familie viele Zwillingsgeburten gab, die Frauen praktisch schon vom Anschauen schwanger werden und hingebungsvolle Mütter sind. Diese Attribute scheinen Daniel zu gefallen, denn sein Grinsen wird breiter und breiter.

»Also, ich finde es ja eine hirnrissige Idee, die Karriere zu beenden, bevor sie richtig begonnen hat«, mischt sich Morgen in unser Gespräch ein, während der Keller nach ihrem Teller greift. Was soll das? Will sie ihm imponieren, indem sie sich über Tessa lustig macht?

»Karriere hat auch bei mir einen hohen Stellenwert«, erklärt Tessa, »aber Familie ist wichtiger. Was bringt mir ein fettes Gehaltskonto, wenn ich dafür einsam bin? Aber hey«, sagt sie, in den Augen einen Du-legst-dich-besser-nicht-mit-mir-an-Ausdruck. »Jeder muss für sich selbst wissen, was oder wem im Leben er sich verschreibt.«

Damit hat unser Blondinchen nicht gerechnet, daher gibt sie nur ein verlegenes »Wie du meinst« zurück. Tessas Konter lastet schwer auf unserer Tischgesellschaft, und so sehen wir schweigend dem Kellner zu, wie er den Tisch umrundet und nach Daniels und meinem Gedeck greift.

Als er meinen praktisch unberührten Teller nimmt, hält er inne und sieht mich an. »Hat es Ihnen nicht geschmeckt?«, fragt er geradeheraus, seine warmen mahagonibraunen Augen auf mich gerichtet.

»Nein, es ist nur … Ich mag keinen Fisch und auch sonst nichts, was geschmacklich in die Richtung geht. Sorry.« Keine Ahnung, warum ich mich bei ihm entschuldige, vermutlich, weil mich seine Nähe so nervös macht und sein Aftershave mir den Kopf vernebelt. Vielleicht sind es aber auch die Zwillinge, die mich mit hochgeschobenen Brauen und verschränkten Armen anglotzen.

Ja, das wird es sein – Dumm und Dümmer, die in ihrer grenzenlosen Arroganz meinen, über mich richten zu dürfen. Das nervt und bringt mich aus dem Konzept.

»Dir ist aber schon klar, dass das Beluga-Kaviar ist, oder?«, lässt sich Madison herab, mich zu informieren.

»Mir egal, was das für ein Kaviar ist, ich mag ihn nicht.«

Madison wirft theatralisch die Hände in die Luft. »Dir ist echt nicht zu helfen!«

»Na ja, wenn es dich um den guten Kaviar so reut, dann darfst du ihn natürlich gerne haben«, sage ich ruhig und lasse dabei bewusst meinen Blick an ihr abwärts wandern. Ich weiß, was sie – zumindest in ihren Augen – für ein Problem mit ihrer Figur hat. Sie versteht die Geste und läuft wie auf Kommando rot an.

»Ich bin satt, danke!«, kläfft sie.

»Okay, wie sieht’s bei dir aus?« Ich lasse meinen Blick zu Madison wandern, die mit verkniffenen Lippen abwinkt. Innerlich gluckse ich. Das haben die zwei Zicken verdient!

»Tja, in dem Fall …« Lächelnd wende ich mich dem heißen Kellner zu. »… möchte die Portion niemand.« Sein schiefes Grinsen jagt mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Wow, der ist aber auch wirklich zu süß! Er nickt, nimmt meinen Teller und macht sich auf den Weg in die Küche.

Versonnen sehe ich ihm nach. Wie vielen Frauen er wohl schon den Kopf verdreht hat? Bestimmt so einigen. Bevor jemandem mein Schmachten auffallen kann, wende ich mich Daniel zu, um ihm, aber in erster Linie Tessa, von ihrer Idee eines Wochenendkurzurlaubs zu lauschen.

Der restliche Abend verläuft ruhig, weil die Zwillings-Beißzangen beleidigt sind und sich nur noch unter vier Augen unterhalten. Das Dessert wird serviert und ich stelle zu meiner Bestürzung fest, dass mich die Nähe des Kellners schrecklich hibbelig macht. Wenn das die Blondinen mitkriegen, bin ich geliefert. Ich traue ihnen zu, dass sie den Typ direkt auf mein Schmachten ansprechen oder – noch schlimmer – Kussgeräusche in meine Richtung machen. O Gott, nein, darauf kann ich verzichten! Also versuche ich, die braun gebrannte Versuchung weitgehend zu ignorieren und mich ganz der Unterhaltung mit Daniel und Tessa zu widmen.

Als ich mich um halb zwei Uhr morgens verabschiede, habe ich das Gefühl, dass meine Lider auf Halbmast hängen. Neben ein paar Angestellten gehöre ich zu den Ersten, die gehen. Das ist auch so eine Sache bei meiner Familie: Sie sind hart gesottene Partymenschen. Sogar Onkel Tom, der die siebzig schon vor Jahren hinter sich gelassen hat, ist noch in Feierlaune, während mir die Augen gleich zufallen.

Mom und Dad nehmen mich zum Abschied in den Arm und bitten mich, zum vermutlich fünftausendsten Mal, meinen Kinderbetreuungsjob an den Nagel zu hängen und wie der Rest der Familie für Beans & More zu arbeiten. Wie die fünftausend Mal zuvor schlage ich auch heute wieder aus, mit der Versicherung, dass ich toll finde, was sie machen, aber das tun möchte, was mir guttut. Und das ist nun mal die Kinderbetreuung.

Nach dem typischen und schier ewig dauernden Verabschiedungsgeplänkel mit den restlichen Verwandten schaffe ich es endlich, wegzukommen. Und so falle ich um Viertel vor drei todmüde in mein Bett.

Der Piepton meines Weckers schrillt mich aus dem Schlaf. Obwohl ich nichts Alkoholisches getrunken habe, brummt mein Kopf wie nach einer durchzechten Nacht. Wer um alles in der Welt ist nur auf die hirnrissige Idee gekommen, Firmenfeten unter der Woche steigen zu lassen? Wer es auch war, ihm oder ihr gehört eine Tracht Prügel für so viel Dummheit.

Wie ferngesteuert suche ich meine Klamotten zusammen und gehe duschen. Das warme Wasser tut mir gut, weckt die müden Knochen und hebt meine Laune.

Als ich nach unten in die Küche komme, steht Granny bereits in ihrem rosa Plüschmorgenmantel am Herd und brät Spiegeleier.

»Guten Morgen, Ella.« Ihr Lächeln wärmt mir das Herz und lässt das letzte Körnchen Missmut in mir zu Staub zerfallen.

»Morgen, Granny.« Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange und setze mich an den Tisch, wo bereits meine dampfende Tasse Kaffee steht. Granny kümmert sich noch immer so fürsorglich um mich, als wäre ich ein kleines Mädchen und nicht die einundzwanzigjährige Frau, die ich eigentlich bin. Das ist mir zwar nicht recht, aber ich weiß, dass sie es von Herzen macht und ihr etwas fehlen würde, wenn ich ihre Fürsorge ablehnen würde.

Vor einiger Zeit habe ich beschlossen, an den Wochenenden für uns zu kochen, um Granny zu entlasten. Da ich weiß, dass sie die mediterrane Küche liebt, habe ich extra an einem Italienisch-kochen-Kurs teilgenommen. Zu meiner Freude schmeckten ihr meine Speisen. Trotzdem schien es ihr keine Ruhe zu lassen, dass ich in ihrem Reich werkelte. Und so räumte sie ständig hinter mir her oder verfeinerte die Speisen mit einer Prise Salz oder Kräutern. Irgendwann gab ich auf und überließ ihr wieder das Regime. Ich habe verstanden und mittlerweile auch akzeptiert, dass es ihr guttut und sie es braucht, sich um jemanden kümmern zu können. Früher waren das Grandpa und ich, doch seit seinem Tod vor fünf Jahren steckt sie alle Liebe und Fürsorge in mich.

»Ist gestern ziemlich spät geworden, was?«, bemerkt Granny, als sie einen liebevoll angerichteten Teller mit Spiegelei, geröstetem Speck und einer Scheibe Vollkorntoast vor mir abstellt.

»Ja, du kennst ja Dad, er hat es mal wieder ordentlich krachen lassen.«

»Also ich könnte das nicht, ich brauche meinen Schönheitsschlaf.« Sie tupft sich gespielt das graue, zum Dutt gebundene Haar in Form und grinst. Ja, Granny wäre bei Dads Feiern wirklich nicht gut aufgehoben. Ihre innere Uhr springt Punkt 22 Uhr auf Schlafmodus. Dann ist mit ihr nichts mehr anzufangen, und spätestens um 22:30 Uhr ist sie so müde, dass sie es schafft, im Sitzen einzuschlafen.

»Gegen eine Runde Schönheitsschlaf hätte ich jetzt auch nichts einzuwenden«, sage ich versonnen und gähne.

»Du Arme musst den ganzen Tag arbeiten, oder?«

»Ja, und heute ist Freitag, das bedeutet Spielplatzzeit.« Das kann was werden, 25 Drei- und Vierjährige, die in alle Himmelsrichtungen davonrauschen und nur Flausen im Kopf haben. Ich nehme einen großen Schluck Kaffee. So ein Koffeinschub ist genau das, was ich jetzt brauche. Kurzerhand beschließe ich, mir von der Tankstelle noch einen Energydrink zu holen, weil ich befürchte, dass ich spätestes um die Mittagszeit meinen Müdigkeitstiefpunkt erreichen werde.

Um halb sieben komme ich am Care Center an. Es ist ein herrlicher Spätsommertag. Die erwachende Sonne taucht den Parkplatz und die dahinterliegenden Gebäude in sanftes Licht. Eingepfercht zwischen Marry’s Bakery und dem City Gym, wirkt das Care Center mit den blau umrahmten Fenstern, der grünen Front, dem in Rot gehaltenen Flachdach und dem bunten »Alip Day Care Center«-Schriftzug wie ein regenbogenfarbener Bauklotz.

Ich bin die Erste, und als ich die butterblumengelbe Flügeltür aufsperre, umfängt mich sogleich ein vertrauter Seifenduft. Inzwischen arbeite ich seit drei Jahren hier, also seit meinem achtzehnten Lebensjahr, und liebe den Job.

Gut gelaunt steige ich die Treppe in den ersten Stock empor, wo sich meine Kollegin Heather und ich um die Drei- und Vierjährigen kümmern. Gähnend durchquere ich das geräumige Spielzimmer und bleibe verwundert an der Puppenecke stehen. Die Plüschtiere, die normalerweise in Reih und Glied an und um die Regale herum aufgebaut sind, liegen alle auf einem Haufen in der Ecke. Und da, auf der Spitze des Plüschberges, ragt ein dunkler Schopf hervor.

»Was um alles in der Welt …«, sage ich und trete näher. Meine Worte bringen Leben in den Haufen. Ich hebe die Brauen, als zwischen Peppermint-Petty und Elefant Bruno das verschlafene Gesicht meiner Kollegin auftaucht.

»Heather?« Überrascht helfe ich ihr auf die Beine. »Alles okay? Hast du etwa …«

»Klar doch, alles bestens«, fällt mir Heather ins Wort, ehe ich weitersprechen kann, und versucht sich an einem Alles-okay-das-hier-ist-ganz-normal-Lächeln. Will sie mir im Ernst weismachen, dass sie freiwillig in diesem Plüschtierhaufen geschlafen hat? Ich hebe eine Braue und sehe sie fragend an.

»Ach verdammt, okay«, lenkt sie ergeben die Hände hebend ein. »Ich hab hier geschlafen, weil … also weil … ach Scheiße, was soll’s. Ich habe hier geschlafen, weil ich nicht wusste, wo ich sonst hingehen soll. Ich habe Ed gestern mit irgend so einem beschissenen Modepüppchen in flagranti erwischt.«

 

Heather

Heather

 

O Gott, jetzt ist es raus, und ich schäme mich so sehr, dass ich am liebsten im Boden versinken möchte. Verdammtes Handy, warum muss der Wecker auch gerade heute streiken?

»Ed ist der große Dunkelhäutige, der dich immer abholt, nicht wahr?«

»Ja, er ist … er war mein Freud.« Ein besitzergreifendes, eifersüchtiges und fremdgehendes Stück Scheiße, das ist er!, keift mein Unterbewusstsein. Erschöpft lasse ich den Kopf sinken. In meiner Brust klafft ein Loch aus Scham und Schmerz.

»Du Ärmste.« Ich spüre Ellas Hand auf meiner Schulter. »Das muss eine Höllennacht gewesen sein. Wenn ich was für dich tun kann …«

»Fünf Jahre!«, platzt es aus mir heraus. Ich hebe den Kopf, suche Ellas Blick. In meinen Augen schwimmen Tränen und meine Stimme klingt kratzig, als ich erkläre: »Fünf Jahre lang habe ich einfach alles für diesen Mann getan. Ich habe meine Hobbys für ihn aufgegeben, nur um mehr Zeit mit ihm zu haben. Ich habe gekocht, geputzt, seine Wäsche gewaschen … Verdammt, ich habe eben genau so funktioniert, wie er es wollte. Ich habe meine Familie an zweite Stelle gesetzt und den Kontakt zu meinen Freunden abgebrochen, weil er auf sie eifersüchtig war.« Diese Tatsache auszusprechen schmerzt besonders schrecklich. Dicke Tränen rollen über meine Wangen. »Ich habe keine Freunde mehr … Ich habe alles für ihn aufgegeben und jetzt bin ich allein.« Ich sehe, wie sich Ellas Züge erst verfinstern und dann einen mitfühlenden Ausdruck annehmen. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, und obwohl ich noch so viel zu sagen und mir von der Seele zu sprechen hätte, bringe ich kein weiteres Wort über die Lippen. Ich erwarte, dass Ella etwas erwidert, mich nach Beziehungsdetails oder anderem ausfragt, doch das tut sie nicht. Stattdessen nimmt sie mich einfach in den Arm. Diese tröstende Geste gibt mir den Rest. In die Halsbeuge meiner Arbeitskollegin gekauert, schluchze ich bitterlich auf. Ich fühle mich so alleine, so hilflos.

»Hey«, sagt sie und streicht mit einer Hand an meinem Rücken auf und ab, »du bist nicht alleine, du hast mich.« Ich glaube, mir hat noch nie zuvor jemand etwas ähnlich Aufmunterndes gesagt und mich mit einer Handvoll Worten so berührt. Dabei kennen Ella und ich uns kaum. Ich arbeite erst seit ein paar Wochen im Care Center, und bisher hatten wir nie Zeit, uns näher kennenzulernen. Während der Arbeitszeit ist es immer so stressig, dass wir kaum zum Reden kommen, und wenn Ella mit mir nach der Arbeit noch was trinken gehen wollte, musste ich ihr absagen, weil Ed schon auf mich wartete. Er mag … Er mochte es nicht, wenn ich ohne ihn ausging. Ed war auf alles und jeden eifersüchtig. Aber das ist jetzt vorbei. Jetzt bin ich frei. Ed ist Geschichte. Oh, ich hasse diesen heißen Schmerz, der beim Gedanken an ihn durch meinen Bauch fährt. Schmerz hin oder her, ich bin frei und ich werde das packen!

Ich löse mich aus der Umarmung, straffe die Schultern und versuche mich an einem tapferen Lächeln, was mir Ellas mitleidiger Miene zufolge nur mäßig gelingt.

»Weißt du, ich kann mich gut in dich reinfühlen, ich hab mal was Ähnliches erlebt«, sagt sie.

Ich wische mir mit dem Handrücken die Nase. »Ehrlich? Erzähl!«

»Sein Name war Mic Dunn«, beginnt sie und bedeute mir, ihr in die kleine Care-Center-Küche zu folgen, wo sie den Wasserkocher füllt und einschaltet. »Ich war damals sechzehn und hatte mich unsterblich in unseren neuen Nachbarn Mic verknallt. Er war siebzehn und mit seinen Eltern gerade aus Colorado zu uns nach Alip gezogen. Das war ein richtiger Traumtyp, groß, braun gebrannt, durchtrainiert … Und er hat mir so was von den Kopf verdreht.« In Gedanken allem Anschein nach bei Mic und seinem heißen Körper, schüttelt sie den Kopf. »Nun, jedenfalls hat er es mit seiner sympathischen Art geschafft, dass ich ihm vertraute. Das will was heißen, denn ich war damals ein Mauerblümchen. Jungs haben mich nicht interessiert. Statt mir den Hals nach ihnen zu verdrehen, habe ich lieber mit Grandpa das Haus gestrichen oder mit Granny Kekse gebacken. Ich war unverdorben. Doch Mic ist es gelungen, zu mir durchzudringen und die Frau in mir zu wecken. Er stahl sich meinen ersten Kuss, und von da an war es um mich geschehen. Ich war so was von verknallt in ihn, dass ich ihm praktisch hörig war. Und so kam ich seiner Bitte, mich nachts aus dem Haus und zu ihm rüber zu schleichen, auch ohne lange zu überlegen nach. Er hatte Kerzen angezündet und Kuschelrock aufgelegt. Wie du dir vorstellen kannst, führte rasch eines zum anderen, doch bevor wir wirklich miteinander schlafen konnten, wurden wir unterbrochen, weil jemand an sein Fenster klopfte. Es war seine Freundin, die ihn überraschen wollte. Oder genauer gesagt eine von seinen Freundinnen. Wie sich herausstellte, war Mic ein echter Frauenheld. Kaum eine Woche in der Stadt, hatte er schon drei feste Freundinnen und zwei harmlosere Flirts am Laufen.« Ella bereitet zwei Tassen Früchtetee zu, reicht mir eine davon und fährt fort. »Das war damals echt hart für mich. Aber ich habe einiges daraus gelernt. So wie du vermutlich einiges aus deiner Beziehung mit Ed gelernt hast.«

Ich schaue sie an, merke, wie meine Augen schon wieder feucht werden. O ja, ich habe gelernt. Auf die harte Tour, aber ich habe gelernt. Nie wieder werde ich so dumm und so blind sein. Wie konnte er mich nur so dreckig betrügen?! Wellen aus Zorn und Schmerz branden gegen meine Brust, und ich bin schon wieder kurz davor, in einen Weinkrampf auszubrechen.

»Hey, komm schon«, meint Ella, stellt den Becher ab und nimmt mich noch einmal in den Arm. »Das wird schon, Kopf hoch. Abgesehen davon, ist das der Scheißkerl nicht wert, hörst du?«, versichert sie und schiebt mich ein Stück von sich weg, um mir fest in die Augen zu sehen. »Du bist nicht allein, Heather, ich helfe dir da raus, okay?«

Ich weiß nicht, womit ich ihre Freundschaft verdient habe, aber ich bin ihr mehr als dankbar dafür. Die Lippen zum Strich gepresst, nicke ich.

»Also gut …« Ella wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. « … die ersten Kids werden gleich da sein. Was hältst du davon, wenn du deine Tränen trocknest und wir in der Mittagspause weiterreden?«

»Klar.« Ich streiche mir mit den Handflächen über die Wangen. Meine Stimme klingt furchtbar kratzig. Das kommt davon, wenn man die ganze Nacht durchheult.

Damit ich mich beruhigen und zu mir finden kann, lässt mich Ella alleine in der Küche zurück und geht in den Gruppenraum, wo sie die Stühle von den Tischen hebt. Ich schließe die Augen, atme ein paar Mal tief durch die Nase ein und den Mund aus und folge ihr dann. Aus den deckenhohen Wandschränken im hinteren Teil des Gruppenraums hole ich Wasserfarben, Wachskreiden, Bunt- und Filzstifte. Ich verteile die Farben mit einem Schwung bunter Papierblätter auf den Tischen. Am Waschbecken fülle ich Plastikbecher mit Wasser, die ich kaum auf den Tischen abgestellt habe, als das erste Kind gebracht wird. Linda. Ich liebe das Mädchen, sie ist ein echter Sonnenschein. Heute vor einer Woche ist sie vier Jahre alt geworden. Ihre Eltern haben zur Feier des Tages einen riesigen Spongebobkuchen mitgebracht, den die Kleine in der Vormittagspause großzügig verteilte.

Lindas blonde Locken hüpfen über ihren Rücken, als sie sich von ihrer Mom losreißt und zu mir in das Spielzimmer hopst.

»Heather, Heather, schau mal, was ich mitgebracht habe!«

»Guten Morgen, Linda«, begrüße ich das blauäugige Knuddelmonster, lege die Hände auf die Schenkel und bücke mich zu ihr hinunter, um zu sehen, was sie in ihren kleinen Händen hält. Es ist ein fingernagelgroßer Stein mit einer ungewöhnlich weißen Musterung.

»Das ist ein Glückstein«, erklärt sie und strahlt mich an. Ihre Mom winkt zur Tür herein und bedeutet mir, dass sie geht. Ich nicke ihr zu und wende mich direkt wieder an Linda und ihren Fund. Es ist kein Fehler, die Kleine abzulenken, bis ihre Mom aus dem Haus ist. Ich weiß, dass es lange gedauert hat, bis sie ohne sie bleiben wollte. Obwohl das Mädchen inzwischen seit einem Jahr das Care Center besucht, fällt es ihr oft auch heute noch schwer, sich von ihrer Mom zu trennen.

»Wo hast du ihn denn gefunden?«, frage ich rasch, bevor sie auf einen anderen Gedanken als ihren Glückstein kommen kann.

»Draußen, der hat auf dem Parkplatz gelegen. Er war ganz allein, ohne Stein-Mommy und Stein-Daddy. Darum hab ich ihn mitgenommen und er hat gesagt, dass er jetzt dafür mein Glücksstein ist.«

»Der Stein hat also mit dir geredet?«

»Ja, aber das darf Mommy nicht wissen, sonst ist sie sauer, weil Steine doch nicht reden können. Das sagt sie jedenfalls, aber das stimmt gar nicht, hör mal.« Linda hält mir ihren Glückstein ans Ohr und ich tue so, als ob ich lausche.

»Aha, verstehe, ist ja interessant.«

Lindas blaue Kulleraugen werden noch größer. »Was hat er gesagt?«

»Na, dass er dein Glückstein ist, das ist er doch, oder?«

Die Kleine nickt derart heftig, dass ihre blonden Locken hüpfen. Sie ist so goldig, dass man sie knuddeln möchte. Weil ich hinter ihr bereits die nächsten Kinder kommen sehe, lächle ich sie an und schlage ihr vor, sie möge ihrem Glücksstein die Zeichentische zeigen und was für ihn malen. Linda ist begeistert von meiner Idee und hüpft davon, während ich mich um die Neuankömmlinge kümmere.

Obwohl ich hundemüde bin, vergeht der Vormittag wie im Flug.

Bis etwa neun Uhr bastle ich mit den Vierjährigen bunte Blumen, die wir an die Fenster kleben, und Ella liest mit den Dreijährigen in der Puppenecke ein Buch. Um Viertel nach neun machen wir eine Pause, die heute länger ausfällt, weil Mia, eine der Dreijährigen, ihren Erdbeerjoghurt fallen lässt und sich und Linda damit besprenkelt. Es dauert eine ganze Weile, bis ich die Kleider der Mädchen zumindest so gut gesäubert habe, dass wir am Nachmittag unseren Spaziergang machen können.

Gegen elf Uhr wechseln Ella und ich die Gruppen. Während meine Kollegin mit den Vierjährigen ein Rechenspiel macht, gehe ich mit den Kleinen in den Turnsaal im Keller und spiele mit ihnen Fangen. Pünktlich um zwölf kommt Tim, der Angestellte vom Lieferservice, und bringt das Mittagessen. Er ist ein Durchschnittstyp mit aschblonden Haaren, drahtiger Figur, kleinen Augen und breiter Nase. Tim ist unscheinbar, aber nett, sehr sogar, und zu meiner Freude stets pünktlich. Von Ella weiß ich, dass er seit etwa einem halben Jahr für Donalds Takeaway Lieferservice arbeitet.

»Hi, Tim«, begrüße ich ihn, als er mit zwei großen Plastikwärmeboxen in die Küche kommt.

»Hi, Heather«, keucht er und setzt die Boxen auf dem Tisch in der Ecke ab.

»Na, was hast du denn heute Feines für uns?«, frage ich. Das Essen des Lieferservice’ ist für ein Großküchenessen überraschend lecker. Ich freue mich jeden Tag darauf. Und obwohl mir heute eigentlich nicht nach Essen ist, hoffe ich doch, mit ein paar Bissen meinen wunden Magen zu beruhigen.

»Brokkolirahmsuppe und Makkaroni mit Käse«, erklärt er, hebt einen Spezialtopf, der sich an den Seiten verschließen lässt, aus einer der Boxen und stellt ihn auf den Herd. Ella sagt, dass wir früher lauter kleine Essensboxen bekamen, die schneller auskühlten, als man sie den Kindern vorsetzen konnte. Mrs. Andrews, die Inhaberin des Alip Day Care Center, hat dann veranlasst, dass wir diese Spezialtöpfe bekommen, damit wir das Essen wieder aufwärmen können.

»Igitt, Brokkolisuppe!«, jammert Ella, die gerade zur Tür hereinkommt. »Na toll, das wird die Kids ja freuen«, schimpft sie.

»O Ella, hallo.« Tim lässt beinahe den Topf fallen, so abrupt dreht er sich zu meiner Kollegin um. Er grinst von einem Ohr zum andern, als Ella ihn mit einem einfachen »Hi, Tim« begrüßt.

»Was gibt’s denn sonst noch? Bitte sag nicht Bohneneintopf, dann können wir uns direkt erschießen.«

»Makkaroni mit Käse«, sagt er so stolz, als hätte er die Nudeln selbst gekocht, und hebt den Deckel der zweiten Transportbox.

»Na, wenigstens etwas«, erwidert Ella achselzuckend und geht wieder hinaus zu den Kids. Tims Schultern sinken sichtlich, als sie den Raum verlässt. Auweia, da hat es aber einen übel erwischt. Für einen Moment kommt mir Ed in den Sinn und wie verliebt wir zwei am Anfang waren. Der Gedanke beschert mir ein schmerzhaftes Ziehen im Magen. Also verdränge ich ihn schnell und konzentriere mich auf Tim, der gerade verlegen den Topf auf den Herd stellt und sich seine Plastikboxen schnappt. »Okay, also dann bis Montag.« Er eilt davon und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm mein »Danke, Tim, bis Montag!« hinterherzurufen. Armer Kerl.

Nach dem Mittagessen, wobei die Suppe, wie Ella richtig vermutet hat, so gar nicht bei den Kleinen ankam, dürfen die Kids eine Stunde spielen. Während Ella mit den Jungs die Bauecke umgestaltet, kümmere ich mich ums Geschirr. Ich genehmige mir eine Tasse starken Kaffee, weil meine Augen langsam schwer werden. Obwohl mir Ed und das widerliche Bild, wie er es in unserem Bett mit dieser langbeinigen Schönheit treibt, immer wieder in den Sinn kommen, geht es mir verhältnismäßig gut. Das liegt in erster Linie an den Kleinen und Ella, die mich ständig mit irgendwelchen Scherzen aufheitert.