5 Tropfen Liebe - Christine Troy - E-Book

5 Tropfen Liebe E-Book

Christine Troy

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Beschreibung

Endlich aus dem Gefängnis entlassen, hat Ian nur ein Ziel: Sein Leben wieder in den Griff zu bekommen und sich dabei von nichts und niemandem ablenken zu lassen. Doch die Rechnung hat er ohne die Tochter seines neuen Chefs gemacht. Auch wenn er weiß, dass Madison tabu für ihn ist, schafft er es nicht, die Finger von ihr zu lassen. Ganz zum Ärger der Einwohner des Örtchens, in dem er bei seinen Großeltern lebt, denn die wollen ihn nicht in ihrer Stadt haben und schon gar nicht an der Seite der unschuldigen Madison sehen. Keiner von ihnen ahnt jedoch, dass Ian ihr kleinstes Übel ist … "5 Tropfen Liebe" ist ein in sich abgeschlossener Liebesroman.

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Copyright ©2019 Christine Troy

Alle Rechte vorbehalten.

Eine Kopie oder anderweitige Verwendung ist nur mit schriftlicher Genehmigung von Seiten der Autorin gestattet. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Lektorat und Korrektorat: Mona Schneider

Covergestaltung und Satz: Michael Troy - MT-Design

Bildnachweis:©Irina Bg, www.shutterstock.com, ©CastecoDesign, www.shutterstock.com

©yoolarts, www.shutterstock.com, ©vso, www.shutterstock.com,

Homepage: www.christinetroy.at

Facebook: www.facebook.com/ChristineTroyAutorin

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Kurzbeschreibung

Endlich aus dem Gefängnis entlassen, hat Ian nur ein Ziel: Sein Leben wieder in den Griff zu bekommen und sich dabei von nichts und niemandem ablenken zu lassen. Doch die Rechnung hat er ohne die Tochter seines neuen Chefs gemacht. Auch wenn er weiß, dass Madison tabu für ihn ist, schafft er es nicht, die Finger von ihr zu lassen. Ganz zum Ärger der Einwohner des Örtchens, in dem er bei seinen Großeltern lebt, denn die wollen ihn nicht in ihrer Stadt haben und schon gar nicht an der Seite der unschuldigen Madison sehen.Keiner von ihnen ahnt jedoch, dass Ian ihr kleinstes Übel ist …

Ian

Der Signalton dringt quäkend aus dem Lautsprecher über mir, bevor ein lautes Klacken ertönt und das Tor zurückfährt. Es ist so weit. Ich habe es geschafft, habe überlebt und lasse diesen abgefuckten Ort hinter mir.

»Also dann, Connor, bis demnächst«, versucht mich Entenarsch Newton zu provozieren. Ich überlege, dem Wachmann zu sagen, dass es gesünder für ihn wäre, sich nicht wie ein Arschloch aufzuführen. Immerhin schützen ihn ab heute keine zentimeterdicken Stahlgitter mehr vor meinem Zorn. Doch ich spare mir den Atem. Dem Drecksack eine Abreibung zu verpassen wäre reine Zeitverschwendung. Deshalb werfe ich ihm lediglich einen Blick über die Schulter zu, der ihn einen Schritt zurückweichen lässt und das herablassende Grinsen aus seinem Gesicht wischt. Er murmelt etwas Unverständliches in seinen Vollbart, während sich das elektrische Tor wieder schließt. Während Newton sich umdreht und zu dem zweiten Wachmann geht, der weiter hinten am Eingang auf ihn wartet, schließe ich die Augen und lege den Kopf in den Nacken. Freiheit, denke ich und nehme einen tiefen Zug von McAlesters kühler Märzluft. Die Frühjahrssonne fühlt sich großartig auf meiner Haut an und lässt mich endgültig begreifen, dass dies hier real ist.

Ich bin frei!

Wie oft habe ich von diesem Tag geträumt? Mir vorgestellt, wie es sein wird, wenn ich meine Strafe endlich abgesessen habe und ein neues Leben beginnen kann? Nie wieder Knast, schwöre ich mir und vernehme im selben Moment eine Autohupe. Ich öffne die Augen und werfe einen Blick auf die Straße vor mir. Ein alter Buick mit ausgeblichenem taubenblauem Lack steht neben dem Bürgersteig. Hinter dem Steuer entdecke ich ein bekanntes Gesicht. Großvater Joseph. Ihn zu sehen ist fast genauso gut, wie meinen Arsch hier draußen in Freiheit zu wissen.

»Komm schon, Junge!«, ruft er mir durch das zur Hälfte geöffnete Fenster zu. »Deine Grandma wartet mit dem Essen auf uns.« Ich werfe mir den Seesack, in dem ich meine paar Habseligkeiten verstaut habe, über die Schulter und gehe auf den Wagen zu. Bevor ich einsteige, werfe ich einen letzten Blick auf die vom Regen ausgewaschenen Mauern das Oklahoma State Penitentiary hinter mir. Ich habe fünf meiner besten Jahre an diesem elenden Ort verschwendet.

Nie wieder, verspreche ich mir noch einmal stumm, bevor ich auf den Beifahrersitz sinke.

»Also dann, lass uns von hier verschwinden.« Mein Großvater bedenkt mich mit einem Lächeln, das tiefe Falten um seine Mundwinkel aufwirft. In seinen graublauen Augen erkenne ich Zuversicht und die feste Überzeugung, dass nun alles gut wird. Großvater Joseph zählt zu den wenigen Menschen, die schon immer an mich geglaubt und mich auch nicht abgeschrieben haben, als ich in den Knast musste.

»Danke fürs Abholen«, sage ich und stelle den Seesack zwischen meine Füße. »Aber du hättest nicht extra kommen müssen. Ich hätte genauso gut den Bus nehmen können.«

»Unfug«, schimpft er und setzt den Blinker. »Je schneller du von hier wegkommst, desto besser.« Mit einem Blick über die Schulter und durch das Seitenfenster fährt er auf die Straße. Auf seine Aussage erwidere ich nichts. Es wäre nicht darauf angekommen, ob ich eine Minute, eine Stunde oder gar eine Woche länger hier verbracht hätte. Der Bau hat mich längst verändert. Hat aus dem Jungen, der ich einst war, einen abgeklärten Mann gemacht.

»Und, ist bei deiner Entlassung alles ruhig abgelaufen?« Diese Frage überrascht mich genauso wenig wie die leise Sorge, die in ihr mitschwingt. Vor etwa einem halben Jahr hat Pablo Dante, einer der Insassen, einen anderen Häftling unmittelbar vor dessen Freilassung mit einer angespitzten Zahnbürste niedergestochen, um eine offene Rechnung zu begleichen, solange er noch Gelegenheit dazu hatte.

»Es lief gut«, erkläre ich und verdränge die Gesichter meiner Knastbrüder, die zurückbleiben und weiter ihr Dasein in diesem Loch fristen müssen. Grandpa nickt zufrieden.

»Apropos gut, ich habe gute Nachrichten für dich.«

»Ach ja?« Überrascht schaue ich ihn an. Was könnte es für einen Ex-Knacki wie mich schon für gute Nachrichten geben?

»Ja«, wiederholt er mit einem zuversichtlichen Ausdruck auf dem wettergegerbten Gesicht. »Erinnerst du dich an den alten Hank?«

»Mr. Hasting, der ehemalige Pferdezüchter?«, frage ich und überlege, was zum Geier Grandpas Nachbar für Neuigkeiten für mich haben könnte.

»Ganz genau den meine ich. Hab ihm vor einer Woche geholfen, sein Land mit einem neuen Zaun einzufassen. Jedenfalls meinte er, er sei mir dafür einen Gefallen schuldig. Also habe ich ihn gebeten, bei seinem Sohn, Martin, ein gutes Wort für dich einzulegen.« Martin? Alles, was ich über den Kerl weiß, ist, dass er in etwa so alt ist wie meine Mom und die Ranch seines Dads nicht übernehmen wollte.

»Martin ist auf der Suche nach einer helfenden Hand für seine Autowerkstatt. Du hast doch im Gefängnis eine Ausbildung zum Mechaniker gemacht, oder?«

»So was in der Art, ja. Hab in der Instandhaltung gearbeitet. Wir mussten so ziemlich alles Motorisierte reparieren.«

»Sehr gut, sehr gut!« Grandpas Lächeln wird breiter. »Dann bist du bei ihm bestens aufgehoben.«

»Soll das heißen, er stellt mich ein?« Das wären tatsächlich verdammt gute Nachrichten. Für einen ehemaligen Häftling ist es alles andere als leicht, eine Anstellung zu finden. Niemand will einen Verbrecher bei sich arbeiten lassen. »Hast du ihm gesagt, dass ich …«

»Dass du frisch aus dem Gefängnis kommst? Ja, hab ich ihm gesagt«, antwortet er, als wäre nichts dabei.

»Und er hat kein Problem damit?« Das kann ich kaum glauben.

»Nicht, solange du dich anständig verhältst und tüchtig arbeitest.«

Bevor ich zu einer Antwort anheben kann, zuckt Großvater Joseph die Schultern und redet munter weiter. »Ich habe ihm gesagt, dass du ein guter Junge bist und ordentlich anpacken kannst. Du darfst schon am Montag anfangen. Es sei denn, du brauchst erst ein paar Tage, um dich einzugewöhnen. Du weißt schon, weil du jetzt frei bist und dich vermutlich erst an dein Leben außerhalb der Gefängnismauern gewöhnen musst.«

»Nein, schon gut«, sage ich, dankbar für die Chance. »Montag passt.« Von mir aus könnte ich auch heute schon starten. »Hab nicht vor, auf der faulen Haut zu liegen.« Im Gegenteil. Ich will mich so rasch wie möglich an das Leben außerhalb des Knasts gewöhnen.

»In Ordnung, dann werde ich Martin Bescheid geben, sobald wir zu Hause sind.« Die Freude über meinen Tatendrang ist Grandpa anzuhören. Während er den Highway in Richtung Osten nimmt, richte ich den Blick aus dem Seitenfenster. Leitplanken und Sträucher fliegen wie graue und braune Farbkleckse an uns vorbei. Das Land ist vom Winter gezeichnet, farblos und matt, und doch ist es das Schönste, was ich seit Langem gesehen habe. Kein Vergleich zu meiner trostlosen Zelle und dem Gefängnishof, der gefühlt die Größe eines Schuhkartons besitzt. Hier in Grandpa Josephs Auto zu sitzen fühlt sich unreal an. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich mich wieder richtig frei fühle. Während ich schweigend die Umgebung betrachte, merke ich nicht, wie die Zeit verfliegt. Erst als wir vom Highway abfahren und Hartshorne erreichen, realisiere ich, dass wir beinahe am Ziel sind. Ich mag dieses abgelegene Städtchen. Es ist ruhiger als meine Heimatstadt Norman. Früher, als ich noch klein war, habe ich oft die Sommerferien hier draußen bei meinen Großeltern verbracht. Schon komisch – obwohl ich in Norman aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, war ich immer lieber hier auf dem Land. Hartshorne ist die zweitkleinste Stadt Oklahomas. Sie zählt kaum mehr als zweitausend Seelen, was den Ort in meinen Augen vielmehr zu einem Dorf als zu einer Stadt macht. Genau das, was ich jetzt brauche. Ein friedliches Plätzchen ohne Großstadtstress, an dem ich mein Leben geraderücken kann.

Ich betrachte die alte Baptistenkirche aus Sandstein, an der wir gerade vorbeifahren. Wenn ich mich recht entsinne, gibt es hier neun verschiedene Gotteshäuser. Ob Papisten, Katholiken, Christen oder Methodisten, ein Großteil der Anwohner von Hartshorne ist streng gläubig. Hier gehen die Leute noch wie vor hundert Jahren jeden Sonntag zur Kirche und der Pfarrer hat fast genauso viel zu melden wie der Bürgermeister. So was wäre in Norman unvorstellbar. Da sind die Geistlichen schon froh, wenn sie bei der Messe die erste Bankreihe voll bekommen, während man hier draußen früh genug da sein muss, um überhaupt einen Sitzplatz zu ergattern. Ich frage mich, was sich hier während meiner Haftzeit alles verändert hat. Den Häusern und Straßen nach zu urteilen, nicht viel. Die Stadt sieht mehr oder weniger genauso aus wie vor sechs Jahren, als ich das letzte Mal hier war. Das alte Postamt hat einen roten Anstrich und das Rathaus ein neues Dach bekommen, aber ansonsten scheint sich nichts verändert zu haben. Es ist, als wären die Uhren stehen geblieben. Selbst das rotgoldene Tickethäuschen vor dem Kino, das der Spitze eines Burgturms ähnelt, sieht noch genauso aus wie vor zwanzig Jahren.

An der Ecke hinter Henry’s Market biegt Grandpa rechts ab und fährt stadtauswärts. Wir folgen der von Eichen gesäumten Straße etwa drei Meilen, bevor wir auf den Schotterweg einbiegen, der zu seiner Ranch führt. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, als wir auf das weiß gestrichene Holzhaus mit der großen Veranda zufahren. Linkerseits bauschen sich auf der Wäscheleine neben Grandmas Gemüsebeet frisch gewaschene Laken im Wind. Auf der rechten Seite des Anwesens befindet sich der Hof, auf dem ein paar Hühner nach Körnern und Käfern picken. Dahinter ragen die Scheune und der Stall auf, der einst jede Menge Kühe beherbergte.

»Trautes Heim, Glück allein«, verkündet Großvater und bringt seinen Buick vor dem Haus zum Stehen. Er hat den Motor kaum ausgeschaltet, da stürmt ein zotteliges schwarzes Etwas aus der Scheune. Es ist Lucky, Grandpas Sennenhund-Mischling, der bellend auf uns zustürmt. Ich steige aus, frage mich gerade, ob das Tier sich noch an mich erinnert, da springt er mich auch schon an, leckt über meine Hand und tänzelt außer sich vor Freude um mich herum.

»Schon gut, alter Junge«, versuche ich, ihn zu beruhigen, und kraule ihn hinter den Ohren. Das Quietschen einer Tür lässt mich den Blick zur Veranda heben, wo Grandma gerade aus dem Haus kommt. Sie hat das lange graue Haar zu einem Knoten gebunden, trägt eines ihrer geblümten Kleider und eine Schürze, an der sie sich die Hände abwischt. Als sie uns entdeckt, erhellt sich ihr Gesicht, als würde die Sonne aufgehen. »Ian«, sagt sie leise, fast ungläubig, dann läuft sie über die Veranda und die Treppe herab. Ich gehe ihr entgegen und nehme sie in den Arm.

»O Ian, mein lieber Junge«, meint sie schniefend und drückt und küsst mich. Ich weiß, es hat ihr fast das Herz gebrochen, dass ich verurteilt und weggesperrt wurde. Von all ihren Enkeln war ich ihr stets der Liebste. Wie der Sohn, den sie nie hatte. »Joseph, jetzt sieh dir nur an, wie dünn der Junge geworden ist«, jammert sie, kaum dass sie von mir abgelassen hat. »Nur noch Haut und Knochen.« Die Hände in die Hüften gestemmt, die Brauen besorgt ineinandergeschoben, betrachtet sie mich genauestens aus ihren blauen Augen.

»Na«, antwortet Großvater gutmütig, »jetzt ist er ja wieder da und ich bin mir sicher, du wirst ihn aufpäppeln.«

»Davon kannst du ausgehen«, verspricht sie. »Also gut, nichts wie rein mit euch. Es gibt Steak, Süßkartoffelpüree und Mais. Dein Lieblingsessen, Ian.« Ich nicke und bemühe mich um ein Lächeln, bevor ich meinen Großeltern und Lucky ins Haus folge. Auch hier hat sich in meiner Abwesenheit nichts verändert. Von der cremefarbenen gestreiften Couch im Wohnzimmer, über die Holzküche mit dem ovalen Esstisch und den schweren Stühlen, bis hin zu Luckys Körbchen in der Ecke. Es ist alles wie damals.

Grandpa und ich setzen uns an den gedeckten Tisch, während Grandma aus dem Ofen eine Pfanne mit Steaks holt und den Hund an seinen Platz schickt.

»Also, Ian, hat dir dein Großvater schon erzählt, was für tolle Neuigkeiten er für dich hat?«, erkundigt sie sich, schnappt sich meinen Teller und schöpft mir eine ordentliche Portion auf.

»Ja, hab’s schon gehört. Ich kann am Montag in Martins Werkstatt anfangen.«

»Ist das nicht fabelhaft?«, fragt sie freudestrahlend und gibt mir den Teller zurück. Bevor ich zu einer Antwort anheben kann, fährt sie aufgeregt fort: »Martin ist so ein netter Kerl. Wer weiß, wenn du deine Sache gut machst, fördert er dich vielleicht und bringt dir bei, wie man richtig Autos repariert.«

»Leona, er hat doch im Gefängnis eine Ausbildung gemacht …«

»Aber das ist doch nicht dasselbe«, sprudelt es weiter aus ihr heraus. »Er wird noch viel lernen müssen. Und weißt du was, ich habe mir überlegt, dass Martin ja nicht mehr der Jüngste ist. Eines Tages wird er seine Werkstatt abgeben wollen. Und wie wir wissen, hat er keinen männlichen Nachkommen, der die Firma übernehmen könnte. Wenn Ian also bis dahin lange und hart genug bei ihm arbeitet, zieht er möglicherweise in Erwägung, sie ihm zu überlassen. Stell dir nur vor, dann könnte er …«

»Leona, um Himmels willen«, schimpft Grandpa mit einem mitleidigen Seitenblick zu mir. »Jetzt bedräng den Jungen nicht so. Du weißt doch gar nicht, ob er überhaupt plant, länger hierzubleiben.« Seine Worte nehmen ihr den Wind aus den Segeln und lassen sie perplex blinzeln. Ich sehe, wie sie den Mund öffnet und wieder schließt.

»Du hast recht …«, sagt sie schließlich leise. »Tut mir leid.«

»Nein, schon gut«, erwidere ich und erkenne einen schmerzlichen Ausdruck auf ihren Zügen. Ihr wäre bestimmt am liebsten, ich würde für immer hierbleiben, damit sie weiß, wie es mir geht, und ein Auge auf mich haben kann. Das kann ich verstehen. Aber ich bin kein kleiner Junge mehr und kann noch nicht sagen, wohin es mich in den kommenden Jahren verschlägt. Nur eines weiß ich sicher: Ich will mein Leben auf die Reihe bekommen, und der Job bei Martin ist der erste Schritt. Über mehr kann und will ich mir im Moment nicht den Kopf zerbrechen. »Lasst mich einfach erst mal ankommen«, bitte ich.

»Natürlich.« Grandma schenkt mir ein Lächeln und nickt. Dann setzt sie sich zu uns und wir genießen ihr Essen.

Madison

»Klopf, klopf!« Ein blonder Schopf taucht im Türrahmen meines Büros auf. Es ist Conny, meine beste Freundin. »Und, bist du fertig?«

»Fast. Ich muss nur noch die Mail hier rausschicken«, erkläre ich und deute auf meinen Monitor. Sie verdreht die Augen.

»Ja, klar. Von wegen eine Mail. Ich kenne dich, du Arbeitstier. Ich geh schon mal runter. Lass mich nicht zu lange warten, ja?«

»Nein, bestimmt nicht. Ich muss wirklich nur noch die eine …« Und weg ist sie, wartet meine Antwort erst gar nicht ab. Schmunzelnd schüttele ich den Kopf. Sie hat ja recht, ich bin wirklich ein Arbeitstier. Allein letzte Woche habe ich fünfzehn Überstunden gemacht. Aber heute nicht, heute habe ich noch was vor. Also richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm und mein offenes EMail-Programm. »Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen, Madison Hasting«, spreche ich die Worte aus, die ich nebenbei eintippe. Dann sende ich die Mail ab und entdecke eine neue Anfrage, die eben hereingekommen ist. Ich versuche, sie zu ignorieren und auf Montag zu verschieben, schaffe es aber nicht. Also beantworte ich sie schnell, fahre den Computer herunter und schnappe mir meinen Mantel. Auf ins Wochenende, denke ich gut gelaunt, angle meine Tasche unter dem Tisch hervor und will gerade aus dem Büro, als ich Edwin, den Sohn meines Chefs, im Türrahmen entdecke.

»Oh, hi«, begrüße ich den etwa eins siebzig großen und etwas stämmigen Mann mit den hervorstehenden Augen. Er trägt senffarbene Clarks, eine braune Cordhose und einen seiner cremefarbenen Pullunder. Das widerspenstige blonde Haar hat er streng nach hinten gekämmt.

»Hallo Madison«, antwortet er und schiebt mit dem Zeigefinger seine Brille etwas höher. »Ich dachte, ich schaue mal vorbei und erkundige mich, wie es mit Cornelia läuft.« Den Namen meiner Freundin aus seinem Mund zu hören lässt meine Alarmglocken läuten. Immerhin hat er sie meinetwegen eingestellt.

»Warum? Hat sie was falsch gemacht?«, erkundige ich mich besorgt. O Mann, ich kann nur hoffen, dass sie nicht im Firmengebäude geraucht oder sonst einen Blödsinn angestellt hat. Da versteht unser Boss, Mr. Brown, keinen Spaß.

»Nein, nein.« Edwin hebt beschwichtigend die Hände und kommt zu mir herein. »Ich wollte einfach nur wissen, wie ihre erste Woche bei uns lief.«

»Verstehe.« Mir fällt ein Stein vom Herzen. »Nun, soweit ich das beurteilen kann, war alles okay.« Da Conny unten am Empfang arbeitet und ich hier oben im Büro, habe ich keine Ahnung, wie sie sich macht. Wenn man ihren Worten glauben darf, hat sie sich bereits eingefunden und geht Martha, der langjährigen Empfangsdame von Brown Quarry, Hartshornes Steinbruch, fleißig zur Hand. Die Sache mit dem Glauben ist bei Conny jedoch so eine Sache. Nicht, dass sie mich bewusst anlügen würde. Nein, Ehrlichkeit ist ihr genauso wichtig wie mir. Aber sie hat einen etwas anderen Blick auf die Dinge und ihre Definition von fleißig ist eindeutig eine andere als meine.

»Schön, dann war es also richtig, sie einzustellen«, meint Edwin zufrieden und schiebt die Hände in die Hosentaschen. Ob es richtig war, wage ich noch nicht zu sagen, aber es war auf jeden Fall das Beste, um sie von diesem Versager Ricky fernzuhalten. Meine Freundin hat, um es gelinde auszudrücken, einen grauenvollen Männergeschmack. Seit ich mich erinnern kann, verliebt sie sich in die falschen Typen und gerät dadurch immer wieder auf die schiefe Bahn. Ihr Ex Ricky ist ein versoffener Spieler, der in seiner Sucht sogar so weit ging, zu versuchen, Conny für sich anschaffen zu lassen. Blind wie sie in ihrer Verknalltheit war, hat sie tatsächlich darüber nachgedacht. Es bedurfte eines langen Gesprächs, bis sie einsah, dass Ricky Gift für sie war und sie nur ausnutzte. Vor zehn Tagen hat sie sich dann ein Herz gefasst und ihn verlassen. Seither wohnt sie bei mir und ich setze alles daran, dass sie nicht zu dem Idioten zurückläuft.

»Es ist wirklich lieb von dir, dass du ihr eine Chance gegeben hast«, bedanke ich mich bei Edwin, der in unserer Firma die Personalabteilung leitet.

»Kein Ding«, meint er und winkt ab. »Martha geht nächstes Jahr in Pension, da hätte ich mich ohnehin nach Ersatz umsehen müssen. So habe ich eine Aufgabe weniger und Cornelia genug Zeit, sich einzuarbeiten.«

»Stimmt«, pflichte ich ihm bei und spüre das Handy in meiner Handtasche vibrieren. Mist, das ist bestimmt Conny. Ich sollte längst unten sein. »Kann ich sonst noch was für dich tun?«, erkundige ich mich und schlüpfe schon mal in meinen Mantel.

»Nein, das war eigentlich alles.«

»Okay.« Mir die Handtasche über die Schulter hängend, gehe ich auf Edwin zu, der stehen bleibt und mich ansieht, als gäbe es doch noch was, das er mir sagen will. Ich bin sicher, es geht um irgendeinen Auftrag oder eine Bestellung, aber damit wird er sich bis Montag gedulden müssen. Bevor er es sich anders überlegen kann, lege ich ihm die Hand auf den Oberarm und lächle ihn an. »Mach’s gut, Edwin. Hab ein schönes Wochenende.«

»Ja, danke. Du auch«, sagt er ein wenig überrascht und erwidert mein Lächeln. Dann sehe ich zu, dass ich aus meinem Büro, die Treppe hinunter und aus der Firma komme.

Wie erwartet finde ich Conny auf dem großen Kiesparkplatz, wo sie mit dem Hintern an der Beifahrerseite meines weißen Ford Fiesta lehnt und kaugummikauend auf ihrem Handy herumtippt.

»Ich muss nur noch diese eine Mail abschicken«, äfft sie mich mit einem albernen Gesichtsausdruck nach.

»Ja, schon gut. Hat eben ein bisschen länger gedauert. Jetzt komm, wir sind spät dran«, antworte ich, betätige den elektrischen Türöffner und steige ein, während meine Freundin kopfschüttelnd den Kaugummi wegschnippt.

»Weißt du, wie man Leute wie dich nennt?«, fragt sie, als sie sich neben mir auf den Beifahrersitz sinken lässt und ich den Wagen starte. »Workaholics«, beantwortet sie ihre eigene Frage. »Nur gut, dass du mich hast, sonst würdest du früher oder später in dem Schuppen einziehen.« Sie deutet mit einer Bewegung ihres Kopfes auf das dreistöckige Gebäude vor uns. Ich gebe zu, ich liebe meinen Job als Verkäuferin im Innendienst und arbeite mehr als die meisten meiner Kollegen. Aber so schlimm, wie sie sagt, bin ich nun auch wieder nicht. Conny ist es einfach nicht gewohnt, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen. Da ist ein Acht-Stunden-Tag für sie eine echte Herausforderung. Ihre Stichelei übergehend – ich bin sicher, sie ist nur grummelig, weil sie Hunger hat –, wende ich und fahre los. Wir sind kaum vom Parkplatz, da höre ich ihren Magen knurren. Im Augenwinkel sehe ich, wie sie die Hände auf den Bauch legt und mich ansieht.

»Können wir vor dem Dive Through noch was zu beißen organisieren?« Bingo, wusste ich’s doch, sie hat Hunger.

»Klar.«

Der Steinbruch liegt am Stadtrand. Wir fahren zwanzig Minuten ins Zentrum. Da es in der Umgebung keine Fastfoodketten gibt, springe ich bei Henry’s Market schnell raus und kaufe uns ein paar gefüllte Donuts, die wir auf dem Weg zum Stadtsaal verputzen. Der liegt unmittelbar hinter dem Rathaus und ist Hartshornes Dreh- und Angelpunkt, wenn es um Feiern jeglicher Art geht. In unserem Fall dient er heute als Clubraum. Das Dive Through ist ein von der Highschool-Sportlehrerin Stella Donnaway ins Leben gerufener Jugendtreff. Ihr ist vor einiger Zeit aufgefallen, dass die Teenager unserer Stadt anfangen, Blödsinn zu machen, weil sie gelangweilt sind, weshalb sie beschloss, eine Alternative für die Kids zu schaffen. Ich habe damals von unserer dreizehnjährigen Nachbarstochter Lizzy erfahren, dass Stella auf der Suche nach Verstärkung für ihr Team war. Weil ich der Typ Mensch bin, der gerne hilft, habe ich mich bei ihr gemeldet und unterstütze sie seither, wo ich kann.

Ich lenke mein Auto in die kleine Gasse, die links neben dem Rathaus zum Saal führt, und stelle es auf dem Parkplatz vor dem Gebäude ab.

»Bist du sicher, dass wir nicht doch absagen und uns daheim einen gemütlichen Mädelsabend machen sollten?«

»Conny«, sage ich in vorwurfsvollem Ton, was sie kapitulierend die Hände heben lässt.

»Ja, ja, schon gut, ich weiß, die Arbeit mit den Kids ist dir wichtig. Mann, ich kenne echt niemanden, der einen ausgeprägteren Drang zu helfen hat als du.« Mit einem Seufzen steigt sie aus und ich tue es ihr gleich. Wenn sie erst sieht, was für eine Freude wir den Teenies mit dem Jugendtreff machen, wird sie anders denken. Gut gelaunt verriegle ich meinen Wagen, hake mich bei meiner Freundin unter und gehe auf das in die Jahre gekommene Gebäude zu. Der Stadtsaal ist ein zweistöckiger, weiß gestrichener Holzbau, der an eine vornehme Scheune erinnert. Die zweiflügelige Eingangstür ist riesig. Wir nehmen die paar Stufen zur Veranda, die an der kompletten Frontseite verläuft, und gehen an den kegelförmigen Buchsbäumen, die zu beiden Seiten des Tors den Eingang flankieren, vorbei ins Innere. Im Vorraum mit der Garderobe angekommen, schlägt uns eine Wolke süßen Parfüms entgegen. Wir treffen auf Lizzy und ein blondes Mädchen, die sich mit ärgerlichen Mienen und in die Hüften gestemmten Händen gegenüberstehen.

»Das stimmt nicht, Sue Ann. Das habe ich nie gesagt«, versichert Lizzy und sieht mich hilfesuchend an.

»Was ist denn los?«, mische ich mich ein und ernte für meine Neugier einen bissigen Blick seitens des Lockenkopfes Sue Ann.

»Nichts«, erwidert sie und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Was heißt da nichts? Du hast gesagt, ich würde auf Aiden stehen!«

»Weil du es auch tust!«, keift Sue Ann und presst die Lippen zu einer wütenden Linie zusammen.

»Entspann dich, Kleine. Was ist so schlimm daran, wenn sie auf den Jungen steht?«, springt Conny mir bei. Ich weiß, sie meint es gut und will dem Blondschopf den Wind aus den Segeln nehmen. Leider geht ihr Plan nicht auf.

»Was so schlimm daran ist?«, blafft Sue Ann. »Aiden Croel ist mein Freund!« Sie hebt die Hand und stößt Lizzy gegen die Brust. »Die Kuh hat es auf ihn abgesehen, sie will ihn mir ausspannen!«

»Will ich nicht!«

»Und wie du das willst. Lüg hier nicht rum, du …« Bevor die Emotionen der beiden überkochen und sie handgreiflich werden, stelle ich mich kurzerhand zwischen sie.

»So, jetzt mal ganz ruhig, ja?« Ich widme mich Sue Ann, deren Augen wütend funkeln. »Lizzy hat also gesagt, dass sie auf deinen Freund steht?« Meine Worte hinterlassen einen betretenen Ausdruck auf ihrem Gesicht und lassen sie meinem Blick ausweichen. Aha, so viel also dazu. Da das Mädchen nicht antwortet und ich den Streit aus der Welt schaffen will, lasse ich nicht locker. »Wann hat sie das denn gesagt? Und hast du es selbst gehört?«

Ich kann sehen, wie Sue einen Moment mit sich ringt, ehe es aus ihr herausplatzt: »Na gut! Sie hat es nicht direkt gesagt. Aber meine beste Freundin Cindy hat gesehen, wie Lizzy Aiden schöne Augen gemacht hat.«

»Das habe ich nicht! Er ist ja nicht mal mein Typ«, ärgert sich meine Nachbarin hinter mir, während Conny trocken auflacht.

»Schon mal überlegt, dass es vielleicht nicht die Kleine hier, sondern deine beste Freundin ist, die auf deinen Jungen steht?«, fragt sie kopfschüttelnd und nuschelt etwas wie »Naives Ding« in sich hinein. »Echt jetzt, das ist doch der älteste Trick der Welt. Jedermann weiß, dass es am einfachsten ist, den Verdacht auf einen anderen zu lenken, wenn man selbst Dreck am Stecken hat.«

»Blödsinn! Cindy würde mich nie hintergehen!« Darauf antworte ich nicht, weil ich möchte, dass Connys Worte dem Mädchen noch eine Weile durch den Kopf gehen. »Aiden und Cindy sind nur Freunde … gute Freunde«, sagt sie mehr zu sich selbst als zu uns und ich glaube zu sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitet. Als sie schließlich mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck zu mir aufsieht, breche ich mein Schweigen.

»Hör mal, du solltest dir nicht den Kopf zerbrechen, wer alles auf deinen Freund steht. Immerhin ist er mit dir zusammen. Ich bin sicher, du bedeutest ihm viel. Und sollte er sich eines Tages doch für ein anderes Mädchen entscheiden, dann sei’s drum, denn dann hat dich der Kerl nicht verdient.« Mein Zwinkern lässt ihre Mundwinkel hüpfen. »Alles gut?« Ich lege ihr die Hand auf die Schulter.

»Ja, alles gut«, meint sie und schaut an mir vorbei zu Lizzy. »Entschuldige. Hab’s nicht so gemeint.«

»Schon gut«, lenkt Lizzy ein und tritt an mir vorbei. »Wollen wir eine Coke trinken?«

»Ja, gern.«

»Dann komm.« Die zwei verziehen sich in den Saal, während Conny und ich unsere Mäntel ablegen und an die Garderobe hängen.

»Sag mal, haben dich die beiden eben auch an unsere Zeit an der Junior High erinnert?«

»Und wie«, antworte ich und sehe zu, wie Conny ihr schulterlanges, naturblondes Haar zu einem Zopf bindet. »Melissa Biedermann hat in der Achten die halbe Schule verrückt gemacht, weil sie alle Mädchen verdächtigte, was von ihrem Freund zu wollen.«

»Was er ja auch hat.« Conny wackelt vielsagend mit den Brauen. Ob er es auf alle Mädchen abgesehen hatte, weiß ich nicht, aber meine Freundin hatte es ihm ganz klar angetan. Er hat ihr wochenlang nachgestellt, obwohl alle Welt wusste, dass er mit Melissa zusammen war. Aber wer kann es ihm verübeln? Conny ist eben einzigartig. Obwohl sie nicht dem typischen Schönheitsideal entspricht, kann und konnte sie sich noch nie über einen Männermangel beschweren. Ich schaue sie an und mir fällt auf, dass sie noch fast genauso aussieht wie damals. Wenn ich sie mit einem Wort beschreiben müsste, dann wäre das groß. Egal ob ihre Augen, die Nase, der Mund, die Ohren oder die Brüste, einfach alles an ihr ist groß. Und doch hat sie dieses besondere Etwas an sich, das die Männer reihenweise schwach werden lässt. Ich glaube, es ist ihre offene Art.

»Ich sag dir, diese Sue Ann verschwendet ihre Zeit bei dem Jungen«, meint sie und folgt mir zur Tür, die in den Saal führt.

»Kann sein«, antworte ich, »aber es ist nicht an uns, das herauszufinden.« Mit diesen Worten öffne ich und wir treten in den weitläufigen Raum. Oh, Stella war schon fleißig. Der komplette Saal ist leergeräumt. Die Stuhlreihen, die sonst hier aufgebaut sind, sind verschwunden, wodurch wir jede Menge Platz haben. Die Läden vor den Fenstern wurden geschlossen und aus den in die Wände eingelassenen Lautsprechen dringt Musik. Am hinteren Ende, wo sich die Bühne befindet, wurde der schwere Vorhang heruntergelassen, damit sich keiner der Jugendlichen in die dahinterliegenden Umkleideräume verziehen und Stellas wachsamen Augen entgehen kann. Direkt vor der Bühne entdecke ich einen Biertisch, auf dem Knabbereien und Becher stehen. Ein Stück links davon befindet sich ein Kickertisch, um den sich eine Traube Mädchen gebildet hat und vier Jungs anfeuert, die sich ein Match liefern. Eine Handvoll weiterer Teenies entdecke ich auf den Stühlen, die an der Wand an der gegenüberliegenden Seite stehen. Nicht schlecht. Heute ist einiges los, denke ich, als hinter uns die Tür geöffnet wird.

»Hey, na ihr zwei, da seid ihr ja«, erklingt eine vertraute Stimme. Es ist Stella, die sich mit einer Kiste Limonade an uns vorbeischiebt. »Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr«, meint sie und pustet sich eine Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hat, aus der Stirn. Stella ist wie ich Mitte zwanzig und wirkt mit ihren eins sechzig und der zierlichen Figur so gar nicht wie eine Sportlehrerin. Doch der Schein trügt. Sie ist eine richtige Sportskanone und hat mehr Saft in den Armen als mancher Mann.

»Nein, keine Sorge, Maddy lässt es sich doch nicht entgehen, was Gutes für die Scheißerchen hier zu tun«, witzelt Conny, wofür sie sich von mir einen Ellenbogenboxer in die Seite einhandelt. »Was denn? Ist doch so«, schimpft sie. Meine Freundin ignorierend, beeile ich mich, Stella die Kiste abzunehmen.

»Ich vermute, die kommt zu den Snacks?«

»Genau. Sei so lieb und bring sie schon mal nach vorn. Conny, würdest du mir helfen, noch ein paar Sachen aus meinem Auto reinzuholen?«

»Klar.« Während die beiden nach draußen verschwinden, gehe ich durch den Saal. Ich entdecke ein paar vertraute Gesichter, begrüße die Kids und verstaue die Kiste unter dem Biertisch. Dabei fällt mein Blick auf die ganzen Leckereien, die sich darauf türmen. Belegte Brötchen, Sandwiches, Muffins, Brownies und allerlei anderes. Ein weiteres Zeichen für mich, dass Stellas Einfall eine super Idee war. Die ganze Stadt ist dankbar für ihren Einsatz und die Mütter der Kids vergelten es ihr, indem sie uns mit diesen Köstlichkeiten versorgen. Ich bücke mich nach einer Flasche Wasser unter dem Tisch und spüle damit die klebrigen Reste der Donuts von vorhin aus meinem Mund. Dann wende ich mich um und will eben den Blick durch den Saal schweifen lassen, als die Tür aufgeht und Stella und Conny zurückkommen. Die zwei tragen je eine Box mit weiteren Snacks und sind in ein Gespräch vertieft. Ihre Mienen wirken verstörend ernst. Die Stirn in Falten gelegt, beobachte ich, wie sie den Saal durchqueren und auf mich zukommen.

»… ein weiterer Grund, die Kids von der Straße fernzuhalten«, schnappe ich einen Gesprächsfetzen auf.

»Was ist denn los?«, frage ich und sehe neugierig zwischen den beiden Frauen hin und her.

»Ich habe Conny gerade von unserem neuesten Mitbürger erzählt«, berichtet Stella mit ernster Miene.

»Und der wäre?« Ich wusste gar nicht, dass Hartshorne Zuwachs bekommen hat. Das wundert mich, denn normalerweise funktioniert der Buschfunk hier schnell. Damals, als Doris Green ihren Mann mit dem Postboten betrogen und er sie dabei erwischt hat, wusste die ganze Stadt noch am selben Abend davon.

»Sein Name ist Ian Connor«, erklärt Stella, stellt ihre Box ab und wendet sich mir zu. Die Sorge in ihren grünen Augen lässt mir eine unangenehme Gänsehaut über die Arme laufen. »Er kommt geradewegs aus dem Knast und wird von nun an bei seinen Großeltern leben. Den Bennets.«

»Bei Leona und Joseph?«, frage ich und sehe, wie sich Conny hinter Stella über ein paar Sandwiches hermacht. Sie hält nichts von Tratsch und Klatsch. Vermutlich, weil sie selbst oft genug der Anlass dafür war und weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Leute hinter dem Rücken über einen lästern.

»Ganz genau, er wird beim alten Joseph und Leona wohnen.«

»Okay, und wo ist das Problem?«

Die Frage ist eigentlich unnötig. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, was Stellas Bedenken sind.

»Was das Problem ist? Maddy, der Typ saß fünf Jahre im Gefängnis. Er ist ein Verbrecher, ein Unruhestifter, der auf unsere unschuldige Stadt losgelassen wird.«

»Findest du nicht, dass du ein wenig überreagierst? Ich meine, du kennst diesen … Wie sagtest du, heißt er, Ian?« Sie nickt. »Also, du kennst diesen Ian doch gar nicht. Vielleicht ist er ganz okay und froh, aus dem Kittchen zu sein. Es soll Leute geben, die nach einer Haftstrafe tatsächlich rehabilitiert sind.«

»Pah«, macht sie und schüttelt energisch den Kopf. »Der bestimmt nicht. Weißt du, weshalb er im Gefängnis war?« Ich komme kaum dazu, die Schultern zu zucken, da wettert sie bereits weiter: »Er hat wegen schwerer Körperverletzung gesessen.« Darauf erwidere ich nichts, spüre jedoch, wie mich ein beklemmendes Gefühl überkommt. Einen Gewalttäter in der Stadt zu wissen ist alles andere als angenehm. Ich hatte gehofft, er hätte geklaut oder Steuern hinterzogen. »Da sagst du nichts mehr, was?« Stella macht einen Schritt auf mich zu, sieht sich verstohlen um, ob uns auch keines der Kids belauscht, und flüstert: »Ian Connor hat den Freund seiner Mutter so heftig verprügelt, dass der arme Mann heute auf einem Auge blind ist. Und weißt du, was er gesagt haben soll, als die Richterin ihn auf seine Tat angesprochen und gefragt hat, ob er sein Handeln bereut?« Ich sehe gespannt zwischen Stellas Augen hin und her.

»Was?«

»Er hat gesagt, er würde es jederzeit wieder tun und dass er bereut, den Mann nicht so heftig verdroschen zu haben, dass er auf beiden Augen blind ist.« Ich hebe die Brauen. Wow, das nenne ich unverbesserlich aggressiv. »Na? Verstehst du jetzt, warum wir diesen Psycho nicht hierhaben wollen?«

»Wir?«, frage ich, woraufhin sich Stella zurückzieht und eine Miene aufsetzt, die klar zeigt: Wir lassen uns nicht unterkriegen.

»Die ganze Stadt ist dagegen, dass der Kerl hier wohnt. Bürgermeister Tremblay hat versprochen, sich der Sache anzunehmen. Er wird nächste Woche zu Joseph und Leona rausfahren und ein ernstes Wörtchen mit den beiden reden.«

Das ist nicht okay, denke ich. Auch wenn dieser Ian jede Menge Dreck am Stecken hat, ist es nicht fair, ihn wie solchen zu behandeln. Er sollte eine Chance bekommen, so wie jeder andere auch. Wer weiß? Vielleicht hat er sich ja geändert. Ich überlege, meine Gedanken mit Stella zu teilen, entscheide jedoch, sie für mich zu behalten. Es würde nur eine Diskussion aufwerfen und nichts ändern. Sie hat ihr festes Bild von dem Kerl, genauso wie der Rest der Stadt. Ich wünschte, ich könnte ihm helfen.

 

Ian

 

Beflügelt vom Gefühl der Freiheit, stelle ich das Wasser ab und trete aus der Dusche. Das hier war das erste Mal seit fünf Jahren, dass ich allein und in Ruhe duschen konnte. Ohne Wärter, die ihre Minderwertigkeitskomplexe an mir auslassen, indem sie mich mit vulgären Worten beschimpfen, und ohne auf Knackis aufpassen zu müssen, die nur darauf warten, dass ich die Seife fallen lasse. In meiner Brust steigt ein aufgeregtes Prickeln empor, wenn ich mir in den Sinn rufe, dass ich nie wieder in dieses Loch zurückmuss. Nie wieder Gefängnisfraß, nie wieder Bandenkriege, Schlägereien und die Angst vor dem Schlaf, davor, die Augen zu schließen. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch, der alles erreichen kann. Dieses Gefühl ist einfach nur geil. Mit einem Grinsen im Gesicht trockne ich mich ab, schlinge das Handtuch um die Hüften und stelle mich vor den Badezimmerspiegel. Was ich darin sehe, lässt meine Mundwinkel ganz schnell wieder herabfallen. Dem Kerl, der mir entgegenschaut, ist der Knast ebenso deutlich anzusehen wie einem Clown der Circus. Verdammt, wem mache ich hier was vor? Nur weil ich frei bin, heißt das noch lange nicht, dass jetzt alles wieder gut wird. Ich fahre mir mit den Handflächen über das kurz geschorene braune Haar, betrachte meine blaugrauen Augen. Sie sind unruhig und stets wachsam. Mein Blick wandert über meine scharf geschnittenen Gesichtszüge, die Nase, die mir im Knast zweimal gebrochen wurde und seither einen kleinen Knick hat, bis hinunter zu meinen Lippen. Einst war ich ein lebensfroher Junge, der stets zu Scherzen aufgelegt war und immerzu lachte. Heute bildet mein Mund praktisch nur noch diese verkniffene dünne Linie. Ich schiebe den Gedanken an meine Vergangenheit von mir und schaue weiter an mir herab. Mein Hals, die Schultern, Arme und Brust sind wie der Rest von mir durchtrainiert. Im Knast hat man die Wahl – herumzusitzen und sich selbst sowie das, was man getan hat, zu bedauern, oder aber seinen Körper mit Eigengewichtübungen zu stählen. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Erstens, weil es meine Chancen erhöht hat, meinen Arsch zu verteidigen, und zweitens, weil es nichts gibt, das ich zu bedauern hätte. Mir kommt seineverdammte Visage in den Sinn. Wie er mich bei der Verhandlung ansah, mit diesem Triumph in den Augen, als mich die Richterin zur Höchststrafe verurteilte. Ich beiße die Zähne zusammen, sehe im Spiegel, wie meine Kiefer arbeiten und ein Muskel an meinem Hals hervortritt. Alte Wut glimmt wie ein glühender Kohlehaufen auf, in den der Wind fährt. Ich schließe die Augen, schiebe die Wut von mir und atme durch. Wenn mich der Knast eines gelehrt hat, dann, dass man seine Emotionen im Griff haben sollte – immer im Griff haben sollte.

Ohne den Kerl im Spiegel eines weiteren Blickes zu würdigen, werfe ich das Handtuch in die Wäschebox in der Ecke und gehe in mein an das Bad angrenzende Zimmer, wo ich mich anziehe. Grandpa Joseph will heute mit mir zu Martin, um uns miteinander bekanntzumachen. Besser, ich sehe zu, dass ich anständig aussehe.