Dark Heart 2: Omnia - Anja Tatlisu - E-Book

Dark Heart 2: Omnia E-Book

Anja Tatlisu

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Beschreibung

**Wenn dein Herz über Leben oder Tod entscheidet** Nach den dramatischen Ereignissen in der kanadischen Wildnis ist Heaven am Boden zerstört. Die Wahrheit über Leviathan und ihre gemeinsame Vergangenheit lässt ihr Herz in tausend Stücke zerspringen. Tieftraurig und enttäuscht verlässt sie mit ihrem Onkel Port Hardy und kehrt zurück nach Lincoln. Zu ihrem Erstaunen soll nun das Vagabundenleben vorbei sein. Aber bevor dieser Traum in Erfüllung gehen kann, muss Heaven zunächst ein Schul-Sommercamp besuchen. Widerwillig lässt sie sich darauf ein und trifft dort auf den gut aussehenden und extrem arroganten Silas, der ein seltsames Interesse an ihr zu haben scheint. Doch hinter der Fassade des vermeintlichen Schülers steckt ein gefährliches Wesen, dem nur Leviathan Einhalt gebieten kann … Göttliche Urban Fantasy zum Niederknien! Eine mutige Heldin, die für die Liebe bereit ist, Himmel und Hölle auf den Kopf zu stellen, und ein göttliches Wesen, das erst lernen muss, was es heißt zu lieben. Unglaublich spannend, dramatisch und romantisch bis zur letzten Seite. Textauszug: »Alles, woran ich denken konnte, war, dass sich ein Kuss von ihm wohl himmlischer anfühlen würde als der Himmel selbst und sein bloßes Auftauchen meine Gefühle verrücktspielen ließ. Allesamt. Gleichzeitig.«  //Dies ist der zweite Band der düster-dramatischen Buchserie »Dark Heart«. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Dark Heart 1: Nihil -- Dark Heart 2: Omnia// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

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Anja Tatlisu

Dark Heart 2: Omnia

**Wenn dein Herz über Leben oder Tod entscheidet**

Nach den dramatischen Ereignissen in der kanadischen Wildnis ist Heaven am Boden zerstört. Die Wahrheit über Leviathan und ihre gemeinsame Vergangenheit lässt ihr Herz in tausend Stücke zerspringen. Tieftraurig und enttäuscht verlässt sie mit ihrem Onkel Port Hardy und kehrt zurück nach Lincoln. Zu ihrem Erstaunen soll nun das Vagabundenleben vorbei sein. Aber bevor dieser Traum in Erfüllung gehen kann, muss Heaven zunächst ein Schul-Sommercamp besuchen. Widerwillig lässt sie sich darauf ein und trifft dort auf den gut aussehenden und extrem arroganten Silas, der ein seltsames Interesse an ihr zu haben scheint. Doch hinter der Fassade des vermeintlichen Schülers steckt ein gefährliches Wesen, dem nur Leviathan Einhalt gebieten kann …

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Vita

Playlist

Glossar

Danksagung

© Studio 157, Köln

Anja Tatlisu lebt mit ihrer Familie, zwei Katzen und einem Hund in einem Vorort von Köln. Neben ihrem Beruf als Sekretärin schrieb sie mehrere Jahre Twilight-Fanfictions und wagte sich 2015 mit ihrem ersten eigenen Werk an die Öffentlichkeit. Mittlerweile quillt ihr Ideen-Ordner über und sie befürchtet, dass ein Leben kaum ausreicht, um all den schönen Plots gerecht werden zu können.

The Light of you defeats the Dark in me

Licht durchbricht alles,

selbst die finstersten Schatten.

PLAYLIST

SYML – Fear of the Water

Bring Me The Horizon – Can You Feel My Heart

Nothing But Thieves – Amsterdam

Robert Pattinson – Let Me Sign

Evanescence – My Immortal

Ariana Grande feat. John Legend – Tale as old as time

SVRCINA – Meet Me on the Battlefield

Klergy with Valerie Broussard – Start a war

Evanescence – Bring Me To Life

RAIGN – Knocking on Heavens Door

KAPITEL 1

»Vor dreizehn Jahren. In der Nacht, in der deine Eltern gestorben sind …«

Levis Worte trafen mich hart wie ein Faustschlag im Magen, der mir die Atemluft aus den Lungenflügeln presste. Gleichzeitig fühlte es sich an, als hätte er ein stumpfes Messer in meine Brust gerammt und die Klinge wäre abgebrochen. Keuchend wickelte ich meine Arme um mich, weil ich fürchtete, jeden Moment in meine Einzelteile zu zerspringen. Die beiden schwarzen Federn, die mich mitten in der Nacht zu ihm geführt hatten, entglitten meinen Händen, fielen wie in Zeitlupe zu Boden und ein leises metallisches Geräusch durchbrach die unheilvolle Stille, machte das Unfassbare beängstigend realistisch.

»Was hast du getan?«, hörte ich mich sagen, doch erkannte ich meine eigene Stimme nicht. »O mein Gott … was hast du nur getan?«

Um mich herum brach scheinbar alles zusammen. Tränenblind nahm ich nur noch Schemen wahr. Ich bekam kaum Luft, glaubte in den Trümmern meines eingestürzten rosaroten Wolkenschlosses zu ersticken.

Er war es gewesen. Er hatte mein Leben zerstört. Er hatte mir alles genommen.

Und ich? Ich hatte mich gegen jede Vernunft, trotz aller Warnzeichen, in ein überirdisches Wesen verliebt, das meine Familie getötet hatte. Mir wurde schlecht und meine Knie so instabil, dass ich mich mit letzter Kraft an einen der Fachwerkbalken festklammerte, die Levis wandloses Haus zwischen Schlaf- und Wohnbereich stützten, um aufrecht stehen zu bleiben.

»Du musst atmen, Heaven«, drang aus weiter Ferne eine Stimme an mein Ohr. »Atme!«

Warme Hände legten sich auf meine Wangen, umschlossen mein Gesicht. »Atme«, hörte ich Levi nun deutlicher, als würde mich die Berührung erden, mich aus dem überemotionalen Niemandsland zurückbringen, obwohl er die Wurzel allen Übels verkörperte, das über mich hereingebrochen war.

»Warum?«, wimmerte ich. »Warum hast du das getan?«

Levi ließ mein Gesicht los, zog mich an seine Brust und hielt mich in seinen Armen. Ich sträubte mich, aber mir fehlte die Kraft, etwas gegen ihn auszurichten.

»Ich habe deine Eltern nicht angerührt.« Seine Umarmung wurde trotz meines schwachen Widerstands fester. »Hörst du? Ich habe sie nicht angerührt. Das musst du mir glauben.«

Ich verstand, was er sagte, doch seine Worte ergaben keinen Sinn. Mit beiden Händen stemmte ich mich gegen seine Brust. Diesmal ignorierte er meine abwehrende Haltung nicht, sondern gab meinem dringenden Bedürfnis, auf Abstand zu gehen, nach.

»Wie soll ich dir überhaupt jemals wieder irgendetwas glauben?«, flüsterte ich mit brüchiger Stimme.

Angespannt rieb er sich über die Stirn, fuhr mit beiden Händen durch seine verwuschelten Haare und verschränkte sie im Nacken, während er mehrfach konzentriert ein- und ausatmete. Seine Augen wechselten flackernd die Farbe. Blau. Silber. Schwarz. Er kämpfte mit seinem inneren Dämon.

Eine fürchterliche Leere breitete sich in mir aus. Ich hatte ihm vertraut. Von Anfang an. Aber jetzt nicht mehr. Selbst wenn er mir Antworten auf all meine Fragen geben würde, hätte ich die Glaubhaftigkeit seiner Worte infrage gestellt. Dennoch musste ich wissen, was in jener Nacht geschehen war.

Levi gab seine Haltung auf, ließ die Arme sinken und machte einen Schritt auf mich zu. Ich wich zurück. Dadurch blieb die Distanz zu ihm unverändert, wirkte räumlich betrachtet minimal. In meinem Inneren sah es jedoch anders aus. Eine gigantische Kluft hatte sich zwischen uns gebildet.

»Vertrau mir, Heaven, bitte …«, erwiderte er matt. »Alles zu seiner Zeit. Ich –«

Langsam und bestimmt schüttelte ich den Kopf.

Levi verstummte. Er befeuchtete seine Lippen, bevor er weitersprach. »Zwing mich nicht dich noch mehr zu verletzen.«

Meine ohnmächtige Verzweiflung wandelte sich in enttäuschte Wut. »Noch mehr?«, wiederholte ich spöttisch. »Das schaffst du nicht …«

Levi schluckte hart. »Gut«, sagte er leise. »Wenn du meinen Worten keinen Glauben mehr schenken kannst, werde ich dir zeigen, was in der Brandnacht geschehen ist.«

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und straffte die Schultern. Sein Blick veränderte sich, wurde fremd, ging durch mich hindurch, als würde ich nicht existieren. Der unruhige Farbwechsel seiner Augen verlangsamte sich. Das kristallklare Blau schwand zuerst, zurück blieb das flüssige Silber, ehe sich die undurchdringliche Schwärze ausbreitete, seine Haut den wunderschönen ätherischen Alabasterton annahm, sich das lebendige Blond seiner Haare zusehends verdunkelte, in tiefstes Schwarz überging und sich seine mächtigen Schwingen rauschend ausbreiteten. Dann stand der Dark Heart in all seiner zerstörerischen Pracht vor mir.

Meine innere Unruhe wuchs, steigerte sich, bis sie kaum mehr auszuhalten war. Ich wollte – nein, musste – erfahren, was in jener Nacht geschehen war, sosehr ich mich davor fürchtete, daran zu zerbrechen.

Wie in Zeitlupe streckte er mir seine offene Hand entgegen, wartete darauf, dass ich sie ergriff. Ich streifte den Rucksack von meiner Schulter, ließ ihn zu Boden fallen und kam ihm, ohne zu zögern, entgegen, obwohl sich alles in mir dagegen wehrte. Mich auf ihn einzulassen, ihm ein letztes Mal zu vertrauen, kostete mich größte Überwindung.

Der Dark Heart zog mich ganz nah an sich heran. Trotz allem, was er mir angetan hatte, gelang es mir nicht, mich dem betörenden Sog seines finsteren göttlichen Wesens zu entziehen. Egal, wie angestrengt ich dagegen ankämpfte, die Anziehungskraft war so viel stärker als ich, durchströmte jede Faser meines Körpers.

»Was auch immer gleich passiert«, flüsterte er, »du darfst unter keinen Umständen die Verbindung mit mir kappen. Wenn du das tust, Heaven, wird deine Seele in der Vergangenheit zurückbleiben und ich werde dich nicht retten können.«

Ich nickte. Dieses Risiko musste ich eingehen. »Das bedeutet, ich sterbe im Hier und Jetzt?«

»Ja.«

Ein hoher Preis, der höchste von allen. Dennoch war ich bereit ihn zu zahlen, um endlich die Wahrheit über den Verlust meiner Familie zu erfahren.

»Okay.« Das nervöse Pochen meines Herzens nahm zu. Ich spürte es im Hals und es hallte in meinen Ohren wider.

»Bist du dir sicher, dass du das wirklich willst?«

»Absolut sicher.«

Die Miene des Dark Heart wirkte genauso unergründlich wie seine Augen, während sich seine Flügel um mich legten, mich einwickelten und so eng umschlossen, bis ich glaubte unsere Körper würden miteinander verschmelzen. Dann spürte ich eine Hand in meinem Nacken, die andere an meiner Taille. Der wundervolle Duft voller Widersprüchlichkeiten verstärkte sich, kroch mir verführerisch in die Nase und vernebelte meine Sinne, ehe der Dark Heart sich langsam nach vorne beugte und ich sein überirdisches Flüstern vernahm. »Du wirst in meinem Körper sein, über meinen Verstand verfügen und durch meine Augen sehen. Was du fühlst, wird nicht unter meinem Einfluss stehen, aber du darfst dich nicht davon leiten lassen, wenn du dir selbst gegenüberstehst. Egal, wie sehr du dir auch wünschen wirst das Unvermeidliche aufzuhalten, versuch es gar nicht erst, denn es wird dir nicht gelingen. Die Vergangenheit ruht unumstößlich in sich und ist durch nichts und niemanden veränderbar.«

Ich war nicht fähig, in irgendeiner Art darauf zu reagieren. Dafür hatte mich der verzehrende Sog bereits viel zu sehr vereinnahmt. Ganz so, als stünde ich unter einem Bann und wäre kein Teil dieser Welt mehr.

Die Lippen des Dark Heart legten sich auf meine, besiegelten den Pakt endgültig, hüllten mich in dunklen Nebel, brachten mich zum Schweben und lösten mich von allem Irdischen los, während Raum und Zeit wie zarte Wolkengebilde an mir vorbeihuschten.

***

Nebraska, Pleasent Dale, dreizehn Jahre zuvor …

Umgeben von meinen Brüdern stand ich im Schutze der Dunkelheit zwischen den Bäumen und Sträuchern des gepflegten Gartens und beobachtete durch die großen Fenster das Treiben im Inneren des Hauses. Mutter, Vater, Großmutter und Kind saßen fröhlich um einen reich gedeckten Tisch, feierten Thanksgiving im engsten Kreis der Familie.

Ich wandte mich nach rechts, blickte rüber zu unserem Anführer. »Stib tu rid reel chersi, as tu as zrudien stilwe, rebdur?« Bist du dir wirklich sicher, dass du das durchziehen willst, Bruder?

Lucian machte sich nicht die Mühe, mich anzusehen. Er befand sich bereits in einem Tunnel, der lediglich in eine Richtung führte. »Se biet run nesied niene gew.« Es gibt nur diesen einen Weg.

»Lucifer driw as nihe nagalef.« Lucifer wird das nicht gefallen.

»Re bistes ekine uer ichem!« Er besitzt keine Macht über mich!

Damit hatte er bedingt recht. Lucifer verbüßte seine Strafe in einem von Engeln bewachten Verlies tief unter der Erde. Eine direkte Bedrohung ging also nicht von ihm aus. Andererseits brachten uns Lucians Arroganz und blinder Zorn immer wieder in Schwierigkeiten, aber ihn jetzt im Stich zu lassen, wo Jekon und Elian sich bereits von uns abgewandt hatten, war keine Option. Dieses eine Mal würde ich ihm noch gegen meine Überzeugung folgen. Was er verzweifelt suchte und in den falschen Händen unser aller Untergang herbeiführen würde, musste sich hinter den Gemäuern dieses Hauses befinden.

Ich zog mich ein Stück zurück und lehnte mich mit dem Rücken an den Stamm eines knorrigen Laubbaums, dessen Blätter alle Farben des Herbstes trugen. Links von mir hielten sich Nilas, Dakon und Milias hinter zwei Tannen verborgen. Sie verharrten regungslos auf der Stelle, warteten wie wir alle darauf, dass die Bewohner des Hauses zu Bett gingen. Zeit besaßen wir schließlich im Überfluss, nur Lucian zeigte die ersten Anzeichen von Ungeduld. Der Wind nahm zu und Wolken bildeten sich am sternenklaren Nachthimmel.

Das kleine, blonde Mädchen stand auf, umarmte ihren Vater und gab ihm einen Gute-Nacht-Kuss, danach ging sie zu ihrer Großmutter und das Szenario wiederholte sich. Die Mutter erhob sich ebenfalls, nahm ihre Tochter auf den Arm und die beiden verließen den Raum.

Ein seltsamer Druck baute sich in meinem Brustkorb auf, wie ich ihn nie zuvor verspürt hatte. Mich beschlich die Vermutung, unabhängig von der Anwesenheit meiner Brüder nicht allein zu sein. Irgendetwas stimmte nicht.

Über das Rauschen der Blätter im Wind legte sich für den Bruchteil von Sekunden ein anderes Geräusch und mir wehte ein vertrauter Geruch in die Nase, den ich zuletzt vor Tausenden von Jahren wahrgenommen hatte. Eine nahezu unwiderstehliche Süße lag in der Luft. Pudrig, mit einer lieblichen Honignote und einem Hauch herben Weihrauchs. Betörend für die Menschen – der unverkennbare Duft himmlischer Geschöpfe.

Lucian sprach meine Gedanken aus. »Shemyaza dun Armoniel.« Shemyaza und Armoniel.

»Che emnen ichem rehir na.« Ich nehme mich Ihrer an. Entschlossen stieß ich mich von dem dicken Baumstamm ab. Seit einer Ewigkeit in unserer Unendlichkeit waren wir nicht mehr auf die letzten zwei der ehemals zweihundert Grigori getroffen, die uns seit jeher jagten, um das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse wiederherzustellen.

Bevor ich Lucian den Rücken zuwandte, erinnerte ich ihn an unsere Abmachung. »Erab ovide nihe, sret si shey lefas.« Aber vergiss nicht, erst wenn sie schlafen.

Dakon tauchte neben mir auf. »Che redew chid glieten.« Ich werde dich begleiten. Seine Stimme klang wie ein langgezogenes Knurren. »Armoniel dun che nabah nien ohn nurgech fenof.« Armoniel und ich haben noch eine Rechnung offen. Die Verletzungen, die der Grigori ihm nach dem Niedergang des schönsten aller Himmel zugefügt hatte, entstellten ihn bis heute. Ein Ohr und zwei Finger hatte ihn der Kampf mit ihm gekostet. Die ehemaligen Wächterengel konnten uns mit ihren Schwertern verletzen, jedoch nicht töten. Dafür benötigten sie, was sich im Inneren des Hauses verbarg. Sie waren also aus demselben Grund wie wir hierhergekommen.

Ich nickte. »Os ies se.« So sei es.

Dakon hüllte uns in schwarzen Nebel und wir verschmolzen mit der Dunkelheit. Lautlos bewegten wir uns durch die Nacht, alle Sinne geschärft, wie die eines ganzen Rudels von Raubtieren. Unsere Instinkte führten uns dorthin, wo wir die Grigori vermuteten.

»Ieseht tu shey?« Siehst du sie?, hörte ich Dakons Frage in meinem Kopf.

»Ineh.« Nein, erwiderte ich gedanklich. »Erab che chiere shey.« Aber ich rieche sie. »Shey enok nihe tiew snije.« Sie können nicht weit sein. Der penetrant süße Geruch und ihre starke Präsenz verrieten mir, sie befanden sich in unmittelbarer Nähe. Eine unsichtbare, nicht greifbare, dafür deutlich spürbare Aura strömte durch die Luft.

Zeitgleich zogen wir unsere Schwerter. Die schwarzen Klingen, geschmiedet in den Flammen des ersten Feuers der Aori, dem Urvolk unserer elbischen Mütter, fügten ihren Gegnern unheilbare Wunden zu und brachten jedem Wesen den Tod. Auch den Grigori, deren unumstrittenem Mut ich größten Respekt zollte. Ohne himmlische Unterstützung kämpften sie jedoch auf verlorenem Posten.

Dann war es plötzlich da, wie aus dem Boden gewachsen, das gleißende Licht zweier Flügelpaare und ich stieß einen Warnruf aus.

»Terni rid!« Hinter dir! Im selben Moment schnellte ich nach vorne, um einen der beiden Schwerthiebe gegen meinen Bruder abzufangen. Glänzendes Palladium traf mit zerstörerischer Wucht auf mattes Tantal. Metallfunken stoben umher, während sich die Klingen kräftemessend aneinanderrieben und mein Gegner sich zu erkennen gab.

»Shemyaza«, sprach ich seinen Namen aus und verneigte mich respektvoll vor ihm, ohne den einstigen Hauptmann der Grigori aus den Augen zu lassen. Jedwede Fahrlässigkeit hätte fatale Folgen für mich gehabt.

»Leviathan«, erwiderte er und für den Bruchteil einer Sekunde ließ der Widerstand seiner Waffe nach.

Ich nutzte die Gelegenheit, drängte den gefallenen Engel zurück, um Dakon mehr Raum zu verschaffen, der sich mit Armoniel bereits einen verbitterten Schlagabtausch lieferte.

Die Langschwerter zwischen uns gekreuzt stand ich Shemyaza Auge in Auge gegenüber.

»Og aslen tu ohn nast.« Geh, solange du noch kannst. Sein bedrohliches Zischen entlockte mir lediglich ein verächtliches Schnauben.

»Sla go tu ej nien oncey egan ichem stahe, istermi.« Als ob du je eine Chance gegen mich hättest, Meister. Ich holte zum Schlag aus. Obwohl er mich die Kampfkunst gelehrt hatte, wusste er genau, dass er mir unterlegen war, wenn er nicht in den Besitz dessen kam, wonach alle strebten und das uns in dieser Nacht an diesen Ort geführt hatte. Shemyaza zu unterschätzen wäre jedoch töricht gewesen, denn er verfügte über eine Schnelligkeit, die ihresgleichen suchte. Nicht umsonst hatte er einst zu den Hauptmännern der Grigori gezählt.

Hieb um Hieb trafen unsere Schwerter hart aufeinander, wir schenkten uns nichts. Metallisches Klingen und Surren fernab der menschlichen Hörsequenz erfüllte die Stille, umgab uns wie betörender Gesang. Zwei geschickte Schwertstreiche wehrte ich mit meinen Flügeln ab, erwischte ihn mit ihrem messerscharfen Rand am Oberarm. Ich hatte ihn nur oberflächlich getroffen und der Schnitt war nicht besonders tief, dennoch floss augenblicklich Blut. Keuchend wich er zurück. Ich setzte nach, holte zu einem weiteren Schlag aus.

Unterdessen brach Armoniel mit Dakons Schwertspitze in der Kehle neben mir röchelnd zusammen und hauchte seine Seele aus, die sogleich samt seinem Körper von unirdischen Lichtstrahlen hinauf in den Himmel getragen wurde. Der Grigori hatte für seine Erlösung gekämpft und sie war ihm vom Schöpfer gewährt worden. Dann hallte ein gellender Schrei durch die Nacht und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Meine Unachtsamkeit bezahlte ich mit einem seitlichen Schlag in die Taille, ehe Shemyaza ebenfalls innehielt und einen Wimpernschlag später verschwand. Obwohl ich keinen Schmerz fühlte, wusste ich, er hatte mich erwischt. Flüssigkeit sammelte sich zwischen meiner Haut und der ledernen Rüstung, rann mein Bein hinab, doch die Verletzung kümmerte mich nicht. Stimmen und Gedanken überschlugen sich, die Sprache der Aori vermischte sich mit der menschlichen. Ich konnte die Angst riechen. Und Rauch. Lucian hatte unsere Absprache gebrochen und wie so oft die Kontrolle über den Zorn verloren, der ihn seit jeher wie keinen anderen von uns beherrschte.

Blitzschnell eilte ich zum Haus. Dakon folgte mir und seine Gedanken jagten durch meinen Kopf. »Riw tellon ekin sehanef gerren. Tu straew red esebre alpha.« Wir wollten kein Aufsehen erregen. Du wärst der bessere Anführer.

»Che iswe.« Ich weiß, erwiderte ich stumm. Dakons Loyalität galt allein mir. Auch die abtrünnigen Dark Hearts Jekon und Elian hatten daraus nie ein Geheimnis gemacht. Aber einen Bruderkampf um das Privileg des Anführers anzuzetteln, lag mir fern.

Hitze und dunkler Rauch schlugen uns entgegen, als wir nacheinander das lichterloh brennende Gebäude betraten. Die Flammen zerfraßen die Möbel, leckten an Wänden und Decken, breiteten sich auf einer Holztreppe, die nach oben führte, wie ein züngelnder Teppich aus. Dakon drückte sich an mir vorbei, verschaffte sich Zutritt in den Raum, den wir vom Garten aus beobachtet hatten. Ich wollte ihm nach, versuchen das Schlimmste vielleicht doch noch zu verhindern, da drang ein zartes Wimmern durch das laute Knistern des Feuers zu mir vor. »Mommy, Daddy …« und ein schwindendes »Leviathan … beijt …« Leviathan … bitte … röchelte durch meine Gedanken.

Ich begrenzte das Inferno in der oberen Etage, damit die züngelnden Flammen das Zimmer des kleinen Mädchens nicht erreichten, und wandte mich dem Raum zu, in dem die Wurzel des Übels tobte – Lucian.

Dakon kam mir auf halbem Weg entgegen. »Riw ommnen las aest. Shey isne morte.« Wir kommen zu spät. Sie sind tot.

Ich nickte. Was geschehen war, war geschehen und konnte nicht rückgängig gemacht werden.

Vereinzelt schwebten Federn umher. Schwarz, teilweise silbrig glänzend und weiß. Der Vater des Kindes hatte nicht kampflos aufgegeben und Shemyaza war hier gewesen, hatte aber gegen die Überzahl meiner Brüder nichts ausrichten können.

Langsam schritt ich weiter. Unter meinen Stiefeln knirschte zerbrochenes Glas und geborstenes Holz. Die Dark Hearts zollten ihrem selbsternannten Anführer größten Respekt, hielten ihn für den stärksten. Lucian galt für sie als unantastbar. Doch kannten sie ihn nicht so wie ich. Ich senkte meine Lider, konzentrierte mich auf all meine Stärken, bündelte die negative Energie der Sünden, die uns ausmachten, und betrat das brennende Zimmer. In all dem Chaos suchte ich das von wahrem Irrsinn und reiner Mordlust gezeichnete Gesicht Lucians und fand es zwischen züngelnden Flammen und Rauchwolken. Ein diabolisches Grinsen umspielte seinen Mund. Er hatte nicht bekommen, wonach er suchte und sie dafür mit dem Tode bestraft. Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn in diesem Zustand sah, der die anderen Dark Hearts vor seiner scheinbaren Allmacht zurückweichen ließ. Der totale Kontrollverlust schwächte ihn vorübergehend und den Moment musste ich nutzen, solange er anhielt.

Unsere Blicke verbanden sich. Blitze zuckten zwischen uns auf. »As stagwe tu nihe.« Das wagst du nicht. Seine Drohung ließ mich kalt.

»Principium dun finis renieve chers ni amare, red insterni omnir imperiale.« Anfang und Ende vereinen sich in Liebe, der reinsten aller Mächte. Wie leises Gewittergrollen klang meine Stimme und gab eine Beschwörungsformel wieder, die mich einst mein Vater gelehrt hatte. »Incumbe chid rehir, tenebris cordis.« Beuge dich ihrer, finsteres Herz.

Blendend weiße Lichtstrahlen erfassten den Körper Lucians, zwangen ihn keuchend in die Knie und nahmen die Dunkelheit von ihm. Zurück blieb sein zitterndes menschliches Abbild. Von langer Dauer würde der Bann nicht sein, doch zumindest für einige Stunden hatte ich Lucian seines Zorns beraubt.

»Toffas ihem ortis onve rihe. Che redigle sad relique ellin.« Schafft ihn fort von hier. Ich erledige den Rest allein.

Trotz ihrer eigentlichen Ebenbürtigkeit neigten meine Brüder ihre Häupter vor mir und nahmen sich Lucians an. Regungslos beobachtete ich, wie sie ihn hinaus in die Nacht trugen, sich in schwarzen Nebel hüllten und entschwanden.

Danach richtete sich mein Augenmerk auf die sterblichen Überreste der Menschen, die zweifellos versucht hatten einander zu beschützen. Ich beugte mich zu ihnen hinab, wollte ihre leblosen blauen Augen für immer schließen, als plötzlich tief in meinem Inneren etwas mit aller Gewalt an mir zerrte, während aus weiter Ferne ein markerschütternder Schrei einem schaurigen Schluchzen gleich durch meinen Kopf jagte. »MOM! DAD! …«

KAPITEL 2

Unsanft landete ich im Hier und Jetzt, schlug weinend die Augen auf. Der Dark Heart war verschwunden, bloß Levis unstet flackernde Augenfarbe bezeugte, dass er existierte und in ihm lebte.

Die Wucht des Erlebten hatte uns beide in die Knie gezwungen. Meine Finger waren in seinem Shirt verkrallt. Levi hielt mein Handgelenk fest umschlossen. Unzählige Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und er rang keuchend nach Luft. Ich hingegen zitterte am ganzen Körper, wurde die schrecklichen Bilder nicht los.

Als Levi spürte, wie ich mich unter seinem harten Griff wand, löste er seine Finger und gab mich frei.

»Bring mich wieder zurück«, wimmerte ich schluchzend.

»Nein.«

»Ich muss –«

»Nein«, unterbrach er mich. »Es ist zu gefährlich. Du hast dich nicht an das gehalten, was ich dir gesagt habe. Um ein Haar hättest du unsere Verbindung unterbrochen.«

Ich wusste, worauf er anspielte. Als ich meine Familie regungslos auf dem Boden liegen gesehen hatte, wollte ich mich von ihm losreißen.

»Mein Leben, meine Entscheidungen.«

Levi schüttelte kaum sichtbar den Kopf. »Diese Entscheidung kannst du nicht treffen. Ich werde dich kein zweites Mal deiner Vergangenheit aussetzen. Dein Leben ist nicht verhandelbar.«

Er meinte es bitterernst. Das war ihm überaus deutlich anzusehen.

Ich fühlte nichts außer den verzweifelten Wunsch, noch mal in der Zeit zurückzureisen und meine Familie zu warnen. Irgendeinen Weg musste ich finden, um sie zu retten. »Wenn –«

»Erinnere dich an das, was ich dir gesagt habe«, beantwortete er meine Frage, bevor ich sie ausgesprochen hatte. »Niemand kann die Vergangenheit ändern.« Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob er sich vom Boden, richtete sich auf und fuhr mit beiden Händen angespannt durch seine Haare. »Wäre ich fähig dazu«, flüsterte er erschöpft, »würde ich viele Dinge ungeschehen machen.«

Ich stand ebenfalls auf, schaute ihn an und wusste nicht mehr, was ich an diesem Ort noch verloren hatte. In meinem Inneren breitete sich eine seltsame Leere aus, die von Traurigkeit und Enttäuschung beherrscht wurde. Etwas anderes war nicht mehr da.

Levi hatte meiner Familie kein Leid zugefügt, es aber auch nicht von ihnen abgewendet. Unweigerlich musste ich an eine von Sams Weisheiten denken. »Wer ein Unrecht nicht verhindert, trägt dieselbe Schuld wie derjenige, der es begangen hat.«

Natürlich wusste er, was in mir vorging, weil er meine Gedanken klar und deutlich hörte. »Heaven, ich …« Levi verstummte.

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, hob ich meinen Rucksack auf, warf ihn mir über die Schulter und ging an ihm vorbei zur Haustür. Es zerriss mich in meine Einzelteile, dennoch konnte ich nicht länger bei ihm bleiben. Nicht nach allem, was ich gesehen hatte. Und tief in meinem Inneren wusste ich, dieser traumatische und lebensverändernde Einschnitt war erst die Spitze des Eisbergs.

»Heaven, geh nicht, bitte …«, bat er mich leise.

Ich öffnete die Tür, blieb auf der Schwelle stehen und drehte mich zu ihm. Während sich unsere Blicke begegneten und verbanden, spürte ich einen stechenden Schmerz in der Brust, ganz so, als wäre mein Herz zersplittert. Nie wieder würde ich fühlen, was ich für ihn fühlte. Dessen war ich mir mittlerweile absolut bewusst. Aber ich konnte und wollte nicht bleiben. Dabei hatte er mich mehrfach vor sich selbst gewarnt, mir gesagt, ich sei nicht dafür gemacht, von der Dunkelheit geliebt zu werden. Trunken vor Glück hatte ich alles Negative ignoriert, war blind und taub für das Offensichtliche gewesen. Nun musste ich mit den harten Konsequenzen leben.

»Ich darf dich nicht verlieren …«

Mit seinen Worten überkam mich das Gefühl, jeder einzelne Splitter meines Herzens würde noch mal zerbrechen. Es tat höllisch weh. »Das hast du schon«, flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme und schloss die Tür hinter mir.

Blindlings lief ich die Stufen hinab zum Strand. Levi folgte mir nicht und ich war froh darüber, weil ich seine Nähe nicht ertragen hätte. Zu viel lastete in all seiner Schwere auf mir. Ich wollte nur weg. Weit, weit weg. Von ihm und diesem verwunschenen Ort. Wäre ich dazu fähig gewesen, hätte ich die schrecklichen Bilder vom Wind weit hinaus aufs Meer tragen lassen. Die Wahrheit konnte Fluch und Segen gleichermaßen bedeuten. Ich hatte sie eingefordert und musste nun irgendwie damit klarkommen, dass meine Familie und ich zu unschuldigen Opfern überirdischer Machtkämpfe geworden waren. Womöglich sogar mein Herz.

Unten angekommen lief ich weiter über den Strand und landete in einer von den Gestirnen schwach beleuchteten Sackgasse, die ich allzu gut kannte und mich beinahe mein Leben gekostet hätte. Tränen der Traurigkeit vermischten sich mit denen größter Wut über meine eigene Dummheit. Hastig wischte ich mir die feuchten Spuren aus dem Gesicht, war versucht Orlin anzurufen, damit er mir aus der Patsche half, aber bevor ich mein Handy im Seitenfach des Rucksacks ertastet hatte, wich das Meer zurück und ebnete mir den gefahrlosen Weg um den schroffen Felsen herum in die kleine Mittelbucht.

Über meine Schulter schaute ich hinauf zum Haus und erblickte Levis Silhouette hinter der gläsernen Giebelwand. Er wachte über mich. Trotz allem. Was mir jeden weiteren Schritt, der die Distanz zwischen uns vergrößerte, zusätzlich erschwerte. Glück und Leid lagen so verdammt nah beieinander. Ich wollte laut schreien. Die ganze Welt sollte hören, wie verraten und verletzt ich mich fühlte, wie weh es tat. Abermals wischte ich mir mit dem Handrücken die feuchten Spuren aus meinem Gesicht, straffte die Schultern, umging das steinige Hindernis und lief weiter über den verlassenen dunklen Strandabschnitt.

Als ich dessen Ende erreicht hatte, wich auch dort das Wasser zurück. Trockenen Fußes konnte ich den Strand passieren und schließlich den Pfad zu den Klippen hinaufgehen.

Der Wald zu meiner Rechten schluckte das spärliche Licht der Gestirne. Dunkelheit umgab mich, doch fürchtete ich mich nicht. Mir war ohnehin egal, ob mein Leben weiterging oder an diesem Ort endete. Alles, woran ich geglaubt hatte, war unwiderruflich verloren und ich nichts weiter als eine austauschbare Schachfigur auf einem beschissenen Spielbrett übernatürlicher Mächte zwischen Himmel und Hölle.

Ich wollte das nicht. Nichts davon. Niemand hatte mich danach gefragt, ob mir die Rolle gefiel, die wer auch immer für mich vorgesehen hatte. Gab es das wirklich? Vorsehung? Wenn sie tatsächlich existierte, konnte sie mich kreuzweise. Sie würde sich die Zähne an mir ausbeißen. Mein Leben. Meine Entscheidungen.

Mein Trotzkopf eskalierte total. Gedanklich erklärte ich Gott und der Welt den Krieg. Und allem anderen sowieso. Gerechtigkeit existierte nicht länger und das Universum war ohnehin ein mieser Verräter. Die einzigen Menschen, denen ich bedingungslos vertrauen konnte, waren Sam und Orlin. Jetzt verstand ich, warum sie stets um mich besorgt waren. Anscheinend kannten sie im Gegensatz zu mir das Spiel des Lebens bereits in- und auswendig, dabei war ich mir bis vor wenigen Minuten allwissend und wahnsinnig erwachsen vorgekommen. Aber vielmehr war ich glücklich gewesen und davon überzeugt, ich hätte die Liebe meines Lebens gefunden. Den einzig Richtigen. Life sucks so much!

An der höchsten Steilklippe verlangsamte ich meine Schritte. Unweigerlich dachte ich an den Abend zurück, der mich einen Teil meiner Erinnerungen gekostet hatte, und an das einzige Wort, das mir im Gedächtnis geblieben war. Nihil – Nichts. Ich musste etwas gesehen haben, was nicht für meine Augen bestimmt gewesen war, sonst wären meine Erinnerungen an den Abend nicht gelöscht worden. Ob Levi dafür ebenfalls die Verantwortung trug oder einer seiner Brüder würde ich womöglich nie erfahren – eine Tatsache, die mich noch mehr aus der Bahn warf.

Tief durchatmend zwang ich mich weiterzugehen, bog schließlich vom Pfad auf die kleine waldgesäumte Allee zum Hotel ab und ließ sie so schnell wie möglich hinter mir. Alle Fenster zum Wald hin waren dunkel, bloß in der Lobby brannte Licht. Ich hoffte inständig, auf den letzten Metern nicht von Sam oder Orlin erwischt zu werden. Einer weiteren Konfrontation in dieser Nacht fühlte ich mich nicht gewachsen und befürchtete, auf der Stelle einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, würde ich ihnen Rede und Antwort stehen müssen.

Rechne mit dem Schlimmsten und hoffe das Beste. Innerlich bereitete ich mich sicherheitshalber auf das Worst-Case-Szenario vor, gelangte jedoch wider Erwarten unbehelligt in mein Zimmer. Nicht einmal der Nachtportier nahm Notiz von mir.

Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, setzten die typischen menschlichen Automatismen in traumatischen Stresssituationen ein. Ich funktionierte. Als ich endlich bei laufendem Fernseher im Bett lag, konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, was ich nach dem Betreten der Hotellobby gemacht hatte. Nur eines gelang mir mühelos und unaufhörlich. Weinen.

KAPITEL 3

Nachtflug von Vancouver nach Lincoln Nebraska. Nonstop. Erste Klasse. Zurück nach Hause. Mindestens für sechs Stunden würden wir in der Luft hoch über den von Dunkelheit verhüllten Wolken schweben.

Im Flugzeug herrschte eine angenehme Form von Stille. Fast alle Passagiere schliefen. So auch Sam. Er hatte es sich in der Reihe vor uns gemütlich gemacht und seinen durch einen Sichtschutz abgeschotteten Sitz in Schlafposition gebracht, was er immer tat, wenn er die Möglichkeit dazu hatte und die Uhrzeit für ihn stimmte.

Orlin saß halbliegend in dem breiten Sessel neben mir und sah sich mit In-Ears in den Ohrmuscheln Deadpool an. Hin und wieder hörte ich sein leises Grunzlachen und im unsteten Intervall wurde mir eine Tüte Chips unter die Nase gehalten. Aber weder der Film noch Essen interessierten mich. Ich wollte bloß aus dem Fenster starren, dessen Aussicht die Finsternis meines Gemüts widerspiegelte.

»Vor dreizehn Jahren. In der Nacht, in der deine Eltern gestorben sind …« Drei Tage waren seitdem vergangen. Drei Tage, die sich wie dreitausend anfühlten. Drei Tage, in denen ich die schrecklichen Bilder nicht losgeworden war. Drei Tage, in denen ich versucht hatte aus den Bruchstücken meines Herzens ein neues zu formen. Vergeblich.

Ich saß in meiner persönlichen Hölle fest, die ich zu allem Überfluss eigenhändig erschaffen hatte, weil ich nicht dazu fähig gewesen war, mich einem jahrtausendealten Halbwesen zu entziehen. Dabei waren die Zeichen und Warnungen eindeutig gewesen. Allesamt hatte ich sie stoisch ignoriert, war gegen jede Vernunft einem gefühlsgesteuerten Ruf gefolgt, der zuerst meine ganze Welt auf den Kopf gestellt und dann – im glücklichsten Moment – unwiederbringlich zerstört hatte. Zurückgeblieben war lediglich eine melancholische Hülle, die nicht wusste, wohin sie gehörte, wie alles weitergehen sollte, und von schwindelerregend vielen Fragen umtanzt wurde, deren Beantwortung in meilenweite Ferne gerückt war.

Räumliche Distanz würde unsere Verbindung schwächen, hatte Levi gesagt. Bei ihm mochte das vielleicht funktionieren, bei mir eher nicht. Seine Stimme war allgegenwärtig, hallte permanent durch meine Gedanken und löste ein dauerhaft beklemmendes Gefühl in meiner Brust aus. Die letzte Begegnung mit ihm fraß mich regelrecht auf, ließ mich nicht mehr los, spulte sich wie ein Film in Endlosschleife ab, und ich wusste nicht, was ich dagegen tun sollte. So lange hatte ich versucht meine Gedächtnislücke zu schließen und nun wünschte ich mir, jemand würde mein Gehirn resetten, die Erinnerungen an Levi und die gesamte Zeit in Port Hardy einfach löschen.

Neben mir gluckste Orlin amüsiert und das Rascheln einer Tüte, gefolgt von Sour-Cream-Geruch, verriet mir, ohne hinzusehen, er hielt die Chips wieder in meine Richtung. Mechanisch schüttelte ich den Kopf. Es knisterte und der würzige Duft wurde schwächer. Ich atmete erleichtert auf und kehrte zurück in mein gedankliches Nirgendwo, in dem einzig Raum für mein kaputtes Herz existierte.

Orlin wäre jedoch nicht Orlin gewesen, hätte er sich damit einfach so abgefunden. Ehe ich mich sträuben oder überhaupt irgendwie reagieren konnte, hob er mich von meinem breiten Sitz und beförderte mich auf seinen. Er legte meine Beine über seine Oberschenkel und danach seinen Arm um meine Schultern, bevor er mich im Kuschelmodus enger an sich zog.

Augenblicklich fühlte ich mich um ein Vielfaches wohler. Seine Wärme tat gut, obwohl es noch etwas gab, das zwischen uns stand und mein Gemüt zusätzlich belastete.

»Orlin?«

Er zog sich einen Stecker aus dem Ohr. »Ja?«

»Wegen neulich … als du … du weißt schon.« Seufzend atmete ich tief durch. Orlin wäre bereit gewesen, die Freundschaftslinie zu überschreiten und ich hatte ihn abgewiesen, ihn verletzt – eine Tatsache, die mir nach wie vor extrem unangenehm war und mit der ich mich wahnsinnig schwertat. »Ich … ich wollte mich nicht wie ein Arschkeks verhalten.«

»Hast du nicht«, erwiderte er. In seinen Augen glomm ein schelmisches Funkeln auf. »Na ja, vielleicht wie ein kleiner. Durchgebacken und ohne Schokolade versteht sich.«

»Die übelste aller Sorten.«

»Jep!« Ein niedliches Schmunzeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, ehe er mir einen Kuss auf die Nasenspitze hauchte. »Mein Timing war aber auch unterirdisch mies.« Er lachte leise. »Daran sollte ich unbedingt arbeiten.«

»Tut mir leid«, murmelte ich zerknirscht.

»Mach dir keinen Kopf deswegen, Biscuit, ich hab’s überlebt und wer weiß, vielleicht bringe ich dein Herz eines Tages, zur richtigen Zeit, doch noch zum Schmelzen?!«

Die traurige Erkenntnis, dass es nichts mehr gab, was er hätte zum Schmelzen bringen können, behielt ich für mich. »Ja, wer weiß?!«, flüsterte ich stattdessen und rang mir ein Lächeln ab.

Orlins Blick huschte zum Bildschirm und wieder zu mir zurück, dann steckte er mir seinen zweiten In-Ear ins Ohr und ich hörte den Sound zu dem Film, den wir bereits mehrfach zusammen gesehen und der seinen schrägen Humor selbst bei der x-ten Wiederholung nicht verloren hatte.

Obwohl mir nicht der Sinn danach stand, musste ich lachen. Zum ersten Mal seit drei Tagen. Deadpool hatte es einfach voll drauf. Genau wie Orlin.

»So gefällst du mir besser«, flüsterte er mir ins nicht zugestöpselte Ohr.

»Ich mir auch«, gab ich leise zurück.

»Dann sollten wir dringend daran arbeiten, dass das so bleibt.«

***

Die Fahrt vom Flughafen nach Hause kam mir vor wie ein Traum und ein vorfreudiges Kribbeln breitete sich in meinem Bauchraum aus. Ich schaute aus dem halb geöffneten Seitenfenster, inhalierte den vertrauten sommerlichen Geruch von frisch gemähtem Gras, Blumen, stillen Gewässern sowie alten und neuen Gebäuden, und ließ das besondere Stadtflair auf mich wirken. Die Luft war etwas wärmer und stickiger als in Port Hardy, roch dafür aber nach Heimat und das war nach einem guten halben Jahr des Umherreisens zwischen verschiedenen Ländern schlichtweg unbezahlbar.

Vor dem geöffneten Antiquitätenladen stoppte das Taxi und ich konnte mich nicht entsinnen, wann ich jemals trotz Reisemüdigkeit so schnell samt meinem Gepäck einen Wagen verlassen hatte. Sam war noch mit dem Bezahlen beschäftigt, als ich bereits mitten in den Altertümern, tickenden Uhren unterschiedlicher Epochen und allerlei seltsamen Kuriositäten stand. Von euphorischer Freude getrieben drehte ich mich einmal um mich selbst und begrüßte aus dem Schwung heraus Mr Main, einen weiteren Mitarbeiter meines Onkels.

Orlin bekam die volle Wucht meiner Wiedersehensfreude ab, weil er prompt mit meiner herumwirbelnden Reisetasche konfrontiert wurde, die hart unterhalb seiner Gürtellinie landete. Sichtlich gequält stöhnte er auf.

»Ups!«, stieß ich erschrocken aus.

Mr Main lachte. »Endlich ist wieder Leben in der Bude, das habe ich ganz schön vermisst.«

Orlin warf mir unterdessen einen finsteren Blick zu und riss mir die schwere Tasche samt meinem Rucksack von den Schultern. »Kaum eine Minute zu Hause und ich kann meine Familienplanung knicken«, brummte er. »Bevor du noch größeren Schaden anrichtest, bringe ich die Sachen rauf in dein Zimmer und danach …« Er machte eine kurze Pause, verzog das Gesicht und rieb sich wegen des vielen Gepäcks ungelenk über die Aufprallstelle. »… werde ich mich sicherheitshalber jetzt schon mal als impotenter alleinerziehender Vater bei einer Adoptionsbehörde registrieren lassen.«

»Der Schmerz spricht aus ihm«, erklärte Mr Main, während Orlin die Stufen zu unserem Apartment eine Etage höher emporstieg. »Ich freue mich auf jeden Fall, dass du wieder da bist, Heaven.«

Natürlich freute er sich, mich zu sehen. Ihm hatte ich auch nicht mit meiner prallgefüllten Reisetasche die Hoden in den Hintern geschlagen. Armer Orlin. Ich musste mich unbedingt entschuldigen und ein Kühlpack für seine Genitalien besorgen, aber erst mal unterdrückte ich glucksend ein Lachen.