Darknet - Otto Hostettler - E-Book

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Otto Hostettler

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Beschreibung

In atemberaubendem Tempo entstehen in verborgenen Bereichen des Internets blühende Schwarzmärkte für Waffen, Drogen, Medikamente, falsche Pässe, geklaute Kreditkarten oder Hackerdienste. Diese anonymen Onlineshops sind kundenfreundlich und nutzerorientiert, bezahlt wird mit Bitcoin oder anderen Kryptowährungen. Auch Schweizer kaufen ein und bieten ihre illegalen Waren feil, doch Behörden und Ermittler schauen hilflos zu. Zu wenig wissen sie über die Schattenwelt des Internets, die nur über den anonymen TOR-Browser zugänglich ist. Für dieses Buch recherchierte «Beobachter»-Autor Otto Hostettler monatelang im Darknet und interviewte zahlreiche Cybercrime-Spezialisten, IT-Experten und Onlinehändler. Mit seinem Buch liefert er eine umfassende Analyse dieses neuen kriminalistischen Phänomens – und den dringend benötigten Weckruf für Internetnutzer, Eltern, Lehrpersonen, Ermittler.

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Otto Hostettler

DARKNET

Die Schattenwelt des Internets

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2017 NZZ Libro, Neue Zürcher Zeitung AG, Zürich

Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2017 (ISBN 978-3-03810-257-1)

Lektorat: Karin Schneuwly, Text Praxis, Zürich

Titelgestaltung: TGG Hafen Senn Stieger, St.Gallen

Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN E-Book 978-3-03810-302-8

www.nzz-libro.ch

NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung

Gedruckte Lizenzausgabe für Deutschland und Österreich:

Frankfurter Societäts-Medien GmbH

Frankenallee 71–81

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

  1Darknet, Cybercrime und Ermittler-PR: Einleitung

  2Zwiebelschalen – anonym durchs Internet

  3Freie Informationen für alle: Der Traum des Internets

  4Bitcoin, das Mass aller Dinge

  5Globalisierte Betrüger: Fälschen, Klauen, Hacken

  6So kundenfreundlich sind Darknet-Marktplätze

  7Verkaufsknüller Drogen und illegale Medikamente

  8Von Silkroad zu Alphabay: Die ökonomische Parallelwelt

  9Schweizer Szene: Breites Angebot und rege Nachfrage

10Die Welt des Cannabishändlers «Edelweiss»

11OpenBazaar – der Albtraum der Ermittler

12Überforderte Ermittler und schadenfrohe Kriminelle

13Chancen für Behörden: Neue Strukturen und Kooperationen

Anhang

Dank

Der Autor

Vorwort

Der Begriff «Darknet» taucht immer mal wieder in den Medien auf. In letzter Zeit gerade im Zusammenhang mit schweren Straftaten. Als gewichtiges Beispiel ist die Amoktat in München von Juli 2016 zu nennen. Der Täter soll seine Waffe im Darknet bezogen haben. Das Darknet wird aber auch bei illegalen Drogen- und Medikamentenbezügen oder der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten erwähnt. Prominent diskutiert wurde auch der Fall Maximilian S. («Shiny Flakes»), der in Deutschland im November 2015 verurteilt wurde – wegen Handel mit Betäubungsmitteln via Darknet.

Als Strafverteidiger und Konsulent von Unternehmen stelle ich fest, dass es für eine erfolgreiche Mandatsausübung essenziell ist, aktuelle gesellschaftliche und technische Entwicklungen zu kennen. Gerade im Bereich des Internets ist dies von besonderer Relevanz. Auf dem Gebiet Cybercrime hat in den letzten Jahren vor allem die Entwicklung im Bereich Datendiebstahl für Schlagzeilen gesorgt. Die Strafverfolgungsbehörden mussten darauf reagieren. Es galt, diese neuere Erscheinungsform zu erfassen und Methodik und Prozesse daran anzupassen. Eine neue Herausforderung ist nun das Darknet; dessen Inhalt und Funktionsweise ist für viele Personen schlichtweg nicht fassbar und lediglich ein dunkler Fleck auf der Landkarte. Dies gilt nicht nur für den durchschnittlichen Internetnutzer, sondern teilweise auch für Strafverfolger.

So bemerkten Technikexperten, dass diesbezüglich bei Staatsanwälten die Kluft zwischen dem erforderlichen und tatsächlichen Wissen immer grösser wird. Auf verhältnismässig kostenintensive Weiterbildungen wird bei Behörden vermehrt verzichtet. Es besteht zwar das Bewusstsein um die zunehmende Wichtigkeit des Darknets als Mittel zu kriminellen Handlungen. Dennoch übersteigen damit zusammenhängende Strafverfahren häufig die Kapazitäten und Möglichkeiten der Behörden. Aus Sicht der Strafverfolger kommen erschwerend die tatsächlichen Umstände hinzu, die im Bereich der Internetkriminalität ohnehin existieren. Dazu gehören die Anonymisierung von Spuren, verschlüsselte Kommunikationsmöglichkeiten, internationale Zahlungsströme und Kryptowährungen. Entscheidend ist aber auch die Qualifikation der Ermittler und Staatsanwälte. Die Folge ist eine verzögerte Reaktion auf Straftaten, die gerade mittels Darknet begangen werden. Wenn solche Taten überhaupt erkannt werden.

Nun schildert Otto Hostettler im vorliegenden Buch Darknet – die Schattenwelt des Internets eindrücklich und faktenbasiert den Mechanismus und die Wirkungsweise des Darknets. Herausragend macht dieses Werk, dass der Autor monatelang eigenständige Feldforschungen im Darknet tätigte und Anbieter und Kenner der Branche dazu interviewte. Er ging der Materie auf den Grund. Auch fühlte er Behördenexponenten auf den Zahn. Er legt seine Erkenntnisse schonungslos offen und zeigt Möglichkeiten und Grenzen der Strafverfolger. Die Ergebnisse seiner Ermittlungen stützt er breit ab. In diesem Sinne ist das vorliegende Werk ein einzigartiger Beitrag zur Aufklärung über Umfang und Hintergründe des Darknets.

Schätzungen zufolge ist die Zahl der Internetseiten, die Google nicht findet, x-fach grösser als jene Anzahl Seiten, die von der Suchmaschine gefunden werden. Viele nehmen diese riesige, teils gar nicht sichtbare Welt des Internets – und damit auch das Darknet – als rechtsfreien Raum wahr. Doch die Gesetze gelten auch dort. Faktisch stehen Ermittler aber bei der Durchsetzung der Gesetze vor den erwähnten Problemen. Diese Schwachstellen im Dispositiv der Behörden werden ausgenutzt. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was das Darknet beinhaltet und welche Bedeutung dieses anonyme Netzwerk für die Entwicklung der Kriminalität hat. Die Gesellschaft kann sich diesem Thema nicht verschliessen, sondern sollte die Herausforderungen dieser «Schattenwelt des Internets» breit diskutieren. Das vorliegende Werk bietet eine hervorragende Grundlage dazu, öffnet die Augen und lässt aufhorchen. Besten Dank dem Autor für die höchst interessante und anregende Arbeit.

Cornel Borbély

Dr.iur. Cornel Borbély; Rechtsanwalt, Dozent für Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht

Wenn es am Morgen hell wird, macht er Feierabend. Dann hat er alle Cannabis-Bestellungen abgearbeitet. Das Kraut abgewogen, in Plastikbeutel verschweisst, in DVD-Hüllen gelegt, in luftgepolsterte Kuverts verpackt, adressiert und frankiert. Das Ende eines ganz normalen Arbeitstags im Leben von «Edelweiss», einem Schweizer Ende 30, der im grossen Stil Cannabis anbaut und vertreibt – über das Internet. Genauer gesagt: über das sogenannte Darknet. Nicht einmal sein nahes Umfeld weiss von seinem Online-Drogenhandel. Tagsüber reist «Edelweiss» per Zug mit einer Tasche voller Kuverts durch die Schweiz und gibt sie, um seine Spuren zu verwischen, auf allen möglichen Poststellen auf. Routiniert und unauffällig.

«Edelweiss» handelt nicht alleine. Ein Kumpel pflegt den «Garten», die Indoor-Hanfplantage. Ein anderer Kollege übernimmt Sonderaufgaben. Er zapfte den Strom vom öffentlichen Netz und installierte einen neuen Hausanschluss. Der massive Energiebedarf der Anlage wäre sonst dem lokalen Elektrizitätswerk aufgefallen, und die Polizei hätte dem Treiben vermutlich längst ein Ende gesetzt. Doch «Edelweiss» überliess nichts dem Zufall. Er selber, der gelegentlich wieder in der Gastronomie arbeitet, ist für den Verkauf und den Vertrieb der Hanfblüten zuständig. Und so wachsen in einem Keller an einem geheimen Ort in der Schweiz um die 2000 Pflanzen dem künstlichen Licht entgegen. Pro Erntezyklus gewinnen «Edelweiss» und sein «Gärtner» zehn Kilo Marihuana.

Bis vor einem Jahr verkaufte er das selbst gezogene Kraut ausschliesslich direkt an Freunde und Arbeitskollegen. Jetzt hat er einen neuen Absatzkanal gefunden: die anonymen Shops im Darknet. Noch immer vertreibt er zwar den grössten Teil seines Krauts persönlich an seine Freunde, wie früher. Doch im Netz wartet eine neue Käuferschaft. Regional, national, international. Diese Kunden sind anonym, aber sie bezahlen zuverlässig. Gleich bei der Bestellung. Ist die Lieferung erfolgt, geben viele von ihnen eine Bewertung für seinen Service ab. Und manche machen damit Werbung für die nächsten Käufer. Innerhalb von etwas mehr als einem Jahr verarbeitete er ziemlich genau 1000 Bestellungen. Und erreichte einen Umsatz von gut 100000 Franken. Es hätte gut und gern noch etwas mehr werden können. Aber letzten Herbst ist eine ganze Ernte ausgefallen, weil der «Garten» ein Wochenende lang keinen Strom hatte. Bauarbeiter hatten auf der Strasse vor dem Gebäude irrtümlicherweise die Stromleitung zertrennt. «Edelweiss» konnte nicht einfach das Elektrizitätswerk anrufen. Berufsrisiko eines Drogenhändlers (s. a. Kapitel 10).

«Edelweiss» ist Teil eines Phänomens: des Darknets. Innerhalb weniger Jahre ist dort eine schier grenzenlose Parallelwirtschaft entstanden. Um diese verborgene Seite des Internets geht es in diesem Buch. Fast zwei Jahre lang war ich selber im Darknet unterwegs, habe neun anonyme Marktplätze beobachtet, analysiert und bin selber als Käufer aktiv geworden. Meine Erkenntnisse sind zuerst in die Abschlussarbeit für den Masterlehrgang Economie Crime Investigation (MAS ECI) an der Hochschule Luzern geflossen und danach in journalistische Texte, die bei der Schweizer Zeitschrift Beobachter publiziert wurden. Ich habe mich auf den Handel mit pharmazeutischen Produkten fokussiert, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass heute bei der Bekämpfung der Produktepiraterie im Bereich der Medikamente oft von fast unglaublichen Gewinnmargen die Rede ist. Um die Abläufe dieser Verkaufsplattformen zu verstehen und nachzuvollziehen und um erfahren zu können, wie die Zahlungsabläufe und die Kommunikation unter anonymen Geschäftspartnern im Detail funktionieren, habe ich diverse Produkte bestellt. Um nicht selber mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, wurden diese Käufe wissenschaftlich begleitet und die Produkte bei einem Notar registriert, aufbewahrt und schließlich vernichtet. Das vorliegende Buch will das Phänomen dieser anonymen Marktplätze erklären und die Dimension sowie die gesellschaftliche Bedeutung aufzeigen. Gleichzeitig soll es vor Augen führen, wie sich diese Handelsplätze auf die Entwicklung der Kriminalität auswirken und inwieweit Ermittlungsbehörden das Ausmass und die Tragweite dieser Entwicklung unterschätzen.

Das Fazit dieser Recherchen: Im Darknet bietet eine rapid wachsende Zahl Händler einer weltweiten Kundschaft eine schier unglaubliche Palette von illegalen Waren und Dienstleistungen aller Art an. Ihre Onlineshops sind so geschickt gebaut wie Amazon, Zalando oder E-Bay. Um auf diese Marktplätze zu gelangen, bedarf es keinerlei technischer Vorkenntnisse. Das Einzige, was man wissen muss: Sie können mit herkömmlichen Browsern wie Firefox, Chrome oder Safari nicht erreicht werden. Nötig ist ein sogenannter TOR-Browser (TOR: The Onion Router), der – legal – die eigenen Spuren im Internet verwischt. Statt «.ch» oder «.com» tragen die Seiten im Darknet die Endung «.onion» in Anlehnung an die zwiebelartige Verschlüsselung der Daten, die mit dem TOR-Browser durchs Internet geschickt werden (s. Kapitel 2). Die Onlineshops im Darknet haben auch keine einprägsamen Bezeichnungen, sie gleichen einer willkürlichen Aneinanderreihung von Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen – und wechseln oft. Käufer benötigen einfach den richtigen Link, um auf diese Onlineshops zu gelangen. Die Links sind auf einschlägigen Seiten im offenen Internet für jedermann zugänglich.

Grafik 1: Wo ist das Darknet?

Wenn man das Internet mit einem Meer vergleicht, bewegen wir uns mit Google, Facebook und Co. nur an der Oberfläche.

Seit nach dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum im Sommer 2016 bekannt wurde, dass der Täter seine Waffe im Darknet gekauft hatte, taucht der Begriff plötzlich vermehrt in den Medien auf. Dabei wird die Schattenwelt des Internets mit seinen anonymen Marktplätzen geradezu mystifiziert und als geheimnisumwitterte Welt beschrieben. Das ging so weit, dass in verschiedenen Medien – fälschlicherweise – sogar dann von Darknet die Rede war, wenn sich Kriminelle auf dubiosen oder etwas versteckten Seiten im normalen, sogenannten visible (sichtbaren) Internet tummeln. Solche Fälle haben jedoch nichts mit dem Darknet zu tun, es handelt sich oft um alltägliche kriminelle Vorfälle, in denen das Internet als Tatwerkzeug benutzt wird. Etwa wenn auf fernöstlichen Webseiten gestohlene Waren oder Potenzpillen angeboten werden. Unter dem Begriff Cybercrime versteht man hingegen all die Delikte, bei denen mithilfe des Internets Schranken von Computern überwunden werden, also vom Passwortklau bis zum Hackerangriff auf eine Firma. Kaum ein Tag vergeht heute, an dem nicht publik wird, dass eine Bank oder ein internationaler Konzern von einem Hackerangriff betroffen ist.

Doch was ist eigentlich das normale Internet? Und wo liegt das Darknet? Unter dem Begriff «Internet» versteht man alle online gestellten Inhalte. Derzeit gibt es gemäss dem statistischen Online-Auswertungsdienst Internetlivestats rund eine Milliarde Webseiten. Allerdings ist mit Suchmaschinen nur ein Teil dieser im Netz aufgeschalteten Webseiten auffindbar. Der Grund liegt möglicherweise darin, dass Webseiten erst kurze Zeit online sind, die Internetadresse (URL) gewechselt hat oder die Adresse von Robots blockiert wird.1 Die Schätzungen, wie viele Seiten von Google und anderen Suchmaschinen nicht aufgefunden werden, liegen weit auseinander.

Fachleute sind sich aber einig, dass der allergrösste Teil der weltweit ins Netz gestellten Seiten mit einer Google-Suche gar nicht erst gefunden wird. Dieser Bereich wird «Deep Web» oder «Invisible Web» genannt. Der ehemalige Leiter des Europol-Kompetenzzentrums Cybercrime (EC3) Troels Oerting schätzte bei einer internationalen Ermittlertagung, dass nur gerade 4 Prozent aller existierenden Webseiten von Suchmaschinen indexiert und damit für die gesamte Öffentlichkeit sichtbar sind. Anders gesagt: 96 Prozent aller Internetseiten liegen gemäss dieser Beurteilung im Deep Web. Der niederländische Journalist und Recherchetrainer mit Schwerpunkt Internet/Social Media, Henk Van Ess, kommt zu einem etwas anderen Schluss. Er schätzt, dass Google immerhin etwa 35 Prozent aller Webseiten indexiert. Die anderen 65 Prozent liegen gemäss Van Ess im Bereich des Deep Web. Davon finden sich je ein Drittel in sozialen Netzwerken sowie im versteckten Web («Hidden Web»). Das restliche Drittel sind laut Van Ess im Internet verlorene Inhalte («Lost Web»).

Henk Van Ess ist überzeugt, dass Inhalte im nicht sichtbaren Web nicht a priori gleichzusetzen sind mit problematischen Inhalten oder dubiosen Angeboten. Tatsächlich gibt es eine nicht abschätzbare Zahl Internetangebote, die sich beispielsweise hinter einer Passwortschranke befinden – und nur schon deshalb von Google nicht gefunden werden. In diesen Bereich fallen etwa Bibliotheken, Datenbanken oder Mitgliederbereiche. Van Ess rechnet dem Deep Web auch Webseiten zu, die «lost» sind, also verloren. Darunter versteht er nicht mehr verlinkte Unterseiten («Subdomains») und Dateien, die aber weiterhin im Netz gespeichert sind. Letztere sind mit einer gezielten Google-Suche auffindbar. Dazu werden beispielsweise die Operatoren von Google systematisch eingesetzt.2 Dieser auf den ersten Blick nicht sichtbare Bereich wird auch «Below the Surface» genannt.

Wo beginnt das Darknet?

Unter dem Begriff «Darknet» oder «Darkweb» versteht man primär sogenannte Hidden Services, die aufgrund der Struktur ihrer Domainnamen lediglich mit dem TOR-Browser auffindbar sind. Das Darknet kann damit als Teilmenge des Deep Web bezeichnet werden. In englischsprachigen Ländern ist auch der Begriff «Onionland» verbreitet, in Anlehnung an die Endung der Webangebote (.onion). Die Zwiebel symbolisiert beim TOR-Projekt die schichtartige Verschlüsselung (s. a. Kapitel 2). Der Begriff «Hidden Web» wird oft als Synonym für Deep Web verwendet. Doch mit «Hidden Services» sind jene verborgenen Webseiten gemeint, die mit herkömmlichen Browsern wie Firefox oder Safari nicht auffindbar sind. Ins Netz gestellt werden solche Webseiten über TOR. So können beispielsweise Systemkritiker, Menschenrechtsaktivisten und Whistleblower vollständig anonym Informationen verbreiten, mit TOR können sie ihren Standort gänzlich verschleiern. Die Seiten von Wikileaks beispielsweise waren ursprünglich nur über diesen Dienst erreichbar. Gleichzeitig ermöglicht TOR in Ländern mit eingeschränkter Internetnutzung den Zugang zu westlichen Informationen. Weil beispielsweise China die Webseite der New York Times bereits seit mehreren Jahren blockiert, können Bürgerrechtler nur dank TOR die Zeitung lesen.

Die anonymen Marktplätze im Darknet nutzen ebenfalls diese Hidden Services. Sie werden in Anlehnung an die Verschlüsselung auch als «Cryptomarkets» bezeichnet. Im englischen Sprachraum hat sich auch der Terminus der «Dark Markets» etabliert. Neben den anonymen Marktplätzen gibt es noch weitere dunkle Bereiche, andere Darknets.

Dazu zählen beispielsweise die verborgenen Seiten von The Free Network oder von I2P. Für beide Netzwerke benötigt man einen entsprechenden Browser, der – ähnlich wie TOR – die eigene Identität (IP-Adresse) verschleiert. Diese Netzwerke haben grosse Ähnlichkeiten mit dem TOR-Projekt. Es ist aber davon auszugehen, dass sie wesentlich kleiner sind. Auch die bereits seit Jahren aktiven Peer-to-Peer-Netzwerke (P2P) – also geschlossene, gegen aussen nicht einsehbare Kreise von Personen – sind eigentlich Darknets. Diese Netzwerke sind aber Nischenangebote geblieben, oftmals mit kriminellen Inhalten. Kreise mit speziellen Vorlieben tauschen hier etwa pornografisches und kinderpornografisches Material oder Waffen aus. Entsprechend stehen sie regelmässig im Fokus der Ermittler. Das Darknet ist nur ein Teil des Deep Web, das eine ganz andere Dimension hat. Dieser Teil des Netzes dürfte ein Vielfaches dessen umfassen, was heute einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist. Es gibt Schätzungen, wonach das Deep Web etwa 500-mal grösser sein soll als das normale World Wide Web.

Seit das Internet existiert, wird es auch für kriminelle Zwecke genutzt. Vor lauter spektakulären Fällen geht heute vergessen, dass Betrüger im Netz längst Alltag sind. Sie verüben kleinere Delikte, indem sie beispielsweise über Versteigerungsplattformen wie E-Bay oder Ricardo ahnungslosen Kunden nicht existierende Produkte verkaufen und sie um ihr Geld prellen. Oder sie verschicken massenweise Werbe-E-Mails und bieten wertlose Produkte an, verkaufen fragwürdige Geldanlagen und hauen blauäugige Konsumenten übers Ohr (Spam). In all diesen Fällen bewegen sich die Täter aber im offen zugänglichen Internet. Für diese Art Delikte hat das Darknet aber ebenfalls eine wichtige Funktion. Die Täter können sich auf Onlineshops im Darknet Schadprogramme besorgen. Denn dort bieten nicht nur Leute wie «Edelweiss» Cannabis an, sondern Unbekannte verkaufen hier eine Vielzahl von Drogen, Waffen und IT-Dienstleistungen. Man muss nicht einmal besondere IT-Kenntnisse besitzen, jedermann kann sich dort für kriminelle Zwecke Informatikdienstleistungen besorgen. Man bezahlt beispielsweise einen Hacker, der für einen in das E-Mail-Konto einer Zielperson eindringt («Crime-as-a-Service»).

Oder die Täter kaufen im Darknet Programme, versenden damit Tausende von E-Mails und gaukeln Empfängern vor, sie seien ihr Finanzdienstleister und würden sie aus Sicherheitsgründen auffordern, ihr Bankkonto neu zu authentifizieren. Auch wenn hinlänglich bekannt ist, dass solche Phishing-Attacken nur zum Ziel haben, Benutzernamen und Passwörter abzugreifen, funktioniert dieser Trick bis heute. Wer gutgläubig handelt, wird auf eine Webseite geführt, die der eigenen Bank-Webseite zum Verwechseln ähnlich sieht, aber lediglich dazu dient, die Tastenkombinationen bei der Eingabe von vertraulichen Login-Angaben aufzuzeichnen.

Solche Cybercrime-Delikte sind heute alltäglich. Die Schweizerische Koordinationsstelle für Internetkriminalität (Kobik) verzeichnet seit einigen Jahren mehr Meldungen zu Phishing, Hacking und Schadprogrammen als zu verbotener Pornografie, die jahrelang Nummer eins bei der Bekämpfung der Internetkriminalität war. Ein Cyberspezialist des Bundes sagt: «Beim Fedpol stellen wir eine Verschiebung fest: mehr Wirtschaftskriminalität, weniger Pädokriminalität. Jedenfalls was die Zahl der Meldungen ausmacht.» Das heisse aber nicht, dass es tatsächlich weniger Pädokriminalität gebe, sagt der Ermittler. «Denn für diese spielt gerade das Darknet eine wichtige Rolle.»

Massiv zugenommen hat in den letzten Jahren die Zahl der Hackerattacken mit konkreten erpresserischen Zielen. Die Tätergruppen sind international organisiert und gehen gezielt vor: Server von Unternehmen aus der Finanz- und Versicherungsbranche oder Firmen mit starker Onlinepräsenz (E-Commerce) werden mit automatisierten Massenanfragen – sogenannten Distributed Denail of Service (DDoS) lahmgelegt. Dieser erste Angriff dient ihnen als Demonstration, um den Unternehmen mögliche Schäden aufzuzeigen, die durch solche Angriffe möglich sind. Denn ist ein Onlineshop eines Unternehmens über Internet nicht mehr erreichbar, bedeutet dies einen unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden. Nach dem ersten Angriff erpressen die Tätergruppen die Unternehmen und fordern Bitcoin im Wert von jeweils rund 10000 Franken. Wird der Betrag nicht innerhalb einer gesetzten Frist bezahlt, folgt eine zweite, intensivere Attacke. Diese Erpressermethode wendete 2014 und 2015 die Gruppe an, die sich unter dem Namen Armada Collectiv bei Tausenden Betroffenen einen fragwürdigen Ruf erarbeitete. Auch die Tätergruppe mit der Bezeichnung «DD4BC» («Distributed Denail of Service for Bitcoin») agiert nach demselben Muster.

Der wirtschaftliche Schaden, der durch diese beiden Gruppen verursacht wird, dürfte weltweit im hohen dreistelligen Millionenbereich liegen, schätzt Carsten Meywirth, ehemaliger leitender Kriminaldirektor der Sonderkommission Cybercrime des Bundeskriminalamts Wiesbaden.3 Doch im Dezember 2015 gelang den internationalen Polizeibehörden ein Coup: Ermittler der britischen Cybercrime-Behörde Metropolitan Police Cyber Crime Unit (MPCCU) identifizierten die Drahtzieher in Bosnien und Herzegowina. In einer koordinierten Aktion unter der Leitung von Österreich schlugen Ermittler aus Australien, Frankreich, Japan, Rumänien, USA und der Schweiz zu: Sie verhafteten neun Mitglieder der einschlägig bekannten Tätergruppe DD4BC. Seither ist es still geworden um diese Erpresser. Der Schweizer Nachrichtendienst beobachtete gemäss eigenen Angaben keine Angriffe mehr, die dem ursprünglichen Täterschema von DD4BC und Armada Collectiv entsprachen. Allerdings sind längst Nachfolgetäter in die Lücke gesprungen. Für Aufsehen sorgten 2016 Nachahmer, wie die auch in der Schweiz aktiven Tätergruppen RedDoor, NGR squad und Gladius. Einige wenden ähnliche Methoden wie DD4BC an und fordern Lösegeld, andere belassen es bei Erpressungsmails. Mitte 2016 trat unter dem Namen Kadyrovtsy eine neue Gruppe in Erscheinung. All diese Cyberkriminellen agieren ebenfalls im offenen Netz. Auf das Darknet stützen sie sich allenfalls, wenn sie sich selbst mit IT-Werkzeugen eindecken.

Weltweit richten Cyberkriminelle riesige Schäden an. Verschiedene Studien gehen alleine für Deutschland von 50Milliarden Euro pro Jahr aus. Angriffe auf das Netzwerk von Unternehmen sind alltäglich geworden. Die Gratiszeitung 20 Minuten beispielsweise wird nach eigenen Angaben täglich 20- bis 50-mal von Hackern angegriffen. Anfang 2016 war 20 Minuten Ziel einer massiven Attacke. Unbekannte schafften es, ein Programm in eine Multimediadatei einzufügen. Wer daraufhin die Webseite der Gratiszeitung besuchte, wurde automatisch auf die Seite eines externen Anbieters weitergeleitet, worauf dem Internetnutzer ein Trojaner mit der Bezeichnung «Gozi» auf den Computer heruntergeladen wurde. Wenig später wurde Besuchern von 20 Minuten ohne ihr Wissen die Schadsoftware «Bedep» heruntergeladen. Ähnliche Schadsoftware wurde bereits für Angriffe auf die Webseiten der New York Times und der BBC verwendet. Solche Attacken werden «Drive-by-Download» genannt. Die Webportale von Tageszeitungen sind dafür geradezu prädestiniert. Inwiefern solche Trojaner und andere Schadprogramme bei Internetnutzern tatsächlich Schaden anrichten, ist nicht klar. Hingegen ist der Aufwand für Newsplattformen immens, sich nur schon gegen die alltäglichen Hackerattacken zu wehren.

Fragwürdige Ermittlungserfolge im Darknet

Die Nachfrage nach Schadprogrammen und Hackerdienstleistungen scheint nicht gebannt. Entstanden ist in den letzten Jahren eine regelrechte Underground Economy. Technikaffine Täter stellen global erreichbare Plattformen zur Verfügung und bieten Crime-as-a-Service-Dienstleistungen an. Diese Plattformen, meist als Marktplätze oder Foren organisiert, liegen entweder im offenen Internet oder eben im verborgenen Darknet. Gelingt den Ermittlern – wie Anfang 2016 – ein wichtiger Schlag gegen Cyberkriminelle, ist nicht immer klar, ob sich die Täter im Darknet oder eben doch im offenen Internet tummelten. Bei dieser international koordinierten Aktion konnten die Behörden zwei verdächtigte Haupttäter und sieben Hintermänner schnappen. Sie durchsuchten in mehreren Ländern 69 Wohnungen und Firmen.

Die verdächtigten Haupttäter sind zwei in Niedersachsen wohnhafte Brüder und offensichtlich wichtige Exponenten der Szene, ihre Verhaftung war ein Coup für die Behörden. Doch das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Kriminellen und Ermittlern geht weiter. Nach jeder erfolgreichen Aktion sonnen sich die Ermittler im guten Licht, ihre Botschaft an die Unterwelt ist klar: Wir kriegen euch letztlich doch. Medien greifen solche aufsehenerregenden Fälle wie Anfang 2016 in Niedersachsen mit spektakulären Schlagzeilen auf. «Schlag gegen das Darknet», titeln Magazine und Zeitungen. Doch im vorliegenden Fall spielte das Darknet nur eine Nebenrolle. Alle von der Polizei stillgelegten Server waren Teil des offenen Internets, einige Seiten waren im Darknet lediglich gespiegelt aufgeschaltet. Das heisst, die Anbieter haben ihre Webseite unverändert auch im Darknet aufgeschaltet, aber vermutlich primär, um dort bei potenzieller Kundschaft Präsenz zu markieren. Über ihre Marktplätze und Foren im offenen Internet vertrieben die mutmasslichen Täter grosse Mengen Amphetamin, Kokain, Ecstasy, Haschisch, aber auch kriminelle Dienstleistungen auf Servicebasis (Crime-as-a-Service). Es scheint, als spiele es für die Polizei letztlich keine Rolle, wenn Medien aus den Underground-Economy-Geschichten Darknet-Mysterien zusammenschustern. Diese Unschärfe verunsichert letztlich potenzielle Darknet-Kunden, sie könnten plötzlich selber im Fokus der Ermittler stehen. Und jeder Schlag gegen Cyberkriminelle sorgt in einschlägigen Foren für angeregte Diskussionen. Diejenigen, die sich auf den anonymen Shops mit Drogen und verbotenen Substanzen oder fragwürdigen Dienstleistungen eindecken, wissen nicht mehr sicher, ob ihr Marktplatz der nächste Sumpf ist, der trockengelegt wird. «Abschreckende Wirkung» nennen das Ermittlungsbehörden.

Letztlich nutzen Ermittler das fehlende Wissen breiter Teile der Medien und der Bevölkerung für ihre PR-Zwecke. Es mag gut klingen, Ermittlungserfolge in einem Bereich zu kommunizieren, der als mysteriös, anstössig und vollkommen anonym gilt. Sogar der Schweizer Nachrichtendienst betreibt dieses Spiel. In einem Bericht der Melde- und Analysestelle Informationssicherheit (Melanie) schrieb der Nachrichtendienst zum erwähnten Fall in Niedersachsen kühn von einer «Razzia gegen Darknet». Doch von einer Razzia kann nicht die Rede sein, denn die international koordinierte Aktion legte eine Reihe von dubiosen Onlineshops lahm, die im offenen Internet aufgeschaltet waren. Dieser Fall war alles andere als eine «Razzia gegen Darknet».

Das Darknet als abgeschotteter Bereich des Internets ist für solche Crime-as-a-Service-Anbieter, für Drogenhändler und Hehler verbotener Produkte und Dienstleistungen aber tatsächlich ein Eldorado. Dort sind Ermittlungserfolge deutlich dünner gesät. Auf diesen verborgenen Marktplätzen dominiert deshalb alles, was verboten ist: illegale Güter, vor allem Drogen, rezeptpflichtige Medikamente und gefälschte Kredit- und Kundenkarten, gestohlene Identitäten, gefälschte Pässe, Waffen, Munition, verbotene Substanzen – und eine Vielzahl von IT-Dienstleistungen (s. a. Kapitel 7)