Das alte Dorf - Reinhold Aßfalg - E-Book

Das alte Dorf E-Book

Reinhold Aßfalg

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Beschreibung

Das Dorf, um dessen Einwohner es hier geht, liegt im Herzen Oberschwabens. Der Krieg ist gerade vorbei. Unter den wachsamen Augen der »heiligen Dreifaltigkeit« Pfarrer, Bürgermeister und Lehrer (und unter den Augen der Nachbarn) führt man sein Leben, wie man es immer schon gewohnt ist: Der Pfarrer sorgt für das ewige Heil, der Bürgermeister dafür, dass alles funktioniert, und der Lehrer paukt mit dem Nachwuchs. Wer angesehen ist und dazugehören will, strengt sich an. Wer nichts hat, muss schauen, wo er bleibt. In einer unterhaltsamen Erzählung gibt Reinhold Aßfalg einen entlarvenden und pointierten Blick auf die Urtypen der dörflichen Gemeinschaft.

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Reinhold Aßfalg

Das alte Dorf

Ein Blick in die oberschwäbische Seele

Zum Autor

Reinhold Aßfalg, geb. 1940 in Seekirch am Federsee, studierte Psychologie, Philosophie und Soziologie in München. Über dreißig Jahre lang arbeitete er als Leiter der Fachklinik für alkoholkranke Männer in Renchen. In zahlreichen Büchern beschäftigte er sich mit der Frage, wie Suchtkrankheiten entstehen, wie sie behandelt und überwunden werden können; dazu kommen allgemeinpsychologische Themen wie z.B. die Suche nach dem Glück. Mit etwa 15 Jahren verließ er sein Heimatdorf, das er seither als eine wertvolle und liebe Erinnerung in sich trägt. In seinen Prosagedichten wiederbelebt Aßfalg eine dörfliche Wirklichkeit, die es so nicht mehr gibt.

Impressum

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2022 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2022

Redaktion: Anja Sandmann

Lektorat: Isabell Michelberger

Layout / Herstellung: Laura Müller

Umschlaggestaltung: Susanne Lutz

ISBN 978-3-8392-7296-1

Widmung

Für Marianne und Nicole

Schilf und Seerosen,

alles, was jetzt raschelt und blinkt,

wächst, stirbt ab und setzt sich

auf den moorigen Grund.

Dann wird alles wieder neu,

glänzt in sich verwandelnder

Pracht,

und so verstreicht die Zeit.

Einladung zum Lesen

Wer in einem kleinen Dorf geboren und aufgewachsen ist, trägt dieses Dorf ein Leben lang in sich. Im Guten und im Nicht-so-Guten. Es war eine eigene Welt. Unvergesslich die liebenswerten, oft schrulligen Gestalten, die besonderen Ereignisse und Verwicklungen. Wohlgeordnet ist nichts, oft geht es durcheinander wie Kraut und Rüben. Mein Dorf heißt Seekirch am Federsee, es liegt im Herzen Oberschwabens und hatte damals etwa zweihundert Einwohner. Sollten Sie je hinfahren, kann es sein, dass Sie dieses Dorf gar nicht mehr finden, alles hat sich verändert, ob zum Guten oder zum Schlechten ist schwer zu sagen. Vorbei ist vorbei. Aber wenn Sie lesen wollen, was das Zusammenwirken von Erinnerung und Fantasie aus dem ursprünglichen Dorf gemacht hat, freut es mich, und ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung.

Reinhold Aßfalg im Februar 2022

Inhalt

Zum Autor

Impressum

Widmung

Einladung zum Lesen

Das Dorf hat alles in sich

Der Schneidermeister

Der Hausmetzger

Der Herr Pfarrer

Der Bartle und seine Bäuerin

Die Namen sind nicht die richtigen Namen

Der Herr Lehrer

Die Frieda

Felix

Das Lädele

Der Emil

Der alte Miehle und seine Frau

Gustav und noch ein Gustav

Ein Stammgast

Die Anna

Der alte Jäger und seine Töchter

Der alte Jäger und seine Gäste

Michel

Die Hermine

Es geistert

Der Bürgermeister

Das Rathaus und die Gebäude drum herum

Böse Erinnerung

Die Stimme im Radio

Eine böse Zeit.

Der Umsturz

Adelheid

Josefa und ihr Mann

Der Bub

Der Spätheimkehrer

Fieselers Anna

Der Adlerwirt und seine Frau

Was einen guten Wirt ausmacht

Adlerwirts Ältester

Die Konde

Der Fund

Sensation

Der Unterhalter

Adlerwirts Zweitjüngster

Adlerwirts andere Kinder

Tante Betha und Onkel Aloys

Ein lustiger Bub

Gesang

Flüchtlinge

Aufklärung

Das Fest

Verstöße

Arbeit muss sein

Abwechslung

Sparsamkeit

Die Leute

Nachbarschaft

Im Herbst

Was ein Hütebub alles dabeihaben muss

Hüter der Andacht

Franz

Was man so sagt

Nett und -le

Der Vere

Fast das Wichtigste

Wenn man mal muss

Die Kundschaft muss gepflegt werden

Wer das Sagen hat

Entscheidung

Die Gemeindeschwestern

Beichte

Maiandacht

Medizin

Berufe

Albert und Maia

Der alte Kohler

Der Totengräber

Adlerwirts Bub

Beerdigung

Das Erben

Frömmigkeit

Feierlichkeit muss sein

Der Heilige Abend

Die Seele

Der Mesmer

Männer und Frauen

Die Erwachsenen

Zeit der Ruhe

Erziehung – was sonst?

Du sprichst von deinem Dorf

Nachwort

Dank

Das Dorf hat alles in sich

Das Dorf ist übersichtlich,

das Dorf ist die Welt.

Da sind Menschen, die man

immer schon kennt.

Fremde sind fremd,

und sie bleiben es.

Die Obrigkeit besteht aus

der Heiligen Dreifaltigkeit:

Pfarrer, Bürgermeister, Lehrer –

sie sorgen dafür, dass alles so bleibt.

Pfarrer und Lehrer sprechen

einigermaßen hochdeutsch,

wenn’s der Bürgermeister probiert,

wird’s ernst, und irgendwie peinlich.

Aber große Reden sind sowieso

immer verdächtig.

Das Dorf ist eine Ansammlung

von Häusern:

große und kleine Höfe,

Wirtshaus und Kirche.

Gärten, Wiesen, Felder und Wald.

Die Tiere schreien, wiehern,

muhen im Stall.

Die Hühner gackern,

und manchmal legen sie Eier.

Schwalben fliegen ein und aus,

Tauben und Spatzen.

Wie sich’s gehört, bellen die Hunde.

Wer was ist, hat einen Hof,

umso größer, desto besser.

Was einer hat,

bestimmt, was er ist.

Wer nichts hat, ist nichts wert,

ein Hungerleider muss schauen,

wo er bleibt.

Es riecht nach Erde, Mist und Jauche,

und die Luft ist gesund.

Jeden Werktag kommt die Zeitung,

in der das Neueste steht:

Todesanzeigen,

Berichte,

Werbung,

Krieg und Frieden am Ende der Welt.

Bücher gibt es nicht –

außer dem Gesangbuch und dem Buch,

in dem der Rechenmacher, gleichzeitig Wirt,

die Schulden aufschreibt.

Am Sonntag geht man in die Kirche –

oder auch nicht.

Für Alt und Jung ist der Kirchgang Pflicht,

aber seit jeher gilt:

Au mit dr Heiligkeit soll ma ’s it übertreibe.

Auch in der Kirche herrscht Ordnung:

rechts die Männer, links die Frauen,

vorne, in den ersten Reihen, die Kinder,

rechts die Buben, links die Mädchen.

Man kommt nicht zu spät,

sonst fällt man auf.

Wenn man stehen muss, steht man,

wenn man sitzen darf, sitzt man,

wenn man knien muss, kniet man –

und wenn oim vom viele Knuila

d’ Knie wehtun,

isch des gut für da Himmel.

Nicht weit entfernt von der Kirche

steht das Wirtshaus,

das man auch die Sanktnebeskirche nennt.

Manche ziehen die geistigen Getränke

den geistlichen Liedern vor

und leben enthaltsam

in Bezug auf die Predigt.

Aber die Messe nimmt auch so ihren Lauf.

Wenn die Glocke ertönt, weiß man,

jetzt ist die Wandlung,

dann wird’s auch im Wirtshaus,

mitten in der Unterhaltung,

für einen Augenblick mucksmäuschenstill –

das Heilige dringt herein, ob man will oder nicht –,

dann geht’s aber nicht mehr lang,

und die Leut kommen heraus.

Wer draußen blieb, hat ein klein bisschen

ein schlechtes Gewissen –

aber nur bis zum Frühschoppen,

der alles verzeiht.

Im Wirtshaus warten aufgebackene Brezeln,

Bier und Schnaps,

Unterhaltung,

Lebensfreude und,

wenn auch selten, Streit.

 

Werktags regiert die Arbeit,

vom Montag bis zum Samstag,

und auch der Sonntag

ist nicht rein zum Vergnügen.

Jeder Tag sagt, was zu tun ist.

Arbeit isch au Gebet –

und das gilt immer,

auch für die Nicht-so-Frommen

und für die ganz besonders.

 

So hat das Dorf alles in sich,

Arbeit und Ausruhn,

Liebe und Hass,

Tod und Geburt.

Himmel und Erde berühren sich

(und bis zur Hölle ist es nicht weit).

Ob stolz oder nicht,

kommt jemand vom Dorf in die Stadt,

muss er sich schämen,

warum, weiß er nicht.

Kommt jemand aus der Stadt ins Dorf,

freut er sich

und hält’s nicht lange aus.

Ein dumpfer Zwang regiert.

Alles muss unbedingt nett sein,

alles ist nett und ein bisschen zu schön –

doch unter der Schönheit liegen

Unsicherheit, Bosheit und Angst.

Wer nicht mithalten kann,

fällt über den Rand.

 

Dieses Dorf ist gescheit

und irgendwie dumm.

Man kann es lieben und hassen,

wirklich verlassen kann man es nicht.

Der Schneidermeister

Außerhalb des Dorfes,

in einem modrigen Haus,

wohnt der Schneidermeister,

ein alter Mann, durch und durch grau.

Man weiß, was er auch näht,

es wird immer zu eng.

Soll er wirklich mal einen Mantel nähen,

zieh dir zur Anprobe zwei dicke Pullover an,

damit der Mantel später vielleicht passt.

Das Schneidern hat er vermutlich gelernt,

den Meister verlieh ihm der Spott.

Man lächelt über ihn, weil man ihm

nur alte Hosen bringen kann

und schäbige Jacken und Säcke,

damit er sie flickt.

Seine Frau ist vor Jahren gestorben,

sein einziger Sohn, als Bub,

tödlich verunglückt.

Es war gleich nach dem Krieg,

als hinter den Häusern Munition herumlag

wie sonst Äpfel und Birnen.

Mit dem Pulver der Granaten und Kugeln

hatten sie Böller gebaut;

als er nachsah, warum das Ding

nicht explodiert,

hat’s ihm den Kopf zerrissen.

Dann, noch am selben Tag,

spät abends, ist er gestorben,

es war Winter und kalt.

Der See war gefroren,

und wenn im Eis sich Risse bildeten,

machte es einen lang gezogenen,

peitschenden Knall;

man sagte: Der Federsee bellt.

Alles wär vielleicht anders gekommen.

Der alte Mann ist so grau wie sein Haus,

seine Tochter weit weg,

im Rheinland verheiratet;

einmal im Jahr, vorwurfsvoll,

schaut sie kurz nach dem Vater,

hält’s länger nicht aus.

Doch dann gibt’s frische Blumen

am Grab der Mutter, am Grab auch des Bruders.

Der alte Mann mag niemanden,

ist froh, allein zu sein,

niemand mag ihn, man lässt ihn in Ruh.

Täglich liest er die Zeitung,

hört Radio,

sät Rettich im Garten, pflanzt Kraut und Salat,

knurrt vor sich hin.

Manchmal putzt er die Wohnung,

es riecht nach Schimmel und Brot.

Wenn der Adlerbub wieder mal,

weil er nicht aus den Federn kam,

erst um halb zwölf zusammen mit der Post

die Zeitung bringt,

wird er kurz wütend

und lächelt dann doch.

Isch heit ’s Bett it mitgange?

Eine Cousine aus der Schweiz

hat ihm ein Kistchen Zigarren geschickt,

jetzt sitzt er manchmal bei den Männern

im Adler und raucht einen krummen Hund –

so nenne man dieses schlangenartige

Ungetüm aus Tabak;

es ganz allein zu Hause zu rauchen,

wär die reinste Verschwendung.

Dieses qualmende Ding

muss man sehen und zeigen;

alle bestaunen das Schweizer Produkt

und den brenzligen Duft, den es verströmt.

Der Raucher selbst ist uninteressant,

er trinkt sein Bier und geht heim.

Wochenlang sieht man ihn nicht,

er besitzt weder Auto noch Fahrrad,

will nirgendwo hin:

So lebt er draußen, außerhalb des Dorfes,

in diesem modrig muffigen Haus.

’s isch halt ’n Eigebrötler.

Der Hausmetzger

Der Manfred,

mit rollenden Augen und lustig,

ist Metzger geworden,

wohnt im Nachbardorf,

schlachtet Kühe, Kälber und Schweine.

Auch macht er Blut- und Leberwurst,

Hackfleisch, Schwartenmagen

und würfelt den Speck.

Bei einem jungen Schwein,

um die Patrone zu sparen,

nimmt er das Beil.

Im Winter schlachtet er bei den Bauern

rund um den See, jeden Tag

auf einem anderen Hof.

Der Mann strahlt eine handfeste

Gemütlichkeit aus und ist beliebt.

Ob er noch eine Frau findet, wer weiß?

Verkuppeln möcht man ihn gern.

Während hinterm Haus die Sau

in zwei Hälften auf der Leiter hängt,

isst er zum Vesper Sauerkraut,

ein Stück von der Leber,

ein Stück von der Niere,

fischt aus dem Kessel das Herz.

Ein handfester Kerl,

durch und durch Fleisch,

trinkt drei Glas Most

und dann einen Schnaps.

Wenn er mit dem ganz großen Messer

in den Zähnen stochert,

hält er sich brav

die Hand vor den Mund.

So oin wie da Manfred ka ma brauche.

Der Herr Pfarrer

Der geistliche Herr wohnt im Pfarrhaus;

das Beten ist sein Beruf.

Wenn du ihn siehst, musst du schnell

zu ihm hinrennen, dich verbeugen

(die Mädchen machen einen Knicks),

ihm die Hand geben

und sagen: Gelobt sei Jesus Christus;

freundlich antwortet er dann:

In Ewigkeit Amen.

Deshalb schau zu, dass er nicht sieht,

dass du ihn siehst,

und lauf hinters Haus.

’n Pfarrer isch was Bsonderes.

Aber wenn er seine frommen Geschichten erzählt,

hört man andächtig zu.

Bei seiner Ankunft feiert man Investitur,

bei seiner Abreise verabschiedet man ihn

nicht ungern.

Nach zehn Jahren, sagt man,

sollte ein Pfarrer die Stelle wechseln.

Bleibe ein Pfarrer zu lange,

könnte der Abstand zu den Gläubigen

sich zu sehr verringern,

was der Heiligkeit abträglich sei.

Dass die Pfarrer wechseln,

ist also ganz normal –

erst wenn der Nachfolger im Amt,

ist man mit dem Vorgänger zufrieden.

Ein Pfarrer hat zwei Beine,

eines für den Himmel und eines für die Erd;

das Gleichgewicht zu halten,

ist, wenn man eine gute Hauserin hat,

gar nicht so schwer.

Dass Hauserinnen von Berufs wegen

hässlich sein müssten,

wird oft vermutet, stimmt aber nicht.

Gut kochen, das muss sie können.

Dass Essen und Trinken

Leib und Seele zusammenhält,

gilt auch für den Pfarrer

und für den ganz besonders.

Die Gerüche eines Pfarrhauses sind gemischt:

Es riecht nach Weihwasser,

Seifenschaum und Bratensoß.

 

Im Hausgang hängt

zur Aufmunterung der Besucher

ein frommer Spruch:

 

Immer wenn Du meinst, es geht nicht mehr,

kommt von irgendwo ein Lichtlein her,

dass Du es noch einmal zwingst

und von Sonnenschein und Freude singst.

Leichter trägst des Alltags herbe Last,

wenn Du wieder Kraft und Mut und frischen Glauben hast.

 

Der Pfarrer ist auch nur ein Mensch,

aber ein anderer.

Im Beichtstuhl verteilt sich die Neugier

über alle Gebote,

hat ihren Gipfel eindeutig bei Numero sechs;

eins bis fünf und sieben bis zehn

sind nicht interessant.

Hat er gerade ein Nickerchen gemacht?

Bei sechs ist er wach.

Ein Pfarrer lebt vom sechsten Gebot,

das Unkeusche vertraut man ihm an.

Allein oder mit anderen?

Wenn allein, das bestraft die Natur

mit Schwachsinn und Rückenmarksschwund,

wenn mit anderen, das ist die Sünde schlechthin,

da freut sich der Teufel persönlich.

Die Angst ist durchaus bezweckt

und die Scham sowieso.

Aber ob’s schön war oder nicht,

wenn du’s ehrlich bereust,

spricht er dich frei.

So darf im Beichtstuhl das Böse ans Licht,

die Absolution macht es irgendwie heilig –

oder auch nicht.

 

Hochwürdig waren mehrere:

Ein Pfarrer hielt sich noch Hasen

und machte sein eigenes Heu.

An den Pflock gebunden,

mähte den Kirchhof die Geiß.

Ein anderer war sehr heilig und streng

und kämpfte gegen das Böse:

Sein persönlicher Zorn, meinte er,

sei der Zorn Gottes.

Sein Exerzierfeld war der Katechismus:

Wozu sind wir auf Erden?

»Wir sind auf Erden, damit wir Gott dienen

und dadurch in den Himmel kommen.«

Schoss die Antwort nicht aus der Pistole,

war die Pistole nichts wert.

Und dass er mal, in der einen Hand die Monstranz,

mit der anderen einem Messdiener

eine Kopfnuss gab, weil er lachte,

ist allen bekannt.

Dieser Pfarrer schien immer beleidigt,

sein einziger Bruder war damals schon

ausgeflippt und ein Kreuz;

irgendwie Künstler,

arbeitslos

und schräg ins Leben gebaut.

Wenn der mit seiner Freundin,

einem verwegenen Weibsbild, zu Besuch kam,

hatten die Leute was zu bestaunen.

So fuhren die beiden mit Fahrrädern mal

rund um den See, er vorneraus,

sie hintendrein,

verbunden mit einem langen, langen Strick.

Achtung, dr Schnurradler kommt,

sagten die Leute.

Dass dieser Pfarrer durch seinen Bruder

zur Unterhaltung beitrug,

war bei so viel Heiligkeit nicht zu erwarten.

Ein anderer Pfarrer machte gern Spaß,

trank auch mal einen,

plauderte mit den Frauen,

war zu beliebt und wurde versetzt.

Der jetzige trägt einen roten Bart;

er wird von der Mutter bekocht

und hält sich zurück.

Der eine sang gut,

der andere nicht,

falsche Töne gab es viel.

Heilig und mächtig waren sie alle,

regierten bis unter den Rock.

Sie wurden gefürchtet, belächelt, verehrt:

Gloria in excelsis De-e-o.

 

Alle paar Jahre mal kommt ein fremder

Prediger ins Dorf,

ein Pater mit grausligem Bart,

da müssen alle hin, Jung und Alt,

wegen der Sündhaftigkeit,

die inzwischen, leider,

ins Kraut geschossen ist.

Der Glaube, der fest sein soll wie ein Turm,

schwankt,

Raffgier und Ich-Sucht nehmen zu,

und die schlimmste Sünde überhaupt,

die Lüsternheit,

dieses unausrottbare Teufelswerk,

verdreht den Leuten den Kopf.

Er tobt und schreit auf der Kanzel,

droht mit dem Schrecken der Hölle,

mit Qual und ewiger Verdammnis,

und verkündet die Seligkeit

des einzig wahren Glaubens …

Das klingt so laut und schrecklich,

do woiß ma wieder,

was ma an unsrem Pfarrer hot.

 

Dass einer ihrer Söhne Pfarrer werde,

sagt man,

sei das höchste Glück einer Frau;

ihr Ehrentitel ist dann Pfarrmutter,

und sie trägt ihn mit Stolz.

Wenn der Sohn die Mutter dann segnet,

ist das herzergreifend für alle.

Dass ein Pfarranwärter kurz vor der Weihe

abgesprungen sei, wird erzählt.

Das war eine Schande für die ganze Familie,

aber komischerweise hatten alle sogar

ein bisschen Verständnis für den arma Bua.

 

Um ihn zu necken,

sagten die Leute zum Adlerbub,

er solle doch Pfarrer werden.

Da gab er, sich den Wanderprediger

zum Vorbild nehmend,

frech zurück:

Wenn i Pfarrer bin, werd i ui

von der Kanzel d’ Teifel so an d’ Wand mole,

dass ui Höre und Sehe vergoht.

Sie lachten, und er lachte mit.

 

Über das Verhältnis

(oder Nicht-Verhältnis oder Doch-Verhältnis –

wer weiß das genau?)

von Pfarrer und Hauserin

erzählt man gern Witze:

 

Der Herr Dekan kommt zur Visitation

des jungen Pfarrers, lässt sich alles zeigen,

die Kirche, die Sakristei

und dann das Pfarrhaus von oben bis unten.

Im Schlafzimmer steht ein Doppelbett.

Wer da schlafe.

Links der Pfarrer, rechts die Hauserin –

dazwischen ein Brett.

Was tun Sie, fragt der Dekan,

wenn die Versuchung kommt?

Dann mache mr des Brett oifach weg.

 

Ein uralter Witz, über den man sich

immer noch freut.

Die Sünde unablässig zu verdammen

und sich selbst über sie zu erheben,

kostet mehr Kraft,

als ein gesunder Mensch normalerweise hat.

 

GOTT,

der Herr des Himmels,

Schöpfer des Alls,

hat sich bisher persönlich nicht gezeigt,

hält im Hintergrund aber alles zusammen.

Unsichtbar, treu und einsam scheint ER zu sein.

Statt IHN zu verstehen,

soll man IHN lieben und fürchten,

sagt der Herr Pfarrer.

Der Glaube sei alles.

Ein einfacher Mensch macht sich gern lustig,

flucht,

betet,

verleugnet,

spottet,

erzählt Witze und lacht.

Das alles kümmert IHN nicht:

ER war und ist und bleibt der oberste Chef,

sein irdisches Personal gibt Anlass

zu Erbauung und Spott.

Zwischen Heiligem und Scheinheiligem

zu unterscheiden, gelingt nicht.

Wenn ein guter Pfarrer predigt,

schließen sich die Augen der Gläubigen

fast automatisch – das muss so sein:

Wenn sie schlafen,

sind ihre Seelen bei Gott.

A richtigs Dorf braucht ’n Pfarrer,

und der hot’s it leicht.

Der Bartle und seine Bäuerin

Keiner kann fluchen wie er,

der Bartlebauer:

Himmel – Herrgott – Jesus –

Heilandzack und Sternsakrament,

Stoßgebete der grausigen Art.

Wenn er tobt und Feuer spuckt,

gehst du besser in Deckung.

Er hot Käfer im Kopf.

Bei Vollmond raucht sein Gehirn.

Große Hitze verträgt er nicht.

Durst bringt ihn um.

Es kann sein, mitten in der Ernte,

wenn man jede Hand braucht,

da lässt er alles stehen und liegen,

verkriecht sich im Heustadel

unter das Dach,

hochexplosiv,

und spinnt.

Lasst ihn in Ruh!

Lasst ihn einfach in Ruh!

Sein Weib soll er,

als er noch jung war,

arg verprügelt haben;

jetzt ist er alt,

immer noch Satan,

jetzt aber alt

und ans Prügeln nicht mehr zu denken.

Er findet nie, was er will,

alles geht quer,

und er ist immer der Böse.

Bei der letzten Bürgermeisterwahl

wurde bei der Auszählung der Stimmen

ein Zettel gefunden:

»Lumpen gingen, Lumpen kamen,

Lumpen in Ewigkeit, Amen!«

Alle dachten’s, wussten’s:

Das war wieder mal er!

Kein anderer käm für eine

Frechheit solchen Kalibers infrage,

gefährlich bös und auch irgendwie lustig.

Aber dass ihr die andre Seite ja nicht vergesst:

Niemand ist hilfsbereiter als er!

Wenn ein Fahrzeug vom Weg abkommt,

im Graben landet,

egal ob es Nacht ist und kalt,

wer holt als Erster den Traktor raus?

Schnee und Glatteis fürchtet er nicht.

Er würde Haus und Hof riskieren,

Kopf und Kragen, um einem anderen,

der in Not ist, zu helfen.

Auch wenn keiner ihn mag,

er flucht laut vor sich hin

und ist so, wie er ist.

Eigentlich a gutmütiger Kerle,

aber wenn er sein Rappel hot …

Um des lieben Friedens willen,

bitt ich euch:

Lasst ihn einfach in Ruh!

 

Die Bäuerin dagegen

mag jeder.

Bauchumfang zwei Meter,

also ziemlich kugelrund

und an die drei Zentner Lebendgewicht,

die Freundlichkeit in Person.

Wenn es nach Frischgebackenem riecht,

schau in die Küche:

Rotbackig steht sie am Herd,

lacht,

wirft dir eine goldene Schneckennudel zu.

Sei it dumm und fang auf!

Iss ein Stück Rauchfleisch,

eine Leberwurst,

selbst gebackenes Brot;

trink ein Glas Most

oder Saft

oder Schnaps.

An einem Schlachttag

soll ein reicher Mann,

Besitzer einer Baufirma,

in ihrer Küche in einem Zug

und grad so zum Spaß

sechs gebratene Schnitzel

gegessen haben

(gfresse sagt man in diesem Fall) –

und alles umsonst.

Sie kann einfach nicht Nein sagen,

ist lustig und – auf traurige Art – gut

und wird von allen gemocht.

Sie mag’s, wenn du lachst,

und lacht Tränen.

Man kann auch ruhig im Hof sitzen

auf der Bank vor dem Haus,

mit dem Bernhardiner spielen

oder mit ihren zwei Töchtern,

die sie angenommen hat aus Barmherzigkeit,

gleich nach dem Krieg.

Die Bäuerin und der Bauer,

sie leben auf demselben Hof,