Das alte Schloss - Alfred Zech - E-Book

Das alte Schloss E-Book

Alfred Zech

0,0

Beschreibung

"Das alte Schloss" - ein Pharma-Thriller Der Schmerz fährt dir durch den ganzen Körper. Als du nachsehen willst was passiert ist, stellst du fest, dass dein Körper sich nicht bewegen lässt. Dir bricht der Schweiß aus. Du fühlst in deinem Gesicht Haare, die dir ausgefallen sind und du kannst nicht sprechen, um eine Schwester zu rufen. Du bist verwirrt, verstehst das Ganze nicht. In deinen Gedanken taucht ein Verdacht auf: Irgendjemand hat es auf dich abgesehen. Aber warum denn? Du wolltest dich doch nur für deinen Mann verschönern lassen. Du willst es nicht wahrhaben und versuchst deinen Körper abzutasten. Kein Gefühl regt sich. Angst, Schmerz und Wut, bringen dich fast um den Verstand. Erst jetzt wird dir bewusst, wie groß die Gefahr wirklich ist. Du willst nicht einfach so sterben. Aber womit kämpfen, wenn du dich nicht bewegen und nicht sprechen kannst. Deine Gedanken hört niemand! Versicherungsdetektiv Erwin Müller ermittelt mit seinem Kollegen Wolfgang Schröder und dem Hauptkommissar Thalheimer in Nord- und Süddeutschland. In bestimmten Kreisen der High Society in Deutschland herrscht die grenzenlose Gier nach Profit. Erwin Müller bewegt sich in einem Milieu zwischen Betrug, Korruption, Erpressung und Mord. Ein Netzwerk von Ärzten, einer Partnervermittlung und einem Lieferanten aus England sollen hier illegal mit nicht zugelassenen Medikamenten - die in Indien produziert werden - Patienten in einer Schönheitsklinik behandeln. Die gesamte Situation eskaliert. Rücksichtslos handeln hier einige Personen, denen offensichtlich alle medizinischen Anforderungen als auch die Gesundheit und die Gefühle der ahnungslosen Patienten völlig egal sind. Eine ungeheuerliche Entdeckung bringt Erwin Müller in Gefahr, als er eine Morddrohung erhält. Spannung und Gänsehaut pur.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 419

Veröffentlichungsjahr: 2019

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Stell Dir vor, Du bist tot und merkst es nicht

Detektiv Erwin Müller ermittelt im „Nassen Dreieck“ zwischen Bremen-Hamburg-Bremerhaven

Zum Autor:

Der Musiker, Autor, Singer – Songwriter, Alfred Zech, ist 1950 in Bremen geboren, jetzt wohnhaft in Bremerhaven. Schon als Kind träumte er davon, an der Nordseeküste zu wohnen, Bücher und Songs zu schreiben und zu komponieren.

Mit 12 Jahren begann er seine Songs selbst auf der Gitarre zu begleiten und gründete seine erste Band.

Die selbst gemachte Musik, in Richtung Swing, Jazz, Blues, Rock, begleitet ihn sein ganzes Leben. Nach Jahrzehnten aktiver Rockmusik wird er sich jetzt seinen eigenen Songs widmen, sowie Bücher schreiben. Zu jedem seiner Bücher komponiert Alfred Zech auch den dazu passenden Song, mit gleichem Titel.

Nach seiner langjährigen Berufstätigkeit im Versicherungswesen schreibt er jetzt, unter anderem, Kriminalromane aus der Region seines früheren beruflichen Umfeldes wie: Bremen – Hamburg – Bremerhaven.

*„Nasses Dreieck“ ist die umgangssprachliche Bezeichnung für die Orte im küstennahen Übersee-Container-Lkw-Verkehr zwischen Bremen-Hamburg und Bremerhaven.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Prolog

Der Schmerz fährt dir durch den ganzen Körper.

Als du nachsehen willst, was passiert ist, stellst du fest, dass dein Körper sich nicht bewegen lässt. Dir bricht der Schweiß aus.

Du fühlst in deinem Gesicht Haare, die dir ausgefallen sind und du kannst nicht sprechen um eine Schwester zu rufen. Du bist verwirrt, verstehst das Ganze nicht.

In deinen Gedanken taucht ein Verdacht auf: Irgendjemand hat es auf dich abgesehen. Aber warum denn? Du wolltest dich doch nur für deinen Mann verschönern lassen.

Du willst es nicht wahrhaben und versuchst deinen Körper abzutasten. Kein Gefühl regt sich. Angst, Schmerz und Wut bringen dich fast um den Verstand.

Erst jetzt wird dir bewusst, wie groß die Gefahr wirklich ist. Du willst nicht einfach so sterben.

Aber womit kämpfen, wenn du dich nicht bewegen kannst.

Deine Gedanken hört niemand.

Alle Handlungen, handelnde Personen und Namen sowie Örtlichkeiten in diesem Roman sind frei gewählt. Jegliche Ähnlichkeiten, von Orten, lebenden oder verstorbenen Personen, sowie Namen, sind rein zufällig.

1

Der Fahrstuhl bewegte sich nach unten. Er kam an der Tür der ersten Etage und an der Tür des Parterres vorbei, aber der Fahrstuhl hielt nicht an. Er fuhr immer tiefer und tiefer, langsam und gleichmäßig bewegte er sich nach unten. Schließlich kam er zum Stillstand, und zwar vor einer Tür, die in der Mitte eine Scheibe hatte. Die Tür öffnete sich geräuschlos. Alle seine Sinne waren jetzt wach. Er, den noch keiner an Intrigen und Verrat überboten hatte, war nun selbst ein Opfer eines Verrats geworden. Er verließ den Fahrstuhl noch nicht, sondern bereitete sich auf alle Eventualitäten vor. Schnell zog er einen Kugelschreiber aus der Tasche und kritzelte hastig ein paar Worte auf die innere Holzwand. Dann trat er in das Halbdunkel hinaus.

Er betrat einen Raum, in dem ein Bett und vier Stühle standen. Über einem Tisch leuchtete eine gedämmte Lampe. Mehrere Lichtschalter an der gegenüberliegenden Wand schienen angebracht zu sein, um den Raum noch mehr erhellen zu können. Er überlegte, dass er sich ja wieder durch den Fahrstuhl hätte nach oben retten können, wenn es zum Äußersten kommen sollte. Er durchsuchte seine Taschen mit fieberhafter Eile. Gewöhnlich trug er für den Notfall drei oder vier Patronen lose bei sich, und er fand auch in seiner obersten Jackentasche zwei Stück. Eilig lud er die Pistole damit und entsicherte sie. Die Patronen konnten nur von seiner Putzfrau aus seiner Pistole genommen worden sein, wahrscheinlich wurde sie von seinem Gegenspieler bezahlt und hatte die Bewohner des „alten Schlosses“ auch von seiner Abreise benachrichtigt. Es war ja nur zu natürlich, dass der mächtige und kluge Mann nichts dem Zufall überließ.

Der Mann war wütend auf sich selbst, dass er sich so leicht in Sicherheit hatte wiegen lassen. Es war hell genug, dass er quer durch den Raum gehen konnte. Er drehte einen Schalter an der Wand an, und drei Lampen leuchteten an dem anderen Ende auf. Als er auch die übrigen Lampen eingeschaltet hatte, war das Zimmer fast taghell erleuchtet. Und, siehe da, hier standen auch circa fünfzig Kartons mit der Aufschrift HG 100, was immer das auch bedeuten sollte, der gefälschten Medikamente für die Klinik.

Die Wände dieses unterirdischen, künstlerisch ausgestatteten Raumes waren dunkelrot gestrichen. In der Ecke stand ein mittelgroßes Bett, die Luft war frisch und rein. An den Wänden befanden sich in gleichen Abständen Luftschächte und Ventilatoren. Es war eigentlich kein unangenehmes Gefängnis, dachte er. Er war noch dabei, den Raum genauer zu untersuchen, als er ein Geräusch hinter sich hörte und sich umdrehte. Die Tür des Fahrstuhles hatte sich geschlossen. Er kam gerade noch zurecht, um zu sehen, wie der Fahrstuhl nach oben verschwand. Wieder fluchte er über sich selbst, dass er so unvorsichtig und töricht gewesen war.

Er hätte einen Stuhl in die Tür stellen können, sodass sie sich nicht schließen konnte, das wäre doch die einfachste Vorsichtsmaßnahme gewesen! Aber die Möglichkeiten, die dieses „Schloss“ in sich barg, waren ihm noch nicht voll zum Bewusstsein gekommen. Vielleicht waren die Stühle auch befestigt. Er versuchte, den einen hochzuheben, und sah, dass sein Verdacht unbegründet war. Nur ein einziger Stuhl war am Boden befestigt, der große Sessel, der am Kopfende des Tisches stand. Er war massiv und schwer gebaut und mit starken Klammern festgehalten. In einer Ecke entdeckte er eine vergitterte Tür und vermutete, dass sie zu einem kleineren Aufzug gehöre. Mit dieser Annahme hatte er recht, denn während er die Öffnung noch betrachtete, tat sich eine Fallklappe in der Decke auf, und eine kleine Plattform senkte sich geräuschlos herunter, auf der ein Tablett mit allerhand gefüllten Schüsseln stand, es roch gut nach Rindfleisch. Er nahm es heraus, stellte es auf den Tisch und betrachtete es. Zwischen den Schüsseln lag ein kleiner, mit Kugelschreiber geschriebener Zettel:

„Sie können unbesorgt die Speisen zu sich nehmen. Wir verbürgen uns persönlich für ihre Güte und werden das, wenn notwendig, in Ihrer Gegenwart beweisen. Wenn Sie etwas wünschen, so finden Sie eine kleine Klingel an der Unterseite des Tisches.“

Der Mann schaute auf das Essen. Er war entsetzlich hungrig. Er musste zwar damit rechnen, dass es vergiftet war, aber die Männer hier hatten ihn so oder so, vollkommen in ihrer Gewalt, dass er sich deswegen keine Sorgen zu machen brauchte. So stärkte er sich dann an den wohlschmeckenden Speisen, ohne den geringsten Verdacht von Gift dabei zu haben. Als er fertig war, besann er sich auf die Klingel. Nach kurzem Suchen fand er sie auch an der Ecke des Tisches und drückte sie. Er brauchte nicht lange zu warten, dann hörte er ein leichtes brummen und ging quer durch den Raum zu der geschlossenen Tür des Fahrstuhls, woher das Geräusch kam. Er hatte seine Pistole bereits im Anschlag, sein Blick ging Richtung Tür, durch die er den Raum betreten hatte.

Plötzlich hörte er, dass jemand seinen Namen rief. Er wandte sich um. Ein großer Mann stand mitten im Zimmer im Halbschatten. Es war nicht zu erkennen, wer er war und wie er dorthin gekommen ist …

Die Weser ist an dieser Stelle sehr breit. Am gegenüber liegenden Ufer legt zur linken Seite gerade die Fähre an. Weiter rechts davon das große Gelände einer Bootswerft, besser gesagt Schiffswerft. Dort werden große Jachten gebaut, die von Auftraggebern aus aller Welt stammen. Zurzeit liegt dort eine Jacht, fast fertig und schon beflaggt, aus den vereinigten arabischen Emiraten. Entweder wurde sie hier gebaut, ist im Umbau oder wird generalüberholt, das kann ich von hier nicht beurteilen.

Es ist heute Sonntag, dreiundzwanzig Uhr, schon dunkel, aber noch nicht ganz. Ich blicke genau auf die Wasserfront des Geländes der Werft gegenüber, um mir einen Standplatz auszuspähen wo ich mich nachher positionieren werde. Die letzte Fähre fährt in circa zwanzig Minuten, die ich unbedingt noch erreichen muss.

Es sollen sich heute Nacht, dort, die für Deutschland zuständigen Vertriebsmanager mit einem Nachrichten-Kurier aus England treffen. Ich werde den Gedanken nicht los, dass sich heute Nacht etwas ergibt, welches den normalen Ablauf meiner Tätigkeit unterbricht. Ich bin auf der Fähre.

Jetzt habe ich auf dem Werftgelände einen Beobachtungsplatz gefunden, zwischen einem Schrotthaufen verrosteter Altmetalle zur rechten und mehreren parkenden Gabelstaplern zur linken Seite. Geradeaus habe ich den Büroeingang im Blick, der ein bisschen beleuchtet ist und dazwischen, auf der rechten Seite den Blick auf die Weser freigibt.

Ich steige aus dem Auto, um mir an der Weser ein wenig die Beine zu vertreten. Mittlerweile schimmert das Wasser dunkel und bedrohlich glänzend durch das Mondlicht angestrahlt, in meinen Augen. Die Sicht ist gut. Mein Blick schweift auf der Wasseroberfläche entlang in Richtung Bremerhaven. In der Ferne kann ich die Konturen eines Binnenschiffes sehen, in meine Richtung kommend. Langsam kommt es näher und ich erkenne, in der Dunkelheit etwas unscharf, dass es mit Kohlen oder Kies, auf mehreren Haufen verteilt, beladen ist.

Unweit von meinem Standort aus sehe ich etwas im Wasser treiben, es sieht aus wie ein Müllsack oder ähnliches, etwas aufgebläht. Bei näherem Hinsehen erkenne ich an einem Ende des Sackes die Konturen eines Kopfes, der aus dem Plastiksack fast ganz herausragt. Oder ist es eine Sinnestäuschung, denke ich. Nein keineswegs, es ist ein Kopf. Ach du Scheiße, denke ich, auch das noch, das passt ja gar nicht in meine Planung. Ich habe keine Zeit zu verlieren, ich muss etwas unternehmen, denn wenn das Schiff an mir vorbei ist, ist die treibende Leiche genau in dem Bereich des Schiffes wo alles, was dort treiben würde, durch den Sog der Schiffsschraube hineingezogen wird. Nicht auszudenken was dann von der Leiche übrig bleibt.

Der treibende Müllsack kommt dem Schiffsende immer näher und der Kapitän dieses Schiffes hatte wohl nichts gesehen oder bemerkt. Ich wähle den Notruf, schilderte meine Beobachtung und den Standort, denn jetzt ins Wasser springen und die Leiche irgendwie an Land zu holen, war einfach zu gefährlich.

Die Frage, die jetzt am anderen Ende des Telefons vom Beamten kam, war klar:

„Was machen Sie dort auf dem Gelände?“

Ich musste jetzt Klartext reden, ich gebe mich zu erkennen und schildere kurz meinen Auftrag. „Ok“, sagte der Beamte.

„Wir kommen mit einem Boot von der anderen Uferseite und verständigen auch die Fähre und den Kapitän des besagten Binnenschiffes, um Schlimmeres zu verhindern. Sie bleiben dort, bis wir bei Ihnen eintreffen.“

Ich glaube, ich werde die für heute geplante Observation beenden müssen, denn wenn hier bald die Polizei auftaucht, sind alle Beteiligten verschwunden und das Ganze bringt nichts mehr. Ich ließ den Motor an, um zu fahren. Plötzlich stand ein Security-Mann mit Hund am Wagen und zeigte mit dem Finger auf das Fenster der Beifahrer Seite, um anzudeuten, dass ich dieses öffnen soll.

„Was machen Sie hier?“, fragte er.

„Ich habe hier im Wasser eine Leiche entdeckt und die Polizei gerufen.“

„Und warum sind Sie hier?“, fragte er weiter.

„Ich wollte mich einfach etwas ausruhen und etwas spazieren gehen“ war meine gelogene Antwort. Ich konnte ihm schlecht die Wahrheit meines Vorhabens sagen, er könnte ja von der Gegenseite sein.

„Dann muss ich Sie hier leider festsetzen“, antwortete der bullige Bär. Ich sah ihn erstaunt an.

„Sie könnten doch die Leiche in die Weser geworfen haben.“, sagte er.

„Wir warten hier gemeinsam auf die Polizei.

Er hat recht. Ich habe keine andere Wahl, denke ich, um nicht für meine späteren Tätigkeiten aufzufallen und beim Anblick dieses Mannes mit Hund, habe ich sowieso keine Chance mich aus dem Staub zu machen, es sei denn, ich überfahre beide.

Es dauerte höchstens fünf Minuten, bis die Polizei eintraf. Etliche Streifenwagen platzierten sich um mein Auto, als wenn ich hier der Schwerverbrecher wäre. Zwei Beamte kamen, mit gezogener Waffe, auf mich zu und forderten mich zum Aussteigen auf, natürlich mit gehobenen Händen. Ich befolgte die Anweisungen, drehte mich in Richtung meines Autos, legte die Hände auf das Dach und ließ mich bereitwillig durchsuchen. Ist ja auch ok, alle machen hier erst mal ihre Pflicht. Ich machte noch mal die schon per Telefon gegebene Aussage.

„Alles ok.“, sagte der Beamte. Zeitgleich kam der zweite Beamte auf mich zu und meinte:

„Hier, nach der Funk-Recherche ist auch alles ok. Herr Müller, wir haben Ihre Angaben und Personalien überprüft, sie können gehen.“

Er gab mir meinen Ausweis zurück und ich stieg wieder ins Auto.

Nach dem Leichenfund ist hier einiges los, der halbe Stadtteil wurde abgesperrt und es sammeln sich natürlich viele Schaulustige an. Ich telefoniere mit Wolfgang, um ihm zu berichten. Mein Plan, das gegenüberliegende Gelände zu beobachten und zu recherchieren, schlug ja nun fehl. Wir mussten uns eine andere Strategie ausdenken.

Ein paar Tage später erfuhr ich über unser Büro, dass die angeschwemmte Leiche, eine Frau, schon tagelang im Wasser gewesen sein muss und irgendwo zwischen Höxter und Hameln in die Weser geworfen wurde. Bei der Obduktion wurde eine Überdosis an Medikamenten festgestellt. Dass die Frau nicht selbst in den Plastiksack krabbelt um sich dann in der Weser zu ertränken, spricht für sich selbst. Folglich war es Mord. Medikamente war der Hinweis, also dranbleiben.

Nach dem Zwischenfall auf dem Gelände der Werft muss ich jetzt umschalten und an meinen Auftrag denken. Ich rufe Wolfgang an und frage nach, ob er neue Informationen hat. Ja, hat er. Kommende Nacht soll ein Container mit circa zwei Tonnen Medikamenten in Hamburg ankommen, portioniert, abgepackt und nach Süddeutschland zur Schönheitsklinik Doktor Adalon transportiert werden.

„Wenn ich das richtig verstehe, Wolfgang, ist hier die zentrale Verteilerstelle!“

„Ja“, antwortete er, „es ist auch die Schaltzentrale zwischen England und Deutschland.“

„Unsere Aufgabe ist jetzt, heute Nacht zu beobachten und zu dokumentieren, wie das alles gemacht und transportiert wird.“

Fest steht, dass die Abwicklung immer in der gleichen Reihenfolge stattfindet und hier in Bremen eine Zentrale ist. Das Büro Dubb lockt mit ihrer Partnervermittlung potenzielle Kunden an, bietet Ihnen Geld für eine ungeheuerliche Tätigkeit, schickt sie zu Doktor Hofthaler hier in Bremen, zwecks Überweisung in die Schönheitsklinik Doktor Adalon in Süddeutschland.

„Wir treffen uns heute Abend in der Überseestadt, vor den Lagerschuppen“, sagte Wolfgang.

Das Kopfsteinpflaster glänzt durch den darauf fallenden Regen und es ist ziemlich rutschig. Beim leichten Bremsen schlägt sofort das ABS System an. Auf der linken Seitenstraße liegen die sogenannten Schuppen, alle nummeriert, wo Waren angeliefert, sortiert und gelagert werden. Auf der rechten Seiten Bahngleise, mit parkenden Bahnwaggons, die beladen oder entladen werden, dazwischen mehrere Parkbuchten für Lkw.

Über den Lagerschuppen sind die Büros, manche hell erleuchtet und ich erkenne reges Treiben. Wir haben uns einen Parkplatz gesucht und beobachten den Lkw-Verkehr. Es kommen und fahren Lkw aller Art, mit Plane, Pritsche oder Übersee-Container aus aller Herren Länder. Genau auf solch einen Überseecontainer sollten wir achten.

Uns fällt auf, dass zwischen zwei, an einer Rampe stehenden Lkw, ein schwarzer BMW aus Hamburg steht. Also doch, es besteht ein Zusammenhang zwischen Bremen, Hamburg, Süddeutschland und England. Mit meiner Nachtkamera mache ich ein paar Fotos von den Lkws und der Umgebung, zur späteren Dokumentation. Ein Motorrad zischt, gerade als wir aussteigen wollen, an uns vorbei in Richtung Schuppen siebenundvierzig, vor dem der BMW steht und parkt genau dahinter.

Abwarten, denke ich. Den Motorradfahrer oder die Fahrerin, kann ich von hier in der Dunkelheit nicht erkennen. Er oder sie verschwindet in der Eingangstür neben Schuppen siebenundvierzig. Wir bleiben noch ein paar Minuten sitzen und gingen dann forschen Schrittes in das Gebäude.

In dem vorderen Raum gab es nichts Besonderes, nur einen sogenannten Portier an einem Schreibtisch, der auf seinen Fingernägeln kaute und uns erzählt, dass in diesem Gebäude einzelne Büros an Firmen vermietet werden, die hier praktisch nur als Briefkastenfirmen existieren.

Auf der linken Seite waren an einer circa fünf Meter langen und drei Meter hohen Wand mindestens fünfzig Briefkästen zu erkennen.

„Wen suchen Sie denn?“, fragte der Portier mit einem gelangweilten Lächeln.

„Ich glaube hier, sind wir falsch“, antwortete ich und wir verabschiedeten uns.

„Hier sind wir fehl am Platz“, sagte ich zu Wolfgang,

„Lass uns gehen“, Wolfgang nickte.

Zur gleichen Zeit lag Daniela Hoppe noch immer verkabelt auf der Überwachungsstation in der Schönheitsklinik. Sie wird nicht beatmet, aber eine Nasensonde versorgt sie mit zusätzlichem Sauerstoff. Auf einem Bildschirm kann sie die Pulsfrequenz und Hirnströme ablesen. Ihr ging es nicht besonders gut. Neben dem totalen Haarausfall am ganzen Körper fiel es ihr immer wieder schwer zu sprechen. Manchmal konnte sie kein Wort rausbringen, und manchmal ganz klar und deutlich. Auch der Kreislauf war nicht mehr der, der er einmal war.

Der Blutdruck schwankte mehrmals täglich zwischen sehr hoch und sehr niedrig, trotz Blutdruckmedikamenten. Von dem Puls ganz zu schweigen, der Durchschnitt lag bei fast dem doppelten eines normalen Blutdruckes.

„Warum haben Sie ihr Mittagessen nicht angerührt Frau Hoppe“, fragte die Schwester freundlich.

„Erstens habe ich keinen Appetit, und zweitens sind meine Geschmacksnerven nicht mehr in Ordnung.“

„Egal was ich esse, es schmeckt alles gleich, oder gar nicht“, antwortete Daniela stotternd.

Was der Schwester sofort auffiel, war, wenn Daniela spricht, zog sich ihr rechter Mundwinkel nach unten, nicht durchgehend, sondern nur beim Sprechen, so als wenn ein Muskel nicht mitkommt, oder das Gehirn keine Information zur Bewegung weitergibt.

„Gleich kommt die Visite, Frau Hoppe, sprechen Sie bitte alles an, was Ihnen fehlt und wie es Ihnen objektiv geht, ja?“

Zwischendurch versuchte Daniela wiedermal ihren Mann Holger auf dem Handy zu erreichen…, es kam immer nur die Ansage:

„Der Teilnehmer ist im Moment nicht erreichbar.“

„Komisch, dachte Daniela, „es wird doch wohl nichts passiert sein?“

Was sie nicht wusste, war: Ihr Mann Holger saß eine Etage tiefer mit dem Chefarzt zusammen, um zu beraten wie es mit Daniela weitergehen sollte, denn diese Medikamente, oder die jetzige Dosierung verträgt sie anscheinend nicht.

„Wir müssen einfach das Medikament wechseln, auch wenn das Risiko besteht, das Ihre Frau diesen Wechsel nicht überlebt oder lebenslänglich im Rollstuhl verbringen muss“, sagte der Doktor.

„Ja“, antwortete Holger, „das ist mir klar, „lassen Sie uns doch mal in die Versicherungsunterlagen sehen, um festzustellen, welche Summen in welchem Schadenfall an die Hinterbliebenen gezahlt werden“, vielleicht hilft dies, unserer Entscheidung ein bisschen auf die Sprünge.“

„Ha, Ha“, grinste der Doktor, „denken Sie daran, dass von jeder Zahlung der Versicherungen, ein Teil an die Klinik und mich gezahlt werden.“

„Das weiß ich“, sagte Holger Hoppe, „wir können das ja bei der Versicherung als „Unfall“ deklarieren, dann gibt es die doppelte Versicherungssumme“, sagte er weiter.

„Nein“, antwortete der Doktor, „das geht nicht, denn die Deklaration eines Unfalles sagt aus: „Ein Unfall ist ein von außen auf den Körper einwirkendes, gesundheitsschädigendes Ereignis.“ „Aha.“

„Herr Hoppe, wir sollten jetzt zu einem Entschluss kommen, wie wir weiter vorgehen wollen, denn Sie als zukünftiger Leiter eines weltweiten Außendienstnetzes, wollen sich ja mit uns etwas aufbauen.“

„Und außerdem, habe ich vor einer Stunde einen Anruf von Doktor Hofthaler aus Bremen erhalten, dass eine gut betuchte ältere Dame in unserer Klinik behandelt werden möchte, wir aber im Moment voll belegt sind. Wir brauchen also ein freies Bett.“ Beide einigten sich wie folgt: „Ok“, „wir werden gleich Frau Doktor Simple informieren, Ihrer Frau Daniela in manchen Bereichen eine höhere Dosis zu verabreichen bzw. zu reduzieren, und bei Bedarf schmerzlindernde Medikamente zu verabreichen die jetzt vor Kurzem von unserem Anbieter aus Indien neu angeboten werden.“

„Vielleicht bekommen wir dann bei diesem Test, bessere Ergebnisse.“

„So, Frau Hoppe“, sagte Frau Doktor Simple freundlich, „ich werde Ihnen jetzt etwas zur Beruhigung geben, damit sie ein bisschen schlafen können.“

„Na, endlich“, dachte Daniela.

Ihr war mittlerweile alles egal. Sie wollte nur noch schlafen. Warum sich Holger nicht meldet, ist auch rätselhaft, dachte sie. Dann ist es halt so.

Nach einer Stunde konnte sie immer noch nicht schlafen, es gingen ihr zu viele Gedanken durch den Kopf. Sie zweifelte auch an ihrer Entscheidung, überhaupt zugestimmt zu haben. Sie wollte nur ihrem Mann zuliebe besser aussehen und ihrem Ego einen Tritt verpassen. Dass es dann so ausartet, konnte sie nicht ahnen. Sie dachte auch schon daran, dass alles hier abzubrechen und auf eigene Gefahr die Klinik zu verlassen, egal was die Ärzte sagen, doch das wiederum wollte sie erst mit Holger besprechen. Ihr Unterbewusstsein will ihr immer etwas mitteilen, welches sie aber nicht zulassen kann, da ihr Bewusstsein auf das Geschehene vorherrscht.

Ihre Beine wurden jetzt auf einmal schwer, und immer wieder fielen ihr die Augen zu. Sie konnte kaum noch die Arme heben und ihre Finger waren angeschwollen. Der Griff zur Notklingel war mühsam… und gelang ihr nicht. Dann wurde Daniela schwarz vor den Augen.

***

2

Es nieselt ein bisschen, um nicht zu sagen, „die Mücken pinkeln“ und der Wind geht mäßig. Es ist ruhig um diese Zeit.

An den verschiedenen Lagerhäusern stehen Lkws an den Rampen, um beladen oder entladen zu werden. Ich stehe hier auf einem Parkstreifen in der Überseestadt in Bremen und warte auf einen Kurier, der mir Papiere für den neuen Fall bringen soll, laut SMS. Wir sind hier für dreiundzwanzig Uhr verabredet.

Es ist mittlerweile zwanzig nach elf und weit und breit niemand zu sehen. Ich warte noch circa zehn Minuten. Wenn bis dahin nichts passiert, fahre ich wieder. Etwas ist in der Luft, was sich nicht so richtig beschreiben lässt, ich fühle mich irgendwie beobachtet und ein bedrohliches Gefühl kommt in mir hoch. Ich höre Geräusche, oder bilde sie mir ein.

Ich zünde mir eine Zigarette an, gehe noch ein paar Schritte auf und ab … und … spüre einen Schlag auf meinem Kopf. Mir wird schwarz vor den Augen und meine Beine sacken zusammen.

Draußen ist es mittlerweile schon dunkel geworden, aber nicht ganz dunkel, sondern fast. Ganz verschwommen erscheint eine Frau in einem weißen Kittel vor mir und an der Decke hängt eine sehr grelle Leuchtröhre.

„Was mache ich hier?“

„Wo bin ich?“

Ich setzte mich langsam auf, lehnte mich, auf die Ellenbogen gestützt an das Kopfteil des Bettes und warte darauf dass mein Blick klar werden und das Summen in meinen Ohren aufhören würde. Ich schluckte mehrmals, um meinen Mund anzufeuchten, der so ausgetrocknet war, als hätte ich einen Wattebausch im Hals. Dann schwang ich meine Beine aus dem Bett, um aufzustehen. Die Zimmerdecke und Wände drehten sich, ich schwankte so stark, dass ich zu stürzen drohte. Mein Kopf erschien mir ungeheuer schwer, wie ein Bleiklumpen, den mein schwacher Körper kaum tragen konnte.

Mist, dachte ich und ließ mich wieder auf das Bett zurückfallen. Beide Hände auf die Bettkante gestützt saß ich da, sah zu dem Spiegel an der Wand und sagte zu meinen schwankenden Spiegelbildern:

„Wer bist du?“ Die Spiegelbilder schwankten noch stärker und entzogen sich meinem Blick, als Schwindel und Übelkeit mich wieder in die Kissen zurückwarf. Immer langsam, dachte ich, überzeugt davon, sonst nicht wieder auf die Beine zu kommen.

Ich stellte mir einen Haufen von lose aufgeschichtetem Gras vor, das von der einen Seite meines Gehirns zur anderen reichte. Ich sah mich mit der Hand in das Bild greifen, um das Gras wegzuschieben, aber die Haufen wurden alle durch neue Grashaufen ersetzt, und ganz gleich, wie oft ich es versuchte, sie wegzureißen, sie wegzufegen, das Resultat war immer das gleiche, das Gras blieb. Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich durch diesen Akt des Trotzes die Grashaufen zerreißen und mich von ihnen befreien, aber mir wurde nur schwindlig und ich musste schnell die Augen schließen, um nicht ohnmächtig zu werden. Ich hatte den Eindruck, dass mein Kopf völlig gefühllos war, betäubt, erstarrt.

Ich fühlte mich ungeheuer groß an, mit giftigem Gas gefüllt, in Gefahr zu explodieren. Wieso fühlte ich mich so mies? Wieso hatte ich das Gefühl, mein Kopf sei zubetoniert? Ich blickte zum Wecker auf dem Nachttisch und schaffte es mit Mühe, die Ziffern zu erkennen, es ist sieben Uhr.

Ich wollte jetzt sofort aufstehen, als mir bei dem Versuch der Fußboden entgegenzukommen schien. Ich versuchte zu sprechen, aber es ging nicht. Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er im Schraubstock. Ich kann meinen Kopf nicht bewegen und die Arme auch nicht, von den Beinen ganz zu schweigen.

Und wie ist es mit dem denken? Keine Ahnung.

Irgendwie muss ich mich ein bisschen bewegt haben, denn ich spürte eine Hand an meiner Schulter und hörte eine Stimme fragen:

„Hallo, hören Sie mich.“

Ich wollte antworten, aber es ging nicht.

„Hallo, können Sie mich hören“, erklingt es wieder.

Nach einigen Versuchen brachte ich hervor:

„Wo bin ich?“

„Sie sind in einem Krankenhaus in Bremen, ich bin Schwester Inge."

Ganz langsam konnte ich klare Konturen erkennen und auch die Schwester, sie lächelte freundlich.

„Was mache ich hier?“

„Gesund werden“, antwortete sie.

„Und warum bin ich hier“, fragte ich.

„Sie sind seit circa einer Woche hier, wurden mit einer Kopfverletzung eingeliefert, haben viel Blut verloren und wir mussten Sie in ein künstliches Koma versetzen, da Sie aus der Narkose nicht aufgewacht sind.“

„Was ist ein künstliches Koma“, fragte ich?

„Das künstliche Koma ist eine wichtige Maßnahme, um den Körper eines Patienten zu entlasten. Es kann in vielen Fällen zum Einsatz kommen – etwa bei schweren Verletzungen nach einem Unfall, nach schweren Operationen oder bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Stürze zum Beispiel, führen immer wieder zu schweren Kopfverletzungen.

Durch die Wucht eines Sturzes oder Schlages, prallt das Gehirn an den harten Schädelknochen. Dabei reißen auch kleine Gefäße im Gehirn ein – Blut tritt aus und sammelt sich im Gewebe, was dazu führt, dass der Druck im Inneren des Schädels steigt. Bei einem solchen Schädel-Hirn-Trauma ist das künstliche Koma für den Betroffenen oft das Beste“.

„Da Sie eine schwere Kopfverletzung haben, war es, notwendig Sie in ein künstliches Koma zu versetzen.“

„Aha“, dachte ich, „muss ja ganz schön heftig sein.“

„Papiere hatten Sie auch keine dabei“, fuhr Schwester Inge fort, „und auch sonst nichts, was auf Ihre Identität schließen ließe.“

„Ich hole eben einen Arzt, der Sie untersucht und wir dann Ihre Personalien aufnehmen können.“

Sie ging mit einem Lächeln Richtung Tür und verschwand durch diese. Personalien aufnehmen? Wer bin ich denn? Ich konnte grübeln so viel ich wollte, ich wusste meinen Namen nicht, wusste nicht wer ich bin und wo ich herkomme.

„Ach du Scheiße“, dachte ich laut, das kann ja lustig werden.“

„Vielleicht bin ich in der Birne ja schon so matschig, wie es sich auch momentan anfühlt.“

„Ich musste doch jetzt mein Auto als gestohlen melden und meine Papiere und Schlüssel.“

„Welches Auto denn“, hatte ich überhaupt eins?“

Kurze Zeit später kam die Schwester mit Arzt zurück, beide hatten einige Unterlagen unter dem Arm.

Ich brauchte jetzt erst mal ein Glas Wasser. Die Schwester half mir, dass ich mich ein bisschen aufrecht setzen konnte.

Hervorragend dieses Wasser, ich hatte einen undefinierbaren Geschmack im Mund, ein bisschen nach Hühnerscheiße, ein bisschen Metall, das ganze abgerundet mit Marzipan.

„Langsam“, sagte die Schwester, „machen Sie nur kleine Schlucke, denn Sie wurden fast eine Woche nur künstlich ernährt und Ihr Magen muss sich erst wieder gewöhnen.“

Der Arzt kam direkt auf mich zu, reichte mir die Hand und stellte sich als Stationsarzt Doktor Sebastian Mahlstein vor, mit der Frage:

„Wie geht es Ihnen, Herr-------, wie darf ich Sie ansprechen?“

Tja, was sollte ich sagen, ich konnte mich an nichts erinnern. Während er mich untersuchte, fragte er weiter, ob ich an irgendetwas eine Erinnerung habe.

„Wo haben Sie mich denn gefunden“, fragte ich.

„Sie wurden von einem Passanten, der mit seinem Hund spazieren ging, in einer Blutlache liegend, mit einer großen Glasscherbe im Kopf, auf einem Parkstreifen vor dem Zollamt in der Überseestadt in Bremen gefunden.“

Wahrscheinlich wurden Sie von einer stärkeren Person mit einer Flasche niedergeschlagen, hatten eine starke Gehirnerschütterung mit Hämatomen und Blutergüssen am Kopf und im Gesicht.“

„Und warum das künstliche Koma“, fragte ich Doktor Mahlstein?

„Künstliches Koma, ist ein unglücklicher Begriff, eigentlich ist das künstliche Koma eine starke Narkose“, erklärt Doktor Mahlstein.

„Wird ein Patient ins künstliche Koma versetzt, bekommt er Schmerzmittel und starke Schlafmittel. Der Sinn des künstlichen Komas besteht darin, dass man den Patienten in einen Zustand versetzt, in dem äußere Stressfaktoren wegfallen. Im Koma kann sich das Gehirn demnach am besten erholen. Es wird vor Stress bewahrt und der gefährliche Druck reduziert sich langsam.“

„In der Regel dauert dieser Zustand ein paar Tage. Spätestens nach vier Wochen wird versucht, den Patienten aus dem künstlichen Koma zu holen. Infusionen werden langsam reduziert, innerhalb von Stunden oder Tagen kann der Patient das Bewusstsein wiedererlangen.“

„Und nun bin ich wach“, antwortete ich.

„Wie geht es weiter?“

„Wie ein Koma verläuft, kann niemand genau vorhersagen, das liegt aber weniger am Koma, als an seinem Ursprung.“

„Man darf nicht vergessen, dass der Auslöser eine Hirnschädigung ist. Das künstliche Koma ist weniger das Problem, als vielmehr die vorausgegangene Verletzung des Gehirns. Wird ein künstliches Koma beendet, folgt entsprechend „Warten“, ob und wie der Patient das Bewusstsein wiedererlangt, das kann, je nach Zustand der zu Grunde liegenden Hirnschädigung, Stunden bis Jahre dauern.“

„Was soll jetzt mit mir geschehen“, fragte ich den Arzt.

Er schüttelte nichtssagend den Kopf, kam etwas dichter an mich heran und sagte:

„Wir werden versuchen ihr Gedächtnis wieder in Schwung zu bringen.“

„Außer ihrer Kleidung haben wir nichts bei Ihnen gefunden.“

„Keinen Autoschlüssel, keine Brieftasche und auch der Aufruf mit Ihrem Bild in der Zeitung brachte keinen Erfolg, um auf Ihre Identität schließen zu können.“

„Ruhen Sie sich heute noch ein bisschen aus, morgen beginnen wir mit intensiven Untersuchungen.“

Obwohl ich, was meine Zukunft betrifft, beunruhigt war, überkam mich eine Müdigkeit. Ich konnte mich auch jetzt an nichts erinnern. Bin ich verheiratet, oder hatte ich eine Beziehung, habe ich Kinder? Ich schlief mit diesen Gedanken ein.

...

Die Sonne schien durchs geöffnete Fenster direkt in mein Gesicht, als ich erwachte. Vor dem Bett stand Schwester Inge und lächelte mich an.

„Möchten Sie jetzt versuchen sich ein bisschen frisch zu machen und Zähne putzen?“

„Ich helfe Ihnen, danach gibt es ein leichtes Frühstück.“

Ich setzte mich im Bett ein bisschen aufrecht und Schwester Inge lächelte, wie immer. Ein schönes Gefühl, von ihr angelächelt zu werden. Von Tag zu Tag klappte es immer besser mit dem Hinsetzen und waschen. Nur mit der Toilette klappte es noch nicht so, ohne Hilfe. Täglich kam ein Therapeut, um mit mir einige Gedächtnisübungen zu machen, kein Erfolg.

In der zweiten Woche begann dann der Versuch, aufzustehen. Wenigstens konnte ich mich vollständig bewegen, es waren keine fließenden Bewegungen, sondern alles noch ein bisschen langsam und mühsam, wie in Zeitlupe. Schwester Inge war zur Hilfestellung immer dabei.

„So“, sagte Schwester Inge, „ab morgen versuchen Sie dann mal allein den Flur auf und ab zu gehen.“

„Ich werde es versuchen“, antwortete ich.

Der Tag verlief, wie die vorangegangenen auch. Gedächtnisübungen, Blut abnehmen und dreimal am Tag ein bisschen Gymnastik.

Der Therapeut brachte ein Buch aus der Klinikbibliothek mit, damit ich mir ein bisschen die Zeit vertreiben kann, aber hauptsächlich mein Gedächtnis zu trainieren. Der Titel, „Die Erben des Medicus“ von Noah Gordon.

Das Lesen lenkte mich tatsächlich ab und ich konnte mittlerweile ohne Schlaftablette einschlafen.

Am nächsten Morgen war ich schon früh wach. Bis zum Frühstück dauert es noch circa eine Stunde. Ich ging ein paar Mal langsam den Flur auf und ab. Alle fünf Schritte musste ich mich verschnaufen, und am Geländer festhalten. Ganz schön unsicher, ohne eine Schwester an der Seite. Um diese Zeit begegneten mir einige Putzfrauen mit Eimer und Besen, sie schoben eine Art Einkaufswagen vor sich her, worin die verschiedenen Reinigungsmittel schön geordnet, griffbereit aufbewahrt wurden. Aus einem Seitenflur kommend, rempelte mich aus Versehen eine Dame an, die in der linken Hand einen Putzlappen und in der rechten Hand einen Besen hielt. Ich knickte mit dem rechten Fuß um und schlug mit dem Kopf genau an die Ecke einer Wand.

„Entschuldigung“, sagte sie.

Ich konnte nichts erwidern, sondern starrte nur auf ihre rechte Hand. Sie bemerkte meinen starren Blick und fragte:

„Was haben Sie denn, geht es Ihnen nicht gut?“

„Doch, antwortete ich und fragte: „Was haben Sie denn in der rechten Hand?“

„Einen Besen“, antwortete sie lächelnd, „ich will hier gleich den Flur fegen und wischen.“

Das war es… Besen. Wie vom Blitz getroffen fiel mir ein, dass wir im Büro eine Reinigungskraft hatten, die alle „Besen“ nannten, weil sie immer schlechte Laune hatte. Ich ging sofort ins Schwesternzimmer, um Schwester Inge diese freudige Nachricht mitzuteilen. Mein Gedächtnis war wieder da. Zwar nicht vollständig aber immerhin.

Die folgenden Tage waren von einem zum anderen Erfolg planbar. Ich werde mich in meinem Büro später noch bei dem „Besen“ für diesen Zwischenfall bedanken.

Beruflich bin ich Versicherungsdetektiv und für die Direktion Bremen, der Industrie Versicherung, freiberuflich tätig.

Mein beruflicher Name ist „Erwin Müller“, wohl auch kein richtiger Name, sondern eher ein Sammelbegriff. Egal, Hauptsache mein Gedächtnis funktioniert wieder. Nach dieser Aufarbeitung und ein paar Untersuchungen, wurde ich dann aus dem Krankenhaus entlassen. Jetzt die Frage:

„Wo ist mein Auto.“

Ich machte mich auf den Weg zur Polizei, zu Fuß. Ich hatte weder Hausschlüssel noch Papiere oder Geld. Dort angekommen musste ich mich ausweisen, ging aber nicht, womit denn. Freundlicherweise durfte ich in meinem Büro anrufen um mir ein bisschen Geld bringen und mich bei den Beamten als Erwin Müller identifizieren zu lassen. Inzwischen machte ich eine Diebstahlsanzeige gegen unbekannt. Die Beamten legten mir auch eine Vermisstenanzeige meines Arbeitgebers vor. Ich wurde also doch vermisst. Wie sich später herausstellte, wurde ich in der Überseestadt auf dem Parkstreifen, vor der Roland Mühle, mit einem schweren gläsernen Gegenstand, von hinten auf den Kopf, niedergeschlagen.

„Hallo“, hörte ich eine bekannte Stimme. Freudig stürmte Wolfgang Schröder, mein Arbeitskollege, durch die Tür kommend direkt auf mich zu, mit den Worten:

„Mann hast du uns allen einen Schrecken eingejagt“, wir dachten schon du wärst klamm und heimlich mit Erpressergeldern auf und davon.“ Er lachte.

„Schön dich zu sehen“, antwortete ich.

„Ein schönes Gefühl, wieder im Leben angekommen zu sein.“

„Erzähl mal“, sagte Wolfgang, „was war los“, „wo warst Du?“

„Später, erwiderte ich.“

„Ich habe Hunger, komm, lass uns was essen gehen.“

Bei einem üppigen Mittagessen erklärte ich Wolfgang ausführlich, was geschehen war. Nach dem Essen legte Wolfgang mir eine interne Pressemitteilung vor:

Polizei ermittelt wegen fahrlässiger Tötung:

Starben Patienten eines Schönheitszentrums in Süddeutschland, an den dort verabreichten Mitteln? Gegen einen Arztpraxisinhaber in Bremen, die Inhaber einer Partnervermittlung in Bremen und einer Schönheitsklinik in Süddeutschland, sowie eine Filiale der Schönheitsklinik in Norddeutschland, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger oder vorsätzlicher Tötung. Der Handel und die Behandlung mit nicht zugelassenen und gefälschten Medikamenten sind in einem gesonderten Verfahren anhängig und schon seit Jahren im Visier der Staatsanwaltschaft. Weltweit wird für die medikamentösen Behandlungen der Klinik geworben, als bahnbrechendes neues Mittel zur Schönheitsbehandlung.

Nach dem Tod mehrerer Patienten einer Schönheitsklinik ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Betreiber der Einrichtung wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in mehreren Fällen. Das teilte die Behörde am Freitag mit. Die bisherigen verdeckten Ermittlungen bieten zur Zeit keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigten den Tod oder Gesundheitsschädigungen vorsätzlich herbeigeführt haben, hieß es in der Mitteilung.

Die bisherigen Ermittlungen hätten den Verdacht erhärtet, dass die Betreiber der Klinik seit Jahren in Süddeutschland, in der Nähe von München, Patienten mit dem Präparat HG 100 behandelt habe. Die Substanz ist nicht als Medikament zugelassen. Wo sie hergestellt, verpackt und von wo aus sie vertrieben wird, ist weitgehend unbekannt. Laut Staatsanwaltschaft sei die Klinik aber grundsätzlich nicht berechtigt gewesen, den Stoff zu verwenden, so geht es jedenfalls aus vorhandenen Unterlagen der Klinik hervor.

Die Ermittlungen gegen die Beschuldigten hatte der Fall einer vierzigjährigen Frau aus Bremen ausgelöst. Sie starb in Ihrer Wohnung in Bremen, nachdem sie zuvor in der besagten Einrichtung behandelt worden war. Vor ihrem Tod hatte sie über Kopfschmerzen geklagt, war zeitweise verwirrt und schließlich nicht mehr ansprechbar.

Ihr Mann ist zur Zeit des Auffindens der Leiche geistig nicht anwesend, sondern litt unter einem Schock.

Kurze Zeit später gab die Polizei bekannt, dass bereits vorher eine fünfundfünfzigjährige Hamburgerin und einen Tag später eine einundsechzigjährige aus den Niederlanden gestorben sind. Beide waren in dem gleichen Zentrum in Behandlung. Zwei weitere Patientinnen hatten sich laut Staatsanwaltschaft wegen lebensbedrohlicher Beschwerden in ärztliche Behandlung begeben. Weiterhin sind in diesem Zusammenhang einige Fälle von Erpressung bekannt geworden, die direkt mit den Machenschaften der Klinik und den daran beteiligten Ärzten zwischen Deutschland und England, zu tun haben, indem betuchte Angehörige von Patienten dahingehend erpresst werden, ein Schweigegeld zu zahlen, damit die Angelegenheit einer Schönheitskur nicht nach außen dringt, da sonst eventuell der Ruf der Angehörigen geschädigt würde.

Fast zeitgleich wurden Anzeigen eines Versicherungskonzerns bekannt, wo der Verdacht auf Versicherungsbetrug, durch die genannten Beteiligten besteht. Denn für alle Verstorbenen wurden, ein paar Monate vorher, Versicherungen auf das Leben der betreffenden Personen abgeschlossen. Durch zwei verdeckte Versicherungsdetektive wird unterstützend zusätzlich recherchiert.

„Damit sind wir gemeint“, sagte Wolfgang.

„Aha“, erwiderte ich, „keine Ahnung.“

„Ich muss jetzt erst einmal den Schlüsseldienst anrufen, der mir dann ein neues Schloss einbaut, denn meine Haustürschlüssel sind auch verschwunden.“

Gesagt, getan. Wir warteten vor meiner Haustür circa eine Stunde, bis der Schlüsseldienst vor Ort war. Ein lockiger junger Mann kam freundlich auf uns zu und fragte:

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

Ich schilderte ihm mein Problem, er lächelte und sagte nur:

„Das haben wir gleich!“

Es kam keine Frage zur Legitimation, ob ich auch der Eigentümer dieser Wohnung war und mich ausweisen könnte. Er baute einfach das vorhandene Schloss aus, setzte ein neues ein und übergab mir drei dazugehörige Schlüssel.

„So das war’s“, sagte er nach circa einer halben Stunde Arbeitszeit lächelnd:

„Ich bekomme dann vierhundertsechsundfünfzig Euro und neunzig Cent von Ihnen!“ Auf meine Frage hin, warum er sich nicht von meiner Identität als Eigentümer der Wohnung überzeugt hätte, antwortete er nichts, sondern wurde nur rot.

Ich lächelte und bat ihn in die Wohnung, mit den Worten:

„Kommen Sie bitte herein, damit ich Ihnen das Geld geben kann.“

Er ging puterrot, mit gesenktem Kopf hinter mir in die Wohnung bis zum Schreibtisch.

Ich zahlte den Betrag, aufgerundet auf fünfhundert Euro, lächelte ihn an und gab ihm die Legitimationsbescheinigung der Polizei, die mich als Inhaber der Wohnung auswies.

Ich konnte förmlich sehen und hören wie ihm ein großer Stein vom Herzen fiel. Das hätte für ihn richtig ins Auge gehen können. Er bedankte sich mehrere Male und ging.

***

3

Zur Zeit meines Aufenthaltes im Krankenhaus fand hier in Bremen, in der Stadtmitte, eine Trauung statt.

„Bis das der Tod Euch scheidet … hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau“, sagte die Standesbeamtin.

„Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“

Daniela und Holger verlassen, augenscheinlich glücklich, die Kirche, umrahmt von Freunden und Verwandten. Es ist ein Tag mit viel Sonnenschein im Herzen und Sonnenschein rein meteorologisch. Jetzt geht es zum Kaffeekränzchen im kleinen Kreis und abends steigt dann die Party.

Kennengelernt haben sich die beiden über eine Partnervermittlung in Bremen. Was Daniela nicht weiß, ist ein professionell abgesprochener Deal zwischen Holger und der Partnervermittlung.

Lange wartet Daniela schon auf den richtigen Mann, hat nach mehreren Beziehungen und einer gescheiterten Ehe die Suche aufgegeben. Sie hatte einfach die Schnauze voll. Alle wollten von ihr nur Sex und eine Frau, die den „Herren der Schöpfung“ die Wäsche wäscht, kocht und die Wohnung sauber hält. In einer Bremer Tageszeitung reagierte sie dann auf eine Anzeige „Bei uns finden Sie den richtigen Partner“, der Partnervermittlung G.R & H. Dubb, in Bremen.

Nach verschiedenen Treffen mit den von der Partnervermittlung vorgeschlagenen männlichen Bewerbern, stand plötzlich Holger vor ihr. Von Anfang an, auch nach einigen Treffen und Gesprächen, dachte sie: „Das ist der Richtige.“ Zu diesem Zeitpunkt fährt Holger Hoppe LKW für eine Hamburger Spedition und Daniela arbeitet in einem Bremer Supermarkt an der Kasse. Sie lernten sich kennen, zogen zusammen in ein kleines Reihenhaus am Rande von Bremen und beschlossen, nach nur circa drei Monaten des Zusammenlebens, zu heiraten. Für Daniela war ein Traum in Erfüllung gegangen, endlich den Mann gefunden zu haben, wo sie sagen kann, den Mann liebe ich.

Sie hatte für sich nur ein kleines Problem. Sie war jetzt einundvierzig Jahre alt, empfand sich aber sehr alt aussehend und hatte eine etwas nach rechts außen gebogene Nase, X-Beine und Plattfüße. Ihre Brüste waren klein und in der Größe nicht gleichmäßig geformt. Ihre Brüder nannten sie früher immer „Das hässliche Entlein.“ Ihrem Gang nach zu urteilen, stimmte die Aussage der Brüder.

Ihre Gedanken gingen immer in die gleiche Richtung, eine Schönheitsoperation machen zu lassen, damit ihr Mann nicht eines Tages sagt: „Du bist aber hässlich!“ Sie glaubte nicht wirklich, dass er so etwas sagen würde und wusste, dass hier ihr eigenes Selbstbewusstsein ins Hintertreffen geraten war, und die Eitelkeit einer Frau in den Vordergrund. Tatsächlich waren ihre empfundenen Unansehnlichkeiten nach außen nicht so gravierend, wie sie es sich einbildete. Sie ist eine hübsche und attraktive Frau.

Sie verschob immer wieder den Gedanken, mit ihrem Mann Holger über eine Schönheits-OP zu sprechen. Sie wusste auch nicht, ob es überhaupt zu operieren geht, oder der Arzt auf einmal sagt:

„Der Kopf muss ab, der Rest kann bleiben!“

Kurz gesagt, ihr Selbstbewusstsein war gleich null.

Von der einen oder anderen Freundin hat sie schon mal gehört, dass man heute alles operieren lassen kann, es aber auch mit hohen Kosten verbunden ist. Die Krankenkassen zahlen solche Operationen nicht. Das Geld hat sie nicht, müsste sich also einen Kredit beschaffen. Da sie ja berufstätig und verheiratet ist, wird das auch zu machen sein. Heute an diesem Morgen, die Sonne schien mitten in die Küche, überwindet Daniela ihre Scheu und sagt zu Holger:

„Was meinst Du dazu, wenn ich eine Schönheitsoperation an mir machen lasse?“

„Endlich hat sie angebissen“, dachte Holger und fragt:

„Eine Schönheitsoperation?“

„Aber warum denn?“, und log weiter, für mich bist Du schön!“

Daniela sah ihn verwundert an:

„Sieh` mich doch an“, sagte Sie,

„Meine Nase ist krumm, ich habe X-Beine und Plattfüße, meine Brüste sind zu klein und unterschiedlich und mein rechtes Auge schielt nach links!“

Holger grinste freundlich und dachte an eine Geisterbahn auf dem Jahrmarkt.

„Was grinst Du so blöd?“, fragte Daniela.

„Das sind alles Dinge, die zu Dir gehören und so haben wir uns kennengelernt“, antwortete er.

„Du weißt genau, was ich meine“, antwortete sie.

„OK, wenn Du möchtest, werde ich mich heute darum kümmern, einen Arzt bzw. eine entsprechende Klinik für dich zu finden.“

Daniela wusste logischerweise nicht, dass Holger schon genau wusste, bei welchem Arzt und in welcher Klinik er anrufen würde.

„Um das Finanzielle brauchst du dir keine Gedanken machen, darum kümmere ich mich.“

„Danke“ sagte Sie, und umarmte Holger mit einem zärtlichen Kuss.

Daniela war froh, endlich ihren inneren Schweinehund überwunden zu haben und fing an, fröhlich pfeifend, den Garten zu verschönern. Sie war guter Dinge und wusste nicht, was da jetzt auf sie zu kommt und dass sie nicht mehr lange leben würde.

Am nächsten Abend hatte Holger bereits Neuigkeiten für Daniela.

„Hallo Schatz“, rief er, als er die Haustür aufschloss und eintrat,

„Ich habe Neuigkeiten für Dich.“

„Einen kleinen Moment“, antwortete sie, „ich mache uns gerade einen Kaffee.“

„Dein Aufenthalt auf einer Schönheitsfarm ist organisiert“, fing Holger an.

„Nächsten Mittwoch hast Du um zehn Uhr einen Termin bei Doktor Hofthaler, hier in Bremen. Er wird Dich untersuchen und dann eine Überweisung in die Klinik „Institut für Gesundheit der neuen Generation“, in Süddeutschland schreiben.“

„Es sollen hier Anwendungen stattfinden, die auf rein medikamentöser Basis stattfinden und eine ewige Gesundheit, Jugend und ein lebenslang gutes Aussehen garantieren.“ Daniela konnte ihr Glück kaum fassen. Die Tränen rollten über ihre Wangen und sie konnte nur schluchzend sagen:

„Danke, Holger.“ Sie war überglücklich. Beide nahmen sich in den Arm.

„Ich fahre Dich natürlich hin“, fügte Holger noch hinzu.

Sie konnte nicht wissen oder ahnen, dass hinter diesen Machenschaften die sogenannte „Medikamenten Mafia“ steckt und sie als Versuchskaninchen von Holger über die Partnervermittlung angelockt wurde, und er seine Finger mit im Spiel hat, des Geldes wegen. Außerdem schloss er noch eine Lebensversicherung auf Danielas Namen ab, für den Fall des Falles. Daniela wusste nichts davon. Ihre Unterschrift als versicherte Person setzte sie ahnungslos unter den Antrag, den Holger ihr, mit den anderen Papieren der Klinik, die ausgefüllt werden mussten, darunter.

***

4

Ein paar Tage später, nach dem Krankenhausaufenthalt, war ich privat und beruflich wieder auf dem Laufenden, habe mir im Büro die erforderlichen Unterlagen geben lassen, die ich benötigte und natürlich ein Auto. Natürlich kein Neues, sondern es sah nur neu aus und war ein anderes Fabrikat als das vorherige. Ich konzentrierte mich jetzt ganz auf meine Arbeit, um dort weiter zu machen, wo ich zusammengeschlagen gefunden wurde. Etwas musste ich allerdings noch erledigen. Da ich ja nun mal inkognito arbeitete, bin ich wohl jetzt nicht mehr unbekannt, denn der oder diejenigen die mich niederschlugen, wussten jetzt, wie ich aussehe. Meine logische Folgerung war, mein grundsätzliches Aussehen dauerhaft zu verändern. Gesagt getan. Ich kaufte mir eine Haarschneidemaschine, um mir eine Glatze zu schneiden, und kaufte auch Haarfarbe.

Das klingt jetzt erst mal verrückt, doch die Haarfarbe brauchte ich, um meine Augenbrauen fast schwarz zu färben. Da ich vorher mittelblond mit halblangen, über die Ohren reichenden Haaren auftrat, wird mich jetzt wohl keiner so einfach erkennen. Bemerkt sei noch, dass ich keine Familie hatte, sondern solo lebte. Für die Nachbarn war ich der brave „Nebenan“ der jeden Morgen in sein Büro ging, oder auch mal ein paar Tage nicht anwesend war. Von meinem Leben nahm niemand Notiz, zumal ich ja in einer Großstadt wohne und meistens ein Nachbar vom anderen Nachbarn nichts weiß.

Ich stand jetzt also auf dem Parkstreifen, genau an der Stelle, wo ich verletzt und besinnungslos gefunden wurde. Mein Auto stellte ich ein paar Meter zurück ab, lehnte mich an die Motorhaube und steckte mir eine Zigarette an. Das sah unauffällig aus und niemand nahm Notiz davon. Am Boden war noch die Skizze der Polizei zu erkennen, die meine Lage darstellte. Ein bisschen Blut war auch noch auf dem Boden. Ich versuchte mich in die Lage des Angriffes zu versetzen.

Ich hatte hier einen Termin, mit einem Mann, einem Kurier. Dieser Kurier, oder wer er auch sei, sollte mir Unterlagen bringen, die ein Apotheker, in Zusammenhang mit meinem zu bearbeitenden Fall, zusammen getragen hat und höchst brisant sind.

Es ging darum den Drahtzieher mit samt einer ganzen Bande an Arzneimittelfälschern – Fabrikation in Indien - Transport in Überseecontainern nach Deutschland – Weitertransport an die deutsche Schönheitsklinik Doktor Adalon, um dann diese Medikamente von dort als legales Arzneimittel zu deklarieren und anzuwenden. Natürlich mit gefälschten Zulassungen, um dann anschließend ein milliardenschweres Geschäft aufzubauen, begleitet von Korruption und Erpressung.

Die Containerpapiere waren natürlich auch dahingehend gefälscht, dass sie angeblich nur leere Pillendosen enthielten und diese Container ja ohne besondere Genehmigung, mit einer Ladung als sonstiges Verpackungsmaterial, transportiert werden konnten. Durch einen Zufall hat sich dieser Verdacht ergeben und erhärtet. Ursprünglich sollte ich einen Überseecontainer observieren, der von Hamburg nach Amsterdam unterwegs war und angeblich gestohlen sein soll. Das wäre dann lt. meinem Auftraggeber ein Versicherungsfall. Bei diesen Recherchen bin ich dann auf den sogenannten Pharmaskandal gestoßen.

Jetzt stellte sich mir die Frage: „Wer war der Kurier und vor allem, wo war er?“ War er es, der mich niedergeschlagen und beraubt hat und dieser Termin nur vorgetäuscht, um mir Unterlagen zu stehlen. „Warum hat er mich denn nicht gleich umgebracht?", dachte ich laut vor mich hin. Darauf werde ich jetzt wohl keine Antwort finden. Ich machte mich auf den Weg in das nächste Café, um bei einer Tasse Kaffee und einer Zigarette wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

Zwischendurch erhielt ich einen Anruf aus der Direktion, mit dem Hinweis, dass der Container in Hamburg ankommen sollte, und nicht in Bremen.

Ein paar hundert Meter weiter, im Überseehafen fand ich ein uriges Lokal, welches in die Hafengegend passte. Es war nicht groß und der Wirt hatte zurzeit auch nur drei Gäste. Ein älterer Mann mit einem dicken Bart und Overall schlürfte an der Theke sein Bier. Weiter hinten in der Ecke an einem der beiden Ecktische saßen zwei ältere Damen bei Kaffee und Kuchen und unterhielten sich lautstark über ein Kochrezept. An den runden Tisch in der Mitte des Raumes setzte ich mich und bestellte einen Pott Kaffee. Genüsslich zündete ich mir eine Zigarette an und freute mich, nicht mehr im Krankenhaus liegen zu müssen. Der Wirt, ein großer stämmiger Mann, so um die fünfzig Jahre alt, mit einem total rasierten Kopf, brachte mir mit einem freundlichen Lächeln den Kaffee.

„Na, Feierabend?“, fragte er, ich nickte.

Mit seinen von oben bis unten tätowierten Armen rückte er die weiße Tischdecke gerade. Ich sah aus dem Fenster in Richtung Hafenbecken und beobachtete einen Schlepper, der gerade an der gegenüberliegenden Kaimauer festmachte. Der Kaffee schmeckte gut und war auch recht heiß. Plötzlich ging die Tür auf und zwei, betrunkene und laut grölende Jugendliche kamen herein.

„Ruhe oder raus hier“, rief der Wirt, der sofort aus der Küche kam.

Beim Anblick des Wirtes waren die Beiden natürlich still und bestellten sich zwei Bier.

Ich war inzwischen bei der dritten Zigarette und dachte an die Zeit, als ich noch Überseecontainer im nassen Dreieck, zwischen Bremen-Hamburg und Bremerhaven transportiert habe und hier oft zu mittaggegessen habe. Am liebsten Labskaus mit Spiegelei, Gurke und roter Bete.

Ich ertappte mich bei den Gedanken, jetzt irgendwo am Strand in der Sonne liegen zu wollen. Am liebsten in Wremen am Kutterhafen. Ich brauchte die Endlosigkeit der Nordsee. Die Ebbe, die Flut und die Ruhe. Das Kreischen der Möwen.

Nein, nichts von dem, ich nahm mir vor jetzt noch nach Hamburg zu fahren. Ich zahlte und verließ das Lokal. Schnell noch eben nach Hause und meine Reisetasche mit den nötigsten Sachen zu packen. Das Ladekabel für mein Handy und Laptop durfte ich natürlich nicht vergessen. Ich weiß ja vorher nie wie lange ich unterwegs bin. Auf dem Weg zur Autobahn besorgte ich mir noch bei Aldi ein paar Tafeln Schokolade, Kekse und geräucherte Kochwürste sowie einen Container mit sechs Flaschen Wasser. Ach, jetzt hätte ich fast die Zigaretten vergessen! Auf dem Weg hielt ich noch vor einer Reinigung, um meine Jacke von ein paar Blutflecken dort reinigen zu lassen.

Beim Leeren der Taschen fand ich einen Zettel, auf dem in Druckbuchstaben eine Drohung geschrieben stand:

„Dieses ist eine Warnung, lass die Finger von dem Fall. Das nächste Mal bist Du tot.“

Diesen Zettel muss mir derjenige in die Tasche geschoben haben, der mich auch auf dem Parkstreifen im Überseehafen niedergeschlagen hat.