Mörder ohne Namen - Alfred Zech - E-Book

Mörder ohne Namen E-Book

Alfred Zech

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Beschreibung

Erpressung, Mord und Liebe Vermögende Geschäftsleute erhalten in Bremen vorgedruckte Erpresserbriefe. Darin werden sie aufgefordert eine größere Summe an eine Organisation zu zahlen, die ihnen dann persönlichen Schutz zusichert. Sollte dieser Aufforderung nicht nachgekommen werden, müssen sie und ihre Kinder mit akuter Lebensgefahr rechnen. Angefangen vom Einzelfall bis hin zu Dimensionen, die niemand voraussehen kann, wird eine Vorbereitung zum Abwurf eines Sprengsatzes auf das Haus eines Geschäftsmannes, mitten in einem Wohngebiet, geplant. Zwei Banden konkurrieren. Wer steckt dahinter, oder, wer kann sie aufhalten? Kommissar Hagedorn vom Morddezernat Bremen braucht die Unterstützung von Erwin Müller und dem SEK. Spannung um Mitternacht

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Seitenzahl: 273

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Grobheit besiegt jedes Argument und verscheucht allen Geist

Arthur Schopenhauer (1788-1860) Deutscher Philosoph

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Prolog

Die Tätigkeit des Versicherungsdetektivs Erwin Müller, bezieht sich auf Wirtschaftsverbrechen durch Versicherungsbetrug in größerem Stil, bei Mord, Betrug und Fälschung und um viele andere Leute, die nicht gern mit der Polizei in Berührung kommen. Deshalb tritt Erwin Müller bei seinen Ermittlungen auch immer undercover als Zeitungsreporter auf. Seine Auftraggeber sind namhafte Versicherungsgesellschaften, die er auf Honorarbasis, zuzüglich Tagesspesen, bedient. Gleichzeitig schreibt er für eine Bremer und eine Hamburger Tageszeitung aktuelle Berichte, für ein monatliches Gehalt. In seiner Freizeit schreibt er Bücher, über die von ihm aufgeklärten Fälle.

Mit fast allen Beamten vom Morddezernat in Bremen und Hamburg steht Erwin auf gutem Fuß, und mehrmals hat er schon das Wochenende mit dem Staatsanwalt, der hervorragend Schlagzeug spielt, verbracht.

In seiner Wohnung in Bremen, wo er ein Zimmer als Probenraum für seine Band eingerichtet hat, hängen Fotografien von früheren Musikern, Bands, und berühmten Songwritern. Er weiß genau, wie sich normale und anormale Menschen in jeder Lebenslage benehmen, das hat er bei seiner Tätigkeit gelernt.

***

Dieses ist ein Roman, dessen Handlung in teilweise bekannten Örtlichkeiten stattfindet. Alle Handlungen, handelnden Personen und Namen sowie Dialoge in diesem Roman sind frei erfunden und haben nie stattgefunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder realen Personen, sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1

Noch vor Mitternacht erlebte Bremen eine neue Aufregung. Zwei Autos rasten in schneller Fahrt die Hochstraße entlang, fuhren auf der falschen Seite und sausten durch den noch vorhandenen Verkehr in den Breitenweg. Direkt einem Eckhaus gegenüber, neben der Discomeile eröffnete ein Mann, der neben dem Chauffeur des zweiten Wagens saß, das Maschinengewehrfeuer auf den ersten, von dem es sofort erwidert wurde. Beide Fahrzeuge bogen, ständig feuernd, in die Bismarckstraße ein. Aus dem Imbiss an der Ecke kamen gerade die letzten Gäste. Sie ergriffen die Flucht, und es entstand eine wüste Panik. Die Wagen jagten die Bismarckstraße entlang, dann die Sankt-Jürgen-Straße und die Lüneburger Straße hinauf zum Osterdeich ans Weserufer.

Plötzlich geriet das erste Auto ins Schleudern, prallte krachend gegen einen Laternenpfahl und ging mitten in der Sankt-Jürgen-Straße in Flammen auf. Das Zweite raste weiter, aber Zeugen wollen gesehen haben, dass der Maschinengewehrschütze noch in den brennenden Wagen hineinschoss.

Vorüberkommende Taxifahrer bemühten sich, die Flammen zu löschen. Ein Polizist riss die brennende Autotür auf und versuchte, die Leute, die in dem Wagen zusammengebrochen sind, herauszuziehen, aber erst als die Flammen mit einem Feuerlöscher erstickt waren, gelang es. Drei Männer hatten auf dem Rücksitz gesessen. Die Geschosse hatten sie wahrscheinlich schon niedergemäht, bevor der Wagen in Brand geriet. Der Fahrer atmete noch, aber auch er wurde sieben Mal getroffen.

Der gesamte Stadtteil wurde von der Polizei umstellt und mit einem Großaufgebot von Streifenwagen systematisch nach Ungereimtheiten durchsucht, denn die Anzahl der Personen, die an dieser Schießerei beteiligt waren, konnten nicht ermittelt werden. So langsam und vorsichtig kamen auch einige Anwohner auf die Straße, um nachzusehen, was wohl passiert sei.

Am nächsten Tag und Abend war es ruhig in diesem Viertel. Auch am zweiten Abend ereignete sich nichts.

Am dritten Tag lag Nebel über Bremen, und als sich der Dunst in den Straßen immer mehr verdichtete, ahnte jeder, dass jetzt eine Entscheidung kommen würde.

Es war unheimlich ruhig, fast lautlos an diesem Morgen. Ein scheinbar alter, weißhaariger Mann, der etwas gebeugt ging, war in der letzten Zeit häufig krank und deshalb nur selten zu den Sitzungen erschienen. Aber an diesem Tag ging er durch die Vorhalle in das Innere des großen Parlamentsgebäudes am Marktplatz. Der Polizist, der am Eingang Wache hielt, grüßte ihn freundlich und öffnete die Tür.

Einen Augenblick blieb er stehen und putzte seine Brille. Als er in den Sitzungssaal trat, fand er diesen nur mäßig besetzt. Mehrere Mitglieder debattierten eifrig über eine neue Gesetzesvorlage. Er ließ sich auf einer der fast leeren Regierungsbänke nieder.

Verschiedene der Anwesenden lächelten. »Der ist zur Regierung übergegangen«, tuschelten sie.

Er gehörte nämlich zur Opposition. Die für Regierungsmitglieder reservierte erste Sitzreihe im Parlament war fast vollkommen frei. Nur eine Oberstudienrätin, die die Debatte führte, war anwesend.

Unerwartet erhob sich der alte weißhaarige Mann, ging mit unsicheren Schritten auf das Rednerpult zu und hatte schon den Gang erreicht, der zur Tür führte, als er eine Pistole zog und sich plötzlich umdrehte. In kurzer Aufeinanderfolge feuerte er dreimal, sprang über die vorgestreckten Beine des Bürgermeisters, lief am Rednerpult vorbei und verschwand durch die hintere Tür ins Treppenhaus. In wenigen Sekunden war alles vorüber. Ein Mann, der auf einer der vorderen Bänke gesessen hatte, brach zusammen.

Ein Polizist sah den alten Mann, der hinauslief, und versuchte ihn aufzuhalten. Aber dazu kam er nicht, er stürzte mit einem Schuss in der Schulter zu Boden. Offenbar kannte der Mörder die Lage der einzelnen Räume im Parlament sehr genau. Er bog in einen Gang ab und eilte dann auf die Straße, lief die Bredenstraße entlang, bis zur Weserbrücke.

Schnell zählte er die Laternen von der Brücke aus und sprang bei der vierten in die Weser.

Niemand sah es. Als Politiker, Beamte und Polizisten vor dem Parlamentsgebäude erschienen, war er verschwunden. Ein Polizist rannte zur Weserbrücke, sah über das Geländer und entdeckte ein Motorboot, das auf die Mitte der Weser hinausfuhr. Er rief, »Halt kommen Sie zurück oder ich schieße, Polizei.«

Als keine Antwort kam, zog er seinen Revolver und gab zwei Schüsse ab. Unmittelbar darauf blitzte das Mündungsfeuer eines Maschinengewehrs auf, unheimlich hallten die Schüsse über das Wasser. Ein Kugelregen prasselte gegen die Brüstungsmauer, ein paar Fenster in den Häusern drum herum zersplitterten, aber weiterer materieller Schaden wurde nicht angerichtet.

Jetzt war das Boot mitten auf der Weser. Kurz darauf sahen die Zuschauer, die sich mittlerweile an dem Schauplatz versammelt haben, wieder das Mündungsfeuer des Maschinengewehres und hörten das unheimliche Rattern. Die Gangster waren auf ein Polizeiboot gestoßen, aber der Kampf blieb einseitig.

Als Verstärkung herbeikam, war von dem Polizeiboot nichts mehr zu sehen, es war in der Weser versunken.

Zwei Wochen vorher…

Erwin ist gerade aus seinem Urlaub zurück und geht schnurstracks in sein Büro im Polizeipräsidium Bremen. An Schlaf war in der letzten Nacht kaum zu denken. Beim Blick auf seinen Schreibtisch fiel ihm fast vor Schreck die Brille aus dem Gesicht.

Da lagen sie noch, die Berge von Akten aus dem vorherigen Fall. Es hat sich doch keiner von den faulen Säcken hier auf der Etage, damit beschäftigt, dachte er so für sich. Aber er hatte eine einigermaßen gute Laune.

Er zog sich einen Stuhl aus der Ecke des Raumes an den Schreibtisch heran, um darauf die Akten abzulegen die seinen Schreibtisch blockierten. Wenigstens die Schreibtischauflage sollte frei sein, damit er arbeiten kann.

Dieses Büro und den Schreibtisch hat ihm Hauptkommissar Hagedorn zur Verfügung gestellt, damit er nicht immer von zu Hause aus arbeiten muss, sowie die betreffenden Akten hin und her schleppen. Da die Beiden ja mittlerweile Hand in Hand arbeiten, ist dieses die beste Lösung.

Einen Plan, wie Erwin jetzt in einer lukrativen Reihenfolge die Akten studiert, hatte er noch nicht. Er wurde den Gedanken vom letzten Fall nicht los, Wie konnte ein Mensch, der angeblich gelähmt ist, einfach mal eben aus dem Krankenhaus flüchten? Er muss einen oder mehrere Helfer gehabt haben.

Erwin wollte gerade das Telefon in die Hand nehmen, als Hauptkommissar Hagedorn zur Tür hereinkam.

»Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Müller«, sagte Hagedorn, mit seiner durchdringenden sonoren Stimme.

Erwin erwiderte freundlich den Gruß, »Guten Morgen Herr Hauptkommissar.«

»Hatten Sie einen schönen erholsamen Urlaub, Herr Müller?«

»Urlaub kann man das ja wohl nicht nennen«, entgegnete Erwin lächelnd, »diese paar Tage waren aber nötig um ein bisschen Abstand von dem Trubel zu haben.«

»Haben Sie denn schon etwas von unserem Flüchtigen aus dem letzten Fall gehört, Herr Hauptkommissar?«

Hagedorn rollte mit den Augen, »Nein, nichts, keine Spur. Auch auf den Flughäfen und Bahnhöfen war nichts zu erfahren, ob sich der Betreffende vielleicht ins Ausland abgesetzt hat.«

Erwin hob den Kopf, »Außer mit falschen Papieren und einer anderen Identität.«

»Dann werden wir ihn nie finden«, antwortete Hagedorn und runzelte seine Stirn.

»Und wenn wir das FBI einschalten«, konterte Erwin.

»Ist schon geschehen«, antwortete Hagedorn, »Aber Sie wissen doch selbst, Erwin, dass das ziemlich lange dauern kann. Bis dahin wird er richtig untergetaucht sein. Denken Sie doch an sein Geständnis, in Amerika. Nach einigen Banküberfällen wurde er nicht gefasst und landete dann in Bremen, wo er einige Jahre seine Schandtaten weiterführen konnte, ohne erwischt zu werden, und das nur, weil er immer wieder seine Identität änderte und jetzt eine Maske trug. Eine Handyortung hatte auch keinen Erfolg.

»Klären Sie Ihre Fälle mit den Schmuckdiebstählen auf Erwin, die mit dem Versicherungsbetrug zu tun haben, dann haben Sie erstmal genug Arbeit!«

»Wann kommt denn ihr Kollege der Herr Schröder wieder aus dem Urlaub, um Ihnen zu helfen«, fragte Hagedorn noch.

»Morgen«, antwortete Erwin und rieb sich die Hände. Hauptkommissar Hagedorn verließ lächelnd das Büro.

Am nächsten Morgen, pünktlich um sieben Uhr, betrat Wolfgang mit einem lang gezogenen Gesicht das Büro. Wie immer war er ein Morgenmuffel und grummelte nur, »Morgen.« Er setzte sich umständlich auf seinen Stuhl.

Wolfgang Schröder ist schon seit ein paar Jahren der Kollege von Erwin Müller. Er ist achtunddreißig Jahre jung, hat ein eheähnliches Verhältnis mit Bettina und zwei kleine Kinder, die seine Partnerin aus erster Ehe mitgebracht hat. Beruflich ist Wolfgang aalglatt wie eine Schlange, hat ein Gespür für ungerechte Dinge und geht in seinem Beruf als Versicherungsdetektiv voll und ganz auf. Gelernt hat er, genau wie Erwin Müller, Versicherungskaufmann, war bei der Bundeswehr als Fallschirmjäger tätig und hat auch dort seine Nahkampfausbildung absolviert, natürlich ein paar Jahre später als Erwin Müller, denn der ist mittlerweile um einiges älter. Beide sind ein gut eingearbeitetes Team. Sie können über alles reden und lachen, auch über private Dinge. Eine Ehe kam für Wolfgang nicht mehr in Betracht, da er keine regelmäßigen Arbeitszeiten hat. Mal arbeitet er am Tage, oder nachts, oder auch mal ein paar Tage und Nächte hintereinander. Keine idealen Voraussetzungen für eine Ehe, oder Partnerschaft mit Kindern, ist klar und auch verständlich. Nach einiger Zeit fing es in dieser Beziehung an zu bröckeln. Seine Lebensgefährtin war mit den Arbeitszeiten von Wolfgang unzufrieden und auch nicht, dass er oft ein paar Tage unterwegs war, obwohl sie es von Anfang an wusste, dass es in dem Beruf oft unregelmäßige Arbeitszeiten gibt. Kurz gesagt, auch das Liebesleben kam zu kurz. Immer öfter hörte Erwin Wolfgang sagen, »Ich glaube, ich gehe demnächst mal in den Puff, denn zu Hause läuft nichts mehr, es kommt auch kein vernünftiges Gespräch zustande und der Akt wird dann nur noch nach dem Hauruck-Verfahren, zack, zack und erledigt. Die Gelegenheit ist eigentlich passend, denn wir sind ja oft in Hamburg.« Er rutschte auf dem Stuhl hin und her.

Erwin weiß, dass Wolfgang auch manchmal gerne auf die Kacke haut. In Wirklichkeit ist sein Drang zur Handlung und Ausdrucksweise eine andere, eher behutsam und zurückhaltend. Doch manchmal gehen mit ihm die Pferde durch. Es muss schon reichlich kriseln in seiner Beziehung, dass er diese Gedanken ausleben will.

»Wollen wir gemeinsam, einmal, einfach mal so, ein Gespräch mit Bettina anzetteln?«, frage Erwin ihn und klopfte sich dabei auf die Schenkel..

»Können wir gerne machen«, antwortete Wolfgang, »dann lade ich dich für Sonntag um zwölf zum Grillen ein, ok?«

»Geht klar!«, war Erwins Antwort.

Zur gleichen Zeit war Tom Martens schon in einer Maschine der Fluggesellschaft Emirates, von Hamburg nach Dubai. Er hatte den Flug schon vor einigen Tagen mit einem falschen Pass gebucht.

Für sich dachte er, gute Vorsorge ist die halbe Miete!

Michael-Anton Michelsen – alias Doktor Tom Martens, aus Bremen - hat sein Zimmer im Hotel »Palm Jumeirah« in Dubai, gerade bezogen, genehmigt sich einen starken Kaffee und sieht erstaunt aus dem Fenster der zweiundzwanzigsten Etage. Er genießt die fantastische Aussicht und denkt kurz über seine Flucht aus dem Krankenhaus in Bremen nach. Sechseinhalb Stunden Flugzeit mit einem einstündigen Aufenthalt in München, machen doch ein bisschen müde. Auch das andere Klima macht ihm zu schaffen. Die Zeitverschiebung von zwei Stunden im Voraus bezogen auf Deutschland, macht nicht viel aus. Er legte sich auf das Bett, um ein paar Minuten abzuschalten und sich zu erholen.

Dubai ist bekannt für seine Superlative und Weltneuheiten. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Gruppe künstlich angelegter kleiner Inseln im Smaragd färbenden Wasser des arabischen Golfs. Palm Jumeirah, dass von oben wie eine stilisierte Palme aussieht, war die erste Offshore-Siedlung ihrer Art, auf künstlich aufgeschüttetem Grund und ist auch ein Hotel. Wer heute die ausgedehnte Wüstenstadt voll glitzernder Hochhäuser betrachtet, zu der Dubai geworden ist, kann man sich nur schwer vorstellen, dass dieses Monument der Moderne seinen Anfang als kleines Fischerdorf nahm.

Michael-Anton Michelsen betrachtete seine neuen Papiere, die er sich schon vor Wochen in Hamburg anfertigen ließ. Laut dieser Papiere ist er gebürtiger Engländer und Vermögensberater im Bereich Aktien.

Sein Plan war jetzt, erst einmal ein paar Tage Urlaub zu machen, die Gegend und den Strand genießen. Er will sich hier eine Klinik suchen, um sein Äußeres ein bisschen zu verändern, bevor er wieder nach Deutschland zurückkehren wird.

Eine Veränderung im Gesicht bringt schon einiges, um nicht, als der erkannt zu werden, wie er vorher aussah. Die Nase verkleinern, die Haut ein bisschen straffen, reicht in den meisten Fällen schon aus, um ganz anders auszusehen.

Man kann es an manchen Filmschauspielerinnen erkennen, die fast täglich in den Medien erscheinen und sich haben liften lassen, oder die Lippen aufgespritzt wurden. Manche sehen dann richtig entstellt aus. Er lächelte bei den Gedanken und war stolz auf sich selbst. Eine Maske bräuchte er dann nicht mehr.

Es klopfte an der Tür und Michael zuckte zusammen, »Zimmerservice«, hörte er eine Stimme. Da er gerade durch das Klopfen geweckt wurde, konnte er diese Situation nicht richtig einordnen, und war der Meinung er würde noch immer verfolgt werden. Es klopfte noch mal, »Zimmerservice«, ertönte eine freundliche Stimme mit einem typischen englischen Akzent.

Nach ein paar Sekunden war Michael wieder voll da und öffnete die Tür.

»Ihr Frühstück, mein Herr«, sagte die junge Frau und stellte das Tablett auf den Tisch. Sie lächelte ihn an und Michael dachte jetzt an ein Trinkgeld. Er griff in seine Hosentasche und überreichte ihr eine halbe Handvoll Silbergeld. Sie nahm es dankend an und verschwand wieder durch die Zimmertür. Sein Unterbewusstsein spielte ihm jetzt einen Streich und er dachte, sie hätte ihn etwas eigenartig angesehen. Wusste sie, wer er ist und woher er kommt, oder ist das alles Einbildung. Spielt ihm sein Unterbewußtsein einen Streich?

Er setzte sich an den Tisch und nahm hastig sein Frühstück zu sich. Der Kaffee war sehr stark, aber er wurde wach davon. Gesättigt lehnte er sich in dem Sessel zurück und schaute sich systematisch in dem Hotelzimmer um. In jeder Ecke, in jeder Lampe oder hinter dem Klodeckel im Bad vermutete er eine Kamera, die ihn bespitzelt. Leidet er jetzt unter dem Verfolgungswahn.

Als er nach ungefähr zwei Stunden Suche nichts fand, was ihn beunruhigen sollte, ging er duschen. Unter der Dusche berieselte ihn nicht nur das Wasser in einer angenehmen Temperatur, sondern er vernahm auch arabische wohlklingende Geräusche, die aus einem Lautsprecher über ihm kamen. Er schüttelte den Kopf und dachte, es kann mir niemand gefolgt sein. Alles nur Einbildung. Ich muss jetzt erstmal zur Ruhe kommen, dachte er noch und stieg aus der Dusche. Aus dem Spiegel sah ihn sein eigenes Gesicht an. Er erschrak. Seine Narbe im Gesicht konnte er sehr gut erkennen, folglich auch jeder der ihm ins Gesicht schaute. Er hörte auch Stimmen in seiner Einbildung. Sein Handy hatte bereits in Bremen in die Weser geworfen, damit man ihn nicht orten könnte. Er wird sich morgen vor Ort ein Neues kaufen. Seine Gefühle haben ihn eigentlich noch nie getäuscht. Warum hat er jetzt diese eigenartigen Gedanken, als würde er verfolgt. Hat er vielleicht doch irgendjemandem von seinen Plänen erzählt, oder Andeutungen gemacht? Oder im Krankenhaus in seiner Benommenheit etwas von sich gegeben? Er konnte sich nicht erinnern … oder war vielleicht …, nein das ist absurd. Michael-Anton Michelsen ging in die Dubai-Mall, das größte Shoppingcenter der Welt, mitten in Dubai.

Die Mall bietet ein etwas anderes Erlebnis als traditionelle arabische Märkte. Hier präsentieren bescheidene arabische Händler alles, was das Herz begehrt. Ihre Ware gibt es in unmittelbarer Nähe zu Boutiquen wie Chanel und Valentino zu kaufen. Besucher können ätherische Öle, Schmuck, Tücher, Computer und frische emiratische Backwaren oder Kuchen kaufen. Feilschen wird hier nicht so gern gesehen, dafür gibt es die Möglichkeit, ganz komfortabel mit Kreditkarte oder bar zu bezahlen.

Hier will er jetzt nach einem Prepaid-Handy mit SIM-Karte Ausschau halten. Er brauchte nicht lange. Fast im Eingangsbereich fand er den betreffenden Händler und auch die Emirate-Bank gleich nebenan. Er tauschte seine Euro in die dortige Währung, Dirham, und suchte sich ein Handy nach seinem Geschmack aus, welches er dann bar zahlen konnte. Michael hatte zwar mehrere Kreditkarten von deutschen Banken, doch die wollte er aus verständlichen Gründen nicht nutzen.

Wieder zurück im Hotel bereitete er sein Handy vor, um telefonieren zu können.

Er suchte sich aus dem Internet die Telefonnummer des »Emirates-Hospital« heraus, schilderte sein Anliegen, wie eine Nasenkorrektur, Hautstraffung und ein paar Besonderheiten.

Die neue und sehr luxuriöse Klinik »Emirates Hospital« ist Anziehungspunkt für den Medizintourismus. Die Klinik beschäftigt überwiegend amerikanische und deutsche Ärzte, die sich auf Schönheitsoperationen spezialisiert haben. Die Kosten für diese Operationen sind hier wesentlich niedriger als in Deutschland und die Qualität ist in der Regel sehr hoch.

Gesagt, getan, der Termin für das Erstgespräch war in zwei Tagen. Einen Termin zur Operation, sollte er sich in circa einer Woche vormerken. Dann noch zwei oder drei Wochen Genesungsurlaub und er kann sich wie neugeboren auf den Weg nach Bremen machen. Niemand würde ihn erkennen und mit seinem neuen Namen könnte auch keiner etwas anfangen.

Der Tag war noch früh am Vormittag und die Luft hatte schon eine Außentemperatur von 42 Grad. Michael fuhr mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage zur Dachterrasse mit Swimmingpool und lies sich von dem schönen Damenpersonal mit ausgesuchten Speisen und Getränken verwöhnen.

Als er langsam zur Ruhe kam, war es wieder da, das unbestimmte Gefühl verfolgt zu werden. Ein absurder Gedanke. Hat Bremen vielleicht die Interpol oder den FBI eingeschaltet und sie sind schon auf meiner Spur?

Er muss wohl ein bisschen eingeschlafen sein, als ihn eine sanfte Stimme mit den Worten, »Hallo junger Mann, geht es Ihnen gut?«, ansprach.

Michael zuckte zusammen, aber er beruhigte sich schnell wieder, als er in das Gesicht einer hübschen Frau mit blonden Haaren sah.

»Sie sollten nicht so in der direkten Sonne liegen. Ich habe Ihnen einen kleinen Sonnenschirm mitgebracht, der Sie schützen wird.«

»Danke, sehr freundlich«, erwiderte Erwin, und freute sich über diese Fürsorge.

Er erkannte sofort, dass diese hübsche Dame nicht vom Personal war, denn das Personal trug eine Art Uniform, sie nicht, und sie sprach deutsch.

»Kennen wir uns«, fragte er sofort und setzte sich an den Rand der Liege.

»Nein, kennen ist zu viel gesagt. Ich habe Sie heute Vormittag beim Einkauf gesehen und anschließend hier auf der Dachterrasse«, grinste sie. »Ich hatte das Gefühl, Sie sind deutscher, und dachte mir, ich spreche Sie einfach mal an.«

»Wollen wir zusammen etwas trinken«, fragte Michael spontan, und winkte die Bedienung heran. Die Fremde setzte sich auf den Rand der Nachbarliege.

»Woher können Sie so gut deutsch sprechen«, wollte er jetzt wissen.

»Ganz einfach«, erwiderte sie und schlug die Beine übereinander. »Ich komme aus Deutschland und bin geschäftlich hier.«

Sie machte eine kleine Pause und lächelte Erwin an.

»Nicht das Sie jetzt denken, das sei eine plumpe Anmache, nein, ich bin allein hier und möchte mich nur mit einem netten Mann unterhalten.«

»Danke für das Kompliment«, antwortete Michael und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf.

»Woher kommen Sie aus Deutschland, schöne Frau, sind wir uns schon mal begegnet?«

Sie wurde ein bisschen verlegen und antwortete, »Ich komme aus Hamburg und bin in der Finanzbranche tätig.«

»Was für ein Zufall, Entschuldigung, Zufälle gibt es ja nicht«, verbesserte er sich, »Ich bin auch in der Finanzbranche tätig und baue mir gerade eine neue Existenz in Bremen und Umgebung auf.«

»Wollen wir heute Nachmittag zusammen einen Stadtbummel machen, ich brauche noch einen kleineren Koffer«, fragte Michael spontan mit einer gewissen Vorfreude in den Augen, »und bei Kaffee und Kuchen können wir uns dann weiter unterhalten.«

»Gerne, Ich freue mich«, antwortete sie freudestrahlend, »Bis nachher.«

»Ich weiß noch nicht mal wie Sie heißen, junger Mann?«.

»Ich bin Michael, und wie heißen Sie?«

»Ich heiße Elfie, Elfriede Wagner.«

»Wir können doch einfach »du« zueinander sagen, Michael«, schlug Elfie vor und stand elegant von der Liege auf.

»Ok, Elfie«, antwortete er, und sah ihr nach, als sie mit aufreizenden Schritten in Richtung Rezeption ging. Er konnte genau sehen, dass sie keinen Slip unter ihrem dünnen Kleid hatte. Zum Glück hatte er ein Handtuch auf der Liege, um es sich auf den Schoß zu legen, sonst hätte jeder auf der Dachterrasse die Wölbung in seiner Badehose wahrnehmen können.

Wenn das kein Glücksfall ist, dachte er sich. Michael wusste jetzt schon, diese junge Dame zu seiner Komplizin zu machen. Vielleicht klappt es ja. Seinen vollständigen Namen, Michael-Anton Michelsen, hatte er natürlich zur Vorsicht noch nicht genannt. Das werde ich später in Hamburg nachholen, dachte er sich und zog die Augenbrauen hoch.

Sie schlenderten, wie verabredet im Shoppingcenter gemächlich und ohne eine besondere Eile. Sie unterhielten sich über die gemeinsamen Interessen sowie die beruflichen Tätigkeiten.

In einer Auslage sah Michael dann die passenden Koffer in allen möglichen Größen. Sie betraten das Geschäft. Eine freundlich lächelnde Verkäuferin kam auf sie zu und fragte,

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Ja, ich brauche einen mittelgroßen Koffer!«, antwortete Michael und deutete mit seinen Händen das ungefähre Maß an.

»Schauen Sie sich in Ruhe um, und wenn Sie etwas Passendes gefunden haben, rufen Sie mich!«, sagte sie lächelnd und ging zum nächsten Kunden.

Nach einigem Suchen fand Michael das passende Stück. Er gelangte nur nicht an das zweitobere Regal, um den Koffer näher anzusehen.

»Welches Model hast du dir denn ausgesucht?«, fragte Elfie freundlich mit einem Lächeln.

»Einen von da oben«, antwortete Michael und zeigte auf das obere Regal und den dritten Koffer von rechts.

»Soll ich dir einen runterholen?«, lächelte sie und sah ihn fragend an.

Michael stockte einen Moment und erwiderte,

»Oh, ja, vielleicht kaufe ich danach auch einen oder zwei Koffer!«.

Sie sahen sich beide an und mussten lautstark lachen, über die schwere, zweideutige deutsche Sprache.

Nach diesem Kofferkauf war jetzt Kaffee und Kuchen an der Reihe. Ein gemütliches Café lud dazu ein. Sie erzählten und redeten, was das Zeug hält.

Am späten Nachmittag verabredeten sie sich noch für den gleichen Abend. Sie waren kaum in seinem Zimmer angekommen, da flogen auch schon die Klamotten vom Leib. Sie ließen sich nackend langsam auf das Bett gleiten. Die Küsse wurden heftiger und verlangten nach mehr. Es wurde eine lange, sehr erotische Nacht.

Am nächsten Morgen wachten beide in seinem Bett auf und anschließend saßen sie, ein bisschen übermüdet, am Frühstückstisch und sahen sich schmunzelnd an. Das Gefühl von beiden, sich schon länger zu kennen war unbenommen vorhanden. Sein Gefühl, verfolgt zu werden, war vollständig verschwunden.

Michael erzählte Elfie, was er hier in Dubai vorhatte. Ein paar kleine Operationen an sich vornehmen zu lassen, wie Nasenkorrektur und ein bisschen liften im Gesicht, waren keine große Sache. Sie lächelte bei der Vorstellung, dass er ein Körperteil nicht operieren lassen musste, das sollte so bleiben. Männer, dachte Elfie, sind ja noch schlimmer als manche Frauen und streichelte dabei seine Hand. Den wirklichen Grund der geplanten Operationen verschwieg Michael natürlich.

Die Gesichtskorrekturen verliefen ohne Komplikationen und Michael sah aus, wie frisch aus dem Ei gepellt.

»Ich hätte dich so nicht wiedererkannt«, lobte Elfie das Ergebnis, »du siehst ja ganz anders aus. Alle Achtung, du wirkst um einige Jahre jünger.

Das war es, was Michael hören wollte, »nicht wiedererkannt!«

Nach fast drei Wochen Genesung war Michael so gut wie narbenfrei, nur zwei dünne kleine Narben auf seiner linken Wange waren noch zu sehen. Er fühlte sich hervorragend. Während dieser Zeit kamen sich Elfie und Michael sehr nahe und verabredeten sich zu einem Treffen in Hamburg, um die Beziehung zu vervollständigen und Einzelheiten einer gemeinsamen beruflichen und privaten Zukunft zu planen. Inwieweit er Elfie in seine Vergangenheit und geplante Zukunft einweihen wird, bleibt noch dahingestellt. Wir werden sehen, dachte er.

***

2

Eine hübsche junge Dame stieg die Stufen zur Haustür der Villa »Haus am Bürgerpark«, an der Parkallee in Bremen hinauf und klingelte energisch. Ihre ungewöhnliche Größe fiel nicht auf, weil ihre Figur durchaus gut proportioniert war. Ihr Gesicht war hübsch, wenn auch nicht im gewöhnlichen Sinne. Alles an ihr verriet eine Persönlichkeit, die weit über dem Durchschnitt stand.

Die Haustür öffnete sich, und ein Butler sah die Dame fragend an.

»Kommen Sie wegen der Stellung?«, fragte er.

»Ist der Posten bereits vergeben?«, fragte die Dame mit einem etwas verlegenen Blick.

»O nein. Wollen Sie nicht nähertreten?«

Er führte sie in ein großes, kühles Zimmer, das sie an das Wartezimmer eines Arztes erinnerte, nur viel größer. Nach fünf Minuten erschien der Butler wieder.

»Kommen Sie bitte mit«, sagte er und machte eine Handbewegung ihm zu folgen.

Diesmal brachte er sie in die Bibliothek. An den Wänden standen Schränke und Regale, und auf dem Tisch lagen eine Menge neuer Bücher. An dem großen Schreibtisch saß ein hagerer Mann, der das junge Mädchen über seine Brille hinweg betrachtete.

»Nehmen Sie Platz. Wie heißen Sie, schöne Frau?«

»Inga Lange«, antwortete sie und hob etwas den Kopf.

»Sie sind wohl die Tochter eines pensionierten Offiziers oder sonst eines vornehmen Herrn?«

»Nein keineswegs, mein Vater war kaufmännischer Angestellter und arbeitete sich zu Tode, um seine Familie anständig durchzubringen«, erwiderte sie und bemerkte, dass seine Augen aufleuchteten.

»Haben Sie Ihre letzte Stellung aufgegeben, weil Ihnen die Arbeitszeit zu viel war?«, fragte er barsch.

»Ich habe sie aufgegeben, weil der Chef zudringlich wurde.«, antwortete sie.

»Großartig«, antwortete er ironisch.

»Wie ich aus Ihren Zeugnissen sehe, stenografieren Sie unglaublich schnell, auf einer Tastatur und die Handelskammer bestätigt hier, dass Sie vorzüglich Maschineschreiben können. Dort steht ein Computer, die Tastatur ist ähnlich einer Schreibmaschine.« Er deutete mit seinem dürren Finger darauf. »Setzen Sie sich und schreiben Sie nach meinem Diktat. Papier ist genügend im Drucker, Sie brauchen sich nicht vor mir zu fürchten – und nervös brauchen Sie auch nicht zu sein.«

Inga setzte sich entspannt vor den Computer und wartete. Gleich darauf begann er außergewöhnlich rasch zu diktieren. Die Tastatur klapperte leise unter ihren flinken Fingern.

»Sie sprechen zu schnell für mich«, sagte sie schließlich gehetzt und sah ihn an.

»Das weiß ich. Kommen Sie wieder hierher.« Er zeigte auf den Stuhl, der dem Schreibtisch gegenüberstand.

»Welches Gehalt beanspruchen Sie, Frau Lange?«

»Dreitausend Euro brutto im Monat«, antwortete Inga schnell und stotterte fast..

»Ich habe bisher nie mehr als zweitausend Euro gezahlt. Ich werde Ihnen zweieinhalb geben.«

Inga erhob sich und griff nach ihrer Handtasche. »Es tut mir leid«, sagte sie, lächelte und ging in Richtung Tür.

»Also gut, dreitausend Euro brutto. Welche Fremdsprachen beherrschen Sie?«

»Ich spreche und schreibe fließend Englisch und Französisch, und logischerweise fehlerfrei Deutsch.«

Er schob die Unterlippe vor, was sein Gesicht noch abstoßender machte. »Dreitausend Euro im Monat sind eine Menge Geld.« Er wollte noch etwas sagen, aber Inga unterbrach ihn in seinem Eifer, »Englisch und Französisch sind eine Menge Sprachen«, entgegnete sie und sah ihn lächelnd an.

»Wollen Sie sonst noch etwas wissen?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Nichts über Ihre Pflichten und über die Arbeitszeit?«

»Nein. Ich nehme es als selbstverständlich an, dass ich nicht hier im Haus wohne.«

»Sie wollen also nicht einmal wissen, wie lange Sie zu arbeiten haben? Sie enttäuschen mich nicht. Hätten Sie nämlich danach gefragt, so hätte ich Sie sofort zum Teufel gejagt. Also, Sie sind engagiert. Hier ist Ihr Arbeitszimmer.« Edgar Degenhardt erhob sich, ging zu einer Nische des großen Raumes und öffnete eine zurückliegende Tür, die in ein kleines Büro führte. Es war vorzüglich ausgestattet. Ein großer Schreibtisch stand darin, ein Computer mit Drucker und in einer Ecke ein großer Safe.

»Morgen früh um zehn treten Sie Ihre Stellung bei mir an. Vor allem haben Sie die Aufgabe, niemanden, wer es auch sein möge, telefonisch mit mir zu verbinden. Sie müssen die Leute selbst abfertigen. Ich will nicht durch unnötige Fragen gestört werden. Ferner haben Sie meine Briefe zur Post zu befördern. Und dann noch eins, Sie dürfen meinem Neffen nichts von meinen Geschäften erzählen.« Mit einer Handbewegung zur Tür entließ er sie.

Sie folgte der Aufforderung und hatte die Türklinke schon halb heruntergedrückt, als er sie zurückrief:

»Frau Lange, haben Sie einen Freund, einen Verlobten oder so etwas Ähnliches?«

Sie schüttelte verneinend den Kopf und wurde ein bisschen rot. »Halten Sie das für notwendig?«, war ihre Frage.

»Nein – im Gegenteil«, erwiderte er nachdrücklich.

Am nächsten Morgen war sie pünktlich kurz vor zehn Uhr in ihrem Arbeitszimmer.

Auf dem Flur traf sie Eliot Danner, den Neffen ihres Chefs, vor dem dieser sie gewarnt hatte. Er machte einen ruhigen, sympathischen Eindruck und hatte angenehme Umgangsformen. Sein Gesicht war glattrasiert, er lächelte gern und trug eine goldumrandete Brille. Inga schätzte ihn auf fünfunddreißig Jahre. Kurz nach ihrer Ankunft trat er in ihr Privatbüro und strahlte sie freundlich an. »Ich möchte mich Ihnen vorstellen, Frau Lange. Ich bin Eliot Danner, Herrn Degenhardts Neffe.«

Sie war etwas verwundert über den amerikanischen Akzent, mit dem er sprach. Er schien ihr Erstaunen als selbstverständlich vorauszusetzen, »Ja, ich bin Amerikaner. Meine Mutter war Edgar Degenhardts Schwester. Ich vermute, dass er Ihnen verboten hat, mit mir über seine Geschäfte zu sprechen. Das tut er gewöhnlich. Aber da es hier nichts gibt, was nicht alle Leute wüssten, brauchen Sie diese Bemerkung nicht sehr ernst zu nehmen. Ich glaube nicht, dass Sie mich brauchen. Aber falls es doch einmal nötig werden sollte, Ich bewohne das kleine Appartement im oberen Geschoß, und es gehört zu Ihren Pflichten, an jedem Sonnabendmorgen für meinen Onkel die Miete bei mir einzukassieren. Ich wohne sehr nett, aber ich muss feststellen, dass Herr Degenhardt durchaus kein Menschenfreund ist. Auf der anderen Seite hat er allerdings auch viele angenehme Charakterzüge.«

Auch Inga konnte das in den nächsten Monaten feststellen. Seinen Neffen erwähnte Degenhardt äußerst selten, und nur einmal hatte sie die beiden zusammen gesehen. Sie wunderte sich, warum Danner überhaupt im Hause seines Onkels wohnte. Allem Anschein nach hatte er ein eigenes großes Privateinkommen und hätte sich eine Reihe von Zimmern in einem guten Bremer Hotel leisten können.

Degenhardt drückte auch selbst einmal seine Verwunderung darüber aus, aber er war sparsam, um nicht zu sagen geizig, und deshalb kündigte er dem Neffen nicht, obwohl er keinerlei Zuneigung für ihn zu fühlen schien. Er war argwöhnisch Eliot Danner gegenüber, der offenbar jedes Jahr zweimal England besuchte und dann bei ihm wohnte.

»Er ist der einzige Verwandte, den ich habe«, brummte der Alte eines Tages. »Wenn er ein bisschen Verstand hätte, würde er sich von mir fernhalten.«

»Er scheint doch einen sehr verträglichen Charakter zu haben?«, entgegnete Inga.

»Wie können Sie das sagen, wenn er mich die ganze Zeit ärgert?«, fuhr er sie an und stellte sich breitbeinig in den Raum.

Edgar Degenhardt hatte seine Sekretärin vom ersten Augenblick an gerne um sich. Eliot Danner verhielt sich ihr gegenüber objektiv. Er blieb stets gleichmäßig freundlich und zuvorkommend. Trotzdem hatte sie den Eindruck, dass ihr eine Seite seines Wesens vollkommen verhüllt blieb. Der alte Degenhardt bezeichnete ihn einmal als einen leichtsinnigen Spieler und Spekulanten, ließ sich aber nicht näher darüber aus. Es war merkwürdig, dass er das sagte, denn er selbst hatte sein großes Vermögen durch Spekulationen erworben, die alle mehr oder weniger gewagt, ja leichtsinnig gewesen waren.

Der ganze Haushalt hatte etwas Ungewöhnliches, und Inga war dankbar, dass sie behaglich in einer eigenen Wohnung leben konnte. Degenhardt hatte unerwartet ihr an und für sich schon hohes Gehalt nach einer Woche verdoppelt.

Sie machte einige seltsame Erfahrungen. Degenhardt war etwas unachtsam und verlegte oder verlor häufig Gegenstände. Manchmal waren es kostbare Bücher, manchmal Wertpapiere oder Verträge. In solchen Fällen benachrichtigte er sofort die Polizei. Und stets fanden sich die Gegenstände wieder, bevor die Beamten erschienen.