Das ausgestellte Kind - Peter Härtling - E-Book

Das ausgestellte Kind E-Book

Peter Härtling

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Beschreibung

Ein Mozart, der kein Mozart-Jahr braucht Peter Härtling, gefeierter Autor erfolgreicher Künstlerromane wie Schubert, Hölderlin und Schumanns Schatten, begibt sich in dieser Novelle auf die Spuren des jungen Mozart. Mit großem Einfühlungsvermögen und zarter Sprache zeigt er einen doppelt Getriebenen: von den ehrgeizigen Plänen des Vaters und von der eigenen schöpferischen Kraft. Als der Leser ihm begegnet, ist Mozart gerade sechs Jahre alt und hat erste Proben seines außerordentlichen Talents gezeigt. Unter der Führung seines Vaters, der ihn auch unterrichtet, und begleitet von seiner älteren Schwester, einer Virtuosin auf der Geige und dem Klavier, bereist er von Salzburg aus Europa. Während der Vater emsig immer neue Engagements eingeht und die Familie in die Fremde führt, flieht Mozart in seine eigene Welt – die der Phantasie und der Töne. Und er begegnet immer neuen Menschen, Fürsten, Königen und sogar der Kaiserin, die ihn bestaunen und feiern, ihm aber seine Einsamkeit nicht nehmen können. Das gelingt nur dem Nannerl, seiner Schwester – und Quintus, einer Ausgeburt seiner Phantasie, die ihn am Klavier begleitet und für jeden Schabernack zu haben ist.Mozarts Welt droht vollends aus den Fugen zu geraten, als seine Schwester schwer erkrankt und auch er von den Blattern heimgesucht wird.Wie es sich anfühlt, anders und besonders zu sein, das fasst Härtling in ergreifende Worte und Bilder. Und ganz beiläufig führt er zwei Geschichten zusammen: die des getriebenen Wolfgang Mozart, der in Olmütz erkrankt, und die des Flüchtlingskindes Peter, der in Olmütz eine vorläufige Heimat findet. Ein literarisches Kleinod, das wie die Novelle Bozena auf wunderbare Weise die Gefühlswelt eines einsamen Menschen anschaulich macht.

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Peter Härtling

Das ausgestellte Kind

Mit Familie Mozart unterwegs

Kurzübersicht

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Titelseite

Über Peter Härtling

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

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Über Peter Härtling

Peter Härtling, geboren 1933 in Chemnitz, gestorben 2017 in Rüsselsheim, arbeitete zunächst als Redakteur bei Zeitungen und Zeitschriften. 1967 wurde er Cheflektor des S. Fischer Verlages in Frankfurt am Main und war dort von 1968 bis 1973 Sprecher der Geschäftsführung. Ab 1974 arbeitete er als freier Schriftsteller. Peter Härtling wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hessischen Kulturpreis 2014 und dem Elisabeth-Langgässer-Preis 2015. Das gesamte literarische Werk des Autors ist lieferbar im Verlag Kiepenheuer & Witsch, zuletzt erschien sein Roman »Gedankenspieler« (2018).

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Über dieses Buch

Ein Mozart, der kein Mozart-Jahr braucht Peter Härtling, gefeierter Autor erfolgreicher Künstlerromane wie Schubert, Hölderlin und Schumanns Schatten, begibt sich in dieser Novelle auf die Spuren des jungen Mozart. Mit großem Einfühlungsvermögen und zarter Sprache zeigt er einen doppelt Getriebenen: von den ehrgeizigen Plänen des Vaters und von der eigenen schöpferischen Kraft.

Als der Leser ihm begegnet, ist Mozart gerade sechs Jahre alt und hat erste Proben seines außerordentlichen Talents gezeigt. Unter der Führung seines Vaters, der ihn auch unterrichtet, und begleitet von seiner älteren Schwester, einer Virtuosin auf der Geige und dem Klavier, bereist er von Salzburg aus Europa. Während der Vater emsig immer neue Engagements eingeht und die Familie in die Fremde führt, flieht Mozart in seine eigene Welt – die der Phantasie und der Töne. Und er begegnet immer neuen Menschen, Fürsten, Königen und sogar der Kaiserin, die ihn bestaunen und feiern, ihm aber seine Einsamkeit nicht nehmen können. Das gelingt nur dem Nannerl, seiner Schwester – und Quintus, einer Ausgeburt seiner Phantasie, die ihn am Klavier begleitet und für jeden Schabernack zu haben ist.Mozarts Welt droht vollends aus den Fugen zu geraten, als seine Schwester schwer erkrankt und auch er von den Blattern heimgesucht wird.Wie es sich anfühlt, anders und besonders zu sein, das fasst Härtling in ergreifende Worte und Bilder. Und ganz beiläufig führt er zwei Geschichten zusammen: die des getriebenen Wolfgang Mozart, der in Olmütz erkrankt, und die des Flüchtlingskindes Peter, der in Olmütz eine vorläufige Heimat findet.

Ein literarisches Kleinod, das wie die Novelle Bozena auf wunderbare Weise die Gefühlswelt eines einsamen Menschen anschaulich macht.

Inhaltsverzeichnis

Motto

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

»… das Mägdlein ist mit 11 Jahren, und der Knab mit 7 Jahren solche Virtuosen auf dem Clavier, das sich die Welt darob erstaunen mus: ist auch unsäglich, was ihm dieser Leopold Mozart mit seinem Sohn Wolfgang Mozart und seinem Töchterlein, welche noch künstlicher das Clavier schlägt, als ihr Brüderl, in der Welt vor Geld gewinnet.«

24. April 1766, Diarium Patris Bedae Hübner, Erzabtei St. Peter, Salzburg

1

Der Woferl, wie er in der Familie gerufen wird, ist mit seinen Eltern und mit seiner Schwester Nannerl auf dem Weg nach Wien. Er ist gerade sechs Jahre und acht Monate alt und kann schon seinen Namen schreiben. Fünf schwierige Wörter nacheinander: Johann Chrisostomos Wolfgang Theophilus Mozart. Meistens schreibt er nur Wolfgang Mozart. Er kann Klavier spielen, etwas Geige und Orgel, allerdings ohne Pedale, er kann schon ein wenig komponieren und versteht von der Musik so viel, sagt sein Vater, wie ein gewöhnlicher Salzburger Hofmusikus. Und er kann fluchen, träumen und furzen.

Manchmal schilt ihn die Mutter deswegen: Du benimmst dich daneben, Woferl. Dann tritt er einen Schritt neben sich und lässt einen fahren. Womit er das Nannerl zum Lachen bringt.

Der Vater hat vor, ihn in Wien der großen Kaiserin Maria Theresia vorzustellen. Weil du für die ganze Welt ein Wunder bist, Bub.

Er selbst findet es anstrengend, ein Wunder zu sein.

Wieso soll es ein Wunder sein, dass er gern Klavier spielt und Musik hört. Obwohl er einen wie sich noch nicht kennengelernt hat.

Also fahren sie nach Wien, Mutter und Schwester sind dabei, denn sie möchten am Kaiserhof keineswegs fehlen. Weil die Familie Hilfe braucht, wird sie von Joseph Etlinger, dem Diener, begleitet, den nur Vater und Mutter Pepi nennen dürfen. Weil der, wie er behauptet, Wert auf sich legt. Wolfgang findet ihn manchmal stur und deshalb anstrengend. Sie sind mit der Post bis Passau gefahren, wo drei Flüsse zusammenfließen, und weil es in der Stadt viele Kirchen und Klöster gibt, ist auch ein Bischof da. Von Passau reisen sie mit dem Donauschiff bis Linz, wo es ihm schlecht wird. Nicht, weil das Schiff schaukelt, sondern weil er sich auf Deck vor Vergnügen um die eigene Achse gedreht hat, immer wieder, bis das Nannerl ihn auffängt. Am Schluss muss er in eine Ecke kotzen. Der Pepi erklärt, er müsse sich für ihn schämen. Das Nannerl erregt sich derart über diesen Satz, dass sie dem Pepi sagt: Dann müssen Sie es aber so tun, dass es alle merken. Das findet Wolfgang gut.

In Linz bezogen sie Zimmer im »Gasthof zur Dreifaltigkeit«. Der Vater kannte den Wirt, Herrn Kiener, aber der war inzwischen gestorben, und dessen Töchtern, die die Familie empfingen, erklärte er, wahrscheinlich zum Trost, dass er sie schon gekannt habe, als sie noch sehr klein waren. Die beiden Damen waren mittlerweile gewachsen und furchterregend dick geworden.

Hier in Linz trat zum ersten Mal Quintus auf, der ihn danach auf allen seinen Reisen begleiten sollte. Wolfgang saß am Fenster, blätterte in einem Bündel Noten, das ihm der Vater zum Studium gegeben hatte. Er hätte die Stücke am Klavier unten im Saal ausprobieren können. Dazu hatte er keine Lust. Das Nannerl war mit der Mutter in die Stadt gegangen.

Er war allein.

Er sang die Noten nach.

Er stellte sich vor, wie das Klavier klingen könnte.

Er stellte sich außerdem vor, was er komponieren könnte.

Nicht immer wieder diese Quinten. Mach es dir doch nicht so einfach! Er hörte den Vater aus dem Nachbarzimmer rufen, als hätte der in seinen Gedanken gelesen. Es gibt auch Quarten auf der Welt, Sexten, Oktaven.

Jaja.

Er schneidet eine Grimasse und sähe sich gern im Spiegel. Er kann wie der Vater aussehen, vor allem wie Vater, wenn er sich über ihn ärgert.

Nix. Lass es! sagt eine Stimme in ihm, aus ihm, und mit einem Mal sieht er ihn. Er sieht ein krummes, grässliches Wesen, das bewegt sich mühsam auf den Noten einer Quinte, stolpert, stürzt zwischen die Linien, kreischt.

Quintus, hört sich Wolfgang verwundert sagen.

Quintus, Quantus, Quartus. Während er mit dem Namen spielt, klopft er einen Dreivierteltakt auf den Tisch und macht damit den Vater aufmerksam. Was hast du mit der Quinte, Woferl?

Nix, nix, gibt er zur Antwort, legt schützend seine Hand über den Quintus, damit der Vater den winzigen Geist nicht sieht. Er spürt, wie der ihn kitzelt, als hätte er eine Mücke in der hohlen Hand.

2

Wien beginnt mit W. Warten auch. In Wien lernte Wolfgang warten. Er vertrieb sich die Zeit mit Noten schreiben, Klavier üben, Geige spielen, ärgerte das Nannerl und redete gescheit daher. Er erzählte von dem krummbeinigen Offizier, dem schwalbenschwänzigen Ungarn, den er auf dem Donauschiff kennengelernt, den der Vater aber nie gesehen hatte, stotterte manchmal sehr kunstvoll, vor allem, wenn es zu einem Di kam, das er in zahlreiche kurze und längere Di-Laute aufteilte: Die-die-didi, oder zum schmetternden Da, Da-da-dada. Sie wohnten zuerst im »Weißen Ochsen«, dort konnte er, wenn es ihm passte, aus dem Zimmer verschwinden und sich auf dem Fleischmarkt umschauen. Als sie jedoch bei Herrn Ditscher ein Zimmer bezogen, in dem sie sich auf die Füße traten, Mutter, der Vater, das Nannerl und er, war es aus mit seiner Bewegungsfreiheit. Fast jeden Tag bekamen sie Besuch, von Offizieren, Grafen, Gräfinnen, die immer, wie der Vater am Schluss wütend feststellte, etwas haben und nichts dafür geben wollten. Das Geld ging ihnen aus. Die Gräfin Sinsendorf, eine stattliche Dame, die ihnen, sobald sie ins Zimmer trat, die Luft raubte, übergab dem Vater im Auftrag des Hofes immerhin einen Vorschuss, und sie waren, nach einem gelungenen Konzert beim Grafen Harrach, sicher, dass sie von der Kaiserin eingeladen würden, nach Schönbrunn.

Während des Konzerts war es Wolfgang gelungen, die Zauberkraft von Quintus zu nützen. Der überraschte ihn, winzig und beweglich, als er die Hände auf die Tasten legte, gespreizt zu einer Quinte.

Oi! staunte Woferl.

Worauf der Vater beunruhigt fragte: Passt dir etwa das Instrument nicht?

Und die Gräfin Harrach wollte wissen, ob es ihm nicht gutgehe. Darauf lachte Quintus hundsgemein. Wolfgang auch.

Womit er den Vater bewog, ihn sanft zu tadeln: Aber, aber, Woferl. Was ist mit dir? Fang schon an.

Er spielte, so gut er nur konnte, einen türkischen Marsch, und Quintus hüpfte den Quinten voraus und verleitete ihn zu einem kühnen Versuch, allerdings noch nicht bei einer fremden, sondern einer ihm vertrauten Person. Er befahl dem Quintengeist, der Nannerl unters Kleid zu fahren, auf den Rücken, wo sie sich selber nicht kitzeln konnte. Dort sollte er sie jucken auf Teufel komm raus. Quintus verschwand. Wolfgang spielte. Das Publikum lauschte, bewunderte den Knaben. Der aber beobachtete den Erfolg, den er mit seinem Quintus bei der Schwester hatte. Das Nannerl wand sich in dem allzu hohen Sessel, rieb den Rücken an der Lehne, versetzte mit seiner Unruhe die ganze Reihe mit Grafen und Hoheiten und Obristenfrauen in zuckende Bewegung.

Also du mit deiner türkischen Musik, stellte der Vater hernach fest, kannst die Leute geradezu in Schwung versetzen. Sie sind, hast du’s bemerkt, beinahe mitgehüpft.

Und mich hat’s am Buckel viehisch gejuckt, klagte das Nannerl.

 

Ihre Majestät, die Kaiserin Maria Theresia, hatte ihren Obersthofmeister, einen dürren Riesen mit einer piepsenden Vögelchenstimme, geschickt, um ihnen die erwartete Einladung zu überbringen.

Zufrieden stellte Vater Leopold fest: Ihre Majestät ist an dir und an deiner Kunst interessiert, Woferl. Und du, du musst zeigen, was du gelernt hast, was du kannst.

Worauf sich der Bub vor dem Vater verbeugte wie nach einem erfolgreichen Auftritt: Gewiss, Herr Papa, daran soll es nicht fehlen.

Der Vater musterte ihn verblüfft: Ich möchte bloß wissen, wie es kommt, dass du dich so ausdrückst.

Wolfgang verblüffte ihn ein weiteres Mal mit seiner Antwort: Das kommt von der Musik.

Soll einer dich verstehen, sagte das Nannerl, das ihnen zugehört hatte.

Ehe sie sich nach Schönbrunn, in das prächtige Schloss begaben, stritten die Eltern.

Wie sollen wir nach Schönbrunn gelangen? fragte Mutter.

Vater äffte ihre Angst nach: Ja, wie sollen wir nach Schönbrunn gelangen?

Ja wie? fragte auch Wolfgang.

Mit der Kutsche! Der Vater wurde ein wenig lauter.

Damit er auf sie höre, fragte die Mutter noch lauter: Mit welcher?

Mit welcher? wiederholte der Vater fortissimo. Mit der kaiserlichen, der Hofkutsche. Nicht mit irgendeiner bestellten.

Ich geh, sagte Wolfgang und witschte aus dem engen Zimmer, in dem die Gerüche von vier Personen sich mischten, der Schweiß, die Damendüfte, der Puder. Er sprang die Stiegen hinunter, die letzten zwei auf einmal, und ließ die Haustür hinter sich zufallen. Geduckt eilten Leute unterm Regen weg, fuchtelten mit Schirmen, schimpften.

Ein paar Gassenbuben umkreisten ihn und streckten ihm die Zunge heraus. Du feines Bürschel, woher kommst du?

Er gab ihnen keine Antwort. Wenn die wüssten, dass er von der Kaiserin eingeladen ist, würden sie vor Staunen auf den Hintern fallen.

Komm! rief die Mutter: Woferl, komm!

Er erwiderte singend. I komm scho. I komm scho. Dann lief er zum Klavier und spielte die Tonfolge, die er gesungen hatte. Vielleicht kann er so ein Stück beginnen.