Das Blut der Rose - Sophie Heinig - E-Book
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Sophie Heinig

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Beschreibung

"Das war ihr Zimmer, Schwester", riss die Magd Elisabeth aus ihren Gedanken. "Hier geht es zu ihrem Salon. Dort fand man sie, als…" Die Magd brach ab. Elisabeth hielt inne, die Hand bereits am Türknauf. "Mochtest du sie?", fragte sie leise. "Rose? Jeder mochte sie. Sie war so jung und süß, so unbeschwert und leicht; eine Blume, die mitten in der Blüte gebrochen wurde", antwortete die Magd und drehte sich um. Im Gehen vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und Elisabeth hörte ihr Schluchzen. Kloster Altenhohenau, Anno Domini 1604: Das Leben von Schwester Elisabeth könnte so ruhig verlaufen. Wären da nicht die Äbtissin, die sie als neue Verwalterin des Klosters vorgesehen hat, oder ihre alte Freundin Agatha, die unter Tränen und mit gebrochenem Herzen von Wolgast nach Altenhohenau geflohen ist. Als eines Tages auch noch ein Bote des Grafen von Eiselfing vor den Toren des Klosters steht, ist es mit der Beschaulichkeit und dem frommen Leben voller Andachten und Gebete für Elisabeth vorbei. Denn Rose von Eiselfing, die Grafentochter, wurde enthauptet. Und ausgerechnet Elisabeth soll ihren Mörder finden. Anfangs noch widerwillig beginnt sie gemeinsam mit Agatha zu ermitteln – und muss sich bald fragen, ob Wahrheit und Gerechtigkeit immer den richtigen Weg darstellen.

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Sophie Heinig

Das Blut der Rose

Für Sophia - weil Kommentare à la "Das ist total unlogisch" und "Dieser Satz klingt dumm" nicht die beste, aber immerhin eine wirksame Motivation sind.BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Wichtige handelnde Personen

Im Kloster Altenhohenau:

Schwester Elisabeth

Schwester Barbara, ihre beste Freundin

Mutter Johanna, die Äbtissin des Klosters

Agatha Magdalena von Wiek, eine Fürstin

 

Auf der Festung Eiselfing:

Linhard von Eiselfing, ein Graf

Albrecht Sebald, ein Medicus

Benedikt von Österreich, Sohn des Kaisers Rudolf II.

Krista, eine junge Magd

 

Sonstige Personen:

Zita, eine Waise

Prolog

 

Kühle empfing sie, als sie den Raum betrat, sodass sie am ganzen Körper zitterte. Dabei war es eine laue Sommernacht. Sie blinzelte, doch in der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen.

„Ihr habt mich gerufen?“, sagte sie leise.

Sorgfältig schloss sie die Tür hinter sich und spürte dabei, wie sie ein Luftzug streifte, der ihr einen Schauder über den Rücken jagte. Es roch modrig, aber daran hatte sie sich längst gewöhnt. In den Fluren und Gemächern roch es immer so: nach altem Holz, mottenzerfressenen Vorhängen - und dem seltsamen Hauch des Todes, der ihr an schlechten Tagen allgegenwärtig schien.

„Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich“, flüsterte eine merkwürdig raue Stimme und riss sie aus ihren Gedanken.

„Ja.“

Sie versuchte, das Gesicht der Gestalt vor ihr zu erahnen, doch es war zu dunkel. Die schmale Sichel des abnehmenden Mondes spendete nur einen dünnen Streifen Licht, der durch das Fenster fiel.

Ihr Gegenüber schwieg noch immer.

„Was passiert hier?“, flüsterte sie verwirrt.

Ein Geräusch hinter ihr ließ sie herumfahren, ein Husten vielleicht, ein lauter Atemzug – sie wusste es nicht. Plötzlich bemerkte sie eine weitere Silhouette, den Schatten einer menschlichen Gestalt vor der geschlossenen Tür. Obwohl das Mondlicht direkt an die Wand schien, konnte man nichts erkennen, Sie wich zurück, bis sie gegen die Person hinter ihr stieß, die eigenartig steif dastand.

„Was passiert hier?“, wiederholte sie angsterfüllt, als sie sah, wie der Schatten vor ihr die Hand hob.

Ein Schlag traf ihren Kopf und sie fiel in sich zusammen. Vor ihren Augen wurde es noch dunkler, den dröhnenden Schmerz fühlte sie kaum noch. 

Sie spürte, dass sich jemand über sie beugte, während vor ihren flatternden Lidern grelle Lichter zu tanzen begannen. Der warme Atem kitzelte ihre Wangen.

Von weither, wie ein fernes Echo, drang eine Stimme zu ihr. War sie weiblich oder männlich? Sie wusste es nicht.

„Es tut mir so leid, Kleine… Ich kenne ja nicht einmal deinen Namen.“

Sie wollte etwas sagen, wollte rufen, schreien, doch ihre Kehle war staubtrocken. Ein metallischer Geruch erfüllte die Luft.

Sie blinzelte mehrfach, um die flimmernden Lichter zu vertreiben und die verschwommenen Umrisse vor ihren Augen klar zu erkennen, doch es half nichts.

Was geschah hier? Sie schaffte es nicht, ihre Gedanken zu ordnen.

Und doch spürte sie keine Panik, nur Überraschung und Erstaunen. Und eine leise Stimme in ihrem Kopf, die ihr zuhauchte, sich gegen die Kraft zu wehren, die sie unaufhaltsam ins Nichts zog. Doch sie war zu schwach.

Sie verengte die Lider mehrfach merkwürdig benommen, bis sie ihr schließlich zufielen. Ihr Schädel fiel schwer wie Blei nach hinten, schlug vielleicht auf dem Boden auf - sie fühlte es nicht mehr. Um sie herum gab es nur noch die kalte Leere, der sie sich noch immer zu entziehen versuchte. Aber sie wusste, dass der Kampf bereits verloren war. 

Das Letzte, woran sie dachte, war die wunderliche Tatsache, dass der Schlag von hinten gekommen war. Aber womöglich hatte sie es sich nur eingebildet. Es war ohnehin nicht mehr wichtig.

Dann fiel sie, fiel tiefer und tiefer in das bodenlose, schwarze Loch unter sich.

Kapitel 1

 

Kloster zu Altenhohenau, im Spätsommer Anno Domini 1604

 

Die Glocken der Klosterkirche begannen zu läuten und Elisabeth öffnete die Tür ihrer Zelle.

Sie trat heraus und hielt einen Moment inne, sog die köstliche, frische Luft in ihre Lungen. In diesen Tagen duftete es überall nach Sommer. Die Grillen zirpten, die Blumen blühten und die Felder färbten sich gelb. Das war der Inbegriff des Himmels auf Erden!

Elisabeth strich sich kurz über die helle Ordenstracht, rückte ihr Skapulier, ihr weißes Schulterkleid, zurecht und stieg dann langsam die Treppe hinab, die vom oberen Kreuzgang in den Klosterhof führte.

Von überall strömten die Ordensschwestern in die Kapelle.

„Guten Morgen, Schwester Devota“, begrüßte Elisabeth die Leiterin des Gästehauses, die sich zu ihr gesellte. „Wo ist Schwester Barbara?“

„Sie kommt gleich“, erwiderte die ältere Nonne.

Elisabeth blinzelte lächelnd gegen die Sonne und blickte sich um. Schwester Barbara kam auf sie zugeeilt. Wie immer lugten ihre kurzen blonden Haare unter dem schwarzen Schleier hervor.

Sehnsüchtig dachte Elisabeth an die Zeit zurück, als sie beide noch Novizinnen gewesen waren. Als sie an freien Tagen gemeinsam lachend und träumend auf den Wiesen gelegen und die Sonne genossen hatten. Nach Elisabeths eher bewegten ersten Wochen in Altenhohenau, in denen sie beinah ums Leben gekommen war und zudem einen Mord aufgeklärt hatte, war ihr Alltag gewöhnlich entspannt geworden.

Gebete, Andachten und ihre Arbeit in der Bibliothek bestimmten von nun ihre Zeit und selbst wenn sie sich anfangs fast ein wenig gelangweilt hatte, war sie bald vollkommen auf ihr neues Leben an Gottes Seite fixiert gewesen.

Anderthalb Jahre war es inzwischen her, dass sie gemeinsam mit Barbara zur Nonne geweiht worden war. Der Tag ihrer Profess, der traditionellen Weihe, war der glücklichste ihres Lebens gewesen, obwohl sie ihrem langen, blonden Haar, das während des Gelübdes abgeschnitten wurde und ihr jetzt kaum bis über die Ohren reichte, ein wenig hinterhertrauerte. Dabei spielte das Aussehen im Kloster keine Rolle mehr. Wichtig war nur ihr Bekenntnis zu Gott, das sie mit ganzem Herzen ausgesprochen und nie bereut hatte.

Noch Wochen danach schwebte sie wie auf Wolken.

Und jetzt das… Längst war sie wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet.

„Elisabeth?“

Sie schreckte auf. Barbara lächelte sie an.

„Kommst du?“

Elisabeth nickte abwesend.

„Was ist los?“, wollte ihre Freundin wissen. „Hat es etwas mit dem Gespräch zu tun, das du gestern mit der Ehrwürdigen Mutter geführt hast?“

„Nein… alles in Ordnung“, erwiderte Elisabeth schnell. „Es war nicht wichtig.“

„Du weißt, dass du nicht lügen sollst“, wies Barbara sie gespielt streng zurecht.

Der Duft von Weihrauch empfing sie, als sie die Kapelle betraten.

„Hast du immer noch keine Nachricht von deinem Vater erhalten?“, fragte Barbara leise und setzte sich in die hinterste Reihe.

Elisabeth schüttelte nachdenklich den Kopf.

Ihr Vater war Herzog Johann Kasimir von Sachsen-Coburg. Er hatte sie immer geliebt, wenngleich sie ein uneheliches Kind war. Deshalb hatte er auch nur das Beste für sie gewollt. Nur leider waren er und Elisabeth sich nicht einig gewesen, was das Beste für sie war: Während Johann Kasimir sie mit Philipp Julius von Pommern verheiraten wollte, war sie ins Kloster Altenhohenau geflohen.

Erst vor wenigen Wochen hatte sie sich getraut, ihn in einem Brief endlich über das aufzuklären, was er schon längst wissen musste. Seitdem hoffte Elisabeth Tag für Tag auf eine Antwort – vergeblich.

Die Frage, warum er ihr seinerseits nicht längst geschrieben hatte, quälte sie oft und ließ sie nachts kaum ein Auge zumachen. Hasste er sie für die geplatzte Heirat und die Täuschung so sehr?

Denn statt ihrer war ihre Schwester Karolina zu Philipp nach Wolgast in Pommern gegangen, gemeinsam mit Elisabeths ehemaliger Zofe und Freundin Agatha. Der Herzog jedoch hatte sich geweigert, Karolina zu heiraten, und so war sie inzwischen mit dem Baron Immanuel von Gützkow getraut.

Und Agatha… ach, Agatha. Zu lange hatte Elisabeth nichts mehr von ihrer Freundin oder Philipp gehört. Die letzte Nachricht stammte aus Leipzig, wo der baldige Herzog von Pommern zum Rektor der Universität ernannt worden war. Das war inzwischen schon wieder zwei Jahre her.

Agatha hatte Philipp auf seiner Bildungsreise durch Europa begleitet, nachdem sie sich vor drei Jahren das letzte Mal in Altenhohenau getroffen hatten. Allein bei dem Gedanken daran wurde Elisabeths Herz schwer.

„Ich weiß nicht, ob mein Vater mir das jemals verzeihen wird“, sagte sie leise. „Es hat ihn Jahre gekostet, die Obrigkeit zu überzeugen, dass ich als Tochter - noch dazu unehelich – sein Erbe antreten darf. Und nun… Wenn er mit seiner neuen Frau Margarethe keine Kinder bekommt, dann fällt das Erbe an meinen Oheim, seinen Bruder. Und das wäre undenkbar für ihn.“

„Aber wieso würde das Erbe an diesen Bruder gehen?“, wollte Barbara wissen.

„Ich als Nonne darf nichts Weltliches besitzen und Karolina… Soweit ich gehört habe, hat mein Vater meine Schwester enterbt und aus der Familie gestoßen.“

„Warum das?“

„Er meint, sie sei eine Schande für die Wettiner“, antwortete Elisabeth kopfschüttelnd. „Vollkommen unter ihrem Stand verheiratet, hat den Vater betrogen… Ich nehme an, Margarethe hat auf ihn eingeredet: Lieber hat er keinen Erben, als dass sein gesamtes Hab und Gut, und vor allem das Herzogtum, an einen bedeutungslosen Baron fällt.“

Barbara lauschte mit mitleidig zusammengezogenen Brauen.

„Arme Karolina. Irgendwie tut sie mir leid“, meinte sie dann.

„Mir auch, mir auch“, seufzte Elisabeth. „Aber mein Vater hört ja nicht mehr auf mich.“

„Ist sie denn glücklich?“, wollte Barbara wissen.

„Sie hat mir seit Ewigkeiten nicht mehr geschrieben“, erwiderte ihre Freundin und strich sich eine kurze Strähne hinters Ohr, die unter ihrem Schleier hervorlugte. „Baron Immanuel von Gützkow ist bereits verwitwet und nicht mehr jung. Nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, ist er recht gütig, hat aber große Schulden bei seinem Fürsten. Ich hoffe, Karolina geht es gut bei ihm.“

Aus den vorderen Reihen kam ein warnendes Zischen. Barbara zog verlegen lächelnd den Kopf ein. Elisabeth zuckte mit den Schultern und stimmte in den lateinischen Gesang ein, der die Kapelle erfüllte.

 

Die Sonne strahlte ihr ins Gesicht, als Elisabeth gemeinsam mit den anderen Schwestern die Kapelle nach der Morgenandacht verließ.

Das Frühstück wurde im Refektorium eingenommen und bestand traditionell aus mit Honig gesüßtem Getreidebrei.

„Schwester Elisabeth?“

Die junge Nonne schreckte auf.

„Ehrwürdige Mutter“, begrüßte sie die Leiterin des Klosters. Sofort spürte sie ein dumpfes Pochen in der Magengegend, senkte den Kopf und legte den Holzlöffel weg.

„Hast du über unser gestriges Gespräch nachgedacht?“, wollte die Äbtissin fordernd wissen.

„Ehrwürdige Mutter, ich…“ Elisabeth schluckte nervös. „Ich habe Euch gesagt, was ich davon halte.“

„Ich weiß, aber ich bleibe bei meiner Entscheidung“, erwiderte die Leiterin des Klosters fest.

„Bitte, Mutter!“

„Muss ich dich an den Gehorsam erinnern, den du bei deiner Weihe gelobt hast?“, wies die Äbtissin sie zurecht.

„Ich weiß“, flüsterte Elisabeth demütig. „Ich erbitte mir lediglich etwas Bedenkzeit, um Eure Entscheidung vollends zu akzeptieren.“

„Das sei dir gewährt, aber du weißt…“

„Ja, es eilt, ich weiß“, beendete Elisabeth den Satz niedergeschlagen.

Mit starren Blick fixierte sie die halbvolle Schale vor sich, während sich die festen Schritte hinter ihr eilig entfernten.

„Was wollte sie von dir?“, flüsterte Barbara ihr zu, als die Äbtissin gegangen war.

„Nicht so wichtig“, antwortete Elisabeth mit zusammengepressten Lippen und erhob sich. Ihre Hände zitterten leicht. „Mir ist der Appetit vergangen.“

„Aber…“, versuchte es Barbara noch einmal, doch da hatte Elisabeth schon den Saal verlassen.

Betrübt schlich die junge Nonne über den Klosterhof. Die Sonne, die ihr vorhin noch wie aus purem Gold erschienen war, hing nun wie eine matte Scheibe am Himmel. Selbst ihre Wärme und der glückbringende Duft hatten nachgelassen.

„Wieso, Gott?“, murmelte sie verzweifelt. „Ich kann das nicht. Ich will das nicht!“

„Schwester Elisabeth?“

Sie blickte hoch. Schwester Juliana, die Pförtnerin, betrachtete sie besorgt.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte sie wissen.

„Ja, ja… alles… in O-Ordnung“, flüsterte Elisabeth und kämpfte mit den Tränen.

„Junge Nonnen hegen oft Zweifel an Gott oder ihrem Leben“, sagte die Pförtnerin so verständnisvoll, dass Elisabeth sich fragte, wie viel sie wusste. „Du kannst dich jederzeit vertrauensvoll an eine der älteren Schwestern wenden. Sie werden dir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und auch ein langes Gebet kann so manche Probleme lösen.“

„Ich danke dir“, murmelte Elisabeth. „Aber du suchst sicher nicht deshalb nach mir. Was ist los?“

„Du hast Besuch“, eröffnete Schwester Juliana ihr.

Elisabeth sah sie überrascht an, vergaß für einen Moment sogar ihren Kummer und folgte ihr zum Tor des Klosters.

„Das…“, begann sie, doch ihre Stimme versagte.

Das konnte nicht sein!

Am Tor stand eine attraktive, junge Frau mit tiefschwarzen Haaren und strahlenden, moosgrünen Augen. Das langen, ebenso grünen Seidenkleid, das mit goldenen Fäden und weißer Spitze veredelt war, wehte im Wind. Die Ärmel waren aufgebauscht und der Spitzenkragen lag flach an. Die hübsche Frau war einer Adligen gleich und doch erkannte Elisabeth die Züge, die sie vor drei Jahren in der groben Kluft einer Magd zum ersten Mal erblickt hatte.

Das konnte doch nicht möglich sein!

Die junge Frau schaute müde lächelnd zu ihr auf.

„Schön, dich wiederzusehen, Elisabeth“, flüsterte sie mit aufleuchtenden Augen.

Die Nonne schüttelte den Kopf, fassungslos vor Glück.

„Agatha“, stieß sie leise aus und schloss die Freundin in ihre Arme.

 

„Agatha“, wiederholte Elisabeth. „Das ist doch... Was machst du hier? Wieso… wieso bist du nicht in Wolgast?“

Agatha löste sich aus dem Griff der Älteren und trat einen Schritt zurück.

„Kann ich mit dir reden, Elisabeth?“, fragte sie leise.

„Natürlich, deshalb bist du doch hoffentlich da“, erwiderte die Nonne lächelnd, doch als sie den ernsten Ausdruck in den Augen der Besucherin sah, nickte sie nüchtern. „Lass uns in meine Zelle gehen. Ich werde schon eine Ausrede finden, warum ich später in die Bibliothek komme.“

Zögernd folgte Agatha ihr über den Klosterhof. Die Sonne ließ ihre Haare glänzen.

Schweigend betrachtete Elisabeth ihre Freundin von der Seite. Das kostbare Kleid musste sie von Philipp haben. Ihre ehemals eng anliegende Frisur war zerzaust, ihr Gesicht fast ungepudert, als wäre sie mehrere Tage lang unterwegs gewesen, ohne sich um ihr Äußeres zu kümmern.

Agatha war älter geworden, viel älter als die drei Jahre, die seit ihrem letzten Treffen vergangen waren. Ihr Gesichtsausdruck und die harten Fältchen um ihre Augen zeugten von Niedergeschlagenheit, Erschöpfung und Trauer.

Was war bloß geschehen?

„Setz dich“, forderte Elisabeth die Jüngere auf, als sie in die Zelle eintraten. „Und dann erzähl.“

„Vor etwa einem Jahr sind wir nach Wolgast zurückgekehrt“, begann Agatha heiser und blickte aus dem Fenster. „Kurz darauf hat Philipp sein Amt als Herzog angetreten.“

„Davon habe ich gehört“, warf Elisabeth ein. „Aber was ist daran schlimm?“

„Daran ist nichts schlimm“, erwiderte Agatha und schüttelte den Kopf. „Eine seiner ersten Amtshandlungen war, dass… Er hat mich in den Adelsstand erhoben. Ich heiße jetzt offiziell Fürstin Agatha Magdalena von Wiek. Philipp hat irgendwelche Urkunden erstellt, die mich als Nachfahrin einer ehemaligen, ausgestorben geglaubten Adelsfamilie auszeichnen. Dann hat er mir mein ‚Erbe‘ ausgezahlt - Geld aus seiner eigenen Kasse. Und alles nur, damit ich eine ‚Adlige‘ bin. Wiek ist eine Stadt auf Rugia, der größten Insel, die zu Pommern gehört. In ihrem Umland muss es eine alte Burgruine geben, von der nur noch die Mauern stehen. Plünderer haben sie vor vielen Jahren geschleift. Philipp meinte, niemand käme auf die Idee, daran zu zweifeln, dass ich eine entfernte Nachfahrin des letzten Fürsten von Wiek bin und deshalb Anspruch auf das ‚Erbe‘ habe, das Philipp ‚verwaltet‘ hat. Mein Herrschaftsgebiet erstreckt sich jetzt über ganz Rugia.“

„Aber das ist doch fantastisch!“

„Ist es nicht“, widersprach Agatha lebhaft. „Ich bin keine Adlige, ich weiß nicht einmal, wie man sich als solche verhält. Meine Mutter war eine abtrünnige Nonne und ich habe mein Leben lang als Dienstmagd gearbeitet. Philipp kann mir doch nicht dieses Geld schenken! Außerdem ist es Urkundenfälschung, mich in den Adelsstand zu erheben. Selbst als Herzog darf man sich nicht alles erlauben.“

„Ist das der Grund, weshalb du hier bist?“, unterbrach Elisabeth sie.

„Nein“, flüsterte Agatha verzweifelt. „Weißt du, Elisabeth, ich liebe Philipp.“

Ihre Freundin biss sich auf die Lippe. Kurz nachdem sie sich vor drei Jahren das letzte Mal gesehen hatten, war ihr der Gedanke tatsächlich gekommen, doch sie hatte ihn schnell verworfen.

Sie war sich selbst nicht sicher, warum. Agatha war bloß eine Zofe gewesen, Philipp ein Herzog. Außerdem hätte sie es nie für möglich gehalten, dass eine so scheue Person wie Agatha ausgerechnet den eigenwilligen jungen Mann vergöttern könnte.

„Philipp ist nicht perfekt, aber er ist wissbegierig, verbindlich und charmant. Ich liebe ihn wirklich sehr. Und ich dachte, er würde mich auch lieben“, fuhr Agatha fort und Tränen traten in ihre Augen.

„Agatha…“ Elisabeth strich ihr über die Schulter.

„Ich habe mir nie Hoffnungen gemacht, niemals. Ich war doch bloß eine Magd. Ob ich je seine Geliebte hätte werden wollen? Selbst dafür war ich doch zu arm. Aber du hast ihn nicht erlebt, während wir gereist sind. Er war so… zuvorkommend!“ Sie hielt kurz inne. „Ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich mein Herz verloren habe, um mir keine falschen Hoffnungen zu machen. Aber dann… Er hat mich doch in den Adelsstand erhoben. Ich dachte wirklich…“

Agathas Stimme brach und sie schluchzte auf.

„Ein Herzog, der eine Fürstin heiratet, – das ist nicht standesgemäß. Aber auch nicht unmöglich“, weinte sie. „Oh Elisabeth, ich dachte wirklich, er wolle mich heiraten.“

Verzweifelt sah die junge Nonne ihre Freundin an, die sich die Hände vor das Gesicht schlug. Philipp war tatsächlich charmant und attraktiv; sie konnte verstehen, dass Agatha sich zu ihm hingezogen fühlte, wie sie es selbst einmal getan hatte.

„Und?“, flüsterte sie, doch kam sich taktlos dabei vor.

„Vor einigen Monaten gab es einen Ball, zu dem viele hochrangige Gäste und der gesamte Hofstaat eingeladen waren. Wir haben den ganzen Abend lang kaum getanzt und ununterbrochen geredet. Ich weiß genau, dass die Leute über uns getuschelt haben. Immerhin wohnte ich ja im Schloss zu Wolgast und die Gerüchte, dass wir uns heimlich geküsst hätten, sind nicht aus der Luft gegriffen“, schob Agatha hinterher, ohne zu erröten.

„Aber?“

„Nichts“, schluchzte sie auf. „Er hat mir so oft seine Liebe geschworen. Er hat so oft davon gesprochen, dass er mich nicht verlieren will. Er hat so oft von gemeinsamen Kindern geredet. Was hätte ihn an einer Hochzeit gehindert? Ich habe keinen Vater, den er um meine Hand bitten muss. Ja, ich dachte, er verkündet an diesem Abend, dass er mich heiraten will. Aber nichts.“

„Das ist doch kein Grund, fortzulaufen“, beschwor Elisabeth sie eindringlich und eifrig zugleich. „Vielleicht hätte er dich später gefragt oder wollte in Ruhe mit dir darüber reden. Hast du ihm denn gesagt, was du für ihn empfindest?“

Agatha sah auf und ihr plötzlich eiskalter Blick durchbohrte Elisabeth.

„Philipp hat geheiratet“, flüsterte sie heiser. „Am 25. Juni in Cölln an der Spree. Agnes von Brandenburg, die Tochter des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg.“

 

Eine Pause entstand.

„Ich liebe diesen Mann“, schluchzte Agatha schließlich. „Ich liebe ihn über alles! Er hat mir tausendmal seine Liebe geschworen. Und er heiratet eine andere.“

Elisabeth fasste sich nachdenklich an die Stirn, während sie versuchte, das Gehörte zu verarbeiten.

Philipp hatte geheiratet. Soweit sie wusste, war diese Agnes eine gebürtige Prinzessin von Brandenburg und stammte aus der dritten Ehe ihres Vaters.

Elisabeth schüttelte den Kopf.

Als Nonne hatte sie seit Jahren kein Interesse mehr an Philipp; die Tatsache, dass er ein Frau hatte, störte sie kaum. Im Gegenteil, sie hätte sich für ihn und Agatha ehrlich gefreut, wenn sie gemeinsam Hochzeit gefeiert hätten.

Hatte sie nicht selbst zu ihm gesagt, er werde eines Tages die richtige Frau finden?

Agnes von Brandenburg.

Natürlich war es für einen Herzog in erster Linie wichtig, eine nützliche Verbindung einzugehen. Andererseits hätte Philipp, wenn er Agatha liebte, auch sie heiraten können. Er besaß genügend Geld, sodass er auf eine Mitgift nicht angewiesen gewesen wäre – die sie außerdem hatte.

Was war also der Grund, den weder sie noch ihre Freundin erkennen konnte?

„Ach, Agatha“, murmelte Elisabeth und schlang die Arme um ihre Freundin. „Ach, Agatha…“

Lange Zeit blieben sie so sitzen. Agathas Tränen durchnässten Elisabeths weißes Schulterkleid.

Wann hatte sie sich zuletzt so hilflos gefühlt?

„Ich bin müde“, flüsterte Agatha schließlich, richtete sich ein wenig auf und wischte die Tränen aus ihrem Gesicht.

„Leg dich ruhig hin“, bot Elisabeth ihr an und zeigte auf das Bett.

Behutsam stand sie auf und betrachtete ihre Freundin mitleidig. Sie hatte sich in ihrer Verzweiflung wohl keine Zeit genommen, eine Rast zu machen und auf ihre Gesundheit zu achten.

Wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte, sackte Agatha in sich zusammen und Sekunden später war sie, so wie sie war, eingeschlafen. Liebevoll deckte Elisabeth ihre Freundin zu und strich ihr sanft übers Haar.

„Ach, Agatha“, seufzte sie kaum hörbar. „Was ist bloß aus uns geworden?“

Mit einem letzten Blick auf die Schlafende drehte Elisabeth sich um und verließ auf leisen Sohlen die Zelle in Richtung Bibliothek.

„Elisabeth“, wurde sie von Schwester Hildegard, der fülligen Leiterin des Skriptoriums, begrüßt. „Ich hatte schon Sorge, dass du nicht kommst. Vielleicht bist du krank, dachte ich mir und wollte schon Albrecht Sebald Bescheid sagen. Du erinnerst dich; der Medicus, der vor drei Jahren hier war, als Barbara angegriffen wurde und… Nun, er war eigentlich längst im Begriff, nach Wolgast zu ziehen. Der Herzog von Pommern hatte ihn ja nach der Rückkehr von seiner Bildungsreise gebeten, in sein Schloss zu kommen. Das ist jetzt ein Jahr her und Albrecht Sebald war beinah mit den Vorbereitungen fertig, aber irgendetwas ist dazwischen gekommen, munkelt man. Er ist wohl gerade auf der Festung Eiselfing.“

Elisabeth nickte langsam. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, dass Schwester Hildegard gerne und viel redete. Und doch verursachte es ihr jedes Mal aufs Neue stechende Kopfschmerzen.

„Ich habe überraschend Besuch empfangen“, sagte Elisabeth schnell und wollte schon in den Schatten der hohen Bücherregale verschwinden, als die Leiterin der Bibliothek sie aufhielt.

„Besuch? Von wem?“

„Agatha, sie war bereits vor drei Jahren hier“, antwortete Elisabeth. „Bitte, Schwester Hildegard, ich sollte jetzt wirklich…“

Elisabeth arbeitete als Schreiberin in der Bibliothek, im Lateinischen Skriptorium, und verfasste zur zeit einen Text über Amos, einen sozialkritischen Propheten aus Juda, der im 8. Jahrhundert vor Christi Geburt in Israel gepredigt hatte.

„Gut“, sagte Schwester Hildegard. „Apropos Besuch…“

Elisabeth unterdrückte ein Stöhnen.

„Die Ehrwürdige Mutter will dich sprechen.“

„Wieso das?“, fragte Elisabeth sie.

Sie hatte die Äbtissin doch erst heute Morgen um etwas Bedenkzeit gebeten.

Schwester Hildegard zuckte nur ungewöhnlich wortlos mit den Achseln.

„Warum hast du mir das nicht eher gesagt? Darf ich… zu ihr gehen?“, wollte Elisabeth unsicher wissen.

„Natürlich, natürlich. Ich weiß ja nicht, worum genau es sich handelt, aber sie wirkte aufgebracht. Redete irgendetwas von einem Boten und…“ Erneut hob die Leiterin der Bibliothek die fülligen Schultern.

Abwesend nickte Elisabeth und verließ das Skriptorium wieder.

Was wollte die Äbtissin von ihr? Sie hatte doch versprochen, sie nicht zu drängen, wegen… Elisabeth scheute sich, auch nur daran zu denken.

Aber wenn es mit einem Boten zu tun hatte, musste es um etwas anderes gehen. Es war ungewöhnlich, dass die Äbtissin Männer ohne triftigen Grund ins Kloster ließ, dementsprechend wichtig musste die Nachricht sein, die er überbrachte.

Zögernd klopfte Elisabeth an die filigran geschnitzte Tür, die ins Arbeitszimmer der Äbtissin führte. Wie oft sie hier schon gestanden hatte; hinter dieser Tür hatte die Leiterin des Klosters ihr erlaubt, Nonne zu werden, hatte ihr von ihrer Mutter erzählt. Durch diese Tür war sie gestürmt, um mit der Äbtissin über die Morde zu reden. Vor dieser Tür hatte sie gestern gewartet, als die Leiterin des Klosters mit ihr sprechen wollte.

„Herein“, rief die Stimme der Äbtissin von innen und Elisabeth folgte nervös der Aufforderung.

„Ihr wolltet mich sprechen, Ehrwürdige Mutter?“, begann sie und blickte sich in dem Raum um.

Alles war wie immer: Der hölzerne Schreibtisch, die Bücher in den Regalen, das Fenster, das die Landschaft südlich von Altenhohenau zeigte.

Elisabeth riss ihren Blick davon los.

Auf dem Stuhl vor dem Tisch der Äbtissin saß tatsächlich ein Mann, vierzig, fünfzig Jahre alt, von schlanker Statur und hohem Wuchs. Seine Gesichtszüge waren kantig und sein Haar so kurz geschnitten, dass es an einen Soldaten erinnerte.

„Dann sind Sie Elisabeth von Sachsen-Coburg?“, wollte der Mann wissen und erhob sich respektvoll.

„Schwester Elisabeth“, korrigierte die Nonne und reichte ihm die Hand. „Und Sie sind…?“

„Ein Bote von der Festung Eiselfing“, mischte sich die Äbtissin ein. „Der Graf hat eine Nachricht für dich.“

„Für mich? Graf Linhard von Eiselfing?“, wiederholte Elisabeth ungläubig.

Sie hatte keine hohe Meinung von dem Grafen, der das Stück Land regierte, zu dem Altenhohenau gehörte. Er galt als geldgierig und stand im Verdacht, Untertanen und Familie zu misshandeln. Auch gab es Gerüchte, seine vor zehn Jahren verstorbene Frau habe den Freitod gewählt.

Soweit Elisabeth wusste, hatte er eine einzige Tochter, die ungefähr 16 Jahre alt sein musste. Zudem zog er seit einiger Zeit Benedikt von Österreich, den Sohn von Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, bei sich auf.

„Nun“, unterbrach der Bote ihre Gedanken. „Der Graf bittet Sie, unverzüglich auf seine Festung zu kommen.“

„Weshalb?“, entgegnete Elisabeth forsch.

Es missfiel ihr, irgendwohin beordert zu werden. In solchen Momenten kam die Herzogstochter in ihr durch, obwohl sie bei ihrer Profess Demut und Gehorsam gelobt hatte.

„Es handelt sich um eine Sache… äußerst delikater Natur“, antwortete der Mann zurückhaltend.

„Und damit meinen Sie vermutlich nicht, dass er ein Festmahl veranstaltet“, erwiderte Elisabeth sarkastisch. „Reden Sie klarer. Worum geht es?“

„Ich bin sicher, das wird Ihnen der Graf alles ausführlich erläutern.“

„Und wenn ich es sofort wissen möchte?“

„Schwester Elisabeth!“, wies die Äbtissin sie zurecht. „Ich habe dem Boten deine Hilfe zugesichert.“

„Ohne mich zu fragen?“, wollte Elisabeth aufgebracht wissen.

„Muss ich dich an den Gehorsam erinnern, den du gelobt hast?“

„Das ist bereits das zweite Mal heute, dass Ihr mich daran erinnert“, bemerkte Elisabeth trocken.

„Offenbar ist es nötig.“

Die jüngere Nonne atmete tief ein.

„Ja, ich werde mitkommen“, erklärte sie an die Äbtissin gewandt.

„Ausgezeichnet, ich habe eigens ein Pferd für Sie mitgeführt“, sagte der Bote.

Elisabeth betrachtete ihn lange.

Eine Sache äußerst delikater Natur… Was mochte das sein? Und wieso sollte der Graf ausgerechnet sie deshalb anfordern?

 

Nachdenklich begann Elisabeth, einen kleinen Lederbeutel zu packen. Der Bote hatte nicht erwähnt, wie lange ihre Anwesenheit in Eiselfing erforderlich sein würde, deshalb rechnete sie mit höchstens zwei Tagen.

Agatha schlief noch immer. Mit einem besorgten Lächeln setzte Elisabeth sich neben sie. Im Schlaf wirkte ihr Gesicht entspannt; fast konnte man meinen, sie lächelte.