Die Flucht der Bauerntochter - Sophie Heinig - E-Book

Die Flucht der Bauerntochter E-Book

Sophie Heinig

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Beschreibung

Plochtewitz bei Leipzig, Anno Domini 1448: Die 16-jährige Bauerntochter Barbara, genannt Barbel, flieht vor der geplanten Hochzeit mit einem anderen Bauern. Ihr behilflich ist der Kaufmannssohn Lorentz, der sie in das Haus seines Vaters aufnimmt. Doch der jungen Frau fällt es schwer, sich im Bürgerleben zurechtzufinden. Mit der Zeit beginnt sie sich in Lorentz zu verlieben, der jedoch bereits verlobt ist. Wie soll die Bauerntochter damit umgehen? Was ist mit dem charmanten Theologiestudenten Paulus, der sich in sie verliebt zu haben scheint? Und was hat es mit Lorentz' Mutter auf sich, auf deren Geheimnis Barbara eines Nachts stößt?

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Sophie Heinig

Die Flucht der Bauerntochter

Für Lea, weil... ich weiß nicht - weil Baum?BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Personenverzeichnis

Anno Domini 1448 in Plochtewitz, einem Dorf bei Leipzig

 

In Plochtewitz

Barbara Jakobsen, genannt Barbel – eine Bauerntochter

Endres – ihr Bruder

Albrecht Wendel – der Bauer, dem sie versprochen wurde

Magreth – ihre Freundin

 

In Leipzig

Johannes Voigt – ein einflussreicher Kaufmann

Lorentz Voigt – sein Sohn

Margaretha Voigt – seine Frau

Agnes – die Magd im Hause Voigt

Kurt – der Stallmeister

Hans – ein Stallbursche

Fritz – ein Stallbursche

Katheryn – eine junge Schneiderin

Linhard – ihr Mann

Juliana Hansen – Lorentz' Verlobte

Paulus Schultheiß – ein Theologiestudent an der Universität

Herman – ein Theologiestudent an der Universität

Elß Müller – Tochter eines Tischlermeisters

Johann Euderitzsch – ein Theologieprofessor

Krista Euderitzsch – seine Tochter

Ingrid Vogelsen – eine wohlhabende Dame

Engel von Bergen – eine wohlhabende Dame

Ulrich von Bergen – ihr Cousin aus Halle

Apel – ein Waisenkind

Eucharius von Burgstädt – Krieger im Dienste von Kurfürst Friedrich II., dem Sanftmütigen, von Sachsen

 

Kapitel 1

 

Barbel schloss die Augen. Draußen regnete es.

Niemand sagte etwas.

Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Mit Tränen in den Augen lief sie in den Stall.

Zera wieherte. Die schwarze Stute schien nicht zu verstehen, was heute für ein Tag war. Stattdessen stupste sie Barbel erwartungsvoll an. Doch heute war dieser nicht nach Spaß zumute.

Traurig setzte sie sich in das Stroh.

„Ich will nicht“, flüsterte sie immer wieder. „Ich will nicht.“

Zera blies ihr ihren warmen Atem ins Gesicht. Barbel sah auf.

„Nicht jetzt, meine Kleine“, murmelte sie und strich sich durch das blonde Haar.

Zera rührte sich nicht.

„Ach, meine Liebe“, sagte Barbel leise. „Wieso bloß? Ich will nicht heiraten. Ich möchte das einfach nicht. Und schon gar nicht den Wendel, Albrecht. Vater hatte das immer verstanden.“

Sie schluchzte auf.

„Er ist doch erst zwei Tage tot. Und mein Bruder redet jetzt schon von der Hochzeit“, fuhr sie fort und sah Zera in die liebevollen, dunklen Augen.

Dann sprudelte alles aus ihr heraus.

„Vor zwei Tagen, da ist der Vater gestorben. An Wundbrand, meinte der Medicus aus Slisk. Nachdem er sich auf dem Feld verletzt hat. Es war doch nur ein winziger Schnitt“, weinte Barbel. „Und jetzt, jetzt hat Endres, mein Bruder, den Hof übernommen und will, dass ich bald heirate. Damit er mich nicht auch noch durchfüttern muss. Und dich, dich will er verkaufen!“

Zera stupste sie an.

„Schau nicht so!“, sagte Barbel. „Das geht auch dich etwas an. Die Mutter, die ist ja schon vor Jahren gestorben, erinnerst du dich. Sie hätte mich nie gezwungen zu heiraten. Der Vater auch nicht. Aber Endres meint, es wäre längst Zeit, dass ich unter die Haube komme. Und dann auch noch den Albrecht!“

Die Tür zum Stall klapperte. Barbel sah überrascht auf.

„Barbel, sieh an, dann habe ich mich also doch nicht getäuscht“, wurde sie von der Gestalt freundlich begrüßt.

„Magreth, tritt ein. Was führt dich hierher?“, entgegnete Barbel erfreut.

Als Kinder hatten sie oft zusammen gespielt, doch als Barbels Mutter gestorben war und sie den Haushalt übernahm, war dafür keine Zeit mehr gewesen. Außerdem wohnte Magreth am anderen Ende des Dorfes.

„Ich wurde vom Regen überrascht, als ich im Wald nach Kräutern suchen war. Du weißt doch, meine Mutter ist krank“, antwortete Magreth und setzte sich neben Barbel ins Stroh.

„Da kam ich an eurem Stall vorbei und habe dich reden gehört. Was sagtest du da von Hochzeit?“, wollte sie wissen.

„Ach, du weißt doch, vor zwei Tagen, da ist der Vater gestorben und jetzt möchte mein Bruder, der Endres, dass ich den Wendel, Albrecht heirate und zu ihm ziehe“, meinte Barbel traurig.

„Aber der Albrecht ist doch ein feiner Kerl. Sein Vater hat viele Felder und Vieh. Und so schlecht sieht er jetzt auch nicht aus“, bemerkte Magreth.

„Der Vater?“

„Nein, der Albrecht, du Dummerchen“, lachte sie.

„Ich mag den Albrecht nicht leiden“, widersprach Barbel und streichelte abwesend Zeras Fell. „Der ist so arrogant und denkt immer, er wäre etwas Besseres. Nur weil er ein bisschen reicher ist als wir anderen.“

„Ach komm, Barbel, so schlimm ist er auch nicht; das bildest du dir bloß ein. Und er ist schon seit Jahr und Tag in dich verliebt“, sagte Magreth und legte ihr einen Arm um die Schulter.

„So nimm du ihn doch, deinen Albrecht“, entgegnete Barbel zornig. „Ich möcht' gar nicht heiraten, weder den Albrecht noch einen anderen.“

Magreth lächelte besorgt.

„Du wirst aber keine andere Wahl haben. Jeder muss heiraten. Und du bist alt genug dafür, meinst du nicht?“, fragte sie.

„Ich bin 16 Jahre alt, nicht älter als du“, erwiderte Barbel. „Und? Wen wirst du heiraten?“

„Mein Vater redet mit dem alten Kurt“, hob Magreth verlegen an.

„Du sollst den Sohn vom alten Kurt heiraten, den hässlichen Franzle? Der ist doch mindestens vier Jahr' älter als wir“, lachte Barbel. Die Tränen auf ihren Wangen trockneten langsam.

„Nicht den Franzle, seinen Vetter, den Caspar“, berichtigte Magreth sie.

Barbel lächelte.

„Ein schöner Mann“, meinte sie schließlich.

„Ebenso wie deiner“, sagte Magreth.

„Der Albrecht ist nicht mein Mann und wird es auch nie sein“, rief Barbel wütend.

„Was ist denn so schlimm an ihm? Dich könnte es wahrlich schlechter treffen“, versuchte Magreth sie umzustimmen.

„Ich mag ihn halt nicht“, entgegnete Barbel trotzig.

„Ach, Barbel. Denk eine Nacht darüber nach. Sprich mit dem Albrecht, sag ihm, was dich bedrückt. Er wird’s dir schon nicht krumm nehmen“, empfahl Margeth ihr, dann stand sie auf und trat aus dem Stall hinaus. Barbel folgte ihr. Inzwischen hatte es beinah aufgehört zu regnen.

„Nun denn, viel Glück“, rief Magreth und Barbel winkte ihr hinterher, bevor sie die Tür schloss und durch den Stall in den Wohnteil des Hauses ging.

 

Ihr Bruder Endres ignorierte sie konsequent, als wollte er ihr ein schlechtes Gewissen bereiten, weil sie sich seinen Wünschen widersetzte. Doch Barbel störte das kaum. Konzentriert begann sie die dünne Brühe für das Abendmahl zu bereiten. Draußen begann es wieder zu regnen. Jetzt zuckten auch Blitze durch den dunklen Himmel und Donner grollten.

Ob Magreth wohl rechtzeitig angekommen ist?, fragte sich Barbel besorgt, denn es war doch ein langer Weg.

Ein lautes Pochen riss sie aus ihren Gedanken. Einmal, dann noch einmal. Jemand klopfte laut gegen die Tür.

Barbel starrte in die Suppe. Wer kam zu so später Stunde hier vorbei?

Beim vierten Pochen hatte Endres die Tür aufgerissen. Barbel konnte hören, wie er jemanden höflich begrüßte. Die Stalltür ging geräuschvoll auf, dann wieder zu und schließlich näherten sich Schritte der Kochstelle, wo Barbel stand.

Als sie sich umdrehte, erblickte sie einen fremden, jungen Mann. Er war edel gekleidet, dafür aber tropfnass. Sein kurzes, braunes Haar klebte feucht an seinem Kopf. Für einen Moment war sie wie versteinert.

„Steh nicht so dumm da, wie eine einfältige Küchenmagd, bring unserem Gast etwas zu essen“, fuhr ihr Bruder sie an und wies gleichzeitig mit einer freundlichen Geste dem jungen Mann einen Platz zu.

„Das riecht aber köstlich“, bemerkte dieser. „Was gibt es denn?“

Barbel füllte eine Schüssel mit dem Eintopf und reichte sie ihm.

„Leider nur dünne Brühe, die Ernte war schlecht dieses Jahr, mein Herr“, meinte sie schüchtern, bevor sie auch ihrem Bruder und sich Schalen füllte.

„Das ist doch kein Problem, ich brauche nicht viel“, erwiderte der junge Mann freundlich und lächelte Barbel an. Sie senkte schnell den Blick.

„Nun mach schon“, keifte ihr Bruder. „Gib ihm zu trinken!“

Sie nickte schnell und goss Bier in einen Krug. Das feine Bier, das ihr Vater für Ostern und hohe Gäste zur Seite gestellt hatte.

Der junge Mann nahm es dankend entgegen und begann zu trinken. Barbel stand unschlüssig daneben. Sie traute sich nicht, sich an den Tisch zu setzen.

Der Fremde sah auf und wandte sich an ihren Bruder.

„Wäret Ihr vielleicht so freundlich, kurz nach meinem Pferd zu sehen?“, fragte er ihn.

Endres nickte und verschwand schnell.

Der junge Mann wandte sich an Barbel.

„Wollt Ihr sich nicht setzen?“, forderte er sie auf, doch sie schüttelte stumm den Kopf. Das gehörte sich einfach nicht, hatte ihr Vater ihr immer beigebracht.

Sie betrachtete den Mann verlegen. Seine feine Kleidung, sein sittsames Auftreten – er war ganz sicher adlig. Was also machte er hier?

„Wie heißt Ihr?“, wollte der Mann wissen.

„Barbara, mein Herr“, flüsterte Barbel. Sie war es nicht gewohnt, dass Leute eines höheren Ranges so mit ihr sprachen.

„Barbara, die Fremde“, sagte der junge Mann.

„Ja, woher wissen Sie das?“, fragte sie scheu.

„Mein Vater hat es mir beigebracht. Er wollte, dass ich die Namen aller Heiligen und ihre Bedeutung kenne. Die Geschichte der Heiligen Barbara ist dir doch sicher bekannt, oder?“, wollte er wissen.

„Ja, mein Herr“, antwortete Barbel.

„Nun, Barbara, willst du dich nicht doch setzen?“, bot er ihr erneut an und nahm ihr die Schale mit Suppe, die sie immer noch in der Hand hielt, ab.

Barbel setzte sich ihm gegenüber und mied seinen Blick.

„Kommt Ihr aus der Stadt?“, fragte sie schließlich.

„Ja, aus Leipzig. Mein Vater arbeitet dort als Kaufmann, ich bin bei ihm in der Lehre. Ich sollte für ihn einige Besorgungen in Nürnberg tätigen und wurde auf dem Heimweg von einem Gewitter überrascht. Ist der junge Mann dein Bruder?“

„Ja, er heißt Endres“, erzählte Barbel, überrascht, dass der junge Mann die Umgangsform geändert hatte.

„Wo ist dein Vater?“

„Er ist vor zwei Tagen verstorben, mein Herr“, erklärte sie und sah auf den Tisch.

„Oh, und deine Mutter?“, wollte der junge Mann wissen.

„Seit Jahren tot.“

„Du lebst allein mit deinem Bruder?“

„Ich soll bald heiraten“, meinte Barbel knapp.

„Du klingst nicht sehr erfreut. Liebe ist doch sehr schön“, merkte der Adlige an, doch es klang nicht ganz überzeugt.

„Ich liebe den Mann, den ich heiraten soll, nicht“, sagte Barbel bitter.

„Oh, dein Bruder zwingt dich dazu?“

Barbel schwieg. Sie wollte nicht schlecht über ihren Bruder sprechen.

„Ich möchte keine Hausfrau werden“, erklärte sie bloß.

Anders als Magreth vorhin, schien der junge Mann das durchaus verständlich zu finden. Er sah sie ernst an.

„Was möchtest du denn machen?“, wollte er wissen.

Barbel blickte erschrocken auf. Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Ich weiß nicht, mein Herr“, antwortete sie nachdenklich. „Seit ich denken kann, hat mir mein Vater Geschichten erzählt. Ich habe das geliebt. Und manchmal, manchmal, da habe ich mir gewünscht, ich könnte Geschichten lesen.“

„Du willst lesen und schreiben lernen?“, wiederholte der junge Mann.

„Ja, das ist unsinnig, nicht wahr?“

„Nein, ganz und gar nicht. Es ist nur selbst in der Stadt recht unüblich, dass junge Mädchen lesen und schreiben können.“

„Mein Bruder will, dass ich heirate und mich nicht um so etwas kümmere“, erklärte Barbel. „Ich glaube, er will, dass ich gehe.“

„Dann geh doch ins Kloster“, schlug der Adlige vor.

Barbel sah auf.

„Wie? Nein, das ist nichts für mich“, sagte sie.

„Wieso? Du kannst lesen und schreiben lernen und heiraten musst du sowieso nicht“, meinte er.

„Mein Bruder hat mich dem Albrecht doch schon versprochen“, widersprach Barbel. „Er wird mich nie ins Kloster lassen.“

„Und wenn du nach Leipzig gehen würdest?“, schlug der junge Mann vor.

Barbel lachte freudlos.

„Nach Leipzig? Dahin schon zweimal nicht! Woher soll ich das Geld nehmen? Was soll ich dort machen? Nein, nach Leipzig kann ich weiß Gott nicht“, sagte sie.

„Und wenn ich dich mitnehme?“, erwiderte der junge Mann. „Wohnen könntest du bei mir und meinem Vater, da ist Platz genug.“

„Haben Sie nicht gehört, Endres wird mich nie lassen, mein Herr. Und allein in einer fremden Stadt, ich weiß nicht, ob ich das möchte“, gab Barbel zu bedenken.

„Und was willst du hier? Einen Mann heiraten, den du nicht liebst? Auf ewig eine Hausfrau bleiben?“, forderte er sie heraus. „Nun denn, es war sowieso keine gute Idee. Ich müsst' ja so tun, als wärst du wohlhabend und dafür taugst du wohl nichts.“

Barbel starrte ihn wütend an.

„Wieso nicht?“, wollte sie wissen.

„Eine bürgerliche Dame weiß sehr viel“, erklärte der junge Mann und lächelte ein wenig.

„Ich kenne alle Sterne, das hat mich der Vater gelehrt. Und im Wald, da finde ich viele Kräuter. Außerdem kann ich gut kochen“, zählte Barbel auf.

Der junge Mann nickte erfreut. Dann jedoch verfinsterte sich sein Gesicht.

„Verzeih', aber ich kann dich nicht mitnehmen. Ich muss zum Morgengrauen in Leipzig sein und Laufen können wir nicht“, sagte er, diesmal ehrlich bedauernd.

„Ich kann reiten. Sogar ein eigenes Pferd habe ich, mein Herr“, erzählte Barbel und setzte sich gerade hin. „Ihr würdet mich tatsächlich mitnehmen? Wieso tut Ihr das für mich?“

Der junge Mann sah zu Boden.

„Auch mein Vater will mich zur Hochzeit drängen. Ich bin schon beinah mein ganzes Leben mit ihr verlobt. Wenn ich ihm aber mit einer so schönen, jungen Dame komme, wie du es bist, dann wird er glauben, ich möchte mich mit dir vermählen und wird davon vorerst ablassen“, erklärte er.

Barbel wurde rot. Sie fühlte sich ausgenutzt und andererseits geehrt.

„Es wäre für uns beide gut“, fasste sie zusammen.

„Dann brechen wir bald auf.“

 

Endres kam aus dem Stall zurück.

„Ich werde wieder aufbrechen“, erklärte der junge Mann. „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Barbara wird mir mit dem Pferd helfen.“

Er sah Barbel durchdringend an, sie nickte schnell.

„Das kann ich auch tun“, meinte Endres schnell, doch der Adlige schüttelte den Kopf.

„Ihr habt genug getan.“ Mit diesen Worten ließ er eine Geldmünze in Endres' Hände fallen, deren Wert Barbel nur erahnen konnte. Endres verstummte.

Kurz bevor sie in den Stall gingen, drehte sich Barbel noch einmal um. Endres starrte noch immer auf die Münze. Als er ihren Blick bemerkt, blickte er sie an.

„Nun geh schon und hilf ihm.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

Der junge Mann stand bereits an seinem Pferd und wartete. Barbel trat zu Zera und machte sie schnell fertig. Der Adlige hob erstaunt die Augenbrauen.

„Wo ist dein Sattel?“, wollte er verwundert wissen.

Barbel lachte trocken.

„Auf dem Dorf hat niemand einen Sattel, mein Herr“, entgegnete sie, dann öffnete sie das Tor.

Die kühle Nachtluft kam ihnen entgegen. Es roch nach Regen, aber der Himmel war wieder klar. Sterne funkelten am Himmelszelt. Barbel lächelte traurig.

Im Haus brannte nur ein schwaches Licht. Sie würde nicht viel zurücklassen. Die Erinnerung an ihre Eltern würde sie im Herzen tragen, an ihren Bruder wollte sie gar nicht mehr denken.

Der junge Mann sah sie an.

„Wir sollten aufbrechen“, sagte er und trat an Zera heran.

„Ich kann das selber“, erwiderte Barbel leise und fasste in die Mähne ihres Pferdes.

Dann hielt sie inne.

„Eines noch, mein Herr“, meinte sie. „Wie ist Ihr Name?“

Der junge Mann lächelte.

„Lorentz. Und du musst nicht immer mein Herr sagen“, antwortete er, dann ging er zu seinem eigenen Pferd und schwang sich in den schlichten Sattel.

Auch Barbel stieg auf und sie ritten los. Der Mond leuchtete über ihnen.

Als sie an Magreths Haus vorbeikamen, blickte Barbel durch die Fenster. Es war dunkel. Wie mochte es wohl um Magreths Mutter Lisel stehen?

Lorentz hielt an.

„Was ist?“, fragte er besorgt.

„Nichts“, versicherte Barbel ihm schnell und trieb Zera an.

Ohne viel zu reden, ritten sie durch den Wald, der Barbels kleines Heimatdorf Plochtewitz von Leipzig trennte. Erst als sich der Wald langsam lichtete, begann Lorentz wieder zu sprechen. Vögel kündigten schon den nahenden Morgen an und ein blassrosa Band war am Horizont zu erkennen.

„Halt an“, sagte Lorentz und stoppte auch sein Pferd.

Barbel sah ihn verwundert an.

„Wieso?“, wollte sie wissen.

„Du kommst als wohlhabende Bürgerin in die Stadt, du kannst nicht auf dem Pferd sitzen wie eine Magd.“

Barbels Gesicht schien zu brennen. Sie hatte davon gehört, das Damen aus der Stadt wegen der langen Röcke meist seitwärts auf dem Pferd saßen und nicht so, wie Männer ritten und sie es gewohnt war.

„Was soll ich denn sonst machen?“, fragte sie vorwurfsvoll, ohne zu erwähnen, dass sie es bereits wusste.

Lorentz erklärte ihr kurz, wie man als Dame saß.

„Bürgerliche Frauen reiten recht selten“, fügte er hinzu.

Barbel nickte abwesend. In Gedanken war sie immer noch in ihrem Dorf. Die Stadtmauern Leipzigs, die vor ihnen aufragten, verunsicherten sie. Sie hatte über ihre Entscheidung kaum nachgedacht. Was wenn sie alles falsch gemacht hatte? Sie hatte ihr Leben kurzerhand einem Fremden übergeben. Was war, wenn er sie in Leipzig an der ersten Straßenecke aussetzte? Sie hatte keinerlei Geld, sie würde kaum einen Tag überleben.

Sie hatte ihr Leben in die Hände eines Fremden gegeben und jetzt gab es kein Zurück mehr.

Als sie vor die Tore der Stadt kamen, wurden sie von den Wachen misstrauisch beäugt. Lorentz gebot Barbel mit einer kurzen Geste zu schweigen, stieg vom Pferd und stellte sich vor die Wachen.

„Lorentz Voigt“, sagte er knapp. „Ich war für meinen Vater in Nürnberg.“

Die Wache nickte. Offenbar genossen Lorentz und sein Vater viel Respekt in der Stadt.

„Wer ist die junge Dame in Ihrer Begleitung?“, fragte einer der beiden Männer schließlich.

„Barbara Jakobsen“, antwortete Lorentz selbstsicher und ohne jede Verlegenheit. „Sie ist die Tochter von meines Vaters Freund aus Nürnberg. Sie ist mit mir hierher gekommen.“

„Wie ein Bauerntrampel sieht sie aus“, urteilte eine Wache.

Barbel zuckte zusammen.

„Sie wollte für die Reise bequeme Kleidung tragen. Sie wissen ja, die Mädchen heutzutage“, flüsterte er verschwörerisch, doch Barbel konnte ihn dennoch hören. „Nur sagen's nicht zu laut, nicht, dass sie böse wird.“

Er zwinkerte den Männern zu.

„Können wir passieren?“

„Natürlich“, sagte einer der Männer und öffnete höflich das Tor.

Lorentz stieg wieder auf sein Pferd und ritt vor Barbel in die Stadt hinein. Sein Sitz war aufrecht, als wäre er sich keiner Schuld bewusst.

Barbel trieb Zera etwas an, bis beide Pferde nebeneinander liefen.

„Man soll nicht lügen, so steht es in der heiligen Schrift“, meinte sie vorwurfsvoll.

Lorentz nickte.

„Ich weiß, ich weiß. Mög's Gott mir vergeben“, antwortete er und bekreuzigte sich.

 

Kapitel 2

 

Bis zum Haus von Lorentz' Vater war es nicht weit. Barbel versuchte sich den Weg zu merken, doch viel zu sehr war sie abgelenkt von den Häusern und Straßen der Stadt.

„Noch nie sah ich so prunkvolle Häuser“, erzählte sie Lorentz. „Als ich kleiner war, ritt mein Vater einmal mit mir in die Stadt, um Tuch zu kaufen und eine Kuh. Auf dem Markt sah er dann eine kleine, magere Stute. Ihr Besitzer konnte sie nicht mehr ernähren und mein Vater handelte so lange mit ihm, bis er sie beinah geschenkt bekam. Das sagte er jedenfalls. Dann gab er sie mir.“

Gedankenverloren streichelte sie Zeras Fell. Vermutlich hatte sie für ihren Vater immer noch mehr gekostet, als Tuch für ein ganzes Jahr.

Lorentz lächelte.

„An die Häuser wirst du dich gewöhnen. Doch freue dich nicht zu früh, die Stadt ist oft schmutzig und laut“, erklärte er.

Barbel antwortete nicht.

„Ist das Haus Eures Vaters auch so schön?“, wollte sie stattdessen wissen.

„Natürlich, sogar noch schöner. Mein Vater ist ein angesehener Mann in der Stadt“, antwortete Lorentz.

„Was macht er denn?“

„Er arbeitet als Kaufmann für Tuch und Seide aus fernen Ländern“, erzählte Lorentz. „Wenn Messe ist, kauft er sie auf und verkauft sie dann in der Stadt. Manchmal fährt er sogar selber fort. Einmal schon war ich mit ihm in Konstantinopel. Und in Nürnberg habe ich mit mehreren seiner Freunde gesprochen und Briefe und Waren überbracht.“

„Ist Konstantinopel weit weg?“, wollte Barbel wissen.

„Sehr weit, die Reise dauert mit dem Pferd vielleicht fünf oder sechs Wochen“, antwortete Lorentz.

„Oh, und ist es schön dort?“

„Ja, es ist vor allem warm. Und überall gibt es die feinste Kleidung“, sagte Lorentz. „Es ist traumhaft. Da schau, wir sind schon da.“

Barbel blieb die Luft weg. Tatsächlich war das Haus, vor dem sie standen, das prunkvollste, was sie je gesehen hatte. Es schien sogar einen eigenen, großen Stall zu haben.

„Das ist Ihr Haus?“, fragte sie ehrfürchtig.

„Nun, noch gehört es meinem Vater“, lachte Lorentz. „Na komm, steig ab.“

Er klopfte an das Tor und ein älterer Mann in einfacher Kleidung öffnete.

„Kurt, wärst du so nett, die Pferde in den Stall zu bringen?“, forderte Lorentz ihn auf, schwang sich vom Pferd und wollte auch Barbel hinunter helfen.

Diese jedoch ignorierte das und stieg selbst ab. Während Kurt, wohl Bediensteter oder Stallmeister, die Pferde nahm, legte Lorentz Barbel die Hand auf die Schulter.

„Eine wohlhabende Dame ist nie stolz. Sie ordnet sich dem Mann unter und lässt sich von ihm helfen“, schärfte er ihr ein.

Barbel nickte erschrocken über seinen harschen Klang.

„Und nun komm“, wies er sie in einem freundlicheren Ton an.

Schweigend folgte Barbel ihm ins Haus. Sie lief mit gesenktem Kopf einige Schritte hinter ihm. Eine kleine Treppe führte in ein großes, erhabenes Zimmer. Durch einen Kamin an der Wand, in dem ein gemütliches Feuer prasselte, war es in dem Zimmer warm und behaglich.

Auf einem Stuhl am Fenster saß ein älterer Mann, er wirkte ebenso wohlhabend wie Lorentz, war aber wahrscheinlich einige Jahre älter als ihr eigener Vater zu Lebzeiten.

Mit ihrem eigen Vater hatte er überhaupt nichts gemein. Der war ein liebevoller und gütiger Mann gewesen, dem man die Lebensfreude schon von Weitem ansah. Barbel erinnerte sich noch, wie Endres vor ungefähr zwei Monate nach einem heftigen Streit von zu Hause abgehauen war und wenige Wochen später geknickt zurückkam. Er erzählte, er habe sich Spielleuten angeschlossen, war nach Leipzig gekommen und hatte dort eine wunderschöne Frau kennengelernt. Sie sei verlobt gewesen, doch er hatte alles für sie aufgeben wollen. Daraufhin war es im Lager der Spielleute zu einem Streit gekommen und er hatte gehen müssen. Seiner Geliebten hatte man erzählt, er wäre umgekommen. Völlig mittellos war Endres zu seinem Vater zurückgekehrt, der ihn wieder aufgenommen hatte, weil der Herr Jesus Christus es so befohlen hatte. Danach hatte man nie wieder über das Thema oder die Geliebte gesprochen und innerhalb kürzester Zeit war Endres böse und ignorant wie eh und je.

Der Vater aber hatte ihm seine Flucht in seiner Güte vergeben.

„Vater“, hob Lorentz an, riss Barbel damit aus den Gedanken und der Mann am Fenster drehte sich um.

Erst da bemerkte Barbel, dass es sich hier um ein Glasfenster handelte! Als sie vor vielen Jahren mit ihrem Vater in Leipzig gewesen war, hatte er mit ihr eine Glasbläserei besucht und sie war absolut fasziniert gewesen. Erst die Preise für dieses blassgrüne, durchscheinende Wunderwerk hatten ihre Begeisterung dämpfen können.

„Lorentz. Eine Freude, dass du schon zurückgekehrt bist“, erwiderte der Vater und stand auf. Erst da entdeckte er Barbel.

„Und wer ist sie?“, wollte er forsch wissen.

Barbel zuckte zusammen. Seine Frage klang so abwertend, als würde er über ein Stück Ungeziefer reden.

„Das ist Barbara“, antwortete Lorentz aufrichtig und drehte sich zu ihr um. „Gehst du kurz hinaus? Ich muss mit meinem Vater reden.“

Barbel nickte scheu, drehte sich um und ging hinaus. Das Zimmer wurde von einem Vorhang vom restlichen Haus getrennt. Hinter der Ecke blieb sie stehen. Außerhalb der stattlichen Stube war es kühl, aber immer noch wärmer als draußen.

Aus dem benachbarten Raum hörte sie die Stimmen von Lorentz und seinem Vater. Vorsichtig schlich sie zurück. Behutsam versuchte sie zu hören, was die beiden sagten.

Man lauscht nicht, schalt sie eine vorwurfsvolle Stimme in ihrem Kopf, und als wohlhabende Dame schon zweimal nicht.

Dennoch blieb Barbel stehen.

„Vater, nun hör mir doch zu“, redete Lorentz beruhigend auf ihn ein. „Ja, sie ist eines Bauern Tochter, aber...“

„Ich brauche keine zweite Magd“, fuhr ihn sein Vater an.

„Die Köchin wird bald ihr Kind bekommen“, widersprach Lorentz. „Dann musst du sie sowieso fortschicken. Und eine Hilfe im Haushalt ist zu wenig. Außerdem soll Barbara ja nicht als Magd hier wohnen.“

„Ach nein?“, rief der Vater. „Als was denn dann? Du meinst, ich füttere sie für ein Vergeltsgott durch?“

„Dann sag ihr halt, sie soll die Wäsche machen und kochen“, lenkte Lorentz ein. „Dann... meinetwegen soll sie auch mit der Agnes putzen, aber Vater...“ Er verstummte.

„Was ist denn? Was willst du genau? Und was liegt dir an dieser Bauerntochter so?“, wollte der alte Mann grimmig wissen.

„Ich mag sie gern, Vater. Was spricht dagegen, wenn wir sagen, sie ist deines Freundes Tochter aus Nürnberg? Barbara Jakobsen habe ich sie am Tor genannt. Sie kann ja für uns kochen und den Haushalt machen, damit ist sie sicher einverstanden. Nur lass sie nicht als Magd hier wohnen. Es geht doch nicht um das, was sie tut, sondern wie sie für die Öffentlichkeit wirkt. Ein Gast, ich bitte dich, Vater, keine Magd.“

„Ach nein? Hast du sie dir angesehen? Ja, sie ist ein wahrer Augenschmaus, dennoch: niemand glaubt ihr, eine Bürgerstochter zu sein. Und wer sagt mir, dass sie tatsächlich kochen kann, wenn nicht du?“, entgegnete Lorentz' Vater herausfordernd.

„Ich will's. Schick heute noch die Köchin weg, Barbara kann in ihrer Kammer wohnen. Ich geb' ihr feine Kleider, dass sie aussieht wie eine Bürgerin und dann kocht sie heute unser Abendmahl“, schlug Lorentz vor. „Dann kannst du sehen, dass ich nicht zu viel versprach. Ich werde ihr auch alles lehren, was eine Dame von Anstand zu können vermag. Dann kann sie wie ein Gast als Bürgerstochter wohnen.“

„So sei es, aber ich sage dir, Bursche, Gott sei dir gnädig, wenn du mich belogst“, drohte der Vater und Barbel atmete erleichtert auf.

Wenig später schob sich der Vorhang beiseite und Lorentz kam aus dem Raum.

„Du kannst bleiben. Komm mit, ich zeige dir nun deine Kammer“, sagte er und hieß sie, ihm zu folgen.

Sie liefen noch einmal ein Treppe hinauf und dann blieb Lorentz vor einer kleinen Tür stehen.

„Das ist dein Zimmer“, erklärte er und öffnete die Tür.

Die Kammer war spärlich eingerichtet und kleiner als ihr Zimmer zuhause. Tatsächlich gab es nur einen Strohsack auf einem Bettgestell, einen Tisch mit Stuhl und einer kleinen Kerze sowie eine Schüssel für Wasser und eine ovale Scheibe.

„Was ist das?“, wollte Barbel wissen.

„Ein Spiegel“, antwortete Lorentz und hielt ihn ihr vor das Gesicht.

Verblüfft schaute Barbel hinein und sah sich selbst, als würde sie in Schale mit Wasser schauen.

„Das ist ja wunderbar“, meinte sie und blickte zuerst erneut in den Spiegel, dann sah sich sich noch einmal im Zimmer um.

Fenster gab es lediglich eines.

„Es ist nicht groß und prunkvoll erst recht nicht, aber vorerst wird es reichen“, bemerkte Lorentz. „Nun setz dich und hör, was ich zu sagen habe.“

Barbel gehorcht und ließ sich auf das Bettgestell fallen. Ihre Füße taten weh. Lorentz setzte sich auf den Stuhl und sah sie durchdringend an.

„Ich habe mit meinem Vater gesprochen. Wie ich bereits sagte, darfst du bleiben. Allerdings wirst du lernen müssen, wie man sich als Bürgerin verhält.“

Barbel nickte scheu.

„Als erstes, denn ich weiß, dass viele auf dem Lande das denken: Du bist nicht adlig, das sagt man nicht mehr, zumindest nicht hier in der Stadt. Du bist wohlhabend oder eine Bürgerstochter, auch wenn es sich vom Adel nicht unterscheidet. Nächstens kommst du aus Nürnberg und heißt Barbara Jakobsen, du bist die Tochter von meines Vaters Freund“, fuhr Lorentz fort.

Barbel nickte erneut, traute sich aber nicht zu sagen, dass sie das alles schon mitangehört hatte.

„Als weiteres: Du bist nicht unsere Magd, sondern ein Gast. Du hilfst nur gerne bei uns aus“, sagte Lorentz.

„Dennoch wohne ich in dieser Kammer“, bemerkte Barbel unsicher.

„Das ist nicht unüblich“, erwiderte Lorentz. „Und noch etwas. Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst. Bei mir mag das noch gehen, aber niemals bei Gästen oder meinem Vater. Du bist höflich und zurückhaltend. Reden wirst du nur so viel wie unbedingt erforderlich.“

Barbel nickte ängstlich. Sie hatte nicht gedacht, dass man das so genau und streng nahm.

„Wir werden heute einige Kleider für dich kaufen. Dann machst du dich zurecht und kochst uns ein Essen für den Abend. Du musst meinen Vater überzeugen. Nur dann darfst du bleiben. Wenn das funktioniert hat, dann werden wir darüber nachdenken, wie du lesen und schreiben lernen kannst, aber nur dann! Du musst heute Abend besonders schön aussehen und sehr gepflegt. Am besten badest du heut' noch. Ich gebe Agnes Bescheid, dass sie für den Nachmittag das Wasser bereiten und dir beim Einkleiden helfen soll.“

Barbel sah auf. Eigentlich sollte sie nicht reden, aber wenn sie es geschickt anstellte...

„Verzeiht, mein Herr, darf ich Euch eine Frage stellen?“, hob sie betont höflich an.

„So ist's recht, Barbara. Natürlich“, antwortete Lorentz wohlwollend, aber auch verschmitzt und lächelte.

„Wer ist denn diese Agnes?“, wollte sie wissen.

„Sie ist Vaters Magd. Sie putzt und macht die Wäsche. Dabei wirst du ihr in Zukunft helfen, und kochen wirst du, wenn's dem Vater gefällt“, erklärte er. „Das ist die Vereinbarung. Du kochst und wäscht, darfst aber hier wohnen und giltst als Gast. Nun also denn, ich gebe dir kurz Zeit. Ruh dich aus für eine kleine Weil und dann lass uns gehen. Ich komm zurück“, meinte er und wollte aus der Kammer gehen.

„Wo gehst du hin?“, fragte Barbel.

„Ich spreche noch einmal mit meinem Vater.“

 

Barbel kam es vor, als hätte sie nur einmal kurz die Augen zugemacht, dann klopfte es schon an ihrer Tür. Als sie öffnete, stand Lorentz davor.

„Du hättest einfach hineingehen können“, meinte sie.

„Das gehört sich nicht und jetzt komm“, entgegnete er und bot ihr galant den Arm an.

„Wirkt es nicht komisch, wenn ich in der Kleidung einer Bauersfrau durch die Straßen gehen?“, wollte Barbel wissen.

„Die Schneiderei ist direkt nebenan und die Schneiderin und ihr Mann stellt keine Fragen“, antwortete Lorentz. „Mein Vater kennt sie gut und verkauft ihr häufig die besten Stoffe.“

Tatsächlich lag das Haus der Schneiderin direkt neben dem von Lorentz' Vater. Ein Geselle begrüßte sie höflich, auch Barbel, obwohl er ihr einen verwunderten Blick zuwarf.

Lorentz verlangte nach der Schneiderin und sofort kam diese von hinten nach vorne geeilt. Sie war eine äußerst junge Frau.

„Herr Voigt, willkommen. Was kann ich tun?“, fragte sie ergeben.

„Hallo Katheryn. Das ist Barbara Jakobsen. Sie braucht einige Kleider. Eines sofort und zwei weitere bis morgen“, wies Lorentz sie an. „Und dann noch eines aus Seide für den Ball.“

Den Ball?, fragte sich Barbel erschrocken, schwieg aber, wie es sich für eine adlige – nein, wohlhabende Dame gehörte.

„Sehr gern“, antwortete die Schneiderin und betrachte Barbel, jedoch nicht mit einem verblüfften oder abwertenden Blick, sondern mit dem einer Künstlerin.

„Ich hätte etwas da, ich müsste es nur noch an Ihre Körperform anpassen“, erklärte sie und zeigte ihr ein prunkvolles Kleid.

Es war rot mit feiner grüner Stickerei.

„Baumwolle“, sagte die Frau, doch Barbel wusste damit nichts anzufangen. „Wir sollten es probieren.“

Lorentz nickte wissend und begann eine angeregte Diskussion mit einem der Gesellen zu führen, welches Kleid denn für einen Ball am geeignetsten war.

Indes stellte die Schneiderin Barbel hinter einen Vorhang, hieß ihr, sich auszuziehen und stülpte ihr dann das rote Kleid über den Körper. Anschließend hielt sie einige Falten fest und steckte sie ab, dann half sie Barbel, das Kleid wieder auszuziehen und begann zu nähen. Währenddessen saß Barbel frierend und bloß hinter dem Vorhang und wartete.

Endlich war die Schneiderin fertig, half ihr erneut, das Kleid anzuziehen, wusch ihr kurz über das Gesicht, was vermutlich recht schmutzig war und flocht ihr das locker hochgesteckte Haar kunstvoll zusammen.

Dann schob sie den Vorhang beiseite und pfiff durch die Finger. Lorentz drehte sich um.

„Wie eine Königin“, bemerkte er lächelnd.

Barbel zog scheu die Schultern hoch.

Die Schneiderin beriet noch kurz mit dem Gesellen über das nachtblaue Seidenkleid mit Pelz, das Lorentz für den Ball gedacht hatte und die Stoffe für die beiden anderen Kleider, dann bezahlte Lorentz sie großzügig und führte Barbel nach draußen.

„War das nicht teuer?“, wollte sie wissen.

Lorentz zuckte bloß mit den Schultern.

„Wenn jemand in der Stadt genug Geld hat, dann ist es mein Vater“, behauptete er.

„Denkst du, ich kann ihm das jemals zurückzahlen?“, fragte sie leise. Sie bemerkte gar nicht, wie informell sie mit ihm sprach.

Lorentz lächelte bekümmert und antwortete nicht.

„Jetzt komm, wir müssen uns überlegen, was du heute Abend kochen möchtest“, versuchte er sie abzulenken. „Hast du schon darüber nachgedacht?“

Barbel schüttelte den Kopf.

„Was kochst du denn zuhause?“, wollte Lorentz wissen.

„Suppe oder Getreidebrei“, antwortete Barbel missmutig.

„Jeden Tag?“

„Meist. An Sonntagen manchmal etwas anderes“, erklärte sie.

„Was denn zum Beispiel?“ „Manchmal Fisch, wenn einer der Jungen aus dem Dorf im Bach oder dem Teich im Nachbardorf einen fing, den wir kaufen konnten, oder etwas Fleisch. Einmal hat der Vater zu Ostern ein Huhn geschlachtet, aber es war schon sehr alt und zäh. Trotzdem, es war etwas besonderes“, schwärmte Barbel.

„Huhn wäre doch eine gute Idee“, schlug Lorentz vor und wies in die Stadtmitte. „Los, wir gehen zum Markt.“

Barbel folgte ihm, doch als sie auf den Markt kamen, stockte ihr der Atem. Noch nie hatte sie so viele Menschen auf einmal gesehen. Es war laut, überall wurde gelacht und geredet, die Händler priesen ihre Ware an und Musikanten spielten am Straßenrand. Es war ein, für Barbels Verhältnisse, buntes Leben und Barbel sah sich verwundert um.

Bei jeder Gruppe mit Spielleuten musste Lorentz stehenbleiben, weil Barbel fasziniert zusehen wollte. Nur mit Mühe konnte sie sich losreißen.