Das Buch der Märchen - Johann Andreas Löhr - E-Book

Das Buch der Märchen E-Book

Johann Andreas Löhr

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung.

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Seitenzahl: 1217

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ähnliche


Das Buch der Märchen

Johann Andreas Christian Löhr

Inhalt:

Geschichte des Märchens

Erster Band. Freundlichen Gruß zuvor.

Der kleine Däumling.

Ali Baba der Blinde.

Der gestiefelte Kater.

Alibaba und die vierzig Räuber.

Fortunat mit seinem Säckel und Wünschhütlein.

Cogia Hassan Alhabbal, oder der Kaufherr und Handelsherr1 Hassan der Seiler.

Knüppel aus dem Sack; Knüppel in den Sack.

Der eiserne Armleuchter.

Das Bauermädchen.

Rosenmund und Bramarbas.

Der liebe Gott und der Schwabe.

Der Fischer und seine Frau.

Gott un de Düwel.

Gott und der Teufel.

Geschwisterliebe, oder die drei Königskinder.

Meisterstücke dreier kunstreichen Brüder.

Die Verjüngung.

Reinhald das Wunderkind.

Esels Glück.

Die kluge Trine.

Der vortheilhafte Schweinehandel.

Abu Haßan.

Der Schmidt, der Tod, und der Teufel.

Das Galgenmännlein, oder der böse Geist im Glase.

Prinzessin Schneeweißchen.

Ein kalmuckisches Mährchen von der Flasche und dem Kreisschwinger.

Das Mährlein von der Serviette, dem Tornister, dem Kanonenhütlein, und dem Horn.

Des Maulthiers Zaum.

Der Fischer, der Geist und der König der schwarzen Inseln.

Der König der schwarzen Inseln.

Der Geist im Glase, oder das vorige Mährchen noch einmal, aber auf andere Weise.

Die Knappen Rolands.

Der Geisterring.

Das Glück des Faulen und Dummen.

Der Doktor Allwissend, oder der Doktor Kikeriki.

Der Wundervogel.

Der tüchtige Bursche, oder gut Kegel- und gut Kartenspiel.

Die Nebelkappe.

Zweiter Band. Gleichsam als Vorrede.

1. Das Glückskind.

2. Das gutmüthige Mäuschen.

3. Rothkäppchen.

4. Das Röslein.

5. Martin und Ilse.

6. Die Schlange.

7. Der tapfere Schneider.

8. Die goldene Gans.

9. Hans mein Igel.

10. Der ganz kleine Däumerling.

11. Das kluge Schneiderlein.

12. Die sechs Diener.

13. Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten.

14. Prinz Krummbuckel und Prinzeß Murmelthierchen.

15. Die Zauberflöte.

16. Das Goldvögelein.

17. Die drei Federn.

18. Die Nelke.

19. Das Waßer des Lebens.

20. Der dumme Xailun.

21. Einige Stückchen von Rübezahl.

22. Mograby.

23. Der Goldvogel, das Goldpferd und die Prinzeßin.

24. Die Söhne der Quelle.

25. Viole und Holdherz.

26. Prinz Beder.

27. Die Brunnennixe.

28. Kalmückische Mährchen.

29. Kodadad.

30. Das Zauberpferd.

31. Ahmed und Paribanu.

32. Der gelbe Zwerg.

33. Dornröschen.

34. Der glückliche Holzhacker.

35. Der Eisenofen.

36. Der Jäger.

Das Buch der Märchen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849603021

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Erster Band. Freundlichen Gruß zuvor.

Da! Ihr lieben Krabauters1 und Nußknacker, Groß und Klein, da habt Ihr ein Mährleinbuch. Ich denke, Ihr sollt es recht lieblich und lustig finden, aber auch, wie der Titel besagt, lehrhaftig dazu, wenn Ihr sonst wollt; wollt Ihr es aber nicht, so könnt Ihr es auch bleiben lassen, und dann kann ich weder Euch noch mir helfen2.

Die meisten Mährchen hab ich nicht selbst gemacht, sondern der wahre und eigentliche Verfasser davon ist die Welt, ich aber habe ein wenig daran gebastelt und sie nach meiner Weise zugerichtet (umgebildet nennen sie's jetzt), daß sie Euch möchten ergötzen, aber dabei Euch auch lehren. Sollte mir das gelungen sein, so kommt vielleicht noch ein Bändchen nach, und soll dann dieses schon einholen, aber wenn ich todt gestorben sein werde, so wirds damit nichts. Das sag ich Euch hiermit im voraus.

Je nun! ich hoffe schon, daß Euch das Büchlein gefallen wird, wenn die Proben mich nicht trügen, die ich darüber angestellt habe; aber! aber! ob es die grundhochgelahrten und hochgewaltigen Herren genehmigen werden, die Alles beschnüffeln und beschnarchen, und rümpfen dann die krause Nase bedenklich und sinnend dazu, ohne jedoch den rechten Geruch in der Nase zu haben, und sprechen dann: »der Bettel!« – – ja! ob die es genehmigen werden, das weiß ich denn nicht, und brauch's auch nicht zu wissen; – genug, daß ich ohngefähr weiß, daß das Büchlein gerade nicht anders sein durfte, als es nun so eben ist. Einen guten Rath muß ich Euch aber jedennoch geben. Kommt ein solcher Kettenhund, ders nicht lassen kann, die Leute anzubellen, versteckt's Büchlein! Ihr süßen Goldherzen, versteckt's hurtig und geschwind, und laßt Euch nichts merken, es gibt sonst nur einen Schreck. – Daß übrigens der Hund bellen und der Bär brummen muß, das seht Ihr schon ein; sie sind dazu da, und ist einmal ihre Art und Natur also.

Uebrigens, wenn Ihr mich nicht verrathen wollt, will ich es Euch wohl offenbaren, daß selbst viele dieser gestrengen und allweisen Herren nicht nur als Kinder gern Mährchen gehört und gelesen haben, sondern noch jetzt sie gern hören und lesen, ja daß man heuriger Zeit selbst für solche Kinder Mährchenbücher geschrieben hat, die so groß sind, daß sie zu ihrem Schlafrock ein Dutzend Ellen brauchen3. Kurz; alle Welt hat die Mährchen gern. Das macht, die ganze Welt besteht aus Mährchen, und das Leben besteht auch daraus und fänge damit an und hört damit auf. Wie das nun aber zu verstehen sei und worin das wieder liege, müßt Ihr Euch einmal, wenn Ihr erst besser herauf seid, selbst ausdenken; denn wer sich Dergleichen nicht selbst ausdenkt, lernt es selten recht aus dem Grunde verstehn. Das Eine kann ich Euch hier allein nur sagen, daß in dem Menschen eine gewaltige große Welt voll Geister und Wunderdinge liegt. Mehr zu sagen könnte nichts helfen.

Was Ihr als grundkluge Nester und grundliebe Marzipan- und Zuckerherzen beim ersten Blick spitz habt, ohne daß Ihr es erst auszudenken nöthig gehabt hättet, ist das: Daß, was in dem Büchlein steht, Alles miteinander nicht wahr ist, und darin habt Ihr recht, ganz recht; ich aber sage, daß Alles was in dem Büchlein steht, Alles miteinander wahr, ganz und vollkommlich wahr ist, und darin hab Ich recht, auch recht, und Ihr könnt es mir aufs Wort glauben und nachsagen.

Nun seht; da hab ich gesprochen, als wär ich zu Hause, und als kennte ich Euch Alle. – Nun! Ihr werdet mir es doch nicht so sehr verübeln, denk ich, zumal wenn ich Euch recht sehr schön darum bitte, welches denn hiermit geschieht. Uebrigens bilde ich mir ein, Euch wirklich Alle zu kennen. – Doch das ist vielleicht nur Einbildung! – Indessen, das Buch muß es ausweisen.

Noch hab ich ein Paar Punkte auf dem Herzen, wovon Euch der Eine ganz allein angeht, und daher auf der nächsten Blattseite auch allein gedruckt ist. Thut mir die Liebe, und überseht und vergeßt ihn nicht, wie ich ihn zwar übersehen, aber nicht vergessen hatte. – Die andern drei Punkte gehen Euch wenig oder gar nicht an. Sie sind aber folgende.

1) Dieses Büchlein ist nicht für solche Kinder geschrieben, wie das Wickelkind ist, das der rothe Kickelhahn, der auf Zeit und Ordnung hält, im Schnabel zur Schule hinträgt, wie es hier, ziemlich zu Ende des Büchleins, im Doktor Allwissend zu lesen steht. Sollte jedoch ein solches Kind schon ordentlich lesen können, so mag es, zumal wenn es sonst gute Gaben hat, ein Bißchen hineinschauen, aber nicht eigentlich lesen. Sollte es aber nun durchaus und durchum gar zu große Lust und Liebe zum Lesen schon mit zur Welt gebracht haben, und nach den ersten sechs Wochen in seinem Verlangen nicht können beschwichtigt werden, so soll es eins von den vielen gedruckten Büchern lesen, in welchem die Bilder der Kickelhahn nebst seiner Krakelhenne gekrikelkrakelt haben, und in welchem Nichts steht. So etwas läßt sich gar leicht und anmuthig lesen, und kostet kein Kopfbrechen.

2) Geb ich aller Welt auf, zu bedenken, ob man nicht den Stahl erst härten und gut machen muß, ehe man ihn polirt, oder ob das Poliren dem Härten vorausgehen darf? – Ist das ordentlich ausgemacht, so ist alles darin enthalten, was ich über dieses Buch und seine Art und Weise für mich zu sagen habe.

3) Hab ich dieses Büchlein nicht selbst gedruckt und die Probebogen vor dem Abdruck nicht gesehen, sonst hätte Manches wohl anders mögen werden. Indessen hat die Hauptsache eben nichts dabei gelitten, und was anzuzeigen noth ist, folgt.

4) Was ich mit diesem Büchlein eigentlich gewollt habe, weiß ich selbst nicht recht; aber andere Leute werdens schon herausbringen.

5) Das letzte ist, was ich schon oben erwähnt habe, und was die nächste Blattseite besagt.

Gehabt Euch wohl!

Fußnoten

1 Nach der heutigen Sprache muß es heißen: »Lieben Gold-, Silber- und Edelsteinkinder; oder: Goldpapiersöhne und Silberpapiertöchter.« So muß ein rechtschaffener Verfasser seine kleinen Lesezwerge, (unter welchen sich jedoch auch tüchtige Bursche finden dürfen) so muß er sie anreden. Ich aber bin nur ein Stümper in solchen hohen Dingen.

2 Eigentlich, was die rechte und echte Lehre betrifft, müßt Ihr sie blos aus solchen Büchern herholen, die vom artigen Märten, vom niedlichen Töffelchen, vom reinlichen Peterchen, von der guten Kathrine, und dann wieder von dem häßlichen Brüllhanns und von der garstigen Schreilise handeln, und bei welchen Ihr, zur Uebung der Aufmerksamkeit, vor langer Weile bald sterben müßt. Andere Lehre ist Euch gar nicht nöthig. Genug, wenn Ihr nur lernt, wie man die Jacke ordentlich und sauber ausbürsten muß. Das reicht zu!

3 Wohl zu verstehen; nicht die Mährchenbücher brauchen so viel Gezeugs zum Schlafrock, sondern die großen Lesebursche.

Nicht zu übersehen, Ihr Lieben!

Leset, wenn Ihr »den lieben Gott und den Schwaben« gelesen habt, noch zu Ende von Seite 140 Folgendes dazu.

Der kleine Däumling.

Verstand geht vor Körperstärke.

◉Der kleine Däumling.

Es war einmal, vor vielen, vielen Jahren, ein armer, recht sehr armer Holzhauer, der hatte sieben kleine scharmante Jungen, an welchen er und seine liebe Hausfrau ihre herzinnigliche Freude hatten, obwohl die kleinen Magen alle Tage essen wollten, und Essen zu schaffen ihnen mitunter sehr schwer ward. Aber sie waren auch mit Brod und etwas Salz darauf zufrieden, denn Fleisch kam nur an den höchsten Festtagen ins Haus; und hungrig gingen sie doch nicht zu Bette.

Der kleinste der kleinen Burschen war auch der jüngste, und wohl kaum 8 Jahr alt, aber ein kluges Kerlchen. Er paßte auf alles auf, sprach eben nicht viel, dachte aber desto mehr, und weil er so klein war, nannten und riefen sie ihn im Hause: kleiner Däumling, oder auch wohl nur Däumling geradeweg.

Es kam ein schweres, sehr schweres Jahr, denn die Ernte war ganz mißrathen, und die Aeltern, der Däumling, und die andern 6 Kinder mußten jetzt oft hungrig zu Bette gehen. Der armen Mutter brach das Herz, und der Vater sah schwermüthig sinnend drein.

Eines Abends waren die Kinder alle schlafen gegangen, aber der Mann saß noch mit seiner Frau am Feuer, denn, weil er Holzhauer war, so hatte er auch Holz genug, um Feuer haben zu können.

»Frau,« sagte er, »die armen Kinder müssen wir wohl dem lieben Gott befehlen, der für sie sorgen wird, da wir es nicht mehr können! Ich will sie morgen mit in den dicksten Wald führen, und Reißholz auflesen lassen, und mich dann heimlich davon machen. Den Rückweg finden sie gewiß nicht! Und wenn sie auch im Walde umkämen, und von wilden Thieren gefressen würden, so ists doch besser, als wenn wir sie vor unsern Augen sollen so langsam verschmachten sehen!«

Die Mutter hatte viele Einwendungen, denn sie hatte ja ein Mutterherz. Aber da der Mann ihr nun so beweglich zu Gemüthe führte, ob sie denn lieber die armen Kinder wolle vor ihren Augen verschmachten und verhungern sehen? da gab sie mit vielen Thränen nach, und legte sich bekümmert zu Bette, und betete zu Gott, daß er doch helfen möge. Daß die arme Mutter die ganze Nacht über kein Auge zuthat, könnt Ihr leicht denken.

Mein Däumling schlief aber eben so wenig, als die Mutter. Er hatte wohl bemerkt, daß die Aeltern etwas Besonderes hatten; er war leise von seiner Schlafstelle aufgestanden, er war unter des Vaters großen Holzschemel heimlich und unbemerkt gekrochen, und hatte Alles, Alles genau gehört. Er ängstete sich nun die ganze Nacht, konnte nicht schlafen, und sann und sann! und am Ende hatte er doch etwas herausgesonnen.

Ohne seinen Brüdern etwas zu sagen, weil er sie nicht ängstigen wollte, und weil sie noch in so süßem, süßen Schlaf lagen, stieg er gar sehr früh vom Lager auf, ging an den Bach, und suchte kleine weiße Kiesel.

»Kommt Kinder!« sagte der Vater; »sollt mit mir in den Wald, und dürres Reißholz lesen. Somit gings fort, und die Kinder wurden in den dicksten Wald geführt.« – »Leset,« hatte der Vater gesagt, »ich will euch schon zu rechter Zeit holen, aber er holte sie nicht, sondern hatte sich ganz heimlich nach Hause geschlichen.«

Da der Vater nicht kam, wurde den Kindern im dicken, dichten Walde unmenschlich bange. Sie riefen, sie schrieen, sie heulten. Aber der Däumling sagte: »seid nur stille, denn ich bring euch gewiß nach Hause.« Und der Däumling brachte sie auch nach Hause, denn er hatte die kleinen weißen Bachkiesel auf den Weg hingestreut, die er in seiner Tasche hatte.

Sie wußten nun alle, woran sie waren, weil Däumling ihnen unterwegs alles gesagt hatte, und getrauten sich deshalb nicht ins Haus hinein, sondern horchten vor der Thür, was Vater und Mutter mit einander sprächen.

Die armen Menschen hatten sich einmal recht herzlich, seit langer Zeit recht von grundaus satt gegessen, denn sie hatten eine Schuldpost bezahlt bekommen, auf welche sie schon lange nicht mehr gerechnet hatten, wohl an 20 Thaler. Da mußte die Frau gleich Fleisch holen, in gewaltiger Menge. Denn sie glaubten bei ihrem entsetzlichen Hunger, sie würden kaum daran genug haben, und hatten so lange, so sehr lange kein Fleisch, nicht einmal gesehen, geschweige denn gegessen.

Als sie nun satt waren, und noch viel übrig geblieben war, fing die Frau an zu weinen, und den Mann einen Rabenvater, einen gottlosen Mann über den andern zu schelten, der seine Kinder den Wölfen und Bären im Walde Preis gäbe. »Ach Gott! ach Gott! rief sie, da ist nun so viel übrig, daß sie alle hätten satt werden können, und mit lautem Geheul schrie sie: o meine Kinder, meine verlassenen Kinder! wo seid ihr? wo seid ihr?«

»Hier sind wir! hier sind wir!« riefen die Kinder alle auf einmal; »hier vor der Thür!«

Gleich wurde die Thür aufgemacht; die Aeltern herzten und drückten die Kinder, und dankten Gott, daß sie alle wieder ohne Schaden da waren, und die Kleinen mußten sich an den Tisch setzen und sich satt essen, denn es war noch genug da.

Aber wie lange können 20 Thaler in theurer Zeit vorhalten? Die armen Leuten dachten zwar, sie könnten nicht alle werden, aber in wenigen Tagen waren sie verzehrt, und die alte Noth brach wieder ins Haus ein, und die alte Angst wieder ins Mutterherz. Die Aeltern hielten wieder heimlichen Rath, und fanden keinen andern als den, die Kinder abermal in den Wald zu führen, aber viel viel tiefer hinein, als das erstemal.

Däumling kriegte das aber weg, und dachte, er wollte sich und die Brüder mit den Kieseln schon zum zweitenmal nach Hause helfen. Aber als der arme Schelm früh aufstand, um Bachkiesel zu suchen, fand er die Thür fest verschlossen. Da mußte er in der Angst das Stück Morgenbrodt, was er lieber selbst gegessen hätte, in Bröckchen heimlich auf den Weg streuen, auf welchem sie der Vater in den allertiefsten Wald hineinführte. »Geh du nur Vater! dachte Däumling, als dieser sich nun fortschlich, wir wollen den Weg schon wieder nach Hause finden.«

Ach sie fanden ihn nicht, die unglücklichen Kleinen, denn die Vögel hatten das Brod gefressen. In der Angst kamen die Kinder immer tiefer und tiefer in den Wald, und selbst der kluge Däumling wußte nicht wo aus noch ein. Dazu wurde es Nacht; es brach ein Sturm mit gewaltigem Heulen, Brausen und großem Platzregen los, und das Geheul gieriger Wölfe glaubten sie auch noch zu hören. Da stieg ihnen vor Furcht das Haar auf dem Kopfe zu Berge.

Däumling stieg nun auf einen hohen Baum, und sah sich überall um, ob denn nirgends ein Lichtschimmer sich fände. Endlich erblickte er ein Licht, und merkte sich die Gegend genau, wo es schien. Auf diese ging es nun unter Furcht und Zittern, in Schmutz und Koth los. Bald zeigte sich das Licht, bald verschwand es wieder, je nachdem der Weg höher oder tiefer ging. Endlich denn kamen sie mit viel Mühe und Noth an das Haus, in welchem das Licht war, klopften an, und eine Frau, die aufmachte, fragte, was sie wollten? Da jammerten sie, und klagten alle Noth und Angst die sie ausgestanden hatten, und baten um ein Nachtlager. Der Frau gefielen die hübschen Kinder, aber sie fing an zu jammern und zu weinen, und schluchzte: »Ach wohin seid ihr gerathen, ihr unglücklichen Kinder? Hier ist ja das Haus des Popanzes, der kleine Kinder auffrißt, weil sie sein liebster Leckerbissen sind! – Wo sollt ich euch hinstecken, ohne daß er euch auswitterte, weil er Menschenfleisch auf viele Schritte weit riecht.«

»Ach, liebe Mutter! wimmerte der kleine Däumling, der für die andern das Wort führte, was sollen wir denn nun anfangen? Denn draußen werden wir auch von hungrigen Wölfen zerrissen? Sollte denn der gnädige Herr Popanz gar nicht zu erweichen stehn? Ach lieber Gott helft uns doch; wir können ja auch nicht mehr weiter! wir sind ja ganz hin.«

Das brach der guten Frau das Herz; sie ließ die Kinder herein, und dachte sie schon eine Nacht hinzubringen, zumal da der Popanz eben jetzt nicht zu Hause war, und vielleicht auch nicht vor dem andern Tag wieder käme. Sie setzte unsere Kinderchen um ein großes Feuer herum, an welchem ein wohlgemästeter Hammel an einem Bratspieß gebraten wurde, zu einem leichten Nachtessen für den Popanz, wenn er etwa nach Hause käme. So ein paar Mundbissen mußten allezeit für ihn bereit sein, er mochte nach Hause kommen wenn er wollte. An diesem Feuer nun trockneten sich unsere Kleinen, und ich glaube die Frau gab ihnen auch ein Paar Bissen zu essen.

Kaum waren sie trocken, und hatten den schärfsten Hunger etwas gestillt, als es mit vier tüchtigen Faustschlägen an die Thürpforte donnerte. Das war der Popanz! Die Frau steckte hastig die Kinder unter ein großes Bette, und machte die Thür auf!

»Wo ist das Essen? – war das erste Wort, was der Popanz sagte; und ob der Wein abgezogen wäre?« war das zweite Wort. Er setzte sich an den Tisch, verzehrte das Hämmelchen, obgleich, was ihm sogar recht war, das Fleisch noch blutete.

Er war mit so wenigem sehr bald fertig und sprach dabei, weil er diese Sache mit großer Innigkeit trieb, kein einziges Wort. Er war fertig, und weil er eben nicht mehr auf den Tisch sahe, dachte er, die Natur muß einmal mit Wenigem zufrieden sein. Indessen schnupperte er doch noch mit seiner vortreflichen Riechnase ein bischen rings umher.

»Frau! sagte er plötzlich, ich wittere Menschenfleisch!«

»Ih! Mann, das ist das Kalb, das ich eben geschlachtet und ausgenommen habe,« antwortete die Frau.

»Faule Fische, Du! rief der Popanz mit Donnerstimme, und mit gräßlichem Gesichte, ich wittere frisches, junges Menschenfleisch.« Er schnupperte und fand die armen Jungen unter dem Bette, und zog sie, einen nach dem andern, hervor!

»Ho! hoh! rief er grimmig; so willst du mich anführen, du Weib? – Warte, dich will ich zuerst fressen, und diese junge Brut dann hinterdrein. Es muß einen herrlichen Leckerbissen geben! – Hätte ich doch nicht gedacht, so etwas Köstliches zu finden!« – Der Mund wässerte ihm schon, und er nahm das wohlgeschliffene Schlachtmesser, das er immer mit sich führte, und wollte die Kleinen schon abgurgeln.

Die Kinder fielen ihm zu Füßen und wimmerten und flehten. Dazu lachte er denn. Aber die Frau stellte ihm vor, daß er ja noch zu essen genug habe, für so tiefe Nachtzeit, und daß er diese hier nicht einmal recht würde genießen können, indem sie nicht mehr recht zugerichtet werden könnten, und daß ja morgen auch noch ein Tag sei, wo das Gute gut schmecken werde.

»Frau da hast du wahrhaftig einmal recht!« erwiederte er, und ließ das schon gehobene Schlachtmesser wieder sinken. »Dazu kommt, daß ich mir zu morgen ein Paar gute Freunde gebeten habe, damit wir einmal einen vergnügten Tag zusammen haben. Na! füttre die Krabauters und bring sie ins Bett. Morgen früh denn sollen sie dran.«

Während des Allen nun hatte der Herr Popanz, damit er beim vielen Sprechen den Gaumen anfeuchtete, einen tüchtigen Becher Wein nach dem andern getrunken, trank nun noch 2 oder drei Dutzend Becher zum Schlaftrunk, und legte sich in seiner Schlafkammer zu Bette.

Die Frau brachte nun die kleinen Knaben in eine andere Kammer, alle sieben in ein sehr großes geräumiges Bette. Hier schliefen auch, in einem andern geräumigen Bette, sieben kleine speckfette und runde Popänzchen; die Kinder des Popanzvaters – lauter Mädchen, die auch schon rohes Fleisch essen konnten, und schon kleine Kinder mit ihren langen scharfen spitzen Zähnen anbissen, um ihnen das Blut auszusaugen, woran denn der Herr Vater seine herzinnige Freude hatte; er hatte daher den kleinen Wehrwölfen leichte Goldkrönchen machen lassen, die sie auch im Bette nicht absetzen durften.

Mein kluger Däumling dachte: »Wer weiß, ob der Popanz nicht in der Nacht aufsteht, und uns abschlachten will? Er ist gar zu lüstern nach Menschenfleisch; und man muß sich vorsehen!« – Er sahe sich denn vor, nahm den im Todtenschlaf schnarchenden kleinen Popanzfräuleins die Krönchen ab, und setzte ihnen seine und seiner Brüder Mützen dafür auf, diesen aber und sich selbst setzte er die Goldkrönchen auf. – Die Brüder waren vor Angst und Müdigkeit in Sicherheit eingeschlafen, aber der Däumling schlief nicht.

Richtig! der Popanz Riese kam in der Nacht in die Kammer, wo die Popänzchen schliefen, und unsere Kinder auch. Er ging an das rechte Bette, wo die Knaben lagen, tappt zur völligen Sicherheit aber, weil es noch dunkel war, auf die Köpfe der Kleinen, und fühlt die goldnen Kronen! »Nun! murmelt er vor sich hin, das wäre eine schöne Geschichte geworden! Ich dachte ich hätte so wenig getrunken, und habe denn doch wohl ein oder zwei Becherchen zuviel genommen!«

Er geht ans andere Bette, wo seine Popanzdämchen schliefen, er fühlt die Mützen, und spricht: »Nun! ihr Bürschchen sollt mir nicht davon kommen. Die Frau hülfe euch sonst wohl noch durch!« – nimmt sein Schlachtmesser, gurgelt ihnen die Kehlen ab, saugt das Blut ein, und legt sich wieder ins Bette.

Däumling weckt nun die Brüder, die sich schnell anziehen müssen, und entflieht mit ihnen durch den Garten. Sie liefen den übrigen Theil der Nacht in großer Angst, auf gutes Ohngefähr, durch den Wald nach Hause zu. Das Ohngefähr war wirklich gut, und am frühen Morgen sahen sie, daß sie auf wohlbekanntem und richtigem Wege waren.

Aber am frühen Morgen sagte der Popanz: »Frau, mache die Jungens zu Mittag zurecht! Ich habe sie alle diese Nacht abgekehlt, damit du nicht winseln und wimmern solltest.«

Da ergab sich denn die gräßliche That! die Frau fiel in Ohnmacht; der Popanz goß ihr ein paar Eimer Wasser über das Gesicht, so daß sie wieder zu sich kam.

»Nun Frau, hole die Meilenstiefeln, sagte der Popanz. Ich will den Hallunken nach, und will sie grimmig martern und tödten. Richte indessen nur unsere Kinderchen, unsere armen Kinderchen an, auf den Mittag! Es ist nun mit ihnen doch nichts anders zu machen, und Menschenfleisch schmeckt gar zu gut.«

Die Frau holte die Meilenstiefeln, womit bei jedem Schritt eine Meile zurückgelegt wurde, und womit man denn in einem Tage hätte um die Erde herum marschiren können. Er zog sie an, ging links und rechts; kreuz und queer, rückwärts und vorwärts, um Alles recht zu durchstöbern. Er war dem Däumling und seinen Brüdern endlich schon sehr nahe, und sie waren nur ein Paar tausend Schritt vom Aeltern-Hause. – Da war zum Glück eine Felsenhöhle, wo Däumling die Brüder hineintrieb. Der Riesenpopanz, vom Hin und Herkreuzen müde, legte sich oben auf den Felsen, und schnarchte bald so, daß die Bäume bebten. – Däumling ließ die Brüder nach Hause gehen, er aber blieb zurück, und zog dem schnarchenden Schläfer die Stiefeln aus, und sich an, und weil sie verzaubert waren, paßten sie sogleich auch auf seine kleinen Beine.

Es war gerade Krieg. Da konnte er seine Stiefeln herrlich brauchen. Denn er brachte die Nachrichten vom feindlichen Heere in einigen Minuten; er bekam von den Briefen, die die Frauen an ihre Männer schrieben, und die Mädchen an ihre künftige Ehegatten, und von den Briefen, die er wieder mit zurücknahm, ein gar großes Geld. Der König zahlte ihm auch nicht schlecht! seine Aeltern und Brüder wurden gar reiche Leute, und der kleine Däumling wurde am Hofe ein großer Mann, obwohl er immer klein blieb. –

Das machte der Verstand, und die Meilenstiefeln.

Ali Baba der Blinde.

◉Ali Baba der Blinde.

Unter den muselmännischen Herrschern war ein sogenannter Khalif, was denn etwas Anderes auch eben nicht bedeutet, als was man jetzt Großsultan nennt, der war Harun Alraschid geheißen, und lebte mit dem berühmten Kaiser Karl dem Großen zu gleicher Zeit. Wenn man vor seinem Thron war, mußte man sich auf gut morgenländisch vor ihm platt auf den Boden mit dem Gesichte und Bauche niederlegen – so etwa, wie ein guter Pudel der kusch macht, wenn ihm der Prügel oder die Peitsche gewiesen wird, und mußte ihn kriechend in allerdemüthigster Demuth »Beherrscher der Gläubigen,« d.h. der Musulmanen (Mahommedaner) nennen, weil diese den rechten Glauben allein hätten. – Nun! bei uns ist, wie Ihr wohl noch künftig lernen werdet, das ganz anders. Da darf man, wenn man Gott und das Gesetz ehrt, gar frei und dreist seine Worte anbringen, nicht nur vor dem Fürsten, wenn man anders vor ihn kommt, denn sonst gehts nicht gut an, sondern auch sogar vor den Ministern und Räthen, wenigstens doch zuweilen. Da bekommt man denn alle Gerechtigkeit, oder vielmehr Gnade, welches ein Wort ist, das Ihr Euch wohl merken müßt, indem es die Gerechtigkeit weit weit aufwiegt, und eigentlich Alles ausnützt! und zwar ganz allein! – Nun? ihr merkt doch wohl, daß ich nur Mährchen erzähle, weil ich so weit und breit es mache – aber, das schickt sich denn einmal nicht anders.

Seine Doppelmajestät, nämlich der Khalif Alraschid, wie wir ihn nun wohl kurz weg nennen dürfen, da er so lange schon todt ist, war ein bischen neugierig, oder auch zuweilen aus langer Weile schwermüthig und ordentlich melancholisch, und wollte Kurzweile haben, oder aber er war, wie man sagt, sehr für die Gerechtigkeit passionirt oder eingenommen, welches denn auch gar nicht zu tadeln ist.

Da nahm er denn gegen Abend oftmals eine Kaufmannskleidung, um zu sehen, wie Recht und Gerechtigkeit gehandhabt würde. Sein erster Minister oder Großvezier, der Glassar hieß, und ein recht tüchtiger Mann scheint gewesen zu sein, und der Oberkammerherr, der Mesrone genannt ward; mußten ebenfalls mit, weil er es haben wollte, und zwar ebenfalls verkleidet. Sie wären wohl manchesmal gern zu Hause geblieben, weil sie des Tags über zu sprechen, schreiben rennen und laufen genug hatten; aber der Khalif wollt' es einmal so haben. So geschah es denn auch, weil er ein Khalif war.

Da kamen denn dem Khalifen in seiner Hof- und Lagerstadt, Bagdad, zuweilen gar seltsamliche Dinge vor.

Einmal kam der Herr Khalif über eine große lange Brücke, an deren Ende ein armer und schon alter blinder Mann saß, der um eine Gabe bat. Der Khalif, der von seinen Unterthanen Geld genug bekommen konnte, gibt ihm, ohne weiter zu untersuchen, ein Goldstück in die Hand. Aber der Blinde faßt nun den Khalifen bei der Hand, und faßt ihn fest.

»Großmüthiger Wohlthäter« sagt er – denn daß er ein Goldstück empfangen hatte, hatte er herausgerochen, oder doch heraus gefühlt – »Großmüthiger Wohlthäter! gebt mir doch ein oder zwei Maulschellen, aber tüchtige, sonst nehm' und mag ich euer Goldstück nicht!«

Der Kalif war, wie Ihr leicht denken könnt, ein gar barmherziger und gnädiger Mann! Ein bischen Aufhängen, Spießen und Kopfabschneiden lassen, das kam freilich alle Tage vor, aber einem Manne ohne Noth eine Ohrfeige geben, und sich damit noch bemühen, das ziemte sich nicht für einen Khalifen. – Er gab ihm einen leichten, ganz leichten Backenstreich! – Aber er wollte doch den närrischen Kauz, der Goldstücke nicht ohne Ohrfeigen haben wollte, näher kennen lernen, und befahl dem Wessir Staffar, dem Blinden zu sagen, wer er sei – – denn das konnte er ja beileibe nicht selbst – – und ihm befehlen, morgen um die und die Stunde vor des Khalifen Thron zu erscheinen. Da kommt denn der blinde alte Mann zu gesetzter Zeit und Stunde, und streckte sich auf Bauch und Gesicht hin, obwohl er eigentlich kaum ein Gesicht mehr hatte, und mußte nun beichten und ansagen, warum er Almosen und zugleich Ohrfeigen von den Leuten erbettle; denn so etwas mußte der Khalif wissen. Da erzählte der Blinde denn also.

»Herr und Beherrscher der Gläubigen!«

Vater und Mutter waren beide gestorben, da ich noch ziemlich jung war, und hinterließen mir ein bischen Vermögen, das ich aber, wie andere junge Leute wohl gethan hätten, keineswegs durchbrachte, sondern, wie ich wußte und konnte, bestens zu vermehren suchte. Ich brachte es auch wirklich dahin, daß ich am Ende, ich selbst ganz allein, 80 Kameele besaß, die ich den Kaufleuten vermiethete, welche in Karawanen1 dahin und dorthin zogen, und womit ich ein gutes Stück Geld gewann.

Ich war nun wohlhabend genug geworden, aber ich wollte nun auch grundreich, grundreich werden, weil ich wohl schon geitzig geworden war. Ich hatte vielleicht schon zu viel, aber dennoch hatte ich noch nicht genug.

So komme ich denn einmal von Balsora mit den Kameelen, auf welchen ich Waaren für Indien (Hindostan) hingebracht hatte, ledig zurück. Da begegnete mir ein Derwisch (ein muhammedanischer Mönch, der sich vom Beten, und hauptsächlich vom Fasten ernährt) und wir sprechen denn mit einander, nehmen darauf unsern Mundvorrath, und essen im Schatten von ein Paar Dattelpalmen, die günstigerweise da standen, wobei wir denn dieß und das sprachen.

Im Gespräch sagt der Derwisch zu mir, er wisse hier, hier ganz in der Nähe einen Schatz, einen so großen Schatz, daß man, hätte man auch meine 80 Kameele von demselben beladen, nicht einmal einen Abgang bemerken würde. Der Schatz enthielte das reinste Gold und die kostbarsten Steine, und eine Menge der allerseltsamsten Seltenheiten. Ach! da wurde mir mein Herz weich, und ich fiel dem herzguten Derwisch um den Hals, und bat ihn mit lieben Worten, die Herrlichkeiten mir, nur zu zeigen. Und, wenn er nun recht hochgütig sein wolle, so könnten wir ja die 80 Kameele mit Gold und köstlichem Gestein beladen und theilen! Er solle 40 Kameele mit ihren Ladungen haben, und ich die andern 40 auch beladen. So hätte er ja dann doch viel, viel mehr, als er allein für seine Person, in Sack und Tasche fortbringen könne! Und alsdann könne er den Armen viel Gutes thun, und den Armen große, große Freude machen, und sich eine Stufe, eine recht hohe Stufe im Himmel bauen, und ich wollt es ihm ewig danken.

Der Derwisch hörte mir recht nachdenklich und bedächtig zu.

»Mein Bruder! sagte der Derwisch zu mir, Euer Wille möge geschehen! Ich selbst, wie Ihr wißt, bedarf des Gutes und Geldes nur wenig; aber ich will mir bei Euch einen Dank verdienen. Kommt, und führt Eure Kameele mit; sie sollen alle beladen werden! – Folgt mir!«

Ich folgte dem Derwisch mit den Kameelen, und wir kamen nach kurzer Zeit an ein geräumiges Thal, ringsum von hohen Felsen umgeben. Nur durch eine recht enge Schlucht konnte man in das Thal kommen, und meine Kameele mußten allesammt einzeln durch die Schlucht geführt werden.

Das Thal war wunderherrlich und wunderschön! Und als die Kameele alle hinein, und an einen gewissen Ort gekommen waren, sagte der Derwisch, »nun haltet an! Laßt sich, damit wir Zeit ersparen, die Thiere auf die Knie legen! (Im Morgenlande muß ja Alles auf Bauch und Knie liegen, um recht sklavisch und demüthig zu sein – selbst die armen Kameele). Wir können sie dann sogleich beladen. Gebt Acht! und thut dann das Eurige!«

Ei! ich gab schon Acht, denn nach den Schätzen war ich begierig! Er las etwas trocknes Holz zusammen, und machte mit Stahl und Stein Feuer an! Dann nahm er Räucherwerk, und legte es auf die hervorbrechenden Flammen, indem er murmelnd Worte dazu sprach, von welchen ich jedoch kein Wort verstand. Darin mochte wohl seine Kunst bestehen! – Er zertheilte jetzt den Rauch der Flamme, mit murmelnden Worten, und in demselben Augenblick zertheilte und zerspaltete sich auch ein himmelhoher, senkrechter Felsen, und es erschien eine große breite Pforte, obwohl ich vorher den kleinsten Ritz, oder die kleinste Klinze nicht gesehen hatte. Die Pforte war ganz aus demselben Felsen gemacht!

Wir gingen durch die Pforte in eine große, sehr, sehr geräumige Höhle ein, in welcher ein herrlicher unterirdischer Pallast war, den wohl die Erdgeister mochten gebauet haben, denn Menschenhände hätten so etwas gewiß nicht bauen können. O! ich wollte, ich hätte mir alles recht sehr angesehen, aber ich konnte ja nicht, denn ich sahe nur nach den großen, großen Goldhaufen, und nach der unzähligen Menge von Kleinodien, und meine Augen wurden verblendet, weil es mein Herz schon war. Ich weiß nur noch, daß die Schätze in ihren Säcken so geordnet und auf einander gelegt waren, als hätte aller Raum, und selbst der kleinste erspart werden sollen.

Wir nahmen die Säcke und beladeten die Kameele damit, und ich hätte gern dreimal so viel auf meinen Theil Kameele geladen, hätten sie es nur zu tragen vermocht. O Beherrscher der Gläubigen, ich gestehe es, daß ich den ganzen unterirdischen Schatz gern, ach wie gern, gehabt hätte. – Aber dazu wären vielleicht statt meiner 80 Kameele, 80,000 erforderlich gewesen.

Der Derwisch griff mehr nach dem edeln Gestein, und sagte mir weswegen und warum? – Und da that ich es ihm freilich nach! Denn ich begriff bald, daß ein einziger Stein wohl mehr werth seyn könne, als zehntausend Goldstücke!

Endlich denn waren wir mit Aussuchen und Aufladen auf die Kameele fertig, und es war denn wohl Zeit, wieder von hinnen zu ziehen. Aber mein Derwisch suchte und suchte unter den Kostbarkeiten, mit großer Sorgfalt, und nahm zuletzt eine wunderherrlich gedrehte Büchse, die er mit großer Bedachtsamkeit und Vorsicht in die Busenfalten seines Gewandes verbarg, nachdem er mir vorher gezeigt hatte, es sei nichts drinnen, als ein bischen Pommade, oder Salbe.

Nachdem Alles geschehen und herausgeholt war, schloß der Derwisch, unter eben so wunderlichem Murmeln und Zeremonien, die große Pforte wieder. Sie klaffte zu, und der Fels war gerade so Fels, wie zuvor! Niemand konnte eine Oeffnung sehen!

Nun theilten wir! Vierzig Kameele nahm der Derwisch, und vierzig nahm ich, und ich war wohl reicher als mancher Fürst des Morgenlandes, Euch ausgenommen, Beherrscher der Gläubigen. Die Büchse, die der Derwisch nahm, war von einem mir ganz unbekannten Holze, und enthielt eine dickliche Salbe, die keinen Geruch zu haben schien.

Unsere Kameele trieben wir nun, eins nach dem andern, zur Thalschlucht hinaus, und ich führte meine vierzig fort, nach Bagdad zu, der Derwisch aber trieb seine vierzig nach Balsora zu. – Wir sagten uns Lebewohl!

Kaum daß er einige hundert Schritt weit fort war, da kamen die bösen Geister des Geitzes, der Habgier, der Undankbarkeit und des Neides und überfielen mich gewaltig. Vierzig Kameele, und mit solchen Schätzen beladen, sollte ich hergeben? Und was will denn ein Derwisch mit solchen Schätzen? Und dieser zumal? Er ist ja Herr und Meister von allen den unterirdischen Kostbarkeiten, die in dem Felsenpalaste verschlossen sind, und kann sich davon nehmen, so viel ihm beliebt. Nein er muß hergeben, im Guten oder Bösen!

»Heda! Halloh! Haltet! mein Bruder,« schrie ich ihm nach, indem ich zugleich ihm nachrannte. Er hörte mich und hielt.

»Mein Bruder, sagte ich, ich habe nicht bedacht, daß die Kameele sehr widerspenstige, störrige Thiere sind, wenn sie einmal ihren Kopf aufsetzen, und Ihr seid des Handwerks ganz ungewohnt, solche Bestien zu regieren. Ich fürchte, Ihr sollt mit dreißigen derselben noch Noth über Noth haben, und gäbt mir noch zehen ab. Ich verstehe, wie man ihren Eigensinn behandeln muß. Glaubt mirs doch mein Bruder, ich thue den Vorschlag fürwahr nur zu Eurem Besten!«

»Ich glaube selbst, erwiederte er ruhig, daß Ihr Recht habt, mein Bruder. Nehmt Euch in Gottes Namen noch zehn Kameele, und thut den Armen und Nothleidenden nur Gutes davon, denn dazu habe ich das Gut bestimmt gehabt!«

Ich wählte mir zehn Kameele aus, und da ich sahe, daß der Derwisch so gar keine Schwierigkeiten machte, wurde ich gieriger – nein gieriger nicht, denn ich war schon so gierig, daß ich es mehr nicht werden konnte – aber dreister, frecher.

Anstatt dem gutmüthigen Mann für sein reiches Geschenk zu danken, sagte ich: »Mein lieber Bruder, da ich es so gut mit Euch meine, so geb ich Euch zu bedenken, wie viel Noth Ihr auch wohl noch mit dreißig Kameelen haben möchtet; ich glaube es ist gut für Euch, wenn ich Euch noch zehen abnehme!«

»Ihr könnt Recht haben, erwiederte er. Nehmt, und thut Gutes davon!« Ach Beherrscher der Gläubigen, verzeiht! Ich war wie ein Wassersüchtiger; je mehr er trinkt, desto mehr Durst hat er. Mit tausend Vorstellungen, mit Bitten und Flehen, mit Ungestüm, forderte ich von den 20 Kameelen des Derwisches noch zehen, und erhielt sie ebenfalls, mit der Mahnung, daß ich nur einen guten Gebrauch davon machen möchte, und bedenken, daß uns Gott alle Reichthümer recht leicht wieder nehmen könne, wenn wir sie nicht menschenfreundlich anwenden, sondern habgierig behalten wollten.

O! da gelobte ich ihm mit heiligen Betheuerungen den besten Gebrauch zu machen, umarmte und küßte ihn, und bettelte ihm die letzten zehn Kameele mit vielen Worten und Schmeicheleien noch ab.

»Ihr fodert doch vielleicht ein wenig zu viel, mein Bruder, sagte er, indessen ich mache aus Reichthum mir nicht viel, denn Gott bescheert jeden Tag, was der Tag bedarf. Nehmt meinethalben denn auch die letzten zehen Kameele immer noch hin. Gedenkt meiner Ermahnungen, und Gott bewahre euer Herz vor Habgier und Geitz!«

»Sprich nur, dacht ich, du hast gewiß gut sprechen, und giebst nur darum so leicht her, weil du in der Büchse die Mittel hast, zehntausendmal mehr in jedem Augenblick zu bekommen, als die achtzig Kameelladungen betragen. Denn warum hättest du sonst die Büchse so sorgfältig gesucht, und so behutsam im Busen aufbewahrt? – Halt! die Büchse muß auch mein sein, mit Güte oder Gewalt,« so flüsterte der böse Geist mir es ein, und gewiß hätte ich Gewalt gebraucht, da ich viel stärker war als er. Aber ich kannte den Gebrauch der Büchse nicht.

Ich dankte dem Derwisch, den ich küssend zärtlich umarmte. »Gott wolle Euch, sagte ich, Eure Güte und Großmuth hunderttausendfältig vergelten. Aber, mein Bruder, ich bin wißbegierig. Sagt mir doch, was hat es für Bewandtniß mit dem seltsamen Holzbüchschen, und mit der Salbe darin? – Und ich möchte Euch wohl gar inständigst bitten, mir das Büchschen auch noch zu schenken, denn weil ihr doch einmal allen Eitelkeiten und Tand der Welt als Derwisch entsagt habt, was wollt Ihr mit der Salbe im Büchschen?«

Der Derwisch machte gar keine Umstände. Er zog das Büchschen hervor, und gab es mir. »Da habt Ihr es, sagte er mit herzlichster Gutmüthigkeit, ich kann es schon auch entbehren, und ich möchte gern, daß Ihr ganz zufrieden von mir ginget! Da habt Ihr es, mit gutem Willen, und hätte ich noch mehr, so wollt ich es gern Euch auch noch geben. Aber Ihr wißt, ich habe nun nichts mehr, als was ich zuvor hatte, ehe wir in die Felshöhle gingen.«

»Mein Derwisch! mein Bruder! mein Schutzengel! sagte ich, nun mache das Maaß Deiner Wohlthaten voll, und lehre mich, wie man die Salbe, die gewiß, wie ich wohl merke, sehr geheimnißvoller Art sein wird, anwenden muß?«

»Streich ein wenig, war seine Antwort, von dieser Salbe auf das Lied des linken Auges, und du wirst alle Schätze und Herrlichkeiten unter der Erde sehen, wie sie in ihren Höhlen und Klüften flimmernd und funkelnd da liegen. Aber streiche nie, ich bitte dich, etwas davon auf das rechte Augenlied!«

»Warum nicht?« fragte ich!

»Weil du dann blind wirst!« antwortete er.

»Ohoh! du verheelst dein bestes Geheimniß, wie ich wohl merke, dachte ich; und weil er doch die Sache am besten verstehen mußte, so ersuchte ich ihn, indem ich das linke obere Augenlied zumachte, mir etwas Salbe darauf zu streichen. Das that er gern. Und als ich das Auge aufmachte, da sah ich alle Schätze unter der Erde, in ihren weiten und großen Höhlen, in ihren Schluchten und Klüften, Gold und Kleinodien, flimmernd, funkelnd, strahlend, glinzernd. Alles wunderherrlich und unbeschreiblich durch einander. Ich vergaß auch Alles darüber, aber ich kam denn doch wieder zu mir selbst.«

»Hoh! hoh! mein Derwisch, sagte ich zu mir selbst, mich führst du nicht an! Ich merke alles! Gewiß, o! ganz gewiß! bestreiche ich das rechte Augenlied mit der Salbe, so ist es das Mittel, alle diese Schätze zu überkommen. Mit dem einen Auge sieht man wo sie liegen, und mit dem andern erlangt man sie, wenn die Salbe recht darauf gestrichen ist.«

»Mein Bruder! bat ich, bestreicht mir immer das rechte Augenlied ein bischen mit der Salbe; ich denke, mir soll es nicht schaden!«

»Nicht schaden? Ach Gott! Ihr wißt ja, was ich Euch habe gesagt!« Es half nichts, daß der brave Mann mir so herzlich zuredete. Es half nichts! Und da er mir so viele Vorstellungen und Ermahnungen, im Hin- und Herreden gab, ergriff ich ihn beim Kragen, heftig und wild, und sagte:

»Ich will dich abwürgen, du Racker, wenn du meinen Willen nicht thust!«

»O! du mein Gott! sagte er seufzend; ich will ihn thun, weil du es mit aller Gewalt haben willst; aber der Geiz hat dich verblendet, und darum wirst du blind werden.« – »Schwatze nur, dacht ich – es wird eben die Salbe blind machen, mit welcher man so viel sehen kann – so dacht ich,« und ließ mir von ihm das rechte Augenlied bestreichen, was er mit Thränen und Jammern that!

Ach! Beherrscher der Gläubigen, als ich meine Augen nun aufschlug, sahe ich Finsterniß, dichte, dunkle Finsterniß, und also sah ich gar nichts, und war blind! blind!

»O Derwisch! mein herz, herzlieber Bruder, sagt' ich, macht mich wieder sehend! Ihr kennt ja die Geheimnisse der Natur, und wißt so viel!«

»Gott allein kann das nur, den Ihr darum anrufen müßt; ich kann es nicht!« war seine Antwort. Ach, auf all mein Bitten erwiederte er: »ich kann es nicht, ich habs Euch vorausgesagt! – Ihr habt mich ja mit Gewalt gezwungen, obwohl ich Euch brüderlich abmahnte. Nun kann ich nichts mehr ändern!«

So bat ich ihn denn, herzlichst, inständigst, mich mitzunehmen, bis ich durch eine Karawane nach Bagdad kommen könnte; denn wo man her ist, da will man ja immer wieder hin!

Barmherziger Gott! Er überließ mich meinem Schicksale, nahm seine Büchse, und trieb die Kameele mit ihren reichen Ladungen fort. Ich wandelte in der Irre, und wußte nicht, wo Kraut, Staude oder Baum stand! Ach ich konnte nicht sehen!

Aber Gott fügt Alles, und macht auch die harten Menschenherzen weich, und mitleidig, und barmherzig. Es kam eine Karawane, die nach Bagdad zog, und mich mitnahm. Ich nahm mir nun vor, weil mir nichts übrig blieb, auf der Brücke des Tigris zu betteln, aber jeden Geber um eine Ohrfeige anzusprechen, um meine Schuld zu sühnen!

O Beherrscher der Gläubigen, weil ich verblendet war, bin ich blind geworden. – Dieß ist meine Geschichte.

»Du hast groß, groß Unrecht gethan, Alibaba, sagte der Khalif, und bist allerdings blind geworden, weil du so verblendet warst. Bitte doch Gott immerdar um Verzeihung! Indessen sollst du nicht betteln, denn betteln ziemt sich für keinen Muselmann. – Du sollst von meinem Schatzmeister täglich vier Silberdrachmen empfangen, welche für deine Erhaltung hinreichend sein werden. Melde dich bei ihm! Du bist entlassen!«

Fußnoten

1 Eine Menge Kaufleute im Morgenlande, wo es nicht Landstraßen noch Frachtfuhren gibt, sammeln sich an bestimmten Orten, laden ihre Waaren auf Kameele, ziehen durch große Sandwüsten, und können sich nun, da ihrer oft tausend sind, einander unterstützen und gegen Räuber schützen.

Der gestiefelte Kater.

◉Der gestiefelte Kater.

Ein Müller starb und hinterließ seinen drei Söhnen eine kleine Mühle, einen tüchtigen Esel, und einen Kater.

Bisher hatten die Brüder recht einträchtig und brüderlich beisammen gelebt; aber da es auf Mein und Dein ankam, da ging es, wie es oft in der Welt zu gehen pflegt, sie wurden uneins und recht unbrüderlich. Jeder wollte das Beste haben. Indessen die beiden ältern Brüder vereinigten sich und sagten, wir wollen den Esel und die Mühle gemeinschaftlich behalten; der Eine mahlt, und der andere bringt die gefüllten Korn- und Mehlsäcke her und hin, und Gürge, der Jüngste, soll den Kater haben, und wir wollen ihm noch einige Groschen Geld dazu geben, nebst vielen Versprechungen, damit er nicht etwa uns beim Gerichtsschreiber verklagt.

Gürge nahm den Kater seufzend an. Daß ihm groß Unrecht geschehe, wußte er wohl, aber die Brüder wollte er nicht verklagen! Und ein bischen dumm war er auch, und ließ sich denn also bereden!

Da saß er in einem Kämmerchen, in welchem nichts war als 2 Holzschemel; auf dem einen saß er, auf dem andern der Kater, Gürge saß und seufzte vor sich hin: »Was fang ich nun an? die paar Groschen werden bald verzehrt sein, und dann muß ich Hungers sterben! Ja! wenn ich Ratten und Mäuse fangen könnte, wie der Kater, da möchte es noch gehen, aber ich glaube, ich könnte sie vor Ekel nicht hinterbringen. Ach du lieber Gott, wie wird mir es gehen!«

Mit vieler Verständigkeit hatte der Kater auf seinem Schemel zugehört, und fing nun gar ernsthaft und gesetzt an zu seinem Herrn zu sprechen1.

»Herr Gürge! Dir bin ich immer guter gewesen, als den andern beiden. Du hast mich nie geschlagen, aber oft auf deinen Schooß genommen und hinter dem warmen Ofen gestreichelt, und mir oftmals einen guten Leckerbissen gegeben. Ein hübscher Bursche bist du dazu! Verzage nicht! Ich will dir schon helfen! Nur mußt du mir ein Paar Stiefelchen für meine Hinterbeine machen lassen, und einen Ranzen, wo etwa ein Kaninchen oder ein Paar Rebhühnchen hineingehn.«

Der arme Gürge rechnete zwar nicht so gewaltig viel auf des Katers Verheißungen, aber, weil er so listig im Kaninchen-, Vögel- und Mäusefang war, so dachte er, wer weiß? – – Kurz der Kater bekam ein Paar Stiefelchen, und einen kleinen Jagdranzen.

Der Kater zog seine Stiefeln an, und nahm den Ranzen um, in welchen er Kohl und Kleie gesteckt hatte. So zog er auf einen Berg, wo viele wilde Kaninchen ihre Baue und Höhlen hatten. Da streckt er sich mit Katzenlist neben dem Ranzen so aus, als wäre er mausetodt. Es dauert nicht lange, da kommt ein Kaninchen, schnuppert nach dem Kohl und nach der Kleie, und kriecht in den Ranzen; der Kater hält es fest, und erwürgt es mit dem Riemen des Ranzen; denn todtheißen wollte er es nicht. Ihr werdet selbst gleich errathen, warum nicht!

Es war dazumal der Herr König krank gewesen, und hatte ein absonderliches Gelüst, oder Verlangen nach wilden Kaninchen, welches sein Leibessen war, und selbst der Herr Oberlandjägermeister, der wohl an tausend Jäger unter sich hatte, konnte doch kein wildes Kaninchen schaffen. Da ward der König sehr zornig und grimmig, und schrie: »schafft wildes Kaninchen, oder es wird nicht gut!«

Das wußte der Kater, aber wie er es erfahren hatte, hat er keinem gesagt. So kann ich es denn nicht wieder sagen. Indessen, des Königs Hof lag nahe!

Genug, der Kater trug sein wildes Kaninchen an den Hof, und weil er so schön gestiefelt war, wurde er sogleich vor den König gelassen, brachte seine Worte an, und sagte: der Herr Graf Carabas, der von dem Appetit Seiner Majestät zu hören die hohe Gnade gehabt hätte, ließen Höchstdenselben dieses unterthänige Kaninchen behändigen, und sich in allerunterthänigster Unterthänigkeit zu Allerhöchst Majestät Gnaden empfehlen.

»Das ist ein artiger, höflicher, ein sehr lieber Mann, dachte der König; wer muß er denn nur sein?« Aber er fragte jedoch nicht darnach, weil sich das für ihn nicht schickte! denn er war ja ein König! Aber mit allergnädigster Höflichkeit ließ er ihm danken.

Dann bekam der König einen Gelust nach Rebhühnern, aber es konnten wieder keine geschafft werden, weil keine da waren. – Und der König ward abermals sehr zornig und grimmig. Stiefelkater, der das Alles wußte, fing glücklich zwei Rebhühner, die er lieber gern selbst gefressen hätte; indessen trug er sie, im Namen des Herrn Grafen Carabas zum Könige, und empfing einen sehr großen Dank für seinen Herrn, und ein Goldstück für sich zum Trinkgeld – das gab er aber dem Gürgen, weil es keine Maus war.

Und so fuhr der Kater von Zeit zu Zeit fort, Wildpret mancherlei Art, welches gerade in der Hofküche nicht vorhanden war, dem Könige im Namen des Grafen Carabas zu überbringen, und der König gewann den Grafen immer lieber, und sagte: »es ist ein scharmanter Mann.« Aber freilich er kannte ihn nicht weiter, und wenn nicht der Kater immer für frisches Wild gesorgt hätte, würde der Graf bald sein vergessen worden, denn so gehört es sich für hohe Personen.

Der König fuhr mit der Prinzessin Tochter, die wunderschön war, wie es alle Prinzessinnen sind, ein wenig spazieren, aber der Kater wußte Alles. »Nun! sagte er zu dem Gürgen, soll dein Glück noch heute gemacht sein, wenn du mir folgen willst.«

Gürge nickte; und der Kater rieth ihm an, an der und der Stelle eines Flusses zu baden, und seine alten Lumpenkleider sorgfältig unter der Brücke, die über den Fluß ging, zu verbergen. Gürge that es, und badete sich, und wusch sich recht rein! Der Kater blieb aber bei ihm, und ermahnte ihn zuvor, sich nur ganz dreist für den Grafen Carabas auszugeben, und recht vornehm zu thun, eben dadurch, daß er recht dreist thäte. Gürge versprach es, und war ja auch dummdreist genug!

Indem kam der König mit der Prinzessin gefahren, und der Kater schrie aus voller Kehle: »Hülfe! Hülfe! Hülfe! Der Herr Graf von Carabas ersäuft, und die Kleider hat man ihm auch gestohlen! Hülfe!«

Der König erkannte sogleich den wohlbekannten Kater, ließ halten, und durch seine Leibwache den Herrn Grafen aus dem Wasser ziehen, ließ ihn dann aus seiner Garderobe, die er eben sowohl als seine Mundküche auf einigen Rüstwagen hinter sich her fahren ließ, wenn ihm etwa sein Kleid nicht gefiel, oder eine kleine Eßlust anwandelte, – ja! er ließ den Grafen aus dem Fluß ziehn, und in köstliche goldtressene Kleider kleiden, in welchen er sich gar herrlich ausnahm, und hübscher aussahe, als die hübschesten Herren an Hofe.

Er mußte in des Königs Wagen steigen, und gefiel der Prinzessin ausnehmend sehr, und sie hätte ihn sich gleich zum Gemahl erkohren, hätte sie nur gewußt, ob er auch reich genug wäre, denn daß er hübsch genug war, sahe sie wohl. Aber für Prinzessinnen, die keine Königreiche und Fürstenthümer erheirathen, schickt es sich gar nicht Grafen zu heirathen, wenn sie nicht grundunmenschlich reich sind. Die Prinzessin war von ihrer Oberhofmeisterin hinlänglich gehofmeistert und unterrichtet, um zu wissen, daß es auch recht armselige Grafen gäbe, die oft nicht einen Bissen Brod mit Ehren essen könnten, sondern nur auf Borg. Sie wußte sogar, weil sie in der Geschichte gar hochgelahrt war, daß in uralten Zeiten in Italien einmal funfzehn Marquis sogar, die die Nasen noch höher tragen, als ein gemeiner Graf, auf einem Apfelbaum saßen, und mit gesunden aber allzuhungrigen Magen sich um das Dutzend Aepfel zankten und prügelten, welches noch auf dem Baume hing. Ja! unsere Prinzessin war sehr klug! Das könnt Ihr glauben, wenn Ihr sonst wollt!

Nun machte der Kater seine Sachen. – Die Majestät fuhr in Dero Staatskutsche sehr majestätisch, und also sehr langsam, und nicht im Galopp, wie die heutigen Majestäten, wo bei einer Lustreise oft ein Paar Dutzend Pferde fallen. Da wars denn dem Stiefelkater sehr leicht vorweg zu laufen, und er kam an eine große, große Wiesen-Aue, wo an dem Wege zu beiden Seiten die Mäher das Gras mäheten!

»Hört ihr Burschen, sprach er, der König wird gleich kommen, und wenn ihr nicht sagt, daß diese große Aue dem Grafen Carabas gehört, so sollt ihr in zehntausend Millionen Kochstückchen gehauen werden. Das will ich euch in Güte sagen, ihr lieben Leutchen!«

Weiß nicht wie es kam, daß der Kater sich in so gewaltigen Respekt setzte, da doch die Mäher weder Ratten noch Mäuse waren. Jedoch als der König vorbei kam und fragte, wem denn die herrlichen Wiesen der Aue gehörten, sagten die Leute einmüthig: »dem Herrn Grafen von Carabas;« denn sie wollten nicht einmal gern in zehn, vier oder zwei Kochstückchen zerhauen werden, geschweige denn in zehntausend Millionen Kochstückchen, wo sie ja ganz zu Brei und Mus geworden wären! Nein, das wäre zu arg gewesen!

»Ihr habt an diesen Wiesen eine sehr reiche Besitzung, Herr Graf Carabas;« sagte der König. – »Ja, Ihro Majestät, antwortete dieser dreist, weil er in den herrlichen Kleidern schon vornehm geworden war, – ja Ihro Majestät, sie bringen mir freilich schon etwas ein.«

Stiefelkater war indessen schon wieder weit vorweg gegangen, und traf Schnitter auf einem weiten herrlichen Aehrenfelde, das wohl an zweihundert Hufen enthielt.

»Hört, ihr Bengels, sagte er, (denn er war, weil Alles glücklich gegangen war, ein bischen kühn, und selbst ein wenig vornehm geworden) der König wird bald vorbei kommen, und wenn ihr nicht ansagt, das ganze Feld, so weit die Augen reichen, gehöre dem Grafen Carabas, so sollt ihr in Gottesnamen an den Galgen kommen merkt es euch ihr Hunde!«

Das ist gewiß ein hochmögender Herr, dachten die Schnitter denn er spricht so wundersam liebreich und höflich. Als der König kam und fragte, wem diese unermeßlichen Kornfluren zuständig wären? sagten sie alle mit abgezogenem Hute: »Unserm Herrn Grafen Carabas!«

»Mein Gott! sprach der König; Herr Graf, Ihr seid ein überaus reicher Mann!« »Und Sie müssen ein außerordentliches Einkommen haben,« sagte die Prinzessin mit freundlich gnädigen Blicken.

»Ja meine Höchstgnädigen (solche Worte hatte Gürge vom Kater gelernt,) ja wohl, ich habe einige Ursache zufrieden zu sein!«

Der Hinz oder Kater mit den Stiefeln, war derweile schon wieder weit voraus, und kam in einen herrlichen Wald, wo die Holzhauer haueten, die herrlichsten Eichen und Buchen und Tannen. Da wo der Durchgang war, war der Wald kaum eine Stunde breit; aber links und rechts zog er sich in unermeßliche Entfernungen hin.

Der Kater kam, und sagte den Hauern: »in weniger Zeit kommt der König, und wenn ihr ihm nicht sagt, daß der ganze Wald, so weit man links und rechts gehen und sehen kann, dem Herrn Grafen von Carabas gehört, so sollt ihr sehen, ihr Hallunken, wie es euch soll ergehen!«

»Welch ein Wald! sagte der König, als er ankam; welch herrlicher Forst! Welche Hirsche, Rehe, wilde Schweine und anderes Wildpret müssen darin sein? Und wie unermeßlich weit dehnen sich die Waldungen aus. – Wem gehören sie denn?« ließ er fragen. Die Antwort war immer: »dem Herrn Grafen von Carabas.«

»Mein schätzbarer Herr Graf, Sie sind ein beneidenswerther Mann!« sagte der König, und seine Hochachtung stieg immer mehr, als er nun auch die Seen, Teiche, Weiher, u.s.w. sahe, die dem Herrn Grafen gehörten – denn daß sie ihm gehörten, dafür hatte der Kater schon vorauslaufend gesorgt! – und die Prinzessin sah ihn immer liebreicher und gütiger an.

Zuletzt kam der Kater in ein herrliches Schloß mit herrlichen Gärten, Springbrunnen und allen Prächtigkeiten umgeben, und inwendig flimmerte Alles von Gold, Silber und Edelstein. Das Schloß gehörte aber einem Popanz, der nicht sowohl grausam, als hochmüthig, und ein gewaltiger Zauberer war.