Das Buch - Josef Köhler - E-Book

Das Buch E-Book

Josef Kohler

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Beschreibung

Über dieses Buch: Im Jahr 2015 gründeten Stefan Wolf und Josef Köhler für die Peter Gläsel Stiftung in Detmold eine Grundschule mit einem neuen Bildungsmodell. Wie kommen ein Künstler und ein Pfarrer auf so eine Idee? Das vorliegende Buch beschreibt im ersten und dritten Teil ihre Erkenntnisse auf dem Weg bis zur Schulgründung aus persönlicher Perspektive. Wie wird aus Kunst eine Bildungskunst? Wie wird aus Bildungskunst ein neues Bildungsmodell - PRRITTI. Warum sind Zugehörigkeit, Autonomie und Anerkennung so wichtig für die Gestaltung unseres Lebens? Stefan Wolf und Josef Köhler werfen einen konstruktiv-kritischen Blick auf unsere Gesellschaft und stellen eindrucksvoll dar, warum aus ihrer Sicht künstlerisch-kulturelle Bildung in das Zentrum von Bildung gehört. Im zweiten Teil des Buches beschreiben Wolf und Köhler in einem Interview, wie Bildungsprozesse in der Peter Gläsel Schule umgesetzt werden. In dieser Grundschule sind Kinder Gestalter ihrer eigenen Lernwege und Bildungsprozesse und werden von den Lernbegleitern dabei unterstützt. Die Schule setzt auf die Bedeutung von künstlerisch-kultureller Bildung und Gestaltungsfähigkeit für das Lernen von Morgen. Sie realisiert schon jetzt den interdisziplinären Ansatz, den zum Beispiel die finnische Bildungspolitik einführen will und erweitert ihn durch ein eigenes und weltweit einzigartiges Bildungsmodell - PRRITTI.

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Über dieses Buch:

Im Jahr 2015 gründeten Stefan Wolf und Josef Köhler für die Peter Gläsel Stiftung in Detmold eine Grundschule mit einem neuen Bildungsmodell. Wie kommen ein Künstler und ein Pfarrer auf so eine Idee? Das vorliegende Buch beschreibt im ersten und dritten Teil ihre Erkenntnisse auf dem Weg bis zur Schulgründung aus persönlicher Perspektive. Wie wird aus Kunst eine Bildungskunst? Wie wird aus Bildungskunst ein neues Bildungsmodell – PRRITTI®? Warum sind Zugehörigkeit, Autonomie und Anerkennung so wichtig für die Gestaltung unseres Lebens?

Stefan Wolf und Josef Köhler werfen einen konstruktivkritischen Blick auf unsere Gesellschaft und stellen eindrucksvoll dar, warum aus ihrer Sicht künstlerisch-kulturelle Bildung in das Zentrum von Bildung gehört.

Im zweiten Teil des Buches beschreiben Wolf und Köhler in einem Interview, wie Bildungsprozesse in der Peter Gläsel Schule umgesetzt werden. In dieser Grundschule sind Kinder Gestalter ihrer eigenen Lernwege und Bildungsprozesse und werden von den Lernbegleitern dabei unterstützt. Die Schule setzt auf die Bedeutung von künstlerisch-kultureller Bildung und Gestaltungsfähigkeit für das Lernen von Morgen. Sie realisiert schon jetzt den interdisziplinären Ansatz, den zum Beispiel die finnische Bildungspolitik einführen will und erweitert ihn durch ein eigenes und weltweit einzigartiges Bildungsmodell – PRRITTI®.

Inhalt //

TEIL EINS//

Vorwort

Oder: Was sich in der Gesellschaft ändern muss

Einleitung

Oder: Warum ein Künstler eine Schule (mit)gründet

Partizipation

Oder: Wie sich dieses Thema durch das ProKids Institut in mein Leben geschlichen hat

Art Open

Oder: Wie eine Begegnung auf Mallorca meinen Blick auf die Kunst veränderte

mus-e / Yehudi Menuhin

Oder: Wie Kunst auf Schule traf

Bildungskunst

Oder: Wie all die Erfahrungen mich dazu brachten, ein Institut zu gründen

PRRITTI

®

– das Bildungsmodell

Oder: Wie Bildung gelingen kann

PRRITTI

®

– Die Bedeutung der Buchstaben

PRRITTI

®

– Verändertes Sinnsystem

PRRITTI

®

Lernbegleiter

Aus der Sicht eines früheren Künstlers und heutigen PRRITTI

®

-Bildungskünstlers

TEIL ZWEI // Das Interview

Wie kommen ein Pfarrer und ein Künstler dazu, eine Grundschule zu gründen?

TEIL EINS//

„Das Buch —

oder wie die Kunst zu Bildenzur Bildungskunst und zumPRRITTI®-Bildungsmodell führte“

JOSEF KÖHLER

1

„Wenn wir über Bildung sprechen, müssten wir darüber sprechen, wie diese Normalisierungsmächte in uns Menschen wirken. Wie wir unser Verhalten und letztlich unsere Haltung verändert haben.“

JOSEF KÖHLER

Vorwort//

Oder: Was sich in der Gesellschaft ändern muss

Ich verwende gerne das Bild von Mühlen, wenn ich über die Gesellschaft nachdenke. Erst wenn wir den Mühlen der Normalisierungsmächte zu nahe kommen, können wir deren wahren Kräfte und Auswirkungen verspüren. Dann hören wir die riesigen Mahlwerke, die unaufhörlich alles zu Mehl vermahlen. Wir würden darin ersticken, verwandelten wir es nicht in köstliches Brot. Der Meister in allem sind wir. Wir sind der Meister und Krabat in einer Person. Kein Entrinnen scheint uns möglich.

Ist das die Mikrophysik der Macht, über die Foucault in seinen Schriften ausgiebig Zeugnis ablegt? Sind wir längst gekettet an unsere eigenen Ideen von Recht und Freiheit? Haben wir die Normalität zum Wächter unserer selbst erhoben, der nun wirkungsmächtig darin für uns unterscheidet, was angemessen und normal ist und im Gegenteil unnormal bis verrückt oder krank? All das entscheidet, wer oder was dazugehört und was nicht.

Es ist überall gut zu beobachten, dass wir Menschen uns in jeder Zeit des Lebens diesen neuen Naturgewalten in jeglicher Weise unterwerfen, um in unserer Gesellschaft bestehen zu können. Es ist kaum möglich, sich den normativen Kräften und dem damit zum Beispiel verbundenen Reiz eines Apfels zu entziehen, der inzwischen auf fast jedem vierten Smartphone abgebildet ist. Dieses Zeichen steht in der „modernen Welt“ für individuelle Freiheit, Kreativität, unbegrenzte Ausdrucksmöglichkeit und vieles mehr. Was es gleichzeitig bewirkt, ist der Ausschluss der Öffentlichkeit in derselben. Es setzt eine neue Dimension von Gut und Böse in Gang, es nimmt sich den Anspruch, eine Elite zu repräsentieren. Wer dieses Symbol nicht verkörpert, hat sich selbst ins „off“ abgesetzt. Das ist heute normal und es ist leicht zu beobachten, wie diese „Normalisierungsinstrumente“ den gesamten Gesellschaftskörper längst erschlossen haben. Das führt zu Gesetzmäßigkeiten, die Zugehörigkeiten aus sich heraus definieren. Die Macht kommt aus dem „Machen“ ins System, auch das sollte Foucault gut beobachtet haben. Es sind die ganz kleinen Instrumente. Auch ich habe seit einiger Zeit diesen kleinen Apfel auf meinem Smartphone.

Wenn wir über Bildung sprechen, müssten wir darüber sprechen, wie diese Normalisierungsmächte in uns Menschen wirken. Wie wir unser Verhalten und letztlich unsere Haltung verändert haben. Wir sprechen darüber, wessen Bedürfnis wir befriedigen, wenn wir Instrumente bedienen, die wir uns nicht „wirklich aussuchen“ können. Die Zeichen bestimmen inzwischen die Zeit und beziehen sich auf Bedürfnisse, die sie selbst erzeugen. Sie werden in einer Omnipräsenz sichtbar und erreichbar gestaltet, sodass wir uns kaum entziehen können und mögen.

Bildung fängt mit der Zeugung an, oft nicht einmal aus Überzeugung und begleitet uns ein Leben lang. Im Leben angekommen, kommt es sicher darauf an, an welchem Ort der Welt wir das Licht des Lebens erblicken.

Normalisierungsmächte wirken inzwischen global. Der Unterschied macht sich in der Professionalität der Umsetzung bemerkbar. Während in noch vielen Ländern der Welt Bildung im westlich gemeinten und gemessenen Sinne gar nicht oder nur sehr selten beispielsweise in Form von Schulen stattfindet, sind wir in Deutschland und den europäischen Ländern nahezu flächendeckend mit diesen Einrichtungen versorgt. Die Bildungsunterschiede dieser Länder werden permanent dokumentiert und diskutiert. Was hier für normal und selbstverständlich gehalten wird, ist anderswo ungewohnt.

Bildung und Kunst, beide sind genauso in die Gefangenschaft ihrer Wächter geraten. In diesem Buch wollen wir sie zu Verbündeten machen, die sich aus dieser Gefangenschaft befreien und ihre Zuneigung füreinander entdecken. Ich versuche, mit diesem Buch anhand meiner eigenen Beobachtungen und Erlebnisse auf einfache Weise zu erzählen, wie wir uns aus dem Dilemma unserer selbst gewählten Gefangenschaften wieder befreien können. Wie wir mit den uns umgebenden, mächtigen Mahlwerken und den kleinen, aber wirkungsmächtigen Taschenspielereien mit dem Apfel einen Umgang finden. Wie wir mit, aber auch ohne ihn eine Gesellschaft aufbauen, in der Individualität in Gemeinschaft im globalen Verständnis möglich ist.

Sicher ist das „alles nicht so einfach“. Es ist vielleicht eine Art Goldsuche. Vielleicht heben wir einige Kategorien einfach auf, indem wir die Goldsuche nicht mehr auf Flüsse und Höhlen beschränken.

2

„In ihr vereinen sich alle sichtbaren und unsichtbaren Zeichen und Botschaften, jeder Kodex, alle Geheimnisse und Errungenschaften der Menschen und ihrer Kulturgeschichte. Was also könnte kulturelle Bildung sein als die Bildung selbst?“

JOSEF KÖHLER

Einleitung//

Oder: Warum ein Künstler eine Schule (mit)gründet

Ich habe erst mit Mitte vierzig eine erste, ganz klare Vorstellung davon entwickelt, wie wir in dieser Gesellschaft leben könnten, wie ich es mir erträume. Es war ein Zeitraum, in dem mehrere Ereignisse parallel passierten. Eine Freundin von mir, Margret Rasfeld, wurde aus dem Ruhrgebiet nach Berlin berufen, um dort eine Schule zu leiten, die heute wohl zu den interessantesten Schulen in ganz Europa gehört. Außerdem ging meine Zeit als Künstlerischer Berater und Entwickler neuer Gedanken und neuer Projekte der Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland dem Ende zu, ohne dass ich davon zu dieser Zeit wusste. Bis dahin waren wir als Mitarbeiter dieser Stiftung stolz darauf, eines der größten künstlerischen Programme in Europa mitgestalten zu dürfen. Wir hatten es geschafft, in Deutschland in elf Bundesländern mehr als 20.000 Kinder mit Kunst und Künstlern in Berührung zu bringen. Viele Kinder erzählen heute noch, dass sich in dieser Berührung und diesen Begegnungen ihre Welt für sie verändert hat.

Das mus-e-Programm schuf innerhalb vieler Schulen Freiräume für Kinderträume. Es gab keine Noten und Kinder hatten die Möglichkeiten, sich selbst zu erfahren. Yehudi Menuhin, wohl einer der bedeutsamsten Geiger in unserem Jahrhundert, war der Begründer von mus-e. Es gibt mus-e in vierzehn europäischen Ländern. Immer geht es um die Begegnung zwischen Künstler und Kindern und das gemeinsame Schaffen in den Bereichen Musik, Tanz, Bildende Kunst und Theater. Menuhin sagte immer wieder, „dass Kinder erst musizieren, tanzen, malen und spielen sollen, alles andere würde folgen.“ Gemeint waren Mathematik, Deutsch, alles andere eben.

Das war inzwischen auch zu meiner festen Überzeugung geworden. Ich hatte viele Begegnungen zwischen Künstlern und Kindern in Schulen beobachten dürfen und kam zu dem Eindruck, dass Künstler und Kinder sich in Vielem ähnlich sind. Wie Kinder sind Künstler Entdecker neuer Welten, wie Künstler probieren Kinder immer wieder Neues aus. Spielen und auch Scheitern passiert im Alltag von Kindern und Künstlern permanent. Es geht in diesen Begegnungen oft darum, sich gegenseitig zu begeistern, ohne Absicht. Es liegt quasi in der Natur dieser Begegnungen. Genauso habe ich beobachtet, dass Künstler und Kinder in Schulen für persönliche Entfaltung alles andere als gute Voraussetzungen vorfinden. Und direkt möchte ich mit dem Vorurteil aufräumen, dass Künstler bessere Lehrer oder gar bessere Menschen oder per se sozialer sind. Sie haben in der Regel nur das Glück, ihrer Leidenschaft zu folgen oder folgen zu dürfen. Sie sind dem nahe, was sie tun wollen und nicht dem, was sie tun sollen. Das ist etwas, das jeder Mensch mit auf die Welt bringt und Nietzsche beschreibt es als den Willen zum Wissen. Ausnahmslos verfügt jeder Mensch über diesen Willen. Jeder kennt die Beharrlichkeit und Durchsetzungskraft von Kindern, wenn sie etwas wollen. Man braucht schon eine ganze Bildungsarmee, um diesen Willen systematisch zu brechen, um ihn dann in die Bahnen der Konformität, gleichgerichtet, angepasst und normiert zu lenken. Da haben die Künstler eben Glück: Von ihnen verlangt man geradezu das Gegenteil. Ein Leben in großer materieller Unsicherheit ist jedoch meistens der Preis.

„Jeder Mensch ist ein Künstler“, sagte Josef Beuys. Mensch heißt prinzipiell, Schöpfer sein zu dürfen, Schöpfer seiner eigenen Idee für diese Welt. Beuys sprach oft in diesem Zusammenhang von einer sozialen Plastik, jeder Mensch wird hierbei zum Mitgestalter des Zusammenlebens in dieser Welt.

Zurzeit sind wir weit weg von dieser Form des Mitgestaltens. Eher sind wir Opfer unserer Systeme geworden und vermögen uns nicht zu befreien, weil wir systemimmanent handeln oder funktionieren. Wir glauben nur, dass das, was wir denken und fühlen, unser eigen sei. Dem ist nicht so, denn wir haben uns an die Kette unserer eigenen Ideen geschmiedet, wie es Foucault so schön formuliert hat. Erst wenn wir wieder in der Lage sind, unabhängig zu denken, fühlen und handeln zu können, werden wir in der Lage sein, neues Denken und somit neues Lernen zu ermöglichen. Hierbei kann uns wahrscheinlich nur eine Disziplin helfen: die Kunst. Vielleicht nicht in ihrem originären Sinn, sondern in ihrer transformativen Kraft.

Von der Kunst wird in unserer gegenwärtigen Gesellschaft alles und nichts verlangt. Wenn wir uns diesen Tatbestand bewusst machen, ist die Kunst als Disziplin die abhängigste und gleichzeitig unabhängigste und – aus meiner Sicht – interessanteste Disziplin, die wir in unserer Gesellschaft finden können. Schnell entsteht an dieser Stelle wieder die Brücke zum Kind. Kind und Kunst sind und sollen frei und unabhängig sein. Wenn wir beide Seiten gleichermaßen beobachten, und das werden wir im Verlauf des Buches tun, werden wir erstaunliche Analogien finden und „das Geheimnis des Gelingens“ und die Chance für ein neues Lernen aus der Perspektive des Kindes und der Kunst herleiten können. Was macht mich so sicher? Wir können aus diesen Beobachtungen fundamentale Veränderungen einleiten mit der Tatsache, dass alle Menschen im Kern darüber einig sind: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Somit will kein Mensch von anderen Menschen unterdrückt werden, kein Mensch in armseligen und lebensgefährlichen Situationen leben müssen, die andere Menschen verursacht haben und vieles mehr. Solange die Habgier und nicht die Neugier der Menschen die Welt beherrscht und andere Menschen dadurch Leid und Tod erfahren, solange müssen wir an einer Gesellschaft arbeiten, die dies alles nicht mehr braucht und nötig hat. Ein Weg dorthin ist eine neue Bildung. Bildung in Freiheit und Unabhängigkeit, Bildung einer wirklich eigenen Idee von sich und einer menschenwürdigen Zukunft.

Wir brauchen viel Fantasie und eigene Bilder, um uns vorstellen zu können, was neue Bildung wirklich ermöglichen kann. Stellen wir uns einfach vor, dass es von heute auf morgen keine Armut mehr gäbe, keine Kriege, überhaupt keine Ungerechtigkeiten mehr, keine Schuld. Allein für die Vorstellung, es gäbe keine Schuld in der Welt, braucht es viel Fantasie. Um diese Gedanken nicht nur zuzulassen, sondern uns vorzustellen, was denn wäre, wenn es keine Schuld auf Erden gäbe. Ein Begriff, der seit vielen tausend Jahren, insbesondere durch das Christentum, das Innere des gläubigen Menschen durchdringt und beherrscht. Gäbe es also diesen Begriff nicht, was wäre dann an dieser Stelle? Eine Lücke aus lauter Nichts? Man braucht viel Fantasie, um sich den Umgang der Menschen untereinander ohne das Wörtchen Schuld vorzustellen. Wie viel Fantasie brauchen wir erst, um uns eine andere Bildung vorzustellen, eine Bildung, die ohne Unterdrückung und Ausgrenzung auskommt? Eine Bildung, die keine Schuldzuweisung kennt, eine Bildung, die mit Freude und Lust zum Weitermachen anspornt. Und wie viel Fantasie braucht es, sich eine ganze Gesellschaft vorzustellen, die durch diese schon schwer vorstellbare Bildung ein Leben führt, wie wir es als Kinder einmal gelebt haben.

Vom Schlaraffenland war da die Rede, dort ging es allen prächtig. Was müssten wir dafür tun, um diese Pracht für alle Menschen zu ermöglichen? Wie könnten wir eine Welt von morgen anstimmen, wie einen Chor, der in aller Pracht klingt? Ich denke, wir sprechen an dieser Stelle neben der Fantasie einen der wichtigsten Rohstoffe des Menschen an, über den er neben der Fantasie in unbegrenztem Ausmaß verfügt. Es ist Kreativität, die ihn, neben seiner Fantasie, unermesslich reich machen kann, wenn er in der Lage ist, sie sinnvoll einzusetzen. Damit kann er jede Krise in der Welt in ein Schlaraffenland verwandeln.

Was der heutigen Bildung fehlt, ist einfach zu beschreiben. Es fehlt Fantasie, Kreativität und Sinn, nicht nur für Humor, der wohl meistens auch fehlt. Ernsthaft: Es fehlt noch unendlich viel mehr! Aber ohne Sinn, ohne Fantasie und ohne Kreativität lässt sich wenig NEUES auf die Beine stellen. Insbesondere das Schulsystem, aber auch die Universitäten, eigentlich alle Bildungseinrichtungen, haben sich diesen Virus eingefangen, der mit seinen Mitteln verhindern will, dass Menschen mit der Kraft ihrer eigenen Fantasie und Kreativität einen Sinn in diesem Leben finden. Bildung, insbesondere Schulbildung, hat alle lebens- und liebenswerten Eigenschaften des Menschseins aus ihrem System ausgeklammert, das eines der größten Selektionsmaschinen des Universums geworden ist. Hier wird gut und schlecht auf perfekte Weise systematisiert, hier werden die neuesten Ausschließungspraktiken geübt, hier werden menschliche Eigenschaften wie Scheitern, Spontaneität, Fehlermachen und eben auch Fantasie und Kreativität dezidiert unterdrückt, gewertet und geahndet. Wer glaubt, dass diese Form der systematischen Unterdrückung einen selbstständigen erwachsenen Menschen hervorbringt, der irrt und sollte Michel Foucaults Überwachen und Strafen oder Wahnsinn und Gesellschaft lesen. Dieses System ist so perfekt organisiert wie das Militär. Die Ordnung der Dinge, die gelehrigen Körper, Gleichschritt, Zweierreihen und viele andere Analogien lassen diesen Vergleich zu.

In diesem System Veränderungen vorzunehmen, kann aufgrund seiner rigiden Perfektion nur gelingen, wenn wir es komplett neu denken lernen. Wir alle sind durch diese Selektionsmaschine gepresst worden und haben dabei große Teile unserer Ganzheit und unserer Begabungen verloren. Diese müssen wir erst wieder entdecken, um das wahre Ausmaß der Verluste zu erkennen. Es gibt so Manches, das wir auf diesem Weg verloren haben, das sich nie entwickeln und entfalten durfte. Es ist nicht im Sinne dieses Systems, Chancen gleichermaßen zu verteilen, Entwicklung zu fördern und Potentiale zu erkennen.

Wenn wir jedoch von System und Bildung sprechen, sollten wir uns über Prägendes klar werden. Es ist unsere Kultur, es ist die Art und Weise, wie wir essen, sprechen, denken, handeln, Mathematik oder Physik betreiben, wie wir mit unserer Kreativität umgehen, wie wir uns gestalten und an der Welt ausrichten können, dürfen oder müssen. Die Kultur, in der wir aufwachsen, prägt unsere Sicht auf die Welt, in der wir leben. Kultur ist unser Spiegelbild. Wer in diesem Zusammenhang behauptet, kulturelle Bildung spiele innerhalb von Bildung eine untergeordnete Rolle, der irrt. Wer denkt, Bildung findet nur innerhalb von Bildungseinrichtungen statt, irrt ebenso.

Alles, was wir tagtäglich tun, ist kulturelle Bildung – ein immerwährender Prozess, der überall stattfindet, beim Essen, in der Kneipe, auf der Straße. Die Art der Begrüßung, ein Küsschen links und dann rechts auf die Wange und noch mal links, verrät, ob wir möglicherweise Italiener oder Franzose sind. Ob wir mit Gabel und Löffel oder mit der linken Hand essen, verrät, ob wir Christ oder Moslem sind. Jede Geste und jeder Augenaufschlag ist ein Zeichen unserer Kultur. Kulturelle Bildung prägt den Menschen in seiner Umgebung und seiner Gemeinschaft. Hier bildet er sich und wird gleichzeitig gebildet. Kulturelle Bildung ist die wesentliche Bildung, die ein Mensch erfährt, die ihm widerfährt, die ihn prägt, die ihn gestaltet und die er mitgestaltet. Kulturelle Bildung ist komplex und einfach zugleich. In ihr befinden sich alle Zusammenhänge und Informationen menschlichen Daseins. In ihr vereinen sich alle sichtbaren und unsichtbaren Zeichen und Botschaften, jeder Kodex, alle Geheimnisse und Errungenschaften der Menschen und ihrer Kulturgeschichte. Was also könnte kulturelle Bildung sein als die Bildung selbst?

Wenn wir die Entwicklungsgeschichte der Menschen beobachten, fällt auf, dass heutzutage große, ja, gigantische Unterschiede zwischen den Kulturen herrschen; und ich sage bewusst herrschen, weil wir heute in der Lage sind, das Weltgeschehen zu begreifen und zum Teil zu steuern. Kultur ist keine Naivität der Unkenntnis globaler Zusammenhänge oder eine zufällige Erscheinung, sondern eine zum Teil inszenierte und beabsichtigte Einstellung gegenüber den Machtverhältnissen in dieser Welt. Ich erwähne dies an dieser Stelle, weil auch Bildung einer Absicht unterworfen ist, mit der wir in jeder kulturellen Umgebung in dieser Welt spezifisch umgehen müssen.

Kulturelle Bildung ist also nicht frei von Absichten und Zwecken. Wenn sie es aber wäre, frei von diesen Absichten, hätte sie grundsätzlich die Möglichkeit, sich frei zu entfalten. Der Grundsatz der freien Entfaltung des Menschen ist ein Grundrecht.

Die Entwicklung neuen Lernens erfordert meines Erachtens eine Freiheit für die Bildung in ihrer kulturell bedingten Umgebung, wobei die Definition von Freiheit wiederum von der kulturellen Umgebung abhängt. Wenn wir über Bildung in Deutschland sprechen, müssen wir den kulturellen Kontext zugrunde legen sowie eine Definition von Freiheit geben.

Vor dem Hintergrund einer föderalen Bildungslandschaft, eines dreigliedrigen in staatlicher Trägerschaft befindlichen Schulsystems und einer Anzahl von Schulen in freier Trägerschaft und sogenannten Ersatzschulen orientiert sich unser Bildungssystem an den Prämissen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. So viel zu den Rahmenbedingungen und der Tatsache, dass in Deutschland Schulpflicht herrscht. Rahmenbedingungen, die auf eine kulturelle Entwicklung und deren Kontext zurückzuführen sind und die den Rahmen der Freiheit klar definieren. Bildung ist in Deutschland Recht und Pflicht zugleich.

Um die zunehmende Komplexität unserer Gesellschaft zu begreifen, muss eine adäquate Bildung zum Mittler zwischen Individuum und Gesellschaft werden. Von gestern sind alle Wirklichkeiten von Bildung, die nicht wirklich Wirklichkeit abzubilden in der Lage sind. Bildung ist ein komplexer Prozess, ein fortwährender Vorgang, ständig und permanent Bewegung und Veränderung unterworfen. Bildung ist allgegenwärtig im Alltag. Bildung ist sowohl analog und digital. Bildung ist mehr als dreidimensional, weil sie sich immer auf Zukunft zubewegt, die dann durch Gegenwart und Vergangenheit abgelöst wird. Bildung ist ein Begriff, der durch Menschen erschaffen wurde, um sich die Komplexität aller weltlichen Vorgänge abzubilden und handhabbar zu machen. Um Bildung zu vermitteln, braucht es eine Haltung und Sichtweise, die es zulassen, sich den komplexen Inhalten und Vorgängen in dieser Gesellschaft auf eigene individuelle und persönliche Weise nähern zu dürfen. Kinder, die in diese komplexen Vorgänge hineingeboren werden, sind mit allem ausgestattet, um diese komplexen Herausforderungen ohne große Anstrengung zu meistern.

In der Erwachsenenwelt wird heutzutage darüber diskutiert, was mit unserem Bildungssystem alles falsch läuft und was zu tun wäre, um vieles, womöglich alles zu verändern. In diesen theoretischen Diskursen tauchen nur selten reale Kinder auf und melden sich zu Wort. Vieles Gesprochene würde sich wahrscheinlich relativieren und sich den realen Situationen anpassen. Es ist höchste Zeit, unsere Kinder wieder mit verantwortlichen Aufgaben zu versorgen, es ist höchste Zeit, sie in die Diskurse um ihre Zukunft einzubeziehen. Verschaffen wir ihnen Zugang zu Möglichkeiten, sich real und konkret an der Gestaltung ihrer Zukunft zu beteiligen!

Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren enorm verändert. Besonders über die digitalen Medien eröffnen sich Möglichkeiten für die Bildung, die wir bisher nicht wirklich sinnvoll nutzen konnten. Das liegt schlicht daran, dass unser Bildungssystem insgesamt, strukturell und inhaltlich, den gesellschaftlichen Anforderungen nicht mehr genügt.

Niemand würde heute in Kauf nehmen wollen, dass ein Computerspiel ruckt und zwischendurch speichern muss, um wieder zu laufen; niemand würde davon ausgehen wollen, dass eine Rakete den Mond nicht ganz erreicht oder wir nur alle zwei Wochen Milch einkaufen können oder dass es Tankstellen gibt, an denen wir nur montags Benzin erhalten. Bildung aber produziert permanent ruckendes und unverständliches Lernen, Bildung lässt zu, dass viele Kinder den Mond gar nicht erst sehen. Bildung verfügt über ein großes Netzwerk an Tankstellen, an denen aber nur allzu selten Benzin erhältlich ist, mit dem wir in der Lage wären, auf den heutigen Straßen zu fahren.

Neues Lernen kann nur im Kontext aller gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge verstanden werden. Lernen findet in jeder Zelle unserer Gesellschaft statt. Und genau das ist der Bogen, den Bildung und Lernen spannen, den Bogen zwischen der Mikro-und Makroperspektive auf Gesellschaft und Macht. Was ist die innere Kraft und Energie, die alles bewegt, wie klein ist sie, was sind ihre Parameter des Seins und wo finden sich ihre Zusammenhänge in den großen gesellschaftlichen Diskursen wieder? Wo sind dort die Machtvollen zu finden? Und dass es in diesem gesamten Diskurs um Machtverhältnisse geht, steht wohl außer Frage. Wer diese Macht im Großen ausnutzt, braucht nicht lange diskutiert zu werden. Spannender ist die Frage: Was ist Macht im eigentlichen Sinn und wie können wir in Zukunft mit ihr umgehen, damit neues Lernen entstehen kann? Und was ist dann diese neue Macht?

Ebenso sollten wir den Begriff Verantwortung genauer in Betracht ziehen, wenn wir Lernen NEU begreifen wollen. Verantwortung im Sinne einer wachsenden zivilgesellschaftlichen Verantwortung, einer Umverteilung von Machtverhältnissen im Kontext von Wirtschaft und Politik.

Der wohl elementarste Begriff, im Hinblick auf neues Lernen, ist der Umgang mit der Angst. Vom Umgang mit der Angst hängt alles Weitere ab. Es wird in diesem Buch nicht so sehr darum gehen, eine neue fantastische Weltordnung zu kreieren, sondern darum, zu zeigen, dass unsere Welt genauso komplex, vielfältig und undurchschaubar ist wie einfach und klar: je nach der Stimmung, in der wir uns gerade befinden. Und genau darum geht es. Ich will den Versuch starten, eine günstige Stimmung dafür zu erzeugen, Lust darauf zu bekommen, die Welt tatsächlich zu verändern, eine Stimmung zu erzeugen, in der es Freude macht, sich zu engagieren. Damit wir ohne Angst lernen, damit wir nicht andere unterdrücken müssen, um zu profitieren, damit wir Lust haben, wieder neugierig zu sein, anstatt habgierig zu werden. Neues Lernen beginnt mit dem Nutzen der eigenen Fantasie und ist mehr als Wissen, denn Wissen ist begrenzt, wie Einstein schon bemerkte und er sagte noch mehr: „Wenn du willst, dass deine Kinder schlau werden, dann lese ihnen Märchen vor. Wenn du willst, dass sie noch schlauer werden, dann lese ihnen noch mehr Märchen vor.“

Die Welt ist auf dem Wege, sich einem gemeinsamen Weltverständnis zu nähern; es gäbe auch keinen anderen Weg, weil wir schlicht nur eine Welt haben.

Die Aufgabe von Bildung ist also keine geringere, als den Weg zwischen globalem Weltverständnis und Individuum zu finden – sich selbst als Individuum im Kontext dieser globalen Zusammenhänge zu begreifen und sich diesem Kontext gemäß zu bilden. Dabei spielen die kulturellen Hintergründe eine zentrale Rolle.

3

„Partizipation heißt, sich beteiligt zu fühlen und sich zu beteiligen. Kinder sollten sich frühzeitig beteiligt fühlen, dazu müssen wir Erwachsene nur eins schaffen: Gelegenheiten.“

JOSEF KÖHLER

Partizipation//

Oder: wie sich dieses Thema durch das ProKids Institut in mein Leben geschlichen hat

1996 erhielt ich unerwartet ein Jobangebot von der Stadt Herten. Hier sollte ein Büro für Kinderinteressen in der Stadt entstehen. Ich wusste nicht genau, was das zu bedeuten hatte, fand den Begriff „Kinderinteressen“ jedoch sehr spannend, auch weil meine Tochter zu diesem Zeitpunkt etwa zwei Jahre alt war. Jeder, der kleine Kinder hat, weiß, dass ab der Geburt der eigenen Kinder die Welt vollkommen neu erscheint.

Ich stellte mich vor und erhielt den Job. Es ging darum, ein Büro aufzubauen, das sich bundesweit für Kinderinteressen einsetzen sollte. Als wir anfingen, waren wir zu zweit. Mein damaliger Chef hatte gerade sein erstes Buch mit dem Titel Freiräume für Kinderträume veröffentlicht.

Das ProKids-Büro nahm nun seine Arbeit auf. Im Laufe weniger Jahre hatten wir dem Begriff Partizipation und dem Thema Kinderbeteiligung ein erstes, aber umfassendes Gesicht verliehen. Es war bis dahin nicht wirklich gelungen, das Thema ernsthaft so anzugehen, dass die Kinderrechte und deren Verankerung auf der kommunalen Ebene irgendetwas bewirkt hätten. Dem Glück, an dem Aufbau dieser Organisation mitgewirkt zu haben, verdanke ich bis heute meine umfassenden Erfahrungen und das Wissen zum Thema Partizipation – für mich bis heute ein unerlässlicher Begriff für die Schaffung einer zukunftsweisenden Beziehungskultur.

Das ProKids-Büro wurde in den ersten zwei Jahren finanziell durch das Deutsche Kinderhilfswerk und das Kinder-und Jugendministerium in NRW unterstützt. Es hatte seinen Sitz in Herten im Ruhrgebiet und sich bereits vor seinem Start einen guten Ruf erworben. So galt Herten als eine der kinderfreundlichsten Städte in Deutschland und hatte Anfang der Achtzigerjahre ein Pilotprojekt mit dem ADAC gestartet. Es gab über 800 Anfragen zum Thema ‚Kinderfreundliche Stadt‘. Die Frage, wie Kinder an Entscheidungen der Kommune, Schule, Freizeit oder Familie beteiligt werden können, veranlasste die Stadt Herten gemeinsam mit der Unterstützung genannter Förderer, das ProKids-Büro zu gründen.

Das ProKids-Büro sah sich gleich mehreren Aufgaben gegenüber: Zum einen sollten viele Anfragen aus der gesamten Republik zur Zufriedenheit beantwortet werden. Und, für eine dauerhafte Finanzierung der Mitarbeiter nach der zweijährigen Förderphase, war die direkt folgende Aufgabe damit verknüpft, das Thema Kinderinteressen als einen auch wirtschaftlichen und zukunfts-weisenden Aspekt zu etablieren. Warum sollten Kommunen für die Beratung in diesem Bereich Geld bezahlen? Was war der Mehrwert, mit dem wir unser Know-how zu einen marktfähigen Produkt reifen lassen konnten?

Unsere Aufgabe wurde zu einer Herausforderung auf zwei wesentlichen Ebenen. Die Bedeutung von Kinderbeteiligung konnte nachhaltig nur gelingen, wenn der Wert für die potenziellen Auftraggeber klar nachvollziehbar war und sich das Thema insgesamt zu einem bundesweiten Diskurs etablieren würde. Somit waren die „Gelingens“-Bedingungen für das ProKids-Büro klar umrissen und uns Mitarbeitern war bewusst, dass dieses Thema kein isoliertes und sporadisches sein kann. Wir hatten die Aufgabe, Inhalte und Strukturen für ein zukunftsfähiges Demokratieverständnis für die Vertretung von Kinderinteressen aufzubauen. Nicht mehr und nicht weniger ein Anstoß für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung in Richtung neuer Beziehungskultur. ProKids hatte sich zur Aufgabe gemacht, diesen Zusammenhang sichtbar zu gestalten.

Wie beteilige ich Kinder an Prozessen, die zuvor noch niemand ausprobiert hat? Viele Dinge, die wir bis dahin gedacht hatten, warteten darauf, ausprobiert zu werden. So luden wir Experten dazu oder probierten Dinge einfach selber aus. Im Einzelnen wurde deutlich, dass es einen leitenden Satz gab, der uns über viele Jahre begleitet hatte. „Was für Kinder gut ist, ist meistens auch für Erwachsene gut, jedoch nicht unbedingt umgekehrt.“

Die Maßgabe unserer Entscheidungen orientierte sich mehr und mehr an den Bedürfnissen der Kinder und nicht an denen der Erwachsenen. Diese grundsätzliche Vorgehensweise erleichterte auf der einen Seite die Auswahl an Methoden oder Kriterien, die wir unseren Handlungen zugrunde legten; auf der anderen Seite wuchsen die Konflikte, die wir in der Erwachsenenwelt auslösten. Das war die erste große Erkenntnis auf dem Weg, Kinder an demokratischen Entwicklungsprozessen zu beteiligen. Wer sich als Erwachsener ernsthaft jeden Tag mit Kinderbeteiligung beschäftigt, entdeckt Möglichkeiten und Bereiche, die schier unendlich scheinen. Ebenso klar werden allerdings auch die Grenzen spürbar. Die Grenzen sind einfach zu beschreiben: Erwachsene, die Kinder in ihren eigenen Anliegen nicht wirklich ernst nehmen. Diese Grenzen sind keine „Kleinigkeiten“. Weltweit werden Kinder mit ihren eigenen Anliegen nicht ernst genommen. Während wir in Europa dazu neigen, unsere Kinder von verantwortungsvollen Aufgaben fernzuhalten, werden sie in anderen Ländern wie etwa in China/ Asien von Anfang an auf Leistung getrimmt. In vielen Ländern müssen schon ganz kleine Kinder die Arbeit von Erwachsenen verrichten. Ganz zu schweigen von den Kindern, die jeden Tag an Hunger sterben. Deutschland ist auf der Liste der kinderfreundlichsten Länder in Europa immer noch auf einem der letzten Plätze.

Kinder als Experten in eigener Sache zu unterstützen, das war die Aufgabe des ProKids-Büros. Alle Lebensbereiche sind dazu im Zusammenhang zu sehen: Familie, Bildungsbereiche und Freizeit. ProKids hatte sich eine umfangreiche, allumfassende Aufgabe zum Ziel gesetzt: die Realisierung der Kinderrechte auf Bundesebene. In einer Welt von morgen werden die Anliegen von Schwächeren und Benachteiligten vorrangig behandelt. Kinder gehören zu den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft. Wir machen uns in Deutschland kaum Gedanken darüber, weil die Mehrzahl glaubt, dass es unseren Kindern vergleichsweise gut geht. Das mag so sein, schaut man jedoch genau hin, sind die Wege für unsere Kinder im Wesentlichen vorbestimmt. Vor allen Dingen sind die Bildungschancen unserer Kinder abhängig von der Familiensituation. Das belegen viele Studien und bedauerlicher Weise hat sich die Situation in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verändert. Außerdem herrscht bei vielen Erwachsenen immer noch die Haltung vor, zu wissen, was für Kinder das Beste ist. Dabei kommen Kinder bei dieser Einschätzung kaum selber zu Wort oder können sich nicht dazu äußern. Sie werden in diese Strukturen hineingeboren und müssen sich in der Regel mit den Gesetzen der Erwachsenen abfinden. Sie sind diesen Regeln unterworfen und haben keine Möglichkeiten, eigene Sichtweisen einzubringen. Das bedeutet, dass Kinder nicht an den für sie wichtigen Entscheidungen beteiligt werden.

Einige Beispiele: