Das Bureau - Mona Kaps - E-Book

Das Bureau E-Book

Mona Kaps

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Beschreibung

Anlass: Ein Tunichtgut. Ein Albtraum. Und eine Krone. Sachverhalt: Als Behörde der besonderen Art reglementiert das Bureau für Magische Angelegenheiten - kurz »Das Bureau« - seit Ende des Hundertjährigen Krieges nicht nur jeglichen Zauber; es zwingt auch alle magischen Wesen des Alten Volkes in seinen Dienst. Eines Tages spielt der Zufall dem Bureau ein machtvolles Artefakt in die Hände. Damit scheint es kurz vor der Erfüllung seines Ziels zu stehen: seine Herrschaft endgültig zu festigen und die letzten noch freien Wesen des Alten Volkes zu unterwerfen. Doch es hat die Rechnung ohne zwei Außenseiter gemacht. Lohe, ein desillusionierter Bureaukrat mit zweifelhaftem magischem Talent und noch zweifelhafterer Herkunft, und die Drude Gryla, die das Artefakt für das rebellierende Alte Volk stehlen soll, geraten zwischen die Fronten. Als Verbündete wider Willen und unterstützt von einem schlauen Fuchs und Frau Holle aus dem Hohen Norden suchen sie einen Weg, den Zankapfel zu zerstören. Doch dieser birgt eine gefährliche dunkle Macht... Bewertung: Ein Fantasyroman für alle, die schon einmal mit der Verwaltung zu tun hatten und bisweilen den Drang verspüren, ihren Arbeitsplatz niederzubrennen.

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Seitenzahl: 477

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mona Kaps wurde im vorigen Jahrhundert in einer beschaulichen Kleinstadt geboren, wo sie nicht nur ihre Schulkarriere absolvierte, sondern sehr zum Verdruss ihrer Anverwandten jeden, der zuhören mochte, mit Histörchen rund um ihre Familie unterhielt. Weil sie dachte, dass es vernünftig wäre, quälte sie sich an einer alten Universität zunächst zweieinhalb Jahre mit pharmazeutischen Belangen herum, um sich zuletzt doch noch der brotlosen Kunst in Form eines Literaturstudiums zu widmen. Wie von ihrer Mutter prophezeit, wurde darum nichts Vernünftiges aus ihr.

Sie finden die Kaps auf Instagram (@monakapsgeschichten) und untermonakaps.substack.com.

Nach Eine haarige Angelegenheit(ISBN 978-3-7568-8523-7) ist Das Bureau ihr zweiter Roman. Sie werkelt bereits am nächsten.

INHALT

§ 1 Vorwort

§ 2 Ein Fuchs in einer Koboldfalle

§ 3 Vermerk der Grauen Wache, Dienststelle Halbmondgasse Hier: Inhaftsetzung einer Drude

§ 4 Einkehr in die Gewürgte Gans

§ 5 Vermerk der Innenrevision Hier: Disziplinarverfahren des Exekutors von Belar aufgrund des Vorwurfs des Fraternisierens mit dem Alten Volk

§ 6 In der Halbmondgasse

§ 7 SALIGEN, die

§ 8 Schulden

§ 9 Vermerk des Magisteriums zur Bändigung und Bindung des Alten Volkes Hier: Einsatz von Wechselbälgern als Exekutoren im Außendienst

§ 10 Alte Akten

§ 11 Vermerk der Grauen Wache, Dienststelle Halbmondgasse Hier: Diebstahl einer Schnupftabaksdose in Tateinheit mit Peinigung durch das Heraufbeschwören von Albträumen

§ 12 In der Altstadt

§ 13 DRUDEN, die

§ 14 Allerlei Unappetitliches

§ 15 Vermerk des Referats für Magische Archäologie Hier: Fund zweier Artefakte aus Albenhand nebst dreier kopfloser Skelette bei Ausgrabungen in Terenik

§ 16 Ungebetener Besuch

§ 17 Vermerk der Kuppeleibehörde Hier: Verehelichung des Oberinquisitors Enno von Belar mit Meriel vom Hollenberg aus dem Freien Fürstentum Hollenberg

§ 18 Allerlei Brände

§ 19 Vermerk der ZeiterfassungsstelleHier: Vergabeverfahren zur Neubeschaffung von Stechuhren

§ 20 Von Zank und Zuständigkeiten

§ 21 Vermerk der Grauen Wache, Dienststelle Halbmondgasse Hier: Aussage des Departementleiters Spuk & Schrecken zum Einbruch in das Museum für Magische Geschichte

§ 22 Ein Verstoß gegen die Asservatenverfügung und nonkonforme Verhörmethoden

§ 23 FUCHS, der

§ 24 Wein im Weinenden Eichhörnchen

§ 25 HUNDERTJÄHRIGE KRIEG, der

§ 26 Meisterhafte Schmiedekunst

§ 27 ERLKRONEN, die

§ 28 Ein keineswegs einvernehmliches Treffen

§ 29 Vermerk der Inquisition Hier: Peinliche Befragung einer Drude

§ 30 Zivilisiertes Geplauder

§ 31 Vermerk der Sonderordination Nekromantische Alchemie, Laboratorium Nebelbader Werft Klingengebirge Hier: Nutzbarmachung von Elementargeistern der Kategorie II zum Einsatz in alchemistischen Vorrichtungen zur magischen Gefahrenabwehr

§ 32 Vom Ende eines Disziplinarverfahrens

§ 33 KOMMENTIERTE SAGE

17

Wie Silberzunge der schönen Auraë eine Feder stahl

§ 34 Die vergiftete Pfeilspitze

§ 35 Vermerk der Zeiterfassungsstelle Hier: Manipulation der Stechuhren in der Luftschiffwerft im Klingengebirge

§ 36 Eine lustige Ballonfahrt

§ 37 Vermerk der Magischen Garde, Generalstab zu Venia Hier: Operation zur Ausschaltung taktischer Ziele

§ 38 Die letzte Sonnwendfeier an Loreleis Felsen

§ 39 KOMMENTIERTE SAGE

104

Wie Frau Häher von der Wilden Jagd zurückkehrte

§ 40 Der wundersame Schlüssel

§ 41 Vermerk der Sonderordination Nekromantische Alchemie, Laboratorium Venia Hier: Erforschung der Wirkweise und möglicher Anwendungsgebiete eines Artefakts aus Albenhand (mutmaßlich Erlkrone der Hel)

§ 42 In den Kerkern der Inquisition

§ 43 Vermerk der Hauptregistratur, Venia Hier: Ausweitung der Archiv- und Aktenräume auf die unteren Gebäudeteile der Stadt

§ 44 Ein Schreibtisch und das, was darinnen steckt

§ 45 DHEAMHAN, die

§ 46 Das Geheimlaboratorium

§ 47 KOMMENTIERTE SAGE

5

Wie Silberzunge den Fuchs beim Kartenspiel gewann (und ihm hernach das Sprechen beibrachte)

§ 48 Vom Kippen der Welt

§ 49 Vermerk der Innenrevision Hier: Mögliche Verstrickung und Korrumpierung von Bureaukraten während des Angriffs des Alten Volkes auf die Landeshauptstadt Venia

§ 50 Die Möwen auf Akraberg

§ 51 Vermerk der Grauen Wache, Dienststelle Halbmondgasse Hier: Sachstandsbericht zur Wiederaufnahme des Dienstgeschäfts

§ 1 Vorwort

Der Übergang zwischen Wahrheit und Legende ist beim Alten Volk fließend. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass das Alte Volk weder über Schriftgelehrte oder gar eine eigene Geschichtsschreibung verfügt und Wissen in erster Linie mündlich tradiert wird. Zum anderen sind inzwischen viele Arten des Alten Volkes in der uns bekannten Welt entweder ausgestorben oder haben sich in die Anderwelt des Nordens zurückgezogen.

So kann heute selbst ein erfahrener Folklorist nicht immer genau rekonstruieren, ob es sich bei so mancher Kreatur des Alten Volkes um eine Erfindung oder eine ausgestorbene beziehungsweise abgewanderte Spezies handelt. Es existieren deshalb vielerlei Lücken in unserem Wissen um das Alte Volk, die – so steht es zu befürchten – niemals mehr geschlossen werden können.

Um wenigstens das noch vorhandene Wissen zu bewahren, haben die Magischen Universitäten zu Venia und Moorberg im vergangenen Jahrhundert vielerlei Forschungsprojekte ins Leben gerufen, darunter etwa den wackeren (und bedauerlicherweise gescheiterten) Versuch der wohlgelobten Irmel Carpzov, ein Wörterbuch und eine Grammatik der Alten Sprache zu erstellen.

Vorliegendes Handbuch ist unter anderem Ergebnis der jahrelangen Forschungstätigkeit des Verfassers sowie der Feldstudie »Kobolde, Wichtel und Zwerge – kleinwüchsige Kreaturen des Alten Volkes im Klingengebirge und anderswo«. Es richtet sich nicht an den Laien oder gar an Einfaches Volk, sondern an Novizen und Experten der Folkloristik gleichermaßen und soll die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Alte Volk und die Sagen, aus denen diese gewonnen wurden, an einem Orte versammeln. Eine Besonderheit ist deshalb der umfangreiche Sagenapparat im Anhang, der als direkte Quelle zu den einzelnen Einträgen des Handbuchs dienen soll.

Ausdrücklicher Wunsch des Autors ist es, dass das Handbuch zu einem getreuen Nachschlagewerk werde, das in keiner wissenschaftlichen Bibliothek zur Folkloristik fehlen möge, stets verbunden mit der Hoffnung, dass nachfolgende Generationen von Folkloristen Gelegenheit finden, es zu erweitern.

Ein Buch mit dergestalt ehrgeizigem Ziele zu verfassen, gelingt niemals alleine, sondern wurzelt in der Forschung und wissenschaftlichen Arbeit vorangegangener Gelehrter und ist Kraftanstrengung vieler. Der Autor dankt deshalb Emilia Wildanger, derzeit im Dienst in der Bärenhöhle verschollen, deren oftmals furchtloser Einsatz in der Feldforschung unschätzbare Beiträge zum Verständnis der Sitten und Gebräuche des Alten Volkes geleistet hat.

Anerkennung gilt auch den zahlreichen kritischen Rückmeldungen der Gutachter, den Adepten der Folkloristik meines Lehrstuhls für die Überprüfung der Quellen sowie Ladeck Wampp für das Korrektorat und Edelina Peletier für die Besorgung der Druckfahnen.

Meinem Doktorvater und Amtsvorgänger Koloman Bosco in stiller Verehrung zugedacht.

Theobald Mulzer Venia im zweiten Monat des Jahres 1177

Warnhinweis der Indexbehörde:

Vorliegendes Nachschlagewerk enthält Sagen des Alten Volkes mit expliziten Darstellungen von Gestaltwandlermagie, verbotenen Praktiken der Elementarmagie und weiteren irrationalen Auswüchsen Alter Magie, Beschreibungen von barbarischen Gebräuchen und Sitten sowie zuletzt Schilderungen von Buhlschaften, die nicht den Leitfäden der Kuppeleibehörde entsprechen.

Die Lektüre ist deshalb ausschließlich examinierten Folkloristen zu wissenschaftlichen Zwecken gestattet.

Aus:

Theobald Mulzer, Handbuch sämtlicher Kreaturen, Erscheinungsformen und Sagengestalten des Alten Volkes nebst ihren Sitten und Gebräuchen. Zusammengetragen aus Überlieferungen des Alten Volkes, den aktuellen Stand der folkloristischen Forschung und Magischen Abstammungslehre widerspiegelnd. Mit umfangreichem Apparat aus kommentierten Sagen im Anhang.

§ 2 Ein Fuchs in einer Koboldfalle

Sechster Monat des Jahres 1180 Kurz vor der Sommersonnenwende

Der Exekutor, von dem unsere Geschichte handelt, war eine ganz und gar unselige Figur. Dessen waren sich alle Bewohner Jabluks, eines Außenpostens der Magischen Garde an der äußersten südöstlichen Grenze Droeglands, einig. Vor etwa drei Wochen war er dorthin versetzt worden, und nicht allein wegen des schwarzen, aus Maulwurf- und Katzenfell gesponnenen Dheamhanmantels, den er ungeniert anstelle des vorschriftsmäßigen schiefergrauen Gehrocks trug und dessen vormaligen Besitzer er angeblich eigenhändig erschlagen hatte, kreisten die scheußlichsten Gerüchte um ihn. Über den faden Rationen in der Feldkantine munkelten die niederen Ränge, er sei Teil einer anarchistischen Verschwörung gewesen und auf geheimnisvollen Wegen der Neutralisation durch die Inquisition des Bureaus entkommen. In der Offiziersmesse diskutierte man leise und obstbrandselig, ob er nicht der Bastard eines Erzmagiers des Magischen Konzils sein könnte, der lästig geworden war und darum diskret hatte verschwinden müssen. Was aber offenkundig fehlgeschlagen war, denn mindestens eine Marketenderin, draußen in den buntgestrichenen Hütten Jabluks, wusste zu berichten, dass der Exekutor, seinem feingliedrigen, drahtigen Körperbau zum Trotz, bald seit einem Jahrzehnt an den Rändern der Wälder Massiliens und Brekiliens oder hier im Niemandsland, kurz vor den Östlichen Salzsteppen, seinen Dienst tat. Was freilich mehr als erstaunlich war, denn der überwältigenden Mehrzahl der Exekutoren im Außendienst wurde im Verlauf des ersten Dienstjahres der Kopf von einer Striege abgerissen.

An welchem der kursierenden Gerüchte es auch liegen mochte – alle Bewohner Jabluks fühlten unbestimmte Furcht und misstrauische Abneigung in sich aufsteigen und schlugen heimlich das Zeichen gegen den Bösen Blick, wenn sie die unselige Gestalt des Exekutors auch nur in der Ferne erblickten. Dabei bekamen sie ihn ohnehin kaum zu Gesicht, denn der Exekutor hielt sich von sämtlichen Seelen Jabluks und von der Offiziersmesse fern. Tatsächlich sah man ihn eigentlich nur, wenn er hin und wieder in den frühen Morgenstunden aus der Puszta zurückkehrte und stracks in das Büro von Major Zetters lief, wo er einen blutig verschlagenen Ogerkopf in der Mitte des Schreibtisches platzierte und damit die ohnehin angegriffenen Nerven des Majors zunehmend zerrüttete. Deswegen hatte das Bureau den Exekutor nämlich nach Jabluk geschickt. Also nicht, um den Major Zetters zu enervieren, sondern weil in der Puszta eine Horde Oger hauste und in regelmäßigen Abständen die Soldaten, Kuriere und Rinderhirten dezimierte und man dies auf Dauer nicht leiden konnte.

An jenem Vormittag, der den Geschehnissen unserer Geschichte fast genau ein Jahr voranging, brannte die Sonne unerbittlich vom wolkenlosen Himmel herab und alle Bewohner Jabluks, von den Stallburschen über die Pferde bis hin zu Major Zetters, hatten Staub in Kehle, Ohren und Augen. Die beiden Ulanen, die ausgeritten waren, um die Koboldfallen zu prüfen, fanden den Exekutor im Schatten eines der spärlichen Büsche weit außerhalb von Jabluk. Obwohl sie inzwischen wussten, wo sie ihn suchen mussten, hätten sie ihn in der flimmernden Luft beinahe übersehen. Denn wenn man den Exekutor nicht dabei beobachtete, wie er Ogerköpfe in die Schreibstube des Majors trug, dann fand man ihn gut getarnt und lesend unter jenem Busch. Was ihn in den Augen der Bewohner Jabluks noch unheimlicher machte. Schließlich studierte er weder die pornographischen Heftchen, die unter den niederen Rängen in den Barracken zirkulierten, noch die Zeitungen, die für gewöhnlich – und nicht allein wegen der Oger – um Wochen zu spät in die Offiziersstuben von Jabluk geliefert wurden. Nein, der Exekutor las ein dickes ledergebundenes Handbuch sämtlicher Kreaturen, Erscheinungsformen und Sagengestalten des Alten Volkes. Den Schinken hatte er bei seinem letzten Einsatz aus der Bibliothek des Stadtmagiers von Podor aus Versehen mitgenommen, nachdem er dort einen Poltergeist vertrieben hatte. Dies alles wussten die beiden Ulanen natürlich nicht, ihnen war ein Buch suspekt genug.

Ebenso suspekt war ihnen, dass die Hitze, die in alle Ritzen drang und Jabluk und die Puszta in einen Backofen verwandelte, dem Exekutor nichts auszumachen schien. Derweil den beiden Ulanen in ihren Uniformen der Schweiß in Bächen den Rücken hinablief, stand ihm, obgleich er in den infamen Mantel gehüllt war, nicht eine Schweißperle auf der Stirn. Seine einzige Verneigung vor dem Wetter waren seine nackten Füße.

Der ältere der Ulanen stieß dem jüngeren den Ellenbogen in die Seite, woraufhin dieser nach vorne stolperte und stammelte: »Da ist was in eine der Koboldfallen gegangen.«

»Was braucht ihr da mich?«, fragte der Exekutor zwischen zwei Apfelbissen und ohne von seiner Lektüre aufzublicken.

»Es ist halt nicht bloß ein Kobold.«

»Na endlich«, erwiderte der Exekutor und warf den Apfelbutzen in einem unnatürlich weiten Bogen in die Puszta hinein. Anschließend kramte er einen zerknitterten Steckbrief hervor, den er vor einigen Jahren von der Mauer einer Poststation gerissen hatte, legte diesen zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und verstaute es in einer dafür viel zu klein wirkenden Innentasche seines Mantels.

Der Exekutor hatte bereits darauf gewartet, gerufen zu werden. Schließlich nahte die Sommersonnenwende mit ihren merkwürdigen Vorkommnissen, die nun einmal rund um jenes denkwürdige Datum geschahen. Er erhob sich in aller Seelenruhe und schnallte die beiden Krummsäbel, die keiner der vorgeschriebenen Dienstwaffen auch nur im Entferntesten ähnelten, sondern geradezu nach einem der fliegenden Schwarzmärkte des Alten Volkes stanken, auf seinen Rücken. Dann folgte er den beiden Ulanen barfüßig hinaus in die Puszta.

Die Koboldfallen waren etwa fünf Jahrhunderte nach dem Ende des Hundertjährigen Krieges von Alchemisten entwickelt worden, als das Bureau allmählich begann, tauglich und harmlos erscheinende Geschöpfe des Alten Volkes einzufangen, um sie nach Möglichkeit zu zivilisieren und nützlichen Tätigkeiten zuzuführen. Anstelle eines Kobolds saß jedoch ein Fuchs in der Falle. Ein Fuchs, der deutlich größer als seine Artgenossen war und beinahe an das Körpermaß eines Wolfes heranreichte.

»Sollten wir ihm vielleicht eine Lanze in den Pelz jagen?«, fragte der ältere der beiden Ulanen. Sie hatten in sicherem Abstand zur Falle Stellung bezogen. Im Nachhinein betrachtet, wäre es wohl klug gewesen, dieses Angebot anzunehmen, doch der Exekutor schüttelte den Kopf. Da er bereits deutlich gefährlicheren Kreaturen gegenübergestanden war, hielt er den Fuchs für einigermaßen unbedenklich. Selbst wenn es sich bei dem Fang um einen der seltenen Róka, einen Werfuchs, handelte, würde er sich in seiner derzeitigen Lage nicht wandeln können. In die Stangen aus Kaltem Eisen waren nämlich Runen geritzt, die wie ein schlagendes Herz in regelmäßigen Abständen aufglimmten. Der eingerollte Fuchs zuckte im Takt dazu, denn die Falle war so beschaffen, dass sie die magische Essenz desjenigen, der in sie getappt war, gegen ihn wendete. Neugierig trat der Exekutor näher an die Falle heran. Aus einer Manteltasche hatte er zugleich einen weiteren Apfel gefischt und rieb diesen nun am Ärmel sauber. Als er hineinbiss, zuckte der Fuchs mit den Ohren und schlug die honiggelben Augen auf. Und fluchte höchst unschön. »Du hast mir gerade noch gefehlt, Loki Lügenspinner. Was machst du hier im Süden?«, bellte er kehlig in der Alten Sprache. Mit einem uralten Zorn, der aus den Tiefen der Zeiten, den Wurzeln der Welt selbst zu kommen schien, musterte der Fuchs den Exekutor, der wie vom Donner gerührt vor ihm stand. Plötzlich riss der Fuchs die Schnauze aus seinem prachtvollen Schwanz hoch und witterte. »Oh. Entschuldige, Kleiner. Ich hatte dich kurz für jemand anderen gehalten. Das liegt an diesem dreimal vermaledeiten Käfig, in dem ich seit Stunden festsitze. Der grillt mir das Hirn.« Der Fuchs setzte sich auf und legte seinen Schwanz artig um die Pfoten, sorgsam darauf bedacht, dass seine Ohrenspitzen nicht den Eisendeckel der Falle berührten. Noch immer zuckte er im Takt der Runen. Sein honiggelber Blick hielt den bernsteinfarbenen des Exekutors gefangen. Dem war, ohne dass er es bemerkt hatte, der angebissene Apfel aus der Hand gefallen.

»Du lässt mich jetzt besser hier raus, Kleiner«, knurrte der Fuchs. Zugleich zupfte würziger Duft nach Wald und wildem Tier am bisweilen hitzköpfigen Temperament des Exekutors, das ihn schon manches Mal dazu gezwungen hatte, sich vollkommen unbesonnen in Kalamitäten zu stürzen.

»Und weshalb sollte ich das tun?«, fragte der Exekutor, der sich mit einem Mal daran erinnerte, wie seine zahllosen Kindsmägde ihm stets sehr eindrücklich damit gedroht hatten, dass der Fuchs aus den Fabeln ihn eines schönen Tages fressen oder doch wenigstens zu den Winteralben in den Hohen Norden verschleppen würde.

Eine Lanze flog von hinten heran. Die Ulanen, der Alten Sprache nicht mächtig, verstanden zwar nicht, was der Fuchs sagte, doch spürten sie, dass etwas nicht stimmte. Allerdings verfehlte die Lanze ihr Ziel, denn der Exekutor fing sie mit einer lässigen Bewegung aus der Luft und ließ sie in Flammen aufgehen.

Der Fuchs verzog die Lefzen zu einem Grinsen. »Na, dann hör mir gut zu, denn ich werde es dir erklären.«

§ 3 Vermerk der Grauen Wache, Dienststelle Halbmondgasse Hier: Inhaftsetzung einer Drude

4. Tag des Vierten Monats des Jahres 1119

Anlass

Seit etwa dreihundert Jahren kam es im Einflussbereich des Bureaus zu mindestens vier Diebstählen von Schnupftabaksdosen aus Zwergenhand. Da diese Diebstähle stets mit der Peinigung der Bestohlenen durch Albträume einhergingen, war davon auszugehen, dass sie von einem Schemen der Kategorie III (Drude) durchgeführt wurden. Aufgrund der Schwere der Personenschäden wurde vom Magisterium zur Bändigung und Bindung des Alten Volkes die Notwendigkeit zur Inhaftsetzung der verantwortlichen Kreatur festgestellt.

Sachverhalt

Der letzte Diebstahl dieser Art fand vor 17 Jahren in Venia statt. Die Dienststelle Halbmondgasse wurde damals vom Obersten Exekutor mit der Durchführung einer Maßnahme zum Zwecke der Inhaftsetzung einer Kreatur des Alten Volkes nach Paragraph 84 Absatz 2 der Generalverfügung zur Bändigung und Bindung des Alten Volkes beauftragt. Eine entsprechende Vorrichtung (Ballonflasche aus Kweksilberglas) war von der Alchemistengilde zu diesem Zweck bereitgestellt worden. Es fand außerdem eine umfangreiche Beratung und Begleitung der Maßnahme durch die Folkloristen der Magischen Universität Venia statt.

Im vergangenen Jahr erwarb das Museum für Magische Geschichte bei einer Auktion im Freien Fürstentum Hollenberg eine Schnupftabaksdose aus Zwergenhand. Nach Kontaktaufnahme durch die Graue Wache, Dienststelle Halbmondgasse, und auf Anweisung der Inquisition und des Magisteriums zur Bändigung und Bindung des Alten Volkes wurde die vorbereitete Falle am Schlüsselloch der Zugangstüre des Museums angebracht. Des Weiteren wurden die Ausstellungsräume von den Exekutoren auf Mause- und Astlöcher hin untersucht und diese ggf. mit Kaltem Eisen verpfropft. Zugleich verbreiteten im Dienst des Bureaus stehende Kobolde den Aufbewahrungsort der Dose unter den auf der Altstadtinsel wohnhaften Angehörigen des Alten Volkes.

Sieben Monate nach Anbringung der Falle und deren nächtliche Überwachung durch einen Exekutor der Grauen Wache kann nun der Vollzug der Maßnahme gemeldet werden.

Bewertung und weiteres Vorgehen

Die Maßnahme wird von allen beteiligten Stellen als Erfolg gewertet.

Die Kreatur des Alten Volkes (hier: Drude) konnte gefangen gesetzt werden. Bureaukraten und Einfaches Volk kamen dabei nicht zu Schaden. Die Schnupftabaksdose befindet sich nach wie vor im Besitz des Museums für Magische Geschichte.

Da derzeit weder im Kerker der Inquisition noch in den Zellen der Grauen Wache geeignete Unterbringungsmöglichkeiten bestehen, um die Drude über einen längeren Zeitraum festzusetzen, wird vorgeschlagen, die Kreatur vorerst im Ballonglas zu belassen und dieses in der Asservatenkammer aufzubewahren, bis über die weitere Verwendung entschieden ist.

Über

Pavel Burian; Gildenmeister der Alchemie

Koloman Bosco; Lehrstuhl für Folkloristik an

der Universität zu Venia

Otten von Ulme; Großinquisitor

Mit der Bitte um Kenntnisnahme und Billigung an

Magisterium zur Bändigung und Bindung des Alten Volkes

Geschrieben

Randulf Romedius Ronwald; Exekutor Graue Wache,

Halbmondgasse

Gezeichnet

Cord Stifel; Dienststellenleiter Graue Wache,

Halbmondgasse

Zu den Akten.

§ 4 Einkehr in die Gewürgte Gans

Sechster Monat des Jahres 1181 Noch acht Tage bis zur Sommersonnenwende

Das Gasthaus zur Gewürgten Gans im Spechtswald war allen Wanderern des Alten Volkes wohlbekannt. Es war im Stamm einer gewaltigen Eiche untergebracht, die wiederum mit anderen, nicht minder gewaltigen Eichen, in deren Fenstern zum Teil Werlichter und Irrwische flackerten, eine Lichtung umstand, auf der sich zwei Hohlwege kreuzten. Der eine von ihnen führte über Loreleis Felsen bis in die fernen Wälder Massiliens und Brekiliens im Westen und der andere verlor sich weit hinter Venia an einer umgestürzten Geleitsäule kurz vor den Östlichen Salzsteppen. Innerhalb der Mauern des Gasthauses galt der Alte Friede und obendrein war der Wirt – ein stolzer Faengg – auf eine strenge Auswahl seiner Gäste bedacht. Schließlich blieben Ruhe und Sicherheit am ehesten gewahrt, wenn Gesindel wie Dheamhan, Trolle und Striegen, Schemen, Elementargeister, Werwölfe, Halblinge oder Sterbliche gar nicht erst eingelassen wurde.

Zu dieser wohlbeleumdeten Restauration galoppierte – dem Nachtwinde gleich und trotz des fast vollen Mondes vollkommen mit der Finsternis verschmolzen – kurz vor der Albenstunde eine schauderhafte Schattenkreatur auf einem Nachtmahr dahin. Der nicht weniger schauderhaft als seine Reiterin war. Größer und massiger als ein Einhorn, Kelpie oder Pferd, mit zottiger Mähne und Schweif, vierzehigen Klauen statt Hufen und beeindruckenden Hauern, die wie bei einem Wildschwein aus seinem Maul ragten, erinnerte der Nykur (wie die Alben jene Biester nannten) an einen Sleipnir, jene sagenhaften, achtbeinigen Streitrösser der Disen von Skandia.

Vor dem Gasthaus zur Gewürgten Gans bremste der Nachtmahr schließlich scharf und die Drude, von der unsere Geschichte auch handelt, glitt von seinem Rücken und stürmte – sobald sie dem Nachtmahr einen Klaps auf die Hinterbacke verabfolgt hatte – auf die mit kunstvoll geschnitzten Eichenblättern und Häherfedern verzierte Türe des Gasthauses zu. Man kannte sich bereits von früheren Begegnungen, weshalb die Drude ihren Schwung nicht zu drosseln brauchte, sondern sich noch im Lauf in Rauch auflöste und durch das Astloch, das als Schloss diente, hindurchschoss. Derweil sie das tat, rüttelten die Bronzebeschläge der Türe und es war im Stamm der Eiche ein entrüstetes Knarren und Seufzen zu vernehmen, das nicht allein dem Wirt der Restauration den ungebetenen Gast ankündigte.

Gryla betrat den holzgetäfelten, teilweise mit Efeu überwachsenen, von abertausend Glühwürmchen beleuchteten, höhlenartigen Gastraum, dessen flüsterndes Schweigen den Zauber einer behaglichen Zuflucht verbreitete. Mit erhobenem Kinn und das einsetzende Geraune und Gezische ignorierend stolzierte sie an den Gästen vorbei. Während sie dies tat, verwoben sich die Bilder des Albtraums, aus dem sie einst geboren worden war, und die nun von Kopf bis Fuß unter der Porzellanhaut ihres ganzen nackten Körpers pulsierten, zu einem schwarzen, mehrfach und recht unbeholfen geflickten Mantel und einem Kleid mit hieb- und stichfester Lederkorsage. Das Kleid endete eine Handbreit unter ihrem Knie und legte so den Gutteil ihrer wohlgeformten Waden frei, die nun in hohen, speckigen Schnürstiefeln steckten. Zuletzt wand sich ihr rabenschwarzes Haar zu einem Knoten, der mit einem frostig glitzernden, gedrechselten Eisbärenknochen festgesteckt war. Ehe sie jemand aufhalten konnte, plumpste sie an einem der hinteren Tische auf einen freien Stuhl. Dort las ein einsamer Gast eine knapp zwei Wochen alte Ausgabe des Magischen Anzeigers aus Venia. Dank seiner Tracht, einer granitgrauen Kniebundhose aus so weichem Wildleder, einem weißen Hemd aus so zart gesponnenem Rentierhaar und einem mitternachtsblauen Kurzmantel aus so feingewalktem Loden, der am Saum mit so filigranen Kratzdisteln, Schneeflocken und Polarlicht bestickt war, dass sie nur aus der Hand der Disen stammen konnten, war er eindeutig als Bewohner des Hohen Nordens, genauer von Ghraonlainn, des nördlichsten und größten aller Kontinente der Anderwelt, auszumachen. Doch trug kein Alb diese edle Kleidung. Über den Rand der Zeitung lugten aufmerksam aufgestellte Fuchsohren, die Hände, die die Zeitung hielten, waren krallenbewehrt und schwarzbepelzt, aus den Kniebundhosen ragten ebenfalls schwarzbepelzte Pfoten hervor und zuletzt ringelte sich ein prachtvoller Fuchsschwanz auf seinem Schoß.

Der Róka – beim Alten Volk gemeinhin als »der Fuchs« bekannt – klappte für einen kurzen Moment die Zeitung herunter und hob zur Begrüßung die buschigen Augenbrauen.

»Wie ich sehe, hast du meine Nachricht erhalten.«

»Ich erhalte immer deine Nachrichten, Fuchs«, erwiderte die Drude, woraufhin der Fuchs die Lefzen zu einem Grinsen verzog und anschließend erneut hinter seiner Lektüre verschwand. Gryla blieb nichts anderes übrig, als die Schlagzeilen zu studieren. Diese befassten sich, wie so oft in den vergangenen Monaten, mit den immer häufiger werdenden Trollüberfällen im Süden und den daraus resultierenden Massakern in Dörfern und Kasernen. Außerdem starrte ihr das Konterfei des Erzmagiers Enno von Belar entgegen, der derzeit in Terenik in der Nähe der Östlichen Salzsteppen weilte, wo er die nekromantische Analyse dreier kopfloser Skelette beaufsichtigte, die dort – zusammen mit den Überresten eines rätselhaften zerbrochenen Artefakts und einer schartigen Streitaxt – vor fünf Jahren bei archäologischen Ausgrabungen zutage gefördert worden waren. Die leitende Archäologin war obendrein kurz nach dieser Entdeckung verschollen, was der ganzen Sache einen zusätzlichen bedrohlichen Nimbus verlieh. Gryla betrachtete die Abbildung des Bruchstücks, das inzwischen dem Museum für Magische Geschichte übergeben worden war. Es sah aus wie der Leib eines Lindwurms, dem Kopf und Schwanz fehlten. Gryla erschauderte.

Vielleicht lag es an der plötzlichen Furcht, die die Albtraumbilder auf ihrer Haut erzittern ließ, oder an ihrer Ungeduld, es dauerte jedenfalls nicht lange und sie hätte dem Fuchs am liebsten den Magischen Anzeiger aus den Pfoten geschlagen. Da unsere Drude aber keineswegs dermaßen töricht war, begann sie stattdessen mit den Fingern auf die blank polierte Tischplatte zu trommeln.

»Möchtest du etwas trinken?«, fragte der Fuchs, nach wie vor in die Zeitung vertieft. Ohne eine Antwort abzuwarten, schnipste er. Und nach wenigen Augenblicken tauchte der Wirt auf und knallte einen dampfenden Kelch Rotwein vor Gryla auf den Tisch. Er rollte wütend seine Schafaugen und die platte Nase zitterte aufgeregt. Dazu wackelte er mit den wolligen Ohren, als wollte er einen besonders lästigen Schwarm Fliegen vertreiben.

»Fuchs, du weißt …«

»Die Drude ist mein Gast, Tamas«, erwiderte der Fuchs hinter der Zeitung, und das heißere Knurren in seiner Stimme bedeutete, dass er keinen Widerspruch duldete. Der Alte Friede, der über der Eiche lag, schwankte unter dieser unverhohlenen Drohung. Der Faengg trat von einer Klaue auf die andere. Niemand im Alten Volk – selbst dann, wenn er über ausladende und ziemlich beeindruckende Widderhörner verfügte – legte sich ohne Not mit einem der Ewigen an. Selbst wenn es sich dabei nicht um einen Alb, sondern nur um einen Róka handelte. Gryla lächelte zufrieden, fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand des Glases und erzeugte damit einen satten kreischenden Ton, der nicht allein den Gästen im Gasthaus zur Gewürgten Gans, sondern auch allen Bewohnern und Schläfern draußen in den Eichen kalte Schauer den Rücken hinunterjagte. »Ist da Taubenblut drin?«

Der Wirt bähte und warf den Kopf samt der schweren Widderhörner in den Nacken. »Aber natürlich, Quälgeist.« Damit drehte er sich endlich um und stelzte zurück hinter die ebenfalls mit geschnitzten Eichenblättern und Häherfedern kunstvoll verzierte Theke zu einer frühlingstaglieblichen Saligen, die Gryla feindselige Blicke zuwarf. Davon unbeeindruckt kostete die Drude einen Schluck Wein und beurteilte ihn als ausreichend süß. Während sie erneut nippte, schaute sie sich in der Gaststube um.

An einem weiteren Tisch hatte eine Handvoll Kobolde die Köpfe zusammengesteckt und flüsterte aufgeregt miteinander. Daneben spielten ortsansässige Faenggen Tarock und ein hutzeliges Wurzelweiblein schmauchte stillvergnügt in einer Ecke ein Pfeiflein. Zuletzt war noch ein zusammengewürfeltes Grüppchen Salige anwesend. Das einzige Element, das sie verband, waren die Häherfedern, die sie in ihr langes offenes Haar geflochten hatten und sie als Strauchdiebe Frau Hähers auszeichneten. Diese sagenumwobene Gestalt thronte inmitten ihrer bunten Schar, und Gryla vermutete, dass es am Alten Frieden liegen musste, dass sie die hohe Dame nicht sogleich bemerkt hatte. Sie war in der Vergangenheit bereits mehrfach mit ihr zusammengerumpelt und darum keineswegs erfreut, sich mit ihr unter einem Dach zu befinden. Selbst wenn unter diesem Dach der Alte Friede galt. Und weil die Saligen allesamt mit gar so versteinerten Mienen zu ihr herüberstarrten, streckte Gryla ihnen die nachtschwarze Zunge heraus. Woraufhin die Luft in der Gaststube bebte, der Efeu an den Wänden wie Espenlaub zitterte, die Glühwürmchen einen Wimpernschlag lang verglommen, der Alte Friede jedoch standhielt.

»Sei kein Tunichtgut und hör auf, die Saligen zu reizen, Gryla«, knurrte der Fuchs.

»Was musst du dich auch immer ausgerechnet hier in dieser ehrenwerten Restauration mit mir treffen?«, quengelte die Drude, um ihn endlich von seiner Zeitung loszueisen.

»Ich dachte, dir macht es Freude, die Regeln zu brechen«, entgegnete er. Ohne die Schnauze aus der Zeitung zu nehmen.

»Natürlich macht es mir das. Es wäre nur schön, wir könnten uns zur Abwechslung einmal in einem Lokal treffen, wo ich mir sicher sein kann, dass mir niemand in den Wein spuckt.«

»Diese ganzen fantastischen Lokale, von denen du sprichst, sind aber nun einmal nicht nur einen Steinwurf von meinem liebsten Tor in den Hohen Norden entfernt. Abgesehen davon hast du im Weinenden Eichhörnchen Hausverbot, weil du immer die Zeche prellst.«

Gryla seufzte und nippte an ihrem Wein. Da der Fuchs nach wie vor keine Anstalten machte, seine Lektüre zur Seite zu legen, erkundigte sie sich schließlich, was denn Spannendes darinnen stand. »Das Bureau hat in Arringen einen Anarchisten verhaftet«, brummte er, »und die Magische Garde hat vor etwa einem Monat Sidelhorn in Schutt und Asche gelegt.«

Gryla hatte davon bislang nichts mitbekommen. Ihr Schweigen veranlasste den Fuchs, für einen kurzen Moment die Zeitung herunterzuklappen, ihr überraschtes Gesicht zu mustern und zuletzt zu seufzen. »Die Saligen munkeln allüberall, das Bureau hätte Salamander und fliegende Schiffe eingesetzt«, erklärte er, bereits wieder hinter dem Magischen Anzeiger verschanzt.

»Haben sie das alte Miststück auch erwischt?«

»Die Erl? Nicht, dass ich wüsste.«

»Glaubst du denn, dass das wahr ist? Die Saligen neigen doch zu Übertreibungen.«

Der Fuchs ließ ein Knurren vernehmen. »Das mag sein. Trotzdem schmeckt mir das alles nicht. Das Bureau bastelt seit einer Weile an allerlei alchemistischem Kriegsgerät, das derart ausgefeilt und zerstörerisch ist, dass sie es unmöglich nur gegen die Freien Fürstentümer oder ihre anderen Nachbarn zum Einsatz bringen werden.«

»Du denkst, sie wollen die verbliebenen Saligenhöfe vernichten?«, fragte Gryla.

»Da müsstest du die Nornen fragen«, sagte der Fuchs, dieweil er endlich die Zeitung fein säuberlich zusammenfaltete und auf die Tischplatte legte. »Nun lass mich deine Beute sehen, sonst platzt du mir ja noch.«

Woraufhin Gryla dem Fuchs die rechte Hand unter die Schnauze hielt. Das Dornendickicht der Albtraumbilder auf ihrer Haut, das sich sonst nur träge mäandernd bewegte, begann einen fürchterlichen Reigen zu tanzen. Nach und nach lösten sich Rauchschlieren, schwebten einige Fingerbreit in die Höhe und formten sich zu einem festen, flachen Gegenstand. Zuletzt lag eine zerschrammte Bronzedose auf der Handfläche der Drude.

Es war in bestimmten Kreisen allgemein anerkannt, dass es bisweilen notwendig war, unorthodoxe Wege zu beschreiten, wollte man einen Gegenstand, der einem (noch) nicht gehörte, an sich bringen. Etwa weil sich der bisherige Besitzer partout nicht davon trennen mochte. Oder weil sich der fragliche Gegenstand an einem Ort befand, an dem er von eifersüchtigen Archivaren, Registratoren, Bibliothekaren, Universitätsprofessoren, Museumsdirektoren – kurz vom Bureau – verwahrt wurde. Steckte man in einer solchen Kalamität, dann wandten sich die meisten, die mit den Wegen des Alten Volkes vertraut waren, früher oder später an unsere Drude. Denn die Druden mit ihren speziellen Talenten kamen schließlich beinahe überall hin.

Der Fuchs schnappte nach der Dose und studierte eingehend das Diebesgut, vor allem die abgewetzten Zwergenrunen darauf (denn das waren die Kratzer und Schrammen in Wirklichkeit). »Gab es wieder Kollateralschäden, von denen ich wissen sollte?«

Und derweil Gryla darüber grübelte, ob es ein Kollateralschaden war, wenn sie das Oberhaupt des Freien Fürstentums zu Kaltenbach im Austausch mit der Dose aus der Aussteuer seiner Großmutter mit einem Albtraum gedrückt hatte, schraubte der Fuchs den Deckel besagter Dose ab und schnupperte hinein.

»Wie viele von den Dingern habe ich jetzt eigentlich für dich gestohlen?«

»Siebzehn.«

»Denkst du, es ist diesmal die richtige?«

»Wohl kaum.« Der Fuchs schraubte den Deckel wieder zu und betrachtete die Dose noch eine Weile von allen Seiten, bis er sie zuletzt in einer Innentasche seines Mantels verschwinden ließ. »Aber das soll Titania entscheiden.«

»Ich wette, Oberon, der alte Schlamper, hat längst vergessen, wie sie ausgesehen hat. Wahrscheinlich weiß das selbst der elende Zwerg Alberich nicht mehr. Der ist doch bloß noch aus reiner Gewohnheit tödlich beleidigt.« Der Fuchs hob tadelnd die Augenbrauen. Allerdings platzte Gryla, ehe er etwas entgegnen konnte, zu ihrer beider Überraschung hervor: »Nimmst du mich mit?«

»Wohin soll ich dich mitnehmen?«

»Die Libuše versucht seit einer Weile, eine Schuld einzutreiben«, erwiderte die Drude, obgleich sie ahnte, dass es wahrscheinlich ein Fehler sein würde, dem Fuchs diesen Umstand zu verraten. Schließlich neigte er dazu, die Geheimnisse anderer zu horten und dieses Wissen früher oder später auch zu nutzen. Abgesehen davon hoffte sie wirklich, dass er sie nicht danach fragen würde, wie sie in die Schuld der Libuše geraten war. Denn sie würde nicht lügen können. Der Anlass aber war so peinlich, dass der Fuchs sie ohne Zweifel ewig verspotten würde. Und die Ewigkeit konnte für Geschöpfe wie sie verdammt lang sein. Weshalb Gryla am liebsten alle Worte rückgängig gemacht hätte. »Wahrscheinlich hegt sie Rachegelüste in ihrem Herzen. Deshalb käme mir ein Rückzug in den Hohen Norden sehr gelegen.«

Nachdenklich kraulte der Fuchs den Pelz an seiner Kehle. »Du hast Schulden bei der Erl vom Sidelhorn? Warum hast du mir nichts davon gesagt? Mit diesen alten Alben ist nicht zu scherzen. Erst recht nicht, wenn sie nicht mehr Herr ihrer Sinne sind.«

»Es ist ja nicht nur das«, flüsterte die Drude, und als hätte ein Zauber ihre Zunge gelockert, offenbarte sie dem Fuchs eine weitere böse Ahnung, die sie seit einer Weile beschäftigte und die sie eigentlich lieber für sich behalten hätte. »Ich habe in letzter Zeit Albträume.«

Vor lauter gespannter Aufmerksamkeit zuckte der Fuchs mit den Ohren und Gryla sah ihm an, dass er sich nur mit großer Mühe zurückhalten konnte, zu fragen, was sie denn träumte.

»Das ist ja alles ganz bedauerlich, aber wie soll ich dir da helfen?«

»Ich will nach Hause«, sagte Gryla kleinlaut, und erst als sie die Worte aus ihrem Mund hörte, wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich dies wünschte. Sehnsüchtig fuhr sie mit den Fingerspitzen erneut über den Rand des Kelches, woraufhin ein melancholisches Jammern in der Gaststube erklang und beinahe die Herzen der Gäste rührte.

»Ihr Druden seid mächtiger als ihr glaubt. Versuch, aus eigener Kraft dorthin zu kommen.«

»Soll ich durch das Nordmeer schwimmen?«

»Wenn ich mich recht erinnere, so kann dein Nykur in die Lüfte steigen.«

Das konnten Nachtmahre tatsächlich, denn sie waren Sturmgeister. Es war auch nicht so, dass Gryla es nicht versucht hätte, mit dem Nachtmahr über das Nordmeer nach Albion zu reiten. Doch der Nebel, den Disen und Sídhe, die Albenstämme des Nordens, um ihre Kontinente und Inseln einst legten, hatte die Sinne der Drude und des Nachtmahrs dergestalt verwirrt, dass sie ins Meer gestürzt und beinahe ertrunken waren.

»Oh, das ist natürlich Pech«, sagte der Fuchs und lächelte zähnefletschend dazu. »Aber du sollst nicht behaupten können, ich trüge ein Herz aus Eis in meiner Brust. Bring mir bis zur Sonnenwende etwas wahrhaft Wertvolles, und ich überlege es mir vielleicht.« Sein Blick fiel auf die zusammengefaltete Zeitung zwischen ihnen und er tippte mit einer Kralle auf die Zeichnung des zerborstenen Lindwurms im Museum für Magische Geschichte. »Wie wäre es hiermit?«

»Was willst du mit dem Gerümpel, Fuchs?«, fragte die Drude misstrauisch und wagte nicht, auf die Abbildung zu schauen. Der Fuchs zuckte leichthin die Schultern und sie wusste, sie würde keine Antwort von ihm erhalten. »Meinst du das ernst?«, fragte sie darum. »Dass du mich dann mit in den Norden nimmst?«

»So ernst wie ich nur sein kann.«

Gryla spürte, wie sich die verpflichtenden Bande eines vagen magischen Versprechens um sie und den Fuchs legten.

»Hab Dank für dein Versprechen, wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dich daran erinnern, Fuchs«, sprach sie deshalb schnell die notwendigen Worte, um jene Bande zu besiegeln. Zugleich zweifelte sie keinen Moment daran, dass es dem Fuchs gelingen würde, sich aus dem Versprechen herauszuschwatzen, falls sich sein Sinn wandelte. Weshalb sie ihm auch keine Zeit ließ, etwas zu entgegnen. Sie verneigte sich rasch, winkte Frau Häher zu, auf deren Gesicht sogleich Mordlust zu Tage trat, und rauschte von dannen. Diesmal brauchte die Drude sich nicht in Rauch aufzulösen. Die Türe des Gasthauses zur Gewürgten Gans schwang vor ihr auf und fiel dann krachend ins Schloss zurück.

Der Nachtmahr war im Unterholz verschwunden. Gryla warf dem boshaften Kichern, das aus dem Geäst der Eichen zu ihr drang, finstere Blicke zu. Und obgleich sie also beobachtet wurde, lief sie zu einer derjenigen Eichen, in deren Fenster kein Licht brannte. Die Schnitzereien der Türe, die in das Innere des Baumes führte, waren von zarten Frostdisteln überzogen, von der Türklinke, einem Häher aus Bronze, hingen Eiszapfen herab. Es hieß, dass dahinter die Insel Akraberg lag, und Gryla glaubte, salzige Luft, Meeresrauschen und Möwengeschrei wahrzunehmen. Sie seufzte. Nicht jeder war fähig, auf den Hohlwegen der Alben zu reisen oder ihre Tore zu öffnen, und man raunte gemeinhin, man müsse hierfür mindestens einen Tropfen Albenblut in sich tragen. Ansonsten falle man auf jenen Pfaden (so man sie überhaupt fand) prompt dem Wahnsinn anheim. Denn die Hohlwege waren dergestalt zwischen Dolmen, Geleitsäulen und Grenzsteinen verankert, dass sie die Tiefe der Zeiten und die Wurzeln der Welt verschoben. Sogar Knick- und Knotenpunkte, die von rauschenden Meeresfluten getrennt wurden, verbanden sie miteinander. Doch waren die meisten dieser Verbindungen zwischen dem Norden und dem Süden von den Disen und Sídhe, als sie ihre Nebel spannen, gekappt worden. Weshalb nur noch die geschicktesten Grenzwandler des Alten Volkes sowie besonders vorwitzige Ziegen, Katzen, Eichhörnchen und Füchse die Handvoll offener Hohlwege nutzen konnten. Gryla zählte offenbar nicht dazu. Denn ihre magischen Fähigkeiten, die nur ein verdrehtes Zerrbild der Macht waren, über die die Alben geboten, hatten es bei keinem ihrer Versuche vermocht, einen der Hohlwege in den Norden zu öffnen. Und sie erinnerte sich mit Schaudern daran, was passiert war, als sie es gewagt hatte, den Häherkopf nach unten zu drücken, um auf den Hohlweg vor ihr zu gelangen.

Sie saß im Süden fest.

So kehrte sie der vereisten Türe den Rücken und trat auf den Hohlweg, der sie zurück nach Venia bringen würde. Je weiter sie lief und je länger sie über das halbherzige Versprechen des Fuchses nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr, dass sie es tatsächlich zu ihrem Vorteil würde nutzen können. Wieder seufzte sie schwer.

Die Drude war etwa eine halbe Stunde gewandert und überlegte gerade, ob sie nicht dem Nachtmahr pfeifen sollte, als hinter ihr in der Dunkelheit absichtsvoll ein Zweig knackte. Gryla fluchte. Sie hatte nicht mehr auf ihre Umgebung geachtet.

»Guten Abend, Quälgeist. Die Erl vom Sidelhorn wünscht dich zu sprechen«, sagte eine wohlklingende männliche Stimme und ließ die Drude herumwirbeln. Noch in der Drehung peitschen aus ihren Handgelenken schwarze Distelranken hervor, um als gezackte Dolche in ihre Hände zu springen. Dreizehn mattschimmernde Pfeilspitzen richteten sich in der Dunkelheit auf sie. Dazu glommen dreizehn kornblumenblaue Augenpaare.

»Sivaril«, zischte sie und rief nebenbei Angst und Schrecken aus den Schatten der nahen Felder herbei. »Die Erl scheint ja kein großes Vertrauen mehr in ihren liebsten Bluthund zu haben, wenn sie ihn gleich mit einem ganzen Rudel auf meine Fährte setzt.«

Ein hochgewachsener Saligenkrieger trat kalt lächelnd aus der Nacht und zielte weiterhin mit dem Bogen auf Gryla. »Spar dir dein Drudengetändel. Glaubst du wirklich, du könntest uns schrecken?«

Gryla war klar, dass sie es mit dreizehn verärgerten Alben nicht aufnehmen konnte – selbst wenn es lediglich Salige waren. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie sich deswegen zurückzuhalten brauchte. Sie stieß ein markerschütterndes Kreischen aus, das die Menschen ringsum in den Dörfern aus dem Schlaf fahren und selbst die Saligen erschaudern ließ.

Gryla griff an. Sie war auf Blutvergießen aus.

§ 5 Vermerk der Innenrevision Hier: Disziplinarverfahren des Exekutors von Belar aufgrund des Vorwurfs des Fraternisierens mit dem Alten Volk

27. Tag des Fünften Monats des Jahres 1181

Sachverhalt

Der Examinand Exekutor von Belar wurde mit Beginn des Sechsten Monats des Jahres 1180 zur Eindämmung akuten Ogerbefalls an die Garnison Jabluk abgeordnet. Im Zuge der Durchführung seiner Dienstaufgaben wurde er am 19. Tage des Sechsten Monats 1180 zur Inspektion einer in der Puszta ausgebrachten Koboldfalle gerufen. In dieser hatte sich nach übereinstimmender Aussage des Examinanden sowie der beiden Ulanen Ristić und Kosmar eine Kreatur des Alten Volkes verfangen, die als Werfuchs identifiziert wurde. Der Werfuchs bezauberte den Examinanden mit der Alten Sprache dergestalt, dass dieser die Falle aus Kaltem Eisen einschmolz und den Werfuchs daraus befreite. Das Eingreifen der Ulanen Ristić und Kosmar wurde vom Examinanden durch Einsatz magischer und körperlicher Gewalt verhindert. Die Kreatur entkam.

Der Examinand gab anschließend an, sich nicht an die Worte des Werfuchses erinnern zu können. Eine thaumaturgische Untersuchung in Bezug auf Korrumpierung durch Alte Magie durch Exorzisten Borko Orlov wurde ohne eindeutig belastendes Ergebnis durchgeführt.

Aufgrund eines Vermerks des Examinanden zu den Vorgängen an der Koboldfalle sah sich Major Zetters von der Garnison Jabluk genötigt, den Examinanden zu einem scharfen Duell zu fordern. Das Duell wurde durchgeführt am Morgen des 23. Tages des Sechsten Monats 1180, als Sekundanten waren Oberleutnant Ganters sowie der Koch der Offiziersmesse Mangelkramer bestellt. Major Zetters kam dabei zu Tode. Wie aus dem von den Sekundanten unterzeichneten Protokoll des scharfen Duells hervorgeht, ist dieses gemäß Paragraph 45 der Richtlinien zur Austragung von Ehrenhändeln ohne Beanstandungen verlaufen.

Bewertung und weiteres Vorgehen

Dem Examinanden Exekutor von Belar wird aufgrund der oben beschriebenen Vorkommnisse Fraternisieren mit Kreaturen des Alten Volkes vorgeworfen. Eine dienstrechtliche Untersuchung dieser erneuten Verletzung von Dienstpflichten aufgrund der Freisetzung des Werfuchses durch den Examinanden scheint dringend geboten.

Zudem ist aufgrund der Abstammung des Examinanden mit weiteren Verstößen gegen Dienstpflichten dieser Art zu rechnen. Eine Neutralisation ist darum zu prüfen und wird von der Innenrevision nach derzeitigem Sachstand befürwortet.

Es wird deshalb vorgeschlagen, den Examinanden bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens durch die Innenrevision vom Dienst zu suspendieren oder in den Innendienst der Grauen Wache in der Halbmondgasse zu Venia zu versetzen, da auf diese Weise bei weiterer Verletzung der Dienstpflichten ein rasches Eingreifen der Inquisition gewährleistet ist.

Der Examinand hat sich für Vernehmungen der Innenrevision bereitzuhalten.

Über

Magisterium zur Bändigung und Bindung des Alten Volkes

Mit der Bitte um Kenntnisnahme und weitere Veranlassung an

Magisterium zur Magischen Gefahrenabwehr

Geschrieben

Eilert Fleck, Revisor

Gezeichnet

Ladich Thalhain, Dritter Stellvertretender Großinquisitor

Zu den Akten.

§ 6 In der Halbmondgasse

Sechster Monat des Jahres 1181 Noch sieben Tage bis zur Sommersonnenwende

Das Bureau für Magische Angelegenheiten war ein Krake, dessen Arme in sämtliche Bereiche der Verwaltung, der Gerichtsbarkeit, der medizinischen Versorgung, der Verteidigung und zuletzt der Regierung hineingriffen. Seine Aufgabe war es, jeglichen Gebrauch der Magie zu reglementieren und zu organisieren. Zu diesem hehren Zwecke verfügte es über unzählige Magisterien, Dienststellen, Abteilungen, Ämter, Ordinationen, Kanzleien, Registraturen, Archive, Bibliotheken, Sektionen, Departements und Referate (letzten Schätzungen zufolge waren es an die siebenhundertdreizehn, doch inoffiziell mussten es einige hundert mehr sein), die wegen der landläufigen Heimlichtuerei der Magier und wegen des unbeschreiblichen Durcheinanders an Zuständigkeiten vom Volksmund schlicht unter dem Begriff »das Bureau« zusammengefasst wurden.

Die Dienststelle der Grauen Wache in der Halbmondgasse zu Venia zählte zu der Abteilung, die unter anderem mit der Verfolgung von Straftaten des Alten Volkes betraut war. Im Gegensatz zu den allermeisten Dingen, die die Magier betrafen, war es kein wohlgehütetes Geheimnis, dass die Graue Wache eines der toten Enden der Karriereleiter im Bureau darstellte. Die Übergriffe des Alten Volkes nämlich reichten von boshaften Streichen wie saurer Milch, dem Bösen Blick oder angelaufenen Spiegeln hin zu Schemen, die Friedhöfe unsicher machten, zu verschwundenen oder vertauschten Kindern und zu blutleeren Leichen. Egal worum es sich handelte, der Fahndungserfolg war stets gering, nicht selten endete der Exekutor – auch wenn er nicht in unwirtlichen Gegenden wie der Puszta oder an den Rändern finsterer Wälder stationiert war – lange vor seiner Pensionierung selbst als blutleere Leiche auf einem der Tische der Nekromanten. Und obendrein hatte man während der Vollmondnächte die gemeldeten Varulv in der Dienststelle zu hüten, damit sie sich nicht dem Blutrausch ergaben.

So verwunderten den strafversetzten Exekutor beim Betreten seiner neuen Wirkungsstätte weder der durchdringende Geruch nach feuchtem Werwolf noch die Kratz- und Bissspuren an den Wänden und Möbeln. Ebenso wenig beeindruckten ihn die spitznasige Sekretärin oder der Dienststellenleiter, der mit einer Verschlussmappe unter dem Arm auf dem Sprung zu sicherlich gewichtigen Dienstgeschäften gewesen war und nun Haltung angenommen hatte. Denn niemand geringerer als der Oberste Exekutor höchstpersönlich hatte Lohe von Belar in der Halbmondgasse abgeliefert. Was Lohe freilich nicht ahnte, war, dass eben dieser die kuriose Eigenheit besaß, gerne und oft unangekündigt auf den Dienststellen der Grauen Wache zu erscheinen, um einen Eichelkaffee zu trinken, einem Exekutor zum Geburtstag zu gratulieren und mit den Sekretärinnen zu schäkern oder um sich nach den laufenden Ermittlungen sowie ganz allgemein dem werten Befinden zu erkundigen. Und so überraschte Lohe die Begrüßung dann doch ein bisschen, die ungeachtet der dramatisch unterschiedlichen Hierarchiestufen äußerst herzlich ausfiel.

Seines fortgeschrittenen Alters zum Trotz war Randulf Romedius Ronwald ein stattlicher Magier, dessen bloße Anwesenheit für gewöhnlich jeden Raum bis zum Bersten mit Energie ausfüllte und dem man dank seines kräftigen Händedrucks durchaus zutraute, dass er nach wie vor, falls nötig, eine Striege oder gar einen Troll niederzuringen vermochte. Der Eindruck wurde durch den blitzenden Bergkristall verstärkt, der mithilfe einer alchemistischen Kupferhaltung in der linken leeren Augenhöhle steckte, angeblich Trugbilder der Alben zu durchschauen vermochte und ein verlässliches Zeichen dafür war, dass der Oberste Exekutor einmal ähnlich wie Lohe den ungezähmten Kreaturen des Alten Volkes im Außendienst gegenübergestanden war. Aus dieser Zeit musste auch der schartige Säbel aus Kaltem Eisen stammen, den Randulf Romedius Ronwald stets am Gürtel trug.

Wahrscheinlich machte der zartgliedrige, drahtige Lohe, der sich – kaum dass sie die Schreibstube betreten hatten – hinter Randulf Romedius Ronwald mit verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt hatte und die Szene aus funkelnden Bernsteinaugen beobachtete, deshalb einen solch ungünstigen Eindruck auf den Dienststellenleiter Korbinian Kratzler. Dem waren natürlich sogleich der nachlässig gebundene Schlips, der fehlende Knopf am rechten Ärmelaufschlag des schiefergrauen Gehrocks und zuletzt die beiden Dolche aufgefallen, die Lohe anstelle der vorgeschriebenen Dienstwaffen trug und die obendrein keiner der bekannten Verordnungen entsprachen. Was auch für Lohes kohlenschwarzen Schopf galt, der in störrischen Büscheln von seinem Kopf stand und ihm einen höchst widerspenstigen Zug verlieh. Und als wäre all dies nicht genug, lag in seiner ganzen Haltung dermaßen viel unbewusster Stolz, in seiner blassen, makellosen Miene so unergründliche Gleichgültigkeit, dass Kratzler ganz entgegen seiner Natur unwillkürlich den Drang verspürte, seine Faust mitten in diesen Hochmut zu applizieren.

Randulf Romedius Ronwald stellte mit dergleichen jovialen Geste, mit der er zuvor den Dienststellenleiter begrüßt und diesem die Umlaufmappe mit dem Versetzungsvermerk überreicht hatte, nun den Neuzugang in der Halbmondgasse vor. Mit einer gewissen boshaften Freude bemerkte Lohe, dass sein neuer Vorgesetzter beim Klang seines Namens beinahe laut geflucht hätte. Fast musste er lächeln. Der ausgestreckten Hand des Dienststellenleiters nickte er nur knapp zu.

»Lohe, lass uns bitte kurz allein, ich möchte mit Exekutor Kratzler unter vier Augen sprechen«, sagte Randulf Romedius Ronwald gut aufgelegt und den Affront seines Schützlings ignorierend.

Lohe seufzte und trollte sich nach draußen.

Kaum war die Türe hinter ihm zugeklappt, konnte Kratzler nicht länger an sich halten und Lohe hörte ihn in der Schreibstube rufen: »Von Belar? Sagen Sie mir bitte, dass das nicht wahr ist.«

Lohe überlegte, ob er die leeren Zellen am Ende des Flurs oder die Sekretärin, die aus ihrem unvorteilhaften schiefergrauen Uniformkleid spitznasig zu ihm herüberblickte, näher in Augenschein nehmen sollte. Dann allerdings siegte seine Neugier und er lehnte sich gegen die Wand und sperrte die Ohren auf, die selbst Mäusetrippeln hinter meterdicken Mauern zu hören vermochten. Lohe brauchte sich nicht einmal große Mühe zu geben. Denn weder waren die Mauern der Dienststelle Halbmondgasse meterdick noch war der Dienststellenleiter leise wie eine Maus. Und so spielte Lohe mit dem Deckel seines Feuerzeugs und war gespannt, welche wenig schmeichelhaften Dinge er diesmal über sich zu hören bekam.

Der Oberste Exekutor erwiderte gerade heiter: »So viele von Belars gibt es nicht.«

Kratzler stöhnte und Lohe konnte es ihm nicht verdenken. Immerhin gab es nur einen Grund, wenn Angehörige der hochwohlgeborenen Linien – und die von Belars konnten ihren Stammbaum mindestens bis zum Hundertjährigen Krieg lückenlos zurückverfolgen – zur Grauen Wache versetzt wurden. Sie waren unselige, missratene Figuren, die woanders gehöriges Schindluder getrieben hatten.

»Und in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis steht er zu den beiden?«

»Ziehsohn und Halbbruder«, sagte Randulf Romedius Ronwald und fügte eilig hinzu: »Seien Sie unbesorgt, Kratzler, weder die Magnifizenz noch der Fünfte Stellvertretende Großinquisitor erwarten von Ihnen besondere Rücksichtnahme. Im Gegenteil.«

Alles andere hätte Lohe auch sehr gewundert. Der Dienststellenleiter murmelte etwas, das er nicht recht verstand, weil es vom Geräusch der Umlaufmappe, die auf den Schreibtisch geworfen wurde und ein leeres Wasserglas umstieß, übertönt wurde. Der Tonfall allerdings klang ungläubig, geradezu höhnisch. Das Folgende war dagegen klar und deutlich zu vernehmen: »Sagen Sie mir ehrlich, wie kommt es, dass man bislang nie etwas von diesem Spross der hochwohlgeborenen Familie von Belar vernommen hat? Immerhin ist er im rechten Alter, sich wenn schon nicht bureaukratische, dann doch wenigstens als Pfand auf dem Heiratsmarkt genealogische Meriten zu verdienen.«

»Lohe ist ein komplizierter junger Mann. Ein Tunichtgut, wenn man so will. Er ist anders. Ihm fällt es schwer … sich einzufügen. Manchmal frage ich mich, ob es ihm je gelingen wird, da es nun einmal nicht in seiner Natur liegt.« Der angenehme Bass des Obersten Exekutors verstummte und unser Lauscher vor der Türe nahm das sanfte Knistern wahr, das davon herrührte, dass Randulf Romedius Ronwald sich nun versonnen über den Bart strich. Lohe unterbrach das Schnippen mit dem Feuerzeug und spannte sich an. »Er ist ein Wechselbalg …«

»Was?«, rief Kratzler entsetzt.

»Lohe ist ein Wechselbalg und hat das ungesunde Talent, in Schwierigkeiten zu geraten. Er braucht einen Schubs in die richtige Richtung. Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie ihn bis zum Ende seines Disziplinarverfahrens ein wenig unter Ihre Fittiche nehmen könnten. Denn Sie haben doch ein Talent für … schwierige Charaktere.«

Dies war nun keine Bitte, sondern eine Dienstanweisung, und Lohe entnahm Kratzlers Schnauben, dass der Dienststellenleiter darüber noch unglücklicher war als über den Umstand, dass Lohe seiner Dienststelle zugeteilt worden war.

»Am besten lesen Sie in einer ruhigen Stunde seine Akte. Die ist durchaus spannend«, sagte der Oberste Exekutor zuletzt. Und da musste Lohe ihm recht geben.

Anscheinend war nun alles gesagt, denn die Türe zur Schreibstube schwang von unsichtbarer Hand geführt auf und Randulf Romedius Ronwald rief Lohe wieder herein. Der steckte das Feuerzeug weg und folgte widerwillig.

»Lohe, du wirst direkt mit Dienststellenleiter Kratzler zusammenarbeiten und allen seinen Anweisungen Folge leisten.« Der Oberste Exekutor sprach langsam wie mit einem Kind, das etwas schwer von Begriff war, und legte in jedes Wort seinen ganzen Willen. Das Kristallauge summte dazu. »Verstanden? Du weißt, was für dich auf dem Spiel steht. Vorteilhaftes Verhalten wird sicherlich wohlwollenden Einfluss auf das Ergebnis deines Disziplinarverfahrens haben.«

Lohe nickte gelangweilt, dieweil sein neuer Vorgesetzter – ein wenig grün um die Nase – die Umlaufmappe mit dem Versetzungsvermerk darinnen anstarrte, als handelte es sich dabei um ein auf ihn ausgestelltes Neutralisationsurteil der Inquisition.

»Hervorragend.« Zufrieden strich sich der Oberste Exekutor über den graugesprenkelten Bart und klopfte dem frischgebackenen Mitglied der Grauen Wache, Dienststelle Halbmondgasse, aufmunternd auf die Schulter. Dann grüßte Randulf Romedius Ronwald lediglich in die Runde und ging. Kratzler starrte Lohe an. Der starrte zurück, und es dauerte nicht lange, da musste der Dienststellenleiter den Blick abwenden. Zögernd nahm Kratzler die Verschlussmappe mit dem aufgebrochenen magischen Siegel zur Hand, die er vorhin unter dem Arm getragen hatte. Er schien sich nun daran zu erinnern, dass er eigentlich gerade dabei gewesen war, die Wache zu verlassen, als der Oberste Exekutor samt Geleit hereingeplatzt war. Kratzler wusste nicht, was er mit diesem aus heiterem Himmel aufgetauchten Ungemach anstellen sollte – außer dass er Lohe keinesfalls mit Yvonne Douceur, der spitznasigen Sekretärin, in der Dienststelle alleinlassen wollte. Deshalb beschloss er kurzerhand, Lohe auf seinem Dienstgang mitzunehmen.

»Kommen Sie, Belar. Wir haben eine von den Flussleuten entführte Waschfrau aufzutreiben.«

Lohe fand, dass er bereits einen ausreichend langen Tag hinter sich gebracht hatte. Wie sooft vor einem Ereignis, bei dem er tadellos und pünktlich zu erscheinen hatte, hatte er verschlafen und war ohne Frühstück, dafür mit einem neuen schiefergrauen Gehrock anstelle seines schmerzlich vermissten Dheamhanmantels in das Gewühl der Stadt Richtung Regierungsbezirk getrabt, wo die obersten Magisterien ihren Sitz hatten. Weil er bislang den überwältigenden Großteil seines Lebens außerhalb Venias verbracht hatte, hatte er sich prompt verlaufen. Die Häuser, die scheinbar sinnlos angelegten Straßen und insbesondere die vielen, vielen Geschöpfe hatten ihm sogar dergestalt die Sinne verwirrt, dass er über einen Aktenkobold gestolpert und dabei des Knopfes am rechten Ärmelaufschlag verlustig gegangen war. Die Versetzungsurkunde war ihm darum mit Verspätung von Randulf Romedius Ronwald in dessen Büro im Magisterium zur Bändigung und Bindung des Alten Volkes überreicht worden. Der frühere Weggefährte seines Ziehvaters und Patenonkel seines

Halbbruders hatte es sich nicht nehmen lassen, den bureaukratischen Akt mit einem Sturzbach gutgemeinter mahnender Worte rund um das schwebende Disziplinarverfahren zu übergießen, der auch auf dem Weg zur Dienststelle in der Halbmondgasse nicht versiegt war.

Weshalb es Lohe am liebsten gewesen wäre, man hätte ihn nun in eine muffige Schreibstube gesteckt, ihm einen alten Aktendeckel in die Hand gedrückt und ihn wenigstens eine Weile in Frieden gelassen. Und ihn nicht an seinem ersten Tag ausgerechnet zu einem Besuch des örtlichen Flusses genötigt.

Abgesehen davon hätte er nun wirklich gerne gefrühstückt.

Bereits nach wenigen Schritten bemerkte Lohe anhand des Sonnenstands und des schwächer werdenden Geruchs nach Wasser, Schlick und Fischen (und dem Flüstern der Pflastersteine zu seinen Füßen), dass sie sich vom Fluss entfernten. Die Halbmondgasse war ein verschlungenes Knäuel, das sich, von der Altstadtinsel ausgehend, in Richtung des Sonnenaufgangs wand und zuletzt aus Venia hinausführte. Zu beiden Seiten der Gasse befanden sich schiefe Häuser, die zum Teil in atemberaubenden Winkeln zusammengewürfelt waren und deren Dachgebälk und tragende Wände an manchen Stellen wohl nur noch durch starke Zauber zusammengehalten wurden. Fast jedes dieser Häuser verfügte im Erdgeschoss über ein Ladengeschäft, in dem Lebensmittel, Schreibdienste und hier und da in den Hinterzimmern sicherlich auch unerlaubtes Zauberwerk feilgeboten wurde. Die Auslagen der Läden quollen aus den Geschäften hinaus auf die Straße, die vollgestopft war mit allerhand Menschen in unterschiedlichen Sauberkeitsgraden. Manchen von ihnen sah man zwar dank zu knolliger Nasen, langer Ohren oder zu vieler Zähne und Gliedmaßen an, dass sie auf die eine oder andere Weise einen Blutstropfen des Alten Volkes in sich trugen, dennoch konnte Lohe kaum Magie an ihnen ausmachen. Ihm schien sogar, dass die Halbmondgasse und die Gebäude magischer waren als deren Bewohner.

Zwischenzeitlich war er zu dem Schluss gekommen, dass Kratzler und er wohl die Verwandten der Waschfrau aufsuchten, um diese zu der Entführung zu befragen. Zwar lauschte er einigermaßen interessiert den Ausführungen seines neuen Vorgesetzten, doch behielt er alle Fragen für sich, aus dem einfachen Grunde, weil er spürte, dass sein Schweigen Kratzler nervös machte.

»Lohe. Was ist das für ein Name?«

»Meiner«, erwiderte Lohe, und Kratzler verlor beinahe seine Verschlussmappe, als er in ein Schlagloch stolperte, das dem Fußabdruck eines Trolls ähnelte. Allerdings wäre Kratzler nicht Dienststellenleiter der Grauen Wache geworden, wenn ihn nicht Geduld und Hartnäckigkeit ausgezeichnet hätten, und so versuchte er krampfhaft, ein Gespräch in Gang zu setzen, um mehr über das laufende Disziplinarverfahren herauszufinden. Doch an Lohes Einsilbigkeit hätte sich sogar ein mit allen Wassern der Verhörtechniken gewaschener Inquisitor die Zähne ausgebissen. Und spätestens als Lohe das silberne Feuerzeug zog, um wortlos mit einer grellen Stichflamme zu demonstrieren, welcher Art seine Abstammung war, verlegte sich Kratzler darauf, seinen Neuzugang von der Seite zu beobachten.

Lohe hatte alle Sinne auf die Halbmondgasse gerichtet und saugte das Geschehen in sich ein. Dazu jonglierte er mit der Linken schlafwandlerisch zwei rotbackige Äpfel in der Luft (die er nur an einem der Läden eingesteckt haben konnte). Anmutig bewegte er sich durch das Gedränge und wich sämtlichen Hindernissen so geschickt aus, dass es beinahe den Eindruck erweckte, als reagiere das Straßenpflaster auf seine Schritte.

Kratzlers magisches Talent bestand wie das der meisten Exekutoren darinnen, Blendwerk der Alben zu spüren und einigermaßen immun dagegen zu sein. Nun jedoch fragte er sich insgeheim, ob Lohe, da nur seine irritierenden Augen seine wahre Natur verrieten, nicht ein Trugbild um sich gewoben hatte, das ihn harmloser und menschengleicher erschienen ließ, als er tatsächlich war. Freilich hätte der Dienststellenleiter das Alte Wort sprechen können, das einen solchen Schleier zerriss, aber Kratzler fühlte eine unbestimmte Furcht davor, was er dahinter entdecken könnte, und obendrein schon wieder dieses gereizte Zucken in seiner Faust. Um sich von eben diesem abzulenken, fragte er: »Sind Sie nervös, Belar?«

»Nein. Warum?«

»Weil Sie mit Obst spielen. Das Sie vermutlich bei einem der Läden dort hinten gestohlen haben. Ich weiß nicht, wo Sie vorher eingesetzt waren, aber hier in Venia nutzen wir Bureaukraten unsere Position gegenüber dem Einfachen Volk nicht aus.«

Lohe grinste und ließ die inkriminierten Äpfel mit einer kaum wahrnehmbaren Handbewegung in einer Gehrocktasche verschwinden. In seinen schlanken Fingern tauchte stattdessen das silberne Feuerzeug wieder auf, mit dessen Deckel er nun schnippte. »Seien Sie nicht albern, Kratzler. Bureaukraten sind überall gleich. Nur weil Sie Ihre Position nicht ausnutzen, heißt das nicht, dass niemand sonst es täte.«

Woraufhin sie den Rest des Weges sehr zu Lohes Erleichterung endgültig in tiefstem Schweigen zurücklegten.

Die beiden Exekutoren folgten der Halbmondgasse hinaus vor die Tore Venias. Sanfte Hügel und Weinberge umgaben satt und grün die Stadt, das silbrige Band der Dunarea wand sich träge in einem weiten Bogen an fruchtbaren Feldern vorbei gen Osten. Die Last der Geschöpfe Venias und all dessen, was sie ausdünsteten, fiel von Lohe ab. Er atmete auf. Das Feuerzeug verschwand zurück in eine Gehrocktasche. Der Frühsommer hielt gerade Einzug, und Lohe versuchte, das Wispern des Klatschmohns rings um ihn her zu ignorieren. Genau wie das sanfte Summen der Landstraße zu seinen Füßen. Sie war mit denselben abgewetzten Steinen wie die Halbmondgasse gepflastert und etwa eine Elle im Erdreich versunken. Was ein untrügliches Zeichen dafür war, dass die Alben sie einst in den Tiefen der Zeiten ins Land getrieben hatten, und Lohe hatte das starke Gefühl, die Halbmondgasse und die Landstraße waren ein und dasselbe.

»Wohin gehen wir?«, fragte er schließlich, um sich davon abzulenken, dass die Alte Magie der Albenstraße ihm das Ziel längst zugeraunt hatte und seine scharfen Augen es obendrein bereits in der Ferne erspähten. Zudem hatte er vor langer Zeit gelernt, dass es besser war, Dinge gesagt zu bekommen, anstatt sie zu wissen, obwohl man sie eigentlich nicht wissen konnte.

»Wir suchen das Departement Spuk & Schrecken im Alten Friedhof auf«, antwortete Kratzler und fügte vorauseilend hinzu: »Dienstvorschrift.«

Lohe schnaubte, weshalb sich sein neuer Vorgesetzter offenbar genötigt fühlte, das spezielle Dienstprozedere der örtlichen Grauen Wache zu erläutern. »Bei allen Malefizhändeln, die von Kreaturen des Alten Volkes begangen werden, muss in Venia nach Paragraph 120 Absatz 2 zuerst eine Inspektion des Departements Spuk & Schrecken erfolgen.«

Das unzweifelhaft in einem Saligenfriedhof untergebracht war, dachte Lohe, obgleich er noch nie zuvor einen dieser Art