Das Café Jerusalem - Dieter Müller - E-Book

Das Café Jerusalem E-Book

Dieter Müller

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Beschreibung

Dies Buch beschreibt die Geschichte der ersten 20 Jahre eines christlichen Vereins, des Café Jerusalem, in Neumünster. Christen haben hier Gottes Auftrag angenommen, Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft leben, Lebensraum zu schaffen und, wenn möglich, Glauben und Hilfen zur Wiedereingliederung zu vermitteln. In unserem Cafe entstand schon 1995 in Schleswig-Holstein die erste Straßenzeitung, die «Jerusalëmmer». Es waren unsere «Gäste vom Rande», die sie redaktionell machten und auf den Straßen verkauften. Wir gründeten schon im zweiten Jahr als Selbsthilfeeinrichtung ein Möbellager und einen Kleiderladen. Wir halfen damals zum Beispiel sogar Kleidung nach Polen und Nähmaschinen nach Afrika zu vermitteln, und unsere prekär lebenden Gäste erfuhren etwas von der Würde, die Helfen verleiht. Dadurch, daß wir uns bei der Suche nach geeignetem Gast- und Arbeitsraum nicht aus dem Zentrum der Stadt verdrängen ließen, waren wir Anwälte der Armen, die man nicht aus ihren Lebensräumen an den Rand verdrängen darf. Unsere Arbeit war aber nicht allein einfühlsame Sozialarbeit, sie war vor allem Glaubensabenteuer und Test der Treue Gottes. 1994 stürzten wir uns in das Wagnis mit festen Spendenzusagen von weniger als 1.000 DM pro Monat und notwendigen Ausgaben von rund 5.000 DM monatlich, und das in einem Abbruchhaus, das uns von den Besitzern nur für ein halbes Jahr zur Nutzung garantiert war. Im Vertrauen auf Gott fingen wir einfach an. Und wir erfuhren, daß Gott uns nicht abstürzen ließ.

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Ich widme dies Büchlein der Familie Tendis, die zu den tragenden Christen und hingegebenen Gründern des Café Jerusalem zählte. Gott hat dieser Familie tiefes Leid zugemutet. Möge Gott Olafs und Doris’ Enkelkinder segnen.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

I.

1994 – 2001 Das Café Jerusalem unter Gottes wunderbarem Segen mit glaubender Leidenschaft geleitet von Stefan Burmeister

1. Gottes Impulse

Impuls I

Impuls II

Impuls III

Impuls IV

2. Der Anfang – Senfkorn groß

1994 - 1998 – Gründerzeit

Geistliche „Flitter-Wochen“ in der Kaiserstraße

Schritte, Versuche und Erfahrungen

Würde durch Arbeit

Arbeit durch Gebrauchtmöbel

Arbeit durch die Straßenzeitung – Teil I

Auf der Suche nach einer Herberge

Sackgassen – Kaufobjekte

Grundsanierung – das günstige Angebot

3. Die Bahnhofstraße 44

Hart gefordert, aber hoffnungsfroh. Das „CJ“ 1998 Teil I

Information und Spendenbitte

Hoffnungsvolle Aussichten

Vergewisserung – unser Informationsblatt

Wir gewannen neue Kraft – 1998 Teil II

1999 Neubeginn, aber in Kontinuität

Wieder Zahlenspiele

Natürlich Gottesdienst – mit Altar

Der Bibelgesprächs- und Gebetskreis

Feste im Café Jerusalem

Sommerfeste

Unsere Weihnachtsfeiern

Endlich effektive Verstärkung Zwei Fachfrauen

Doch zunächst wieder Zahlenspiele

Das „CJ“ in seinem siebenten Jahr

II.

2001-2014 Beschneiden, um gesunder zu wachsen Das Café Jerusalem geleitet von Andreas Böhm

4. Beschneiden der Wucherungen.

2001 - 2005 – Auf Sicht weiter mit Gott

Die Jerusalëmmer eine Erfolgsgeschichte

Das Möbellager unser Problemkind

Warum? Geistliche Irritationen

Dennoch weiter

Endgültig aus für das Möbellager

Glauben verstehen, stärken und teilen

Was sonst noch im Café geschah

Spendenaufruf 2004

5. Auf und ab unter Gottes Kontrolle 2006-2009

Kontollierter Rückbau mit Gewinn

Ringen um den einzelnen Menschen

Das unverzichtbare Ehrenamt

Fußballweltmeisterschaft ein ökumenisches Glanzlicht

Veränderung im Vorstand

Notwendigkeiten, Erweiterungen und Verbesserungen

Logos Hope – Mitten in Bedrängnis Ein realer Blick in die Weltmission

Geistlicher Rückblick auf 15 Jahre

Erneut internationales Flair im Café

Beratungsbedarf und seelsorgliche Präsenz

Öffentlichkeitsarbeit Tue Gutes und rede darüber. . .?

6. 2010-2014 5 Jahre bis zum 20jährigen Jubiläum

Ein durchaus gesundes Angebot

Zunächst einige Zahlen:

Gesundheits- und Hygieneangebote

Diversität im Speiseplan

Seelsorgliche Begleitung – unser Markenkern

Wieder einmal Licht aus?

„Mittendrin, statt nur dabei“

Die Vielfalt des arbeitenden Lebens im „CJ“

Was sich sonst noch begab

Die Vision eines Lebenshauses

7. 20 Jahre Ein sehr langer Weg in kurzer Zeit

Von der himmlischen Vision in die irdische Wirklichkeit

Bewahrt auf einem Weg voller Gefahren

Geistliche Leitung

Das „CJ“ neue Familie auf dem Weg zu Gott

Gottes Schmerz ging am CJ nicht vorüber

Wechsel im Vorsitz

2014 – Predigt zum Jubiläum

Gottlob – 7 JahreWachstum mit Stefan Burmeister

Gottes gute Wahl 18 Jahre mit Andreas Böhm

8. Zwei Beispiele aus dem großen Kreis der Mitarbeiter

Zum Beispiel: Christa Marklin

Zum Beispiel: Olaf Tendis

9. Ein persönlicher,zurück blickender Ausblick

VORWORT

Das Café Jerusalem ist Gottes eigenes Restaurant in Neumünster. Das Wort „Restaurant“ hat über das Französische eine lateinische Wurzel. Restaurare heißt wiederherstellen oder erneuern oder wiederaufbauen. Gebrochene Menschen wiederherstellen, niedergedrückte Menschen aufrichten, sie im Hinblick auf das ewige Leben in Gottes Himmel erneuern, das ist das von Gott anvisierte Ziel und die Mitte meines nachdenklichen Berichts über 20 Jahre Geschichte eines ins Vereinsregister eingetragenen Vereins.

Dies Buch ist nicht aus einem Guß. Es enthält Fakten aus Archiven, Erinnerungen, Impressionen und Deutungen. Es versucht Gottes Geschichte zu verstehen, die sich seit 1994 im Café Jerusalem ereignet hat. Am Ende ist dies Buch sehr schnell zusammengewachsen und an manchen Stellen auch gewuchert. Deshalb findet der Leser auch Wiederholungen. Auch die sind nicht sinnlose Redundanz. Sie setzen Akzente.

Der wahre Gott macht und schreibt auf Seiner Erde Geschichte. Sinn und Ziel dieser Geschichte enthüllen sich oft erst im Nachhinein. Dies Buch ist also ein – auch persönlich gefärbter – Zwischenbericht aus einem laufenden Prozeß, in den ich 18 Jahre als erster Vorsitzender eingebunden war. Wer sich der Geschichte Gottes erinnert, ehrt Gott und kann sich dem Lob Gottes nicht entziehen, weil Gott am Ende alles gut und recht macht.

Es war eine gute Frage, die neu hinzugekommene Vereinsmitglieder in der Mitgliederversammlung stellten: „Wie fing alles an?“ Wie fing es an und was geschah in den vergangenen Jahren in der Geschichte des Café Jerusalem? Das „CJ“ ist winziges Teilchen einer allumfassenden, durch alle Zeiten die ganze Welt ergreifenden Rettungsgeschichte. Gott wirkt diese Geschichte in der Kraft seines Geistes als Kontrastgeschichte der Liebe, der Versöhnung und der Barmherzigkeit im Namen Jesu Christi gegen die Macht des Bösen. Und das zweifellos auch bei uns in Neumünster. Dies Buch ist der Versuch, einen winzigen Ausschnitt dieser Geschichte zu beschreiben.

Im Café Jerusalem hat der Dreieine Gott, der Gott des christlichen Glaubens, 1994 in Neumünster kreativ eine neue, noch fehlende Filiale seiner „Restaurations-Kette“ eröffnet, die im Namen Jesu Christi zielgerichtet der sozialen Gruppe der Armen wahres Leben anbietet. Wahr kann Leben ohne Gott nirgends sein. Dies Büchlein ist der zweifellos subjektive Versuch, aus der Fülle der Ereignisse und der Menschen, die Mitarbeiter und Gäste dieses Hauses Christi waren und sind, einiges beispielhaft zum Lobe Gottes in Erinnerung zu rufen. Es ist der Reichtum ihres Lebens und Dienens, in dem Gott sich trotz unbestreitbarer menschlicher Schwäche barmherzig liebevoll verherrlicht.

Am Ende des Johannes-Evangeliums heißt es: „Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“ (Joh 21,25) Was damals zur Zeit Jesu Christi galt, das gilt gleichsam im Mikrometer-Format auch für das Café Jerusalem. Dies Café ist ja auch, aus der Fülle Gottes heraus entstanden, „in aller Schwäche ein starkes Angebot“. Gott allein erinnert und kennt all die Menschen, die von Anfang an die Räume und Zeiten des „CJ“ mit Leben gefüllt haben. Jeder Einzelne ein Mensch, über den man – hätte man Gottes Blick und Gedächtnis – eine Bibliothek von vielen Büchern schreiben könnte. Jeden hat Gott gerufen – als Mitarbeiter oder als Gast, in die Leitung oder in die Küche, an den Tresen oder in den Putzdienst, in den Fahrdienst oder in die Kleiderkammer, in den Zeitungsverkauf oder in die Redaktion, in den Dienst des Hausmeisters oder den des Seelsorgers und Beraters. . .

Ein erinnernder Blick in die Mitarbeiterlisten läßt staunen: Wieviele vertraute Namen, wieviel liebe Menschen, die sich glaubend, von Gott angestoßen, mit ihren Begabungen hineingaben in Gottes Werk. Jeder ein Geschenk Gottes. Ja, es sind wirklich nicht wenige, die über Jahre hinweg viel Lebenszeit, viel Kraft und viel Herzblut in Gottes Werk hinein geschenkt haben – gerufen von Gott. Ich würde sie alle gern mit Namen nennen und beschreiben, was sie leisteten und schenkten. Ich kann es nicht. Und genau bedacht geschah ja alles zur Ehre Gottes. In Wahrheit ist alles Leibwerdung Christi in menschlicher Geschichte. Das biblische „Ehre sei Gott in der Höhe!“ wird darin in Wahrheit leibhaftig, gewinnt Hände und Füße. Weil Gott leibhaftig Mensch wurde, verwirklicht sich auch das Lob Gottes in Fleisch und Blut, und genau in diesem leibhaftigen Gotteslob – wo denn sonst – weitet sich das stets an Leib, Geist und Seele gefährdete Leben des Menschen, da beginnt es zu heilen, und da wächst ihm Sinn zu. Das gilt nicht nur für das Leben des Menschen, der im Café Hilfe empfängt, nein, das wird ganz gewiß auch die Erfahrung des Helfenden, der sich schenkt. So ist es bei Gott.

Ich gliedere dieses Buch nach den beiden Leitern, die von 1994-2014 zwanzig Jahre lang das Café geprägt haben. Es wäre völlig unangemessen, dies Buch als geistliche Heldengeschichte zu verstehen. Beide Leiter hat Gott nacheinander in die Leitung seines Restaurants berufen und beauftragt, es zu seiner Ehre zu leiten und nicht, um sich zu bewähren und auf der sozialen Prestigeleiter nach oben zu steigen. Sie waren Diener Gottes mit ihren Stärken und Schwächen. Ohne die vielen Mitarbeiter, die Gott ebenso wie sie berufen und herausgefordert hat in Gebetsdienst, Küche, Hausmeisterei, Bedienung, Beratung oder Straßen-Zeitung wären die Leiter nichts. Diese vielen tragenden Mitarbeiter kamen nicht aus dem Nichts in’s Café Jerusalem. Sie waren geistlich in den Neumünsteraner Gemeinden herangewachsen und brachten ihre Erfahrung und ihr Wissen, das sie im Beruf oder Haushalt gelernt und bewährt hatten, in Gottes neues „Restaurant“ ein. Aller wahre Wert liegt hier darin, von Gott gerufen, unverzichtbar Teil des lebendigen, geistgewirkten Organismus „Café Jerusalem“ zu sein. Wer hier eine Prominenz-Hierarchie aufstellt, schneidet Gott die Ehre ab.

Angela Burmeister sprach 2009 in einem wegweisenden Rückblick die CJ-Wahrheit unübertrefflich aus: „Der Anfang vom Café Jerusalem? Den kennt Gott allein, denn lange bevor es für uns äußerlich sichtbar wurde in Form des Hauses in der Kaiserstraße, hatte Er schon alle Fäden gespannt, die Menschen schon gerufen, vorbereitet und zueinander geführt. Es gilt hier nicht, einen oder viele Einzelne zu loben, sondern Gott allein. Er bündelte unsere Gaben und setzte sie ein. Wir fanden Erfüllung im Dienen.

Wem sollen wir danken für die erfahrungsreichen Jahre des Lebens mit den Menschen, die das Café aufsuchten? Für die empfangene und weitergegebene Liebe? Gott allein. Wen sollen wir loben für die Herzensqualität der Begegnungen und der Arbeit, die Hingabe an Christus? Gott allein, denn Er wirkt in uns und durch uns.“

Wer das Café Jerusalem verstehen will, muß drei Aspekte im Blick behalten: den inspirierenden, präzis in Raum und Zeit gezielten und adressierten Auftrag Gottes; die Realität des in Leib, Geist und Seele existierenden individuellen Menschen, der seiner Natur nach nur in sozialen Strukturen leben kann; und als dritten Aspekt den Prozeß, in dem Gottes im Himmel verwurzelte, nach der irdischen Realität greifende Herrlichkeit sich mehr oder weniger in sündigen Menschen – so sagt es die Bibel – und ihren sozialen Strukturen verleiblicht.

Herzlich möchte ich Christa Marklin danken für die Vorarbeit, die sie im Sammeln und Sichten von Akten geleistet hat. Ohne diese Arbeit hätte ich das Buch nicht schreiben können. War meine Absicht ursprünglich, eine sozialwissenschaftlich faktenbasierte historische Darstellung über 20 Jahre Café Jerusalem zu bieten, wurde mir doch schnell klar, daß mir dafür Lebenszeit und Kraft fehlen. Sie wäre auch dem Café Jerusalem nicht angemessen, denn sie wäre um den Menschen zentriert und nicht um Gott, den wirklichen Inszenator. Ich werde versuchen, dem Geist Worte zu geben, der das Café Jerusalem entstehen ließ, und mich bemühen, seine faktische soziale Verleiblichung in Menschen und Ereignissen durch oft anekdotische Skizzen, beispielhafte Protokollnotizen und Dokumente aus der Café-Geschichte zu beschreiben, die unsere jeweilige Situation damals innerlich und äußerlich spiegelten. Das Café Jerusalem ist ein Werk des Glaubens an den heiligen und barmherzigen Dreieinen Gott, dessen Wesen Liebe ist. Und diese Skizzen und Würdigungen sind ein fragmentarisches Zeugnis dieses Glaubens.

Ich wurde nach den Anfängen gefragt. Hier liegt der Schwerpunkt meiner geistlich bedachten Darstellung. Das ist angemessen, denn ab 2005, also für die zweite Hälfte – liegen die hervorragend aufgeschlüsselten Jahresberichte1 vor, die jeder, der wissen möchte, wie es weiterging, im Internet einsehen kann.2 Sie waren mir eine wichtige Erinnerungshilfe.

Dieter Müller

1https://www.cafe-jerusalem.org/ueber-uns/zahlen-fakten/

2Vgl. auch: https://www.cafe-jerusalem.org/projekte/strassenmagazin-Jerusalëmmer/archiv/

Teil I.

1994 – 2001 Das Café Jerusalem unter Gottes wunderbarem Segen mit glaubender Leidenschaft geleitet von Stefan Burmeister

1. GOTTES IMPULSE

Impuls I

Das Café Jerusalem ist im Glauben verwurzelt und hat eine Vorgeschichte, die Gott längst vor der Gründung im Jahr 1994 inszenierte. Schon 1982 hörte ich auf einem Ökumenischen Europa-Kongress der Charismatischen Erneuerung in Straßburg mit über 20.000 Teilnehmern den begeisternden Vortrag eines Baptistenpfarrers aus dem französischen Lille, der dort eine Armenarbeit begonnen hatte und von dem geistlichen Kraftstrom sprach, der von einer solchen Arbeit in die Stadt ausgeht. Ermutigend war seine Erfahrung: Wenn die Christen etwas für die Armen tun, machen die Reichen ihre Geldbörsen auf. Es war ein Anstoß.

Mir traten zwei Menschen wieder ins Bewußtsein, denen ich in jungen Jahren aus Angst die helfende Hand verweigert hatte: Der verzweifelte Betrunkene, der in der Kieler Moorteichwiese im Abenddunkel auf einer kleinen Ruine torkelte, tanzte und schrie. Es muß etwa 1955 gewesen sein. Ich war gerade Christ geworden, hatte das starke Gefühl, ich müsse mich um den Mann kümmern und wagte es nicht. Oder der Clochard in Paris, den brutale Fleischhandwerker bei den „Hallen“ zusammenschlugen und dann in eine Mülltonne warfen; und ich, selber in der fremden Stadt eine Nacht ohne Obdach auf einer Parkbank, wendete den Blick, ab voller Angst. Es war eine schmerzende Erinnerung Gottes, die in Straßburg wieder ins Bewußtsein trat.

Impuls II

1987 trafen sich in der Anscharkirche mehr als 600 Christen aus Nordelbien zum 2. Regionaltreffen der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung, um Gott zu loben und zu preisen. Inmitten der bergenden Atmosphäre, die da entsteht, wo Menschen Gott ihr Herz öffnen, zeigte uns Johannes Czwalina, der Gründer der Basler Alban-Arbeit, damals ein Meister organisierender Nächstenliebe, hinreißend beispielhaft, daß die Qualität christlichen Glaubens nicht zuletzt davon abhängt, wie tief sich die Christen den Armen verbunden wissen. Er betete für uns: „Vater, schenke Neumünster ein kleines, feines Projekt!“ Genau diese Bitte hat Gott erhört. Das Café Jerusalem ein kleines feines Projekt. Und Stefan Burmeister, der kreative hingerissene Leiter der ersten Jahre, ist wenig später nach Basel gereist, um das Projekt dort zu sehen. Schon damals hatten wir den Eindruck, daß Gott ihn zum Dienst an den Armen verpflichten wollte.

Impuls III

Auf der Glaubenskonferenz der Evangelischen Allianz 1993 – wieder in der Anscharkirche – berichtete die Pastorin Heidi Krause über ihre Erfahrungen mit Armen in Berlin. Der Anstoß Gottes ging tiefer und diesmal breiter in die Ev. Allianz Neumünsters hinein. In ihrer Predigt warb sie enorm herausfordernd etwa mit diesen Worten: Jesus Christus sagt mit tiefem Ernst: (Matthäus 25, 40 + 45): „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Was ihr nicht getan habt einem von den Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.“ Gnade uns Gott, wenn wir diese Worte nicht in tiefer Betroffenheit hören. Den Armen gehört die leidenschaftliche Liebe Jesu. Bei ihnen will er uns an seiner Seite haben. Welche Bewegungsrichtung hat dein Leben? Zieht es dich nach oben? Zu den wichtigen, den potenten Leuten? Jesus ist unten bei den Armen und Geringen. Wenn du nicht an der Seite der Armen sein willst, dann will Jesus in Ewigkeit nicht an deiner Seite sein. So eng verbindet sich Jesus mit den Menschen in der Not. Wenn wir uns nach der Nähe Jesu sehnen, dann müssen wir auch dahin gehen, wo er ist. Sein vornehmster Platz ist bei den Armen, die seine Hilfe am nötigsten brauchen.

Dieser Impuls der Berliner Pastorin verband sich bei uns Pastoren mit der fast alltäglichen, im Grunde hilflosen Erfahrung, die uns wandernde Obdachlose vermittelten, wenn sie an den Pastoratstüren um Essen oder lieber einen „Heiermann“3 bettelten.

Impuls IV

Im Jugendkeller und der Kapelle der Anschargemeinde trafen sich inzwischen wöchentlich Christen der Neumünsteraner Allianz zum Gebet gerade auch für ein solches Projekt. In den Gemeinden der Allianz wuchsen Mut und der Entschluß, im Vertrauen auf Gott ein Café für die Armen zu schaffen. Auf einem lobpreisenden Gebetsmarsch durch die Fabrik- und Kaiserstraße erbaten die Teilnehmer von Gott die ehemalige Stehbierhalle, auf die unser bescheidener Blick gefallen war, und die zum ersten Café Jerusalem werden sollte.

Zu den Impulsgebern gehörte auch die Einfelder Christin Doris Tendis. Sie hatte, wenn ich mich richtig erinnere, gemeinsam mit ihrem Sohn Norman und dem obdachlosen Einfelder Udo Sch. und seinen wie er auf der Straße lebenden Freunden den Heiligen Abend in einem Neumünsteraner Abbruchhaus gefeiert. Udo ließ sich in den Lobpreisgottesdienst in der Anscharkirche einladen und lernte hier Jesus kennen. Auch wenn er nie vom Alkohol frei wurde und am Ende auf einer Parkbank starb, war er in aller Schwäche ein Zeuge Jesu Christi, der sich seiner Bibel nicht schämte, sondern sie öffentlich las.

In Stefan Burmeister reiften diese Impulse, er ließ sich in Rickling zum Diakon ausbilden und ging nach dieser Ausbildung für rund ein halbes Jahr zum Hamburger Jesus-Center, von dem wir durch ihn eine Menge Ideen und Anstöße erhielten.

35 DM

2. DER ANFANG – SENFKORN GROSS

1994 - 1998 – Gründerzeit

Am 29. Juni 1994 haben wir den Verein im Gemeindehaus der Luthergemeinde in Tungendorf gegründet. Zu den 10 Gründungsmitgliedern gehörten die Pastoren Hermann, Hübscher, Krämer, Reinholtz, Prediger Juhler und Dr. Dieter Müller. Alle verbunden in der Ev. Allianz Neumünster. Weiter waren an der Vereinsgründung beteiligt die Christen Christa Marklin, Angela Wolf, Olaf Tendis und Thomas Börner. Christa Marklin, Bilanzbuchhalterin und Prokuristin, war bereit, die Kasse zu führen und mit ihrem präzisen Sachverstand für solide Buchführung zu sorgen. Sie hat ehrenamtlich 20 Jahre lang immens viel Kompetenz, Zeit und Kraft in dies Werk des Glaubens investiert. Angela Burmeister, Stefans Frau, brachte ihre Erfahrung in der Verbandsleitung und ihre Fähigkeit zu strukturieren und zu organisieren vorbehaltlos ein. Das Ehepaar Tendis hatte sich schon früher für Obdachlose engagiert. Der Diplom-Chemiker Olaf Tendis war bereit, Vorstandsmitglied zu werden. Bärbel Hoffmann aus der Andreasgemeinde übernahm, nachdem das Gründungs- und Vorstandsmitglied Thomas Börner aus persönlichen Gründen schon im Dezember 1994 wieder ausgeschieden war, nach ihrer Wahl in den Vorstand am 19.6.1995 die Protokoll- und Schriftführung.4 Ich wurde in der Gründungssitzung zum ersten Vorsitzenden gewählt, Olaf Tendis zweiter Vorsitzender und Christa Marklin Schatzmeisterin.5

Wir begannen die Arbeit als Drahtseilakt mit Absturzrisiko: Regelmäßigen Spendenzusagen von ca. 800 DM monatlich stand am ersten Tag die Verpflichtung gegenüber, rund 62.000 DM Gehalts- und Betriebskosten jährlich aufzubringen.6 Stefan und Angela, seine Frau, brachten am Anfang glaubensstark selbst ihren Bausparvertrag ein, um die ersten Gehälter zu finanzieren. Wir hielten diese verrückte Spannung aus, weil wir sicher waren und sind, daß Gott dies Glaubenswerk „Missionarische Sozialarbeit“ will. Gott hat uns inzwischen siebenundzwanzig Jahre hindurch keinen Tag versetzt. Das benötigte Geld war immer da.

Aber die Obdachlosigkeit drohte uns gleich am Anfang kaum weniger real als vielen unserer Gäste. Schon am Gründungstag heißt es im Gründungsprotokoll unter Punkt 1:

„Es liegt von der Parkhof Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft ein Schreiben vor, daß die uns zur Verfügung gestellten Räume nur bis zum 31. Dezember 1994 zur Verfügung stehen, da das Gebäude zum 31.12.1994 verkauft werden soll.“

Bereits am 22.12.1994 wurde die Nutzungserlaubnis – Gott sei Dank! – zunächst entfristet.7

Wir gingen dies Risiko ein in der glaubenden Hoffnung, daß „die Preußen nicht so schnell schießen“; oder richtiger, daß Gott sich nicht einmal dies kleine verkommene Häuslein aus der Hand nehmen läßt. Und Gott hat uns bestätigt. Die Hamburger konnten ihr Projekt nicht durchziehen. Sie gerieten in finanzielle Schwierigkeiten und mußten das Grundstück an einen neuen Investor weitergeben. So gewannen wir Zeit. Das Häuslein diente uns am Ende dreieinhalb Jahre lang als armselige, schwierige, aber gesegnete Herberge.

Geistliche „Flitter-Wochen“ in der Kaiserstraße

Stefan Burmeister, unser Gründerdiakon, war bereit, als Kellner in Jesu Nachfolge den Tisch für die Armen zu decken. Jeder Mensch hat für Gott einen unendlichen Wert, und der erschließt sich, wenn ein Mensch Jesus Christus begegnet und nicht ausweicht. Das ist das Zentrum unseres Leitbildes. Das Café Jerusalem, heraus entwickelt aus diesem Leitbild, ist wirklich alternative „Sozialarbeit“. Sie ist nicht primär sozialwissenschaftlichen Dogmen und Erkenntnissen verpflichtet, sondern dem Gott, der in der Bibel sein soziales Programm entwickelt und es in der 2000jährigen Caritas- und Diakoniegeschichte entfaltet hat. Darum kann unsere alternative Sozialarbeit nicht regelbasiert geordnete und spezialisierte Dienstleistung sein, die professionell hinter Schreibtischen in effektiv arbeitenden Büros konzipiert und organisiert wird. Auch die ist zweifellos in einer modernen Gesellschaft eine unverzichtbare Aufgabe. Wir brauchen die Sozial-Behörden der Stadt, die Sozialministerien, die Diakonie-Großämter; die verschiedenen Beratungsstellen mit ihrem Fachwissen und ihren Vernetzungen; wir sind dankbar für jede Hilfe, die wir an solchen Stellen erhalten.

Unsere Platzanweisung aber ist anders, durchaus auch offen für das Chaos, aus dem Gott Frieden gestalten kann. Unser Auftrag besteht darin ein Haus anzubieten, in dem Gott und Mensch Gnade und Barmherzigkeit leben können. Wir werden immer wieder wie am Anfang auch Beispiel kreativer riskanter Grenzgänge am Rande der stabilisierenden Ordnung – wir hatten zu Beginn nicht einmal einen Mietvertrag. Auch das ist Ausdruck dessen, daß Christen in dieser Welt „keine bleibende Stadt“ besitzen. „Obdachlosigkeit“ ist das Risiko des Christen in der irdischen Wirklichkeit. „Wir aber sind Bürger im Himmel. . . “ (Phil 3,20). Gleichwohl wollen wir Menschen vor dem Himmel auf Erden ein lebendiges Zuhause sein. Das ist unser Auftrag. Bei uns sollen die Menschen mit ihrem Namen angeredet werden, und das nicht nur aus höflicher Konvention. Hier gibt es noch den Diakon, der – wenn nötig – dem klassischen Clochard die Haare schneidet. Mit solchen durch Gottes Geist dynamisierten Leitbildfragmenten begannen wir das Café Jerusalem.

Schnell nach der Vereinsgründung hatten wir uns in einem ersten Informationsbrief an alle Freunde, Unterstützer und Begleiter unseres Projektes gewandt.

„Der Verein ist gegründet. . . Die Vereinssatzung steht, der Vorgang liegt beim Amtsgericht; der Vorstand ist gewählt. . . das erste Gehalt für Stefan haben wir zusammen, das zweite ist in Gestalt einer großzügigen Spende angekündigt. Wir danken sehr herzlich allen, die uns mit Geld- und Sachspenden Mut gemacht haben. Wir haben ein Glaubenswerk begonnen und sind gespannt, wie Gott uns führt. Das Haus in der Kaiserstraße 9 sieht inzwischen wunderbar freundlich aus. Meist steht die Tür täglich weit offen. Offiziell öffnen wir am 31. August. Aber schauen Sie doch einfach mal vorbei, wie es schon viele taten. Wir glauben, daß Jesus auch im Café Jerusalem Wohnung nimmt.“

In der Vorstandssitzung vom 12. Juli 1994 wurde Stefan Burmeister als Diakon und Café-Leiter vom Verein angestellt. Schon im Sommer 1994 hatte er das kleine, für den baldigen Abriß bestimmte Haus in der Kaiserstraße, früher eine Bierhalle, von der Hamburger Immobilienfirma übernommen und zusammen mit dem pensionierten Chemiker Olaf Tendis die Renovierung begonnen. Miete brauchten wir zwar nicht zu zahlen, hatten aber eben auch keinen Vertrag und konnten jeden Tag, unseren Obdachlosen gleich, auf die Straße gesetzt werden. Aber unser Glaube war stark genug, dies Abenteuer einzugehen.

Stefan Burmeister beschrieb 1996 seinen Anfang in einem Bericht:

„In dem kleinen, bereits 5 Jahre leer stehenden Haus nahm Diakon Stefan Burmeister die Arbeit auf. Erdrückend und entmutigend war der Eindruck, den das Gebäude machte: Eine besudelte 2-Zimmerwohnung stand uns zur Verfügung. Spuren häufiger Einbrüche fanden wir – Spritzen, Utensilien zum Aufkochen von Heroin, Bierdosen u.a. Längst war dieses kleine Haus in der Kaiserstraße ein verkommener Schlafplatz für Wohnungslose. Das WC war verdreckt und verkotet. Selbst ein Lagerfeuer, das Gott

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Abbildung 2.1.: WC 1994 vor der Öffnung des Café Jerusalem

Abbildung 2.2.: Café Jerusalem zu Beginn in der Kaiserstraße

sei Dank nicht zum Ausbruch kam, zeugte von den damals ungebetenen Gästen. Genau diese ungebärdigen, heruntergekommenen Menschen wünschten wir uns im Café als herzlich willkommene Gäste. Wir brauchten nicht einzuladen. Menschen, für die wir dieses Angebot errichteten, kamen. Mit der Zeit wurden betroffene Gäste zu Mitarbeitern. Sie nahmen uns einfach die Tassen aus der Hand, wenn sie gut drauf waren, und wir ließen es gerne zu. Bedient zu werden ist etwas anders als zu bedienen. Arbeiten bedeutet Würde, schenkt die Erfahrung, nicht sinnlos zu leben.“

Acht Wochen hatte die Renovierung gedauert, am 31. August wurde dieses Gasthaus Jesu Christi festlich eröffnet. In der Presse hieß es „Rund 130 interessierte Menschen waren zur Eröffnung in die Kaiserstraße gekommen, unter ihnen Propst Jürgensen, der Stadtpräsident Helmut Loose, die Abgeordneten der Rathausfraktionen, sowie zahlreiche Vertreter anderer Vereine und Organisationen. . . Zu Kaffee und Kuchen unter freiem Himmel spielte und sang eine Lobpreisgesangsgruppe aus Hamburg. Die Kindertanzgruppe ‚Joy in Jesus‘ unter Leitung von Wiki Müller führte israelische Tänze vor.“