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Das Nibelungenlied - die große deutsche Sage um Liebe und Verrat, neu erzählt von Bestseller-Autor Kai Meyer. Inhalt Der Zwerg Alberich, Hüter des Nibelungengoldes, ist verzweifelt. Der grausame Drachentöter Siegfried hat ihm seine Tarnkappe gestohlen. Doch wie soll Alberich ohne die Möglichkeit, unsichtbar zu werden, den Schatz im Hohlen Berg bewachen? Zusammen mit seinen Gefährten, dem alten Mütterchen Mitternacht und dem Hunnenkrieger Löwenzahn, macht sich der Zwerg auf die Suche nach seinem Feind. Es heißt, Siegfried habe den letzten Drachen erschlagen, um durch dessen Blut unverwundbar zu werden. Alberich fasst einen Plan: Er will ebenfalls im Drachenblut baden – und dann seinen Erzfeind Siegfried im Kampf besiegen. Band 2 der epischen Fantasy-Serie über die Helden und Schurken des Nibelungenliedes. Für alle Fans epischer, packender Fantasyromane im Mittelalter.
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Seitenzahl: 238
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Kai Meyer
Ein Nibelungengold-Roman
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.
Copyright © Kai Meyer 2006
Covergestaltung: Jenny-Mai Nuyen
Copyright dieser Ausgabe © 2025 Von Morgen Verlag.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Epilog
Band 3
Es war der Tag des traditionellen Fußnägelrauchens, der erste Tag des Frühlings; doch in diesem Jahr würden die Pfeifen kalt und die Zehennägel unversehrt bleiben.
Zum ersten Mal seit Wochen roch die Luft nicht mehr nach Leichen. Das war eine prächtige Neuigkeit, fand Obbo, der Wirt des Wolfswinkel, eine wahrlich wunderbare Neuigkeit – wenn auch die einzig erfreuliche. In Jahrzehnten waren die Feierlichkeiten rund um das Fußnägelrauchen nicht abgesagt worden, doch diesmal war Obbo gar keine andere Wahl geblieben. Die meisten Teilnehmer lebten nicht mehr, ihre Körper waren verbrannt, ihre Asche bestattet.
Seit der Leichenqualm erstmals über den Fluss und die Wälder getrieben war, waren im Schankraum des Wolfswinkel viele Pfeifen mit starkem Kraut geraucht worden. Die Gäste hatten ihr Bestes getan, den Gestank zu vertreiben, hatten sich in Wolken ihres Pfeifenkrauts gehüllt, bis Obbo kaum mehr sehen konnte, wer Bier und wer Eier-im-Schmalz bestellte. Denn Eier-im-Schmalz waren Obbos Lieblingsspeise, die Spezialität seiner Küche – und, nebenbei bemerkt, das einzige Gericht, das im Wolfswinkel angeboten wurde.
Doch an jenem ersten Frühlingsmorgen war die Luft so klar wie schon lange nicht mehr, keine Spur mehr vom Odem der Totenfeuer, und Obbo hätte die Pracht seines Gartens, die Schönheit der Bäume und Sträucher und das reine Blau des Himmels gar nicht herrlicher empfinden können. Er zog seine lederne Schürze glatt – sie schien ihm nach all den Kummertagen ein wenig straffer über dem Kugelbauch zu liegen – und stiefelte auf kurzen Beinen hinaus in den Garten. Schankgäste waren um diese Tageszeit noch keine in Aussicht, und der Gast des einzigen Bettzimmers, das es im Wolfswinkel gab, war schon in der Dämmerung hinaus in den Wald gewandert. Wie jeden Morgen seit dreizehn Jahren. Ach, seufzte Obbo, das alte Mütterchen Mitternacht – immer als Erste auf den Beinen.
Aber dies war nicht die Zeit und nicht der Ort, um an Mütterchen Mitternacht zu denken. Obbo überquerte die kleine Wiese, umrundete die weiße Hecke aus Kupferfelsenbirnen und verweilte einen Moment am Froschweiher. Ein wildes Quaken begrüßte ihn; zumindest stellte Obbo sich vor, es sei ein Gruß. Er sah sein Spiegelbild in der Oberfläche und tippte eilig mit dem Finger hinein. Sein pausbäckiges Antlitz zerstob in sanften Ringen.
Über ihm schwatzten die Vögel beim Nestbau, ein Trillern und Pfeifen und Zwitschern erscholl aus den Wäldern. Obbo trat durch den Vorhang der Weidenzweige, durchquerte eine Reihe hoher Weißbirken und stieg schließlich den Hügel am Ende des Gartens hinauf. Er glaubte nicht, dass es wirklich etwas zu sehen gab, aber es war eine alte Gewohnheit, frühmorgens von dort aus zum Fluss zu blicken. Zum Fluss und hinüber zum Hohlen Berg.
Ächzend erklomm er die Hügelkuppe und blieb inmitten hoher Hasenglöckchen stehen. Bald schon würden sie in blauer Pracht erblühen, ein feiner Anblick, ganz gewiss.
Auf der anderen Seite fiel der Hügel steiler ab und verschwand im Schatten des Kiefernwaldes. Hundert Schritte weiter endeten die grünen Wipfel abrupt am Ufer des Rheins. Blau und glucksend strömten die Fluten vorüber und umspülten die Halbinsel, deren Zwillingsgipfel weithin die Landschaft überragten.
Zwei hohe Berge, durch einen bewaldeten Steg mit dem Ufer verbunden. Der eine kahl und felsig, der andere gekrönt von einer mächtigen Burg. Es war die Burg der Fürsten Nibelung und Schilbung. Beide tot. Tot wie viele ihrer besten Männer, hingemäht vom Schlächter Siegfried.
Obbos gute Laune ging dahin, und Düsternis umfing sein Denken. Kein Fußnägelrauchen in diesem Jahr. Es war ein schwarzer Tag gewesen, als Siegfried von Xanten die Halbinsel betreten hatte, angelockt vom unermesslichen Reichtum im Hohlen Berg. Der Recke hatte die beiden Fürstenerben hingeschlachtet, und niedergemacht hatte er auch ihre Garden; dann hatte er den Hort für sich beansprucht. Keiner wagte mehr zu widersprechen, auch dann nicht, als der Sieger mit wehendem Goldhaar von dannen ritt. Den Schatz, so hatte er verkündet, wolle er später holen lassen. So lange sollte der Hort im Hohlen Berg bleiben, in den unergründlichen Schatzkammern und Hallen tief in seinem Inneren, behütet von seinem einzigen Wächter.
Seitdem waren einige Wochen vergangen, und die Totenfeuer hatten unermüdlich die Leichen all jener Recken verzehrt, die sich dem Xantener entgegengeworfen hatten. Es war eine schlechte Zeit gewesen für Obbo und den Wolfswinkel. Zwar hatten es die Krieger ohnehin vorgezogen, ihre Feste und Zechereien in der Burg abzuhalten, doch hatten sie sich stets zum ersten Tag des Frühlings in Obbos Schänke eingefunden. Wer die meisten Fußnägel in seiner Pfeife rauchte, der durfte mit seinen Freunden auf Kosten des Hauses trinken – bis zum nächsten Hahnenschrei. Ein verlockendes Angebot.
Jetzt aber kamen kaum noch zahlende Gäste, und vor allem einer, der verlässlichste Stammgast von allen, hatte sich seither nicht mehr blicken lassen. Er war der Wächter vom Hohlen Berg, der Horthüter, und es schien, als hätte er der Geselligkeit abgeschworen.
Obbo seufzte tief und beklagte innerlich das Schicksal, das der Xantener über das Nibelungenreich gebracht hatte. Gerade wollte er sich abwenden und zurück zum Wirtshaus laufen – und vielleicht unterwegs noch hier und da im Garten verweilen und den Fröschen bei der Fliegenjagd zusehen –, als etwas Unverhofftes geschah.
Zum ersten Mal seit Wochen stieg Rauch aus den Schloten des Hohlen Berges. Nicht der fettig schwarze Qualm der Leichenbrände, der die Burg so lange umlagert hatte – nein, dies war feiner, weißer Rauch, ausgepafft in kleinen runden Wölkchen. Das Signal.
Das Signal!, durchfuhr es Obbo noch einmal, und vor Schreck stolperte er über die eigenen Füße. Fluchend und keuchend kippte er nach hinten und kugelte den Hang hinunter, abwärts in den Garten, mit wedelnden Armen und schmerzenden Knien. Hinter ihm blieb eine breite Schneise aus abgeknickten Hasenglöckchen zurück.
Unten rappelte er sich auf, schüttelte Halme und Schmutz aus seinem lichten Haar und schimpfte lauthals. Dann besann er sich.
Himmelsapperlot, das Signal! Nach all den Tagen war es wieder aufgestiegen! Und er hätte es beinah übersehen. Unverzeihlich, un-ver-zeih-lich!
Auf seinen Stummelbeinen wackelte er durch den Garten zum Wirtshaus, riss die Hintertür auf und stürmte in die Küche. Wo waren nur die frischen Eier? Wo das ausgelassene Schmalz? Wo die Zunderbüchse und wo das Salz? Verteufelt noch mal, solche Aufregung, solch ein Durcheinander!
Er schürte das Feuer unterm Bratstein, schlug die Eier auf – sie standen hinter den Würzdosen, der Teufel selbst musste sie dort verborgen haben – und goss sie in eine Holzschale. Dann beschmierte er den kühlen Stein mit Schmalz. Es würde ewig dauern, bis die Oberfläche erhitzt war. Verflixt, verteufelt und verdammt!
Wie viel Zeit blieb ihm noch? Das Signal war erst vor Kurzem aufgestiegen. Alberich würde sich gleich auf den Weg machen. Nicht ein einziges Mal war es vorgekommen, dass die Eier-im-Schmalz noch nicht fertig waren, wenn Alberich zur Schänke kam. Seit Jahren – wie vielen eigentlich? Siebzig, achtzig? – war der Horthüter Stammgast im Wolfswinkel, war es schon gewesen, als noch Obbos Großvater die Fässer anschlug. Und in all der Zeit hatte das Signal bedeutet: Alberich kommt, lasst die Eier brutzeln! Niemals war er enttäuscht worden, niemals.
Und nun das!
Der Stein war so kalt wie der Hintern einer Wasserleiche. Obbo begann zu schwitzen. Was würde Alberich tun, wenn die Eier noch nicht fertig waren? Wüten und schreien, zweifellos. Die Einrichtung der Schänke zerschlagen – es wäre nicht das erste Mal –, Obbo an den Kragen gehen, das Bier für viele Taler verschütten. Vielleicht sogar Mütterchen Mitternacht aufstacheln, es ihm gleichzutun.
O nein, o nein, o nein! Obbo schlug die Hände vors Gesicht und lief schwitzend in der Küche auf und ab. Wäre nur der Knecht zur Hand, er hätte ihn verdreschen können. Alles hätte gleich viel freundlicher ausgesehen. Aber der Knecht war im Stall, lag wahrscheinlich im Stroh und schnarchte seinen Rausch aus. Der faule Sack, der erbärmliche!
Immer wieder befühlte Obbo den Stein, verrieb das Schmalz mit den Fingern, in der Hoffnung, das könne den Vorgang beschleunigen. Aber, Schimpf und Schande, das tat es nicht. Das Feuer loderte und zischte, fauchte wie ein wildes Tier, doch der Stein blieb kalt.
Wochenlang, seit dem Blutbad des Xanteners, hatte Alberich nichts von sich hören lassen. Kein Signal, keine morgendlichen Eier-im-Schmalz. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten war das Ritual des Frühstücks vernachlässigt worden. Durfte er da verlangen, dass der Stein schon vorgeheizt, das Schmalz zerlaufen war?
Ob er durfte oder nicht, er würde es verlangen. Denn das war die Natur des Horthüters, ein Wüterich, wie es nur einen gab.
Ein Krachen ertönte. Die Schanktür flog auf.
Obbo schrak zusammen. Jetzt schon? So schnell? Das war unerhört, unbegreiflich, ungeheuer. So flink vom Hohlen Berg herab, über den Landsteg zum Ufer und durch den Wald zum Wolfswinkel? In so kurzer Zeit?
Er eilte beflissen zur Küchentür, um hinaus in den Schankraum zu blicken. Schon erwartete er, den Horthüter vor sich zu sehen, eine Augenbraue hochgerutscht, missmutig wie immer, die übliche Frage auf den dürren Lippen: »Wo sind meine Eier-im-Schmalz? Wo sind sie, Obbo?«
Wie groß war sein Aufatmen, als es nicht Alberich war, der zur Tür hereinkam. Vor Erleichterung setzte gar sein Herz aus, und Obbo griff sich seufzend an die Brust.
»Lass mich raten«, krächzte eine alte Stimme, »die Eier sind noch nicht fertig.«
»Woher …«
»Ich sah das Signal, und ich sehe dein Gesicht.«
Eine kleine alte Frau, so dürr wie ein verbrannter Holzscheit und nicht weniger runzlig, war hereingekommen. Sie warf ihr Bündel auf einen Tisch und schüttelte das graue Haar, das glatt bis zu ihren Hüften fiel. Ihr Hexengesicht, einst als das schönste der Wälder gerühmt, entspannte sich, als sie erschöpft auf den Hocker sank. Der Lederbesatz ihrer Waldläuferkleidung knirschte leise.
Mütterchen Mitternacht hieb die hutzelige Faust auf den Tisch. »Ein Bier, Obbo! Und ein paar Eier, wenn sie dann fertig sind.«
Weinerlich ließ Obbo die Schultern hängen. »Du hast recht, Mütterchen. Sie sind nicht fertig. Und sie werden es nicht sein, wenn er kommt.«
»Oje«, machte sie und gähnte. »Dann bring mir schon das Bier.«
»Eine Geschichte als Bezahlung?«, fragte er ergeben.
»Eine Geschichte als Bezahlung«, bestätigte sie, »wie üblich.«
Denn Geschichten waren das bevorzugte Zahlungsmittel im Wolfswinkel, waren es immer gewesen und würden es auch in Zukunft sein. Vorausgesetzt, es waren gute Geschichten, denen es zu lauschen lohnte.
Mütterchen Mitternacht wohnte seit nunmehr dreizehn Jahren in Obbos Wirtshaus, seit sie das Räuberdasein aufgegeben hatte (abgesehen von einem kleinen Diebstahl hier und da). Einstmals war sie die Anführerin der gefürchtetsten Räuberbande diesseits und jenseits des Flusses gewesen, ein Überweib, das es mit jedem Mann aufnahm, mit dem Schwert und mit den Fäusten. Noch dazu galt sie als das schönste Frauenzimmer im ganzen Land, und es hieß, sie habe ebenso viele Männerherzen gebrochen wie mit der Klinge durchbohrt.
Nun aber war sie uralt, und nur das wallende Grauhaar kündete noch von ihrem einstigen Zauber. Wie viele Winter sie wirklich gesehen hatte, wusste keiner. Man munkelte, jeder, der es in Erfahrung gebracht hatte, habe sein Wissen mit dem Leben bezahlt. Als sie sich zur Ruhe setzte, ließ sie sich im Wolfswinkel nieder, und kaum ein Tag verging, an dem sie die Zeche nicht mit einem Garn voller Wunder und Heldentaten beglich – zu Obbos Leidwesen, denn klingende Münze hatte er bitter nötig. Aber er respektierte die Gesetze seiner Ahnen. Der Wolfswinkel stand jedem offen, der um eine prachtvolle Geschichte wusste, und die Abende am Kaminfeuer, bei Pfeifenrauch und starkem Bier, waren längst schon legendär.
Obbo brachte einen schweren Holzkrug mit Schaumkrone an Mütterchens Tisch. Sie reichte ihm im Gegenzug ihr Schwert, eine Klinge so groß, dass Obbo sie kaum zu heben vermochte. Wie die Alte damit focht, war ihm ein Rätsel. Eines von vielen, die Mütterchen Mitternacht umgaben.
»Schließ es weg«, sagte sie, weil es ihr gefiel, auch Befehle für Selbstverständliches zu erteilen. Es war seit jeher Brauch in der Schänke, alle Waffen vom Wirt einschließen zu lassen.
Obbo brachte das Schwert zur eisernen Waffentruhe neben der Küchentür und legte es hinein. Der Deckel fiel mit einem Scheppern.
»Was die Geschichte angeht …«, begann Mütterchen Mitternacht, doch Obbo winkte ab.
»Einen Augenblick.«
Er eilte wieder in die Küche und befühlte den Stein. Warm, aber noch weit von wirklicher Hitze entfernt. Wenn es so weiterging, würde das Schmalz ranzig werden, bevor es heiß war. Obbo atmete tief durch und begann, sich damit abzufinden, dass Alberichs Zorn verheerend sein würde, ein wahres Zornesgewitter.
Er überlegte, ob er die wertvollsten Gegenstände im Schankraum, den alten Wandteppich und einige fein bemalte Krüge, forträumen sollte. Ob es nutzte, wenn Alberichs Bier gezapft für ihn bereitstand? Nein, er würde nur über die niedrige Schaumkrone fluchen.
Zurück in der Schänke nahm Obbo bei Mütterchen Platz. Es blieb ihm nichts übrig, als abzuwarten.
Die alte Räuberin stopfte Kraut in ihre Pfeife, ein monströses Ding, so lang wie Obbos Unterarm. Obbo reichte ihr einen glühenden Span, den er vom Ofenfeuer mitgebracht hatte, dann war sie bereit. Würziger Pfeifenduft wehte durchs Zimmer.
»Nun, nun«, murmelte Mütterchen Mitternacht, denn damit begann sie seit dreizehn Jahren jede ihrer Geschichten, »es ist etwas ganz Besonderes, das mir heute zu Ohren kam. Ein fetter Händler, fetter noch als du, Obbo, erzählte mir davon.«
»Du hast im Wald einen Händler getroffen?«
»Eine Geschichte war alles, was er bei sich trug.«
»Dann muss sie so gut sein wie Golddukaten.«
»Besser noch, mein Lieber, besser noch.« Sie hatte hellblaue Augen, die Obbo jetzt vergnügt anblinzelten. Manchmal wirkten sie fast weiß, vor allem im Winter. Mochte der Leibhaftige wissen, was der Grund dafür war.
»Es ist eine Geschichte vom Helden Siegfried«, fuhr sie fort.
Obbo wurde bleich. »Gott bewahre, der Schlächter! Lass das nicht Alberich hören.«
»Was soll er schon tun?«
»Dir den Kopf abreißen.«
»Ach, das würde er nicht tun.« Sie kicherte schnarrend.
»Er könnte meine Tische zerschlagen.«
»Das wird er so oder so tun, wenn kein Ei für ihn bereitsteht.« Sie lachte laut auf, ein trockenes, brüchiges Rasseln. »Und wer weiß, vielleicht helfe ich ihm dabei, wenn auch das meine auf sich warten lässt.«
»Du bist grausam.«
»So nannte man mich einst – die Grausame.«
Obbo atmete leidvoll durch. »Los nun, die Geschichte.«
»Also«, wollte sie fortfahren, als die Tür zum zweiten Mal an diesem Morgen aufflog.
Obbo wurde winzig klein auf seinem Hocker. »Alberich!«, entfuhr es ihm flüsternd.
Der Schatten des Gastes fiel bis zur Küchentür.
»Das ist nicht Alberich«, stellte Mütterchen fest.
»Nicht?«, fragte Obbo hoffnungsvoll.
»Nein.«
Und tatsächlich: Statt des Horthüters trat ein anderer zur Tür herein, ein Mann, den keiner der beiden je gesehen hatte.
»Holla!«, brummte er mit brunnentiefer Stimme. »Bier für einen Gast. Und gebratenes Ei, wenn’s recht ist.«
Es war ein Hüne von einem Kerl. Gebückt kam er vom Wald herein, und gebückt stand er im Schankraum. Sein Kopf ragte höher als die Balkendecke, und seine Schultern waren breit wie die Tür. Ein schwarzer Haarschopf, wirr und starr wie Stroh, wucherte ihm über Stirn und Nacken, und auch sein Bart war rabenschwarz. Seine Kleidung war aus dunklem Fell und Eisen, aus hartem Leder und Bronzeschuppen – die Kleidung eines Kriegers. Einen furchtbaren Zweihänder hielt er in den Pranken. Viel zu groß für die Waffentruhe, wie Obbo sorgenvoll bemerkte.
Dann sah er die Augen des Riesen. Sie standen schräg.
»Ein Hunne!«, schrie Mütterchen Mitternacht und sprang erstaunlich flink vom Hocker. »Schnell, Obbo, mein Schwert!«
»Lass gut sein, alte Vettel«, grunzte der Hüne oder Hunne oder was immer er auch sein mochte. »Keinen Streit bring’ ich in diese Mauern.« Er redete sehr langsam und gedehnt, und Obbo hatte den Eindruck, dass er ein wenig blöde war. »Stark und tödlich bin ich wie der Zahn des Löwen. Deshalb nennt man mich Löwenzahn.« Er straffte sich, schob heldenhaft die Brust nach vorne – und stieß prompt mit dem Schädel an die Decke. »Löwenzahn, der Grausame.«
Zwei von der Sorte, dachte Obbo freudlos.
»Löwenzahn?«, fragte Mütterchen und gab Obbo einen Tritt. »Das Schwert!«, zischte sie leise.
»Löwenzahn, jawohl. Aber dein Zittern ist unbegründet, Weib.«
»Mein Zittern?« Das war zu viel. Erst ›Vettel‹ und nun das! »Ich zittere nicht, schon gar nicht vor dir, Hunne.«
Obbo trat an die Waffentruhe und dachte bei sich: Hunnen haben keine solchen Bärte. Und sie sind klein und gelb wie Senf. Dieser hier ist nichts von beidem.
Er zögerte noch, Mütterchen das Schwert herauszugeben. Solange der Kerl keinen Ärger machte, würde er keinen Kampf im Wolfswinkel dulden. Wiewohl, welche Wahl hatte er schon? Vielleicht sollte er einfach in die Küche gehen und nach dem Bratstein sehen.
Als hätte er Obbos Gedanken gelesen – was ausgeschlossen war, denn lesen konnte keiner der drei –, sagte der Riese: »Ich bin kein Hunne, Vettel. Mein Vater war einer, aber nicht meine Mutter. Sie war eine Frau wie du, wenngleich auch jünger und schöner.«
»Jünger und … schöner?« Mütterchen schloss mit einem Krächzen den Mund.
Löwenzahn, wenn das denn wirklich sein Name war, legte das Gigantenschwert auf einen Tisch. Er nickte. »Sie war ein Prachtweib, groß und blond wie die Sonne selbst. Und jetzt, Wirt, bring mir Bier!«
Obbo füllte flugs einen Krug, den größten, den er besaß, und schleppte ihn an den Tisch des Kriegers. Kleinlaut sagte er: »Euer Schwert, Herr – ich muss es wegschließen. Das ist hier Gesetz.«
»Wessen Gesetz?«, grölte der Recke Löwenzahn.
»Äh«, machte Obbo verdrießlich, »das meine.«
»So, so.« Plötzlich grinste Löwenzahn. Hinter seiner Oberlippe klaffte eine Zahnlücke. »Nun, Gesetzgeber, Wirt, oder wie immer du dich nennen magst, so nimm denn mein Schwert und schließe es ein.«
Obbo zögerte noch einen Augenblick, dann hob er die mächtige Waffe mit aller Kraft vom Tisch. Ächzend und stöhnend schleppte er den Bihänder zur Waffenkiste. Seine Befürchtung war richtig gewesen: Die Klinge war zu lang. Er musste den Deckel offenstehen lassen. Fast die Hälfte des Schwertes ragte heraus.
Die Tatsache, dass der Hüne nun kein Schwert mehr am Leib trug, schien Mütterchens Wut zu besänftigen. Sie setzte sich, nahm wieder ihre Pfeife auf und beobachtete den Fremden durch graue Krautschwaden.
»Gib acht, Hunne, bald kommt einer, der es nicht so gut mit dir meint wie ich«, brummte sie missmutig. Ihre Sanftmut überraschte Obbo; für gewöhnlich ging sie keinem Kampf aus dem Weg. Doch auch Räuberbräute wurden alt, und Mütterchen hatte noch nicht gefrühstückt.
»Sie spricht die Wahrheit«, sagte Obbo an Löwenzahn gewandt. »Der Horthüter Alberich hasst alles, was auch nur hunnisch aussieht, ganz gleich, ob Ihr ein ganzer, ein halber oder nur zu einem Viertel Hunne seid.«
»Soll er kommen«, prahlte der Krieger über sein Bier hinweg. »Ich will ihn zurechtstutzen, bis er aufrecht durch die Zwergenstollen unter den Bergen gehen kann.«
»Aber er ist ein Zwerg«, bemerkte Obbo.
Löwenzahn lachte grölend auf und sagte nichts mehr.
»Wartet nur ab«, sagte Obbo leise und lief in die Küche. Noch immer war die Steinplatte nicht heiß genug, um Schmalz und Eier zum Braten zu bringen. Ein schwarzer Tag für den Wolfswinkel. Kein Ei für Alberich Horthüter, ein Raufbold im Schankraum und so viel Eile und Aufregung, dass Mütterchen nicht dazu kam, ihre Geschichte zu erzählen. Ein wahrlich übler Morgen. Und übler noch, wenn erst Alberich den Hunnen entdecken würde. Das musste schrecklich enden, ein Gemetzel ohnegleichen.
Zurück im Schankraum nahm Obbo abermals an Mütterchens Tisch Platz und forderte sie auf, es erneut mit ihrer Geschichte zu versuchen.
Als sie begann, lehnte auch Löwenzahn sich zurück und hörte schweigend zu.
»Nun, nun«, setzte sie wieder an den Anfang, »es heißt, einige Tage nachdem Siegfried von Xanten dem Geschlecht der Nibelungen den Garaus machte, kam er an eine mächtige Klippe über dem Rhein. Dort, so erfuhr er von einem verängstigten Köhler, hauste ein mächtiger Drache, ein Lindwurm, größer als alle, die bislang das Antlitz der Welt beschmutzten.«
»Aber die Lindwürmer sind ausgestorben«, stieß Löwenzahn hervor. »Seit Monaten schon suche ich einen, um ihm den Schädel zu spalten.«
»Du bist auf der Suche nach Heldentaten, Dummkopf?«, fragte Mütterchen verächtlich. »Dann solltest du wissen, dass es lange schon Gerüchte gab, ein einziger Lindwurm, der letzte, lebe irgendwo in diesen Landen. Viel wurde davon gemunkelt, und so wie es aussieht, hat der Xantener ihn gefunden. Auf einer weiten Heide, hoch über dem Rhein, da soll er hausen, so hieß es, und …«
Wieder war es Mütterchen nicht vergönnt, ihr Garn zu Ende zu spinnen. Denn nun ertönte von draußen eine Stimme. Heftige Flüche drangen durch die Tür, schlimmer als alle, die Obbo bislang vernommen hatte. Dabei war er stolz auf jene, die er kannte, kam einem Wirt doch mancher Schimpf zu Ohren.
Die Tür flog auf, und herein kam Alberich.
»Wo sind meine Eier-im-Schmalz? Wo sind sie, Obbo?«
Der Wirt rutschte vor Schreck vom Hocker. Mit eingezogenem Kopf landete er auf dem Hinterteil am Boden, inmitten der Sägespäne, die überall die Bohlen bedeckten. Die Beine lang ausgestreckt, hockte er da und bemühte sich, dem lodernden Zorn des Zwerges zu entgehen.
»Sie sind … sie sind …«
»Was sind sie?«, grollte der Horthüter.
»Sie … sie …«
»Was?«
»Nicht fertig.« Schützend schlug Obbo die Arme vors Gesicht.
Alberich stand da, gerüstet mit goldenem Helm und goldener Brünne, in seiner Hand eine goldene Geißel. Daran baumelten sieben Stachelkugeln, gleichfalls vergoldet. Er war klein, wie es so Sache der Zwerge ist, und selbst Obbo, der ja am Boden saß, musste nicht zu ihm aufschauen; vielmehr befanden sich ihre Augen auf gleicher Höhe. Alberichs Gesicht war so faltig wie ein Bratapfel, seine Augen groß und schwarz, die Nase gewaltig. Ein eisgrauer Bart reichte ihm bis hinab zum Bauchnabel. Gewöhnlich trug er braune Gewänder und einen riesigen Hut mit breiter Krempe. Weshalb er sich heute in Rüstmontur geworfen hatte, wusste Obbo nicht. Er würde doch wegen ein paar Eiern kaum mit der Geißel auf ihn einschlagen?
Die breiten Nasenflügel des Horthüters zitterten, als sie sich mühten, den Duft gebratener Eier einzufangen. Doch da war nichts dergleichen. Nur Mütterchens Pfeifenrauch und der Gestank von verlaustem Fell.
»Nicht … fertig?« Die Erkenntnis traf Alberich wie ein Schlag. Sein Gesicht färbte sich rot.
Obbo versuchte, die Katastrophe abzuwenden. »Nicht ganz.« Und geschwind sprang er auf, eilte in die Küche, fort aus dem Blickfeld des zürnenden Zwerges, und befühlte die Bratplatte. Prompt verbrannte er sich die Fingerkuppen und sprang fluchend im Kreis. Dann erst kippte er die Eier über das zerlaufene Schmalz. Es zischte.
»Obbo!«, schrie es von draußen.
Zu seiner Überraschung war es nicht Alberich, der seinen Namen rief. Statt seiner war es Mütterchen Mitternacht.
Zögernd näherte er sich der Küchentür, blickte zaghaft hinterm Rahmen hervor. »Ja, bitte?«
Der Anblick hätte ihn nicht unvermuteter treffen können.
Alberich lag zusammengesunken am Boden, kaum mehr bei Besinnung. Mütterchen kniete neben ihm und hielt seinen Kopf. Mit den Fingern träufelte sie Bier aus Löwenzahns Humpen auf die farblosen Lippen des Zwerges. Der Krieger stand dabei und beobachtete das Schauspiel halb mitfühlend, halb blöde. Er war wohl lange nicht so kampflustig, wie er tat.
»Bring kaltes Wasser!«, rief Mütterchen, ohne in Obbos Richtung zu blicken. »Und irgendwas zu essen! Der kleine Mann ist halb verhungert.«
Halb verhungert? Alberich?
Obbo holte Wasser und einen Kanten Brot und brachte beides in den Schankraum. Wenig später war der Zwerg wieder klar genug, um die drei Gestalten zu erkennen, die sich über ihn beugten. Und er sah auch die schrägstehenden Augen des Riesen.
»Ein Hunne!«, entfuhr es ihm, doch er war zu schwach, um sich zu erheben und den Fremden anzugreifen.
Der Krieger grinste und entblößte seine Zahnlücke. »Löwenzahn, zu Euren Diensten, Herr Horthüter.«
»Zu meinen Diensten?«
»Ich bin hier, um Euch beizustehen.«
Alberich riss die Augen auf, als müsste er abermals in Ohnmacht fallen. »Wie das?«
Obbo wunderte sich, wie ruhig der Zwerg blieb. Er verabscheute Hilfe jeglicher Art, fast so sehr wie Hunnen. Dass er Löwenzahn nicht gleich an die Kehle ging, konnte nur an seiner üblen Verfassung liegen.
»Man hört weithin vom Schicksal der Fürsten Nibelung und Schilbung«, erklärte der Riese mit schwerer Zunge; es klang ein wenig, als lalle er im Suff. »Überall erzählt man sich, wie die Fürsten den Helden Siegfried baten, das Erbe ihres Vaters für sie aufzuteilen. Der Xantener aber erschlug sie beide und ihre Männer noch dazu und erhob eigens Anspruch auf den Schatz. Es heißt, er habe Euch, Herr Horthüter, im Kampf besiegt und Euch die Tarnkappe entrissen.«
Alberichs Miene wurde noch verkniffener, als sie von Natur aus war. »Das erzählt man sich? Von Alberich, dem Verlierer?«
»Nein«, widersprach Löwenzahn erstaunlich flink. »Nicht vom Verlierer, sondern von Alberich dem Tapferen, der den Listen des Xanteners unterlag. Es heißt, ohne Tarnkappe werde es Euch schwerfallen, den unermesslichen Hort der Nibelungen zu bewachen. Deshalb bin ich hier, um mit Euch neue Heldentaten zu vollbringen.«
Mütterchen Mitternacht lachte krächzend auf. »Du willst dich in die Lieder einschleichen, die man über Alberich Horthüter singt.«
»Ich will meinen Platz darin verdienen, alte Vettel.«
»Wer gab dir diesen dämlichen Namen, Hunne?«, fragte Alberich und setzte sich auf. Noch immer machte er keine Anstalten, den Riesen zu erschlagen.
Ehe jener antworten konnte, erklärte Mütterchen schnippisch: »Stark und tödlich wie der Zahn eines Löwen. Hah!«
»Was ist daran so lustig, Weib?«, grollte der Krieger.
Obbo wollte es ihm erklären, ihm gar einen Löwenzahn aus dem Garten pflücken, doch Alberich ging dazwischen.
»Ich will deine Hilfe nicht, Hunne. Alberich braucht niemandes Hilfe.«
»Vielleicht doch.«
Der Blick des Zwerges wurde lauernd. »Wie meinst du das?«
»Es heißt, Räuber aus dem ganzen Land seien unterwegs hierher, um den Hort zu gewinnen.«
Alberich schnaubte. »Sie werden sich am Horthüter die Zähne ausbeißen.«
Jetzt war es Mütterchen, die sagte: »Mit Verlaub, mein Freund, aber im Augenblick siehst du aus, als könnte sogar Obbo dir mit der Bratpfanne eins überziehen.«
Alberich ballte die Faust vorm Gesicht des verdutzten Wirtes. »Soll er’s doch versuchen!«
»Aber ich wollte doch gar nicht …«, stammelte Obbo, ehe Mütterchen dazwischenging.
»Gemach, Alberich Horthüter. Es ist nicht Obbos Pfanne, die du zu fürchten hast.«
»Nichts fürchte ich!«, schimpfte der Zwerg erregt. »Nichts auf der Welt!«
»Ja, ja«, besänftigte ihn Mütterchen. »Sag’ uns lieber, was dich so geschwächt hat.«
»Der Hunger«, entgegnete der grimmige Zwerg. »Hab’ seit Wochen nichts gegessen.«
»Gold kaut sich wohl schlecht«, bemerkte die Räuberin.
»In der Tat«, brummte Alberich durch seinen Bart. »Musste achtgeben, dass keine Räuber und Hunnen meine Schätze stehlen.«
Mütterchen und Löwenzahn wechselten vielsagende Blicke.
»Hatte keine Zeit zum Essen«, fuhr der Zwerg fort. »Musste Ausschau halten nach Feinden vorm Tor des Hohlen Berges. Erst heute ging es nicht mehr anders, ich musste kommen und gebratene Eier essen.« Dabei zitterten seine empfindlichen Nasenflügel erneut. Auch die anderen bemerkten jetzt den Geruch nach Verbranntem.
Obbo schluckte, sein Kopf ruckte hoch. »Herrgott, die Eier!« Er rannte los, stolperte über einen Hocker, fing sich gerade noch und verschwand in der Küche.
Ein Blick auf den Bratstein zeigte, dass er zu spät kam. Die Eier waren restlos verkohlt. Ein weiteres erstes Mal an diesem Tag. Fluchend machte er sich daran, die Überreste vom Stein zu schaben und neue Eier aufzuschlagen.
Derweil wurde Alberich von Mütterchen und Löwenzahn auf einen Hocker gehievt. Die goldene Rüstung wog schwer, aber er weigerte sich strikt, sie abzulegen. Beide entdeckten den großen Schlüssel, der unter der Brünne an einer Kette um seinen Hals hing.
Alberich bemerkte ihre Blicke. »Der Schlüssel zum Tor. Wer sich daran vergreift, der stirbt tausend Tode.«
»Niemand wird sich an deinem Schlüssel vergreifen«, besänftigte ihn Mütterchen.
»Das will ich hoffen.«
»Dann ist der Berg jetzt unbewacht?«, fragte Löwenzahn.
»Unbewacht?«, schrie der Zwerg im Zorn. »Warum willst du das wissen? Tausend Feuerdrachen hüten das Gold.«
»O ja, natürlich«, seufzte Mütterchen.
Obbo kehrte zurück. »Neue Eier sind unterwegs.«
Seine drei Gäste murmelten Flüche, denn allen knurrte der Magen, am allermeisten Alberich.
»Womit willst du die Eier bezahlen?«, fragte Obbo den Zwerg, weil es seine Pflicht als Wirt war.
»Mit Gold, wie immer«, keifte Alberich zurück. Der Horthüter hatte in all den Jahrzehnten nicht eine einzige Geschichte erzählt. Abgesehen von seinen Schimpftiraden sprach er überhaupt nicht viel.
»Was ist nun?«, erkundigte sich Löwenzahn. »Nehmt Ihr mich als Kampfgefährten an, Herr Horthüter?«
»Pah«, schnauzte Alberich. »Geh’ von mir aus zum Teufel, Hunne.«
»Ihr habt ein vorlautes Mundwerk, Zwergling.«
Alberich starrte ihn mit offenem Mund an. Kein Zwerg schätzt es, wenn man ihn ›Zwergling‹ nennt. Aber den edlen Alberich musste ein solches Wort besonders treffen.
»Wenn ich nicht so hungrig wäre, würde ich dir die Frechheiten austreiben!«
»Es wäre wenig heldenhaft, den großen Alberich mit leerem Magen zu erschlagen«, entgegnete Löwenzahn schulterzuckend. Manchmal war er schlagfertiger, als sein tumber Gesichtsausdruck und die lallende Sprache vermuten ließen.
Obbo unterbrach den Streit, als er drei Holzschüsseln in den Schankraum balancierte. Er stellte sie vor den drei Gästen ab und legte Alberichs Goldgeißel in die Waffentruhe.
Alle fielen mit Heißhunger über ihre Eier-im-Schmalz her, bestellten mehr Bier und vergaßen für eine Weile ihren Zank. Auch Obbo setzte sich schließlich dazu, aß selbst ein wenig Ei und genehmigte sich einen halbvollen Krug.