Das Drama mit unserer Erotik - Witold Gombrowicz - E-Book

Das Drama mit unserer Erotik E-Book

Witold Gombrowicz

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Beschreibung

In all seinen Werken spielt die Erotik eine bedeutende Rolle, ob die zwischen Frauen und Männern oder die gleichgeschlechtliche. Hier jedoch hebt der polnische Exzentriker, Egozentriker und Hedonist sie auf eine vollkommen neue Ebene. Zwischen 1944 und 1945 im lateinamerikanischen Exil erschienen und – ungewöhnlich für Gombrowicz – auf Spanisch verfasst, untersuchen die Essays in Das Drama mit unserer Erotik die Bedeutung der Erotik für das soziale Miteinander. Gombrowicz kritisiert das Geschlechterverhältnis, vor allem in seiner neuen Heimat Argentinien, das überkommene Rollenverständnis, die Reduktion der Frau zum Mädchen, ihre Selbstinfantilisierung und legt eindrücklich dar, welchen fatalen Einfluss diese Missstände in psychologischer, aber auch in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht haben. Und er gelangt zu der Schlussfolgerung: Man möge ein Ministerium für Erotische Angelegenheiten einrichten. Bei all dem hat Gombrowicz vor allem die Situation der Frau in der Neuen Welt im Blick, das dort herrschende Schönheitsideal, aber auch veraltete Männlichkeitsbilder. Und es zeigt sich: Erotik ist niemals eine reine Privatsache, sondern immer auch ein Politikum.

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Witold Gombrowicz

Das Drama mit unserer Erotik

Aus dem Spanischen von Gisbert HaefsMit einem Nachwort von Olaf Kühl

Kampa

1Frauen, die allein durch die Straßen eilen

Wenn man nach Argentinien zurückkommt, nachdem man viele Jahre (ganze Jahrzehnte) im Ausland gelebt hat, staunt man über den allgemeinen Fortschritt des Landes. Diese Badewannen! Diese Kühlschränke! Was für eine Entwicklung, welcher Reichtum, wie viel angenehmer die Leute und wie viel zivilisierter die Umgangsformen! Solch ein ruhiges und gutes Land, anständig und glücklich, ein sehr sanftmütiges Land … Und dennoch gibt es etwas, das schockiert und sogar den Eindruck von Grausamkeit macht: Es sind die verschiedensten Aspekte des erotischen Lebens von Buenos Aires, die man auf den Straßen der Hauptstadt beobachten kann.

Die Señoritas und Señoras gehen auf den Straßen der Hauptstadt, den Blick ins Leere gerichtet, und getrauen sich nicht, Männer auch nur anzusehen. Sie dürfen die Männer nicht ansehen, denn solch ein Blick würde fehlgedeutet. Auf den neu Angekommenen hat dieses Fehlen weiblicher Blicke eine erhebliche Wirkung. Die Straße scheint blind zu sein.

Die Männer dagegen betrachten die Frauen … und verschlingen sie mit Blicken. Wenn man ein Café in Begleitung einer Dame betritt, drehen sich zwanzig Köpfe um, und zwanzig Augenpaare richten sich auf das arme Opfer. Und wenn diese Frau abends allein heimgeht, muss sie sehr schnell gehen – ach, diese Frauen, die allein durch die Nacht eilen, als würden sie verfolgt!

Hier gibt es noch immer diese »Familiensalons« in den Cafés, und man frönt immer noch der Manie, Frauen Komplimente nachzurufen.

Anschein und Wirklichkeit

Man kommt sehr schnell zu dem Schluss, dass es sich nicht nur um den reinen Anschein handelt, sondern dass tatsächlich alle von ihrem erotischen Leben zutiefst unbefriedigt und sogar verbittert sind. Das Zusammenleben von Mann und Frau in Südamerika ist ohne Zweifel sehr viel schlechter, als es sein könnte, und das hat Auswirkungen auf das gesamte Leben des Kontinents. Es ist erstaunlich, wie viele schlechte Ehen es gibt, verglichen mit Europa, und wenn man bedenkt, dass das Menschenmaterial hier unter verschiedenen Aspekten besser ist als das europäische, und dass es dem Mann wie der Frau hier keineswegs an Intelligenz, Güte, Anstand und Ehrlichkeit mangelt, wirkt diese tiefgehende dumpfe Zwietracht der Geschlechter unbegreiflich und sogar artifiziell. Man muss es so sagen: In Argentinien, wo es alle Voraussetzungen für ein glückliches, gesundes Leben gibt, ist fast niemand glücklich, weil hier die Frau den Mann nicht glücklich macht und umgekehrt. Und die argentinische Melancholie kommt nicht aus der Pampa, sondern ganz einfach aus einem Erotismus, der in anachronistischen und ungesunden, allzu primitiven Formen befangen ist. Jedes Land hat seinen Krieg; hier ist es kein Krieg gegen politische Gegner, sondern ein düsterer, unerbittlicher Geschlechterkrieg.

Das Interessanteste an diesem Krieg ist, dass er fast keine Öffentlichkeit hat. In der Presse und in der Literatur fände man nur mit Mühe diese Lage der Dinge gespiegelt, die sich zu einem allgemeinen Unbehagen entwickelt. Presse und Literatur behandeln dieses Thema auf zweierlei Arten, die, offen gesagt, beide nicht überzeugen. Einerseits haben wir die herkömmliche Rhetorik, geschwollen und ehrenwert, aber recht monoton, und andererseits einen eher lockeren Tonfall, der manchmal übertrieben kindisch wirkt. In der für Frauen geschriebenen Literatur herrschen billigste Sentimentalität, unerträgliches Pathos, verblüffender Konventionalismus, und es scheint, als seien die Autoren fest davon überzeugt, dass es »mit den Frauen nicht anders geht«. Muss also alles, was man zur oder über die Frau sagt, zwangsläufig in routiniertem Bombast oder im Billigsten, Trivialen und Konventionellen untergehen? Aber dieser Mangel an echter Ernsthaftigkeit bei einer Frage von grundlegender Bedeutung kann niemanden zufriedenstellen, keinen Geistlichen, keinen Konservativen, auch keinen Linken und schließlich keinen Bürger, der ganz einfach glücklich sein möchte. Und was man öffentlich schreibt, unterscheidet sich sehr von dem, was privat gesagt wird.

Was privat gesagt wird

Privat beklagen sich alle. Besonders die Frauen klagen, denn in der Feinheit und Tiefe ihrer Empfindungen sind sie am stärksten betroffen durch diesen Abgrund – geistig und sozial –, der hier die Geschlechter trennt. Der Geschlechterkampf ist unausweichlich, und sicherlich vertritt die Frau in diesem Kampf die Interessen der Gesellschaft. Bei ihr, die ein Heim schaffen und Mutter sein will, sind die Wünsche unendlich viel ernster, ihre Verantwortung ist größer, und das muss respektiert werden. Aber am wichtigsten ist, dass dieser Kampf nicht nur und ausschließlich zum Kampf wird, denn dann beginnt die morbideste geschlechtliche Einsamkeit! Wenn eine Frau nur davon träumt, einen Gatten zu gewinnen, und der Mann allein davon, eine Mätresse zu erobern, muss man doch vor Langeweile sterben!

Offensichtlich sollte der ganze soziale Mechanismus den Mann dazu verpflichten, zu heiraten und ein Heim zu gründen, und nichts ist heilsamer, als dass die Gesellschaft und die Frauen den unseligen Junggesellen dazu verdammen, permanent unbefriedigt zu sein – ein Zustand, dem nur die Ehe abhelfen kann. Wenn aber dieser Mechanismus allzu rigide, allzu mechanisch wird, leidet als Erste die Frau. Über das perfekte Zusammenleben zwischen einem einzelnen Mann und einer einzelnen Frau in der Ehe hinaus gibt es auch das tägliche soziale Zusammenleben aller Männer und aller Frauen, und dieses allgemeine Zusammenleben ist für die Gesellschaft nicht weniger wichtig. Aber in den Gesellschaften Südamerikas verbirgt man die Frau, was sie zur Gefangenen und zum Preis macht. Hier haben wir das ewige Mädchen, die »Kleine«, die vom gesellschaftlichen Leben, vom geistigen und nationalen Leben ausgeschlossen wird, in ihrer ganzen Persönlichkeit gelähmt, zu ewigem Warten verdammt.

Die Jugend

Beim Gespräch mit mehreren jüngeren Leuten stellte ich fest, dass die hiesigen sich sehr von ihren europäischen Geschwistern unterscheiden. Weniger Lebensfreude, Vitalität und Begeisterung. Sie wirken wie erloschen; ruhig und wohlerzogen, ausgeglichen, aber erloschen.

Was ihnen fehlt, ist der Zauber, der Funke, der zwischen einem Jungen und einem Mädchen entsteht, wenn es in diesem Zusammenleben mehr gibt als rudimentäre physische Wünsche. Diese jungen Leute wissen, dass sie ihre Jugend vergeuden, und das erfüllt sie mit Bitterkeit, schränkt sie in ihrer ganzen geistigen Entwicklung ein. Sie leben isoliert. Die südamerikanische Jugend ist ohne Zweifel weniger »romantisch« als die europäische, und es geht ein gewaltiger Schatz an Enthusiasmus verloren in dieser trüben Isolierung, die zwar ebenfalls erregt, aber zum Laster.

Ein Überblick

Das Gesamtpanorama von Argentiniens erotischem Leben ist, wie wir sehen, ziemlich dramatisch. Eben dieses Übermaß an düsteren Tönen reizt zum Optimismus, denn all dies liegt bereits weit unter den Bedürfnissen und Möglichkeiten des durchschnittlichen Amerikaners, der unendlich viel reifer ist als seine Gepflogenheiten. Ein Abgrund aus Furcht, aus Misstrauen erlaubt es den Leuten nicht, ein erträgliches Maß an Natürlichkeit und Ausgewogenheit zu finden; der Mann könnte sich der Frau durchaus viel freundschaftlicher und brüderlicher nähern, aber die Frau fürchtet sich vor ihm; und dieses verbissene, blinde Misstrauen der Frau verletzt den Mann und erweckt seine schlimmsten Instinkte. Die Frau, viel intelligenter, als es scheint, könnte durchaus einen heilsamen Einfluss auf den Mann ausüben, aber der Mann behandelt sie wie ein kleines Mädchen, möchte, dass sie ein kleines Mädchen ist … und das arme Mädchen, die nette »Kleine«, schrumpft auf ihren hohen unbequemen Absätzen. Der Mann verwildert, die Frau schrumpft: Dies sind die Protagonisten von Südamerikas erotischem Drama.

Über dieses Thema habe ich mit einem Freund gesprochen, dem Schriftsteller R., und ich möchte das Gespräch wiedergeben.

Ich: Warum versuchen Presse und Literatur nicht, die Argentinier umzuerziehen, was ihre gegengeitigen Beziehungen angeht?

Er: Bilden Sie sich nicht ein, dass man da viel tun kann. Sie haben lange im Ausland gelebt und dadurch das Empfinden für unsere Realität verloren. Wir sind eben so, und es wäre albern und gefährlich, hier europäische Sitten einführen zu wollen.

Ich: Ich bin weit entfernt davon, Sitten einführen zu wollen, geschweige denn nordamerikanische »Freizügigkeit«. Nein, keineswegs! Es geht nicht darum, Gewohnheiten zu ändern!

Er: Sondern worum?

Ich: Das ist meine Diagnose: Ich glaube, dass all diese Übel, von denen wir geredet haben, sich vor allem aus einem gewissen Anachronismus der Phantasie ergeben. Der Mann ist daran gewöhnt, sich die Frau auf eine bestimmte Weise vorzustellen, bei ihr bestimmte Werte zu suchen und andere nicht. Die Frau versucht natürlich, diese Wünsche des Mannes zu erfüllen, und ebenso verfährt der Mann mit der Frau. Es ist aber doch so, dass unsere Phantasie oft von allerlei Atavismen behindert und gelähmt wird, von geistigen Gewohnheiten, von überkommenen Einstellungen; sie ist sozusagen antiquierter als wir selbst.

Die Quelle von Argentiniens erotischem Drama ist genau dies: Die Vorstellung des Mannes von der Frau ist viel zu beengt, einfältig, anachronistisch – und umgekehrt auch. Aber die argentinische Phantasie ist nicht nur zurückgeblieben, sondern