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Witold Gombrowicz

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Beschreibung

»Je klüger, desto dümmer«, war ein Schlachtruf von Witold Gombrowicz, der sich immer einen Spaß daraus gemacht hat, in seinem Werk die vermeintliche Grenze zwischen oben und unten, Gedankensphären und Gosse brachial zu durchbrechen. Am besten zeigt sich das in seinen Erzählungen, von denen einige als schwarz-humorige Schocker oder spannende Kurzkrimis aà la Roald Dahl durchgehen, wenn etwa mit einem Revolver auf einen fliegenden Tennisball geschossen wird und ein vegetarisches Bankett mit einer unappetitlichen Pointe seinen makabren Höhepunkt erreicht. Die Erzählungen von Gombrowicz sind ein Feuerwerk von Einfällen, hintergründigem Humor und lustvoller Phantasmagorie, sie bieten Abgründe, Absonderlichkeiten und immer immensen intellektuellen Kitzel, egal wie tief der Autor selbst stapelt.

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Seitenzahl: 360

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Witold Gombrowicz

Bacacay

Erzählungen

Aus dem Polnischen von Walter Tiel und Olaf Kühl

Kampa

Memoiren aus der Epoche des Reifens

Der Tänzer des Rechtsanwalts Landt

Zum vierunddreißigsten Male schon wollte ich mir wieder die Aufführung der Operette Die Csárdásfürstin ansehen, und da es spät war, umging ich die Schlange und wandte mich direkt an die Kassiererin: »Liebes Fräulein, geschwind, wie immer einen Platz auf der Galerie«, als mich jemand von hinten kalt – ja, kalt – am Kragen packte, vom Schalter zurückzog und mich an den mir gebührenden Platz stieß, nämlich ans Ende der Schlange. Das Herz begann mir stark zu klopfen, ich rang nach Atem – denn ist das nicht mörderisch, so plötzlich an öffentlichem Ort am Kragen gepackt zu werden? Doch ich sah mich um: Es war ein hochgewachsener, geschniegelter, duftender Herr mit kurz gestutztem Schnurrbärtchen. Im Gespräch mit zwei eleganten Damen und einem Herrn betrachtete er die soeben gekauften Eintrittskarten.

Alle schauten mich an – ich musste etwas sagen.

»Sind Sie so freundlich gewesen?«, fragte ich in einem vielleicht ironischen, vielleicht sogar unheilverkündenden Tone, doch, da mir plötzlich schwach wurde, fragte ich zu leise.

»Hä?«, fragte er, sich zu mir beugend.

»Sind Sie so freundlich gewesen?«, wiederholte ich, doch wieder – zu leise.

»Ja, ich war so freundlich. Dort – ans Ende! Hier herrscht Ordnung. Europa!« Und zu den Damen gewandt bemerkte er: »Man muss erziehen, unentwegt erziehen, sonst werden wir nie aufhören, ein Volk von Zulukaffern zu sein.«

An die vierzig Augenpaare und verschiedene Gesichter – das Herz klopfte, die Stimme versagte mir, ich wandte mich dem Ausgang zu – im letzten Moment (ich segne ihn, diesen Moment) – verschob sich etwas in mir, und ich kehrte um. Ich reihte mich in die Schlange ein, kaufte eine Eintrittskarte und kam gerade noch zu den ersten Takten der Ouvertüre zurecht; aber diesmal ging ich nicht wie sonst mit ganzer Seele in der Vorstellung auf: Während die Csárdásfürstin, kastagnettenklappernd, biegsam und atmend sang und erlesene Jünglinge mit Zylindern und hochgeklappten Kragen unter ihren erhobenen Armen in einer Reihe defilierten, schaute ich auf einen in den ersten Reihen des Parketts schimmernden Kopf mit blondem, pomadisiertem Haar und wiederholte: »Ach, so ist das!«

Nach dem ersten Akt ging ich hinunter, stützte mich leicht auf die Orchesterbrüstung und – wartete ein wenig. Da – verbeugte ich mich. Er reagierte nicht. Also noch eine Verbeugung – dann begann ich, mich nach den Logen hin umzusehen und wieder – verbeugte ich mich, als der entsprechende Moment gekommen war. Ich kehrte nach oben zurück, zitternd und erschöpft.

Nachdem ich das Theater verlassen hatte, blieb ich auf dem Bürgersteig stehen. Bald tauchte er auf – er verabschiedete sich von einer der Damen und ihrem Gemahl: »Auf Wiedersehen, sehr geehrte Herrschaften, also unbedingt – ich bitte Sie! – morgen um zehn Uhr im Polonia. Meine Hochachtung.« Danach half er der anderen Dame in ein Taxi und wollte gerade selber einsteigen, als ich hinzutrat.

»Verzeihen Sie, dass ich mich aufdränge, aber vielleicht wären Sie so freundlich, mich ein Stück mitzunehmen, ich liebe eine gute Fahrt so sehr.«

»Lassen Sie mich bitte in Ruhe!«, schrie er mich an.

»Vielleicht legen Sie ein Wort für mich ein«, wandte ich mich an den Fahrer. Ich spürte eine merkwürdige Ruhe in mir. »Ich liebe …« Aber schon fuhr das Taxi los. Obwohl ich nicht viel Geld habe, kaum genug für die nötigsten Bedürfnisse, sprang ich in das nächste Taxi und hieß es hinter ihnen dreinfahren.

»Verzeihung«, sagte ich zum Portier des braunen, vierstöckigen Hauses, »das ist doch wohl der Herr Ingenieur Dziubiński, der soeben hineinging?«

»Woher denn, mein Herr«, erwiderte er, »das ist Herr Rechtsanwalt Landt mit Gemahlin.«

Ich kehrte nach Hause zurück. Diese Nacht konnte ich nicht einschlafen – wieder und wieder überdachte ich den ganzen Vorfall im Theater und meine Verbeugungen und die Abfahrt des Rechtsanwalts –, drehte mich von einer Seite auf die andere im Zustand der Wachsamkeit und einer gesteigerten Geschäftigkeit, die mir nicht einzuschlafen erlaubte und die infolge des unaufhörlichen Sich-im-Kreise-Drehens zugleich wie ein zweiter Schlaf im Wachen ist. Gleich am nächsten Morgen schickte ich einen prachtvollen Strauß Rosen an den Rechtsanwalt Landt. Gegenüber dem Hause, in dem er wohnte, befand sich eine kleine Milchbar mit einer Veranda – dort saß ich den ganzen Morgen hindurch und erblickte ihn endlich gegen drei Uhr nachmittags in einem grauen eleganten Anzug mit einem Spazierstöckchen. Ach, ach – er ging dahin, vor sich hin pfeifend, und schwang hin und wieder das Stöckchen, schwang das Stöckchen … Sofort zahlte ich und lief ihm nach – und voller Bewunderung der leicht wogenden Bewegung seines Rückens delektierte ich mich an dem Gedanken, dass er von nichts wusste – dass dies zuinnerst meine Angelegenheit war. Hinter ihm her wehte ein Rüchlein von Toilettenwasser, er war frisch – es schien eine Unmöglichkeit, irgendeine Annäherung an ihn zu erreichen. Doch fand ich ein Mittel dafür! Ich beschloss: Biegt er nach links ein, so kaufst du dir dieses Buch Abenteuer von London, von dem du seit Langem träumst – und biegt er nach rechts ab, so wirst du es niemals haben, nie mehr, selbst wenn du es umsonst kriegen solltest, wirst du nicht eine einzige Seite davon lesen! Es wird verloren sein! Oh, stundenlang hätte ich auf diese Stelle seines Nackens starren können, wo das Haar in gerader Linie endet und der weiße Nacken beginnt. Er bog nach links ein. Unter anderen Umständen wäre ich sofort in eine Buchhandlung gelaufen, doch jetzt ging ich weiter hinter ihm her – und nur mit dem Gefühl unaussprechlicher Dankbarkeit.

Der Anblick eines Blumenmädchens gab mir eine neue Idee ein – konnte ich ihm doch gleich, sofort – dies lag ja in meiner Macht – eine Ovation darbringen, eine diskrete Huldigung, etwas, was er vielleicht nicht einmal merken würde. Aber was lag daran, wenn er es nicht bemerkte? Das wäre sogar noch viel schöner – heimlich zu huldigen. Ich kaufte ein Sträußchen, überholte ihn – und sobald ich nur in seinen Gesichtskreis trat, war mir ein gleichmäßiger, gleichgültiger Schritt ein Ding der Unmöglichkeit – und ich warf ihm unmerklich einige schüchterne Veilchen vor die Füße. Und da fand ich mich plötzlich in einer überaus wunderlichen Situation: Ich ging immerzu weiter und weiter, ohne zu sehen, ob er hinter mir hergehe oder ob er vielleicht abgebogen oder in ein Haus eingetreten sei, aber ich hatte nicht die Kraft, mich umzuschauen – ich hätte mich nicht umgeschaut, und wenn weiß ich was davon abgehangen hätte, vielleicht alles überhaupt –, und als ich mich schließlich dazu überwunden hatte und so tat, als verlöre ich meinen Hut, und mich umdrehte – war er nicht mehr hinter mir.

Bis zum Abend lebte ich nur noch mit dem Gedanken an das Hotel Polonia.

Ich trat unmittelbar hinter ihnen in den prächtigen Saal und setzte mich an ein benachbartes Tischchen. Ich ahnte, dass mich das teuer zu stehen kommen würde, aber schließlich (dachte ich) lag nichts daran, und vielleicht lebte ich nicht mehr länger als ein Jahr und brauchte nicht zu sparen. Plötzlich wurden sie meiner gewahr; die Damen waren sogar so taktlos, dass sie zu flüstern begannen, er hingegen – enttäuschte mich nicht in meinen Erwartungen. Er bedachte mich nicht mit dem Schatten einer Beachtung, er charmierte, neigte sich zu den Damen, dann wieder schaute er sich um und beobachtete andere Damen. Er sprach bedächtig, mit Geschmack, während er die Speisekarte durchsah:

»Horsd’œuvres … Kaviar … Mayonnaise … Poularde … Ananas zum Dessert – Mokka, Pommard, Chablis, Cognac und Liköre.«

Ich bestellte.

»Kaviar – Mayonnaise – Poularde – Ananas zum Dessert – Mokka, Pommard, Chablis, Cognac und Liköre.«

Es dauerte lange. Der Rechtsanwalt aß viel, besonders von der Poularde – ich musste mich zwingen – wahrhaftig, ich dachte, ich würde es nicht mehr schaffen, und schaute mit Schrecken hin, ob er sich nochmals nachlegte. Er langte fortwährend nach und aß mit Genuss, in großen Bissen, aß ohne Erbarmen, trank Wein dazu, bis es für mich am Ende zu einer wahren Tortur wurde. Ich dachte, ich würde niemals mehr eine Poularde sehen können und nie wieder einen Löffel Mayonnaise hinunterschlucken können, es sei denn – es sei denn, wir würden einmal wieder zusammen in ein Restaurant gehen, und dann wäre es etwas anderes, dann, das wusste ich sicher, dann würde ich es durchstehen. Er trank auch eine Menge Wein, sodass mir langsam schwindelig wurde. Ein Spiegel gab seine Gestalt wieder. Wie wundervoll er sich beugte! Wie geschickt und kundig bereitete er sich den Cocktail! Wie elegant, einen Zahnstocher zwischen den Zähnen, scherzte er! Auf dem Scheitel hatte er eine heimliche kahle Stelle, an seinen zart gepflegten Händen trug er einen Siegelring, seine Stimme war tief, Bariton, weich und zärtlich. Seine Frau zeichnete sich durch nichts aus, sie war – man kann sagen – unwürdig. Hingegen die Frau Doktor! Ich hatte sofort bemerkt, dass seine Stimme, wenn er sich an Frau Doktor wandte, weichere und rundere Töne annahm. Ach, ach! Eine klare Sache! Die Frau Doktor war wie für ihn geschaffen, schlank, schlangenhaft, vornehm, träge, ein Kätzchen mit wundervoller weiblicher Caprice. Und aus seinem Munde klang das Wort Krällchen ausgezeichnet, man fühlte, dass er liebte, dass er konnte. Krällchen, Weibchen, Lümpchen, Schlingel, Zechbruder – ha, ha, ein Zechbruder von einem lieben Doktorlein! Und – »Ich bitte«, dieses so beredte und unwiderstehliche, so kultivierte und keinen Widerspruch duldende »Ich bitte«, gleichsam eine aus zwei Wörtern bestehende Chronik aller möglichen Triumphe. Und seine Fingernägel waren rosig, besonders einer, der am kleinen Finger. – Erst gegen zwei Uhr morgens kehrte ich nach Hause zurück und warf mich im Anzug aufs Bett. Ich war übersättigt, übervoll, zermalmt, bekam einen Schluckauf, es brummte mir im Kopfe, und die feinen Gerichte sprengten mir den Magen. Eine Orgie! Eine Orgie und Völlerei, ein Gelage! Eine Nacht im Restaurant – flüsterte ich –, ein nächtliches Gelage! Zum ersten Mal – ein nächtliches Gelage! Durch ihn – und für ihn!

Seitdem saß ich jeden Tag auf der Veranda der Milchbar in Erwartung des Rechtsanwalts und ging ihm nach, sobald er sich zeigte. Jemand anderer hätte dem Warten vielleicht nicht sechs, sieben Stunden widmen können. Doch ich hatte Zeit, mehr als genug. Die Krankheit, die Epilepsie, war meine einzige Beschäftigung, und auch das nur eine feiertägliche, am Rande der langen Reihe von Tagen – darüber hinaus hatte ich keinerlei andere Verpflichtungen, hatte freie Zeit. Mich hielten nicht, wie andere, Verwandte ab, Bekannte oder Freunde, Frauen und Tänze; außer einem einzigen Tanz – dem Veitstanz – kannte ich weder Tänze noch Frauen. Ein bescheidenes, kleines Einkommen genügte mir für meine Bedürfnisse, und übrigens gab es Anzeichen dafür, dass mein erschöpfter Organismus es nicht mehr lange aushalten würde – wozu sollte ich sparen? Von früh bis abends freier, arbeitsloser Tag, wie ein unaufhörlicher Feiertag, Zeit in unbeschränkter Menge, ich – ein Sultan, die Stunden – Huris …

Ach, komm endlich – Tod!

Der Rechtsanwalt war ein Leckermaul, und es ist schwer zu sagen, wie schön das war; jedes Mal wenn er vom Gericht nach Hause ging, trat er in eine Konditorei und verzehrte dort zwei Napoleonschnitten – ich beobachtete ihn durch die Schaufensterscheibe, wie er am Büfett stand und sie vorsichtig in den Mund schob, um sich nicht mit der Creme zu beschmieren, und dann leckte er fein die Finger ab oder wischte sie mit einer Papierserviette. Lange dachte ich darüber nach, und schließlich – ging ich einmal in die Konditorei.

»Kennen Sie den Herrn Rechtsanwalt Landt?«, fragte ich die Besitzerin. »Er verzehrt hier immer zwei Napoleonschnitten. Ja? Also ich zahle hier für diese Napoleonschnitten auf einen Monat im Voraus. Wenn er kommt, nehmen Sie bitte kein Geld an, sondern sagen Sie nur lächelnd: ›Das ist bereits erledigt.‹ Das hat nichts weiter zu bedeuten, sehen Sie, ich habe ganz einfach eine Wette verloren.«

Am nächsten Tage kam er wie gewohnt, aß und wollte bezahlen – man verweigerte die Annahme –, er regte sich auf und warf das Geld in eine Büchse für Wohltätigkeitszwecke. Was konnte mir das schaden? Eine reine Formsache – er durfte für obdachlose Kinder geben, so viel er wollte, das änderte nichts an der Tatsache, dass er meine zwei Napoleonschnitten gegessen hatte. Doch werde ich hier nicht alles beschreiben, denn überhaupt, kann man denn alles beschreiben? Das war wie ein Meer – von morgens bis abends und oft auch in der Nacht. Es war wild, wie zum Beispiel, als wir einmal einander gegenüber, Auge in Auge, in der Elektrischen Platz genommen hatten; und süß, wenn ich ihm gelegentlich einen Dienst erweisen konnte – und manchmal lächerlich. Lächerlich, süß und wild? – Ja, nichts ist so schwierig und delikat, so heilig sogar wie die menschliche Persönlichkeit, nichts kann sich mit dieser Gier geheimer Verbindungen vergleichen, die zwischen Fremden bedeutungs- und gegenstandslos entstehen, um unmerklich mit ungeheuerlichen Fesseln zu binden. Stellt euch einen Rechtsanwalt vor, der aus einer öffentlichen Bedürfnisanstalt herausgeht, in die Tasche nach fünfzehn Pfennigen langt und erfährt, dass die Rechnung – bereits beglichen ist. Was empfindet er da? Stellt euch vor, dass er auf Schritt und Tritt auf Anzeichen eines Kultes stößt, auf Ehrerbietung und Diensterweisung rings um sich her, auf Treue und eisernes Pflichtbewusstsein, auf Hingabe. Aber die Frau Doktor! Das Verhalten der Frau Doktor quälte mich entsetzlich. Sagte ihr denn sein Werben nichts, hatten denn der Zahnstocher und der Cocktail im Polonia keinerlei Eindruck auf sie gemacht? Offensichtlich war sie nicht einverstanden mit ihm – einmal, bemerkte ich, kam er wütend aus ihrem Haus, mit schiefer Krawatte … Was für eine Frau! Was sollte man tun, wie sie geneigt machen, wie sie überzeugen, dass sie es auch gleich richtig begriff, dass sie es zutiefst verstand, wie ich meinte, dass sie es spüren sollte. Nach langem Schwanken beschloss ich, das Beste wäre – ein anonymer Brief.

»Madame!

Wie kann man nur? Ihr Verhalten ist unbegreiflich, nein, so wie Sie sich verhalten, das darf man nicht! Haben Sie denn kein Empfinden für diese Gestalten, Bewegungen, Modulationen, für diesen Duft? Begreifen Sie nicht diese Vollkommenheit? Wozu sind Sie denn eine Frau? Ich an Ihrer Stelle wüsste, was sich gehört, wenn er nur geruhen würde, meinem kleinen, armseligen, unbeholfenen weiblichen Körperchen mit dem Finger zu winken.«

Nach einigen Tagen (es war spätabends in einer menschenleeren Straße) blieb Rechtsanwalt Landt stehen, wandte sich um und wartete mit dem Spazierstock. Es war nicht möglich, sich zurückzuziehen – ich ging also weiter, obgleich mich eine Art Ohnmacht überkroch – bis er mich am Arm packte, schüttelte und dabei mit dem Stock auf den Boden schlug.

»Was bedeutet diese idiotische Komödie? Wieso drängen Sie sich auf?«, schrie er. »Warum schleichen Sie mir nach? Was soll das heißen? Ich werde Sie mit dem Stock verprügeln! Die Knochen werde ich Ihnen brechen!«

Ich konnte nicht sprechen. Ich war glücklich. Ich nahm das in mich auf wie das Abendmahl und schloss die Augen. Schweigend bückte ich mich und hielt ihm den Rücken hin. Ich wartete – und durchlebte ein paar herrliche Augenblicke, wie sie nur dem gegeben sein können, der nur noch wenige Tage vor sich hat. Als ich mich wieder aufrichtete, ging er rasch davon, mit klackendem Stock. Mit übervollem Herzen, in einer Stimmung von Gnade und Segen ging ich durch die leeren Straßen nach Hause. Zu wenig – dachte ich –, zu wenig! Alles zu wenig! Noch – noch mehr!

Und Zerknirschung mischte sich in meine Dankbarkeit. In der Tat! Sie hatte meinen Brief für eine jämmerliche Phrase gehalten, für einen dummen Streich, und hatte ihn dem Rechtsanwalt gezeigt. Anstatt zu helfen – hatte ich geschadet, und alles darum, weil ich zu bequem, zu träge war, zu wenig von mir selber hergab – zu wenig Ernst und Verantwortung –, ich verstand es nicht, Begreifen zu inspirieren.

»Madame!

Um Ihnen bewusst zu machen, um an Ihr Gewissen zu rühren, erkläre ich, dass ich von heute an verschiedene Selbstqualen anwenden werde (Fasten etc.), solange das nicht eingetreten ist. Sie sind unverschämt! Welche Worte soll ich gebrauchen, um Ihnen die Notwendigkeit, die verdammte Pflicht und Schuldigkeit begreiflich zu machen? Wird das noch lange dauern? Was soll das heißen, dieser Widerstand? Woher dieser Stolz?!«

Und tags darauf, da mir diese wichtige Einzelheit einfiel, schrieb ich:

»Als Parfum nur ›Violette‹. Er liebt das.«

Von da an hörte der Rechtsanwalt auf, die Frau Doktor zu besuchen. Mich wurmte das, ich konnte nachts nicht schlafen. Ich bin nicht naiv. Ich weiß in vielen Dingen Bescheid, was mir niemand anmerken würde – ich weiß zum Beispiel, welchen Eindruck ein solcher Brief auf eine Dame von Welt ausüben kann, wie es die Frau Doktor war. Ich kann sogar in den höchsten Momenten der Begeisterung mir still ins Fäustchen lachen – doch was konnte mir das schon helfen? War dadurch mein Leiden etwa weniger empfindlich und die Qualen, die ich mir antat, weniger schmerzlich? Meine Empörung weniger wesentlich? Die Verehrung für den Rechtsanwalt weniger wahrhaftig? O nein! Was ist wesentlich? Das Leben, die Gesundheit? Also ich schwöre, dass ich ebenso, mir still ins Fäustchen lachend, mein Leben und meine Gesundheit hingeben würde dafür, dass sie … dass sie Genugtuung geben würde. Aber vielleicht hatte diese Frau ethische Skrupel? Was ist dumme Ethik einem Rechtsanwalt Landt gegenüber? Auf alle Fälle beschloss ich, sie auch in dieser Hinsicht zu beruhigen!

»Sie müssen! Der Herr Doktor – das ist eine Null, Luft.«

Doch bei ihr war das nicht Ethik, das war einfach Stolz, oder schließlich Faxen eines Weibchens und Mangel an Verständnis für die heiligen elementaren Dinge. Ich ging vor ihren Fenstern auf und ab – was tat sich dort hinter der herabgelassenen Gardine (denn sie pflegte spät aufzustehen), in welchem Stadium befand sie sich? Frauen sind allzu oberflächlich! Ich versuchte es mit Magnetismus: Du musst, du musst – wiederholte ich ein ums andere Mal, ins Fenster schauend – heute noch, heut Abend noch, wenn der Gatte nicht zu Hause ist. – Da, plötzlich erinnerte ich mich, dass mich der Rechtsanwalt ja verprügeln wollte, und wenn er das damals auf der Straße nicht getan hatte – so vielleicht aus Zeitmangel?

Ich lasse also alles fahren und eile zum Gericht, aus dem er, wie ich weiß, jeden Augenblick kommen wird. Tatsächlich kommt er nach ein paar Minuten mit zwei Herren, und da trete ich heran und halte schweigend den Rücken hin.

Über mir hängt das Staunen der beiden Herren, doch das kümmert mich nicht – und wenn’s die ganze Welt wäre! Ich kneife die Augen zu, krümme die Schultern und warte vertrauensvoll – doch nichts geschieht. Endlich stammle ich zu den Gehsteigplatten hinunter: »Vielleicht jetzt? Immer, immer, immer …«

»Das ist irgendein Idiot«, ertönt über mir seine Stimme. »Was für eine Zerstreutheit! Ich habe vergessen, dass ich eine Konferenz habe! Wir werden ein andermal darüber sprechen, auf Wiedersehen, meine Herren. Hier hast du ein paar Groschen, mein Armer. Meine Hochachtung!«

Und eilig stieg er in ein Taxi. Ach, diese Taxis! Einer der Herren langte in die Tasche. Ich hielt ihn mit einer Handbewegung auf. »Ich bin weder ein Bettler noch ein Idiot. Ich habe meine Würde – und Almosen nehme ich nur vom Herrn Rechtsanwalt Landt entgegen.«

Ich fasste den Plan einer Hypnose, einer dauernden, konsequenten Pression mithilfe von tausenderlei kleinen Tatsachen, mystischen Hinweisen, die, ohne ins Bewusstsein zu dringen, einen unterbewussten Zustand von Notwendigkeit erzeugen würden. Mit Kreide zeichnete ich an die Wand des Hauses, in welchem sie wohnte, einen Pfeil und ein großes L. Ich werde nicht alle meine mehr oder weniger geschickten Intrigen erwähnen; sie wurde in ein Netz sonderbarer Geschehnisse verwickelt. Die Angestellte eines Modegeschäfts sprach sie wie aus Versehen mit Frau Rechtsanwalt an! Der Portier, dem sie auf der Treppe begegnete, sagte, der Herr Oberrichter Landt habe mehrmals nachgefragt, ob der Schirm abgeschickt worden sei. Oberrichter – Rechtsanwalt, man muss vorsichtig sein, steter Tropfen höhlt den Stein. Es war unbekannt, durch welches Wunder sie aus der Stadt an ihrem Kleid den Duft des Rechtsanwalts mitbrachte, seinen belebenden Duft nach Veilchenseife und Eau de Cologne. Oder zum Beispiel solch ein Vorfall: Spät in der Nacht läutet das Telefon – sie fährt aus dem Schlaf, läuft hin und hört eine unbekannte, befehlende Stimme: »Sofort!« – und weiter nichts. Oder ein in die Türspalte geklemmter Zettel und darauf – nichts als ein Bruchstück eines Verses: »Kennst du das Landt, wo die Zitronen blühn?«

Doch allmählich verlor ich die Hoffnung. Der Rechtsanwalt hörte auf, sie zu besuchen – es schien, als wären meine Mühen vergebens. Ich sah bereits den Moment der endgültigen Kapitulation kommen und hatte Angst; ich fühlte, dass ich mich nicht damit würde abfinden können. Eine Beleidigung des Rechtsanwalts in diesem Punkte wäre etwas, was ich nicht ertragen könnte, auch wenn er es sich nicht zu Herzen nehmen würde. Das wäre für mich die endgültige Missachtung, eine Kränkung und Schande. Die endgültige – ja, die endgültige, ich habe mich gut ausgedrückt. Ich konnte nicht an sie glauben, zitterte aber vor dem unvermeidlichen, nahenden Ende.

Und wirklich … Es gibt doch eine Gnade! Und ach, wie waren sie durchtrieben – und dennoch nehme ich es dem Rechtsanwalt übel, warum er das so in sich verbarg –, wusste er denn nicht, dass ich litt? Ein Zufall? O nein, das war kein Zufall, eher war es Herz! Ich kehrte abends durch die Alleen nach Hause zurück – da bewog mich etwas, in den Park zu gehen. Eigentlich hätte ich zeitiger zu Bett gehen sollen, denn morgen in aller Frühe musste ich an der Tür des Rechtsanwalts ein vergoldetes Metallschildchen anbringen, mit der Aufschrift Rechtsanwalt Landt, doch etwas bewog mich: in den Park. Ich ging hinein – und ganz am Ende, hinter dem Teich, erblickte ich … ach, ach!, erblickte ich ihren großen Hut und seine Melone. Oh, ihr Früchtchen, ihr verflixten Schlingel, ihr Schelme! Während ich mich also quälte, trafen sie sich im Geheimen vor mir – wie geschickt! Sie müssen Taxis benützt haben! – Sie bogen in einen Seitenweg ein und setzten sich auf ein Bänkchen. Ich legte mich in den Sträuchern auf die Lauer. Ich erwartete nichts, ich dachte an nichts – ich wollte von nichts wissen, ich krümmte mich nur unter dem Strauch zusammen und zählte rasch die Blätter, ohne jede Überlegung, als wenn es mich gar nicht gäbe.

Und plötzlich – umarmte sie der Rechtsanwalt, drückte sie an sich und flüsterte:

»Hier – hier ist Natur … Hörst du? Eine Nachtigall. Jetzt, rasch – solang sie singt … Zum Refrain, im Takte des Nachtigallenschlags … Ich bitte!«

Und dann … ach, das war kosmisch, ich hielt es nicht aus – als ob alle Mächte der Welt sich in mir in einem heiligen Wahnsinn zusammengeballt hätten, als ob ein ungeheurer Stoß, ein elektrischer Stoß, ein Rückenmarksstoß, ein Opferstoß mich entsetzlich erschütterte – ich sprang auf und schrie aus vollem Halse über den ganzen Park hin:

»Rechtsanwalt Landt hat sie …! Rechtsanwalt Landt hat sie …! Rechtsanwalt Landt hat sie …!«

Ein Tumult entstand. Jemand rannte, jemand lief davon, Menschen kamen plötzlich von allen Seiten – und mich erwischte es, einmal, zweimal, dreimal, es warf mich zu Boden, und dann tanzte ich wie noch nie, mit Schaum vor dem Munde, in Zuckungen und Konvulsionen – einen bacchischen Tanz. Was danach geschehen ist, weiß ich nicht mehr. Erwacht bin ich im Spital.

Mir geht es immer schlechter. Die letzten Erlebnisse haben mich erschöpft. Rechtsanwalt Landt verreist morgen heimlich (doch ich weiß es) nach einer kleinen Gebirgsortschaft in den Ostkarpaten. Er will auf einige Wochen in den Bergen verschwinden und meint, ich werde vielleicht vergessen. Ihm nach! Ja, ihm nach! Überallhin diesem meinem Leitstern nach! Doch die Frage ist, ob ich lebend von dieser Reise zurückkommen werde, diese Erschütterungen sind allzu stark. Ich kann plötzlich auf der Straße sterben, an einem Zaun, und dann – soll man ein Kärtchen schreiben – mein Leichnam möge an den Rechtsanwalt Landt geschickt werden.

Memoiren des Stefan Czarniecki

1

Ich wurde in einem Hause voller Ehrbarkeit geboren und erzogen. Mit Rührung laufe ich dir, du meine Kindheit, in Gedanken entgegen! Ich sehe meinen Vater, einen schönen Mann, von erhabener Gestalt, mit einem Gesicht, in dem alles, der Blick, die Züge und das grau melierte Haar, sich zum Ausdruck vollkommener, edler Rasse zusammenfügte. Ich sehe auch dich, Mutter, in makellosem Schwarz, mit den altmodischen Ohrringen als einzigem Schmuck. Ich sehe auch mich, das kleine, ernsthafte, nachdenkliche Knäblein, und mir ist zum Weinen über die zerstörten Hoffnungen. – Der einzige Riss vielleicht in unserem Familienleben war, dass der Vater die Mutter hasste. Hassen ist schlecht gesagt: Nicht ausstehen konnte er sie vielmehr, und warum – das habe ich mir niemals sagen können, und hier beginnt schon das Geheimnis, dessen Dünste mich in reifen Jahren zu einer moralischen Katastrophe führten. Denn was bin ich heute? Ein unbedeutender Mensch, oder besser – ein moralischer Bankrotteur. Was tue ich denn, zum Beispiel? Küsse ich einer Dame die Hand, so bespeichle ich sie zu stark, worauf ich rasch mein Taschentuch ziehe: ach, Verzeihung – sage ich und wische mit dem Taschentuch.

Sehr bald bemerkte ich, dass der Vater es wie das Feuer mied, die Mutter zu berühren. Mehr noch – er mied ihren Blick, und wenn er sprach, sah er meistens zur Seite oder betrachtete seine Fingernägel. Nichts Traurigeres in seiner Art als dieser gesenkte Blick des Vaters. Manchmal aber sah er sie schräg an, mit einem Ausdruck maßlosen Ekels. Das war mir unbegreiflich, denn ich empfand meiner Mutter gegenüber keinerlei Widerwillen, im Gegenteil, obwohl sie übermäßig dick wurde und nach allen Seiten überquoll, liebte ich es, mich an sie zu schmiegen und mein Köpfchen auf ihre Knie zu neigen. – Wie aber soll man sich unter solchen Umständen die Tatsache meiner Existenz erklären, wie bin ich auf diese Welt gekommen? Ich glaube, ich bin gewissermaßen mit Gewalt erzeugt worden – mit zusammengebissenen Zähnen, natürlichen Regungen zuwider – kurz, ich nehme an, dass mein Vater einige Zeit im Namen der Ehepflicht heroisch mit dem Ekel gekämpft hatte (denn die Ehre seiner Männlichkeit stellte er über alles) und dass die Frucht dieses Heroismus ich, ein kleines Kindlein, war.

Nach dieser übermenschlichen und, aller Wahrscheinlichkeit nach, einmaligen Anstrengung war sein Widerwille mit elementarer Gewalt hervorgebrochen. Einmal hörte ich, wie er meine Mutter anschrie, sich dabei die Finger aus den Gelenken brechend: »Du wirst kahl! Bald wirst du so kahl wie ein Knie sein! Eine kahle Frau – begreifst du denn, was das für mich bedeutet – eine kahle Frau! Eine weibliche Glatze … eine Perücke … nein, das halte ich nicht aus!«

Und ruhiger, mit leiser, von Qual geschwollener Stimme fügte er hinzu: »Ach, wie bist du schrecklich. Du kannst nicht wissen, wie schrecklich du bist. Eine Glatze übrigens – das ist eine Einzelheit, die Nase – ebenfalls; diese oder jene Einzelheit kann schrecklich sein, das kommt auch in der arischen Rasse vor. Aber du bist im Ganzen schrecklich, durchtränkt von Scheußlichkeit vom Scheitel bis zur Sohle, du bist die Scheußlichkeit selber … Wenn auch nur eine Stelle an dir frei wäre von diesem Element der Scheußlichkeit, hätte ich wenigstens einen Anknüpfungspunkt, irgendeine Grundlage, und ich schwöre, ich würde auf sie alle Gefühle konzentrieren, die ich dir vor dem Altar geschworen habe. O Gott!«

Mir war das unbegreiflich. Worin war denn Mutters Glatze schlechter als die des Vaters? Und Mutters Zähne waren sogar besser; sie hatte nur einen weißen Eckzahn mit goldener Plombe … Und warum ekelte sich Mutter ihrerseits nicht nur nicht vor dem Vater, sondern liebte es im Gegenteil, ihn zu streicheln – vor den Gästen, denn nur dann sträubte sich der Vater nicht dagegen. Meine Mutter war voller Majestät. Heute noch sehe ich sie, wie sie einen Wohltätigkeitsbasar leitete, oder bei einem Diner, oder auch, wie sie Abendandachten mit den Dienstboten in ihrer kleinen Privatkapelle abhielt.

Die Frömmigkeit meiner Mutter hatte nicht ihresgleichen; das war schon keine Inbrunst mehr, sondern Brunst – eine Brunst des Fastens, des Gebets und der guten Taten. Zur festgesetzten Stunde stellten wir uns ein, ich, der Lakai, der Koch, das Stubenmädchen und der Wächter in der Schwärze der mit Flor bespannten Kapelle. Nach den Gebeten begann die Belehrung. – »Die Sünde! Scheußlich!«, pflegte die Mutter mit Macht zu sprechen, und ihr Kinn zitterte und bebte wie der Dotter im Ei. – Spreche ich etwa nicht mit der Ehrerbietung, die ich den teuren Schatten schuldig bin? Jenes Leben lehrte mich diese Sprache, die Sprache des Geheimnisses … aber greifen wir den Geschehnissen nicht vor.

Manchmal rief die Mutter mich, den Koch, den Lakaien, den Wächter und das Stubenmädchen zu einer außergewöhnlichen Zeit. – »Bete, armes Kind, für die Seele dieses Ungeheuers – deines Vaters, betet auch ihr für die Seele des dem Teufel verkauften Herrn!« – Manchmal um vier, um fünf Uhr morgens sangen wir unter ihrer Leitung Litaneien, bis sich die Tür auftat und der Vater erschien, im Frack oder im Smoking, und ein Ausdruck höchsten Ekels malte sich auf seinem Gesicht. – »Auf die Knie!«, rief die Mutter aus, indem sie wallend und wogend auf ihn zutrat, den Finger zum Bilde Christi reckend. – »Los, ins Bett, geht schlafen!«, befahl der Vater der Dienerschaft herrisch. – »Das ist mein Gesinde!«, antwortete ihm die Mutter, und der Vater ging rasch hinaus, von unseren flehentlichen Klagetönen vor dem Altar begleitet.

Was hatte das alles zu bedeuten, und warum pflegte die Mutter von »seinen schmutzigen Handlungen« zu sprechen, warum widerten sie die Handlungen meines Vaters an, wenn der Vater wiederum von der Mutter angewidert war? Der unschuldige Geist des Kindleins verlor sich in diesen Geheimnissen. – »Ein Wüstling«, pflegte die Mutter zu sagen. »Denkt daran – duldet das nicht! Wer angesichts der Sünde nicht vor Ekel schreit, der binde sich einen Mühlstein um den Hals. Gar nicht genug kann man sich ekeln, verachten und hassen. Geschworen hat er, und jetzt ekelt er sich! Er hat geschworen, sich nicht zu ekeln! Höllisches Feuer! Er ekelt sich vor mir, aber ich – ich ekle mich auch vor ihm! Der Tag des Gerichts wird kommen! Im Jenseits werden wir sehen, wer von uns der Bessere ist! Die Nase! – Der Geist! Der Geist hat keine Nase und auch keine Glatze, und der heiße Glaube öffnet die Tore zu allen künftigen himmlischen Freuden. Die Zeit wird kommen, da wird dein Vater, sich in Qualen windend, mich anflehen, die ich zur Rechten Jehovas sitzen werde, oder vielmehr, wollte ich sagen, Gottes, dass ich ihm den angefeuchteten Finger zu lecken gebe. Dann werden wir sehen, ob er sich ekelt!« – Der Vater war übrigens auch fromm und ging regelmäßig in die Kirche, doch niemals – in unsere Hauskapelle. Manchmal, makellos vornehm, pflegte er mit seinem aristokratischen Zusammenkneifen der Augen zu sagen: »Glaube mir, meine Teure, es ist eine Taktlosigkeit deinerseits, wenn ich dich vor dem Altar sehe mit deiner Nase und deinen Ohren, mit deinen Lippen – ich bin gewiss, dass auch Christus sich unbehaglich fühlt. Ich spreche dir natürlich nicht das Recht der Frömmigkeit ab«, fügte er hinzu, »gewiss, vom religiösen Standpunkt ist das eine schöne Sache – eine Neophytin, aber da ist nichts zu machen. Die Natur ist unerbittlich, und erinnere dich an das französische Sprichwort: ›Dieu pardonnera, les hommes oublieront, mais le nez restera.‹«

Und ich wuchs heran. Manchmal nahm mich mein Vater auf seine Knie und prüfte lange, beunruhigt mein Antlitz. – »Die Nase ist bisher – meine«, hörte ich ihn flüstern. »Gott sei Dank! Aber hier um die Augen und um die Ohren … armes Kind!« Und seine edlen Züge zogen sich schmerzlich zusammen. »Er wird entsetzlich leiden, wenn er zum Bewusstsein seiner selbst gekommen ist; und ich würde mich nicht wundern, wenn in ihm etwas in der Art eines inneren Pogroms erfolgen würde.« – Von welchem Bewusstsein und von welchem Pogrom sprach er? Und überhaupt – von welcher Farbe soll eine Ratte sein, die von einem schwarzen Männchen und einem weißen Weibchen gezeugt ist? Gescheckt? Oder vielleicht, falls die einander gegensätzlichen Farben von genau gleicher Kraft sind, würde aus dieser Verbindung eine Ratte ohne Farbe, eine farblose hervorgehen … aber wiederum sehe ich, dass ich mit ungeduldigen Abschweifungen den Geschehnissen vorgreife.

2

In der Schule war ich fleißig und beflissen, und trotzdem erfreute ich mich keiner allgemeinen Sympathie. Ich erinnere mich – ich stand das erste Mal vor dem Direktor, willig, eifrig, voller guter Vorsätze und mit jener Bereitwilligkeit, die immer meiner Natur zu eigen war, und der Direktor fasste mich gnädig unters Kinn. Ich dachte, je besser ich mich aufführte, umso mehr würde ich das Wohlwollen der Lehrer und der Kameraden verdienen. Meine guten Vorsätze zerschlugen sich jedoch an der undurchdringlichen Mauer des Geheimnisses. Welchen Geheimnisses? Bah, ich wusste es nicht, und auch jetzt weiß ich es eigentlich noch nicht – ich fühlte nur, dass ich von allen Seiten von einem mir fremden, feindseligen und dennoch verlockenden Geheimnis umgeben war, das ich nicht zu durchdringen vermochte. Ist er denn nicht verlockend, dieser geheimnisvolle kleine Vers: Eins, zwei, drei und in der Runde – alle Juden sind nur Hunde – alle Polen Auserwählte – und du bist der Ausgezählte –, mit dem wir uns mit den Kameraden während unserer Spiele auf dem Schulhof auszählten? Ich fühlte, dass er verlockend war – ich sagte ihn mit Genuss und Erregung auf, doch weswegen er verlockend war, das konnte ich nicht begreifen, und mir wollte sogar scheinen, ich sei ganz überflüssig, ich müsste eigentlich abseitsstehen und nur zuschauen. Ich setzte Fleiß und Artigkeit ein, aber für Fleiß und Artigkeit handelte ich mir die Antipathie nicht nur der Schüler, sondern, was noch sonderbarer und ungerechter war, auch bei den Lehrern ein.

Ich erinnere mich auch:

Wer bist du denn? Ein Pole klein,

Der Adler weiß – das Zeichen mein!

Und ich erinnere mich an meinen unvergesslichen Professor der vaterländischen Geschichte und Literatur – ein stilles, eher unbeholfenes altes Männlein, das niemals die Stimme erhob. »Meine Herren«, sagte er, indem er in ein großes Tafttaschentuch hustete oder mit dem Finger heftig im Ohr bohrte, »welches andere Volk war der Messias der Völker? Das Bollwerk des Christentums? Welches andere hatte einen Józef Poniatowski? Wenn es um die Anzahl der Genies geht, der Vorläufer insbesondere, so haben wir deren so viele wie ganz Europa.« Und unvermittelt begann er: »Dante?« – »Ich weiß, Herr Professor«, und ich sprang sofort auf: »Krasiński!« – »Molière?« – »Fredro!« – »Newton?« – »Kopernikus!« – »Beethoven?« – »Chopin!« – »Bach?« – »Moniuszko!« – »Sehen Sie, meine Herren«, sagte er. »Unsere Sprache ist hundertmal reicher als die französische, die doch als die vollkommenste gilt. Was kann ein Franzose schon sagen? Petit, petiot, très petit – höchstens. Und wir – welch ein Reichtum: mały, malutki, maluchny, malusi, maleńki, malenieczki, malusieńki und so weiter.« – Obgleich ich am besten und am raschesten antwortete, mochte er mich nicht – warum? –, wusste ich nicht; aber einmal geschah es, dass er hustend und mit einem vielsagenden und vertraulichen Tone sagte: »Die Polen, meine Herren, waren immer faul, denn Faulheit geht stets und unzertrennlich Hand in Hand mit großen Fähigkeiten. Die Polen sind – tüchtige, aber faule Schelme. Die Polen sind ein sonderbar sympathisches Volk.« Seither war mein Lerneifer gedämpft, doch auch dadurch vermochte ich nicht die Gunst meines Pädagogen zu gewinnen, obwohl er im Allgemeinen eine Schwäche für faule Bengel hatte.

Manchmal kniff er ein Auge zu, und dann spitzte die ganze Klasse die Ohren. »He?«, sagte er. »Das ist ein Frühling, was? Man spürt’s in den Knochen, es zieht einen in Wald und Flur. – Der Pole war schon immer so, wie man so sagt, ein Taugenichts und eine geharnischte Seele. Nie konnte er auf einem Fleck sitzen, ho, ho … daher schwärmen auch die schwedischen, dänischen, französischen und deutschen Frauen so für uns, doch wir mögen unsere Polinnen lieber, denn ihre Schönheit ist weltberühmt.« – Solche und ähnliche Äußerungen wirkten so sehr auf mich, dass ich mich verliebte – in ein junges Fräulein, neben der ich auf einer Bank im Łazienki-Park zusammen meine Lektionen lernte. Lange Zeit wusste ich nicht, wie ich es anfangen sollte, bis ich endlich fragte: »Erlauben Sie? …« Sie gab nicht einmal eine Antwort. Tags darauf aber, nachdem ich den Rat der Klassenkameraden eingeholt hatte, sammelte ich mich und zwickte sie, und da kniff sie die Augen zusammen und fing an zu kichern …

Es war mir gelungen – ich kehrte triumphierend heim, voller Freude und Selbstsicherheit – aber auch beunruhigt durch das mir unbegreifliche Kichern und das Zukneifen der Augen. – »Wisst ihr was?«, sagte ich auf dem Schulhof. »Auch ich bin eine geharnischte Seele, ein Taugenichts, ein Pole klein, schade, dass ihr’s nicht habt sehen können gestern im Park – schöne Sachen hättet ihr da gesehen …« Und ich erzählte alles. »Esel!«, sagten sie, aber zum ersten Mal hörten sie mir interessiert zu. Da rief einer: »Ein Frosch!« – »Wo? Was? Schlagt den Frosch!« Alle stürzten los, und ich mit ihnen. Wir begannen ihn mit dünnen Ruten zu schlagen, bis er tot war. Fiebrig und stolz, dass sie mich zu ihren exklusiven Spielen zugelassen hatten, und darin den Anfang einer neuen Ära im Leben erblickend, rief ich: »Hört! Da ist noch eine Schwalbe! Eine Schwalbe hat sich ins Klassenzimmer verflogen und stößt immerzu gegen das Fenster – wartet nur! …« Ich brachte die Schwalbe, und damit sie nicht fortfliegen konnte, brach ich ihr ein Flügelchen und griff zu meiner Rute. Inzwischen hatten sie alle umringt. »Die Arme!«, sagten sie. »Das arme kleine Vögelchen, gebt ihm Brot und Milch!« Als sie aber gewahr wurden, dass ich mit der Rute ausholte, kniff Palewski die Augen zusammen, dass ihm seine Backenknochen deutlich hervortraten, und schlug mir schmerzhaft in die Fresse.

»Er hat eins in die Fresse gekriegt!«, brüllten sie. »Du verlierst deine Ehre, Czarniecki, gib nicht nach, gib’s ihm wieder, gib ihm eine in die Fresse!« – »Wie kann ich denn«, erwiderte ich, »wenn ich doch der Schwächere bin. Wenn ich’s ihm wiedergeben wollte, bekäm ich’s ein zweites Mal und wäre doppelt entehrt.« – Da warfen sich alle auf mich und verhauten mich und sparten nicht mit Spott und boshaften Anspielungen.

Liebe! – Was ist das für ein zauberhafter, unbegreiflicher Nonsens – zwicken, ein wenig kneifen und sogar mit den Armen umfassen –, wie viel doch in diesem allen ist! Bah, bah, heute weiß ich, woran man sich zu halten hat, hier sehe ich eine heimliche Blutsverwandtschaft mit dem Kriege, denn auch im Kriege geht es darum, zu zwicken, zu kneifen oder mit den Armen zu umfassen, aber damals war ich noch kein Lebensbankrotteur, im Gegenteil, ich war voller guter Vorsätze. Lieben? Ich kann ruhig sagen, dass ich mich zur Liebe drängte, denn auf diese Weise wollte ich die Mauer des Geheimnisses durchbrechen … und mit Inbrunst und Glauben ertrug ich alle Wunderlichkeiten dieses allerwunderlichsten unter den Gefühlen in der Hoffnung, dass ich dennoch einmal verstehen würde, was an der Sache ist. – »Ich begehre dich!«, sagte ich zur Geliebten. Sie speiste mich mit Allgemeinheiten ab. – »Sie sind solch eine Null!«, sagte sie rätselhaft, in mein Antlitz schauend. »Ein Papa-Püppchen, ein Mama-Söhnchen!«

Ich erzitterte: ein Mama-Söhnchen? Was wollte sie damit sagen? Sollte sie erraten haben … denn ich hatte es allmählich schon herausgefunden. Ich verstand es schon, dass, wenn mein Vater rassig war bis ins Mark – meine Mutter ebenfalls rassig war, aber in einem anderen Sinne, im semitischen Sinne. Was hatte meinen Vater, diesen verarmten Aristokraten, veranlasst, meine Mutter, die Tochter eines reichen Bankiers, zu heiraten? Ich verstand nun seine ängstlichen Blicke, mit denen er meine Züge sondierte, und die nächtlichen Eskapaden dieses Mannes, der, sich in der ihm ekelhaften Symbiose mit der Mutter vergeudend, aus höheren Trieben seiner Art danach trachtete, seine Rasse anderen, würdigeren Lenden zu übertragen. Verstand ich? Eigentlich – verstand ich nicht, und hier wuchs wieder die magische Mauer des Geheimnisses empor – ich wusste theoretisch darum, doch selber fühlte ich keine Abneigung, weder der Mutter noch dem Vater gegenüber; ich war ein anhänglicher Sohn. Und heute noch begreife ich nicht recht, denn da ich die Theorie nicht kenne, weiß ich nicht, von welcher Farbe die Ratte ist, die von einem schwarzen Männchen und einem weißen Weibchen gezeugt ist; ich nehme nur an, dass bei mir ein außergewöhnlicher Fall eingetreten ist, nämlich der, dass die einander feindlichen Rassen der Eltern, die genau von gleicher Stärke waren, sich in mir derart vollständig neutralisiert haben, dass ich eine Ratte ohne Farbe, eine vollkommen farblose Ratte bin! Eine neutrale Ratte! Dies also war mein Los, dies mein Geheimnis, dies der Grund, warum es mir immer nicht gelingen wollte, und ich, an allem teilnehmend, an nichts teilhaben konnte. Und daher erfasste mich Unruhe bei dem Klang dieses Wortes: Mama-Söhnchen – umso mehr, als es von einem leichten Senken der Augenlider begleitet war, an dem ich mich bereits einige Mal im Leben verbrannt hatte.

»Ein Mann«, sagte sie, die schönen Äuglein ein wenig zukneifend, »ein Mann muss kühn sein!«

»Gewiss«, erwiderte ich, »ich kann kühn sein.« – Sie hatte phantasievolle Einfälle. Sie hieß mich über Gräben springen und schwere Lasten schleppen. – »Zertrampeln Sie dieses Blumenbeet, aber nicht jetzt, erst wenn der Wärter herschaut. Zerknicken Sie die Stauden, werfen Sie den Hut jenes Herrn ins Wasser!« – Ich hütete mich, Einwände zu machen, in Erinnerung an jenen Vorfall auf dem Schulhof, und als ich sie schließlich nach Ursache und Grund fragte, erwiderte sie, sie wisse es selber nicht, sie sei ein Rätsel und ein Element. – »Ich bin eine Sphinx«, pflegte sie zu sagen, »ein Geheimnis …« – Wenn es mir nicht gelang, war sie betrübt, und wenn es gelang, freute sie sich wie ein Kind, und zur Belohnung durfte ich ihr das Öhrchen küssen. Aber niemals wollte sie mir eine Antwort erteilen auf mein: »Ich begehre dich!« – »In Ihnen ist etwas«, pflegte sie geniert zu sagen, »ich weiß nicht, was, ein Beigeschmack.« Ich wusste gut, was das heißen sollte.

All dies, gestehe ich; war sonderbar verlockend, sonderbar schön, ja – schön war das geradezu, aber sonderbarerweise auch nicht ganz überzeugend. Dennoch verlor ich nicht den Mut. Ich las sehr viel, besonders Dichter, und eignete mir, so gut ich konnte, die Sprache des Geheimnisses an. Ich entsinne mich eines Aufsatzes – Der Pole und andere Völker. – Freilich, es lohnt kein Wort zu verlieren von der Überlegenheit der Polen über die Neger und Asiaten, die eine abstoßende Haut haben – hatte ich geschrieben.

Doch ebenfalls im Vergleich zu europäischen Völkern ist die Überlegenheit des Polen nicht zu bezweifeln. Die Deutschen – schwerfällig, brutal, mit Plattfüßen, die Franzosen – klein, zierlich und depraviert, die Russen – behaart, die Italiener – bel canto. Welch ein erleichterndes Gefühl, ein Pole zu sein, und kein Wunder, dass alle uns beneiden und uns am liebsten von der Erde hinwegfegen möchten. Einzig der Pole erweckt keinen Widerwillen in uns. So hatte ich geschrieben – ohne Überzeugung, aber ich fühlte, dass dies die Sprache des Geheimnisses sei, und eben die Naivität meiner Behauptungen beglückte mich.

3

Der politische Horizont verfinsterte sich, und meine Geliebte verriet eine merkwürdige Erregung. Ach, diese großen, diese phantastischen Septembertage! Sie dufteten, wie ich in einem Buch gelesen hatte, nach Heidekraut und Minze, sie waren ätherisch, bitter, brennend und unwirklich. Auf den Straßen – Menschenmengen, Gesänge und Umzüge, Entsetzen, Wahnsinn und Exaltiertheit, in den rhythmischen Schritt vorüberziehender Regimenter gefasst. Hier – ein alter ehemaliger Aufständischer, Tränen und Segen. Dort – Mobilmachung, Abschied junger Eheleute. Da – Fahnen, Ansprache, Begeisterungsausbrüche, die Nationalhymne. Schwüre, Opfer, Tränen, Plakate, Entrüstung, Erhabenheit und Hass. Niemals zuvor, wenn man den Künstlern glaubt, waren die Frauen so herrlich. Meine Geliebte schenkte mir keine Beachtung mehr, ihr Blick wurde tief, dunkel und beredt, aber sie schaute nur auf die Soldaten. – Ich überlegte, was ich machen solle. Die Welt des Rätsels war plötzlich unheimlich mächtig geworden, und ich musste doppelt auf der Hut sein.

Ich rief mit den anderen Vivat und gab meinem Patriotismus Ausdruck, und mehrmals nahm ich sogar an improvisierten Lynchverfahren gegen Spione teil. Ich fühlte jedoch, dass das nur ein Palliativum war. In dem Blick meiner kleinen Jadwiga war etwas Derartiges, dass ich mich schleunigst zum Militär meldete und den Ulanen zugeteilt wurde. Und sogleich erkannte ich, dass ich den richtigen Weg ging, denn als ich vor der militärischen Ärztekommission stand, nackt, mit einem Papier in der Hand, sechs Beamten und zwei Ärzten gegenüber, die mich den Fuß heben ließen und meine Ferse betrachteten – begegnete ich demselben prüfenden, ernsten, wie in Gedanken versunkenen und kühl einschätzenden Blick wie bei der kleinen Jadwiga und wunderte mich nur, dass sie damals im Park, wenn sie mir irgendwelche Mängel vorwarf, niemals meine Ferse beachtet hatte.

So war ich denn nun Soldat, Ulan, und sang zusammen mit den anderen: Ulanen, Ulanen, ihr Kinder, ihr schönen, so manches Mädchen wird euch ersehnen. Und tatsächlich, obgleich einzeln genommen keiner von uns ein Kind war – wenn wir als Haufen mit diesem Liedlein durch die