Das Echternach-Syndrom 2 - Robert Soisson - E-Book

Das Echternach-Syndrom 2 E-Book

Robert Soisson

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Beschreibung

Der Begriff "Echternacher Springprozession" wird im Sinne der Form des "drei Schritte vor, zwei zurück für besonders mühsame Prozesse verwendet, bei denen viele Rückschritte zu verzeichnen sind" (Wikipedia). Adorno bemerkte: "Die Echternacher Springprozession ist nicht der Gang des Weltgeistes" (minima Moralia, S. 165). Dass es die Luxemburger Politik nicht so sehr mit dem Weltgeist hat und lieber (außer in Geldangelegenheiten) ihre eigenen Wege geht, zeigt sie in den Domänen, die in dieser kleinen Buchreihe thematisiert werden. Die Artikel in diesen Büchern wurden in den Jahren 1980-2010 geschrieben und sind doch noch immer aktuell, eben weil die Fortschritte in den Bereichen Schule, Heimerziehung, Familie. Medienerziehung und Umsetzung der Kinderrechte so langsam sind. In diesem Buch sind außerdem die Referate vom Kongress über die Rechte des Kindes in der Schule enthalten, der 2001 in Luxemburg stattgefunden hat: Texte von Kurt Singer, Otto Herz, Bernard Defrance und Thomas Hammarberg.

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Vorwort: Das Echternach-Syndrom

„Der Begriff „Echternacher Springprozession“ wird im Sinne der Form des „drei Schritte vor, zwei zurück“ für besonders mühsame Prozesse verwendet, bei denen viele Rückschritte zu verzeichnen sind.“1 Adorno bemerkte: Die Echternacher Springprozession ist nicht der Gang des Weltgeistes (Minima Moralia, S. 165). Dass es die Luxemburger Politik nicht so sehr mit dem Weltgeist hat und lieber (außer in Geldangelegenheiten) ihre eigenen Wege geht, zeigt sie in den Domänen, welche in dieser kleinen Buchreihe thematisiert werden. Der Begriff Syndrom stammt aus der Medizin: „Typisch für ein Syndrom ist ein wiederkehrendes Muster von Symptomen, das sich bei verschiedenen Patienten in ähnlicher Form zeigt und deren Ursachen sich auf eine einzige Krankheit zurückführen lassen und nicht auf eine Vielzahl verschiedener Krankheiten, die beim Patienten zufällig zusammen auftreten. … In der Soziologie wird eine Gruppe von Merkmalen oder Faktoren, deren gemeinsames Auftreten einen bestimmten Zusammenhang oder Zustand anzeigt, ebenfalls als Syndrom bezeichnet. 2“

Die Texte setzen sich zusammen aus Artikeln, die ich in den letzten Jahrzehnten geschrieben habe und die in verschiedenen Publikationen veröffentlicht wurden. Dazu kommen Zeichnungen, die ebenfalls von mir stammen und oft als Illustrationen für diese Artikel gedacht waren.

Im Laufe meiner beruflichen Laufbahn als Psychologe im Schulbetrieb und meinen ehrenamtlichen Aktivitäten in einigen nationalen und internationalen Vereinigungen während den letzten 40 Jahren habe ich zu verschiedenen Themen Artikel veröffentlicht und Konferenzen gehalten, die ich in 5 Bereiche aufgeteilt habe und zu denen jeweils ein Buch erscheinen wird:

Thematisch geht es um Angelegenheiten, welche die Kinder in diesem Lande – und darüber hinaus – betreffen. Es geht um ihre Rechte und um ihre Würde. Das was mit unseren Kindern geschieht würde ich ohne Übertreibung als ein Verbrechen an der Menschlichkeit betrachten. Nicht in dem Sinne wie der Ausdruck in letzter Zeit immer häufiger angesichts der schrecklichen kriegerischen Auseinandersetzungen und humanitären

Katastrophen gebraucht wird, wo Kinder Tod, Folter, Hunger und Vertreibung erleben. Hier geht es vielmehr um die Zerstörung der Persönlichkeit des Kindes auf dem Altar der sogenannten Erziehung.

Trotz der Ratifizierung der Internationalen Konvention über die Rechte des Kindes durch den Luxemburger Staat ist die Konvention immer noch nicht zufriedenstellend umgesetzt. Besonders die politischen Rechte von Kindern und Jugendlichen sowie die der benachteiligten Gruppen unter ihnen werden vernachlässigt. (Band 1)

Die Schulpolitik berücksichtigt ausschließlich die Interessen der Lehrer. Eine kindorientierte, humane Schule wurde nie aufgebaut und die schwächsten Kinder erleben täglich einen entwürdigenden und frustrierenden Alltag. (Band 2)

Trotz vieler kurzlebiger Initiativen haben es die Maßnahmen der Fremdunterbringung nie zu einem kohärenten, zukunftsfähigen Modell gebracht. Auch hier verhindern widerstreitende Interessen wirklichen Fortschritt. Desolat ist in diesem Zusammenhang die Politik der geschlossenen Unterbringung (Band 3)

Jeder wundert sich darüber, dass Menschen Trump wählen, für den Brexit stimmen den Populisten auf den Leim gehen und sich wegen eines Fußballspieles den Schädel einschlagen. Eine vernünftige Medienerziehung gibt es aber in unseren Schulen nicht. Stattdessen bekommen private Trash-Sender Geld in den Hintern geblasen. (Band 4)

Der letzte Band dieser Reihe ist Fragen der allgemeinen Politik und der Familienpolitik gewidmet wo sich das Echternach-Syndrom auch voll auswirkt. (Band 5)

Aufgelockert werden die Texte durch Zeichnungen, die ebenfalls aus meiner Feder stammen.

Jedes Buch wird mit einem ein Vorwort eingeleitet, welches das Thema aus einer aktuellen Perspektive beschreibt und wird mit einem Sach- und Namenregister abgeschlossen.

Die einzelnen Artikel werden in der Regel im Original widergegeben, nur irrelevante Passagen werden gelegentlich weggelassen. Eine kurze Einleitung setzt den Artikel in seinen „historischen“ Kontext. Die meisten Texte sind in deutscher Sprache verfasst, einige aber auch in Französisch, Englisch und Luxemburgisch.

Ecole primaire Pétange

1https://de.wikipedia.org/wiki/Echternacher_Springprozession

2https://de.wikipedia.org/wiki/Syndrom

Inhalt

Vorwort: Das Echternach-Syndrom

Teil 1

Einleitung

Die geistig und körperlich benachteiligten Kinder und die Schule

Einleitung

Benachteiligte Kinder in der Schule

Unser Schulsystem: Probleme, Alternativen

30 Joer Service Médico-Psycho-Pédagogique zu Esch

Editorial Bulletin de l’ANCE N° 52, 1986

Editorial bulletin de l’ANCE N° 78, 1993

Padua Declaration on Education for All

Editorial bulletin de l’ANCE N° 84, 1995

Entrevue avec le Premier Ministre – mars 1995

Fachtagung Schulpsychologie in Europa, Mainz, September 1995

Intégration scolaire: Tableau chronologique 1952-1996

Congrès du CERFFICE sur l’intégration scolaire – mars 1996

Editorial bulletin de l’ANCE N° 99, novembre 1999

Die Rechte des Kindes in der Schule

Pisa und Sisi im Mist – Dezember 2001

Schule und Gewalt

Oh wie herrlich, o wie schön

Bewertungskritèren an de Schoulen

Propositions de mesures concrètes à prendre dans le cadre de la politique scolaire au cours des cinq ans à venir

Citoyenneté et Handicap : L’intégration scolaire de l’enfant handicapé

1. L’intégration: un choix de société

De l’obligation scolaire à l’inclusion

La Convention des Nations Unies relative aux Droits de l’Enfant

Règles des Nations Unies pour l’égalisation des chances des handicapés

2. L’Europe : fiction et réalités

Annexe :

Le rapport

Conclusions en ce qui concerne les politiques et les pratiques

Tendances

Projets de loi sur les réformes scolaires 2004

Stellungnahme des Ombuds- Komitees für die Rechte des Kindes zu aktuellen Fragen der Schulpolitik

„Là ou il y a intelligence, la violence n’aboutit pas"

Déclaration de Salamanque

Teil 2

Kurt Singer: Von der Würde des Kindes in der Schule

Otto Herz: Die Schule der Zukunft

„Mit Stolz den Namen ‚Mensch’ tragen ...“

„Deiche des Mutes bauen ...“

Artikel aus dem UNO-Übereinkommen als Maßstäbe zur Prüfung der Alltags-Realität in der Schule

Die Schule der Zukunft

Ein – provokanter - Fragebogen

Das A-B-C der Guten Schule

Bernard Defrance : Les droits des enfants dans nos écoles

Thomas Hammarberg: A School for Children with Rights

Introduction

Norms on Education in the Convention

Universal Access

Equal Opportunities

The Appropriate Content of Education

Cultural Roots and Global Values

New Methods of Learning

Mutual Respect

Pupil Participation

The Role of Teachers, Parents and the Community

Measures for Implementation

Some conclusions

INDEX

Publikationen von Robert Soisson

Teil 1

Wo kämen wir hin

wenn alle sagten

wo kämen wir hin

und keiner ginge

um einmal zu schaun

wohin man käme

wenn man ginge.

(Kurt Marti)

Einleitung

Schulen, wie wir sie kennen, sind ein Verbrechen an den Kindern. Nicht nur in Luxemburg. Aus fröhlichen, wissbegierigen, lebhaften Mädchen und Jungen werden schon nach ein paar Jahren depressive, launische und egoistische Zeitgenossen, die „null Bock“ auf alles und jeden haben.

Als ich die meisten Artikel für dieses Buch zwischen 1978 und 2008 schrieb, war einiges anders als heute aber grundsätzlich hat sich nichts geändert.

Der Trend zur immer früheren Kasernierung der Kinder in Einrichtungen der Ganztagsbetreuung ist nahezu für alle Realität geworden. Morgens ab 6.00 Uhr müssen die meisten aus den Federn um in eine „Maison Relais“, ein „Foyer de Jour“ oder eine „Crèche“ verbracht zu werden, wo sie oft genug von schlecht gelaunten „Erziehern“ beschäftigt werden, bis es „schellt“. Über die Mittagsstunde und nach der Schule das gleiche Szenario. Hausaufgabenhile bis sie von ihren müden Müttern abgeholt werden. Die ganz Kleinen müssen den ganzen Tag Beschäftigungsmassnahmen über sich ergehen lassen. Abends kommt die Familie, sofern sie überhaupt noch besteht, zusammen. Der Stress der Arbeitswelt und der Schule verdichten sich zuhause und entladen sich in gegenseitigen Aggressionen, die dem Aufbau einer positiven Leistungsmotivation nicht gerade förderlich sind. Ein paar Stunden Schlaf, und das ganze Spektakel beginnt von neuem.

Als die eben beschriebene Entwicklung an ihrem Anfang stand, hatte ich eine heftige Diskussion mit der damaligen Familienministerin. Ich argumentierte für eine Integration der sogenannten Auffangstrukturen in die bestehenden Schulgebäude. Erstens bräuchten die Kinder nicht hin- und hergebracht werden und zweitens würden niemals Räume leerstehen, wo doch der Mangel an Schulraum schon bedenklich war. Das Gegenargument der Ministerin war, dass es den Kindern gut tun würde einmal etwas anders zu sehen als ihre hässlichen Schulgebäude. Das muss man sich einmal überlegen: Der Zustand der kasernenartigen, lauten, kinderfeindlichen, zum Teil über 100 Jahre alten, selten renovierten Schulgebäuden3 wird als Argument geraucht um kostspielige Strukturen neben den Schulgebäuden zu errichten, die die halbe Zeit leerstehen. Das andere Argument, der Staat würde die Hälfte der Gesamtkosten für den Bau und den Betrieb der „Maisons relais“ übernehmen, veranlasste die naïven und gutgläubigen Gemeindepolitiker dazu, auf den Wagen zu springen und bald gehörte es zum guten Ton, eine oder mehrere „Maison relais“ sein Eigen zu nennen und heute, wenn ein neues Viertel geplant wird, gehört die „Maison relais“ ebensogut zum Inventar wie die Schule. Was aber in den MR geschieht, will niemand wissen. Vor kurzem gab es ein paar Skandälchen, die nicht ausbleiben konnten: Kinder wurden an Stühle gefesselt, ihne wurde der Mund zugeklebt. Ein Sommergewitter in dem sonst strahlend blauen Himmel der Kinderbetreuung.

Schuld an dem Schlamassel sind wie immer die Eltern. Um ihre immer grösser werdenden Konsumbedürfnisse befriedigen zu können, arbeiten Vater und Mutter und haben infolgedessen keine Zeit mehr für ihre Kinder, die sie abends allenfalls vor den Riesenflachbildschirm setzen, den sie – neben dem dicken Auto – auf Kredit gekauft haben. Die Politiker aller Schattierungen ringen verzweifelt die Hände: Man hätte ja lieber, alle würden zuhause bleiben und sich nur noch um ihren Nachwuchs kümmern um aus ihm stramme, gesunde Luxemburger zu machen anstatt kiffende Versager. Aber die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die Kompetitivität und der Standort Luxemburg verlangen nun eben den Einsatz aller zur grösstmöglichen Steigerung des Bruttosozialprodukts und des Nettoverdiensts. Dass die völlig überflüssigen Statistiken manchmal von zunehmender Armut spechen, von der Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter auseinandergeht interesssiert die Wenigsten. Aber die Kinder müssen es ausbaden.

Die Elternvereinigungen haben es schwer. Weil sie in der Regel nicht finanziell unterstützt werden und ihr politischer Einfluss auf kommunaler und nationaler Ebene gleich null ist haben sie oft nur geringe Überlebenschancen. Die Eltern, die sich hier engagieren haben oft schlechte Erfahrungen mit Schulen gemacht und haben deshalb in dern Verhandlungen mit lokalen Schulbehörden und dem Erziehungsministerium einen wackeligen Standpunkt. Es braucht schon viel Zeit, Ernergie, Frustrationstoleranz und Einsatzbereitschaft um es an der Spitze der FAPEL4 auszuhalten. Diese Ernergie hatte Michèle Retter, die die Zusammenarbeit mit den Ministerien ausgebaut und gefestigt hatte und auch den Kontakt mit der Europäischen Föderation der Elternvereinigungen (EPA)5 hergestellt hat. Diese Erfolge sind jetzt in Frage gestellt mit dem Projekt von Minister Claude Meisch, eine „nationale Elternvertretung“ einzurichten, die dem Ministerium unterstellt ist. Die neue Präsidentin der FAPEL, Romy Couturier, stellt die Unabhängikeit dieser neuen Institution in Frage und sieht die Errungenschaften der FAPEL in Gefahr, wohl nicht zu Unrecht. (Siehe auch das Kapitel : Propositions de mesures concrètes à prendre dans le cadre de la politique scolaire au cours des cinq ans à venir).S. →

Die Eltern, die sich ja kaum für die Schule interessieren, haben aber alle Angst vor der Schule. Ist das, weil sie in ihrer Kindheit schlechte Erfahrungen mit dieser Institution gemacht haben, oder sind die Lehrer derart furchtenflössend, dass sie einen heiligen Respekt vor ihnen haben? Das überrascht, denn in der Regel sind sie im Elterngespräch nett, zuvorkommend und freundlich. Ihre Macht über das Kind und damit indirekt über die Eltern ist aber gewaltig. Ich will das hier nicht ausführen aber verweise auf den Artikel von Kurt Singer in diesem Buch. Ganze Schulkarrieren und Lebensverläufe können von Ihnen gefördert oder vernichtet werden.

Ein Beispiel: Eine Frau reist an aus Brasilien. Ihr Mann, Luxemburger, war Ingenieur bei Du-weisst-schon-wem. Er stirbt in einem Autounfall. Die Witwe kommt aus dem ehemaligen ins neue Eldorado, wegen der Rente, klar. Neben allen möglichen Schikanen und Anfeindungen - auch von Seiten der Schwiegermutter, die immer schon gegen diese Heirat war – gelingt es ihr sich zu behaupten. Eines ihrer Kinder, ein hübsches Mädchen, kommt in eine „classe d’accueil“. Die Lehrerin erkennt sofort, dass dieses Mädchen hochbegabt ist. Sie spricht perfekt portugiesisch und englisch und ist mathematisch begabt. Die Lehrerin betreut sie während 2 Jahren, versucht in dieser kurzen Zeit ihre Französisch- und Deutschkenntnise soweit zu bringen wie sie kann. Dann kommt das letzte Gericht: Bei der ebenso dämlichen wie überflüssigen „orientation scolaire“ finden Klassenlehrer, Inspektor und Psychologe einstimmig, dass das Mädchen nicht genügend Deutschkenntnisse hat um im „Secondaire“ eingeschult zu werden. Also bleibt nur der „Complémentaire“. Dank ihrer guten Beziehungen zu einem Direktor einer höheren Bildungsantalt gelingt es der Lehrerin, das Kind probeweise in diesem Elysium unterzubringen, mit dem Versprechen, sich weiterhin um die Unterstützung des Mädchens zu bekümmern. Nach 7 Jahren macht das Mädchen sein Abitur und studiert jetzt an einer Universität.

Das Sytem ist gnadenlos gegenüber den Kindern. Wenn sie keinen Fürsprecher gewinnen können ist ihr Schicksal besiegelt.

Oben haben wir ein Beispiel zitiert von einer Lehrerin, die sich für ihre Kinder einsetzt. Vielleicht hat sie gerade deswegen eine „classe d’accueil“ ausgewählt, wo sie von ihren Kollegen angefeindet wird weil sie sich um die Bimbos und die Guals kümmert?

Lehrer sind Mittelklassemenschen. Nichts gegen die Mittelklassen. Sie sind das Rückgrat unserer Mittelstandsgesellschaft, mit ihren Konsumgewohnheiten, ihren rechtslastigen politischen Vorlieben, ihren Stammtischbenehmen. Lehrer gehören dazu. Im Gegensatz zu unseren Nachbarländern sind die Luxemburger Lehrer zu 90% in konservativen Gewerkschaften organisiert.

Den Gewerkschaften geht es vor allem um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder. Das ist ihr gutes Recht, so soll es auch sein. Trotzdem gibt es Grenzen: Ich verstehe nicht, weshalb sich der DGB für die Arbeiter in der Rüstungsindustrie einsetzt, was unserem OGBL bisher noch erspart blieb. Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen sind nicht heilig, man muss sie immer in ihren Kontext setzen. Der kleine Mann mit dem Schnurz hatte Millionen von Deutschen Arbeit beschafft, aber was wurde produziert: Bomben und Kanonen.

In der Schulpolitik geht es nicht um Bomben und Kanonen, aber um Schüler. Sind die Interessen von Lehren und Schülern in diesem Fall vereinbar? Ich sage „nein“ oder nur bedingt. Die Schulpoltik in Luxemburg wurde in den letzten 150 Jahren mit kurzen Unterbechungen von der Christlich Sozialen Volkspartei bestimmt. Nur einmal war sie überhaupt nicht an der Regierung beteiligt, und das war unter der Regierung Thorn. Die CSV, in bestem Einvernehmen mit der Staatsbeamtengerwerkschaft, war stets bemüht, ihre Wählerschaft bei bester Laune zu halten, und so erhielten die Lehrer regelmässig kleine Geschenke von ihren Ministern. Das führte dazu, dass Luxemburg in Sachen Lehrergehälter, Arbeitszeit und Klasseneffektive in Europa einsame Spitze wurde. Als Erziehungsminister Robert Krieps damals aber versuchte, zusammen mit seinem Staatssekretär Guy Linster, einige der heiligen Kühe im Unterrichtswesen zu schlachten, war die Empörung gewaltig. Hauptursachen des Aufstands der Professoren waren die neue Ferienregelung, Tatsache, dass erwachsene Schüler nicht mehr als unmündige Kinder behandelt werden sollten und die angekündigten Reformen.

Die Ferienregelung sah regelmässige Intervalle von 6 Wochen Schulzeit zwischen den Ferien vor. Damit wurden die katholischen Feiertage nicht mehr berücksichtigt und konnten in die Ferien oder ausserhalb fallen. Ich erlebte den Tumult in Echternach, wo die Proffen um ihre „Bouletteskiirmes“ bangten. Mit allen Mitteln wehrten sich die Schulen gegen die Bestimmung, dass Schüler mit 18 Jahren keine schriftlichen Entschuldigungen von ihren Eltern mehr brauchten, wenn sie einen Tag blaumachen wollten oder eben krank waren. Die angekündigte umfassende Reform des Lehrplans war schon zum Scheitern verurteil, noch ehe sie überhaupt formuliert war. Der Aufbau der Services de Psychologie et d‘Orientation Scolaire (SPOS) wurde als Einmischung fremder, feindlich gesinnter Nicht-Lehrer in den Schulbetrieb wahrgenommen und entsprechend bekämpft oder einfach ignoriert. Noch heute führen diese nach vielen Rückschlägen und Komptenzbescheidungen ein Schattendasein.

Dabei hatte Krieps gute Ideen: Eine davon war die Gründung einer „Commission permanente pour la réforme de l’enseignement primaire“. Die Originalität dieser Kommission war, dass ihr nicht nur Lehrer angehörten, sondern auch Mitglieder der sogenannten Zivilgesellschaft. Allein über die Kommission könnte ich ein Buch schreiben: Über die Bemühungen von Kommissionspräsident Gaston Schaber, mögliche fortschrittliche Ideen im Keim zu ersticken, über die Bemühungen des „Oberinspektors“, die Arbeit der Kommission auf Nebenschauplätze zu verdrängen (immerhin erreichte er, dass er sich von nun an über ein massgeschneidertes Gesetz „Inspecteur Général de l’Enseignement Primaire“ nenne konnte); über die haarsträubenden Diskussionen zum Thema Druckschrift/Schreibschrift und Mengenlehre; über die verzweifelten Bemühungen von Kommissionspräsident Roger Linster, doch noch einen Hauch von Reformansätzen, wie die Integration behinderter Kinder in die Regelschule, zumindest auf die Tagesordnung zu bringen.

Unter Krieps‘ Nachfolger Fernand Boden, wurde alles, was per Gesetzt schon geregelt war, wieder abgeschafft, Schaber liess die Kommission einschlafen und es wurde wieder still in den „Professorenkonferenzen“

Unsere Schule funktioniert nach seltsamen Kriterien, die alle einen inzestuösen Charakter aufweisen: Lehrer kommen wie schon gesagt meistens aus der Mittelschicht, waren gute (oder angepasste) Schüler, durchliefen ihre Ausbildung in dem erzkonservativen Institut Pédagogique, das in der Folge seinen Namen mehrmals änderte ohne dass sich inhaltlich das Geringste mitgeändert hätte und schliesslich von der „Universität“ geschluckt wurde. Die „Proffen“, die im ISERP auf die Studenten losgelassen wurden liessen sich neue Visitenkarten drucken und waren über Nacht zum „Associate Professor“ mutiert. Wenn die so ausgebildeten Lehrer dann auf die Kinder losgelassen wurden, wurden sie von sogenannten „Inspektoren“ beaufsichtigt. Das waren ehemalige Lehrer, die bei vollem Gehalt irgendein Studium im Ausland absolvierten um dann ihre Schäfchen betreuen zu dürfen. Das führte oft zu skurrilen Situationen, denn welche Institution kontrolliert sich denn selbst? Ältere Lehrer liessen sich nichts von jüngeren Inspektoren vorschreiben und diese brachten es gar nicht fertig, ihrer Hauptaufgabe, nämlich der Kontrolle des Schulbetriebs, gerecht zu werden. So versuchten es die meisten auf die sanfte Tour und wechselten die Rolle vom Kontrolleur zum „Berater“. Fazit: Nur superangepasste Schüler werden zu superangepassten Lehrern, die von den armen Schülern das verlangen, das sie selber nur mit viel Mühe, mit viel Nachhilfestunden und mit vielen Tränen erreicht haben: Das Abitur. Dass auch schon „damals“ nur 10% der Schüler das Abitur schafften ohne durchzusausen haben sie längst vergessen. Am Stammtisch lachen sie sich kaputt über ihre Heldentaten im Lycée, wie sie z.B. dem „Gelli“ einen verfaulten Fisch ins Pult gelegt haben.

Obwohl ich kein Freund von Hierarchien bin, müssen manchmal die Rollen klar verteilt werden. In dem eben beschriebenen Durcheinander war das nicht möglich. Der Ruf nach Direktoren wurde immer lauter. Das Modell der Direktoren aus den Sekundarschulen konnte jedoch kein Vorbild sein, als ehemalige „Proffen“ ist ihre Neutralität äusserst fraglich. Es reicht auch nicht, die ehemaligen „Inspektoren“ in „Direktoren“ umzubenennen. Der Posten eines Direktors verlangt ein eigenes Kompetenzprofil, eine „job description“ auf Neudeutsch. Auf keinen Fall darf aus dem Pool der Lehrer ausgewählt werden. Man kann wahrscheinlich nicht von heute auf morgen solche Leute in der notwendigen Zahl aus dem Ärmel schütteln aber ein Anfang muss gemacht werden. Ausgehend von einer Beschreibung seiner Aufaben muss das Kompetenzprofil erstellt und nach der passenden Ausbildung gesucht werden. Das ist jedoch meines Wissens bei der Reform von Minister Meisch nicht geschehen und mir schwant Fürchterliches.

Meine Klagen wurden nicht erhört!

Die Formel einer kollegialen Leitung durch die „comités d’écoles“ war auch ein Blindgänger. Die zunehmende Präsenz von Erziehern und anderen „Helfern“ in den Schulgebäuden führt häufig zu Konflikten und Mobbing (Darf z.B. ein Erzieher oder Ersatzlehrer einen Schlüssel vom Schulgebäude erhalten?). Es mag sein, dass das Sytem in einigen Schulen gut funktioniert, aber in der Regel ist es nicht der Fall. In einer Studie vom Hessischen Bildungsministerium zur Qualität von Schulen wurde vor 40 Jahren festgestellt, dass nicht der Schultyp ausschlaggebend war (damals stand die Frage im Raum ob Gesamtschulen besser als klassische Gymnasien waren), sondern die Atmosphäre, die in einem Schulgebäude vorzufinen war (Kooperation, gemeinsame Projekt, Offenheit, Integratives Arbeiten, Elternbeteiligung usw.). Wenn die „kollegiale Leitung“ nur ihre eigenen Interessen vor Augen hat und die auch noch gegen die Interessen anderer Beteiligter verteidigt, kann das Modell getrost als gescheitert betrachtet werden.

Genau wie die Direktoren sollten Erziehungsminister auch nicht dem Lehrkörper entstammen. Die nämlich haben vor allem die Verteidigung der Interessen ihrer (ehemaligen) Kollegen vor Augen und fürchten sich vor potentiellem Wählerverlust. Persönlich habe ich die besten Erfahrungen mit Ministern gemacht, die nicht aus dem Schulbetrieb stammten. Sie waren offen für Reformen, gesprächsbereit und (fast) ohne Hintergedanken. Schade nur, dass sie in der Regel nach einer Legislaturperiode durch einen oder eine andere ersetzt werden und dadurch überhaupt keine Kontinuität in der Bildungspolitik stattfindet.

Die Gewerkschaften habe ich bereits erwähnt. Ihr gemeinsamer Nenner, ob „links“ oder „rechts“, ist der Korporatismus. Am deutlichsten wurde dies bei der unheiligen Allianz, die sich plötzlich gegen die bedauernswerte Maddy Delvaux zusammenbraute. Ihre Reformvorschläge, die allesamt in die „richtige Richtung“ zeigten (zu mehr reicht es im Marienlande nicht), wurden aufs heftigste von dieser korporatistischen Lobby bekämpft, zu meinem Erschrecken und Bedauern auch vom SEW-OGBL. Kein Wunder, dass Maddy sich bei der nächsten Gelegenheit nach Strassburg absetzte.

Der Pygmalion-Effekt6 in unseren Schulen war, ist und bleibt ein grosses Problem. Die Kinder werden meistens (bewusst oder unbewusst) nach ihrem Aussehen, ihrer Nationalität und ihrer Schichtzugehrigkeit „klassiert“ und entsprechend gefördert oder ignoriert.

Bei der Planung dieses Buches fiel mir ein, dass es noch keinen gedruckten Bericht gab über den Kongress „Die Rechte des Kindes in der Schule“ den ich vom 13.-15. September 2001 in Luxemburg organisiert hatte. Nachdem durch die Attentate von New York die auch für September geplante

„UN-Special Session on Childen“ vertagt werden musste, kam eine Gruppe von deutschen Schülern, betreut von der deutschen Nationalen Koalition für die Rechte des Kindes“, sozusagen als Kompensation nach Luxemburg. Sie waren sehr gut vorbereitet und arbeiteten ganz aktiv mit an der Resolution zum Kongress. Die Konferenzler, Kurt Singer, Otto Herz, Bernard Defrance und Thomas Hammarberg gaben ihre Erlaubnis für die Veröffenlichung ihrer Texte. Das wäre somit erledigt und bildet den 2. Teil dieses Buches.

R.S. - September 2017

3 Es gibt auch schöne Schulen. Die Bilder in diesem Buch sind der Beweis. Sie entsatnden auf einer Rundfahrt zu ausgesuchten Gebäuden, die Modell stehen sollten für eine Einrichtung fèr lernbehinderte Kinder, finanziert durch die Stiftung der damaligen Erbgrossherzogin und ihres Prinzengemahls. Das Projekt wurde aus Geldmangel nicht umgesetzt.

4 Fédération des Associations de Parents d’Élèves du Luxembourg

5 EPA (European Parent’s Association) www.europarents.eu

6 „Als Pygmalion-Effekt (nach der mythologischen Figur Pygmalion) wird bezeichnet, wenn sich eine (vorweggenommene) positive Einschätzung eines Schülers durch einen Lehrer (etwa der Schüler ist hochbegabt) im späteren Verlauf bestätigt. Das werde dadurch ermöglicht, dass der Lehrer den Schülern seine Erwartungen in subtiler Weise übermittelt, z. B. durch persönliche Zuwendung, die Wartezeit auf eine Schülerantwort, durch Häufigkeit und Stärke von Lob und Tadel oder durch hohe Leistungsanforderungen. Robert Rosenthal und Lenore F. Jacobson wiesen experimentell nach, dass ein Lehrer, dem suggeriert wird, einige Schüler seien besonders begabt, diese unbewusst so fördert, dass sie am Ende auch faktisch ihre Leistungen steigern.” In: https://de.wikipedia.org/wiki/Pygmalion-Effekt

Leider wirkt der Effekt meistens in die gegenteilige Richtung. (R.S.)

Die geistig und körperlich benachteiligten Kinder und die Schule

1978 wurde die ANCE (Association Nationale des Communautés Éducatives) als luxemburgische Sektion der FICE (Fédération Internationale des Communautés Éducatives) auf Initiative von einer Reihe von Leuten, die in Kinderheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe arbeiteten. Erster Präsident war Emile Hemmen, der Direktor der Ateliers Protégés von Capellen, der sich engagiert für die schulische und gesellschaftliche Integration von behinderten Kindern und Erwachsenen einsetzte. Nach kurzer Zeit übernahm ich seine Nachfolge und eine meiner ersten Aufgaben war die Organisation eines Nationalkongresses der ANCE zu dem der untenstehende Text als Diskussionsgrundlage geschrieben wurde.

Seit also 37 Jahren engagiert sich die ANCE – heute ANCES – für die inclusive Erziehung. Zahlreiche Konferenzen, Artikel und Stellungnahmen wurden zu diesem Thema veröffentlicht, aber wie bereits in der Einleitung zu diesem Buch festgestellt wurde, hat sich in all den Jahren wenig verändert. (Dieser Artikel erschien im ANCE-bulletin N° 12/13, September 1980)

Einleitung

Benachteiligte Kinder in der Schule

Kinder mit Lernstörungen

Soziale Benachteiligung

Psychosoziale Konflikte

"Lerngeschichte”

Bedingungen des Lernens

Defizienz

Ausländerkinder

geistig und körperlich benachteiligte Kinder

Unser Schulsystem: Probleme, Alternative

1) Einleitung

Seit der Einführung der obligatorischen Schulpflicht ist die Diskussion um Ziele und Inhalte der Institution Schule wie verstummt. Immerhin gehen unsere Kinder während mindestens neun Jahren in die Schule; diese ist zu einem Sozialisationsfaktor ersten Ranges geworden. Im Laufe dieses Jahrhunderts hat sich unsere Gesellschaft sehr schnell entwickelt; die Schule hingegen scheint dieser Entwicklung hinterherzuhinken. Obwohl es nicht an Reformvorstellungen mangelt werden diese in der Praxis kaum verwirklicht. Die Frage woran das liegt ist kaum eindeutig zu beantworten. Sowohl " ausgediente " philanthropische Vorstellungen vom Wohl des Kindes wie zweckorientierte technokratische Reform-Ideen vermögen nicht die notwendige Verbindung zwischen den Anforderungen der Umwelt und der Schulpraxis herzustellen.

Gewerkschaften, Lehrerverbände, Parteien, offizielle Kommissionen entwickeln Vorstellungen zur Schulpolitik, zu Programmen, Inhalten und Methoden. Oft reduzieren sich die daraus entstandenen Förderungskataloge jedoch auf ein Tauziehen zwischen dem was unbedingt sein muss und dem was noch zusätzlich sein könnte.

Die tragenden Teile unseres Schulsystems werden nämlich kaum in Frage gestellt: Bilingualismus, Jahrgangsklassen, Dreigliedrige Aufteilung nach dem 6.Schuljahr usw. Die aus diesen quasi tabuisierten Bereichen resultierenden programmierten und methodischen Anforderungen lassen für pädagogische Experimente nur wenig Raum. Unsere Schule ist auf den durchschnittlich begabten, luxemburgisch sprechenden Schüler ausgerichtet. Je besser der soziale Status seiner Eltern und je höher deren Ausbildung; desto besser sind seine Chancen, in unserem Schulsystem eine glänzende Karriere zu machen.

Es erübrigt sich fast darauf hinzuweisen, dass diese Kinder nur einen geringen Teil unserer Schülerpopulation ausmachen. Für den größten Teil unserer Schüler ist der Schulweg gekennzeichnet von Misserfolg, Schulversagen, psychosozialen Konflikten usw. Zu diesen gehören Kinder mit "Lernstörungen", Ausländerkinder und geistig sowie körperlich benachteiligte Kinder.

2) Benachteiligte Kinder in der Schule

a) Kinder mit "Lernstörungen"

Ich gebrauche den Ausdruck "Lernstörungen" nur ungern da sich hinter diesen "Lernstörungen" oft ein komplexes System von zusammenhängenden, die Lernleistung des Schülers beeinflussenden Faktoren verbirgt. Zu diesen Faktoren gehören in erster Linie die soziale Situation des Kindes in seiner Familie, des Vorhandenseins psychosozialer Konflikte, die Lerngeschichte sowie die materiellen und psychischen Bedingungen unter denen Lernen stattfindet.

Soziale Benachteiligung

Unabhängig davon, ob wir es mit luxemburgischen oder ausländischen, behinderten oder nicht behinderten Kindern zu tun haben, der Einfluss der Familie auf die Lernleistungen des Kindes ist entscheidend. Kinder aus " gestörten " sozialen Verhältnissen stellen seit jeher den größten Teil unserer Sonderschüler. Der Mangel an positiven Lernmöglichkeiten in diesen Familien bestimmt weitgehend das soziale Verhalten dieser Kinder sowie ihre Einstellung zur Schule und zum Lernen. Die Sonderschule hat sich als Sackgasse erwiesen: Ebenso wenig wie wir diesen Kindern zu einem befriedigenden Schulabschluss verhelfen können, können wir verhindern, dass Sonderschulklassen zu Ghettos wurden in denen sozial abweichendes Verhalten in der peer-group eingeübt wird. Aus diesen Gründen sind alle Bestrebungen, aus dem engen Wirkungskreis der Schule herauszutreten begrüßenswert. Besonders das Konzept der " Schulsozialarbeit " ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben.

"Schulsozialarbeit" heißt, dass der Lehrer versucht, sich aktiv an dem außerschulischen Leben sozial benachteiligter Kinder zu beteiligen, ihnen hilft, ihre Freizeit sinnvoll zu organisieren sowie durch häufige Kontakte mit ihren Eltern deren Interesse an der Schule zu erwecken um ihnen eine aktive Beteiligung am Schulgeschehen zu ermöglichen.

Selbstverständlich müssen die materiellen Bedingungen geschaffen werden, die dem Lehrer eine derartige Arbeit ermöglichen.

Psychosoziale Konflikte

Oft sind " Lernstörungen " auch Ausdruck psychosozialer Konfliktsituationen die nicht unbedingt gestörte Familienverhältnisse als Grundlage haben. Jeder weiß, dass besonders in äußerlich intakten, gesellschaftlich gut angepassten Familien besonderer Wert auf gute Leistungen in der Schule gelegt wird. Dies führt oft zu unrealistischen Erwartungshaltungen der Eltern gegenüber ihren Kindern. Genügen diese jenen Erwartungen nicht oder nur teilweise, dann entstehen Spannungen in der Familie deren Opfer das " lernunwillige " oder einfach " faule " Kind ist. Dies kann bei Schülern zu regelrechten Verhaltungsstörungen oder zu einer Beeinträchtigung der Lernfähigkeit führen. Auch Spannungen zwischen den Eltern, Geschwisterrivalitäten, der Einfluss von Freunden sowie bedrückende und traumatisierende Erlebnisse haben ähnliche Auswirkungen.

In diesen Fällen müssen schulische oder außerschulische Beratungsdienste ihre Verantwortung übernehmen.

Lerngeschichte

Die "Lerngeschichte" eines Kindes ist oft schon allein eine ausreichende Erklärung für seine Schulschwierigkeiten. Anfängliche Misserfolge im 1. und 2. Schuljahr, bedingt durch mangelnde Schulreife, einen allgemeinen Entwicklungsrückstand oder psychische belastende Umstände in dieser Periode führen beim Kind zu vornehmlich negativen Erfahrungen in der Schule. Häufige Misserfolge führen oft dazu, dass das Kind als " schlechter Schüler " abgestempelt wird und vom Lehrer und seinen Kameraden mehr und mehr in diese Rolle hineingedrängt wird. Je niedriger die Erwartungen sind, die an es gestellt werden umso grösser wird die Tendenz, durch "Fluchtverhalten" jeder Anstrengung zu entweichen. Damit beginnt ein Teufelskreis der die individuelle Lerngeschichte eines Schülers dauerhaft bestimmen kann. Gezielte Fördermaßnahmen durch Beratungsstellen und Psychologen können solchen Kindern helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Bedingungen des Lernens

Schulstress, Schulangst, verursacht durch überlastete Programme, autoritäre oder unfähige Lehrer; Mangel an qualitativ hochwertigem didaktischem Material, Belastung durch Lärm und Mangel an Bewegung fahren ebenfalls bei Kindern zu Lernstörungen. Aus alledem was z.B. während dem Internationalen Jahr des Kindes 1979 gesagt und geschrieben wurde geht hervor, dass in unseren westlichen Industriestaaten die materielle Lage unserer Kinder zwar meistens abgesichert ist, dass auf der anderen Seite aber die psychische Belastung der Kinder im Alltagsleben ständig zunimmt. Die Schule wird in diesem Zusammenhang als einer der wichtigsten, Stress-verursachenden Faktoren betrachtet. Vom Schüler werden beständig Leistungen abverlangt; Zeit zum Entspannen bleibt wenig. Unsere vor allem verbal orientierte Schule beeinträchtigt die Bedürfnisse des Kindes, motorisch oder manuell-kreativ tätig zu sein. Da die Wohn-und Verkehrsverhältnisse besonders in den Städten diese Aktivitäten ebenfalls nicht begünstigen leben viele Kinder in einem Dauerstresszustand der sich als „Nervosität“, „Unkonzentriertheit“ und „Mangel an Ausdauer“ im Schulalltag bemerkbar macht.

Defizite

Es gibt ebenfalls Lernstörungen, die auf die defizitäre Ausbildung verschiedener sensorischer und kognitiver Fähigkeiten zurückzuführen sind. In diesen Fällen ist es angebracht, mittels spezieller diagnostischer und therapeutischer Verfahren diese Mängel soweit wie möglich zu beheben. Psychologie und Sonderpädagogik haben in diesen Fällen ein breites Angebot von Förderungsmaßnahmen anzubieten.

b) Ausländerkinder

Ausländerkinder stellen einen großen Teil unserer Schülerpopulation. In den größten Gemeinden unseres Landes erreicht ihr Anteil 35 % aller Schüler7. Am Problem der Ausländerkinder sieht man wie wenig flexibel die Strukturen unseres Schulsystems sind.

Versucht man die Diskussion über dieses Problem auf die Begriffe "Integration" versus "Segregation" zu reduzieren so stellt dies eine grobe Vereinfachung dar.

Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass Luxemburg bzw. die luxemburgische Industrie Ausländer braucht um Arbeiten zu verrichten, die keine Qualifikation erfordern. Die Ausländer leben in unserem Lande in sozialer und kultureller Isolation. Eine Beteiligung am politischen sozialen oder kulturellem Leben ist nicht oder nur kaum möglich. Dadurch, dass sie auch meistens in schlechten Wohnverhältnissen getrennt von der luxemburgischen Bevölkerung leben, verstärkt sich ihre Isolation. Dies wirkt sich selbstverständlich auf die Persönlichkeit des ausländischen Kindes aus.

Ein Teil der ausländischen Arbeiter wird nach einigen Jahren in sein Heimatland zurückkehren; ein Teil wird hierbleiben. Setzt man nun in der Schulpolitik auf optimale Integrationsförderung, so ist sicherlich dem letzten Teil gedient. Die Kinder aber, die mit ihren Eltern zurückkehren, sind denn Fremde in ihrem eigenen Land. Da die ausländischen Familien sich jedoch nicht festlegen wollen - oder können - ob sie hierbleiben oder nicht, ist es schwierig, eine bestimmte Richtung in der Schulpolitik zu verfolgen.

Das Hauptproblem ist die Sprache. Momentan werden Ausländerkinder im Vorschulunterricht verstärkt in Luxemburgisch unterrichtet (Förderung des Vokabulars, Formulieren einfacher Sätze ...). Im Primärschulunterricht sollen sie wie einheimische Kinder Deutsch und Französisch lernen. Neben dem normalen Unterricht besuchen ausländische Kinder dann meistens noch die portugiesische bzw. italienische Schule wo sie an den freien Nachmittagen unter oft unzumutbaren Bedingungen in ihrer Heimatsprache und -kultur unterrichtet werden. Da ihre Eltern oft alle beiden arbeiten und ihren Kindern kaum zusätzlich fördern können ist es unvermeidlich, dass Ausländerkinder in unserem Schulsystem am meisten benachteiligt sind.

Im Zusammenhang mit diesem Problem ist oft das oben erwähnte Konzept der Schulsozialarbeit erwähnt worden. Sicher kannten durch eine verstärkte Einbeziehung der ausländischen Eltern und Kinder in schulische Prozesse viele Barrieren abgebaut werden. Mir scheint aber, dass es au einem globalen Konzept von "Ausländerpolitik" fehlt, von dem der eben erwähnte Ansatz ein Teil sein könnte.

c) körperlich und geistig benachteiligte Kinder

Ich gebrauche den Ausdruck " behindert " nicht gern, da er zu sehr betont, dass geistig und körperlich benachteiligte Menschen nicht normgerecht funktionieren können. In dem Wort „benachteiligt“ hingegen ist schon die Frage nach dem „benachteiligt im Hinblick auf wen bzw. auf was?“ enthalten und damit ist die gesellschaftliche und zwischenmenschliche Dimension des Problems angesprochen.

Seit einigen Jahren findet eine leidenschaftliche Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern der Integration geistig und körperlich benachteiligter Kinder in den normalen Unterricht statt. Besonders die Entwicklung in Italien wirkte hier als auslösendes Moment. In Italien wurden nämlich alle Sonderschulen und Institute für geistig und körperlich Benachteiligte geschlossen - durch ein Gesetz - und damit die schulische und soziale Integration dieser Kinder und Erwachsenen forciert in die Wege geleitet. In vielen anderen europäischen Ländern griffen Erzieher, Sozialarbeiter, Pädagogen und Psychologen diese Ideen auf und versuchen, sie durchzusetzen.

Die Analyse der geschichtlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte verdeutlicht, warum es soweit kommen konnte: Nach Kriegsende begann in vielen europäischen Ländern ein gewaltiger wirtschaftlicher Aufschwung. Die klassische, elitäre Schule konnte nicht mehr genügend hochqualifizierte Arbeitskräfte auf den Markt bringen und so begann die Kritik an der Schule sich zu entwickeln("Bildungsmisere") und neue Wege wurden gesucht um die Lücken im Arbeitsmarkt zu füllen ("Ausschöpfung der Begabungsreserven"); eine Bewegung, die durch äußere Ereignisse (z.B. den Sputnik-Schock) nur noch verstärkt wurde. Da die Schule nur noch optimal fördern sollte, waren wenig "begabte" und geistig wie körperlich benachteiligte Kinder Sand im Getriebe. Die Sonderpädagogik entwickelte sich sprunghaft und leistungsunfähige Kinder wurden in Sonderschulen oder spezialisierte Institutionen abgedrängt. An diesen Lernorten konnten viele Kinder zwar schulisch maximal gefördert werden; ihre Stellung als Randgruppen in der Schule und in der Gesellschaft verschlimmerte sich jedoch. Besonders nach Schulantritt fanden sich diese Menschen vor praktisch unüberwindbaren Schwierigkeiten in der beruflichen und sozialen Eingliederung zurück. Erst mit der Weltwirtschaftskrise Mitte der sechziger Jahre und mit der damit verbundenen Einsicht, dass ökonomisches Wachstum nicht grenzenlos sein kann entstand ein Prozess des Umdenkens nicht mehr die leistungs- und normorientierte, sondern die menschliche Seite des Problems rückte mehr und mehr in den Vordergrund.

Parallel dazu findet im Schulbereich eine Entwicklung statt, die tendenziell Integrationsversuche ermöglichen könnte: Die Zahl der Schüler ist rückläufig, die Zahl der Lehrer jedoch steigt konstant. Integration benachteiligter Kinder erfordert Differenzierung und die Beteiligung von Stützlehren im Unterricht. Beide Entwicklungen laufen also aufeinander zu. Die Integration körperlich und geistig behinderter Kinder in den normalen Schulunterricht sollte jedoch nicht per Gesetz eingeführt werden, es sollte vielmehr ein langwieriger Prozess eingeleitet werden, der die nötige Infrastruktur aufbaut um eine solche Integration zu ermöglichen. Die Erfahrungen der Sonderpädagogik und der Psychologie sollten verwertet werden, um diese Infrastruktur aufzubauen. Mit ihrer Hilfe wird es möglich, wirksam im Unterricht zu differenzieren. Die Ausbildung der Lehrer müsste natürlich diesen neuen Gegebenheiten Rechnung tragen.

7 Heute (2017) übersteigt die Anzahl der Ausländerkinder in Luxemburg und Eschsur-Alzette die 50%-Marke

3) Unser Schulsystem: Probleme, Alternativen…

In dem vorhergehenden Text orientierte ich mich an unserem aktuellen Schulsystem. Dieses wird in letzter Zeit jedoch immer häufiger in Frage gestellt. Außer Reformen in Teilbereichen ist das System in seinem Wesen nie radikal geändert worden, seine Grundannahmen sind dieselben geblieben. Gelehrt werden Fertigkeiten im verbalen und im schriftlichen Bereich, etwas Allgemeinbildung und im postprimären Unterricht beginnt die am späteren Beruf orientierte Spezialisierung. Soziale und schöpferische Lernprozesse werden ausgeklammert. Das Konkurrenzdenken und die Betonung der Individualität verdrängen die Fähigkeit zur Kooperation und zur Solidarität. Manuelle und künstlerisch-kreative Arbeit wird entwertet, ist doch jeder Erstklässler - zumindest theoretisch ein potentieller Arzt, Ingenieur oder Professor. Der "Druck von oben"; lies: Sekundarunterricht, bestimmt bis ins kleinste Detail die Programmausrichtung des Primärschulunterrichts. Da nun aber nicht jeder Erstklässler zu den Gipfeln intellektueller Brillanz emporklettern kann, wäre es an der Zeit, Alternativen zu unserem Schulsystem zu erproben; Modelle, die unter Umständen auch Lösungen für die vorhergehenden Kapitel erwähnten Problemen anbieten könnten.

Ich denke hier z.B. an das Modell der "Open Schools" (U.S.A., Großbritannien ...) oder verschiedene private Schulen in der B.R.D. und Dänemark. Diese Schulen sind vor allem offene Lernorte, d.h. die Umwelt des Schülers wird in den Lernprozess einbezogen. Das Prinzip der Jahrgangsklasse wird zugunsten mehrjähriger Lehreinheiten aufgegeben. Die Einschreibung ist nicht an ein bestimmtes Datum gebunden; ein Kind verlässt den Zyklus, wenn es die vorgeschriebenen Lernziele erreicht hat. Differenzierung geschieht dadurch, dass die Kinder ihrem individuellen Lernrhythmus entsprechend arbeiten. Im Unterricht lernen die Kinder einzeln oder in kleinen Gruppen das wozu sie gerade Lust haben. Der Lehrer greift nur minimal ein; mit der Kollaboration von Laienlehrern sorgt er dafür, dass die Kinder ständig beschäftigt werden und regt ihre Lehrmotivation an. Die Klassenräume sind in verschiedene Lern- und Spielbereiche eingeteilt. In älteren Gebäuden werden mehrere Klassenräume inklusiv Flure zu einem Lernbereich zusammengefasst in dem Lehrer und Kinder sich frei bewegen können.

Untersuchungen in England, haben gezeigt, dass diese Form des Unterrichts nicht nur dem klassischen Frontalunterricht ebenbürtig ist was die Kenntnisse der Schüler anbelangt; vielmehr zeigen die Schüler die aus offenen Schulen kommen ein besser entwickeltes Sozialverhalten als ihre Kollegen aus den " klassischen " Schulen; sie sind kreativer, vielseitiger interessiert und bestens motiviert für schulisches Lernen. Außerdem sind die weniger ängstlich als andere Schüler.

Diese radikal andere Form der Schule straft einige fundamentale Annahmen unseres Schulsystems Lügen die - überspitzt formuliert - von Schülern verlangen, dass sie zur gleichen Zeit alle Lust haben das gleiche Fach zu lernen; dass sie alle dieselben Lernvoraussetzungen haben und im gleichen Rhythmus eine Materie verarbeiten können.

Nach diesen allgemeinen Feststellungen gäbe es noch eine Menge an unserem Schulsystem zu bemängeln. Programme, Inhalte, und Methoden geben ausreichend Diskussionsstoff ab. Da umwälzende Reformen in unserm Schulwesen in den nächsten Jahren nicht zu erwarten sind, ist es wichtig, kurzfristig Verbesserungen durchzusetzen, besonders im Interesse aller benachteiligten Kinder.

Aufgabe des A.N.C.E. - Kongresses wird es sein in Arbeitsgruppen Verbesserungsvorschläge zu formulieren. Folgende Bereiche werden dabei zu berücksichtigen sein:

Vorschule

Primärschule

Differenzierter Unterricht

Postprimärer Unterricht

Schulische Beratungsdienste

Lehrerausbildung

30 Joer Service Médico-Psycho-Pédagogique zu Esch

Nach 2 Jahren im Service de Psychologie et d’Orientation Scolaire im Gymnasium von Echternach () arbeitete ich bis zu meiner Pensionierung im Service Médico-Psycho-Pédagogique in Esch-sur-Alzette.

Ich fand ein Team vor, das Schulprobleme auf eine engagierte und humane Art und Weise anging, im Respekt der Kinder, Eltern und Lehrer. Die Schulpolitik in Esch war in der Nachkriegszeit unter dem Einfluss von Leuten wie Addy Useldinger, Jos Brebsom, Ed Barbel und Jules Grandgenet durchweg fortschrittlich und innovativ. In diese Periode fiel die Gründung im Jahre 1952 des ersten schulpsychologischen Dienstes auf Landesebene. In Esch wurden auch die ersten Klassen für behinderte Kinder eingerichtet, die damals noch nicht unter die Schulpflicht fielen. Das änderte sich mit der Zuspitzung der Stahlkrise. Der Elan war gebrochen und in Esch machte sich eine zunehmend inovationsfeindliche Stimmung breit.

Das hinderte unser Team aber nicht daran, fortschrittliche Initiativen zu ergreifen und zu unterstützen wie z.B. die Schulreformen der sozialliberalen Regierung Thorn, vor allem das „Tronc Commun“ Projekt. Auch bemühten wir uns darum, Kontakte zu anderen schulpsychologischen Diensten im In- und Ausland zu knüpfen. Wir organisierten regelmässige Treffen mit luxemburgischen Kollegen, besuchten Einrichtungen in Trier, Arlon und Longwy und einmal organisierten wir in Remich ein regionales Treffen mit Teilnehmern aus der „Groβregion“.

Ich war damals Präsident der Association Luxembourgeoise des Psychologues Diplômés Universitaires (ALPDU) und zusammen mit einer Kollegin nahm ich 1981 teil an der Gründungsversammlung der EFPPA (European Federation of Professional Psychologists Associations) in Düsseldorf. Hier begeisterte mich vor allem das schulpsychologische Modell Norwegens, wo alle Schulpsychologen vom Staat eingestellt waren und weitgehende Befugnisse bei der Entwicklung und Umsetzung von Schulmodellen hatten.

Diese internationalen Kontakte konnten aber nicht verhindern, dass sich die luxemburger Psychologenszene langsam entzweite: Einerseits die Gruppe, zu der ich auch gehörte, die sich für ein öffentlich-rechtliches Statut für den Psychologenberuf – wie in Norwegen - einsetzte und andereseits die Gruppe, die ein liberales Statut in Anlehung an das medizinische Modell für den Psychologenberuf forderten. Die ALPDU wurde aufgelöst und ein Teil ihrer Mitglieder gründeten die Sektion Psychologie innerhalb des OGB-L. Später entstand dann, unter dem Impuls der anderen ALPDU-Mitglieder die Société Luxembourgeoise de Psychologie (SLP).

Das war also kurz zusammengefasst, der historische Kontext, in dem der SMPP von Esch im jahre 1982 sein 30jähriges Bestehen feierte.

N.B. Der vorliegende Text wurde nach den neuen Regeln der luxemburger Rechtschreibung überarbeitet. In der Originalversion war jedes 2. Wort falsch geschrieben.

30 Joer Service Médico-Psycho-Pédagogique zu Esch

Zesummenaarbecht am Déngscht vum Kand.

Et war ouni Zweiwel eng fortschrëttlech Initiative wei d'Stad Esch am Joer 1952 den 1. Service-Médico-Psycho-Pédagogique am Land geschaafen huet.

Scho laang haten déi Schoulmeeschteren, déi mat behënnerten oder schwaachen Schüler ze dinn haten, no enger Equipe gefrot déi si an schwieregen Schoul- an Erzéiungsfroen beroden an hinnen hëllefe kënnten.

Di éischt Equipe huet bestanen aus engem Dokter, en Neuro-Psychiater, enger Psychologin, enger Assistante Sociale an engem spezialiséierten Schoulmeeschter déi all stonneweis fir de Service geschafft hunn. Si goufen ënnerstëtzt vun engem Grapp voll onermiddlechen Mataarbechter (Schoulmeeschteren a Léierinnen aus den Spezialklassen an Dokteren). Di ganz Beweegung ass ervirgaangen aus dem "Cercle d'études de l’Enfance Inadaptée", eng Associatioun, déi sech an där Zäit - an och nach duerno - vill mat de Problemer vun de Schoulkanner beschäftegt huet a selbstverständlech och eng ganz Partie Initiativen op deem Gebitt geholl huet. Di Escher Gemeng huet als éischt am Land op de Virschlag vum "Centre d'Etudes de l’Enfance Inadaptée" reagéiert an en Service op d'Been gesat. Wéi keng aner Gemeng huet si och derfir gesuergt, dass d'Aarbecht vum Service ënnert gudden raimlechen Bedingungen konnt stattfannen an huet Zëmmeren am Crèche-Gebai am Lavalspark zur Verfügung gestallt.

D'Aktivitéiten vum Service MPP goufen awer ëmmer méi grouss. D'Bedürfnisser u Personal an u Raimlechkeeten si mat gewuess esou dass de Service 1969 an säin neie Sëtz um Numero 6 an der Groussgaass konnt anzéien.

Niewent dem Pädagog, deen deemools schonn vollzäiteg am Service geschafft huet, gouf 1972 nach eng institutricerééducatrice an den 1. Psycholog mat engem volle Kader agestallt. Domat hat sech Esch erëm eng Kéier un d'Spëtzt vun allen aneren Gemengen gesat wat personell a raimlech Infrastrukturen fir d'Berodung a Betreiung vu Primärschoulkanner an hiren Elteren ugeet.

No 13 Joer Aktivitéiten um Numero 6 vun der Groussgaass gouf awer den Appartement do ze kleng, besonnesch nodeem d'Gemeng en 2. Psycholog agestallt hat. D'Massard’s Haus, wat d'Gemeng kaf hat huet sech als idealen Kader ugebueden fir dem Service MPP nei a schéin Bürosraim ze verschafen. An engems war domat e Stéck Al Esch erhale bliwwen. Am Summer 1982 war et esou weit, an de Service MPP konnt an déi nei Raimlechkeeten anzéien.

Dem Service MPP seng Aktivitéit war an ass ganz villsäiteg. Si leeft net nëmmen an engem Gebai mä op nach aner Platzen of.

De Service besteet am Kader vum Service de l’Enseignement a vun Ufank un war d'Equipe bestrieft de Kontakt mat der Schoul esou lieweg ewéi méiglech ze halen. Selbstverständlech gëtt bei all Fall mat der Léierpersoun iwwert dat betreffend Kand geschwat. Ma doriwwer eraus huet de Service probéiert, Permanencen an deenen groussen Schoulgebaier ze hunn an si auszebauen. E Gebai mat villen schwaachen Schüler a mat groussen pädagogeschen Problemer ass Wobrecken. Hei geet een vun den Psychologen reegelméisseg all Woch hin.

Am Joer 1981 huet hien do an Zesummenaarbecht mat de Kollegen eng Studie iwwert de Leeschtungsstand vun de Schoulofgänger duerchgezunn an ausgewäert, woumat och däitlech gëtt dass de Service all Bestriewungen fir Fuerschung an Innovatioun an der Schoul ënnerstëtzt bzw. selwer d'Initiative ergräift.

De Brill ass d'Suergekand ënnert eise Schoulen. Di héich Konzentratioun vun Auslännerkanner huet eng Präsenz vum Service gefuerdert. Och hei besteet e Bürosraum wou en vun de Psychologen 2x d'Woch mat Kanner an Elteren ka schaffen. Um Brill huet de Service MPP och maassgeeblech derzou bäigedroen fir d'Strukturen de Kanner unzepassen an net ëmgedréint. Haut ginn et Klassen, di sech an hiren Programmen an hiren Ufuerderungen de Problemer vun den Auslännerkanner ugepasst hunn. Déi Aktivitéit gëtt ënnerstëtzt duerch 2 Enseignante déi fräigestallt sinn fir gezielten Sproochtraining mat Auslännerkanner ze maachen.

Och bei dësen Experimenter ass et kloer dass se wëssenschaftlech kontrolléiert an ausgewäert ginn. Ebenfalls um Brill gëtt eng méi enk Zesummenaarbecht tëschent dem Jugendhaus an dem Service ugestrieft an zwar: 1. bei der Berodung vu jugendlechen Aarbechtslosen an 2. bei dem Encadrement vun Nohëllefsstonnen déi Fräiwëlleger de Kanner aus dem Quartier ginn.

Um Brouch huet de Service vun 1982 un e klenge Schoulsall zur Verfügung fir op der Platz mat Elteren an Kanner ze schaffen. En vun de Psychologen an d'institutricerééducatrice ginn all Woch 1 - 2x an déi Schoul.

Och d'Schoul am Neiduerf huet laang Zäit vun der Mataarbecht vun eisem Pädagog profitéiert. D'Kanner aus de Schoulen wou mer keng Reim hunn ginn um Service am Massardshaus gesinn.

Eng enk Zesummenaarbecht besteet och tëschent eisem Service an dem Service de Guidance de l’Enfance "Um Gruef" deen fir d'Ëmgéigend vun Esch zoustänneg ass. Mat hinnen zesummen huet de Service ee Raum fir Spilltherapie ageriicht.

Een Haaptelement vun der Aarbecht vum Service ware vun Ufank un d'Hëllefsmoossnamen fir déi Kanner di se néideg haten. Et sollt net nëmmen Diagnostik gemaach an en Dossier ugeluecht ginn mä d'Kanner sollten direkt a konkret gehollef kréien. Dat war besonnesch de Fall bei geeschteg behënnerte Kanner. Vill Elteren hunn deemools schonn hir Kanner léiwer an eng Spezialklass an Esch geschéckt ewéi an eng geschlossen Institutioun. Op Initiative vum Service a vum “Cercle d'Etudes” ass du den 1. Centre Médico-Pédagogique 1965-66 an Esch geschaaft ginn. 1970-71 gouf doraus e Semi-Internat dat um Peckeschhaff ënnerbruecht war. Hei kruten behënnert Kanner di nach lernfäeg waren di beschtméiglech Erzéiung gebueden; de Service MPP hat d'administrativ an d'erzéieresch Verantwortung iwwert den CMP. No dem Vote vum Gesetz iwwert den differenzéierten Unterrecht huet de Staat seng Responsabilitéit vis-a-vis vun de behënnerten Kanner iwwerholl an zu Esch ass doropshin den neien Centre HMC zu Lalleng gebaut ginn.

Et ass och wichteg bei dëser Geleeënheet ze erwänen dass de Service MPP säit sengem Bestoen ni e Mënsch ofgewisen huet dee mat senge Problemer dohin komm ass. Sou koum et dass den Escher Service honnerte vu Fäll aus den Nopeschgemengen behandelt an entspriechend Hëllefsmoossnamen duerchgefouert huet. Bis aner Servicer déi Aarbecht iwwerholl haten war deen Escher a Wierklechkeet e regionalen Service MPP.

De Service huet sech ëmmer Méi ginn, fir um Gebitt vun der Weiderbildung vum Erzéiungspersonal eng aktiv Roll ze spillen duerch d'Organisatioun vu Konferenzen. Staatlech Stellen huet en seng Mataarbecht bei dem Erschaffen vu Gesetzestexter ugebueden an am Fall vum Gesetz iwwert d'Admissioun an d'éischt Schouljoer ass d'Aarbecht vum Service am "Commentaire des Articles" erwäänt ginn fir d'Noutwendegkeet vun deem Gesetz ze ënnermaueren.

Wei d'Suessemer Schlass nach der Gemeng Esch gehéiert huet, war de Service MPP reegelméisseg am Kannerschlass präsent fir zesummen mam Personal aus dem Haus mat de Kanner ze schaffen an hir Entwécklung ze verfollegen. Mä och mat deenen aneren Heemer op Escher Buedem huet de Service eng gutt Zesummenaarbecht: esou z.B. de Foyer de Jour International um Brill, d'Jongenheem an de Foyer Ste. Elisabeth.

Zu den Kontakter, déi de Service reegelméisseg no baussen fleegt gehéieren d'Gespréicher mat de Kollegen aus all deenen aneren Services ronderëm Esch an am ganze Land, mat den Dokteren an Assistanten vun Esch an auswäerts, mat dem Familljeministère, Heemer a Foyeren, mat dem Erzéiungsministère, mat dem Service d'Innovation et de Recherche Pédagogique, mat dem Département Orientation scolaire et Services Sociaux, mat dem Jugendschutz an mat dem Jugendgeriicht, mat den Déngschter vun dem Ministère de la Santé Publique, de Readaptatiounszentren, dem Service de Psychologie an de postprimäre Gebaier an esou weider. Et géing sécher ze weit féieren fir hei an den Detail ze goen. Dofir sief dat ganzt illustréiert un engem Fallbeispill.

De Schoulmeeschter huet a senger Klass e Kand wat net nokënnt an deem säin Behuelen ze wënschen iwwereg léisst. Et passt net op, dreemt, stéiert d'Klass, kann sech net konzentréieren, ass ëmmer nervös an esou weider.

Hien rifft d'Elteren an héiert, dass si och doheem ganz vill Suergen mam Kand hunn. Zesummen entscheeden si sech fir d'Kand bei dem Service MPP unzemellen. Duerch déi gutt personell Besetzung vum Service ass et de Moment méiglech fir ganz schnell den Elteren e rendez-vous ze ginn.

An enger éischter Etapp féiert e vun de Psychologen e längert Gespréich mat den Elteren fir de Problem kënnen ze ëmräissen.

Duerno kënnt d'Kand en Mol, zwe Mol oder och méi oft op de Service wou mat him geschafft gëtt. D'Pädagogen kucken no wat hat alles scho kann, wou seng Schoulschwieregkeeten ganz genee leien, seng Sprooch, seng Lateralitéit, d'Gehéier, d' Aen, seng grapho-motoresch Fäegkeeten a seng spezifesch Schwieregkeeten. Da maachen si Virschléi wei dem Kand kéint gehollef ginn. D'Psychologen probéieren di kognitiv Fäegkeeten an d' Perséinlechkeetsstrukturen vum Kand anzeschätzen. All verfügbar Renseignementer iwwert d'Kand ginn erageholl. Dozou gehéiert op all Fall e Gespréich mam Schoulmeeschter oder der Léierin; Deemno wéi de Fall leit och mat engem Dokter, enger Assistante sociale, engem Heem an esou weider.

Wann d'Equipe sech en viruerteelsfreien Iwwerbléck vum Kand sengem Problem maachen kann, gëtt an der "Réunion de Synthèse" iwwer de Fall geschwat.

Op dëser Versammlung huelen nieft der ganzer Equipe d'Inspekteren als Presidenten vun der Commision Médico-Psycho-Pédagogique deel. Donieft kënnen och nach Leit geruff ginn déi net zur Commission MPP gehéieren, déi awer mam Fall ze dinn hunn. D'Fäll ginn all eenzel diskutéiert, d'Equipe schléit bestëmmte Moossnamen vir an d'Commissioun entscheet op an a wat fir enger Form se ugewannt ginn.

No der Sëtzung schwätzt de Psycholog nach eng Kéier mat den Betraffenen, Elteren, Léierpersounen an esou weider, fir hinnen matzedeelen wat entscheet ginn ass. Duerno lafen d' Hëllefsmoossnamen un. Zum Schluss vum Schouljoer gëtt de Fall oft nach eng Kéier mam Schoulmeeschter diskutéiert fir ze gesinn, wei d'Kand weiderkënnt.

Wat fir Hëllefsmoossnamen ginn haaptsächlech getraff? De Schwéierpunkt läit ouni Zweiwel um pädagogesche Plang. Am Service selwer kréien eenzel Kanner oder kleng Gruppen gezielt gehollef duerch eis Pädagogen souwéi duerch Kolleginnen, déi op de freien Nomëtteger mat klenge Gruppen schaffen. Duerch des Hëllef sollen d'Kanner leieren mat der Matière ëmzegoen, sech ze konzentréieren, rationell a mat Ausdauer ze schaffen. Hiert Selbstvertrauen soll gestäerkt ginn an hiert Leeschtungsverméigen gesteigert ginn.

Wann d'Kand awer esou schwaach ass, dass et néierens méi matkënnt, da kënnt et an eng "classe de perfectionnement" wou seng Entwécklung bestänneg iwwerwaacht gëtt.

Bis elo ass de Brill di eenzeg Schoul wou e Schoulmeeschter an eng Léierin fräigestallt gi sinn fir mat Kanner a klenge Gruppen Förderunterrecht ze maachen. Et kann een nëmmen hoffen, dass déi Entwécklung an deenen aneren Gebaier virugeet.

No de pädagogeschen Hëllefsmoossnamen kënnt de Block vun de psychologeschen Hëllefen: Gespréicher mat Kanner an Elteren, Spilltherapie, verhaltenstherapeutesch Behandlung vun Entwécklungsstéierungen (z.B. Enuresis)

En drëtten Deel vu Moossnamen sinn duerch déi aktuell Schoulstrukturen diktéiert:

Orientation scolaire am 6. Schouljoer (all Joer 250 Kanner)

Admission anticipée (an d’éischt Schouljoer)

Aschoulung vu Kanner déi aus dem Ausland kommen.

E Pak vu Moossnamen besteet am der Iwwerweisung u spezialiséiert Institutiounen déi dann d'Behandlung iwwerhuelen z.B. Heemer, Foyers de jour, Logopädie, Spideeler, Dokteren, Jugendschutz, HMC...

Nieft der Orientation scolaire, un där 250 Kanner deelhuelen, passéieren ronn 200 Kanner all Joer de Service MPP:

221 am Schouljoer 1979/80

160 am Schouljoer 19 80/81

242 am Schouljoer 19 81/82

2/3 dervun sinn Jongen, 1/3 Meedercher, tëschent 3 an 18 Joer al, hallef Lëtzebuerger an hallef Auslänner. D'Halschent vun de Fäll ginn eis vum Enseignant, di aner Halschent direkt vun den Elteren gemellt.

Di heefegst Ursaachen firwat d'Kanner gemellt ginn si Léierschwieregkeeten, Orientéierungsproblemer, Erzéiungsschwieregkeeten, Konflikter an der Famill, Konflikter mat der Schoul, Schoulräift (maturité scolaire), Schwänzen, Bettnässen, psychosomatesch Reaktiounen a.s.w. 1/3 vun de Kanner waren schonn 1 - 2 mol gesi ginn. 90% vun de Kanner kommen aus de sozial schwaachen Schichten. Oft ass de familiäre Milieu duerch finanziell a partnerschaftlech Problemer uerg gestéiert.