Das Eismonster - David Walliams - E-Book

Das Eismonster E-Book

David Walliams

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Beschreibung

London im Jahr 1899. Gerade ist die zehnjährige Elsie dem grässlichen Waisenhaus Wurmig entkommen, da erfährt sie, dass Polarforscher ein vollständiges, in einem Eisblock eingefrorenes Mammut ins Naturhistorische Museum von London bringen. Das weckt Elsies Neugier, und sie will unbedingt mehr erfahren. Damit beginnt das Abenteuer ihres Lebens, das Elsie von London bis an den Nordpol führen wird – gemeinsam mit einem ziemlich lebendigen Mammut!

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David Walliams

Das Eismonster

Aus dem Englischen von Bettina Münch

Über dieses Buch

London im Jahr 1899.

Gerade ist die zehnjährige Elsie dem grässlichen Waisenhaus Wormly Hall entkommen, da erfährt sie, dass Polarforscher ein vollständiges, in einem Eisblock eingefrorenes Mammut ins Naturkundemuseum von London bringen. Elsie will unbedingt mehr erfahren. Und so beginnt das Abenteuer ihres Lebens, das Elsie von London bis tief ins Herz der Arktis führen wird — gemeinsam mit einem ziemlich lebendigen Mammut!

Vita

David Walliams ist der erfolgreichste britische Kinderbuchautor der letzten Jahre und gilt als würdiger Nachfolger von Roald Dahl. In England kennt ihn jedes Kind. Wenn er nicht gerade Kinderbücher schreibt, schwimmt er schon mal für einen guten Zweck 225 Kilometer die Themse hinab oder durch den Ärmelkanal. Außerdem spielte er in der englischen Comedyserie «Little Britain» mit und sitzt in der Jury von «Britain’s Got Talent».

Wir schreiben das Jahr 1899 und befinden uns im viktorianischen London. Dies sind die handelnden Personen …

Elsie, eine obdachlose Waise, die in London auf der Straße lebt.

Uschi ist Putzfrau im Naturhistorischen Museum. Sie hat nicht mehr Grips als ihr Wischmopp.

Martin ist Uschis Freund und der kleinste Soldat, der je in der britischen Armee gedient hat. Seine Kameraden nennen ihn «Matz». Er ist jetzt pensioniert und lebt im Soldaten-Altersheim Royal Hospital Chelsea als sogenannter «Chelsea-Pensionär».

Mrs. Graus ist eine fiese alte Schreckschraube und Leiterin von Haus Wurmig, einem Heim für unerwünschte Kinder.

Mr. Klopper ist ein Grobian von einem Wachmann im Naturhistorischen Museum und berüchtigt für seine Nagelschuhe.

Kommissar Barker ist der furchteinflößende Leiter der Londoner Polizeibehörde und berühmt für sein winziges Schnauzbärtchen.

Der Professor war vor vielen Jahren der Top-Wissenschaftler des Museums, bis eines seiner Experimente furchtbar schiefging.

Lady Flintenstein ist eine adlige Großwildjägerin. Sie macht überall in Afrika Jagd auf Elefanten, Giraffen und Löwen, die sie dann zum Ausstopfen und Ausstellen ins Naturhistorische Museum bringt.

Der Admiral ist der einzige Seemann im Royal Hospital Chelsea. Aus dem Altersheim für Seeleute hat man ihn wegen Trunkenheit und ungebührlichen Benehmens rausgeworfen.

Der Colonel und der Brigadier sind ebenfalls Chelsea-Pensionäre.

Der einäugige Oberstabsfeldwebel ist im Royal Hospital Chelsea über alles und jeden im Bilde. Vergiss das nicht!

Die furchterregende Hausmutter führt die Oberaufsicht über die Chelsea-Pensionäre im Royal Hospital.

Königin Victoria ist die Herrscherin über das Britische Weltreich. Im Jahr 1899 sitzt sie bereits seit unglaublichen zweiundsechzig Jahren auf dem Thron. Das ist die bis dahin längste Regierungszeit in der britischen Geschichte.

Abdul Karim weicht der Königin nicht von der Seite. Er ist ihr gutaussehender indischer Bediensteter, der auch als «Munschi» bekannt ist.

Sir Ray Lankester ist der beleibte Direktor des Naturhistorischen Museums.

Der Sandwichmann läuft als wandelnde Reklametafel durch die Straßen und versucht allen klarzumachen: «DAS ENDE IST NAH».

Der Kapitän hat das Kommando über die HMS Argonaut, die 1899 eines der modernsten Kriegsschiffe der britischen Marine war.

Die Schmuddelfingerbande ist eine ruppige, struppige Kinderbande aus Straßenräubern, die als die besten Diebe Londons gelten.

Raj der Erste besitzt sein eigenes Zuckerwaren-Imperium – besser gesagt einen Verkaufswagen für Süßigkeiten.

Und zu guter Letzt …

… das EISMONSTER, ein vor zehntausend Jahren gestorbenes Wollhaarmammut. Forscher haben das perfekt erhaltene Tier im arktischen Eis entdeckt.

1. TEIL LONDON

1899

Kapitel 1 Kakerlaken zum Frühstück

In einer düsteren Winternacht wurde in einer Londoner Hintergasse ein winziges Baby auf den Stufen eines Waisenheims abgelegt. Es gab keinen Brief, keinen Namen, keinen Hinweis darauf, wer diese kleine Person war. Nur den Kartoffelsack, in dem sie eingewickelt lag, während es ringsherum schneite.

Im Viktorianischen Zeitalter war es nicht ungewöhnlich, dass Neugeborene vor Kinderheimen, Hospitälern oder auch vor den Häusern reicher Leute ausgesetzt wurden. Die armen und verzweifelten Mütter hofften, dass man ihre Kinder dort aufnehmen und ihnen ein besseres Leben bieten würde, als sie selbst es konnten.

Allerdings kann man sich für ein Baby kaum einen schlechteren Start ins Leben vorstellen als im Haus Wurmig, dem HEIM FÜR UNERWÜNSCHTE KINDER.

Sechsundzwanzig Kinder lebten dort zusammengepfercht in einem Raum, in dem höchstens acht hätten schlafen sollen. Die Kinder wurden weggesperrt, geschlagen und bekamen kaum etwas zu essen. Außerdem mussten sie Tag und Nacht arbeiten und aus winzigen Einzelteilen Herren-Taschenuhren zusammensetzen, worüber sie fast blind wurden.

Alle Waisenkinder waren schrecklich dünn und in dreckige Lumpen gekleidet. Ihre Gesichter waren schwarz vom Ruß, sodass man im trüben Licht nur ihre hoffnungsvollen kleinen Augen sah.

Wenn ein neues Baby ins Waisenhaus kam, dachten sich die anderen Kinder einen Namen aus. Damit sie so verschieden wie möglich hießen, gingen sie das ganze Alphabet durch. In jener Nacht, als das Baby im Kartoffelsack auf der Treppe zurückgelassen wurde, waren sie bei E angelangt. Hätte man das Baby am Tag davor gefunden, wäre es vielleicht eine «Doris» geworden. Und am Tag danach vielleicht ein «Frank». So aber nannten sie es «Elsie».

Die Leiterin dieses gefängnisartigen Waisenhauses war eine böse alte Schreckschraube namens Mrs. Graus. Ihr Gesicht war fast ständig zu einer Grimasse verzerrt und ihr Körper von Kopf bis Fuß mit Warzen bedeckt. Sie hatte so viele Warzen, dass selbst ihre Warzen Warzen hatten. Das Einzige, was sie fröhlich stimmte, war das Schluchzen weinender Kinder.

Mrs. Graus stopfte alles Essen in sich hinein, das für die Waisenkinder gespendet wurde. Die Kinder mussten dafür zum Frühstück, Mittag- und Abendessen Küchenschaben essen.

«Die Krabbelviecher sind gut für euch!», sagte Mrs. Graus gern und kicherte dann.

Wenn eines der Waisenkinder nach dem Befehl «Kerzen aus» noch sprach, steckte sie ihm einen ihrer vollgeeiterten alten Socken in den Mund. Den musste das Kind dann eine Woche lang drinlassen.

«Das wird dir den Mund stopfen, du Plappermaul!»

Während die Kinder auf dem kalten Steinboden schliefen, schob Mrs. Graus ihnen zappelige Würmer in die Hemden, sodass sie schreiend aufwachten.

«AAAH!»

«HA! HA! HA! REINGELEGT!»

Mrs. Graus nieste die Waisenkinder an …

«HATSCHIIII!»

… und putzte sich die Nase in ihren Haaren.

«BÖÖÖ! ROTZLÖFFEL!»

Zum allwöchentlichen «Baden» gehörte, dass sie die Waisenkinder eines nach dem anderen in ein Fass voller Maden tauchte. «Die knabbern den Dreck ab, ihr schmuddeligen Strolche!», sagte Mrs. Graus dabei kichernd.

Anschließend hängte sie die Kleinen zum Trocknen an den Ohren auf die Wäscheleine.

ZWICK!

Einmal entdeckte Mrs. Graus in Elsies Tasche eine zahme Ratte, mit der sie sich angefreundet hatte, und benutzte sie als Ball beim Kricketspielen.

PLUMPS!

«QUIIEK!»

WUSCH!

«DER NÄCHSTE!»

Wenn sie sich von einem der Waisenkinder schief angesehen fühlte, stach sie ihm einen ihrer schmutzigen Stummelfinger ins Auge.

«AUA!»

«NIMM DAS, MONDGESICHT!»

Zu Weihnachten mussten sich die Waisen in einer Reihe aufstellen, um ihr Geschenk entgegenzunehmen: einen Schlag auf den Hintern mit dem Weihnachtsliederbuch «Heidschi BUMM beidschi».

BUMM! BUMM!

«Fröhliche Weihnachten, mein Kind!», rief Mrs. Graus bei jedem Schlag höhnisch.

***

Elsie blieb zehn lange, harte Jahre im Haus Wurmig. Das Einzige, was sie dabei aufrecht hielt, war die Hoffnung, ihre Ma würde eines Tages wie durch Zauberei dort auftauchen und sie wegholen. Doch das geschah nie. Je älter sie wurde, desto mehr unglaubliche Geschichten erfand sie über ihre Mutter.

Vielleicht war sie eine Urwaldforscherin?

Oder Akrobatin in einem Wanderzirkus?

Oder noch besser, eine Piratin, die auf dem Meer Abenteuer erlebte?

Jeden Abend ließ sich Elsie für die anderen Waisenkinder Gutenachtgeschichten einfallen. Und mit der Zeit wurde sie eine wunderbare Geschichtenerzählerin. Sie konnte die anderen Kinder förmlich um ihren schmuddeligen kleinen Finger wickeln.

«Und dann landete Ma an einem stockdunklen Ort. Es war der Bauch eines gewaltigen Blauwals …»

«Ma entkam den Kannibalen, aber das war gar nicht so einfach, denn sie hatten bereits ihr linkes Bein aufgefressen …»

«Womm! Ma hatte die Bombe gerade noch rechtzeitig in die Themse geworfen, und niemand wurde verletzt. Das gehört für eine Geheimagentin zur Routine. Und das war’s.»

Wenn sie mit ihrer Gutenachtgeschichte fertig war, riefen die anderen Waisen …

«Noch eine!»

«Wir wollen noch nicht schlafen!»

«Bitte, Elsie, nur noch eine Geschichte!»

Eines Nachts jubelten die Kinder so laut, dass sie Mrs. Graus aufweckten.

«KEINE! GESCHICHTEN! MEHR! DU! MIESES! KLEINES! BIEST!»,

tobte die Frau und schlug Elsie bei jedem Wort mit einem Besenstiel. Die eitrige Socke, die sie ihr in den Mund gestopft hatte, dämpfte Elsies Schreie nur halb.

«ARGH! ARGH! ARGH!»

Die Schläge waren so heftig, dass Elsie um ihr Leben fürchtete. Ihr kleiner Körper war mit grünen und blauen Flecken übersät. Sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie nicht floh.

Kapitel 2 Affenfüße

Elsie liebte die Ratten und Tauben, die sich ins Innere von Haus Wurmig verirrten. Wenn sie etwas zu essen hatte, teilte sie es mit ihnen, und sie versorgte ihre gebrochenen Flügel und Beine. Voller Dankbarkeit schmiegten sich die Tiere an sie, was Elsies Einsamkeit linderte. Sie fühlte sich diesen Wesen, die Mrs. Graus «Ungeziefer» nannte, tief verbunden. Für sie waren es kleine Geschöpfe, die genauso allein auf der Welt waren wie sie selbst.

Elsie hatte festgestellt, dass die Ratten über ein kaputtes Rohr ins Waisenhaus gelangten, das von der Decke nach unten führte.

Was Elsie von den anderen Waisenkindern unterschied, waren ihre Füße. Sie hatte keine normalen Füße, sondern Affenfüße.

Der Vorteil langer, dicker Zehen, die genauso zupacken konnten wie Finger, lag darin, dass Klettern damit ganz einfach war. Also kraxelte Elsie eines Nachts, als alle anderen schliefen, an dem Rohr hinauf, um zu sehen, wo genau die Ratten hereinkamen. Und wie sie es vermutet hatte, befand sich ganz oben an der Wand ein kleines, gerade mal rattengroßes Loch.

Von da an kletterte Elsie jeden Abend nach dem Kerzenaus mit ihren Affenfüßen am Rohr hinauf. Oben angekommen, kratzte sie mit den Fingernägeln am Mauerwerk. Sie kratzte Nacht für Nacht und machte das Loch immer größer und größer.

KRATZ! KRATZ! KRATZ!

Schließlich war das Loch gerade groß genug, dass Elsie ihren winzigen unterernährten Körper hineinschieben konnte. Allerdings konnte sie Haus Wurmignicht verlassen, ohne sich von ihren fünfundzwanzig Freunden zu verabschieden.

«Wacht auf!», rief sie leise. Die kleinen Augen leuchteten im Dunkeln. «Ich laufe weg heute Nacht. Wer kommt mit?»

SCHWEIGEN.

«Wer mitkommt, hab ich gefragt.»

Man hörte Gemurmel wie «Ich traue mich nicht» und «Graus bringt uns um» und «Sie werden uns erwischen und totschlagen».

Die Allerkleinste von allen hieß Nancy. Sie sah zu Elsie auf wie zu einer großen Schwester. «Wohin gehst du?», wisperte Nancy ihr zu.

«Ich weiß es nicht», erwiderte Elsie. «Einfach weg von hier.»

«Bitte vergiss uns nicht.»

«Niemals!»

«Versprichst du es?»

«Ich verspreche es», sagte Elsie. «Wir sehen uns irgendwann wieder – das weiß ich.»

«Ich werde deine Geschichten vermissen», sagte Felix, ein anderes Waisenkind.

«Ich auch», sagte Parzival.

«Wenn wir uns das nächste Mal sehen, erzähle ich euch die tollste Geschichte von allen.»

«Viel Glück, Elsie», sagte Nancy.

«Ihr werdet immer hier drin sein», erwiderte Elsie und klopfte auf ihre Brust.

Dann sauste sie mit ihren Affenfüßen ein letztes Mal das Rohr hinauf. Sie zwängte sich in das Loch und war mit einem letzten kleinen Ruckeln verschwunden.

Kapitel 3 Gestank

Elsie rannte und rannte, so schnell sie konnte. Sie wagte nicht, sich umzuschauen. Sie war frei, aber allein, und musste auf den Straßen von London zurechtkommen, obwohl sie vorher noch nie einen Fuß vor das Waisenhaus gesetzt hatte. Die große Stadt war ein furchterregender Ort, vor allem für ein kleines Mädchen. In jeder Ecke lauerten Gefahren.

Doch Elsie lernte schnell, wie man sich an den Marktständen etwas zu essen stibitzte. Zum Schlafen fand sie eine zerbeulte alte Blechbadewanne und zum Zudecken verwendete sie alte Zeitungen. Dabei stellte sie sich vor, dass es ein riesiges Himmelbett war wie für eine Königin.

Ohne Zuhause und Familie war Elsie das, was man ein «Straßenkind» nennt. Davon wimmelte es im Viktorianischen Zeitalter nur so.

Elsie sah nicht wirklich wie eine Heldin aus.

Allerdings wirst du bald merken,

dass es Helden in allen Größen und Formen gibt.

Kapitel 4 Eine ausgezeichnete Diebin

Das Leben auf den Straßen von London hatte seine Vorteile. Man schlief unter den Sternen. Man aß so viel frisches Obst und Gemüse, wie man sich unter den Nagel reißen konnte. Und das Beste von allem war, dass man immer alles zuerst erfuhr. Neuigkeiten verbreiteten sich schnell, und das hier war ein KNÜLLER.

Da sie nie zur Schule gegangen war, konnte Elsie weder lesen noch schreiben. Allerdings schrien die Zeitungsverkäufer die Schlagzeilen nur so durch die Gegend.

Konnte das wahr sein?

Ein echtes Monster?

Das zehntausend Jahre alt war?

Elsie war alt genug, um zu wissen, dass es keine Monster gab, und jung genug, um vielleicht doch daran zu glauben.

Sie hatte an einem Marktstand gerade einen Apfel zum Frühstück stibitzt. Zufrieden kauend schlängelte sie sich durch die Massen der Zylinder tragenden Herren, die auf dem Weg zur Arbeit waren, und erreichte schließlich den Zeitungsstand.

«Verschwinde, du kleine Diebin!», schrie der Zeitungsverkäufer und verpasste Elsie mit einer zusammengerollten Ausgabe der Times einen Schlag auf den Hinterkopf.

ZACK!

Straßenkinder standen auf der untersten Stufe der Leiter. Sie wurden von Erwachsenen jeden Tag geschlagen. Aber wenigstens war es abwechslungsreicher, als tagtäglich im Haus Wurmig mit einem Besenstiel verdroschen zu werden.

«Ich will es mir doch nur mal ansehen!», bat Elsie.

«Die Zeitungen sind nicht zum Ansehen da, sondern zum Kaufen. Und jetzt verzieh dich! Bevor ich dich dorthin trete, wo die Sonne nicht scheint!»

Da sie für Tritte in den Hintern nichts übrig hatte, lächelte Elsie den Mann freundlich an und schlenderte davon. Sie bog in eine Gasse ab, fasste sich an den Rücken und zog eine Ausgabe der Times aus ihrer schmuddeligen Hose. Sie war inzwischen eine ausgezeichnete Diebin geworden.

Auf der ersten Seite prangten große, dicke Buchstaben. Elsie wusste, dass sie Wörter ergaben, aber für sie sah es aus wie ein einziger Wirrwarr. Das Bild darunter hingegen sagte ihr eine ganze Menge. Es zeigte ein merkwürdiges Wesen, das an einen Elefanten erinnerte.

Elsie hatte einmal während einer Vorstellung zum Eingang eines Zirkuszelts hineingelinst und einen Elefanten gesehen, der Kunststücke aufführte. Dieser Elefant jedoch hatte ein dichtes Fell und lange, geschwungene Stoßzähne. Er steckte in einem riesigen Eisblock, und ein paar Arktisforscher standen stolz drum herum. Trotz seines Aussehens konnte Elsie in dem armen Wesen kein Monster sehen. Monster jagten einem Angst ein. Dieses Tier wollte man umarmen.

Es sah deutlich kleiner aus als der Elefant, den sie im Zirkus gesehen hatte. Vielleicht war es noch ein Baby. Obwohl es schon seit vielen tausend Jahren tot war, wirkte es immer noch allein und verloren.

«Eine Waise»,

flüsterte Elsie vor sich hin.

«Genau wie ich.»

Kapitel 5 Eine Welt der Wunder

Als Straßenkind sah Elsie immer nur von außen zu. Tag für Tag wirbelte ein anderer Teil des Londoner Lebens an ihr vorüber.

Pferdekutschen sausten durch die Straßen, Kinder in Uniformen gingen zur Schule, vornehme Damen und Herren stiegen über sie hinweg, wenn sie aus der Oper kamen.

In Elsies Kopf wirbelten die Fragen unentwegt durcheinander:

Wohin wollten die Leute alle so eilig?

Wie schmeckten wohl die lecker aussehenden Kuchen im Schaufenster der Bäckerei?

Und was befand sich im Innern all dieser prächtigen Gebäude? Eines Tages beschloss Elsie, ihre Welt zu verlassen und die andere zu betreten.

Elsie stand vor dem prächtigsten Gebäude von allen, dem Naturhistorischen Museum. Als sie es betreten wollte, wurde sie von Mr. Klopper, dem Nagelschuh tragenden Grobian von einem Wachmann, auf der Stelle wieder hinausbefördert.

«Dreckige Bettler wie du haben hier nichts zu suchen», schrie er, als er sie die Stufen hinunterwarf.

Aber so leicht gab Elsie nicht auf. Hinter einer Schar Zylinder tragender Herren schlich sie sich wieder hinein.

Dort verschlug es ihr auf der Stelle den Atem angesichts dieser WELT DER WUNDER.

Das Museum war eine wahre Fundgrube an lebensgroßen Modellen von Walen …

ausgestopften Tieren …

Dinosaurierskeletten …

Meteoriten …

kostbaren Steinen …

staubigen alten Büchern voller wunderschöner Bilder von Tieren aus fernen Ländern …

Holzschnitzereien von Urzeitmenschen …

und deckenhohen Gemälden längst ausgestorbener Tiere.

Schon bald schlich sich Elsie jeden Tag in das Museum. Sie konnte zwar nicht lesen, hörte aber heimlich bei den Führungen zu und wurde innerhalb kürzester Zeit zu einer Art Expertin. Als sie auf der Titelseite der Zeitung das Bild des «EISMONSTERS» entdeckte, war ihr daher sofort klar, dass es sich dabei um ein Wollhaarmammut handelte. Elsie hatte gelernt, dass diese Tiere während der EISZEIT gelebt hatten, als es Säbelzahntiger, RIESIGE Bären, Faultiereund Biberauf der Erde gab und Vögel wie der Teratornis (der größer war als jeder Mensch) den Himmel verdunkelten.

Elsie wollte das Schicksal des armen EISMONSTERS unbedingt weiterverfolgen. Also klaute sie jeden Morgen eine andere Zeitung, um nach Neuigkeiten Ausschau zu halten. Mehrere Wochen vergingen, bis sie eines Tages auf der Titelseite einer Zeitung einen Wirrwarr aus Buchstaben entdeckte, die sie wiedererkannte.

Sie sahen genauso aus wie jene, die auf ihrem Lieblingsgebäude standen.

Das musste Elsie sehen.

Kapitel 6 Riesige Geister

Kurz nach dem Fund des EISMONSTERS wurde London von einem grausamen Winter heimgesucht. Bitterkalter Wind wirbelte dichten Schnee durch die Straßen. Es dauerte nicht lang, und die ganze Stadt lag unter einer dicken weißen Schicht begraben. Selbst die Themse fror zu.

Obdachlose Kinder wie Elsie starben bei diesem Wetter in den Hauseingängen. Sie schliefen abends ein, um nie mehr aufzuwachen, und am Morgen fand man sie mit einer Eisschicht auf dem Gesicht.

Die arme Elsie kauerte in ihrer Blechbadewanne unter einer Lage Zeitungen und versuchte warm zu bleiben. Sie betrachtete ihre Hände, die zitterten und allmählich blau wurden. Fast wünschte sie sich, wieder im Haus Wurmig zu sein. Aber nur fast.

Um nicht vom Wachmann entdeckt zu werden, schlich sich Elsie kurz vor Toresschluss hinter einer Gruppe Nonnen in das Naturhistorische Museum. Drinnen huschte sie durch die langen Korridore, an den Dinosaurierknochen vorbei, die an langen Drähten hingen und wie riesige Geister aussahen, bis sie schließlich einen unverschlossenen Schrank fand. Es war ein Besenschrank, in den sie nur aufrecht hineinpasste, also schlief Elsie im Stehen, mit dem Kopf zwischen einigen Wischmopps. Sie sah selbst fast aus wie ein Mopp, klapperdürr, wie sie war, und mit einem Wust zerzauster Haare auf dem Kopf.

Elsie war sicher, dass sie dort niemand entdecken würde. Doch sie irrte sich.

Früh am nächsten Morgen, noch vor der Dämmerung, wurde sie von einer Putzfrau geweckt. Diese öffnete gähnend die Schranktür und griff nach dem erstbesten «Mopp». Der in Wirklichkeit Elsie war.

«Aaahhh!», schrie die Frau.

«ARGH!», schrie Elsie, die an der Kehle festgehalten wurde.

«Du bist kein Mopp!», sagte die Putzfrau.

«Nein. Ich bin ein Mädchen.»

«Was machst du dann in meinem Besenschrank?»

«Ich hab geschlafen. Ich wollte draußen nicht erfrieren.»

«Nein, das wär nicht gut.»

Elsie schluckte. «Verraten Sie mich jetzt?»

Die Putzfrau tat das, was Elsie am wenigsten erwartet hätte.

Sie lächelte.

Erwachsene gingen mit Straßenkindern wie Elsie meistens recht grausam um. Aber diese Frau nicht. Sie war anders.

«Nein! Aber du verrätst mich auch nicht, oder?», erwiderte sie.

«Sie verraten?», erwiderte Elsie. Sie war verwirrt.

«Die Sache könnte mich meine Stelle kosten.»

«Nein, nein, nein. Niemals. Ich bin keine Petze.»

«Ein Glück. Ich auch nicht. Wie heißt du?»

«Elsie.»

«Ich bin Uschi. Und ziemlich wuschig, wie man mir nachsagt. Bist du ein Kind?»

Elsie war konfus. Sie dachte, das wäre offensichtlich. «Ja.»

«Ich frag bloß, weil du größer bist als mein Freund.»

«Wie groß ist er denn?»

«Er ist kleiner als du.»

«Und wie alt ist er?»

«Dreiundsiebzig.»

«Ist er geschrumpft?»

«Nö, der liebe Gott hat ihn so gemacht.»

Uschi zog ein Foto mit Eselsohren aus ihrer Tasche. «Das ist Matz. Aber das ist nicht sein richtiger Name. So nennen ihn die anderen Soldaten.»

Elsie betrachtete das Foto. Die Aufnahme musste schon eine Weile her sein, denn sie zeigte einen jungen Mann in Uniform und mit einem Gewehr, das größer war als er selbst.

«Er ist wirklich klein», sagte sie.

«In echt ist er aber größer als auf dem Foto.»

«Das dachte ich mir», erwiderte Elsie.

«Er ist mein Held!», schwärmte Uschi, die das Foto küsste, bevor sie es wieder in die Tasche steckte. «Du hast wahrscheinlich Hunger.»

Elsie nickte. «Bärenhunger.»

Sie hatte ständig Bauchschmerzen vor Hunger. Uschi griff in ihre Tasche.

«Hier, du kannst meine Schmalzstulle haben[*].»

Lächelnd nahm Elsie die Stulle entgegen, brach sie in der Mitte durch und gab der Frau eine Hälfte zurück. Sie waren beide von der Freundlichkeit der anderen gerührt.

Elsie verschlang gierig ihr Brot. Es war zwar nur eine Schmalzstulle, aber für sie war es eine Speise der Götter.

«Wo sind deine Eltern, Kleines?»

«Keine Ahnung. Ich kenn sie nicht.»

«Dann bist du eine Waise?»

«Glaub schon.»

«Armes Ding.»

«Kein Grund, mich zu bedauern. Ich komm schon klar damit.»

In diesem Moment hörten sie Schritte durch den Korridor STAMPFEN.

KLICK KLACK KLICK KLACK KLICK KLACK!

Die Frau legte den Finger auf den Mund und machte hastig die Schranktür zu.

Kapitel 7 Wer’s glaubt, wird selig

So regungslos wie möglich stand Elsie im Besenschrank. Durch die Tür hörte sie die Erwachsenen miteinander streiten.

«MIT WEM REDEST DU DA, USCHI?», fragte eine dröhnende Stimme.

«Bloß mit meinen Mopps und Besen, Mr. Klopper, Sir», erwiderte Uschi.

«Wer’s glaubt, wird selig, Uschi!», sagte der Mann höhnisch. «Als leitender Wachmann des Museums befehle ich dir, den Schrank aufzumachen!»

«Das kann ich nicht.»

«Was heißt, das kannst du nicht?»

«Meine Hände sind ganz schlapp.»

«Was heißt, deine Hände sind ganz schlapp?»

«Von der Wischerei!»

«Na, dann mache ich ihn eben auf.»

«Das sollten Sie lieber nicht tun, Sir.»

«Warum?»

«Ich hab da drinnen gerade einen FAHREN LASSEN.»

«Du hast was?»

«Ich hab in den Schrank gepupst, damit die ausgestopften Tiere es nicht riechen müssen. War ein richtiger Stinker. Da wäre der Putz von der Decke gefallen.»

«Das erklärt aber nicht, warum du geredet hast.»

«Ich hab mit meinem Hintern geredet.»

«Du hast mit deinem Hintern geredet?»

«Hab ihn ordentlich gescholten, Mr. Klopper, Sir.»

Elsie musste sich den Mund zuhalten, um nicht laut loszulachen. Diese Frau war wirklich wuschig.

«Das ist der größte Quatsch, den ich je gehört habe!», donnerte Klopper. «Tritt beiseite, oder ich sehe mich gezwungen … Zwang anzuwenden!»

Elsie hörte ein leichtes Gerangel.

«UFF!»

«AUTSCH!»

«RUNTER VON MEINEMFUSS!»

So schnell sie konnte, schob sich Elsie hinter die Mopps und Besen.

Kapitel 8 Das WiderNaturhistorische Museum

Klopper spähte in den dunklen, muffigen Besenschrank. Seine massige Gestalt füllte den ganzen Türrahmen aus. Er hatte riesige Nagelschuhe an den Füßen, die so blitzblank gewienert waren, dass man davon hätte essen können. Der Mann hielt sich die Nase zu.

«Das STINKT ja wirklich hier drin!»

Es stank nach Elsie.

«Das erzählen Sie mal meinem Hintern», sagte Uschi.

In diesem Moment fiel dem Mann zwischen den Mopps und Besen etwas auf.

«Was ist denn das?», sagte er und zeigte auf Elsies Mähne, die hervorlugte.

«Das?», fragte Uschi unschuldig.

«Ja, das.»

«Ach, das! Das ist einer meiner neuen Echthaar-Mopps.»

«Echthaar-Mopps?», fragte Klopper.

«Ja, die sind super für da, wo ich mit den normalen Mopps nicht rankomme. Wie zwischen den Saurier-Zehenknochen.»

«Den GESTANK halte ich keine Sekunde länger aus», sagte der Mann, dem schon die Augen tränten.

«Ich hab Sie gewarnt, Mr. Klopper, Sir. Meine Pupse haben’s in sich.»

«Die gehören selbst in ein Museum», überlegte Klopper. «Ins WiderNaturhistorische Museum.»

«Der war gut, Mr. Klopper, Sir», sagte Uschi, als sie die Schranktür zuschlug. «Ich plaudere ja immer gern mit Ihnen, aber wenn Sie mich entschuldigen, ich muss die Dodoeier mal wieder ordentlich polieren.»

«Uschi?»

«Ja?»

«Du musst was gegen deinen Hintern unternehmen.»

«Ich werd mir einen Korken zulegen.»

«Dann müssen wir alle Stahlhelme tragen, für den Fall, dass du explodierst.»

«Da haben Sie recht, Mr. Klopper, Sir. Ich lass mir was einfallen!»

«Mach dich an die Arbeit!»

«Machen Sie sich doch an die Arbeit!»

«Ich kann mich nicht an die Arbeit machen, bevor du dich an die Arbeit machst.»

«Wenn Sie mir ständig sagen, ich soll mich an die Arbeit machen, hält mich das aber davon ab, mich an die Arbeit zu machen.»

«MACH DICH AN DIE ARBEIT!», donnerte Mr. Klopper.

Uschi nahm ihren Mopp und begann den Boden zu wischen. Dabei fuhr sie Klopper mit dem schmutzigen Mopp absichtlich über die auf Hochglanz polierten Nagelschuhe.

«Meine Schuhe!», schrie er.

«UPS! ’tschuldigung!»

«Dumme alte Schachtel!»

«So alt nun auch wieder nicht, Mr. Klopper, Sir.»

«Jetzt muss ich die Schuhe für die Besucher wieder auf Hochglanz bringen.»

«Stimmt, deshalb kommen schließlich alle ins Naturhistorische Museum, Mr. Klopper, Sir. Sie wollen nicht die Dinosaurierknochen sehen. Sie wollen bloß ihr Spiegelbild in Ihren Schuhen sehen. Besser, Sie bringen sie wieder ordentlich in Schuss.»

Klopper warf der Putzfrau einen bösen Blick zu, ehe er durch den Korridor davonmarschierte, um jemand anderem das Leben schwerzumachen.

KLICK KLACK KLICK KLACK KLICK KLACK!

Kurz darauf öffnete Uschi den Besenschrank.

«PUUH!», sagte Elsie. «Das war knapp.»

«Wie ich Klopper kenne, kommt er bald wieder.»

«Ich sollte zusehen, dass ich hier rauskomme.»

«Kommst du auch wirklich zurecht?»

«Keine Sorge. Ich such mir für die kommende Nacht ein anderes Versteck.»

«Bist du wirklich sicher?»

«Bin ich.»

«Die ersten Besucher werden bald eintrudeln. Jetzt wär der ideale Zeitpunkt für einen schnellen Abgang.»

«Ich muss Sie noch was fragen.»

«Ja, Liebes?»

«Warum waren Sie so nett zu mir?», fragte Elsie.

«Warum nicht?», lautete die schlichte Antwort.

Die beiden lächelten sich an, dann schlurfte Elsie durch den langen Korridor davon.

«Pass auf dich auf, Kleine», rief die Putzfrau ihr nach. «Und komm mich bitte bald besuchen.»

«Mach ich», rief Elsie.

Und das tat sie.

Kapitel 9 Das Werk des Teufels

Elsie suchte jeden Morgen in den Zeitungen nach weiteren Neuigkeiten über das EISMONSTER. Es vergingen Wochen, bis die Zeitungsverkäufer mit den Käppis auf dem Kopf eines Tages aus ihren Ständen riefen …

Elsie hatte Herzklopfen vor Aufregung.

Oben in der Arktis hatte man das Mammut und den riesigen Eisblock, in dem es entdeckt worden war, zusammen mit einer Ladung Schnee in eine Kiste gepackt und auf einen Walfänger geladen. Dann war es über Tausende von Meilen von der Arktis bis hinunter zur Themsemündung transportiert worden.

Von dort fuhr das Mammut flussaufwärts nach London und zu seinem endgültigen Reiseziel, dem Naturhistorischen Museum. Auf der Themse wurde der Walfänger von einer Eskorte funkelnagelneuer Kriegsschiffe der britischen Marine begleitet, die als Eisbrecher für eine sichere Fahrt sorgten.

Das EISMONSTER