Gestatten, Mr. Stink - David Walliams - E-Book

Gestatten, Mr. Stink E-Book

David Walliams

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Beschreibung

Immer der Nase nach! David Walliams' liebenswertes Buch über die Freundschaft eines Kindes und eines Obdachlosen Mr. Stink lebt auf einer Parkbank und macht seinem Namen alle Ehre: Er ist der stinkigste Stinker, den man sich vorstellen kann. Das hält die kleine Chloe jedoch nicht davon ab, sich mit ihm anzufreunden. Klar, er müffelt, aber er ist der Einzige, der nett zu ihr ist. Also beschließt sie, Mr. Stink im Schuppen ihrer Eltern zu verstecken. Natürlich bleibt der Obdachlose in seiner Duftwolke nicht lange unentdeckt … «David Walliams erzählt Dinge, die zum Heulen sind, so, dass man trotzdem lachen kann.» Katrin Hörnlein, ZEIT LEO

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Seitenzahl: 149

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David Walliams

Gestatten, Mr. Stink

 

 

Aus dem Englischen von Dorothee Haentjes-Holländer

 

Illustriert von Quentin Blake

Über dieses Buch

Immer der Nase nach! David Walliams’ liebenswertes Buch über die Freundschaft eines Kindes und eines Obdachlosen.

 

Mr. Stink lebt auf einer Parkbank und macht seinem Namen alle Ehre: Er ist der stinkigste Stinker, den man sich vorstellen kann. Das hält die kleine Chloe jedoch nicht davon ab, sich mit ihm anzufreunden. Klar, er müffelt, aber er ist der Einzige, der nett zu ihr ist. Also beschließt sie, Mr. Stink im Schuppen ihrer Eltern zu verstecken. Natürlich bleibt der Obdachlose in seiner Duftwolke nicht lange unentdeckt …

 

«David Walliams erzählt Dinge, die zum Heulen sind, so, dass man trotzdem lachen kann.»

Katrin Hörnlein, ZEIT LEO

Vita

David Walliams kennt in England jedes Kind. Seine Bücher wurden in vierundfünfzig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über 50 Millionen Mal verkauft.

Impressum

Die englische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel «Mr Stink» bei HarperCollinsPublishers Ltd, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg Copyright © der deutschen Übersetzung von Dorothee Haentjes, die erstmals 2011 im Aufbau Verlag erschien, by Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin, 2011

«Mr Stink» Copyright © 2009 by David Walliams

Cover-Lettering des Autorennamens Copyright © 2010 by Quentin Blake

David Walliams und Quentin Blake sind als Autor und Illustrator dieses Buches urheberrechtlich geschützt

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt, nach dem Original von HarperCollinsPublishers 2009

Coverabbildung Quentin Blake 2009

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01469-5

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Für meine Mutter Kathleen, den freundlichsten Menschen, der mir je begegnet ist

Kapitel 1Rubbeln und Schnüffeln

Mr. Stink stank. Er stank aus allen Knopflöchern. Wenn es irgendwie logisch wäre, müsste man sogar sagen, er stank im Quadrat. Er war der stinkendste, stinkigste alte Stinker, den es je gegeben hat!

Gestank ist das Schlimmste, was man riechen kann. Gestank stinkt mehr als Mief. Mief stinkt mehr als übler Geruch. Und auch bei üblem Geruch rümpft man schon die Nase.

Dabei war es nicht Mr. Stinks Schuld, dass er so stank. Er lebte auf der Straße. Er hatte kein Zuhause und darum nicht die Möglichkeit wie du und ich, sich ordentlich zu waschen. Mit der Zeit wurde sein Geruch schlimmer und schlimmer. Auf der nächsten Seite seht ihr ein Bild von Mr. Stink.

Im Grunde sieht er richtig elegant aus mit seiner Fliege und der Tweedjacke, oder? Aber lasst euch nicht täuschen! Seinen Gestank gibt das Bild ja nicht wieder. Man hätte hieraus ein Rubbel-und-Schnüffel-Buch machen können. Aber der Geruch wäre so eklig gewesen, dass alle das Buch weggeworfen hätten – und anschließend den Mülleimer verbuddelt. Irgendwo tief, tief unter der Erde.

Mr. Stink hatte einen kleinen schwarzen Hund, die Gräfin. Sie gehörte keiner bestimmten Rasse an, sondern war einfach irgendein Hund und stank ebenfalls, allerdings nicht so schlimm wie Mr. Stink. Nein, nichts auf der Welt stank so schlimm wie er.

Abgesehen von seinem Bart. Der war voller alter Ei-, Wurst- und Käsekrümel, die ihm im Laufe der Jahre aus dem Mund gefallen waren. Mr. Stinks Bart war noch nie mit Shampoo in Berührung gekommen, daher hatte er seinen eigenen, ganz besonderen Geruch. Und der war noch schlimmer als Mr. Stinks Grundgestank.

Eines Morgens tauchte Mr. Stink in der Stadt auf und ließ sich auf einer alten Holzbank nieder. Niemand wusste, woher er kam oder wohin er ging. Die Bewohner der Stadt behandelten ihn im Großen und Ganzen anständig. Manchmal warfen sie ihm ein paar Münzen vor die Füße, bevor sie mit feuchten Augen weitereilten. Aber richtig freundlich war niemand zu ihm. Keiner blieb stehen, um ein bisschen mit ihm zu reden.

So lange jedenfalls nicht, bis eines Tages ein kleines Mädchen allen Mut zusammennahm und Mr. Stink ansprach. Dies ist der Moment, wo unsere Geschichte beginnt.

 

«Guten Tag», sagte das kleine Mädchen, und seine Stimme zitterte vor Aufregung ein wenig.

Das Mädchen hieß Chloe. Sie war erst zwölf und hatte noch nie mit einem Obdachlosen gesprochen. Ihre Mutter hatte ihr verboten, mit «solchen Gestalten» zu reden. Sie mochte es auch nicht, wenn ihre Tochter mit Kindern aus der Sozialsiedlung sprach. Chloe fand aber nicht, dass Mr. Stink eine «Gestalt» war. Sie fand, er sah wie ein Mann aus, der eine äußerst interessante Geschichte zu erzählen hatte. Und wenn es etwas gab, das Chloe liebte, dann waren es Geschichten.

Jeden Tag, wenn sie im Auto ihrer Eltern zu ihrer schicken Privatschule gebracht wurde, fuhr sie an Mr. Stink und seinem Hund vorbei. Ob die Sonne schien oder es schneite – immer saß er, den Hund zu seinen Füßen, auf seiner Bank. Während sie sich mit ihrer kleinen Schwester Annabelle, dieser Giftspritze, bequem in die ledernen Rücksitze lehnte, blickte Chloe durch das Fenster zu ihm hinaus und dachte nach. Millionen von Gedanken und Fragen gingen ihr durch den Kopf. Wer war dieser Mann? Warum lebte er auf der Straße? Ob er jemals ein Zuhause gehabt hatte? Was bekam sein Hund zu fressen? Hatte er Freunde oder eine Familie? Und wenn ja, wussten sie, dass er obdachlos war? Wo verbrachte er Weihnachten? Wenn man ihm einen Brief schicken wollte, was für eine Adresse musste man auf den Umschlag schreiben? Diese Bank da, Sie wissen schon, gleich um die Ecke von der Bushaltestelle? Wann hatte er zum letzten Mal baden können? Ob er wirklich Mr. Stink hieß?

Chloe gehörte zu den Menschen, die gern mit ihren Gedanken für sich sind. Sie saß oft auf ihrem Bett und dachte sich Geschichten über Mr. Stink aus. Wenn sie so allein in ihrem Zimmer war, fielen ihr alle möglichen fantastischen Dinge ein. Zum Beispiel, dass Mr. Stink ein tapferer Seemann gewesen sein könnte, der dutzendweise Orden für seinen Mut bekommen hatte – der sich aber an das Leben an Land einfach nie wieder hatte gewöhnen können. Vielleicht war er aber auch ein berühmter Opernsänger gewesen, der eines Nachts, nachdem er in der Königlichen Londoner Oper die höchste Note einer Arie getroffen hatte, keinen einzigen Ton mehr herausbrachte. Oder war er in Wirklichkeit ein russischer Agent, der sich nur täuschend echt als Obdachloser verkleidet hatte, um die Leute der Stadt auszuspionieren?

Chloe wusste überhaupt nichts über Mr. Stink. Eines war ihr aber an jenem Tag klar, als sie zum ersten Mal bei ihm stehen blieb, um mit ihm zu sprechen: dass er den Fünf-Pfund-Schein, den sie in der Hand hielt, bedeutend dringender brauchte als sie.

Außerdem kam er ihr einsam vor. Nicht nur allein, sondern aus tiefstem Herzen einsam. Das machte Chloe traurig. Sie wusste nur zu gut, was es hieß, einsam zu sein.

Chloe ging alles andere als gern zur Schule. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, sie auf eine vornehme Mädchenschule zu schicken, und dort hatte sie keine einzige Freundin gefunden. Zu Hause fühlte sich Chloe auch nicht besonders wohl. Wo immer sie war, stets hatte sie das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören.

Darüber hinaus war gerade die Zeit des Jahres, die Chloe am wenigsten mochte: Weihnachten. Angeblich liebt jeder Mensch Weihnachten, vor allem die Kinder. Aber Chloe hasste dieses Fest. Sie hasste das Lametta. Sie hasste die Plätzchen. Sie hasste die Krippenspiele. Sie hasste es, die Weihnachtsansprache der Queen ansehen zu müssen. Sie hasste die Weihnachtsgans. Sie hasste, dass es nie richtig schneite, was es doch eigentlich müsste. Sie hasste es, endlos mit ihrer Familie essen zu müssen. Und vor allem hasste sie es, dass sie so tun musste, als wäre sie glücklich, nur weil gerade der 25. Dezember war.

«Kann ich etwas für dich tun, junge Dame?», fragte Mr. Stink. Er klang überraschend vornehm. Gar nicht so, als wenn schon lange Zeit niemand mehr mit ihm gesprochen hätte. Mit einem Hauch von Misstrauen sah er das kleine, ein wenig pummelige Mädchen an. Plötzlich bekam Chloe ein bisschen Angst. Vielleicht war es doch keine allzu gute Idee gewesen, den alten Obdachlosen anzusprechen? Wochenlang hatte sie sich diesen Moment ausgemalt. Monatelang sogar. Aber so hatte er sich in ihrem Kopf nicht abgespielt.

Was die Sache noch schlimmer machte: Chloe musste aufhören, durch die Nase zu atmen. Denn jetzt drang sein Geruch zu ihr. Der Gestank kam Chloe vor wie ein lebendiges Etwas, das ihr in die Nase kroch und ihr den Rachen verätzte.

«Äh … entschuldigen Sie bitte …»

«Ja, was ist denn?», fragte Mr. Stink ein wenig gereizt.

Chloe war sprachlos. Warum war dieser Obdachlose so ungeduldig? Er tat doch nichts anderes, als auf dieser Bank herumzusitzen. Als wenn er plötzlich irgendwohin gemusst hätte!

In diesem Moment fing die Gräfin an zu kläffen. Chloe wurde noch verzagter. Das spürte Mr. Stink und zog die Gräfin an der Leine (die nichts anderes war als ein Stück altes Seil), damit sie still war.

«Tja, also», begann Chloe unsicher. «Meine Tante hat mir fünf Pfund geschenkt, damit ich mir etwas zu Weihnachten kaufe. Aber eigentlich brauche ich überhaupt nichts. Darum dachte ich, ich könnte das Geld Ihnen geben.»

Mr. Stink lächelte. Chloe lächelte ebenfalls. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte er auf Chloes Angebot eingehen. Doch dann blickte er zu Boden. «Danke», sagte er. «Das ist unsagbar freundlich. Aber es tut mir leid – ich kann das nicht annehmen.»

Chloe war verwirrt. «Warum denn nicht?»

«Du bist noch ein Kind. Und fünf Pfund? Das ist … Das ist einfach zu viel.»

«Ich habe nur gedacht …»

«Wirklich, das ist sehr lieb von dir, aber leider, ich kann es nicht annehmen. Wie alt bist du, junges Fräulein? Zehn?»

«ZWÖLF!», antwortete Chloe ziemlich laut. Sie war ein bisschen klein für ihr Alter, fand aber, dass sie in einer Reihe anderer Hinsichten schon sehr erwachsen war. «Ich bin zwölf. Und am neunten Januar werde ich dreizehn.»

«Oh, entschuldige bitte, du bist zwölf. Fast schon dreizehn. Geh lieber und kauf dir eine dieser neumodischen Musikscheiben. Und kümmere dich nicht um einen alten Heimatlosen wie mich.» Er lächelte. Wenn er lächelte, funkelten seine Augen richtig.

«Ich möchte nicht unhöflich sein», sagte Chloe, «aber kann ich Ihnen eine Frage stellen?»

«Natürlich kannst du das.»

«Also, ich würde unglaublich gern wissen, warum Sie auf einer Bank wohnen und nicht wie ich in einem Haus.»

Mr. Stink rutschte ein wenig hin und her und sah bekümmert aus. «Ach, Liebes, das ist eine lange Geschichte», antwortete er schließlich. «Vielleicht erzähle ich sie dir ein anderes Mal.»

Chloe war enttäuscht. Sie war sich nicht sicher, ob es ein anderes Mal geben würde. Wenn ihre Mutter dahinterkam, dass sie mit diesem Mann auch nur gesprochen hatte – ganz zu schweigen davon, dass sie ihm Geld hatte geben wollen –, würde sie durchdrehen.

«Tja dann, entschuldigen Sie bitte die Störung», sagte Chloe. «Und einen schönen Tag noch.» Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, zuckte sie zusammen. Wie konnte sie so etwas Dummes sagen! Wie sollte dieser Mann denn einen schönen Tag haben? Er war ein stinkender alter Obdachloser, und am Himmel zogen schwarze Wolken auf. Verschämt wandte sie sich um und wollte gehen.

«Kind, was hast du denn auf dem Rücken?», rief Mr. Stink.

«Wieso? Was ist da?», fragte Chloe und versuchte, über die eigene Schulter zu sehen. Dann angelte sie mit dem Arm nach hinten, riss einen Zettel von ihrer Schuluniform und starrte ihn an.

Auf dem Zettel stand in dicken schwarzen Buchstaben ein einziges Wort: FLASCHE!

Chloe fühlte, wie sich ihr vor Scham der Magen umdrehte. Diesen Zettel musste Rosamunde ihr bei Schulschluss angeheftet haben. Rosamunde war die Anführerin der coolsten Gang. Sie tyrannisierte Chloe, indem sie darüber herzog, dass Chloe zu viele Süßigkeiten aß, weniger Geld hatte als die anderen Mädchen der Schule oder immer die Letzte war, die beim Hockey gewählt wurde. Als die Schule an diesem Tag zu Ende gewesen war, hatte Rosamunde Chloe ein paarmal auf den Rücken geklopft und «Fröhliche Weihnachten!» gerufen, während die anderen Mädchen sich kaputtgelacht hatten.

Jetzt wusste Chloe, warum.

Mr. Stink erhob sich mühsam von seiner Bank und nahm Chloe den Zettel aus der Hand.

«Unglaublich. Ich bin den ganzen Nachmittag mit diesem Ding auf dem Rücken herumgerannt», murmelte Chloe. Sie schämte sich, weil sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Schnell sah sie weg und blinzelte ins Sonnenlicht.

«Was hast du denn, mein Kind?», fragte Mr. Stink freundlich.

Chloe zog die Nase hoch. «Na ja», meinte sie. «Irgendwie stimmt es ja. Ich bin wirklich eine Flasche.»

Mr. Stink beugte sich zu ihr herab und blickte sie an. «Nein», sagte er entschieden. «Du bist überhaupt keine Flasche. Die Flasche ist die Person, die dir den Zettel angeheftet hat.»

Chloe hätte ihm gern geglaubt, aber es gelang ihr nicht. Solange sie sich erinnern konnte, war sie sich wie eine Flasche vorgekommen. Wahrscheinlich hatten Rosamunde und ihre Gang recht.

«Für diese Sache hier gibt es nur einen ganz bestimmten Ort», stellte Mr. Stink fest. Dann knüllte er das Papier zusammen und warf es wie jemand, der früher mal richtig gut Cricket gespielt hat, in den Mülleimer. Als Chloe das sah, setzte sich augenblicklich ihre Fantasie in Bewegung. War er vielleicht früher Kapitän der Nationalmannschaft gewesen?

Mr. Stink strich sich die Hände ab. «Auf Nimmerwiedersehen mit einem solchen Müll!», rief er.

«Danke», sagte Chloe leise.

«Keine Ursache», antwortete Mr. Stink. «Man darf sich bloß nicht unterkriegen lassen.»

«Ich werde es versuchen», versprach Chloe. «Es war nett, Sie kennenzulernen, Mr. … äh …» Sie stockte. Alle Welt nannte ihn Mr. Stink. Allerdings wusste sie nicht, ob er das wusste. Es wäre jedenfalls unhöflich gewesen, ihn freiheraus so anzusprechen.

«Stink», ergänzte er. «Alle Welt nennt mich Mr. Stink.»

«Oh. Also, es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Stink. Ich heiße Chloe.»

«Guten Tag, Chloe», antwortete Mr. Stink.

«Wissen Sie, Mr. Stink, ich werde vielleicht doch noch ein paar Sachen kaufen gehen», sagte Chloe. «Brauchen Sie vielleicht etwas? Ein Stück Seife zum Beispiel?»

«Danke, Liebes», antwortete er. «Aber Seife kann ich gar nicht gebrauchen. Weißt du, ich habe erst letztes Jahr gebadet. Aber Bratwürstchen, die könnte ich mir gut vorstellen. Ich liebe nämlich Bratwürstchen mit ordentlich viel Ketchup drauf.»

Kapitel 2Eisige Stille

«Mutter?», sagte Annabelle.

Mutter kaute sorgfältig zu Ende und schluckte erst herunter, bevor sie antwortete. «Ja, mein liebes Kind?»

«Chloe hat gerade ein Würstchen von ihrem Teller genommen und es in ihrer Serviette verschwinden lassen.»

Es war Samstagabend, Familie Crumb saß am Esszimmertisch und verpasste Let’s dance und England sucht den Superstar. Mutter hatte verboten, dass während des Essens ferngesehen wurde. Sie fand es «schrecklich gewöhnlich». Stattdessen musste die Familie in eisiger Stille dasitzen und beim Essen die Wände anstarren. Manchmal brachte Mutter allerdings ein Gespräch auf. Meistens ging es darum, was sie tun würde, wenn sie dieses Land zu regieren hätte. Das war ihr absolutes Lieblingsthema. Mutter hatte ihren Schönheitssalon aufgegeben, um für das Parlament zu kandidieren, und sie hatte keinen Zweifel daran, dass sie eines Tages Premierministerin werden würde.

Die weiße Perserkatze der Familie hatte Mutter Elizabeth genannt, nach der Queen. Sie liebte das Gefühl, vornehm zu sein. Im Erdgeschoss gab es ein Klo, das für «hochrangige Gäste» geschlossen gehalten wurde. Als wenn ein Mitglied der königlichen Familie jemals zum Pinkeln vorbeikommen würde!

Im Schrank stand ein Teeservice aus sehr feinem Porzellan. Es war «für besondere Gelegenheiten» und noch nie benutzt worden. Sogar im Garten sprühte Mutter mit Raumspray herum. Niemals hätte sie das Haus verlassen oder auch nur die Tür geöffnet, ohne perfekt zurechtgemacht zu sein – mit ihrer heiß geliebten Perlenkette um den Hals und einer Frisur, in der das viele Haarspray bestimmt dazu gereicht hätte, ein eigenes Loch in der Ozonschicht zu verursachen.

Sie hatte sich angewöhnt, über alles und jeden die Nase zu rümpfen, sodass zu befürchten war, die Nase würde ihr eines Tages so stehen bleiben.

Hier ist ein Bild von Mutter.

Sie sieht doch wirklich piekfein aus, nicht wahr?

Kein Wunder also, dass Vater – oder Dad, wie er lieber genannt wurde, wenn Mutter nicht dabei war – eher ein ruhiger Vertreter war und kaum etwas sagte, sofern er nicht angesprochen wurde. Er war ein großer, stattlicher Mann. Seine Frau vermittelte ihm allerdings das Gefühl, im Inneren sehr klein zu sein. Dad war erst vierzig, aber er wurde schon kahl und krumm. Er schob Überstunden in einer Autofabrik am Stadtrand.

«Hast du gerade ein Würstchen in deiner Serviette verschwinden lassen, Chloe?», fragte Mutter.

«Immer musst du mir Ärger machen!», zischte Chloe ihrer Schwester zu.

Das stimmte. Annabelle war zwei Jahre jünger als Chloe und gehörte zu den perfekten Kindern, die von Erwachsenen geliebt, aber von den anderen Kindern nicht gemocht werden, weil sie eingebildete kleine Streber sind.

Annabelle liebte es, Chloe Ärger zu machen. Sie legte sich zum Beispiel oben in ihrem hellrosa Zimmer auf ihr Bett, wälzte sich hin und her und schrie: «CHLOE, LASS MICH LOS! DU TUST MIR WEH!», während Chloe nebenan in ihrem Zimmer saß und still vor sich hin schrieb. Leider muss man festhalten: Annabelle war gemein. Zumindest zu ihrer älteren Schwester.

«Oh, tut mir leid, Mutter. Es ist mir einfach auf den Schoß gerutscht», murmelte Chloe schließlich schuldbewusst. Sie hatte vorgehabt, das Würstchen für Mr. Stink aus dem Haus zu schmuggeln. Den ganzen Nachmittag hatte sie an ihn denken müssen und sich vorgestellt, wie er draußen in der kalten Dezembernacht vor sich hin fror, während sie im Warmen hockte und seelenruhig aß.

«Gut, Chloe, dann nimm es von der Serviette und leg es zurück auf den Teller!», befahl Mutter. «Ich schäme mich in Grund und Boden, dass wir selbst zum Abendbrot Würstchen essen müssen. Ich habe eurem Vater genaue Anweisung gegeben, sich zum Supermarkt zu begeben und vier Wolfsbarschfilets zu kaufen. Und nach Hause kommt er mit einem Paket Würstchen! Wenn jemand vorbeikäme und sehen würde, dass wir hier so etwas essen – das wäre entsetzlich peinlich. Man würde uns für Wilde halten!»