Das Ende ist fern - Harald Martin - E-Book

Das Ende ist fern E-Book

Harald Martin

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Beschreibung

In diesen zwölf Science-Fiction-Geschichten erleben wir Menschen, die tun, was sie immer tun: Die Welt nicht als das zu betrachten, was sie ist, sondern als das vielfältige Abbild ihrer selbst. Interessanterweise tun die Außerirdischen exakt das Gleiche. Und sogar ein Neutrino tut das. Und: Ein roter Kater, der durch alle Geschichten schleicht, tut das ebenso! Was ist Wahrheit, was ist Illusion? Die Antworten auf die Fragen aller Fragen sind immer und überall allzumenschlich. Und wie das bei den allzumenschlichen Dingen nun mal so eingerichtet ist - sie sind mitunter absurd, komisch, verrückt, ungeheuerlich, oder auch alles auf einmal. In der zentralen Geschichte "Der Kongress" treffen sich die Delegationen von sieben Planeten auf dem Gastgeberplaneten Cercopithecidia, um ihre friedvolle Zusammenarbeit zu festigen und zu vertiefen. Der zur inneren Unruhe neigende Ich-Erzähler Hajax vom Planeten Hylobatidia sieht sich mit der nervenaufreibenden Aufgabe konfrontiert, einen Vortrag über einen bislang wenig erforschten Planeten zu halten. Dieser Planet ist möglicherweise ein Zwillingsplanet Hylobatidias und trägt den Namen Platyrrhinia. Von seinen Bewohnern wird er - wie die Hylobatiden bereits herausgefunden haben - widersinnigerweise 'Erde' genannt. Ganz irdisch geht es in der Schluss-Geschichte "Ich, Kater" zu. Ein Experiment mit Kater Henry verläuft nicht so, wie die menschlichen Experimentatoren sich das vorgestellt hatten: Ihm, Henry, ist schon im ersten Moment klar, dass diese "selbsternannten Schlauberger" (Zitat Henry) das Leib-Seele-Problem vollständig ignoriert haben. Warum ihm das klar war? Weil er nach wie vor ein Kater war, deswegen. Und nicht eine Maschine in Katergestalt, wie sich die "Schlauberger" das dachten, nachdem sie ihm einen KI-Chip ins Hirn geschossen hatten. Zwölf Geschichten aus der Zukunft - so gegenwärtig wie das bizarre Dasein dieser ominösen Biowesen am Rande der Milchstraße.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Harald Martin

Das Ende ist fern

Science-Fiction-Storys

Die Menschen ebenso wie die Außerirdischen in diesen Geschichten betrachten die Welt nicht als das, was sie ist, sondern als das vielfältige Abbild ihrer selbst. Sogar das Neutrino und der Kater tun das. Was ist Wahrheit, was ist Illusion? Die Antworten auf die Fragen aller Fragen sind immer und überall allzumenschlich - selbst bei Außerirdischen, Neutrinos und Katern.

Harald Martin (geboren 1959 in Ludwigsburg) war viele Jahre Redakteur beim Saarländischen Rundfunk, ist Autor einer Biografie über Paul McCartney (dtv), sowie Verfasser von Erzählungen und Kurzgeschichten (Conte Verlag). Er lebt in Saarbrücken. 

Impressum

Texte:   © 2024 Copyright by Harald Martin

Cover & Grafiken erstellt von DALL-E, außer:

Lennon/McCartney & The Rolling Stones: Esther Wagner, Urheberin, 2024; Nutzungsrechte beim Autor

„Groß Zittern und Beschwer…“: Matthäus Merian, Bibel-Illustration aus dem Jahr 1630

Verantwortlich für den Inhalt:

  Harald Martin

Goerdelerstr. 64

  66121 Saarbrücken

epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Die Storys

Ansichten eines Neutrinos  

Ungetüm    

Der Kongress    

Der Bauer und seine Tochter  

Lennon/McCartney & The Rolling Stones

Chip im Hirn    

Mission Trappist-1   

„Groß Zittern und Beschwer…“ 

Ansichten eines Neutrinos

Ansichten eines Neutrinos

Liebe Kolleginnen und Kollegen allüberall in den Weiten des Weltraums - und gegebenenfalls darüber hinaus, falls es welche unter Euch gibt, die womöglich weitergehende Erkenntnisse über die Natur der Weiten des Weltraums beziehungsweise darüber hinaus haben -, ich möchte Euch nachfolgendes berichten, und zwar dringend berichten, denn es könnte von größter Bedeutung für Euch oder zumindest für einige von Euch sein.

Mein Bericht beginnt mit einem schwer verständlichen Satz: Neulich habe ich das Gehirn eines Menschen durchdrungen! Ich hätte nicht unbedingt erwartet, bereits in meiner neunten Lebensminute so eine Erfahrung machen zu müssen. Da ich aber seitdem vollkommen unbehelligt durch die Weiten des Weltraums fliege, hatte ich glücklicherweise ausreichend Zeit, das Trauma zu verarbeiten. Die Tatsache, dass ich unmittelbar nach dem Durchflug eines ästhetisch hochwertvollen roten Katers ansichtig wurde, half ebenfalls bei der Traumabewältigung.

Um mich kurz vorzustellen und Euch das Verständnis der ganzen Angelegenheit etwas zu erleichtern: Ich bin in einem Gelben Zwerg geboren. Er ist Mittelpunkt eines Sternensystems am Rande der Milchstraße. Einer der Planeten, die um den Gelben Zwerg kreisen, wird von Biowesen bevölkert, die sich ‚Menschen‘ nennen. Den Planeten, auf dem sie herumstolzieren, nennen sie ‚Erde’, meinen Geburtsort nennen sie ‚Sonne’. Ein kleines, in einem abgelegenen Winkel liegendes Sternensystem ist das also, so klein, dass es eben nur 8,3 Minuten gedauert hat, bis ich den Hirndurchflug erlitt. Der Flug durch das menschliche Gehirn dauerte zwar nur eine Nanosekunde, aber diese Nanosekunde hat leider gereicht, das komplette kollektive ‚Denken‘ dieser sich ‚Menschen‘ nennenden Biowesen kennenzulernen, und es hat gereicht, alles zu erkennen, was dieser eine Mensch, dessen Hirn ich durchdrungen habe, je erlebt hat. Menschliche Hirne vergessen nämlich nichts, auch wenn die Hirnträger selbst, also die herumwuselnden Menschen, ständig alles mögliche vergessen, sogar ihre eigene Geburt, was für sich genommen schon ziemlich lächerlich ist.  

Jedenfalls - ich möchte bereits an dieser Stelle eine Warnung an alle Lebensformen der Galaxis aussprechen:

ACHTUNG LEBENSGEFAHR!

BISSIGE BIOWESEN!

PLANET ERDE WEITRÄUMIG UMFLIEGEN!

Es sei denn, Ihr seid auf Krawall und Kamikaze aus - dies nur als kleine Einschränkung für die unverbesserlichen Abenteurer und sonstigen Risikofetischisten unter Euch, die es nicht lassen können, mit dem Feuer zu spielen.

Ich möchte Euch aber zwei Worte an die Hand geben, die Ihr Euch merken müsst, wenn es um die Menschen geht: Hochmut und Aggression.

Beginnen wir mit dem Hochmut. Es ist wirklich extrem drollig, dass diese durch und durch albernen Wesen sich als ‚Krone der Schöpfung‘ sehen. Diese ‚Krone‘ haben sie sich selbst aufgesetzt (wer sonst?), und die ‚Schöpfung‘ ist natürlich auch nur eine Schöpfung ihrer eigenen Fantasie. Da die Menschen nur sehr begrenzt Ahnung von den Vorgängen in der Natur inklusive der Vorgänge in ihren Hirnen haben, produzieren sie fortwährend irgendwelche phantastischen Antworten auf alle möglichen Fragen, ohne wirklich ins Nachdenken zu kommen. Das tun sie vor allen Dingen deswegen, weil sie es einfach nicht aushalten, auf irgendetwas keine Antwort zu haben. ‚Lieber irgendeine Antwort als gar keine Antwort‘, lautet die uneingestandene Devise menschlichen Denkens. Den Gipfel dieses Wahns erklimmen die Menschen dadurch, dass sie ihre phantastischen Antworten auch noch für wahnsinnig gewitzt halten. Dieses irre Phänomen lässt sich in besagtem Wort zusammenfassen: Hochmut.

Nun ja, es gibt einen Trost für das Universum: Nach wenigen Atemzügen der Natur werden die Menschen wieder verschwunden sein. Bis dahin allerdings gibt es noch etwas Weiteres, noch etwas Schlimmeres, noch etwas Unglaublicheres zu beachten als ihren irren Hochmut, nämlich ihre ausdauernde Fähigkeit, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen - ja, zum menschlichen Alltag gehört sogar, sich ständig gegenseitig umzubringen. Für dieses ungeheuerliche Phänomen scheint mir besagter zweiter Begriff angemessen: Aggression.

Hochmut und Aggression - damit glauben die Menschen, über die passenden Mittel zur Erhaltung ihrer selbst zu verfügen. Sie sind tief versunken in Illusionen, wissen unendlich wenig über sich selbst, so wenig wie über die anderen, von ihnen hochmütigst betrachteten Biowesen auf dem Planeten Erde. Selbst nahe Verwandte der Spezies Mensch werden eingesperrt, versklavt, getötet oder umstandslos verspeist. Andererseits sind die Menschen in fortwährende Machtkämpfe untereinander verstrickt, ständig bestrebt und damit beschäftigt, sich gegen den Anderen zu behaupten, am besten, ihn zu beherrschen. Da der Mensch um die Folgen seines Machtgekämpfes durchaus weiß, aus Gründen der Not und der Langeweile aber nicht allein, als Individuum, zu existieren vermag, versucht er immerhin, sich Regeln für ein friedliches Zusammenleben zu geben - die allerdings nur so lange halten, wie nicht eine Seite anfängt zu glauben, so stark zu sein, dass sie keine Konsequenzen für den Bruch dieser Regeln fürchten muss. Gleichzeitig - ein weiterer Witz in der Reihe der Witze über den menschlichen Selbstbetrug - stellt der Mensch sein Handeln als ‚vernünftig‘ dar, selbst wenn dieses Handeln in sich so widersprüchlich und gegensätzlich ist wie das Handeln von uns Neutrinos im Vergleich zum Handeln der so unglaublich flachsinnigen wie läppischen Positronen.

Und so lebt der Mensch selbstbewusst in seinen sonnenbeschienen Tag hinein. Wenn er auch nur einen Augenblick aus dem Gefängnis seines Gehirns heraus könnte, wäre es mit diesem Selbstbewusstsein schnell vorbei - zum Nutzen aller. 

Da dies aber nicht geschieht, noch einmal die Warnung:

ACHTUNG LEBENSGEFAHR!

BISSIGE BIOWESEN!

PLANET ERDE WEITRÄUMIG UMFLIEGEN!

Wie gesagt: Durch den offenen Geist eines Menschen bin ich hindurchgeflogen, durch einen winzigen Raum also, den ich in einer geraden Linie innerhalb einer Nanosekunde durchmaß, begleitet von 60 Milliarden anderen Neutrinos. Zuvor hatte ich wunderbare Dinge erlebt - das Glühen der Sonne, die Herrlichkeit sich in den Raum ergießenden flüssigen Feuers -, um dann aber nach wenigen Minuten von menschlichem Leben, menschlichem Streben und menschlichem Leiden erfahren zu müssen. Ich war ernüchtert, aber auch schnell wieder weg, zum Glück. Seitdem durchmesse ich im Schatten des unendlichen Kosmos als zielloser Wanderer die Weiten des Weltraums. Ich fürchte weder Gravitationswellen noch magnetische Stürme, weder Schwarze Löcher noch Rote Riesen.  

Damit könnte mein Bericht an Euch enden. Um der uns Neutrinos eigenen Aufrichtigkeit willen - das unterscheidet uns ja so elementar von den heuchlerischen und verlogenen Positronen -, sollte vielleicht doch noch etwas Klitzekleines Erwähnung finden, nämlich dass es in diesen kranken Menschenhirnen eine winzige Ecke gibt, eine Ecke der Selbsterkenntnis, die ein durchaus schlauer Dichter in folgenden Satz gefasst hat:

Die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre, the rest is a nightmare.

Als Beispiel für Kunst & Fantasie fand ich im durchflogenen Hirn eine Szene, die es auf einem Bildschirm wahrgenommen hatte. Dabei möchte ein äußerst seltsamer, immer wieder in tiefer Tonlage grunzender Mann einen Truthahn im Ofen braten. Den toten, nackten, riesigen, 14 Kilogramm schweren Truthahn füllt er zunächst mit einer olivgrünen Pampe, bemerkt aber plötzlich, dass er seine Armbanduhr im Inneren des Truthahns verloren hat. Er schaut vergeblich mit einer Taschenlampe in das geöffnete Innere des Truthahns, nimmt die Pampe teilweise wieder heraus, geht schließlich mit seinem Kopf ganz nah an die Öffnung - da klingelt es an seiner Haustür, eine Frau steht davor, der Mann schreckt auf, stülpt sich dabei versehentlich den riesigen Truthahn über den eigenen Kopf, verbirgt mit einem großen roten Handtuch sein Missgeschick, öffnet blind die Tür, und irgendwann, nach vielen Tollpatschigkeiten, erkennt die Frau, was los ist, und hilft ihm dann, den Truthahn zu entfernen, indem sie das Tier an einen schweren Kohleimer bindet, den sie aus dem Fenster wirft, was den Truthahn mit hinaus reißt. Der Truthahn ist verloren, aber der Mann hat nicht nur sein Angesicht, sondern auch seine Uhr zurück. Ich muss sagen: Das war sehr, sehr lustig alles, ich habe mich halb tot gelacht.

Diese Art Humor steht weit über dem allgegenwärtigen, aber nur selten als Humor definierten Humor - obwohl es sich um nichts anderes handelt -, der darin besteht, dass der Mensch sich für so ungeheuer bedeutsam hält. Die Menschheit beschäftigt sich ernsthaft und fortwährend mit allen möglichen irrationalen, größenwahnsinnigen Bestrebungen - sei es in Form von ‚Religion‘ oder sonst einer metaphysischen Überzeugung -, ohne diese Bestrebungen aber offensichtlich nicht zufriedenzustellen ist. Und obschon die menschlichen Astronomen, Astronauten und alle möglichen anderen tatsächlichen Besserwisser einen weit über die Erde hinausgehenden Blick haben, und sie andauernd den Mitmenschen zu verstehen geben, dass das bisschen Menschenleben für das große Ganze keine Rolle spielt, dringen sie damit nicht durch - und noch nicht mal in ihre eigenen Hirne, was nun wirklich komisch ist. Vielleicht bildet sich die Ameise auf dem Planeten Erde, wenn sie im irdischen Wald geschäftig herumkrabbelt, ebenso stark ein, dass sie Ziel und Absicht der Existenz des Waldes ist, wie die Menschen das tun, wenn sie den Untergang der Menschheit mit dem Weltuntergang gleichsetzen. 

Nun, also… - der Mann mit dem Truthahn nannte sich ‚Mister Bean’, und das von mir durchflogene Menschenhirn hatte alle Abenteuer dieses ‚Mister Bean‘ intus. Ich werde mir jetzt alle diese Abenteuer zu Gemüte führen, da ich im Moment nichts besseres zu tun habe und ohnehin ein wenig vor mich hin kichern wollte. Es gilt aber dennoch weiterhin:

ACHTUNG LEBENSGEFAHR!

BISSIGE BIOWESEN!

PLANET ERDE WEITRÄUMIG UMFLIEGEN!

Es sei denn,Ihr seid in der Lage, den Alptraum Mensch gnadenlos von seiner Kunst und seiner Fantasie abzuspalten.

Viel Glück

& gute Nacht

Neutrino (auf dem Weg nach Nirgendwo)

Ungetüm

Ungetüm

Friedrich Anka

AZ 150159-2033-hm-FA-70431678

Offenbach, 9.Oktober 2035

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit diesem Schreiben möchte, nein, muss ich mich über die Behandlung bzw. (so muss es eigentlich richtig heißen:) Nicht-Behandlung meines ordnungsgemäß eingereichten Antrags bezüglich der Aufnahme in Ihre Gesellschaft beschweren. Die Ordnungsmäßigkeit haben Sie mir schriftlich bestätigt - wie Sie leicht überprüfen können -, wenn auch ‚natürlich‘ nur von einem Mail-Automaten. Und seitdem? Nicht nur, dass mittlerweile sechs Monate vergangen sind (obwohl Sie behaupten, die Bearbeitungszeit würde maximal drei Monate in Anspruch nehmen) - nein, Sie verweigern jede Kommunikation mit mir. Meine Mails, egal, an wen ich Sie in Ihrem Haus richte (ich habe alle, buchstäblich alle durch, die auf Ihrer Homepage hinterlegt sind), werden mit dem ewig gleichen Hinweis beantwortet: ‚Dies ist eine automatisch versendete Nachricht. Antworten Sie nicht auf dieses Schreiben, da die Adresse nur zur Versendung von Mails eingerichtet ist’. Und was erfolgt nach diesem Hinweis? Vielleicht irgendwann mal eine ‚richtige’ Antwort? Nein! Nichts! Keine Antwort! Überdies erhalte ich in den ‚Antwort’-Mails notorisch diesen Ihnen sicher ebenfalls nicht unbekannten Hinweis: ‚Gemäß den uns vorliegenden Unterlagen haben Sie einen Zugang auf unserer Homepage. Nutzen Sie diesen, um weitere Fragen zu klären’. Nun ist es aber so, dass ich zwar im Schreiben, das die Ordnungsmäßigkeit meines Antrags bestätigt hat, einen Code für diesen Zugang erhalten habe, dieser Code aber nur beim allerersten Mal funktioniert hat - tatsächlich konnte ich dort alles ‚ordnungsgemäß‘ einsehen, was meinen Antrag betrifft. Beim zweiten und allen nachfolgenden Versuchen aber: ‚Dieser Zugangscode ist nicht korrekt‘. Daraufhin habe ich Sie mehrfach angemailt, aber - siehe oben. Gleiches Spiel, gleiches Unglück! Erlauben Sie mir die Frage: Wollen Sie mich veralbern? (Meine Kinderstube verbietet mir, ein anderes, wenn auch vielleicht angemesseneres, nämlich an der analen Fixierung der Deutschen orientiertes Verb zu benutzen).

Und die zahllosen Anrufe bei Ihrer Hotline? Laufen ‚selbstverständlich‘ ins Leere, enden Sie doch immer mit dem Hinweis auf den Code fürs Login - der aber ja nicht funktioniert! Auch die Hoffnung auf einen ‚realen’ Menschen am Telefon wird immer wieder brutal enttäuscht - obwohl die Aufforderung ‚Drücken Sie die Sieben’ genau dies verspricht! Ich drücke zwar die ‚Sieben‘, aber dann kommt kein Mensch (ich bin geneigt zu sagen: Natürlich nicht), sondern der mir bestens, mittlerweile nahezu freundschaftlich vertraute Automat, der auch an dieser Stelle sagt: ‚Nutzen Sie Ihren Zugangscode auf unserer Homepage’. Aber er funktioniert nicht!, würde ich am liebsten ins Telefon brüllen, wüsste ich nicht, dass so simple Automaten wie die Ihrigen mit menschlichen Emotionen nichts anzufangen wissen. Also nochmal: Wollen Sie mich veralbern? Oder steckt etwas ganz anderes hinter Ihrem verstockten Schweigen?

Aufgrund all dessen erhalten Sie nunmehr dieses uraltmodische Einschreiben. Sonst hilft ja offensichtlich nichts! Ob dieses Einschreiben allerdings wirklich hilft, weiß natürlich auch kein Mensch. Jedenfalls keiner, den ich fragen könnte.

Die nachfolgende Klammerbemerkung hier ist nur eine Selbstvergewisserung, die Passage können Sie überspringen, wenn Sie Ihre sicherlich kostbare Zeit für die weitere Bearbeitung meines Antrags, oder auch für die Bearbeitung des Antrags eines anderen Menschen benötigen, wobei ich Sie doch dringend auffordern möchte, nun endlich meinen Antrag zu bearbeiten.

(Nur der Vollständigkeit halber: Ich werde von Ihnen ‚irgendetwas’ hören. Entweder erhalte ich eine Empfangsbestätigung mit der Unterschrift ‚irgendeines‘ Menschen aus Ihrem Haus - es muss nach wie vor ein realer Mensch unterschreiben, stellen Sie sich das mal vor! -, oder ich erfahre schriftlich von der Verweigerung der Annahme, sollte irgendwer in Ihrem Haus sich bemüßigt gefühlt haben, eben diese Annahme zu verweigern. Wie Sie wissen: Eine grundlose Annahmeverweigerung löst eine ‚Zugangsfiktion‘ nach § 130, § 242 BGB aus. Ihre Juristen kennen sich da aus. Ich bin sicher, Sie haben die besten Juristen des Planeten, die besten Buchstaben-Hin- und Herwender weltweit. Oder sie haben einen entsprechenden Automaten - die meisten Juristendinge kann ein Automat übernehmen, da bin ich sicher, geht es doch um nichts außer um das Absondern und ewige Variieren vorgefertigter Texte ohne Phantasie und ohne Abweichung von dem, was schwarz auf weiß geschrieben steht und getrost nach Hause getragen wurde, in die Bibliotheken, in die Studierzimmer, in die Kanzleien und Behörden, ins monolithische Festhalten unser aller Unvollkommenheit.)

Um Ihnen erneut die Dringlichkeit meines Antrags zu erläutern: Es gibt für mich kein Fortkommen. Ich bin festgenagelt, festgenagelt wie Christus am Kreuz, ohne Aussicht auf Errettung. Tagein, tagaus stehe ich in dem kleinen Geschäft, das ich vor vielen Jahren übernommen habe, das aber kaum noch Kunden findet. Ich arbeite mich nutzlos ab, trage etwas dorthin, und das, was dort war, hierhin, es ist ein Hin- und Hertragen, Abstellen und Wiederaufnehmen, tagein, tagaus. Fast niemand mehr kommt herein, um eine Kleinigkeit zu kaufen, und niemand (niemand!) kommt auch nur auf ein privates Wort herein, um mir wenigstens auf diese Weise zu helfen, den Kopf oben zu behalten. Und in meiner Wohnung? Niemand, niemand! Ich habe mich für ein endgültiges Junggesellendasein eingerichtet. Offenbar habe ich mich verrannt, da hilft kein Bedauern, kein Mitleid, keine wie auch immer geartete Hilfe. Aber es gibt auch kein Zurück. Zurück nach Hause? Dann wäre ich wie ein altes Kind, das niemand mehr versteht. Und ich verstehe meine alte Heimat ja selbst auch nicht mehr, und so bliebe ich auch dort in der Fremde, zusätzlich verbittert durch all die Ratschläge, die ich dort ungefragt erhielte. Wie sollte mich das vorwärts bringen? Nein - es gibt für mich kein Fortkommen.

Also: Nehmen Sie mich auf und allen ist gedient.

Mit freundlichem Gruß

Friedrich Anka

***

Unabhängige Gesellschaft zur Tötung überflüssiger Menschen

AZ 150159-2033-hm-FA-70431678

Frankfurt/Main, 22.Dezember 2035

Sehr geehrter Herr Anka,

mit einigem Erstaunen haben wir Ihr sachgrundloses Schreiben vom 9.Oktober zur Kenntnis genommen. Sie sind längst Teil unserer Gesellschaft, das wissen Sie doch! Ihre absurde Anklage führt uns unweigerlich zu der Frage, die Sie so unberechtigt wie unverschämt uns stellen: Wollen Sie uns veralbern? Seit mittlerweile mehr als acht Monaten warten wir darauf, dass Sie zu uns in den Turm kommen. Aber nein, Sie ziehen es vor, ein übles Spiel zu spielen, das weder unsere Ressourcen noch unsere Nerven schont. Wenn Sie nicht augenblicklich damit aufhören, unsere Infrastruktur zu traktieren, schicken wir Ihnen einen unserer Türsteherandroiden vorbei. Betrachten Sie das ruhig als Drohung! Also seien Sie vernünftig.

Die Türen zu unserem Turm stehen Ihnen immer offen, wie in unserer ersten und einzigen Mail an Sie erläutert. Mit dieser Mail war die Angelegenheit, die für Sie angeblich ja ach so dringend ist, erledigt. Sie geben ja selbst zu, dass Sie auf unserer Homepage alles gefunden hatten, was Sie betrifft! Warum haben Sie dann nicht reagiert? Warum müllen Sie uns stattdessen mit Mails zu, terrorisieren unsere Hotline und wagen es jetzt auch noch, unsere Integrität mit einem lächerlichen Einschreiben in Frage zu stellen. Für uns lässt all das nur einen Schluss zu, (denn wir sind nicht der Annahme, dass Sie ihre ureigensten Angelegenheiten nicht zu regeln imstande sind), nämlich, dass Sie Sabotage zu betreiben versuchen! Bislang haben wir davon abgesehen, irgendwelche behördlichen Stellen einzuschalten - und wir werden weiterhin davon absehen! -, denn wir sind imstande, alle Fälle selbständig und sachgerecht zu Ende zu bringen. Wenn Sie in Ihrem eigenen Fall nunmehr endlich ebenfalls dazu beitragen möchten - bitte, jederzeit.

Betrachten Sie dieses Schreiben als letzte Chance für sich, ohne weiteren Kummer die Rechte, die Ihnen als Teil unserer Gesellschaft zustehen, wahrzunehmen. Sollten Sie allerdings fortgesetzt Schwierigkeiten machen, werden wir andere Maßnahmen ergreifen. Unsere Türsteherandroiden haben eine breite Palette an Möglichkeiten, disziplinlose Individuen wie Sie eines zu sein scheinen, auf den rechten Weg zu bringen.

Kommen Sie zum Turm!

Hochachtungsvoll

Unabhängige Gesellschaft zur Tötung überflüssiger Menschen

(gültig ohne Handzeichen oder Signatur gemäß § 126c BGB)

***

Friedrich Anka

AZ 150159-2033-hm-FA-70431678

Offenbach, 2.Januar 2036

Sehr geehrte Damen und Herren,

verrückterweise war ich tatsächlich geneigt, Ihren Worten vom 22.12.35 Glauben zu schenken - nun, sagen wir: Nicht von vornherein Unglauben entgegenzubringen -, in der vagen Vorstellung, dass ich möglicherweise wirklich etwas vollkommen missverstanden haben könnte. Aber natürlich - warum wohl sage ich ‚natürlich‘, warum wohl? - wurde ich eines Besseren belehrt. Also eines Schlechteren. Warum quälen Sie mich so? Sind Sie in Wirklichkeit ein Club von Sadisten, der sich einen Spaß daraus macht, ohnehin schon darniederliegende Menschen noch mehr zu erniedrigen?

Sie wissen natürlich (natürlich, natürlich, alles ist so natürlich!, und trotzdem widersprechen Sie immer wieder!), also: Sie wissen natürlich, was vorgefallen ist. Ich schreibe es trotzdem noch mal auf, damit andere Stellen, die ich jetzt einschalten werde, das Ganze durchbuchstabieren und Sie ihrer gerechten Strafe zuführen können.

Am 27.Dezember, unmittelbar nach Weihnachten (das ich in vollkommener Isolation in meiner kleinen Butze verbracht habe - falls es noch eines Belegs für die Dringlichkeit meines Wunsches nach Aufnahme in Ihre Gesellschaft bedürfte!), am 27.Dezember also, 10 Uhr morgens, komme ich zum Turm, um Einlass zu erbitten - Sie haben mich explizit dazu ermuntert! -, und was geschieht? Man weist mich ab! Der Pförtner, oder wie Sie den Knecht in seinem Kabuff am Eingangsbereich nennen, sagt: Es sei möglich, dass ich später eintreten dürfe, aber nicht jetzt! Ich zeige Ihrem Pförtner noch mal und mit aller Dringlichkeit unseren Schriftverkehr mit dem Aktenzeichen, er wiederholt seinen Spruch, ohne die geringste Regung. Vermutlich ist der Trottel ein Android - das werden Sie besser wissen! -, jedenfalls habe ich sein Namensschild fotografiert: „TfFAE-2035“. Ich fordere ihn ein drittes Mal auf, mich durchzulassen, inklusive dem dezenten Hinweis, dass ich mich andernfalls an höchster Stelle über ihn beschweren würde, woraufhin er ein blechernes Lachen von sich gibt und sagt: „Warten Sie oder verschwinden Sie, aber ich kann Sie noch nicht einlassen.“ Also entschließe ich mich, in der Eiseskälte zu warten - denn was hätte ich sonst tun sollen? Die Hoffnung auf Einlass - „später!“, hatte Ihr Knecht ja behauptet - war stärker als die Angst vor Erfrierungserscheinungen an Zehen oder Nasenspitze. Ihr Knecht war immerhin so freundlich, mir einen Stuhl vor die Tür zu stellen, aber mehr als eine Minute hielt ich es nie aus auf dem Stuhl, die Kälte zwang mich zum Auf-und-ab-Gehen - so dass ich mich fragte, ob der Stuhl mich nur verhöhnen sollte. Ich entfernte mich nie mehr als wenige Meter von „TfFAE-2035“, um sofort eintreten zu könnten, sollte er mich endlich dazu auffordern. Doch das geschah nicht! Ich fragte stündlich, wann es denn so weit sei, und jedes Mal antwortete er: „Jetzt nicht!“ Als die Sonne schließlich unterging, war ich so müde und hungrig, vor allem aber so durchgekühlt, dass ich ein letztes Mal um Einlass bat, und als er ihn erneut verweigerte, fragte ich, ob ich morgen wieder kommen solle. Woraufhin er sagte: „Es ist möglich, dass Sie morgen eintreten dürfen.“ Ich schlich von dannen, begegnete einem roten Kater, stellte mich zu Hause unter die heiße Dusche, und kam erst wieder hervor, als sich kein einziger Knochen mehr wie ein Eiszapfen anfühlte.

Sie wissen, was am nächsten Tag geschah: Einlass? Vielleicht später, jetzt aber nicht! Von morgens bis abends. Und so auch an allen weiteren Tagen bis Silvester. Am Abend des 31.Dezember blickte ich mit Schrecken auf das vergangene Jahr, am Morgen des 1.Januar mit Schrecken auf das kommende Jahr.

Und nun? Ein letzter Versuch meinerseits. Ansonsten werde ich zur Alten Brücke gehen und springen. Dann kann mir Ihre Gesellschaft gestohlen bleiben.

Hochachtungsvoll

Friedrich Anka 

***

Unabhängige Gesellschaft zur Tötung überflüssiger Menschen

AZ 150159-2033-hm-FA-70431678

Frankfurt/Main, 3.Januar 2036

Sehr geehrter Herr Anka,

wissen Sie denn nicht, was „TfFAE-2035“ bedeutet? Obwohl das so naheliegend wie der Main ist, und obwohl wir mit Ihnen überhaupt keinen Schriftverkehr führen müssten, sagen wir es Ihnen: „Türhüter für Friedrich Anka 2035.“ Warum haben Sie nicht auf ihn gehört? Warum haben Sie ihm nicht die richtigen Fragen gestellt? Warum, schlussendlich, sind Sie nicht an ihm vorbeigekommen? Auch das müssten wir nicht für Sie beantworten, aber wir tun es trotzdem: Es mangelt Ihnen an Phantasie. 

Aber all das spielt jetzt ohnehin keine Rolle mehr. Wir hatten Sie gewarnt. Ein Türhüterandroid ist unterwegs und wird Sie holen. Widerstand ist zwecklos.

Hochachtungsvoll

Unabhängige Gesellschaft zur Tötung überflüssiger Menschen

(gültig ohne Handzeichen oder Signatur gemäß § 126c BGB)

***

Bericht der Unabhängigen Gesellschaft zur Tötung überflüssiger Menschen

Betr. AZ 150159-2033-hm-FA-70431678

Frankfurt/Main, 10.Januar 2036

Der bezeichnete Vorgang konnte bislang nicht abgeschlossen werden. Das betroffene Individuum hat sich der Aufnahme in unsere Gesellschaft entzogen. Weder war es in seiner Wohnung anzutreffen, noch hat es sich - entgegen der Ankündigung - von der Alten Brücke gestürzt. Behördliche Maßnahmen sind ebenfalls ausgeblieben, hätten aber ohnehin noch Jahre in Anspruch genommen, Stichwort Bürokratiewachstum. Das Ganze auf Wiedervorlage.

Gez. UNGETÜM

***

Friedrich Anka

AZ 150159-2033-hm-FA-70431678

9.Oktober 2036

Sehr geehrte Damen und Herren,

zur Feier des Jahrestags meines ersten Einschreibens an Sie erhalten Sie nunmehr mein letztes Einschreiben an Sie. Frohe Lektüre!

Wie ich annehme, erreichen diese Zeilen Sie in einem Zustand fortgesetzter Ignoranz gegenüber Ihren treuesten Anhängern. Wohin ich verschwunden bin, ist eine Geschichte voller Mysterien und Abenteuer, von denen Sie vermutlich nicht das Geringste wissen wollen. Mein aktueller Standort liegt außerhalb der verrücktesten Annahmen Ihrer beschränkten Algorithmen, denn die glauben ja weder an Chimären noch an humanoide Bäume. Das eben ist genau Ihr Problem: Sie sind unfähig zur Phantasie. Meine Phantasie aber ist jetzt unendlich - habe ich mich doch dazu entschlossen, mich bedingungslos genau in diese Welt, in die Welt der Phantasie zu begeben.

Der Rest - also Ihre Welt - ist ein Alptraum. Man könnte auch sagen: Ein Jammertal, oder auch: Die Hölle, oder, wie es einer der wenigen klarsichtigen Philosophen einst formulierte: Die Welt ist ästhetisch ein Karikaturenkabinett, intellektuell ein Narrenhaus und moralisch eine Gaunerherberge.

Endlich bin ich frei. Es braucht nur etwas Mut, und schon ist Ihre Gesellschaft vollkommen bedeutungslos.

Hochachtungsvoll

Friedrich Anka