Das Erbe von Brampton Hill - Catherine Cookson - E-Book
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Das Erbe von Brampton Hill E-Book

Catherine Cookson

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Beschreibung

Eine fesselnde Saga über drei Familien: Der große Roman »Das Erbe von Brampton Hill« von Bestsellerautorin Catherine Cookson als eBook bei dotbooks. Nordengland um die Jahrhundertwende: Seit Jonathan Ratcliffe seinen Kompagnon Arthur Brett ausgestochen hat und zum Alleinbesitzer der florierender Maschinenfabrik aufgestiegen ist, herrscht zwischen ihnen bittere Feindschaft. Im Gegenzug konnte Arthur das prachtvolle Anwesen auf dem Brampton Hill für sich gewinnen, das mit Ansehen und Prestige einhergeht … doch als er Gefühle für die junge Vanessa Ratcliffe entwickelt, beginnt für ihn ein gefährliches Spiel. Zumal Vanessa ihr Herz längst einem anderen geschenkt hat: Angus Cotton, den sie seit der Kindheit kennt, und der in den Augen ihres machthungrigen Vaters doch nur der Sohn niederer Angestellter ist. Als bekannt wird, dass Vanessa ein Kind erwartet, droht dieser Skandal ein Feuer zu entfachen, dass alle drei Familien mit sich reißen könnte … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der mitreißende Englandroman »Das Erbe von Brampton Hill« von Catherine Cookson wird auch Fans von Elizabeth Gaskells Klassikern und Barbara Taylor Bradford begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 578

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Über dieses Buch:

Nordengland um die Jahrhundertwende: Seit Jonathan Ratcliffe seinen Kompagnon Arthur Brett ausgestochen hat und zum Alleinbesitzer der florierender Maschinenfabrik aufgestiegen ist, herrscht zwischen ihnen bittere Feindschaft. Im Gegenzug konnte Arthur das prachtvolle Anwesen auf dem Brampton Hill für sich gewinnen, das mit Ansehen und Prestige einhergeht … doch als er Gefühle für die junge Vanessa Ratcliffe entwickelt, beginnt für ihn ein gefährliches Spiel. Zumal Vanessa ihr Herz längst einem anderen geschenkt hat: Angus Cotton, den sie seit der Kindheit kennt, und der in den Augen ihres machthungrigen Vaters doch nur der Sohn niederer Angestellter ist. Als bekannt wird, dass Vanessa ein Kind erwartet, droht dieser Skandal ein Feuer zu entfachen, dass alle drei Familien mit sich reißen könnte …

Über die Autorin:

Dame Catherine Ann Cookson (1906–1998) war eine britische Schriftstellerin. Mit über 100 Millionen verkauften Büchern gehörte sie zu den meistgelesenen und beliebtesten Romanautorinnen ihrer Zeit; viele ihrer Werke wurden für Theater und Film inszeniert. In ihren kraftvollen, fesselnden Schicksalsgeschichten schrieb sie vor allem über die nordenglische Arbeiterklasse, inspiriert von ihrer eigenen Jugend. Als uneheliches Kind wurde sie von ihren Großeltern aufgezogen, in dem Glauben, ihre Mutter sei ihre Schwester. Mit 13 Jahren verließ sie die Schule ohne Abschluss und arbeitete als Hausmädchen für wohlhabende Bürger sowie als Angestellte in einer Wäscherei. 1940 heiratete sie den Gymnasiallehrer Tom Cookson, mit dem sie zeitlebens zurückgezogen und bescheiden lebte. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1950; 43 Jahre später wurde sie von der Königin zur Dame of the British Empire ernannt und die Grafschaft South Tyneside nennt sich bis heute »Catherine Cookson Country«. Wenige Tage vor ihrem 92. Geburtstag starb sie als eine der wohlhabendsten Frauen Großbritanniens.

Catherine Cookson veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre englischen Familiensagas »Die Thorntons – Sturm über Elmholm House«, »Die Lawsons – Anbruch einer neuen Zeit«, »Die Emmersons – Tage der Entscheidung«, »Die Coulsons – Schatten über Wearcill House« und »Die Masons – Schicksalsjahre einer Familie« sowie ihre Schicksalsromane »Der Himmel über Tollet’s Ridge«, »Sturmwolken über dem River Tyne«, »Sturm über Savile House« und »Der Hutsalon am Willington Place«.

***

eBook-Neuausgabe Januar 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1968 unter dem Originaltitel »The Round Tower« bei Macdonald. Die deutsche Erstausgabe erschien 1980 unter dem Titel »Ein schwerer Weg« bei Franz Schneekluth, München. Der Roman erschien ebenfalls 1997 bei Heyne, München.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1968 The Catherine Cookson Charitable Trust

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1980 Franz Schneekluth Verlag, München

Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Tatiana Popova, yegorovnick, Ortis Blüten und AdobeStock/raquel

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98690-958-1

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In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Catherine Cookson

Das Erbe von Brampton Hill

Roman

Aus dem Englischen von Erni Friedman

dotbooks.

ERSTER TEIL

Brampton Hill und Ryder’s Row

Kapitel 1

Die vier Arbeiter, die aus dem kleinen Fenster der Werkstatt auf die uniformierten Klosterschülerinnen hinuntergrinsten, die die Wegabkürzung zwischen dem Gelände der Maschinenfabrik Affleck & Tate und dem Sportplatz benützten, bildeten eine dicht ineinander verkeilte Gruppe.

»Da is’ ja heute ‚ne Neue dabei! Die Kleine hab’ ich noch nie gesehn.«

»Das ist doch die Tochter vom obersten Boß.«

»Ziehst mich wohl auf, Mann!«

»Wo denkste hin. Sie ist es tatsächlich. Normalerweise wird sie mit dem Bentley vom Kloster abgeholt.«

»Deshalb existieren wir für sie überhaupt nicht.«

»Wetten, daß sie heraufschielt, wenn wir weder was sagen noch pfeifen, wenn sie direkt an uns vorbeikommt?«

»Also bitte, was hab’ ich gesagt!«

Als eines der vier Mädchen zu den Männern emporlugte, schrie der Größte von ihnen: »Wie werdet ihr erst aussehen, wenn ihr ausgewachsen seid, wo ihr jetzt schon der reinste Zucker seid, frag ich euch? Laßt es mich wissen, wenn’s soweit ist, dann komm ich hinunter und vernasch euch mit Haut und Haar.« Als eines der Mädchen eine unwillige Kopfbewegung machte, rief der Mann nur noch lauter: »Wie wär’s vorerst mal mit ‚nem bißchen Privatunterricht, hm?«

»Kümmert euch nicht um Privatunterricht, seht lieber zu, daß ihr euer Soll erfüllt!« donnerte es hinter ihnen. Sofort zogen die Männer die Köpfe aus dem Fenster zurück, und drei trabten wortlos an ihre Werkbänke, während sich der vierte, der die größte Lippe riskiert hatte, sich mit den schmierigen Händen durchs fette Haar fuhr und gleichgültig knurrte: »Ach was, Wichtigtuer.«

»Keine Unverschämtheiten, Taggart! Bei mir brauchst du nicht den Kessen zu spielen. Geh gefälligst an deinen Platz zurück, ehe ich dir Beine mache.«

Als der Arbeiter murrend gehorchte, höhnte er im Vorbeigehen: »In Ordnung, Chef?« Und fügte, zur Seite blickend, hinzu: »Oder muß man zu dir schon Mr. Cotton sagen!«

Angus Cotton fluchte leise vor sich hin, trat ans Fenster und schloß es. Sein Blick fiel auf die gesenkten Köpfe der zehn Arbeiter, über die er die Aufsicht hatte. Dann ging er ans Ende der Werkstatt, beugte sich über die Arbeitsplatte, auf der ein großer Bogen Papier, Reißschiene und Zirkel lagen, und fing zähneknirschend zu rechnen und zu zeichnen an.

Ungefähr fünf Minuten später trug er die Faustskizze zur Werkbank rechter Hand, vor der ein älterer Mann stand. »Kennst du dich darauf aus, Danny?« fragte er. »Oder muß ich es erst ins Zeichenbüro bringen, damit sie’s aufmöbeln?«

Danny Füller besah sich den Entwurf, dann zuckte er nur die Achseln und meinte: »Ich werd’s versuchen.« Seine lässige Antwort besagte, daß seiner Hände Arbeit genauso exakt sein würde wie eine der Maschinen. Während er die Skizze studierte, fügte er halblaut hinzu: »Es wird Schwierigkeiten geben, wenn du diesem Großmaul nicht den Marsch bläst. Tag für Tag reißen sie ihre Witze über die Mädels. Wenn die daheim ausplappern, was unsere Jungs ihnen beim Vorbeigehen so zurufen, gibt’s Stunk. Taggart fliegt noch eines Tages, sag’ ich dir. Ich an deiner Stelle würd’ mich um die Mittagszeit nie aus der Werkstatt herausrühren, denn die treiben’s immer ärger, wenn die jungen Dinger da unten vorbeikommen. Das war ja noch gar nichts heute!«

»Ich kann mir nicht denken, daß diese Tausendschönchen noch nie was von dem gehört haben, was unsere Jungs so von sich geben.«

»Vergiß nicht, daß sie in die Klosterschule gehen, mein Lieber.«

Angus Cotton blickte den Alten belustigt an. »Und du glaubst, das einen dergleichen heutzutage vor irgendwas beschützt? Die werden doch allesamt vom Fernsehen erzogen!«

»Ich glaub’ kaum, daß sie daheim viel fernsehen dürfen.«

Angus stieß den Alten an und sagte: »Weißt du, was ich denke? Daß du fünfzig Jahre zurück bist, Danny. Ich wette mit dir um was du willst: Wenn du den Mädels einmal zuhören könntest, wenn sie sich unbelauscht glauben, würden dir deine letzten drei Haare zu Berge stehen.« Er grinste ihm zu, ehe er an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte.

Aber während er arbeitete, dachte er: Er hat völlig recht, was Taggart anlangt. Dem muß man, wenn’s nicht anders geht, den Mund zunähen; falls er ihn noch weiter aufreißt, ist es aus mit unserem Frieden… Dennoch war ihm klar, daß die Jungs immer wieder ihre Unverschämtheiten vom Stapel lassen würden, wenn unten Mädchen vorbeikamen, und daß die Mädchen das genau wußten, ja es darauf anlegten. Sonst würden sie die Wegabkürzung ja gar nicht erst einschlagen.

Es war eine halbe Stunde später, als Mr. Wilton durch die Werkstatt stapfte und in ungemütlichem Ton rief: »Cotton! He, Cotton!«

»Tja, Sie wünschen?« Angus kroch unter seiner Maschine hervor, richtete sich auf, wischte sich die Hände an einem Lappen ab und blickte dem Mann, der ihn gerufen hatte, ins wutverzerrte Gesicht. Mr. Wiltons Gesicht war meistens wutverzerrt, das war allgemein bekannt. Mr. Jonathan Ratcliffe mochte der Direktor sein, er jedoch war sein Stellvertreter, wenn es um Arbeiter oder Angestellte ging. Also hatte sich alles nach ihm zu richten. Aber Angus ließ weder bei Mr. Wilton noch bei sonst jemandem auch nur den geringsten Zweifel darüber aufkommen, daß er nicht einzuschüchtern war. Also wiederholte er daher nur ziemlich aggressiv: »Sie wünschen?«

Mr. Wilton bereitete es offensichtlich Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. »Was ist hier oben los?« Er schüttelte den Kopf, schluckte heftig und fügte hinzu: »Sie können diese Lümmel nicht unter Kontrolle halten, wie?«

»Diese was …?« Angus sträubte sich dagegen, dieses Wort zu wiederholen. Es gab nur einen Lümmel unter ihnen, aber dennoch verwahrte er sich strikt dagegen, daß er oder einer seiner Kollegen als solcher bezeichnet wurde. Er sagte förmlich: »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

»Sie werden es nur zu bald wissen, mein Lieber. Wenn nämlich der Chef persönlich mit Ihnen abrechnen wird. Er ist wütend, weil er innerhalb von zehn Minuten von zwei Seiten angerufen wurde. Eltern von Klosterschülerinnen haben energisch dagegen protestiert, daß ihren Töchtern jedesmal Zoten nachgerufen werden, wenn sie die Abkürzung benutzen.«

»Von Zoten ist mir nichts bekannt«, sagte Angus. »Witze von mir aus. Witze reißen die Jungs manchmal.«

»Witze? Sie scheinen nicht zu wissen, wovon Sie reden, Mann! Es handelt sich um Klosterschülerinnen. Und falls Sie’s immer noch nicht kapiert haben: eine davon ist zufällig die Tochter von Mr. Ratcliffe.«

Angus spürte, wie er erstarrte. Er hatte Van gar nicht bemerkt von hier oben; jedenfalls war er nicht sicher gewesen. Schließlich schlug sie nie diesen Weg ein.

»Besser, Sie gehen gleich hinüber. Und zwar schleunigst. Er will mit Ihnen sprechen. Wenn es nach mir ginge, müßte hier einmal tüchtig durchgegriffen werden.« Angus sah Mr. Wilton kühl an. Er mochte Wilton ebensowenig wie Ratcliffe. Nur daß er eben mit Wilton öfter zu tun hatte. Betont langsam schlüpfte er aus dem Arbeitsmantel, hängte ihn an den Nagel, sah dem blassen Mann mit den verkniffenen Zügen ruhig ins Gesicht und sagte: »Es gibt heutzutage eine Menge Arbeitsplätze, wo durchgegriffen gehörte, Mr. Wilton. Das sollten Sie nicht vergessen.«

Danny Füller kicherte sogleich hinter seiner Werkbank los, aber die beiden Männer reagierten gar nicht darauf, sondern gingen rasch nach unten, überquerten den Parkplatz und betraten das Hauptgebäude, in dem sich die Büros befanden.

Angus fuhr mit dem Lift in das dritte Stockwerk, betrat den holzgetäfelten Gang und machte vor der Tür mit der Aufschrift »Jonathan Ratcliffe« halt. Er nahm sich jedoch nicht die Mühe, anzuklopfen, weil er genau wußte, daß er ja doch erst an der Sekretärin vorbeizugehen hatte, ehe er ins »Allerheiligste« gelangte.

Miß Morley sah auf. Sie fragte den stämmigen Arbeiter mit dem zottigen Haar erst gar nicht, was er wollte, sie wußte es. »Warten Sie einen Moment«, befahl sie hoheitsvoll.

Als sie auf die Tür zum Chefbüro zuging, kam jedoch Mr. Wilton ins Zimmer gekeucht und sagte sofort: »Das erledige ich selbst.« Damit verschwand er wieselflink hinter der Tür. Miß Morley wandte sich indigniert um, wobei sie Angus Cotton mit einem durchbohrenden Blick bedachte, der klar und deutlich zum Ausdruck brachte, was sie von ihm und seinesgleichen hielt: Gräßliches Pack, alle miteinander…

Angus hatte gerade eine passende Bemerkung auf der Zunge, als die Tür aufgerissen wurde und Mr. Wilton scharfen Tones sagte: »Kommen Sie ‚rein, Cotton.« Angus wartete einige Sekunden, ehe er gemessenen Schrittes an Mr. Wilton vorbeiging, wobei er ihn scharf fixierte, ehe er seine Aufmerksamkeit auf den Mann hinter dem am äußersten Ende des langgestreckten Raumes befindlichen Schreibtisch richtete.

Obwohl es erst das zweitemal war, daß Angus das Büro seines Chefs betrat, war er überzeugt davon, mehr über diesen Mann zu wissen als irgendein anderer der tausend Angestellten der Firma.

Er war acht Jahre alt gewesen, als seine Mutter als Zugehfrau im Hause der Ratcliffes zu arbeiten begonnen hatte. Das war alles gewesen, was die Ratcliffes sich damals leisten konnten, denn wenn Jonathan Ratcliffe auch technischer Zeichner war und aufgrund seiner Entwürfe gut verdiente, stellten er und seine Frau derart große Ansprüche, daß immer Ebbe in der Kasse herrschte. Aber, wie seine Mutter zu sagen pflegte, sie wußten genau, was sie taten, von allem Anfang an. Denn die Gäste, die sie bewirteten, waren stets einflußreiche Leute. Und das machte sich bezahlt, na und ob! Denn heute gehörte Mr. Ratcliffe zu denjenigen, die den Ton in der Stadt angaben. Alles, was man braucht, um weiterzukommen, war und ist ein bißchen Hirn, ein bißchen Einfluß und eine anständige Portion Glück. Nicht zu reden von dem Talent, die richtigen Leute für sich einzunehmen. Diese Fähigkeit, andere für sich, seine Tüchtigkeit, seine Familie und seine Ansichten zu gewinnen, hatte Ratcliffe zum Posten des Direktors verholfen. Einfach über Mr. Bretts Kopf hinweg. Wenn einer hinter diesem Schreibtisch sitzen sollte, dann hätte es Mr. Brett sein müssen. Jedermann wußte das. Aber Mr. Brett befand sich heute noch im Zeichenbüro.

»Erinnern Sie sich an das letztemal, als Sie in mein Büro kamen, Cotton?«

Weder der Ton noch die Worte ließen Angus so zusammenzucken, wie dies beabsichtigt war.

»Ich erinnere mich daran, Sir.«

»Damals haben Sie die harte Arbeit in der Einser-Werkstatt erledigt. Und da wären Sie noch heute, wenn ich Ihnen nicht, Ihrer Mutter zuliebe, unter die Arme gegriffen und Sie in die Dreier-Werkstatt versetzt, ja Sie dort sogar zum Vorarbeiter gemacht hätte.«

Angus holte tief Atem, so daß sich sein mächtiger Brustkorb unter dem Arbeitszeug bedrohlich wölbte, ehe er sagte: »Sie haben mich in die Dreier-Werkstatt versetzt, Sir, weil Mr. Brett, der einige meiner Zeichnungen gesehen hatte, fairerweise der Meinung war, daß man mir eine Chance geben sollte und mich deshalb Ihnen empfohlen hatte.«

Jonathan Ratcliffe ließ die Faust auf die Schreibunterlage fallen, warf den Kopf leicht zurück und sagte leise: »Mr. Bretts Empfehlung hätte kaum gezählt, wenn ich nicht ein Wort für Sie eingelegt hätte, das verstehen Sie doch. Und lassen Sie sich ein für allemal gesagt sein, daß ich von mehreren Seiten kritisiert wurde, weil ich andere Empfehlungen übergangen und Sie befördert habe. Solche Möglichkeiten ergeben sich für Arbeiter aus der Einser-Werkstatt nicht oft. Jedenfalls nicht in Ihrem Alter und bei derart geringen Erfahrungen.«

»Haben Sie mich nur deshalb holen lassen, um mir das zu sagen? Dann kann ich Ihnen sofort die richtige Antwort darauf geben: Erstens bin ich ein guter Arbeiter, ein sehr guter Arbeiter sogar, laut Mr. Brett …«

»Schweigen Sie! Wie können Sie es wagen, in einem derartigen Ton mit mir zu sprechen! Sie vergessen, wo Sie sind, Cotton. Sie nützen nur die Stellung Ihrer Mutter in meinem Haus aus. Aber da Sie mich schon fragen: Nein, ich habe Sie nicht deshalb kommen lassen, um Sie daran zu erinnern, weshalb Sie befördert wurden, sondern um Ihnen zu sagen, daß Sie meiner Meinung nach ‒ egal, was Mr. Brett behaupten mag ‒ absolut keine so vorbildliche Arbeit in der Dreier-Werkstatt leisten, weil Sie es nicht verstehen, Ihre Männer im Zaum zu halten. Es muß sich schon ganz schön was zusammengebraut haben, wenn Eltern einmal nach dem Telefonhörer greifen, um sich bei mir zu beklagen, daß ihre Töchter jedesmal, wenn sie hier vorbeikommen, von Fabrikarbeitern mit unanständigen Zurufen bedacht werden. Und Sie lassen das einfach zu.«

»Ich lasse nichts dergleichen zu, Sir.«

»Sie waren dabei.«

»Ich war was??«

»Eines der Mädchen hat es behauptet. Und Sie sogar genau beschrieben: Groß, breitschultrig, blondes Zottelhaar …«

»Nun, dann ist sie eine verdammte Lügnerin, das ist alles, was ich dazu sagen kann.«

»Wollen Sie sich gefälligst einer gemäßigteren Sprache bedienen, Cotton. Sie vergessen, glaube ich, wer Sie sind und wo Sie sich befinden.«

»Ich vergesse weder das eine noch das andere, Sir. Dennoch sage ich, daß sie, wenn sie das behauptet, lügt. Ich stand am Zeichentisch, als ich die Jungs rufen und lachen hörte. Da bin ich hingegangen, habe der Sache ein Ende gemacht und das Fenster geschlossen… Was soll übrigens der ganze Wirbel, Sir? Sie wissen doch genau, daß die Mädels, wenn sie diese Abkürzung benützen, den Arbeitern immer Gelegenheit geben, sie aufzuziehen. Und das ist vielleicht sogar ihre Absicht.«

»Das sind keine Mädels, Cotton, es sind Klosterschülerinnen, junge Damen.«

»Puh!« Angus warf den Kopf in den Nacken; der geringschätzige Ton, mit dem er dieses ›Puh‹ ausstieß, machte Jonathan Ratcliffe noch wütender. Im Moment hegte er nur einen einzigen Wunsch: Diesen Kerl auf immer loszuwerden und einfach seine Kündigung auszusprechen. Aber es gab zwei simple Gründe, weshalb er diesen Wunsch nicht in die Tat umsetzen konnte: Einer war die Gewerkschaft, der zweite, noch schwerwiegendere, seine Mutter. Wenn er den jungen Cotton feuern würde, würden sie Emily verlieren. Und jetzt, wo sie das Geld besaßen, auch vier Dienstboten einzustellen ‒ selbst bei den Löhnen, die derzeit verlangt wurden ‒, war es ganz unmöglich, ohne Emily zurechtzukommen. Mochte das Personal in seinem Haus auch noch so oft wechseln ‒ Emily war beständig und treu. Und blieb. Selbst wenn ihre ungehobelten Manieren eine große Geduldsprobe für seine Frau darstellten, genau wie das aufbegehrende Benehmen ihres Sohnes für ihn, durfte nichts geschehen, was Emily Grund geben würde, zu kündigen. Das wäre eine Katastrophe. Besonders jetzt, so knapp vor Susans Hochzeit und dem jeden Tag erwarteten Eintreffen der Braintrees.

Er strengte sich sehr an, seinen Ton etwas zu mildern, aber er konnte den Kerl nicht ausstehen und ärgerte sich darüber, sagen zu müssen: »Nun, diesmal will ich es noch einmal durchgehen lassen ‒ was die Eltern sicherlich nicht tun werden, das kann ich Ihnen versichern! Aber sollte es noch einmal Vorkommen« ‒ er maß Angus von unten her mit einem wütenden Blick ‒, »werde ich gezwungen sein, strengste Maßnahmen zu ergreifen. Übrigens: Wer waren die Männer, die sich dies zuschulden kommen ließen?«

»Kommt es darauf an?«

»Natürlich kommt es darauf an.« Abermals fuhr er auf Angus los.

»Roland, Weekes, Naylor… und Taggart.«

»Ich werde Mr. Wilton veranlassen, mit ihnen zu reden. Aber«, sein Zeigefinger unterstrich drohend jedes seiner Worte, »ich mache nach wie vor Sie dafür verantwortlich, Cotton. Vergessen Sie das nicht. Dafür werden Sie nämlich bezahlt: für die Verantwortung. Das ist im Moment alles. Sie können gehen.«

Ratcliffe sah zu, wie sich die mächtige Gestalt langsam umwandte, und als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, biß er sich auf die Lippen und murmelte: »Unverschämter Kerl, wirklich!«

Jonathan Ratcliffe verließ sein Büro um achtzehn Uhr. Miß Morley arbeitete noch; genau wie Mr. Wilton. Aber die Werkstätten waren wie ausgestorben. Es standen nur noch drei Wagen auf dem Parkplatz, und irritiert bemerkte er, wie ein Mann den Kopf in die Motorhaube seines Volkswagens steckte. Während er seine Garage auf sperrte, fragte er: »Was nicht in Ordnung, Arthur?« Arthur Brett richtete sich auf und lächelte grimmig. »Es ist diese Woche schon das drittemal, daß er streikt. Ich werde in der Werkstatt anrufen müssen, damit sie ihn abholen.«

Es blieb Jonathan Ratcliffe nichts anderes übrig, als zu sagen: »Nun, steigen Sie ein.«

Als er mit dem Bentley durchs Tor fuhr, das der Portier für ihn aufgerissen hatte, meinte er beiläufig: »Sie sollten sich einen neuen zulegen.«

»Ja, ja ‒ das weiß ich.«

»Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?« Er warf dem Mann, mit dem er seit achtzehn Jahren in enger Nachbarschaft wohnte, rasch einen Blick zu. Jedesmal, wenn er ihm begegnete, fühlte er sich unbehaglich, obwohl dazu, wie er sich immer wieder einzureden versuchte, absolut kein Anlaß bestand. Gut, er hatte ihn überflügelt ‒ aber war es vielleicht sein Fehler, daß er tüchtiger war? Manche Menschen waren nun mal dazu bestimmt, voranzukommen, und andere wieder, auf ihrem Platz zu verharren. Arthur Brett gehörte eben zu letzteren: weil er keinen Schwung, keine Initiative besaß, weil er schwerfällig und altmodisch war. Auch hatte er von Jugend an niemals um etwas kämpfen müssen. Er hatte von jeher seinen wohlbestückten Teller vorgefunden. Es war nicht gut, wenn man es in der Jugend allzu leicht hatte, nicht, wenn man vorwärtskommen wollte.

Als er an der Kreuzung anhalten mußte, sagte er, vor sich hinstarrend: »Ich hatte Unannehmlichkeiten mit Cotton.«

»Sie meinen Angus?«

»Wen sonst? Soviel mir bekannt ist, führen wir nur einen Cotton in unseren Lohnlisten.«

»Was hat er angestellt?«

»Vom Werkstattfenster aus den Klosterschülerinnen Zoten hinterhergeschrien.«

»Angus? Das kann ich nicht glauben. Er ist ein ziemlich rauher Bursche, aber nicht von der Sorte, dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.«

»Er ist Ihr Augapfel, nicht wahr, Arthur?«

»Er ist keineswegs mein Augapfel, aber er hat Ideen. Wenn der eine Chance bekommt, wird er es noch zu etwas bringen. Schade, daß er nicht weiterlernen konnte.

Denn dumm ist er nicht. Der ist alles andere als dumm.« Die letzten Worte waren immer leiser geworden, und dann herrschte Schweigen zwischen den beiden Männern, bis sie am Kai angelangt, rund um den Park und hinauf nach Brampton Hill gefahren waren. Da sagte Jonathan Ratcliffe: »Das Malheur ist, daß er diese Kerle nicht im Zaum halten kann. Anscheinend treiben die es alle Tage so.«

»Dafür können Sie schließlich nicht ihn verantwortlich machen.«

»Finden Sie?« Jonathan riskierte einen kurzen Seitenblick. »Und ob ich das kann. Wenn seine Leute am Fenster herumlungern, arbeiten sie nicht, oder? Ich werde der Sache ein für allemal einen Riegel vorschieben.« Hinter der von Wald gesäumten Fahrbahn blieb der Wagen nach einer scharfen Rechtskurve am Ende einer Lärchenallee stehen. Arthur Brett stieg aus und sagte: »Danke, Jonathan.« Nach dem Aussteigen beugte er sich nochmals herunter und sagte durchs Wagenfenster mit einem schlauen Lächeln: »Was immer Sie mit Angus machen ‒ es wird sich auf Emily auswirken. Ich glaube kaum, daß Jane entzückt wäre, wenn Emily ginge, oder?«

Als Antwort hierauf gab Jonathan lautstark Gas, fuhr an den letzten Lärchen, dann an den Blautannen vorbei, die seinen Grund abgrenzten, durch das imposante Eisentor die langweilig rosafarbene Auffahrt hinauf, die zu seinem ebenso imposanten Haus führte.

›Bower Place‹, wie er seinen Besitz genannt hatte, bildete für ihn sowohl eine Quelle des Vergnügens als auch des Ärgers. Des Vergnügens, weil er es selbst entworfen hatte, weil es sich in einer der besten Lagen der ganzen Stadt befand und weil sein Wert innerhalb der letzten fünf Jahre enorm gestiegen war. 1949 hatte er dem alten Brett für die zwei Morgen Land fünfhundert Pfund bezahlt, und die Errichtung des Hauses hatte ihn gut und gern viertausend Pfund gekostet. Jetzt würde er es keineswegs unter zwanzigtausend hergeben, nach allem, was er im Lauf der Zeit hineingesteckt hatte. Und hätte sein Grundstück einen Zugang zum Fluß auch noch gehabt, wäre es garantiert fünftausend mehr wert.

Das war es, was ihn unentwegt ärgerte: daß Arthur Brett von seiner riesigen Flußuferfront nicht einen Meter verkaufen wollte. Er war genauso dickköpfig wie sein Alter früher. Dabei besaß er keinen roten Heller, denn es kostete ihn sein gesamtes Gehalt, den Besitz in Schuß zu halten. Dennoch dachte er nicht im Traum daran, sich von seinen sechs Morgen Land zu trennen. Reine Bosheit, weiter nichts. Arthur war eifersüchtig auf ihn, weil er die Position bekleidete, die, wie er meinte, eigentlich ihm zugestanden hätte.

Manchmal kochte Jonathan Ratcliffe derart vor Zorn, daß er schon daran dachte, sein Grundstück dem nächstbesten Spekulanten zu verkaufen, der dann, dem Zug der Zeit folgend, mit Sicherheit einen zwanzigstöckigen Häuserblock darauf errichten lassen würde. Dann säße Brett schön in der Klemme. Er war dazu imstande, o ja, er, Jonathan Ratcliffe, war ohne weiteres dazu imstande. Er stellte sich vor, wie der Gemeinderat daraufhin einen Teil von Bretts Gelände konfiszieren und Gemeindebauten darauf errichten lassen würde. Was wollte der schließlich mit sechs Morgen Land? Er rührte keinen Finger. Auf seinem Grundstück sah es aus wie im tiefsten Dschungel.

Ratcliffe betrat sein Haus, marschierte quer durch die Halle, legte seinen Hut auf die vergoldete Marmorkleiderablage, wonach er den Salon betrat, in dem seine Frau und seine beiden Töchter saßen. Sie blickten ihm allesamt entgegen, und seine Frau fragte sogleich: »Nun, was hast du deshalb unternommen?«

»Ich habe mit ihm gesprochen.«

»Mit wem?«

»Mit Cotton natürlich.«

Sie erhob sich. »Also war er es?«

»Er behauptet natürlich das Gegenteil. Angeblich wären es ein paar Jungs aus der Werkstatt gewesen. Aber schließlich ist er für sie verantwortlich. Was ist genaugenommen geschehen?« Damit wandte er sich an seine jüngere Tochter, die mit hochgezogenen Beinen auf der Couch hockte.

»Nichts, soweit es mich betrifft.«

»Nichts, soweit es dich betrifft?« Er runzelte die Stirn. »Das ist ja etwas ganz Neues. Die übrigen drei waren betroffen ‒ jedenfalls ihre Eltern. Ich nehme an, daß das, was deine Schulkolleginnen schockierte, dich nicht schockiert hat, wie?«

»Ich habe nichts gehört, Vater.«

»Du bist doch mit den andern gegangen, oder?«

»Ja natürlich.«

»Und da hast du nichts gehört?«

»Ich war in Gedanken und habe nicht einmal bemerkt, daß die Jungs am Fenster standen.«

»Jungs, Jungs! Es waren Männer, die euch Zoten nachgerufen haben! Und da behauptest du, nichts gehört zu haben?«

Das Mädchen verzog das Gesicht und schloß die Augen. Worauf ihre Mutter in scharfem Ton sagte: »Vanessa! Benimm dich gefälligst nicht so verstockt! Dein Vater redet mit dir.«

Vanessa Ratcliffe stand auf und sah ihren Vater an. Sie war beinahe so groß wie er und gute acht Zentimeter größer als ihre Mutter. Ihr schimmerndes kastanienbraunes Haar fiel vom glatt auf die Schultern nieder und war hinten zu einem Knoten hochgesteckt. Ihre Augen waren braun, groß und rund, die Haut über den etwas betonten Backenknochen seidigglatt, die Wimpern außergewöhnlich dicht. Obzwar ihr Gesicht längliche und schmale Form hatte, waren ihre Lippen von einladender Fülle. Ihr noch nicht völlig entwickelter Körper wirkte ein bißchen eckig und flach. Was ihr Äußeres betraf, glich sie weder Vater noch Mutter, am wenigsten jedoch ihrer älteren Schwester Susan, die ein richtiges Ebenbild ihrer Mutter war. Mit Ray, ihrem zehnjährigen Bruder, der ein paar Minuten vorher aus dem Zimmer geschickt worden war, hatte sie wenigstens eines gemeinsam: die Haarfarbe.

Vanessa war sechzehn Jahre alt und befand sich mitten in dem rastlosen ›Himmelhoch-jauchzend-zu-Tode-betrübt‹-Zustand eines Teenagers. Seit Wochen war sie gereizt und fühlte sich sowohl von ihrer Familie als auch von ihren Schulfreundinnen, ja von jedermann angeödet und unverstanden. Überdies machte sie gerade die Erfahrung rasch wechselnder körperlicher wie gefühlsmäßiger Veränderungen, die sie gleichermaßen erschreckten als auch neugierig machten. Sie wußte natürlich, worum es ging, konnte aber nichts dagegen tun. Sie sprachen wohl in der Schule darüber, aber das half nicht nur keine Spur, sondern verschlimmerte alles höchstens irgendwie.

»Ich habe dich etwas gefragt.«

»Ich habe dir bereits gesagt, Vater, daß ich mich nicht erinnere, etwas gehört zu haben, außer daß die Jungs… die Männer etwas gerufen und dann gelacht haben. Aber«, sie zuckte die Achseln, »die rufen ja immer etwas herunter. Das ist genau der Grund, weshalb die Mädels dort Vorbeigehen. Sie müßten ja nicht. Sie könnten genausogut einen anderen Weg nehmen.«

»Willst du tatsächlich behaupten, daß sie nur deshalb die Abkürzung benützen, weil …«

»Allerdings, Vater. Lucy Fulton zum Beispiel geht Tag für Tag dort vorbei, bloß um sie herauszufordern.« Jonathan Ratcliffe schluckte heftig, dann sagte er: »Nun, die Fultons haben mich nicht angerufen. Aber Mrs. Herring hat es getan und die Mutter von Kathy Young. War es das erstemal, daß sie diesen Weg benützt haben?«

»Ich habe keine Ahnung, weil ich für gewöhnlich allein heimgehe. Jedenfalls verstehe ich nicht, weshalb die beiden deshalb ein solches Getue machen. Du solltest sie einmal reden hören, wenn sie unter sich sind.«

»Halt den Mund!« Jonathan Ratcliffe sah aus, als würde er in der nächsten Sekunde platzen. »Wohin soll das noch führen? Seit ihr laufen könnt, geht ihr in die Klosterschule, und da kommst du daher und behauptest einfach, daß sie…« Seine Entrüstung gestattete es ihm nicht, fortzufahren.

»So reden sie nun mal. Und schließlich« ‒ sie lachte leise ‒ »sind wir keine Kinder mehr, Vater. Ich bin sechzehneinhalb, und Kathy Young ist sogar schon siebzehn.«

»Schweig! Und wenn du sechsundzwanzigeinhalb wärst, würde ich von dir nicht erwarten, den Zoten dieses Werkstättenpacks seelenruhig zuzuhören. Das Malheur bei dir ist, mein Kind, daß du absolut kein Gefühl für Anstand hast. In diesem Punkt scheint das Kloster bedauerlicherweise völlig versagt zu haben. Bist du dir denn nicht bewußt, daß wir zu den führenden Familien der Stadt gehören? Was werden die Leute denken, wenn du ein derartiges Benehmen auf die leichte Schulter nimmst? Andere Mädchen… Wohin gehst du?«

»Nach oben. Ich habe noch Hausaufgaben zu machen.«

»Schön. Das ist noch lange kein Grund, derart herausfordernd dreinzusehen. Und untersteh dich ja nicht, die Tür hinter dir zuzuschlagen!«

Als die Tür überhaupt nicht geschlossen wurde, eilte Jane Ratcliffe wie ein aufgescheuchtes Huhn durch den Salon und tat es für ihre widerspenstige Tochter. Wieder an den Kaminplatz zurückgekehrt, sah sie ihren Mann mitleidheischend an und sagte mit affektierter Stimme: »Jetzt wirst du wohl verstehen, was ich mit ihr durchzumachen habe. Sie wird mit jedem Tag schwieriger. Mit Susan war das nie so.« Sie betrachtete ihre ältere Tochter. »Aber Vanessa wird immer schlimmer.«

»Das ist eine Phase, Mutter ‒ das geht wieder vorbei.« Susan lächelte ihrer Mutter verständnisvoll zu. Sie empfand keine besondere Vorliebe für ihre Schwester ‒ im Grunde genommen hatten sie sich immer in den Haaren gelegen ‒, aber seit ihrer Verlobung war sie ihr gegenüber freundlicher gestimmt. Sie wußte, was mit Vanessa los war: sie litt ja unter denselben Zuständen. Bald würde sie jedoch davon erlöst sein ‒ nur mehr vier Monate, dann war sie verheiratet. Sie wünschte, es würde sich nur mehr um vier Wochen handeln… oder vier Tage… oder gar vier Minuten. Ja, vier Minuten. Oh, sie wußte genau, was los war mit Vanessa. Und wenn ihre Mutter nur eine Spur von Verständnis besessen hätte, dann hätte auch sie es gewußt. Aber Sex war eine Sache, die in diesem Haus als tabu galt. Ihre Mutter hätte ihnen am liebsten eingeredet, daß Babys durch Küsse entstünden. »Wohlgemerkt, Susan: Sollte je ein Junge versuchen, dich zu küssen, mußt du die Lippen fest geschlossen halten.« Das war die Art von Aufklärung, die sie erhalten hatte. Wenn sie einmal Kinder haben sollte, würde sie ihnen den ganzen Klimbim erklären, sowie sie zehn waren, jawohl. Dieses Alter war absolut nicht zu früh, man brauchte sich ja nur Ray anzusehen. Der kleine Teufel bedurfte garantiert keiner Aufklärung mehr. Man konnte ihm seine Kenntnisse förmlich ansehen. Es würde keine fünf, sechs Jahre mehr dauern, bis ihr Vater erfahren würde, was wirkliche Schwierigkeiten waren, davon war sie überzeugt. Aber sie kam wenigstens hier heraus, und sie war weiß Gott dankbar dafür. Keine zwei Kirchgänge mehr am Sonntag. Brians Familie mochte adelig und mit Titeln versehen sein, aber eines ließ sich getrost annehmen: daß sie so gottlos war, wie man eben nur sein konnte.

Als sie ihre Mutter zu ihrem Vater sagen hörte: »Ich habe es Emily gesagt«, erhob sich Susan. Sie ertrug es einfach nicht, noch länger dazusitzen und abermals das Thema Emily über sich ergehen zu lassen.

»Hältst du das für klug?« fragte Jonathan Ratcliffe und sah seine Frau unter zusammengekniffenen Brauen an. »Allerdings. Weißt du, sie war am Telefon, als Marvis Herring anrief, und natürlich hat sie die Ohren gespitzt, wie immer. Und als Marvis mir sagte, daß ihre Rona behauptet hätte, Angus Cotton sei einer dieser Frechlinge gewesen, da habe ich ohne nachzudenken seinen Namen wiederholt. Ich habe gefragt: ›Angus Cotton? Sind Sie auch sicher?‹ Und Emily stand in der Küchentür, nichts als Augen und Ohren, du kennst sie ja. Also mußte ich es ihr einfach sagen. Ich glaube aber, wie ich erwähnte, tatsächlich, daß es das beste war. Wenigstens hat sie es von unserer Seite aus gehört. Und wenn sie heimkommt und Angus sich lautstark darüber beklagt, daß du ihm den Kopf gewaschen hast, wird sie wenigstens den Grund wissen. Mein Gott…«, sie spitzte nervös die Lippen, »… es ist alles riesig lästig. Weshalb müssen wir uns mit solchen Dingen herumschlagen, ausgerechnet jetzt, wo ich mit dem Wochenendbesuch den Kopf so voll habe. Übrigens, du hast doch Angus nicht tatsächlich heruntergemacht, oder?«

Jonathan Ratcliffe zog die Schultern hoch, was seine tiefe Verärgerung ausdrückte. Das war auch seiner Stimme zu entnehmen, als er sie anfuhr: »Ich habe nur mit ihm geredet, meine Liebe, Aber nicht in dem Ton, wie ich es gerne getan hätte. Die Vorstellung, daß ich mich auf immer und ewig mit den Unmanieren dieses Flegels werde abfinden müssen, nur weil wir ohne seine Mutter nicht zurechtkommen, ist wirklich… Hör mal, Jane.« Er redete nun mit erhobenem Zeigefinger auf sie ein. »Ich bin überzeugt davon, daß du in einer der Stellenvermittlungen jemanden finden würdest, wenn du dich nur entsprechend umsehen wolltest.«

»Rede keinen Unsinn, Jonathan.« Jane Ratcliffe machte sich so groß, wie ihre ein Meter sechzig es zuließen. »Du weißt genau, daß ich noch gut und gern zwei Kräfte im Haushalt brauchen würde und sie um keinen Preis der Welt bekommen kann.«

»Nun, du solltest eben Irenes Beispiel folgen.« Er deutete mit einer Kopfbewegung nach Bretts Haus hinüber. »Nimm dir ein Au-pair-Mädchen.«

Jane Ratcliffe heftete ihren Blick indigniert auf die Terrasse und ließ eine eindrucksvolle Minute verstreichen, ehe sie sagte: »Darüber haben wir schon hundertmal gesprochen. Ich wünsche nie mehr, weitere Fremde im Haus zu haben. Ich will darüber nichts mehr hören, und ich finde es, milde ausgedrückt, sehr taktlos von dir, daß du immer wieder darauf zu sprechen kommst.«

Himmelherrgott noch mal… hätte Jonathan Ratcliffe beinahe laut geschimpft, aber seine streng religiöse Erziehung bewahrte ihn davor. Innerlich konnte er lästern und fluchen, soviel er wollte: aber nicht einmal das zimperliche Getue seiner Frau und ihre engherzigen Ansichten bezüglich hübscher Schwedinnen würden ihn dazu verleiten, den Namen Gottes zu mißbrauchen. Also drehte er sich auf dem Absatz um und verließ den Salon, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

Als er das oberste Treppenende erreichte, sah er seine jüngere Tochter aus ihrem Zimmer kommen. Sie hatte ihn natürlich gleichfalls sofort gesehen, tat aber so, als hätte sie es nicht. In der Art, wie sie ins Badezimmer ging, lag etwas Trotziges. Sie war von Kopf bis Fuß eine einzige Herausforderung. Es überraschte ihn daher gar nicht, in sich plötzlich den brennenden Wunsch zu verspüren, nach der Pferdepeitsche zu greifen und sie tüchtig zu züchtigen. Vor fünfzig Jahren noch hätte er so etwas ohne weiteres tun können. Er erinnerte sich, daß ihm seine Mutter erzählt hatte, wie ihr Vater sie ausgepeitscht hatte, nur weil sie die Todsünde begangen hatte, einfach ins Theater zu gehen. Dabei war es völlig egal, ob es sich um Stücke wie ›Onkel Toms Hütte‹ oder ›Peterchens Mondfahrt‹ handelte: sie hatte ihn vorher nicht um Erlaubnis gebeten und trug das Zeichen seines Zorns für den Rest ihres Lebens als Narbe an ihrem Nacken. Er hatte mit der Handlungsweise seines Großvaters hundertprozentig übereingestimmt. Ein Mann mußte seinen Prinzipien treu bleiben und der Herr im Haus sein. Das mochte altmodisch klingen, aber er dankte Gott dafür, daß dies noch in vielen Familien Geltung hatte.

Als die Badezimmertür heftig geschlossen wurde, dachte er, während er sein Zimmer betrat: An einem der nächsten Tage kommst du dran, junge Dame, jawohl! Aber als er dann seinen Rock auszog, erinnerte er sich, wie sie vorhin gesagt hatte, daß sie sechzehneinhalb sei. Bald würde sie also über das Alter, in dem er sie noch züchtigen konnte, hinaus sein. Nun, man würde ja sehen…

Kapitel 2

Wenn man vom Bahndamm auf die Ryder’s Row hinunterblickte, hätte man meinen können, ein Modelleisenbahn-Enthusiast habe die Szenerie gestaltet: den kompletten Bahnhof mit den Gleisanlagen, den Geräte- und Wagenschuppen, den Waschanlagen und den Reparaturwerkstätten. Und gleich dahinter das kurze Gäßchen mit den windschiefen Häusern. Über allem jedoch die Autobahn, die von Fellburn nach Newcastle führte.

Im Verlauf der Jahre waren die Bewohner der Gasse gegen das Gerassel, Getöse und Gestampfe der Züge, gegen das Gezische des Dampfs und die Hunderte von Dieselloks immun geworden. Einige von ihnen waren inmitten dieses andauernden Gelärmes zur Welt gekommen ‒ und dazu gehörte auch Emily Cotton.

Die Cottons hatten sich immer glücklich geschätzt, daß sie im letzten Haus der kleinen Straße wohnten, weil ihr Hinterhof dadurch zweimal so groß war wie der der andern, und weil sowohl die Gespräche der Nachbarn als auch ihr eigener lautstarker Wortwechsel auf diese Weise wenigstens nur durch eine Mauer drang. Samstagmorgens fiel ihre Unterhaltung stets am lautesten und durchdringendsten aus, denn da waren sie allesamt daheim: Mutter Emily, Sohn Angus und Tochter Rose.

An diesem Samstagmorgen ging der Wortwechsel zwischen Angus und Rosie vergleichsweise leise vor sich. Obwohl keiner von beiden es offen zugeben wollte, kam ihnen das Haus wie ausgestorben vor, wenn ihre Mutter nicht daheim war. Dann fehlte einfach die richtige Atmosphäre. Hier und da sagten sie wohl: »Du meine Güte, ist es nicht richtig friedlich ohne sie«; aber dann sahen sie auf die Uhr und wünschten die Stunde herbei, wo Emily zur Tür hereinplatzen würde.

»Sie ist heute ziemlich spät dran, findest du nicht?« Angus steckte den Kopf in die enge Spülküche, in der Rosie eben zwei Suppenkonserven in einen Topf goß. »Wetten, daß sie auf dem Heimweg beim Basar vorbeigeht? Den kann sie um nichts in der Welt auslassen.«

»Samstagvormittag auch noch bei denen arbeiten. Und am Sonntag danach werden sie sie erst recht brauchen. Warum, zum Teufel, gibt sie’s nicht auf! Es besteht keine Notwendigkeit mehr dafür, daß sie in ihrer Stellung bleibt. Sie hat in ihrem Leben schon genug gearbeitet.«

»Sag ihr das ja nicht«, sagte Rosie und schob sich die schwarze Mähne zurück. »Sie kratzt dir glatt die Augen aus.«

»Sehen wir der Wahrheit doch einmal ins Gesicht. Sie kann nicht alles machen. Schau dir nur unsere Behausung an. Wie in einem Schweinestall sieht es hier aus. Sie hat genug, wenn sie heimkommt, das ist klar. Aber jetzt brauchen wir doch das Geld nicht mehr. Ich muß wirklich einmal mit ihr darüber reden.«

»Sei nicht albern, Angus. Denk doch nur einmal nach. Du weißt genau, daß Ratcliffe dich unter irgendeinem Vorwand abschieben würde, wenn Mama droben wegginge.«

»Ich weiß nichts dergleichen.« Angus reckte angriffslustig das Kinn in die Luft. »Auf den Versuch möchte ich es ja gerade ankommen lassen. Was glaubst du, wie mir zumute ist bei der Vorstellung, daß ich alles nur ihr zu verdanken habe… zumindest ist es das, was alle miteinander denken. Aber laß es dir ein für allemal gesagt sein: Ich habe den Job aufgrund meiner Leistungen bekommen. Ausschließlich aufgrund meiner Leistungen, wohlgemerkt!«

»Schön, deshalb brauchst du dir nicht gleich die Kehle heiser zu schreien, ich höre ausgezeichnet.«

Das Rumsen der rangierenden Waggons war eine Zeitlang das einzig hörbare Geräusch, bis Rosie sagte: »Da ist sie.«

Als die Hintertür aufging, pfiff gerade eine Lokomotive vorbei, als wollte sie Emily Cotton gebührend ankündigen. Emily kam verkehrt zur Tür herein, diese mit ihrem festen Hinterteil schwungvoll aufdrückend, und ließ einen Packen Kleidungsstücke aus ihren Armen auf den Tisch fallen.

»Oh, Mam, paß doch auf das Brot auf!« Rosie zog den Laib unter dem Textilberg hervor, dann musterte sie die diversen Stücke. Sie hob eine Jacke hoch und sagte: »Die ist in Ordnung. Was hast du dafür bezahlt?«

»Drei Pence, was sagst du? Da…« ‒ sie wandte sich an Angus: »Ich hab’ dir ein paar Hemden gekauft. Die taugen sehr gut für deine Arbeit.« Damit warf sie ihrem Sohn zwei Wäschestücke zu, die er auffing, ohne sie anzusehen, gleich auf einen Stuhl legte und sagte: »Ich hab’ dir doch schon hundertmal erklärt, Mam, daß ich keine getragenen Sachen mag.«

»Du warst einmal verdammt froh, was Getragenes zu kriegen, laß dir das flüstern, mein Lieber.«

»Nun, heute bin ich es nicht mehr, Mam. Also kauf so was erst gar nicht für mich.«

»Heiliger Bimbam!« Emily Cotton ließ sich in einen Stuhl fallen, zog einen Fuß langsam zum Knie hinauf, massierte heftig ihre geschwollenen Knöchel und brummte: »Wenn ich nicht vom Regen in die Traufe komme. Den größten Teil meines Lebens verbring ich mit verdammten Emporkömmlingen. Die da droben müssen sich dauernd den Nacken massieren, so hoch recken sie pausenlos ihre Nasen. Und wenn ich heimkomme, erklärt mir mein eigener Sohn, daß er zu fein geworden ist, die Hemden eines andern zu tragen. Laß dir gesagt sein, du Großmaul« ‒ sie machte eine drohende Handbewegung ‒, »Hemden von einer derartigen Qualität kannst du dir im Leben nicht kaufen, kapiert?« Angus sah seine Mutter sekundenlang schweigend an, dann legte er ihr den Arm um die Schulter und raunte ihr exaltiert ins Ohr: »Meine liebe Mrs. Cotton, in diesem Punkt irren Sie gewaltig. Ich werde morgen in die Stadt gehen und mir sechs ‒ wohlgemerkt sechs ‒ der allerfeinsten Seidenhemden kaufen, nur um sie zur Arbeit anzuziehen. Die andern sollen die Augen aufreißen, verdammt noch mal.«

Als Rosie in schallendes Gelächter ausbrach, packte Emily ihren Sohn am Schopf, beutelte ihn nicht ausgesprochen sanft, grinste und sagte: »Tjaja, das kenn’ ich. Du wirst und du meinst und du machst und du tust. Aber bis dahin ziehst du diese Hemden zur Arbeit an, verstanden? Oder es setzt was!«

Nun kugelten sich alle drei förmlich vor Lachen. Bis Emily energisch aufschnupfte und schrie: »Alles, was recht ist, so kommen wir nicht weiter! Fürs Albern werden wir nicht bezahlt. Seht zu, daß das Zeug vom Tisch verschwindet und daß wir was zu essen kriegen. Was gibt’s denn?«

Rosie hob den Kleiderpacken hoch, warf ihn auf den Lehnstuhl und sagte: »Suppe und Fisch mit Pommes frites. Die werden jetzt natürlich schon völlig weich sein. Ich hab sie bereits vor einer Stunde geholt. Und dann gibt’s Reispudding. Übrigens, Mam, was hast du für alles zusammen bezahlt?«

»Viereinhalb.«

»Schwindle nicht! Da sind doch gut drei Kleider und zwei, drei Hemden dabei.«

»Ich sag dir, ich hab’ viereinhalb gezahlt und keinen Penny mehr. Und ich hab’ weder was geklaut noch den Preis gedrückt.«

»Sicher hattest du keine Möglichkeit dazu. Wer stand denn am Verkaufspult?« Angus sah seine Mutter grinsend an.

»Die alte Kuh Flanagan. Wenn die in der Nähe ist, kann man wahrlich weder klauen noch was ‚runterhandeln. Obwohl ich genau gesehen habe, wie Alice Brownion etwas in ihre Handtasche gestopft hat. Na ja, die ist ja auch wirklich zu unverschämt. Habt ihr gehört, daß man Millie Taylor gestern schon wieder im Supermarkt erwischt hat? Die kriegt ihr Fett weg, das garantier’ ich euch. Geschieht ihr recht. So habgierig darf man eben nicht sein.«

»Vergessen Sie das nur ja nicht, wenn es Sie wieder mal in den Fingern juckt, Mrs. Cotton«, sagte Angus und wollte schon aus der Küche gehen. Da warf ihm Emily mit Schwung einen alten Teewärmer an den Kopf und schrie: »Hat man schon so was gehört. Spricht man so mit seiner Mutter, Rotzlümmel?«

Als sie sich ein paar Minuten später an den kleinen rechteckigen Küchentisch setzten, meinte Rosie lachend: »Weißt du, Mam, ich hab’ mich oft gefragt, wie du’s fertigbringst, bei denen oben nichts zu klauen.«

»Das hast du dich gefragt ‒ was soll man dazu sagen?« Emily sprach nun richtig ›fein‹: »Mein liebes Kind, man muß wissen, wie man sich wo zu betragen hat. Ich passe meine Sprache immer der jeweiligen Gesellschaft an, in der ich mich befinde, und ich schwöre dir, daß kein Mensch sich kultivierter benehmen kann als ich, wenn ich’s drauf anlege.«

Als Angus sich langsam mit der Hand übers Gesicht strich, veränderte sich ihre Stimme jedoch schlagartig, und sie kläffte ihn an: »Und wenn du dich über deine alte Mutter lustig machst, dann schmeiß’ ich dich eigenhändig zur Tür hinaus.«

»Wer macht sich lustig?« Dabei funkelten seine braunen Augen nur so vor gutmütigem Spott. »Natürlich kannst du dich benehmen, das wissen wir. Sonst wärst du bei denen droben nicht altgeworden. Aber eines hätte mich doch interessiert, Mam: Ob und was deine angestammte Ausdrucksweise bei denen ausrichten würde?«

Sie prusteten allesamt in ihre Suppenteller. Nachdem das Gelächter wieder abgeflaut war, fragte Angus: »Hast du noch etwas wegen der gestrigen Sache gehört?«

»Nicht viel«, sagte Emily. »Sie hat mir nur mitgeteilt, daß der gnädige Herr über die ganze Angelegenheit sehr verärgert war.«

»So, so«, sagte Angus nur.

»Heute früh war sie jedenfalls honigsüß zu mir. Sie hat gesäuselt, daß ihr Mann ja nicht dich dafür verantwortlich mache, sondern die schrecklich gewöhnlichen Kerle, mit denen du arbeitest.«

»Und was hast du darauf erwidert?«

»Nichts. Ich habe schön fein den Mund gehalten. Das macht sich bei ihr stets bezahlt. Ihr könnt euch drauf verlassen: Ich versteh sie schon richtig zu behandeln. Man verbringt nicht achtzehn Jahre lang fünf Tage pro Woche mit jemandem, ohne ihn in- und auswendig zu kennen. Ich bin bedeutend mehr mit ihr beisammen gewesen als mit einem von euch.« Sie nickte den beiden zu. »Das klingt merkwürdig, nicht?«

»Und dabei kannst du sie trotzdem nicht leiden, was?« Emily sah ihren Sohn an und sagte langsam: »Ich hab’ nichts gegen sie. Auf gewisse Art verstehe ich sie sogar. Sie ist richtig aufgeblasen, aber das hat sie nur von ihm. Denn er ist ein widerlich scheinheiliger, frömmlerischer, großmäuliger Tropf. Dazu verschlagen und berechnend obendrein. Und seine Susan gerät ihm voll und ganz nach. Deshalb werde ich auch aus dem Grund heilfroh sein, wenn die Hochzeit vorbei ist, weil ich sie dann los bin.«

»Hast du ihren Zukünftigen schon häufiger zu Gesicht gekriegt?« fragte Rosie neugierig.

»Diese Woche war er zweimal oben. Er ist gar nicht so ohne… Ich werde dir mal was sagen: er besitzt nicht einmal ein Viertel von dem, was die haben.« Wenn er auch einen Lord und einen Admiral zum Onkel hat. Deshalb benimmt er sich genauso wie jeder andere. »Hallo, Emily«, sagt er immer. »Wie geht’s denn so?«

»Tut er garantiert nicht. Du hältst uns nur zum besten.« Rosie schlug spielerisch auf ihre Mutter los.

»Bestimmt nicht. Und fang nicht auch du noch an, auf mich loszugehen.« Er kam in die Küche, als ich das Essen zubereitete und hat gefragt: »Hallo, Emily. Wie geht’s denn so? Was panschen Sie uns denn heute wieder zusammen?«

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich. Aber natürlich hat er das nur scherzhaft gemeint. Denn dann hat er losgelegt, was ich für eine ausgezeichnete Köchin sei. Und das ist mehr, als die da droben mir in all den Jahren gesagt haben. Von meiner eigenen Familie ganz zu schweigen.«

»Was weiß denn deine Familie von deinen Kochkünsten, frag ich dich? Wir kennen sie doch bloß vom Hörensagen«, hänselte Angus seine Mutter in der Erwartung, daß sie darüber lachen oder ihm abermals eins auswischen würde. Aber sie ließ die Gabel plötzlich auf den Teller sinken, blickte darauf nieder und sagte ungelenk: »Es tut mir leid, daß ich dich vernachlässigt habe.«

Seine Miene drückte blanke Bestürzung aus.

»Himmel, Mrs. Cotton!« rief er und stieß den Stuhl zurück. »Kommen Sie uns ja nicht auf die sanfte Tour. Im Ernst, Mam, du weißt genau, daß ich dich bloß aufgezogen habe. Wenn du uns zum Wochenende nichts kochst, liegt es nur an uns, weil wir’s nicht zulassen. Stimmt’s, Rosie?«

»Natürlich, Mam. Weißt du, was?« Rosie legte die Hand liebevoll auf den dicken Arm der Mutter. »Du bist müde, das ist es. Klar, daß er dich nur aufgezogen hat, der kann’s ja nie lassen. Du und uns vernachlässigen! Meinst du, wir wüßten nicht, wo wir wären, wenn du nicht dein Leben lang arbeiten gegangen wärst? Wenn es uns nie an was gefehlt hat, dann verdanken wir das allein dir.«

Emily ließ den Kopf sinken und preßte die Lider fest zu, als sie die Tränen hochsteigen spürte; dennoch liefen sie ihr langsam über die Wangen. Weil sie sich über ein derart ungewohntes Benehmen ihrer Mutter Sorgen machten, umarmten Angus und Rosie sie fest und drückten sie an sich.

»Paß auf«, sagte Angus. »Was du brauchst, ist ein richtiger Urlaub. Eine Pause… aber eine ausgiebige.«

»Ich brauche keinen Urlaub«, sagte Emily ruhig. »Schön, dann brauchst du zumindest eine Abwechslung, Mam.« Rosie strich über das grell und schlecht auf tiefschwarz gefärbte Haar ihrer Mutter. »Wie wär’s, wenn wir heute abend in den Klub gingen? Du bist seit Wochen nicht mehr dort gewesen. Das ist doch eine gute Idee, oder?« Sie sah zu Angus auf. »Stan wird vorbeikommen, weil wir ursprünglich ins Kino wollten. Aber es ist ihm sicher egal, wo wir hingehen, solange wir uns nur gut unterhalten. Was meinst du, Angus?«

»Ich bin dabei. Wird bestimmt ein netter Abend werden. Wir zwei werden eine Sohle aufs Parkett legen, daß den andern der Mund sperrangelweit offenstehen wird, wetten?« Er lächelte seiner Mutter verschmitzt zu, sie zwinkerte rasch, schnupfte auf, lächelte schließlich und meinte: »Tja, ein Tänzchen würde mir bestimmt guttun, selbst wenn ich die Beine sonst kaum noch hochkriege.« Sie sah auf ihre angeschwollenen Füße nieder. »Auf alle Fälle geh ich jetzt einmal nach oben und lager sie ein bißchen hoch, dann wird’s schon klappen.« Sie erhob sich etwas mühsam ‒ Rosie begleitete sie bis zur Treppe und blickte ihr nach, bis sie verschwunden war. Dann kehrte sie in die Küche zurück und sagte zu Angus: »Komisch. So habe ich sie noch nie gesehen.«

»Sie ist müde«, sagte Angus leise. »Müde und verbraucht, das ist es.«

»Aber sie ist doch noch nicht alt«, sagte Rosie traurig. »Eben erst über fünfzig.«

»Nun, in den letzten zwanzig Jahren hat sie so viel geleistet, daß sie sich ebensogut wie achtzig Vorkommen könnte. Mich wundert, daß sie nicht schon früher zusammengeklappt ist.«

»Und ich hab’ mir immer eingebildet, sie sei stark wie ein Pferd.«

»Auch Pferde werden alt und müde, weißt du das nicht? Geh nach oben und sieh nach, wie es ihr geht, Rosie.« Als Rosie das Zimmer ihrer Mutter betrat, lag Emily im Bett. Ihre bestrumpften Beine wiesen deutlich vorspringende Höcker entzündeter Ballen auf. Ihr Bauch glich einem ausbuchtenden Hügel, den das Gürtelband noch dazu hervorpreßte, und ihr massiges Gesicht hob sich vom tiefschwarzen Haar besonders blaß ab.

»Geht’s dir wieder besser, Mam?«

»›O ja, Kind, viel besser. Ich bin nur etwas müde.‹« Rosie setzte sich ans Bett. »Macht dir irgend etwas Sorgen, Mam?«

»Tja…« Emily starrte ihre Tochter eine volle Minute an, ehe sie antwortete: »Etwas macht mir allerdings Sorgen.«

»Was denn, Mam?«

»Angus.«

»Angus? Aber warum denn nur? Er ist großartig beisammen, wirklich tüchtig und hat eine feste Anstellung.«

»Ja, er ist gut beisammen und tüchtig, das weiß ich schon. Aber das mit dem Festangestelltsein, das ist nicht so sicher. Weißt du, was?« Emily zog sich hoch, stützte den Ellbogen auf dem Polster, beugte sich zu ihrer Tochter hinüber und flüsterte: »Wenn ich dort oben morgen fortginge, würde er Angus rascher an die Luft befördern, als du denkst.«

»Mr. Ratcliffe? Das kann er gar nicht, Mam. Dazu müßte er einen Grund haben. Wenn er ihn wegen nichts und wieder nichts entlassen würde, geriete die ganze Fabrik außer Rand und Band, alle, wie sie dasind. Du erinnerst dich doch, wie sie’s vergangenes Jahr getrieben haben wegen John Petrick. Drei Wochen lang haben sie gestreikt, und dann mußte er doch wieder eingestellt werden. Sie können Angus nichts anhaben.«

»Es gibt Mittel und Wege, Kind. Und ich wette mit dir, um was du willst, daß sie die Schuld an der gestrigen Geschichte glatt ihm in die Schuhe geschoben hätten, wenn sie nicht fürchten würden, mich dann zu verlieren.«

»Nun, ich kann verstehen, daß sie davor Manschetten haben, Mam. Denn so jemanden kriegen sie nicht alle Tage.« Rosie tätschelte die Hand ihrer Mutter, und Emily sagte fest, aber ohne die geringste Spur von Anmaßung: »Das weiß ich, und sie wissen es, und die Gnädige weiß es ganz genau: Wenn es nicht wegen Angus gewesen wäre, ich wäre schon vor einigen Jahren gegangen.« Sie senkte plötzlich die Stimme und sagte: »Ich bin müde, Rosie.« Dann warf sie rasch ein: »Nicht daß ich mich schlecht fühle oder krank. Ich bin bloß müde. Müde, Kind, müde, für anderer Leute Familien zu arbeiten. Ich möchte in meinem eigenen Haus bleiben und es in Ordnung halten können und gute Mahlzeiten für euch bereit haben, wenn ihr heimkommt… Ach, ich weiß, du wirst nicht mehr lange daheim bleiben, Kind, du wirst heiraten. Und auch Angus wird über kurz oder lang jemanden nach seinem Geschmack finden, falls er nicht doch May nimmt. Und dann werd ich mir wahrscheinlich dringend wünschen, Arbeit zu haben. Aber die kann ich immer kriegen, das macht mir kein Kopfzerbrechen. Bis es jedoch soweit ist, da hätte ich gern eine Zeitlang für mich. Nicht nur ein, zwei Wochen Urlaub ‒ sie hat mir so was versprochen, nach der Hochzeit, weißt du ‒, nein, einen Monat oder ein, zwei Jahre.«

»Oh, Mam!« Rosie war nun ehrlich besorgt und legte den Kopf auf die Schulter ihrer Mutter, und ihre Stimme klang gebrochen, als sie abermals sagte: »Oh, Man.«

»Reg dich doch nicht auf, Kind. Und wehe«, sie schob die Tochter energisch von sich, »wenn du Angus ein Wort davon verrätst.«

»Ich bin doch nicht verrückt! Aber ich sag dir was: Der kann überall arbeiten. Es gibt Dutzende Firmen, wo er morgen anfangen könnte, schlimmstenfalls Montag.« Sie lachte kurz auf.

»Das weiß ich. Aber nicht mit den Aussichten, die er bei Affleck hat. Mr. Brett hat ihn nun mal unter seine Fittiche genommen und wird es weiter tun, wie ich ihn kenne. Ich möchte es erleben, daß aus ihm was wird, Kind. Nicht nur ein Arbeiter, wie unsere Väter und Großväter es waren. Ich möchte sehen, wie unser Angus richtiggehend Karriere macht. Das Zeug dazu hat er, man muß ihm bloß eine Chance geben. Du weißt ganz gut, daß er nur von der Schule abging, weil er mir bei der Betreuung von Vater helfen mußte, wo der doch so lange krank dagelegen hatte. Weißt du«, sie setzte sich mit einem Ruck auf und fing, neben ihrer Tochter sitzend, an, ihre ebenfalls verschwollenen Finger zu massieren: »Was man vor allem braucht, um weiterzukommen, sind die richtigen Schulen, nicht eine übermäßig große Portion Hirn. Ratcliffe besitzt meiner Meinung davon nicht mehr als eine Laus, aber er hat die richtigen Schulen besucht. Und sieh nur, wie weit es ihn gebracht hat. Sowie der das Abitur abgelegt hatte, hat er den nötigen Stupser von Freunden erhalten, und nun ist er oben angelangt. Jawohl, die richtigen Schulen sind Grundbedingung, um nach oben zu kommen. Angus hat sie nicht, jedenfalls nicht die nötigen. Also muß er auf andere Weise vorankommen.«

»Aber was kann er denn deiner Meinung nach viel erreichen, Mam? Er hat die Aufsicht über eine ganze Werkstatt. Viel mehr ist bei Affleck nicht drin.«

Emily sah ihre Tochter mit einem abschätzenden Blick an und sagte leise, aber mit Nachdruck: »Er könnte ins Zeichenbüro kommen, das ist es. Deshalb besucht er ja die Abendschule. Er hat natürlich keine Ahnung, daß ich es weiß. Hast du etwas davon gewußt?«

»Abendschule? Nein, Mam. Unser Angus?«

»Genau, unser Angus.«

»Aber er ist doch schon vierundzwanzig.«

»Vierundzwanzig oder nicht, er geht jedenfalls hin. Laß dir jedoch um Himmels willen nichts davon anmerken, daß du es weißt, sonst hört er noch damit auf. Du kennst ihn ja. Wenn er haben will, daß wir’s wissen, wird er’s uns schon berichten. Jetzt geh schön nach unten und sag ihm, daß ich in Ordnung bin, sonst kommt er noch herauf.«

Als Rosie wieder in die Küche kam, fragte Angus: »Wie geht es ihr?« Und Rosie erwiderte: »Sie fühlt sich schon wieder in Ordnung. Jetzt macht sie ein Nickerchen.«

»Sie ist nicht in Ordnung, sag ich dir. Und ich weiß auch, warum sie droben nicht Weggehen will. Weil sie glaubt, daß es sich schädlich auf mich auswirken würde. Da ist sie aber auf dem Holzweg. Er kann mir gar nichts anhaben, und das weiß er auch. Weißt du was?« Er drehte sich zu Rosie herum. »Ratcliffe hat mich als kleinen Jungen schon nicht ausstehen können.«

»Aber weshalb?«

»Ich glaube, ich kenne den Grund.« Er trat ans Fenster und blickte in den engen Hinterhof. Dann fuhr er nachdenklich fort: »Er war es, der mich aufgefordert hat, nicht mehr mit Van zu spielen. Ich erinnere mich genau an den Tag. Es war gleich nach Vaters Tod. Du warst bei Tante Mary untergebracht, und mir hatte Mam gesagt, ich sollte nach der Schule hinaufkommen, dann würde sie mir etwas zu essen zustecken. Sie hatte besonders lange zu tun, weil sie ein großes Dinner gaben, obwohl sie nicht einmal die Rechnung beim Gemischtwarenhändler bezahlen konnten. Jedenfalls hielt ich mich an diesem Tag dicht hinterm Haus auf, als Van auf mich zugelaufen kam. Sie war damals ungefähr fünf. Zufällig stand ein Schubkarren an der Mauer, der Gärtner hatte ihn dort vergessen, glaube ich. Da setzte ich sie hinein und rollte sie immer schneller hin und her, hinauf und hinunter. Sie lachte und schrie vor Vergnügen. Das muß Ratcliffe gehört haben, denn er brüllte mich derart an, daß ich ihn vor Schrecken beinahe über den Haufen gefahren hätte. Er schickte Van kurzerhand hinein, und dann setzte er dieselbe Miene auf, die er auch jetzt manchmal aufsetzt, wenn er mich ansieht, und die unmißverständlich zum Ausdruck bringt, wofür er mich hält: für Abschaum, an dem man sich bloß die Hände schmutzig macht. Aber nicht einmal da hat er Mam auch nur ein Sterbenswort gesagt, er wollte es sich garantiert nicht mit ihr verscherzen. Nur spielen durfte ich von jenem Tag an nicht mehr mit Van. Niemals mehr. Deshalb habe ich mir ja diese Theorie wegen ihm zurechtgelegt, weißt du: Mir kann er getrost zeigen, daß er mich nicht mag, da kommt schon gar nichts dabei heraus. Aber wenn er es Mam zeigen würde, würde sie gehen, und da er das weiß, haßt er nicht nur mich, sondern auch sie und alles, was mit uns in Zusammenhang steht.«

»Geh, das bildest du dir doch nur ein: Mam hassen. Die halten doch weiß Gott was von ihr.«

»Ja, weil sie sie wie einen Bissen Brot brauchen, das ist es. So jemanden bekommt man heutzutage gar nicht mehr. Wer würde denn jetzt noch tagtäglich von acht bis fünf für fünf Pfund wöchentlich schuften und einfach alles machen? Putzen, räumen, bügeln, kochen und servieren auch noch, wenn sie eins von ihren hochfeinen verdammten Dinners geben? Sie halten was von ihr ‒ daß ich nicht lache! Wenn sie morgen sterben würde, käme nicht ein einziger von ihnen zu ihrem Begräbnis.«

»Du bist ungerecht, Angus.«

»O nein, ich hab’ sie nur allesamt durchschaut, vor allem ihn. Er würde ihr am liebsten einen Fußtritt versetzen, und weißt du, warum? Weil sie die einzige ist, die keinen Kotau vor ihm macht. Und weil sie immer und überall das letzte Wort hat. Mag sie’s noch so »kultiviert« vorbringen!«

Die Geschwister mußten lachen, bis Rosie sagte: »Ich möchte wirklich wissen, was sie sagen würden, wenn Mam einmal alles liegen- und stehenließe.«

»Da möcht’ ich gern dabeisein, das gäbe einen fürchterlichen Krach!«

Sie grinsten sich verständnisinnig an. Dann fragte Rosie ihn: »Weshalb bist du heute eigentlich nicht beim Match, wenn du schon Zeit hast? Tut dir die Rückseite noch immer weh?«

»Ich bin ausgetreten.« Angus tanzte wie ein Boxer um den Tisch herum.

»Du bist ausgetreten?« rief sie ungläubig.

»Mhm.«

»Spinnst du? Du hast dich doch weiß Gott wie abgestrampelt, um überhaupt hineinzukommen. So was ist doch eine Ehre, oder?«

Er hörte unvermittelt mit dem Tänzeln auf und wiederholte: »Eine Ehre? Was soll daran eine Ehre sein?«

»Nun, daß du mit Callow, dem Anwalt, gespielt hast und dem jungen Brownlow aus der Wirtschaftsprüfungskanzlei und so.«