Das ewige Leben - Wolf Haas - E-Book

Das ewige Leben E-Book

Wolf Haas

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Beschreibung

Besser als ein Loch im Kopf. Der Brenner sucht einen Mörder. Große Aufregung in der Sigmund-Freud-Nervenklinik in Graz: Einer der Hoffnungslosen, ein Selbstmörder, ist noch einmal zum Leben erwacht. Doch warum glaubt der Privatdetektiv Brenner felsenfest, die Kripo wollte ihn ermorden? Und das, obwohl nach dem Kopfschuss die Tage davor restlos aus seinem Gedächtnis gestrichen sind? Für den Psychiater liegt der Fall ganz klar: Akute Depressionen, ausgelöst durch die Rückkehr in die Heimatstadt Graz. Als sich Brenner aus dem Hospital stiehlt, hält man ihn für vollends verrückt. Doch Brenner hat eine wichtige Spur aus seinem Gedächtnis gefischt, die ihn zu einem ehemaligen Polizeischulfreund führt, der ihm helfen soll, den Mordanschlag aufzuklären. Und der könnte das tatsächlich – läge er nicht mit einem sauberen Kopfschuss tot auf dem Boden. Wird Brenner der Nächste sein?

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Seitenzahl: 253

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Wolf Haas

Das ewige Leben

Roman

Hoffmann und Campe

Das ewige Leben

1 Jetzt ist schon wieder was passiert. Und ob du es glaubst oder nicht. Zur Abwechslung einmal etwas Gutes. Weil erlebst du auf einer Intensivstation auch nicht jeden Tag, dass dir ein Hoffnungsloser noch einmal wird.

Auf einer Intensiv passiert natürlich rund um die Uhr so viel, dass normalerweise niemand vom Personal viele Worte über irgendwas verliert. Und wenn du müde von der Intensiv nach Hause kommst, hast du die meisten Vorfälle schon wieder vergessen, weil eines verdrängt das andere, und wo die Ereignisse sich überschlagen, kommt schnell der Punkt, wo man sagt, alles ganz normal.

Mit dem Herz-Ausschütten hörst du da schon nach ein paar Wochen auf. Lieber ein stummes Abendessen, ein bisschen die gedrückte Stimmung verbreiten, damit kann man die Familie auch tyrannisieren, das ist weniger anstrengend und hat fast den gleichen Erholungswert wie hysterisches Herumbrüllen. Ich erwähne es nur, weil die Frau vom Professor Hofstätter sich immer darüber ausgeweint hat, ausgerechnet bei der Schwester Vanessa, aber die Ehefrau erfährt es eben immer als Letzte.

Umgekehrt die schönen Erlebnisse. Die sind natürlich auf einer Intensiv besonders schön. Ein Patient kann sich wieder rühren, erholt sich komplett, das ist wunderbar. Und wenn dir ein Hoffnungsloser aufwacht, das ist das Schönste, was du erleben kannst.

Aber interessant. Genauso wie Sachen mit der Zeit wieder gut werden können, die am Anfang recht schlimm aussehen, gibt es auch das Umgekehrte. Und es schaut etwas schön tröstlich aus, Sinn und alles, und nach einer gewissen Zeit musst du zugeben, es hat gut angefangen, aber jetzt leider Schutt und Asche. Jetzt leider Mord und noch einmal Mord. Jetzt leider sinnlose Zerstörung.

Aber ich sage, man muss nicht immer alles vom Ende her betrachten. Man kann auch einmal eine gute Sekunde einfach gelten lassen. Einfach nicht zu weit Richtung Ende schauen, dann geht es schon. Zum Beispiel in Graz. Landesnervenklinik Sigmund Freud, sprich Puntigam links, weil Autobahnabfahrt Puntigam und dann links. Ausgerechnet am Neujahrstag! Das war eine Aufregung und ein Jubel, wie der Hoffnungslose aufgewacht ist, frage nicht.

Im Nachhinein ist dem Intensiv-Pfleger immer vorgekommen, dass er am Morgen gleich gespürt hat, etwas ist in der Luft. Wie er am Neujahrstag in die Klinik gekommen ist, hat er schon am Eingang so eine eigenartige Stimmung gespürt. Schon wie er vom Parkplatz hereingekommen ist, eine rein atmosphärische Angelegenheit.

Aber gut, der Intensiv-Pfleger war ein bisschen ein Schwätzer. Mehr gibt mir da schon zu denken, dass sogar die Schwester Vanessa behauptet hat, sie hat es gespürt. Aber erst oben, auf der Station, wie sie aus dem Lift gekommen ist, unten noch nicht. Nur die Schwester Corinna hat gesagt, Blödsinn, sie hat gar nichts gespürt, und sie war sogar als Einzige direkt nebenan im Schwesternzimmer, quasi Seitenhieb auf die Schwester Vanessa, die wieder einmal verspätet aus dem Lift stolziert ist, und da will sie schon den Hoffnungslosen gespürt haben.

Das sind eben die kleinen Rivalitäten, die gibt es auf einer Intensiv genauso wie auf jeder anderen Station. An und für sich ist es nicht so schlimm, wenn eine Schwester am Neujahrsmorgen ein paar Minuten zu spät kommt. Normalerweise Neujahrstag eher ruhiger als sonst, weil die paar Alkoholvergiftungen fallen nicht so ins Gewicht. Nicht halb so schlimm wie die Selbstmorde am Heiligen Abend oder wie die Alkoholleichen nach einem großen Spiel im Arnold-Schwarzenegger-Stadion.

Aber die Schwester Corinna hat es eben aufgeregt, dass die Schwester Vanessa wieder einmal als Letzte aus dem Lift spaziert ist, und schon will sie den Hoffnungslosen gespürt haben. Ich persönlich finde den Oberpfleger weitaus schlimmer, der behauptet hat, er hätte es schon beim Eingang unten gespürt. Da wundert mich direkt, dass er es nicht schon in der Tiefgarage gespürt hat oder bei der Anfahrt auf der Puntigamer Brauerei-Straße.

Obwohl ich ganz ehrlich sagen muss, der Schwester Corinna glaube ich auch nicht, dass sie direkt nebenan im Schwesternzimmer überhaupt nichts gespürt hat. Im Grunde kann man ihnen allen miteinander nicht trauen. Weil interessant, oft wissen die Leute, die selber dabei waren, am allerwenigsten, wie es wirklich war. Und leider sind wir heute so weit, dass die Menschen nicht mehr wissen, was sie spüren. Jeder redet sich alles auf seine Weise ein, und der eine hat immer schon alles am Parkplatz unten gespürt, und der andere hat immer überhaupt nichts gespürt, obwohl er nebenan im Schwesternzimmer war, weil jeder glaubt, er ist es irgendwie seiner Persönlichkeit schuldig, dass er es schon am Parkplatz unten oder nicht einmal im Schwesternzimmer gespürt hat.

Aber pass einmal gut auf, was ich dir sage. Parkplatz gibt es nicht, ganz klar. Aber dass du nur durch eine dünne Wand getrennt überhaupt nichts spürst, das kaufe ich der Schwester Corinna auch nicht ab. Weil du spürst es, wenn keine zwei Meter entfernt einer vom Totenreich zurückkehrt, da ist eine Energie im Spiel, da kannst du so eine dicke Haut wie die Schwester Corinna haben, und du spürst es trotzdem.

Nur in einem Punkt waren sich alle einig. Wie sie den Putzmann schreien gehört haben, ist ihnen sofort klar gewesen, dass es um Leben und Tod geht. Und wie sie dann in das Zimmer hineingestürmt sind, haben sie es gleich gesehen. Der Hoffnungslose sitzt aufrecht im Bett und schaut sie interessiert an.

Dass es so was gibt! Ist der Hoffnungslose wieder aufgewacht. Das musst du dir einmal vorstellen, der hat sich vor drei Wochen in den Kopf geschossen, und der Professor Hofstätter hat immer gesagt, wenn der nicht so einen Quadratschädel hätte, dann wäre er auf der Stelle tot gewesen, aber nichts da, er hat leiden müssen und ist nicht gestorben. Und jetzt sitzt er nach drei Wochen Koma aufrecht im Bett und schaut die Hereinstürmenden so verwundert an, als wären sie gerade von einer anderen Galaxie hereingekommen.

Die Schwester Corinna hat so vorsichtig geflüstert, als hätte sie Angst, der Luftzug ihrer Worte wirft ihn gleich wieder um:

»Herr Brenner?«

Der Hoffnungslose hat ganz langsam den Kopf weggedreht. Nicht weil er damit sagen wollte, dass er nicht der Herr Brenner ist, sondern eben: Lass mir noch ein bisschen Zeit, Schwester, nach drei Wochen Koma plappere ich jetzt nicht gleich durch die Gegend.

»Herr Brenner?«, hat die Schwester Corinna jetzt ein bisschen lauter gesagt.

Und dann schon fast mit ihrer normalen Lautstärke, sprich Tote aufwecken: »Herr Brenner? Hören Sie mich?«

Weil die Schwester Corinna hat geglaubt, sie kann es erzwingen, und wenn er schon aufwacht, muss er auch was sagen.

Aber nichts da, der Brenner hat sich von der erhöhten Lautstärke überhaupt nicht beeindrucken lassen und wieder nur so langsam den Kopf geschüttelt, als hätte er mit der Erdkugel gewettet, und wer weniger als eine Umdrehung pro Tag schafft, hat gewonnen.

»Herr Brenner?«

Aber drei Tage hat sie dann schon noch warten müssen, bis der Brenner zum ersten Mal den Mund aufgemacht und ganz schwach und leise geflüstert hat:

»Lustig samma, Puntigamer!«

2 Und Recht hat er gehabt, dass er noch ein bisschen gewartet hat mit dem Reden. Weil mit dem Reden haben dann die Probleme für ihn erst richtig angefangen. Beim Aufwachen hat er im ersten Moment noch geglaubt, er ist in den Himmel gekommen, so eine starke Ähnlichkeit hat der Putzmann mit dem Jimi Hendrix gehabt. Und jetzt diese elendige Streiterei zwischen den beiden Kapazitäten.

Den Brenner hat es wahnsinnig belastet, wie er bemerkt hat, dass der Chirurg und der Psychiater sich derart um ihn streiten. Und da sieht man wieder einmal die gesunde Konstitution vom Brenner. Dass er das in seinem Zustand überlebt hat. Weil das war ein emotionaler Stress, Kugel nichts dagegen.

Ich glaube, manchmal hat es dem Professor Hofstätter schon fast Leid getan, dass er dem Brenner die Kugel so schön herausgefischt hat. Im Grunde hat ihm der Erfolg mit dem Brenner mehr Ärger als Freude bereitet. Ist ja überhaupt ein bisschen verhext, dass die Freude über einen Erfolg nie lange anhält. Einen Ärger kann man schön aufbewahren, der unterhält einen bis ans Lebensende, ja was glaubst du, aber Erfolg schnell beim Teufel. Und den Professor Hofstätter hat es eben wahnsinnig gewurmt, dass die Leute von einem Wunder gesprochen haben.

Sogar der GratisGrazer hat in der Überschrift groß »Wunder« gehabt und erst im Kleingedruckten »chirurgische Meisterleistung«. Und nur das langweilige Passfoto von ihm, nicht mit dem schwarzen Porsche, wie er gehofft hätte. Obwohl ich ehrlich sagen muss, da war der Professor Hofstätter vielleicht auch ein bisschen zu ehrgeizig. Sicher, er hat alles tadellos gemacht, da gibt es gar nichts. Aber trotzdem steht dir ein Hoffnungsloser nicht mehr auf, chirurgische Meisterleistung hin oder her. Ohne Wunder geht da gar nichts.

Im Grunde brauchst du sogar zwei Dinge zusätzlich zur chirurgischen Leistung. Erstens das Wunder, und zweitens, und damit wären wir schon ein bisschen beim Psychiater. Beim Dr. Bonati. Weil wenn ich sage, der Chirurg hat sich über den Brenner gefreut, dann muss ich natürlich auch sagen, der Dr. Bonati hat sich fast noch mehr über den Brenner gefreut.

Weil so ein schönes Beispiel, dass ein Selbstmörder hinterher alles abstreitet und behauptet, er hat es gar nicht selber getan, hat der Dr. Bonati überhaupt noch nie erlebt. Als Psychiater bist du natürlich eine gewisse Sturheit gewohnt, da ist noch der größte Esel stolz auf sein Unglück und will partout keinen Schritt zur Seite gehen, zu der Stelle, wo sein ganzes Glück auf ihn wartet wie bestellt und nicht abgeholt. Und trotzdem, so ein Sturschädel wie der Brenner ist dem Dr. Bonati in fünfzehn Jahren noch nicht untergekommen. Das musst du dir einmal vorstellen, schießt sich einer mit der eigenen Walther ein Loch in den Kopf, Testament und alles am Tisch, und hinterher behauptet er, ich war es nicht, die Grazer Kripo will mich beseitigen.

Du wirst sagen, warum hat er nicht mit seiner Glock geschossen, die er sonst verwendet hat, sondern mit dem uralten Walther-Verbau, den er seit den Polizeischultagen auf dem Dachboden im Puntigamer Großelternhaus versteckt hat. Und siehst du, das hat den Dr. Bonati nur umso sicherer gemacht, weil sentimentaler Waffengebrauch, und nicht die moderne Glock, sondern die verbaute Walther aus der Polizeischule, quasi Waffe der Kindheit.

Die ganze Diskussion natürlich erst ein paar Wochen, nachdem der Brenner aufgewacht ist. Erst wie der Brenner dann langsam mit dem Sprechen angefangen hat, quasi ganze Sätze. Und ganze Sätze immer gefährlich. Der Dr. Bonati hat seinen interessantesten Patienten bearbeitet, da war der Brenner richtig froh, dass er am linken Ohr noch nichts gehört hat.

Weil links hineingeschossen, das war ja sein bestes Argument gegen den Dr. Bonati, links schießt man sich nicht hinein als Rechtshänder. Aber der Dr. Bonati auch gutes Argument, pass auf: links hinein wegen der Migräne. Weil du darfst eines nicht vergessen. Mit der chirurgischen Meisterleistung ist es nicht getan, und mit dem Wunder allein ist es auch noch nicht getan, wenn du dir eine Kugel in den Kopf schießt. Du brauchst auch die Migräne, damit du aus alter Feindschaft falsch ansetzt.

Mit dem Wunder und mit der Migräne zusammen ist der Brenner noch einmal aufgewacht. Aber dann natürlich. Sitzen, stehen, gehen, hören, sprechen. Da hilft dir das Wunder nichts, da hilft dir die Migräne nichts, das musst du selber lernen. Sprich Training. Wochen und Monate kämpfst du da um jeden Zentimeter und um jeden Buchstaben. Wenn du Glück hast. Und wenn du Pech hast, Jahre, und du kannst immer noch nicht richtig gehen und sprechen.

Vom Sehen rede ich gar nicht. Weil natürlich, der Sehnerv. Der mag es gar nicht, wenn du ihm mit einer Kugel kommst. Gott sei Dank der Sehnerv vom Brenner nicht ganz kaputt, nur beleidigt, sprich, der Brenner hat zwar mit dem linken Aug einen etwas rötlichen und mit dem rechten Aug einen mehr grünlichen Dr. Bonati gesehen, aber eben doch eindeutig den Dr. Bonati. Und er war froh, dass er mit den Augen unterschiedliche Farben gesehen hat. Weil gute Ablenkung, die ganze Zeit heimlich vergleichen, links ein mehr rötlicher Psychiater, rechts ein eher grünlicher Psychiater, quasi Meditation. Rechts war der Psychiater grün vor Ehrgeiz, ist dem Brenner vorgekommen, links rot vor Wut auf den Brenner, weil der immer noch behauptet hat: »Die Kripo wollte mich beseitigen. Der Kripochef wollte nicht, dass ich nach Graz zurückkomme.«

Der Psychiater hat nur ungläubig den Kopf geschüttelt, bis der Brenner wild geworden ist.

»Glauben Sie, ich bin so blöd?«

Ich muss auch sagen, gutes Argument. Schließlich weiß heute jedes Kind, wie man sich korrekt umbringt, da wird dir schon im Kindergarten haarklein erklärt, wie die Tante sich die Überdosis in jahrelanger Kleinarbeit zusammengespart hat, die lernen schon im Kinderfernsehen, unbedingt in den Mund schießen, am besten vorher noch einen guten Schluck Wasser in den Mund nehmen, Mineralwasser oder Leitungswasser, das ist Geschmackssache, kann auch ein Fruchtsaft sein, Hauptsache ein Schluck Flüssigkeit, damit dir der Druck schön den Schädel zerreißt, aber ja nicht seitlich, sonst wirst du womöglich blind davon, weil der Sehnerv. Und darum sage ich, gutes Argument vom Brenner. Weil nach fünfundzwanzig Jahren im Polizei- und Detektivdienst kann man ein Mindestwissen in punkto Selbstmord in Anspruch nehmen, und so einer weiß einfach, wo er hineinschießen muss.

Und was sagt der Psychiater? Mit einem kalten Lächeln?

»Jaja, das lässt sich schon erklären, Herr Brenner.«

»Lässt sich schon erklären, Herr Brenner«, hat der Brenner wiederholt. Von der Logopädin war er es so gewohnt, dass er immer das Vorgesprochene nachsprechen muss, jetzt hat er einerseits vor lauter Wut den Psychiater nachgeäfft, andererseits vor lauter Verzweiflung die Situation ein bisschen verwechselt und wie bei der Logopädin das Gesagte wiederholt. Weil er hat jetzt schon gewusst, womit der Dr. Bonati wieder daherkommen wird. Da hätte man glauben können, der Brenner ist der Logopäde und der Dr. Bonati muss reden üben, mit so einer Beharrlichkeit hat der immer wieder dasselbe Argument wiederholt.

»Die Migräne, Herr Brenner«, hat der Dr. Bonati gesagt.

»Die Migräne, Herr Brenner«, hat der Brenner wiederholt.

Am meisten hat ihn geärgert, dass er dem Dr. Bonati das mit der Migräne überhaupt erzählt hat. Weil das hat sich der Brenner in den ersten Gesprächen herauslocken lassen, wo es am Anfang heißt, bitte die tausend Zettel schön ausfüllen, Herr Selbstmordkandidat, und welche Medikamente nehmen Sie regelmäßig. Da hat er nicht lange herumgeredet und angegeben, dass eben die eine oder andere Kopfwehtablettenfirma ohne ihn schon längst in Konkurs gegangen wäre. Der Brenner hat geglaubt, er muss es sagen, damit sie ihm nicht die falschen Medikamente geben, weil das muss heute alles schön aufeinander abgestimmt sein, ja was glaubst du. Ist in deinem eigenen Interesse, vor allem, wenn du willst, dass dein Sehnerv die Welt vielleicht doch noch einmal ein bisschen gleichmäßiger einfärbt.

Links ein rötlicher Dr. Bonati, rechts ein grünlicher Dr. Bonati. Seine Gesichtsfarbe ist hin- und hergehüpft wie die reinste Ampel. Und wenn du das immer wieder probierst, fallen dir natürlich die anderen Sachen auch auf. Die Ohrläppchen vom Dr. Bonati angewachsen, sprich schlechter Charakter, keine einzige Querfalte auf der Stirn, aber drei Steilfalten, sprich Hintergedanken, und die Augenbrauen zusammengewachsen, sprich Alarmstufe rot.

Weil das ist in den Polizeischulbüchern noch so drinnen gestanden. Die Merkmale. Die Verbrechervisagen. Inzwischen natürlich nicht mehr, da sagt man ganz modern, man kann den Charakter nicht an den Ohrläppchen ablesen, und der Brenner hat das schon damals in der Polizeischule nicht geglaubt. Aber interessant, auf seine alten Tage sieht er, dass es doch stimmt, weil das Gesicht vom Dr. Bonati ist ihm beim Augenvergleich jedes Mal noch unsympathischer geworden, zuerst rot unsympathischer als grün, dann wieder grün noch unsympathischer als rot, dann wieder rot noch einmal unsympathischer als grün, und ewig so abwärts.

Schuld daran war natürlich nicht das Gesicht, sondern die Sachen, die der Psychiater gesagt hat. Weil alles, was dem Brenner am Anfang herausgerutscht ist, hat der Psychiater jetzt wieder ausgegraben und gegen ihn verwendet. Sprich, der Brenner hat sich seitlich genau da hineingeschossen, wo die Migräne ihn ein Leben lang gequält hat.

Ich kann die Verbitterung vom Brenner über diese Unterstellung schon verstehen, Selbstmordversuch, das schaut nicht gut aus im Lebenslauf. Und du darfst den Neid der Leute nicht vergessen, weil Selbstmordneid Volkssport Nummer eins. Da kann ich schon verstehen, dass der Brenner sich das nicht anhängen lassen wollte. Aber ehrlich gesagt. Ganz an den Haaren herbeigezogen war das mit der Migräne natürlich nicht.

Du musst wissen, der Mensch hat diese Ader in der Schläfe, und wenn du Pech hast, erwischst du schon ganz am Anfang bei der Adernverteilung ein schlechtes Exemplar, so wie es früher bei den Autos immer die Montagsautos gegeben hat, weil die Arbeiter am Montag nicht ausgeschlafen, jetzt haben sie das Auto nicht so schön zusammengeschraubt, und wieso soll das bei Adern anders sein, sprich Montagsader, und die funktioniert dann dein Leben lang nie richtig. Pass auf, so eine Montagsader führt manchmal einen Tanz auf, und dieser Tanz ist sehr einfach, Ausdehnen, Zusammenziehen, Ausdehnen, Zusammenziehen. Ist kein besonders schöner Tanz, hat aber einen schönen Namen:

»Migräne«, hat der Dr. Bonati zum hundertsten Mal gesagt. Weil natürlich schon interessant, dass der Schusskanal vom Brenner genau diese Ader gestreift hat.

Der Brenner hat sich an die Stirn getippt, dorthin, wo er immer noch den Verband gehabt hat, aber gemeint hat er natürlich nicht den Verband und auch nicht das Einschussloch darunter, sondern den Vogel vom Psychiater.

»Das ist Ihr Problem«, hat der Brenner gesagt.

Ich glaube, nicht einmal, wenn er ein Ohrläppchen gehabt hätte, hätte der Psychiater damit gewackelt, aber so sind seine Verbrecherohren natürlich vollkommen ruhig geblieben, quasi: Solche Antworten kenne ich schon von meinen Suizid-Pappenheimern.

»Es ist keine Seltenheit, dass die Art des Suizids entsprechend einem chronischen Leiden gewählt wird, Herr Brenner.«

»Wenn ich mich umbringen will, dann weiß ich, wo ich hinschießen muss«, hat der Brenner ebenfalls zum hundertsten Mal gesagt, weil er hat gehofft, irgendwann geht es beim Dr. Bonati vielleicht doch hinein in den Schädel.

»In Ihrem Abschiedsbrief haben Sie die Migräne, die Sie seit Ihrer Heimkehr nach Graz plagte, ja auch eigens erwähnt.«

Der Brenner hat dem Psychiater auf die Stelle an seiner Verbrecherstirn gestarrt, wo er ihm gern einen Schusskanal gemacht hätte. Aber es hat nichts genützt, nicht einmal die besten asiatischen Mönche bringen mit Blicken einen Schusskanal zusammen, und der Brenner schon gar nicht. Und seine alte Walther, mit der er sich angeblich selber hineingeschossen hat, war ja gut verwahrt, angeblich, damit er es nicht noch einmal tut. Und das Operationsmesser, das er aus Angst vor der Grazer Kripo schon ein paar Tage nach dem Erwachen gestohlen hat, ist gut versteckt in seinem Zimmer gelegen. Jetzt was macht man, wenn man seine Walther und sein Operationsmesser nicht dabei hat, und ein anderer lügt etwas von einem Abschiedsbrief daher?

Nichts. Das ist die wichtigste Lehre, die uns das Leben gibt. Ohne Pistole, ohne Messer kannst du die meisten Situationen nicht zu deinen Gunsten verändern. Und da verfallen ja viele in der Verzweiflung auf die Idee, dass sie es in so einer Situation mit Worten versuchen. Das ist der größte Fehler, den du machen kannst. Weil von den Polizeiverhören hat der Brenner ganz genau gewusst, dass es für den Verdächtigen immer besser ist, wenn er nichts sagt. Kein Wort. Und wenn du als Verdächtiger noch so eine gute Antwort hast. Du musst sie für dich behalten. Weil altes Gaunersprichwort: Wer redet, bleibt. Wer schweigt, geht.

»Was ist mit Ihnen?«, hat der Dr. Bonati langsam die Geduld verloren.

Aber der Brenner kein Wort. Wer redet, bleibt. Wer schweigt, geht.

Einmal hat ihn ein Mordverdächtiger mit seinem tagelangen Schweigen sogar so gereizt, dass ihm die Zigarette ausgekommen ist. Ich möchte betonen, ein einziges Mal in neunzehn Jahren, da gibt es weitaus Schlimmere, aber trotzdem, so etwas ist keine schöne Erinnerung. Und auch wenn das jetzt schon dreimal verjährt war, es war dem Brenner immer noch zuwider, dass er das damals getan hat. Noch dazu, wo sich dann herausgestellt hat, dass der gar nicht der Mörder war, aber so ein Pech musst du einmal haben, weil zufällig dieselbe Haarfarbe wie der Mörder. Eines muss ich schon sagen, da kriegst du ein paar Erinnerungen zusammen, wenn du zu lange in diesem Beruf gearbeitet hast. Und seit er in seine Heimatstadt zurück ist, hat es ihm alle möglichen, längst vergessenen Erinnerungen wieder heraufgespült. Im Grunde wäre da ein Abschiedsbrief nicht so unverständlich, quasi Abschied von diesen Erinnerungen, deshalb darf man dem Dr. Bonati nicht böse sein, dass der das so gesehen hat.

»Ihr Mieter hat den Schuss gehört, ist zu Ihnen hinuntergerannt und hat Sie mit der Waffe in der Hand gefunden. Und wenn der nicht so geistesgegenwärtig gewesen wäre, dass er Sie einfach die zweihundert Meter zu uns herübergeliefert hat statt in das UKH, wo Sie eigentlich hingehört hätten, wären Sie bestimmt nicht mehr aufgewacht.«

»Das ist nicht mein Mieter.«

Das war natürlich schon sein erster Fehler. Natürlich war es in dem Sinn nicht sein Mieter, weil der hat das Mansardenzimmer ja schon bewohnt, wie der Brenner ein Kind war, und immer so still, dass die Großmutter ihn »Hausgeist« genannt hat. Der Fehler war, dass der Brenner überhaupt geantwortet hat. Weil jetzt hat er auch noch gesagt: »Waffe in der Hand ist ein Hinweis, dass es kein Selbstmord war.«

Im selben Moment hat er sich schon geärgert, dass er dem Dr. Bonati doch noch auf den Leim gegangen ist und geantwortet hat. Geredet, nicht geschwiegen. Das ist überhaupt eine hochinteressante Sache, dass die Menschen sich oft gerade dann verraten, wenn sie recht gescheit sein wollen. Und statt zu schweigen, hat der Brenner jetzt seine Gescheitheit nicht für sich behalten können. Pass auf, ist auch wirklich eine interessante Sache, die nicht jeder weiß: Durch den Rückstoß schleudert es dem Selbstmörder die Pistole normalerweise aus der Hand. Kommt nur ganz selten vor, dass die Finger sich so verkrampfen, dass die Waffe in der Hand des Toten bleibt.

»Die haben mir die Pistole in die Hand gedrückt.«

»Jaja«, hat der Psychiater zufrieden gelächelt. »Lassen wir es für heute dabei bewenden. Morgen reden wir noch einmal über Ihr Testament.«

»Ich rede überhaupt nichts mehr«, hat der Brenner gesagt. Aber er hat gewusst, jetzt ist es zu spät für trotzige Antworten. Vorher hätte er schweigen sollen statt gescheit daherreden, und nicht jetzt sagen, ich sage nichts mehr. So ist das Sprichwort nicht gemeint. Weil das Sprichwort ganz eindeutig: Wer redet, bleibt. Wer schweigt, geht.

Obwohl. Gegangen ist der Brenner ja schon. Nur. Wohin gegangen? Weil es gibt ein Gehen, das ist schlimmer als das schlimmste Bleiben.

3 Am Anfang war natürlich von Gehen sowieso keine Rede. Weil du wachst nicht aus dem Koma auf und spazierst gleich über den Krankenhausgang. Und das war vielleicht überhaupt seine größte Leistung, da kann man jetzt einmal das ganze Mörder-Finden beiseite lassen und dass wir ohne den Brenner heute unter den Grazer Spitzenbürgern einen unentdeckten Mörder sitzen hätten, das hat er bestimmt auch gut gemacht, und vielleicht wäre Graz ohne den Brenner heute schon ein Chicago, ein Moskau, aber ich sage trotzdem, größte Leistung, dass er noch einmal aus dem Rollstuhl herausgekommen ist und das Gehen wieder gelernt hat.

Jeden Tag einen kleinen Schritt, anders funktioniert das nicht. Zuerst nur im Zimmer, dann sogar ein bisschen Krankenhausgang, und das Gangfenster ist noch ein Traum in weiter Ferne, verlockend, leuchtend, frage nicht, aber unerreichbar. Du kämpfst dich am ersten Gangbett vorbei, am zweiten Gangbett vorbei, du kämpfst dich am Schwesternzimmer vorbei, du kämpfst dich am dritten Gangbett vorbei, am Besuchertischchen vorbei, du kämpfst und kämpfst, und irgendwann bist du beim Gangfenster hinten, am siebzehnten Tag, wenn du es genau wissen willst.

Das ist natürlich ein Triumph, wie ihn ein Gesunder gar nicht kennt. Dann zwei Stunden ausschnaufen und beim Gangfenster hinausschauen, und zurück muss dich die Krankenschwester halb bewusstlos im Rollstuhl bringen, aber irgendwann schaffst du auch den Rückweg, beim Brenner war das am sechsundzwanzigsten Tag nach dem Aufwachen, weil er hat mitgezählt, und wie ihn die Schwester Vanessa zum ersten Mal am Arm bis zum Schwesternzimmer geschleppt hat, war es genau der zehnte Tag, und sechzehn Tage später ist er ohne die Schwester bis zum Gangfenster und allein wieder zurück, siehst du, sechsundzwanzig Tage, das stimmt genau, kein Wunder, weil Zeit zum Nachzählen hat er genug gehabt.

Du wirst sagen, wenn einer am Neujahrstag aufwacht, kann er notfalls auch auf dem Kalender nachschauen. Aber die Ärzte haben gesagt, in jedem Fall ein gutes Gehirntraining, egal ob er regulär mitzählt oder ein bisschen mit dem Kalender schwindelt. Und das stimmt auch, für das Gehirn war es gut. Aber für den Brenner war es nicht gut. Weil die Ärzte haben ja nicht wissen können, welche Gespenster zusammen mit dem Gehirn und zusammen mit den normalen Erinnerungen wieder aufwachen.

Heute glauben ja die Leute, es gibt keine Gespenster, aber das stimmt nicht, es gibt Gespenster. Das hat man jetzt am Brenner so gut gesehen, wie sie langsam wieder dahergekommen sind.

Zuerst einmal nur die alten Erinnerungen, Name, Geburtsjahr, Kindheit in Puntigam, Polizeischule in Graz. Aber mit der Zeit ist es immer weiter heraufgegangen, erste Polizeijahre, dann Kripo, immer weiter herauf ist die Erinnerung gekommen, dann sogar die Detektivjahre, und bis in den vergangenen Herbst, wo er auf seine alten Tage wieder nach Puntigam zurückgekommen ist. Weil der Pächter ist aus der Schreinerwerkstatt von seinem Großvater hinausgestorben, jetzt war das Haus bis auf das eine Mansardenzimmer leer, da hat er sich kümmern müssen, und dann hat er sich gedacht, warum nicht gleich zurück.

Das ist ihm alles nach und nach wieder eingefallen. Immer am Krankenhausgang, beim Gehen-Üben, nie beim Dr. Bonati in der Psychiaterstunde. Wenn du dich auf die Schritte konzentrierst, da kommen dir die meisten Erinnerungen, das ist sehr interessant. Wenn du dich rein auf das Körperliche konzentrierst, auf das Gehen, auf das Schnaufen, auf das Abstützen am Fensterbrett, dann kommt das Geistige beim Gangfenster lawinenweise herein. Nur die letzten drei Tage vor dem Koma sind am Fensterglas abgeprallt. Dass es sowas gibt, die sind einfach nicht hereingekommen, die waren so sauber weggeputzt, Fensterputzreklame nichts dagegen. Als hätte er sie nie erlebt. Von früher ist ihm alles Mögliche eingefallen, sogar Sachen, die er vor der Hirnverletzung nicht mehr gewusst hat. Aber die letzten drei Tage nichts.

Jetzt musst du eines wissen. Das mit dem Krankenbesuch. Es gibt in den Spitälern immer einen großen Prestigekampf unter den Sterbenden, wer kriegt den meisten Besuch. Und wer kriegt vielleicht sogar außerhalb der regulären Besuchszeit einen Besuch, sprich wichtige Patienten mit wichtigem Besuch, und wer kriegt gar nie einen Besuch, sprich der Brenner.

Jetzt natürlich umso auffälliger, dass er nach ein paar Wochen auf einmal Besuch kriegt. Während der Besuchszeit hat er sich immer ganz gern zum Gangfenster gestellt und hinausgeschaut, weil da war immer etwas Interessantes zu sehen, Krankenschwestern und, und, und. Da sind ihm viele Kindheitssachen eingefallen, wenn er so hinausgeschaut hat in das Grazer Winterwetter, wo schon seine Großmutter immer gesagt hat, kein richtiges Wetter, sondern immer ein bisschen ding. Ja siehst du, das ist ihm jetzt auch wieder eingefallen. Von früher tausend Sachen eingefallen, erster Schultag, erstes Sparbuch, erste Zigarette, erste Jimi-Hendrix-Platte, erste Liebe, erster Vollrausch, erste Pistole, erste Uniform, erster Vollrausch in Uniform, erster Sex in Uniform, erste Handschellen, erste Leiche, weil erste Eindrücke einfach immer am lebendigsten.

Es hat ihm gefallen, wie da jeden Tag mehr beim Fenster hereingekommen ist. Außerdem ist er so auch den Besuchern von den anderen Patienten ausgekommen, weil die haben immer so mit diesem Blick geschaut: Kriegt der denn gar nie einen Besuch.

Aber das hätten die sich auch nicht träumen lassen. Dass der Brenner eines Tages Besuch durch das Gangfenster im dritten Stock kriegt. Und noch dazu durch das geschlossene Fenster. Und noch dazu eine halbe Stunde nach Ende der Besuchszeit.

Pass auf. Der Besuch ist so wirklich vor dem Brenner gestanden, den hätte er abwatschen können, und es hätte wirklich geklatscht. Das ist ja nicht wie eine normale Erinnerung, wenn sich so ein beschädigtes Gehirn erholt und auf einmal ist der vergessene Tag wieder da, sondern das war eine materielle Anwesenheit von seinem Besuch, da hat der Brenner jetzt aufpassen müssen, dass er sich nicht zur Wiedergutmachung selber auflöst, damit die Realität schön im Gleichgewicht bleibt.

Und nach einer Sekunde war der Besuch wieder weg. Du wirst sagen, das klingt nach Einbildung. Weil Besuch meistens zu lange, sprich länger als eine Sekunde. Und ich muss auch sagen, Besuch, der nur eine Sekunde bleibt, das wäre Besuch aus einer besseren Welt. Nach meinem Geschmack übertreibt der es sogar ein bisschen mit den Manieren, weil wenn es nach mir geht, darf ein Besuch ohne weiteres einmal zwei, drei Sekunden bleiben, bevor ich ungeduldig werde.

Und trotzdem war es keine Einbildung. Du musst wissen, der Besuch ist ja nicht spurlos verschwunden. Der Besuch hat ihm etwas Schönes zurückgelassen. Jetzt was hat er zurückgelassen? Pass auf, seinen Namen. Köck. Am liebsten hätte der Brenner sich den Namen aufgeschrieben, damit er nicht gleich wieder weg ist. Der Köck. Aber natürlich, schreiben ist noch nicht gegangen, weil das Feinmotorische. Da muss ihm der Schusskanal irgendein kleines Fädchen im Hirn irritiert haben, vielleicht nur ein winziges Flinserl, jetzt war das Feinmotorische beim Teufel. Da müssen wir noch viel üben, hat die Schwester Vanessa immer gesagt.

Jetzt ist dem Brenner nichts anderes übrig geblieben als schauen, dass er sich den Namen auch ohne Aufschreiben merken kann. Merken, hat der Brenner sich selber motiviert, und ihm ist aufgefallen, dass er am ganzen Körper eine Gänsehaut bekommen hat. Gänsehaut hat wieder funktioniert, obwohl das gar keine grobe Sache ist, sondern eine feine, so eine hauchdünne Geisterhand, die dir da über den Rücken fährt, wenn zum Beispiel eine Schwester dich am Arm berührt, oder ein Gespenst aus der Vergangenheit besucht dich. Merken, hat der Brenner sich eingehämmert. Köck. Nicht vergessen.

Jetzt was war ihm da so wichtig? Du musst wissen, es hat damit zu tun gehabt, wo der Brenner am Tag vor dem Mordversuch der Grazer Kripo gewesen ist. Beim Köck. Zuerst einmal nur das Gesicht, dann gleich der Name. Und irgendwo ganz hinten in seinem Hirn sogar die Geschichte. Der Brenner muss in der Dunkelheit ein bisschen versunken sein, weil auf einmal hat ihn die Schwester Vanessa, die er vor einer Sekunde noch unten am Parkplatz gesehen hat, von hinten am Arm berührt.

»Jetzt stehen wir immer noch da!«, hat sie gesagt. Weil vor ihrer Pause ist der Brenner ja auch schon da gestanden und hat hinausgestarrt und sich gewundert, dass in Graz nie ein richtiges Wetter ist. Immer ein bisschen ding.