Das falsche Paradies - Stefan Bouxsein - E-Book

Das falsche Paradies E-Book

Bouxsein Stefan

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Beschreibung

Er war davon überzeugt, den Weg in sein eigenes kleines Paradies gefunden zu haben. Doch das war ein fataler Irrtum mit dramatischen Folgen. Sie war jung und schön und liegt tot auf der Liegewiese von Frankfurts größtem Freibad. Mit einem diffamierenden Spruch auf ihrem Rücken. Sie war Bankerin und inserierte in erotischen Kontaktmärkten. Die Kommissare Siebels und Till ermitteln in den Frankfurter Bankentürmen und bei den sexuellen Kontakten der Toten. Doch dann wird die nächste Frau ermordet. Auch sie war Bankerin. Auch auf ihrem Rücken hat der Täter eine Botschaft hinterlassen. Und es gibt ein drittes potentielles Opfer. Für die Kommissare beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.

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Tagebuch
Mein Tagebuch, 28. August 2002
1
Montag, 19. August 2002
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Mein Tagebuch, 12. Januar 2000
5
Dienstag, 20. August 2002
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8
Mein Tagebuch, 12. Januar 2000
Mittwoch, 21. August 2002
9
Mein Tagebuch, 23. April 2000
Mein Tagebuch, 7. Mai 2000
Mein Tagebuch, 21. Mai 2000
Mein Tagebuch, 29. Mai 2000
10
11
Mein Tagebuch, 29. Mai 2000
12
Donnerstag, 22. August 2002
Mein Tagebuch, 13. Juni 2000
13
14
Mein Tagebuch, 30. Juni 2000
Mein Tagebuch, 22. August 2000
15
Freitag, 23. August, 2002
16
17
Mein Tagebuch, 23. August 2000
Samstag, 24. August 2002
18
Sonntag, 25. August 2002
19
Mein Tagebuch, 15. September 2000
Sonntag, 25. August 2002, 10:00 Uhr
20
Montag, 26. August 2002
Mein Tagebuch, 17. September 2000
21
22
23
Mein Tagebuch, 01. Oktober 2000
24
Dienstag, 27. August 2002
25
Mein Tagebuch, 22. Oktober 2000
Dienstag, 27. August 2002, 14:20 Uhr
26
27
Mein Tagebuch, 05. Dezember 2000
Dienstag, 27. August 2002, 20:00 Uhr
28
Mittwoch, 28. August 2002
29
Mein Tagebuch, 19. März 2001
30
Mein Tagebuch, 5. April 2001
Mittwoch, 28. August 2002, 18:45 Uhr
Mein Tagebuch, 29. Juni 2001
Donnerstag, 29. August 2002
Mein Tagebuch, 27. Juli 2001
31
32
Mein Tagebuch, 29. August 2002
Samstag, 31. August 2002

Stefan Bouxsein

Das falsche Paradies

Kriminalroman

Der Autor

Stefan Bouxsein wurde 1969 in Frankfurt/Main geboren. Studium der Verfahrenstechnik und des Wirtschaftsingenieurwesens an der FH Frankfurt. Seit 2006 verlegt er seine Bücher im eigenen Traumwelt Verlag.

Bisher erschienen von Stefan Bouxsein:

Krimi-Reihe mit Siebels und Till:

Das falsche Paradies, 2006

Die verlorene Vergangenheit, 2007

Die böse Begierde, 2008

Die kalte Braut, 2010

Das tödliche Spiel, 2011

Die vergessene Schuld, 2013

Die tödlichen Gedanken, 2014

Die Kronzeugin, 2015

Projekt GALILEI, 2018

Seelensplitterkind, 2021

Der böse Clown (Kurzkrimi), 2014

Außerdem:

Kurz & Blutig (Vier Kurzkrimis), 2015

Humor: Idioten-Reihe mit Hans Bremer:

Der nackte Idiot, 2014

Hotel subKult und die BDSM-Idioten, 2016

Erotischer Roman von Suann Bonnard:

Die schamlose Studentin, 2017

Mein perfekter Liebhaber, 2019

Erfahren Sie mehr über meine Bücher auf:

www.stefan-bouxsein.de

© 2021 by Traumwelt Verlag

Stefan Bouxsein

Johanna-Kirchner-Str. 20 · 60488 Frankfurt/Main

www.traumwelt-verlag.de · [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung und Titelbild:

Nuilani – Design und Kommunikation, Ralf Heller

www.nuilani.de · [email protected]

ISBN 978-3-939362-06-7

5. Auflage, 2021

Tagebuch

Mein Tagebuch, 28. August 2002

Heute ist es genau ein Jahr her. Jetzt sehe ich die Dinge, die geschehen sind, mit anderen Augen. Doch es ist zu spät. Was geschehen ist, kann ich nicht mehr rückgängig machen. Was mir bleibt, sind einige schöne und noch mehr weniger schöne Erinnerungen. An den Abend des 28. August vor einem Jahr erinnere ich mich aber nur noch schemenhaft.

Ich fühlte mich nicht wohl, als ich mich von ihnen verabschiedete. In meinem Kopf drehte sich alles, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Auch mein Magen drehte sich. Ich hätte nicht so viel Alkohol trinken sollen. Ich trank ja auch sonst nie Alkohol, weil ich wusste, dass ich ihn nicht vertrug. Und dann diese bunten Pillen, die ich geschluckt hatte. Noch nie in meinem Leben hatte ich Pillen geschluckt. Aber sie hatten darauf bestanden. Orangensaft mit Wodka. Drei volle Gläser. Und dann gaben sie mir diese bunten Pillen. Sie sagten mir, dass ich sie schlucken solle, es wäre gut für mich. Und ich schluckte die Pillen. Natürlich schluckte ich die Pillen. Und natürlich trank ich den Wodka. Ich tat alles, was sie von mir verlangten. Sie waren doch meine Familie, endlich kümmerten sie sich wieder um mich. Ich liebte sie doch, liebte sie alle, war nur glücklich, wenn ich bei ihnen sein durfte, wenn sie mir sagten, was ich tun solle.

Ich stieg in mein Auto, schlug die Tür hinter mir zu, öffnete sie wieder, kotzte vor meinen Wagen, entleerte meinen rebellierenden Magen, schlug die Tür erneut zu. Ich startete den Motor und fuhr los. Nur verschwommen sah ich die Schilder, die den Weg nach Frankfurt wiesen. Ich kam auf die Schnellstraße, dachte, ich müsste mich wieder übergeben, doch das flaue Gefühl im Magen ging vorüber. Ich sah auf den Tacho. Einhundertzehn Stundenkilometer zeigte die Nadel, aber ich musste lange hinschauen, um es zu erkennen. Ich fuhr die Rosa-Luxemburg-Straße, die Schnellstraße, die in den Norden Frankfurts führt. Die Ausfahrt zum Nordwestzentrum wollte ich abfahren. Beinahe wäre ich daran vorbeigefahren. Ich sah alles so verschwommen. Ich hätte früher vom Gas runtergehen sollen. Mein Wagen krachte mit hoher Geschwindigkeit gegen die Leitplanke, die die Abfahrt von der Schnellstraße trennte. Ich war nicht angeschnallt, prallte mit voller Wucht gegen die Windschutzscheibe.

Fünf Minuten später lag ich im Rettungswagen, die Fahrt zum Nordwest-Krankenhaus dauerte nur zwei Minuten. Die Sanitäter pumpten mir noch im Fahrzeug den vergifteten Magen aus. In der Notaufnahme wurde schließlich ein Schädelbasisbruch festgestellt, drei Wirbel waren gebrochen, mein Leben hing am seidenen Faden. Die Ärzte versetzten mich in ein künstliches Koma.

1

Montag, 19. August 2002

Till war bereits um 6:00 Uhr morgens wach. Es versprach ein angenehmer Tag zu werden. 25 °C und Sonnenschein waren vorhergesagt und es sah so aus, als ob die Wettervorhersage wieder einmal stimmen würde. Till schlüpfte in kurze Shorts, zog seine Laufschuhe an und machte sich auf in Richtung Rebstockpark. Diese morgendliche Routine würde bald ein Ende haben, der Park sollte einem neuen Stadtteil weichen. Die ersten Bagger standen bereits auf dem weitläufigen Gelände. Till drehte seine Runde wie so oft am frühen Morgen, drei Kilometer lief er in circa zwanzig Minuten. Während er im gemächlichen Tempo seine Strecke lief, wanderten seine Gedanken zurück zum letzten Freitag. Er hatte sich zu einer Übung auf der neuen Schießanlage im Präsidium eingefunden. Jeder Polizist sollte mindestens sechs Mal im Jahr seine Fertigkeiten mit der Schusswaffe trainieren. Es muss an dem guten Wetter gelegen haben, dass der Gaul mit ihm durchgegangen war, beim Training auf der interaktiven Schießanlage. Er fing unwillkürlich an zu lachen, als er an den Gesichtsausdruck von Schneider dachte. Schneider war einer der Ausbilder auf der Anlage. Till hatte das Reh, das plötzlich auf der Leinwand erschien, mit einem sauberen Blattschuss erlegt. Schneider hatte getobt, Tills Kommentar, dass das tollwütige Reh keinen Schaden mehr anrichten würde, hatte Schneider dann endgültig auf die Palme gebracht. Aber Till hatte noch einen draufgesetzt. Auf der nächsten Leinwand war eine Geisel aufgetaucht, eingerahmt von zwei bewaffneten Männern. Mit drei schnell hintereinander abgefeuerten Schüssen aus zehn Metern Entfernung hatte Till der Geisel drei Kugeln in die Stirn gejagt. Schneider war außer sich gewesen, jeder wusste, dass Till der beste Schütze im Präsidium war.

Als er leicht verschwitzt wieder in seiner Wohnung in dem neuen Stadtteil City West ankam, duschte er sich kalt ab, schmierte sich schnell ein paar Brote und wollte sich dann auf den Weg ins neue Präsidium machen. Mittlerweile hatte er sich an seine neue Arbeitsstelle gewöhnt. Das neue Präsidium an der Adickesallee war erst vor wenigen Wochen fertiggestellt worden. Seit ihrem Umzug ins neue Büro gab es nur Routinefälle, alles plätscherte so vor sich hin. Till nahm seinen Nierengurt und seinen Jet-Helm und wollte gerade zur Tür hinaus, als das Telefon klingelte. »Till Krüger«, meldete er sich, obwohl ihm klar war, dass nur einer um diese Zeit bei ihm anrufen konnte.

»Hallo Till, Steffen hier. Gut, dass du noch da bist, wir treffen uns in einer halben Stunde im Brentano-Bad. Leichenfund auf der Liegewiese.«

»Eine Leiche im Brentano-Bad? Morgens um halb sieben? Wie kommt die denn dahin?«

»Frag nicht, wir sehen uns in einer halben Stunde am Haupteingang.« Steffen legte wieder auf, ohne auf eine Antwort von Till zu warten.

Zwei Minuten später verließ Till seine Drei-Zimmer-Eigentumswohnung und holte seine Honda Gold Wing GL 1500 SE aus der Garage. Einen Traum, den er sich erst im letzten Jahr erfüllt hatte. Er bestieg die über vierhundert Kilogramm schwere Maschine, betätigte den Starter und schwebte wie ein König auf zwei Rädern über die Ludwig-Landmann-Straße in Richtung Brentano-Bad. Der Sound des Motors vermischte sich mit den Klängen von Hells Bells, AC/DC ertönte aus den integrierten Lautsprechern. Till wäre jetzt gerne stundenlang weitergefahren, doch bis zum Brentano-Bad waren es nur zwei Kilometer. Er wechselte im Kreisverkehr am Fischstein auf die gegenüberliegende Fahrbahn und bog gleich darauf rechts ab, zum Haupteingang von Frankfurts größtem Freibad.

Steffen Siebels wartete schon am Kassenhäuschen auf ihn. Neben Siebels standen zwei weitere Männer. Der eine war in seiner weißen Bekleidung unschwer als Bademeister auszumachen, der andere hatte eine Kamera umhängen. Till und Steffen schüttelten sich die Hände, anschließend begrüßte Till die anderen beiden Männer. Steffen Siebels stellte sie ihm vor.

»Das ist Lutz Neumann, Herr Neumann ist der leitende Bademeister, die Kollegen von der Streife haben ihn vor einer halben Stunde verständigt. Die Kollegen sind übrigens schon im Bad bei der Leiche. Und dieser Herr hat die Tote gefunden und auch gleich fotografiert.«

»Guten Morgen, Sven Fischer ist mein Name, ich arbeite als freier Journalist und habe einen anonymen Hinweis erhalten. Daraufhin bin ich um 5:30 Uhr heute früh über das Eingangstor geklettert und habe auf der Liegewiese die Frau gefunden, Sie werden ja gleich sehen.«

Neumann, der Bademeister, führte die vier Männer zunächst über die große Ballsport-Wiese, vorbei an der riesigen Leinwand.

»War gestern Abend eine Vorstellung im Open-Air-Kino?«, erkundigte sich Steffen Siebels beim Bademeister.

»Ja, es lief STAR WARS, die zweite Episode. Das war die letzte Vorführung für diese Saison.«

Im Sommer lief auf der Ballsportwiese im Schwimmbad das Open-Air-Kino-Programm. Die Kinobesucher machten es sich mit Decken oder Stühlen auf der Wiese bequem und verfolgten in heißen Sommernächten alte Kinoklassiker oder aktuelle Filme auf der Leinwand.

»Wissen Sie, wie viele Besucher die Vorstellung besucht haben?«, erkundigte sich Siebels. Die vier Männer gingen gerade am Planschbecken für die Kleinkinder vorbei, bis zum Tatort waren es noch ungefähr zweihundert Meter.

»Nein, das kann ich nicht sagen, aber da es gestern Abend sehr warm war, bestimmt noch über 23 ºC nach 22:00 Uhr und der Film sehr beliebt ist, würde ich vermuten, dass mindestens fünfhundert Leute den Film gesehen haben.«

Die vier Männer erreichten die große Liegewiese, die sich um das ovale dreihundert Meter große Schwimmbecken dehnte. Neben der Rutsche auf der rechten Seite des Wasserbeckens konnte Till jetzt die zwei Kollegen von der Streife ausmachen.

»Wie haben Sie denn den anonymen Hinweis erhalten?«, fragte Till den freien Journalisten Sven Fischer.

»Es war heute Morgen, so gegen 5:00 Uhr. Ich lag im Bett, schlief noch fest, als mein Handy läutete. Es dauerte eine Weile, bis ich es registrierte. Ich war immer noch ziemlich verschlafen, als ich mich endlich meldete. Es war ein Mann. Er sprach mit verstellter Stimme. Auf der Liegewiese im Brentano-Bad liegt eine Story, beeil dich, dann hast du sie exklusiv. Ein Freund. Das waren seine Worte. Ich bin sofort hierhergefahren, über das Tor geklettert und habe sie hier gefunden, so, wie sie jetzt da liegt. Ich habe ein paar Fotos geschossen und dann per Handy über Notruf die Polizei gerufen. Und nun sind Sie hier.«

Die vier Männer standen vor der Leiche. Till begrüßte die Kollegen von der Streife, die er noch aus früheren Tagen gut kannte.

Till Krüger ging direkt nach dem Abitur auf die Verwaltungsfachhochschule der Polizei und wurde Jahrgangsbester, ohne sich dafür großartig anstrengen zu müssen. Anschließend verbrachte er drei Jahre als Kommissar bei der Bereitschaftspolizei, die meiste Zeit davon im Bahnhofsviertel. Im Gegensatz zu seinen Kollegen fand er die Arbeit im Stadtkern, wo die Kriminalitätsrate am höchsten ist, immer spannend und abwechslungsreich. Prostitution, Drogendealer, Hütchenspieler, illegale Einwanderer. Ihn faszinierten dieses Bild der Stadt und die Geschichte der Menschen, die sich hinter diesem Bild verbargen. Gleichzeitig nahm er einige Fortbildungskurse der Polizei in Anspruch, hauptsächlich in der Kriminalitätsbekämpfung, aber auch im Bereich Sport/Schießausbildung. Bei einer Razzia in einem illegalen Spielclub im Bahnhofsviertel machte er dann auf sich aufmerksam, als er zwei flüchtige Kosovo-Albaner durch das gesamte Viertel verfolgte und sie schließlich am Mainufer stellte, ohne bei dieser Aktion unbeteiligte Passanten zu gefährden. In seinen Beurteilungen wurde er als stressresistent und draufgängerisch beschrieben. Er galt als ehrgeizig und war ein ausgezeichneter Sportler und Schütze. Sein ausgeprägter Sinn für Humor hatte ihm allerdings schon so manchen Ärger eingebracht, die Aktion auf dem Schießstand war kein Einzelfall. Polizeihauptkommissar Steffen Siebels suchte zu dieser Zeit einen neuen Mitarbeiter, er wurde auf Till aufmerksam und holte ihn zu sich. Seit zwei Jahren arbeiteten sie nun als harmonisches Team bei der Kriminaldirektion K11. Das K11 befasste sich mit Tötungsdelikten, Leichen- und Vermisstensachen. Till wurde zum Polizeioberkommissar befördert, die Aufklärungsquote der beiden gehörte zu den höchsten in ganz Deutschland.

Das beste Team vom K11, Steffen Siebels und Till Krüger, stand nun vor der Leiche im Brentano-Bad. Sie lag auf dem Bauch, keine Blutspuren, keine Wunden. Sie war vielleicht Mitte zwanzig. Bildhübsch, eine Figur, mit der sie als Model Karriere hätte machen können. Die hellblonden Haare reichten bis knapp über die Schultern. Sie war nur mit einem Bikini-Höschen bekleidet und das war ihr bis zu den Kniekehlen heruntergezogen. Etwa einen Meter neben ihr lag das dazugehörige Oberteil. Sie lag im Schatten unter der alten Linde. Es sah aus, als würde sie schlafen.

»Das ist also die Story«, Till deutete auf den Rücken der toten Frau. »Ich bin eine kleine geile Schlampe«, stand mit roten Buchstaben auf ihrer Haut geschrieben.

»Na wunderbar«, seufzte Steffen Siebels. »Da war wohl einer nicht gut zu sprechen auf die junge Dame.«

Till sah sich die nähere Umgebung an. »Nichts als grüne Wiese. Keine Tasche, keine Schlüssel, keine Klamotten, rein gar nichts – nur ein halbnacktes totes Mädchen mit einer nicht sehr netten Botschaft auf dem Rücken. Und irgendjemand scheint das für eine tolle Story zu halten.«

»Dahinten kommen die Kollegen von der Spurensicherung und der Doc ist auch dabei«, Steffen Siebels deutete mit dem Finger in die Richtung der Truppe, die sich ihnen näherte.

Fünf Minuten später untersuchte der Polizeiarzt die Leiche, das Team von der Spurensicherung nahm den Tatort in Augenschein.

»Können Sie schon eine erste Angabe zum Todeszeitpunkt machen?«

Siebels schaute den Polizeiarzt Doktor Petri hoffnungsvoll an. Petri schaute auf seine Uhr. »Jetzt ist es 7:30 Uhr, ich würde sagen so zwischen 3:00 und 4:00 Uhr heute Morgen. Aber viel länger als drei bis fünf Stunden ist der Todeszeitpunkt noch nicht her. Sie wurde wahrscheinlich erwürgt. Schauen Sie hier. Sie hat Würgespuren am Hals und Punktblutungen im Gesichtsbereich. Sehen Sie die Punkte, insbesondere um die Augenregion, das ist ein sicheres Zeichen für einen Erstickungstod. So wie die Würgespuren ausgeprägt sind, würde ich vermuten, dass der Täter hinter ihr stand, als er sie würgte. Aber Genaueres erfahren Sie spätestens morgen aus dem Obduktionsbericht. Ich werde veranlassen, dass die Leiche in die Gerichtsmedizin kommt, das ist doch wunderschönes Anschauungsmaterial für unsere Studenten. Einfach wunderbar ausgebildet, diese Tardieu’schen Flecken, finden Sie nicht?«

Der Arzt deutete auf die Verfärbungen im Gesicht der Toten. Siebels zündete sich eine Zigarette an. So früh am Morgen hatte er noch keinen Sinn für den Humor von dem alten Doktor Petri.

Petri betrachtete sich die roten Buchstaben auf dem Rücken der Toten. »Vermutlich mit Lippenstift geschrieben«, murmelte er vor sich hin.

»Sind Sie sicher?« Siebels kniete sich neben Petri und begutachtete die rötlich schimmernden Buchstaben auf der kalten Haut.

»Hören Sie schlecht? Ich sagte: Vermutlich. Sicher ist nur das, was später in meinem Bericht steht, so wie immer.«

»Ja ja,«, wiegelte Siebels den Kommentar von seinem alten Spezi ab. Sven Fischer, der Journalist, der die Leiche gefunden hatte, ging auf Siebels zu.

»Hören Sie, Herr Siebels, Sie haben bestimmt noch einige Fragen an mich. Ich würde Sie bitten, mich zunächst gehen zu lassen, damit ich die Fotos auf den PC überspielen und einen kurzen Artikel über den Fall schreiben kann. Wie es aussieht, bin ich der Einzige von der Presse, der von der Sache weiß. Das bringt mir ein bisschen was ein, finanziell gesehen. Und ich habe es leider mehr als nötig.«

Siebels überlegte einen Moment lang. »Einverstanden. Unter einer Bedingung. Sie erwähnen mit keinem Wort den Spruch auf dem Rücken des Opfers, das bleibt vorerst unter uns.«

Fischer schaute sich noch einmal die Tote an, die Spurensicherung machte gerade Fotos aus allen erdenklichen Blickwinkeln. »In Ordnung, dann verraten Sie es aber auch nicht an meine Kollegen der schreibenden Zunft.«

»Wenn es an die Öffentlichkeit soll, dann sind Sie der Erste, der es schreibt. Aber erst wenn ich mein O. K. gegeben habe. Wir sehen Sie dann um 14:00 Uhr auf dem Präsidium, in der Adickesallee. Fragen Sie nach Polizeihauptkommissar Siebels.«

»Ich werde pünktlich sein«, erwiderte Fischer und machte sich auf den Weg.

Till sah ihm nachdenklich hinterher. »Könnte dieser Fischer nicht auch der Täter sein?«

»Möglich wäre es. Aber mein Gefühl spricht dagegen. Ich habe mir aber seine Personalien notiert, als du auf dem Weg hierher warst. Er wird heute Mittag bestimmt kommen. Ob Täter oder nicht. Wenn er der Täter ist, dann ist er ganz schön dreist, wenn nicht, sollten wir mit ihm zusammenarbeiten. Eine Verbindung zum Mörder gibt es nämlich ganz sicher, wenn seine Geschichte stimmt. Und falls wir bis Mittag die ersten Ergebnisse von der Spurensicherung haben, können wir ihm auch schon mal auf den Zahn fühlen.«

Die beiden Kommissare schenkten ihre Aufmerksamkeit nun wieder der Toten. Sie lag jetzt auf dem Rücken, der Arzt untersuchte sie noch. Körbchengröße 75 C tippte Till in Gedanken. Sie war rasiert. Unter den Achseln, im Intimbereich und an den Beinen. Es war kein Haar auf ihrem Körper zu entdecken. Keine Ringe an den Fingern, keine Halskette, kein Hinweis auf ihre Identität.

»Was denken Sie, wann wir das Bad öffnen können?«, unterbrach der Bademeister die Gedanken von Steffen Siebels.

»Das müssen Sie mit den Kollegen von der Spurensicherung klären. Kommt auch darauf an, ob noch etwas Wesentliches gefunden wird.« Siebels zeigte auf den Chef der Spurensicherung. »Kollege Müngersdorf wird Ihnen Bescheid geben, wenn die Spurensuche abgeschlossen ist. Gibt es noch andere Eingänge zum Bad?«

»Ja, auf der gegenüberliegenden Seite gibt es noch einen Zugang.«

»Und wie gelangt man nachts am besten ins Bad?«

»Am einfachsten ist es, an einem der beiden Eingänge über das Tor zu klettern. Am Haupteingang, durch den auch wir hereingekommen sind, ist die Gefahr entdeckt zu werden am geringsten, weil der Parkplatz davor liegt und es nachts stockdunkel ist. Der Seiteneingang liegt an einer kleinen Straße. Nachts fährt dort zwar selten ein Auto vorbei, aber auf der anderen Straßenseite stehen Wohnhäuser. Dort über das Tor zu klettern ist wesentlich ungünstiger, wenn man nicht erwischt werden will. Und auf der Stirnseite«, der Bademeister deutete hinter die Startblöcke am Beckenende, »liegt direkt eine Rollschuhbahn an unserem Gelände. Wenn man von dort ins Bad will, muss man auch noch das Eingangstor an der Rollschuhbahn überwinden. Und auf dieser Seite vom Bad«, der Bademeister deutete mit dem Finger zu dem zehn Meter entfernten Zaun, »fließt hinter dem Zaun die Nidda. Während der Öffnungszeiten versuchen immer wieder mal ein paar Jugendliche, über die Uferböschung zum Zaun zu gelangen. Im Zaun finde ich dann auch ständig Löcher, die wir regelmäßig flicken. Aber nachts in der Dunkelheit macht es keinen Sinn, über die Nidda-Seite ins Bad zu kommen.«

»Also am wahrscheinlichsten ist es, dass das Opfer und der Täter gemeinsam über das Tor vom Haupteingang in das Bad gelangt sind«, resümierte Siebels.

»Es sei denn, sie haben sich am Abend den Film im Open-Air-Kino angesehen und sind dann auf dem Gelände geblieben«, warf Till ein.

»Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Aber dann hätten sie wohl einige Stunden im Bad sein müssen, ehe es zum Mord kam. Das halte ich für unwahrscheinlich, ist aber eine Möglichkeit.«

»Wann war der Film denn zu Ende?« Till schaute fragend zum Bademeister.

»Genau weiß ich das nicht, ich habe ihn ja nicht gesehen, aber da es um diese Jahreszeit erst nach 21:00 Uhr dunkel wird und der Film erst bei Anbruch der Dämmerung beginnt, endete die Vorstellung wahrscheinlich gegen Mitternacht.«

»Das wären noch circa vier Stunden bis zur Tatzeit, eine lange Zeit für eine Runde Nachtschwimmen«, überlegte Siebels laut.

Till sah in das große Schwimmbecken aus Naturstein, das Wasser war klar und stand vollkommen still. Er war schon oft hier zum Schwimmen, aber so ruhig und idyllisch hatte er das Wasser und die Liegewiese noch nie gesehen. Er wäre zu gern hineingesprungen, wäre gern mutterseelenallein in dem großen Becken ein paar Bahnen Schmetterling geschwommen. Die Sonne schien angenehm warm auf seine Haut. Siebels riss ihn aus seinen Träumen.

»Wir fahren erst mal zum Präsidium. Bis die Jungs mit der Spurensuche fertig sind, kann es noch dauern.«

Die beiden Beamten reichten dem Bademeister ihre Visitenkarten, falls ihm noch etwas einfallen würde. Till notierte sich die Adresse und Telefonnummer von Neumann, dann verließen sie das Bad. Am Parkplatz trafen sie auf den Mercedes des Bestattungsunternehmens, das die Leiche erst mal in die Gerichtsmedizin transportieren würde.

Till schwang sich auf seine klobige Gold Wing. Er fuhr über die Stadtautobahn Richtung Miquellallee zum Präsidium, Siebels folgte ihm in seinem BMW.

2

Um 9:00 Uhr saßen Siebels und Till an ihren Schreibtischen und diskutierten den neuen Fall.

»Also Kollege Krüger, erste Zusammenfassung vom neuen Fall, lass einmal hören, was sich im Kopf des Kriminalisten-Genies so abspielt.«

Till grinste. »Unbekannte Tote im Freibad, eigentlich nackt, sie trägt nur einen String, der ihr in den Kniekehlen hängt. Sie kam wahrscheinlich mit einem Mann für ein kleines Abenteuer ins Schwimmbad, denn mit Gewalt wurde sie bestimmt nicht im Bikini mitten in der Nacht ins Schwimmbad gedrängt. Kein Auto in der Nähe, keine Kleidung, keine Tasche, nichts. Es sei denn, die Spurensicherung findet noch etwas. Der Spruch auf dem Rücken lässt auf einen Mann schließen. Einen Mann, den sie kannte. Wie war der Spruch?«

»Ich bin eine kleine geile Schlampe.«

»Da war jemand nicht gut zu sprechen auf die Dame. Ein verschmähter Liebhaber? Ein Weltverbesserer? Ein Moralapostel? Um das zu klären, müssen wir erst einmal ihre Identität aufdecken. Sie war jedenfalls sehr körperbewusst, hat sich an Beinen und Armen sowie im Intimbereich rasiert. Sie wurde erwürgt, von hinten. So, wie wir sie gefunden haben, würde ich wetten, dass er es erst mit ihr auf der Wiese getrieben hat und ihr dann an die Gurgel gegangen ist. Jetzt müssen wir den Bericht von Spurensicherung und Pathologie abwarten. Vergewaltigung oder Schäferstündchen? Mal sehen, ob dieser Journalist noch etwas zu erzählen hat. Vielleicht ist das ja schon unser Mann. Wenn nicht, müssen wir schnellstens ihre Identität aufklären.«

»Genau, und deshalb darfst du nun auch ermitteln, ob zwischen gestern Abend und jetzt eine passende Vermisstenmeldung reingekommen ist. Und anschließend recherchierst du, ob es schon einmal einen ähnlichen Mord gegeben hat. Suche nach Fällen, bei denen einer Frau mit roter Schrift auf die Haut geschrieben wurde oder der Täter sein Opfer als kleine geile Schlampe tituliert hat.«

»Wie wäre es, wenn ich als Erstes bei der Telekom überprüfen lasse, wer heute Morgen auf dem Anschluss von Fischer angerufen hat?«

Siebels zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf seinen jungen Kollegen. »Das wollte ich dir gerade vorschlagen ...« Seine Gestik verriet, dass er daran keinen Gedanken verschwendet hatte. »Ich habe in einer halben Stunde einen Termin mit Staatsanwalt Jensen. Kleine Unterredung in Sachen Personalplanung. Ich habe was läuten hören, dass wir vielleicht noch Unterstützung bekommen.«

»Wenn das kein Scherz ist, meiner Meinung nach könnten wir unsere Frauenquote noch verbessern.« Till grinste über beide Backen und Steffen verließ ebenfalls lachend das Büro.

Sven Fischer saß vor seinem PC und bearbeitete die Fotos, die er am frühen Morgen von der Leiche im Brentano-Bad geschossen hatte. Er retuschierte geschickt ein Foto, auf dem die unbekannte Tote auf dem Bauch liegend zu sehen war. Deutlich konnte man die in leuchtend rot geschriebenen Worte auf ihrem Rücken lesen. Sven Fischer hielt sich an seine Abmachung mit Kommissar Siebels. Mit dem Bildbearbeitungsprogramm entfernte er die roten Buchstaben, klickte mit der Maus einen Punkt auf der Haut der Toten an und übertrug den Hautton über die Schrift. Nach einigen Minuten war das Foto bearbeitet, keine Spur mehr von roten Buchstaben auf dem Rücken der Frau. Auch in seinem Bericht erwähnte Sven Fischer kein Wort von dem Spruch, den er mit Schaudern gelesen hatte, als er die Leiche heute Morgen gefunden hatte.

Sven Fischer war zufrieden mit seinem Text, er rief die Redaktion der BILD an. Die Boulevardpresse dürfte das größte Interesse an dieser Story haben, dachte er sich. Er ließ sich mit dem Chefredakteur verbinden und handelte eine Summe aus. Sie waren sich schnell einig und per E-Mail ging das Foto inklusive seines Textes an die Redaktion der Zeitung. Es war 12:00 Uhr. Noch zwei Stunden bis zu seinem Termin bei Kommissar Siebels vom K11 im Polizeipräsidium. Sven Fischer hatte nun die ersten ruhigen Minuten nach diesem mysteriösen Anruf in der Nacht. Warum er? Kannte er den Anrufer und somit auch den Mörder dieser jungen hübschen Frau? Oder kannte der Mörder ihn, aber er den Mörder nicht? Sven Fischer dachte nach. Dachte an seine Zeit bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aber da war nichts, was ihn mit solch einer Geschichte in Verbindung bringen würde. Er überlegte weiter, rief sich die Stimme in Erinnerung, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Nichts. Fischer ging systematisch die letzten Jahre seines Lebens durch, die Stationen, auf denen er die verschiedensten Menschen kennen gelernt hatte. Sein Abitur auf der Max-Beckmann-Schule in Frankfurt, Zivildienst bei der evangelischen Kirche, Studium am Institut für Publizistik und Kommunikation an der Uni Göttingen, Aufbaustudiengang Journalistik an der Universität in Mainz, Volontariat bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der F.A.Z. Und seit fast einem Jahr nun freier Journalist, nachdem ihm die F.A.Z. mitgeteilt hatte, dass er zwar ein hervorragender Journalist sei, aufgrund der wirtschaftlichen Situation eine feste Anstellung aber nicht möglich wäre.

An all diesen Stationen in seinem Leben hatte er viele Menschen kennen gelernt. Aber einen Mörder, der ihm nun mit seinem Mord zu einer Story verhelfen wollte? Nein, Sven Fischer konnte sich keinen Reim darauf machen. Und je länger er darüber nachdachte, desto tiefer drang in sein Bewusstsein, dass er für die Polizei zu dem Kreis der Verdächtigen gehören würde. Bei diesem Gedanken wurde ihm etwas mulmig zumute und er war heilfroh, dass er sich an die Abmachung mit Kommissar Siebels gehalten und in seinem Artikel nichts von dem Spruch erwähnt hatte.

Ja, schön war sie. Sehr schön sogar. Wenn sie es darauf angelegt hätte, hätte sie bestimmt jeden Mann verrückt machen können. Gehörte sie zu der Sorte Frau, die Männer in den Wahnsinn treiben konnte? Eine lebensfrohe Frau, die mit ihren Reizen nicht geizte? Aber einen hatte sie wohl zu sehr gereizt. Und der wollte der Welt zeigen, wer diese Frau wirklich war. Nichts als eine kleine geile Schlampe, die ihr Leben verwirkt hatte. Oder war sie in illegale Machenschaften verwickelt gewesen? Hatte sie sich als Prostituierte angeboten? Die Neugier des Journalisten erwachte in Sven Fischer.

Um 13:00 Uhr erschien Siebels wieder im Büro.

»Und, wird sich die Frauenquote in unserer Abteilung jetzt sprungartig erhöhen?« Till kaute auf seinem Kugelschreiber, sah Siebels erwartungsvoll an.

»Du wirst es nicht glauben, aber ab nächsten Monat bekommen wir Verstärkung. Es gibt zwei Kandidaten, die Jensen und ich in die engere Wahl gezogen haben. Einen jungen Mann und eine junge Frau.«

»Wir nehmen die Frau!« Till tat so, als wäre sein Wort das letzte und die Entscheidung somit gefallen. Aber auch Steffen Siebels gefiel der Gedanke, noch eine Frau im Team zu haben.

»Was war eigentlich am Freitag am Schießstand los? Jensen war ziemlich ungehalten.«

Till konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Die neue Schießanlage ist echt super. Der Unterschied zwischen den Guten und den Bösen war aber ziemlich eindeutig, da dachte ich mir, das wäre eine Falle, weißt du ...«

»Ja, Jensen war auch sehr beeindruckt von deiner Leistung. Ein tollwütiges Reh, ständig hat er etwas von einem tollwütigen Reh gefaselt und ist dabei aufgeregt durch sein Büro gestiefelt. Plötzlich fauchte er mich an, die Geisel hätte wohl auch Tollwut gehabt. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon er überhaupt redet. Erst als er Schneider erwähnte, kam mir der Schießstand in den Sinn.«

Till hatte Mühe, den Kaffee nicht wieder auszuspucken, so sehr amüsierte er sich über den Bericht von Siebels. Er konnte sich richtig vorstellen, wie sich der kleine wieselflinke Staatsanwalt künstlich aufregte.

»So lustig ist das gar nicht, Kollege. Das steht jetzt in deiner Akte. Und wenn du irgendwann mal draußen auf der Straße einen Schuss abgibst, der den falschen trifft, dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken.«

»Hast ja Recht«, wiegelte Till mit einer Handbewegung ab. »Aber das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.«

»Gibt es schon etwas Neues von unserer Unbekannten aus dem Brentano-Bad?«

»Einen ersten Kurzbericht habe ich schon bekommen. Die Spurensicherung hat im Bad keine verwertbaren Spuren mehr gefunden. Auch keine Gegenstände, die dem Opfer zugeordnet werden könnten. Wenn sie nicht schon im Bikini über das Eingangstor geklettert ist, muss der Täter ihre Kleider mitgenommen haben. Doktor Petri hat seine ersten Erkenntnisse telefonisch durchgegeben. Todeszeitpunkt gegen 3:00 Uhr in der Frühe. Sie wurde von hinten erwürgt. Kurz vor ihrem Tod hatte sie vaginalen und analen Geschlechtsverkehr. Darauf deuten frische Risswunden in besagten Bereichen hin. Schwimmen war sie auch, ihr Bikini war noch feucht. Übrigens ein exklusives Teil. Oder besser gesagt: Zwei Teile. Ein Push-up Top und ein String-Höschen. Beides von Aubade, einer exklusiven Marke für Bademode. Die zwei Stofflappen sind für knappe 170 Euro zu haben. Aus der neuesten Kollektion, die ist erst vor drei Wochen auf den Markt gekommen. Vielleicht können wir über eine Boutique die Dame identifizieren, eine Vermisstenmeldung gibt es jedenfalls bisher noch nicht. Außer einem dreiundachtzigjährigen Opa, der gestern Abend aus einem Altersheim in Rödelheim ausgebüxt ist, gab es keine Vermisstenmeldungen. Könnte jetzt höchstens sein, dass der Opa unser Mann ist.« Till grinste über beide Backen. »Jedenfalls habe ich im Computer keinen Fall gefunden, bei dem jemand eine weibliche nackte Leiche zurückgelassen hat, mit dem Hinweis, es sei eine kleine geile Schlampe gewesen. Anhaltspunkte gleich Null. Auf der Leiche wurden auch keine Fingerabdrücke gefunden, nicht einmal ihre eigenen. Nur ein paar Stofffasern. Wahrscheinlich von einem feuchten Handtuch. Er hat sie also noch fein säuberlich gewaschen, bevor er sich aus dem Staub gemacht hat. Das lässt den Schluss zu, dass er die Tat geplant hat. Mehr konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen und auch das ist nur unverbindlich, bis uns der schriftliche Bericht vorliegt. Bei der Telekom habe ich auch Druck gemacht. Ich erwarte einen Rückruf.«

Siebels zuckte nur mit den Schultern und sah auf seine Uhr. »Kommst du mit zum Imbiss runter? In einer Stunde kommt der Journalist, vielleicht hilft der uns ja weiter. Vorher brauche ich aber noch einen Bissen.«

»Mein Magen knurrt auch, gehen wir.«

Steffen Siebels und Till Krüger verließen das Präsidium, an der nächsten Kreuzung war der Imbiss. Hier diskutierten sie ihre Fälle, wenn ihnen im Büro nichts mehr einfallen wollte.

3

Pünktlich um 14:00 Uhr traf Sven Fischer im Büro der beiden Kommissare ein.

»Nehmen Sie Platz.« Siebels bot dem jungen Mann einen Stuhl an, Fischer setzte sich Siebels gegenüber. Till hockte auf der Schreibtischkante.

Fischer versicherte zunächst, dass er sich an die Vereinbarung gehalten habe. Über den Spruch auf dem Rücken der Toten würde nichts in der Zeitung erscheinen, auch auf dem Foto könne man nichts davon erkennen. Dann erzählte er den Kommissaren noch einmal ausführlich, wie sich die Dinge ereigneten, die ihn in aller Frühe zur Leiche im Brentano-Bad geführt hatten. Fischer berichtete chronologisch, emotionslos und sachlich. Siebels und Till hörten ihm zu, stellten zunächst keine Fragen. Als Fischer mit seinen Ausführungen endete, sahen Till und Siebels sich kurz an. Siebels übernahm nun die Befragung, Till studierte dabei unauffällig jede Reaktion von Fischer.

»Sie wurden auf dem Handy angerufen, wie viele Leute kennen Ihre Handynummer?«

»Meine engen Freunde, meine früheren Kollegen, meine Eltern, meine Schwester. Aber da ist mit Sicherheit niemand dabei, der als Täter in Frage kommt.«

»Sie sind freiberuflich tätig. Wer sind Ihre früheren Kollegen?«

»Bis vor einem Jahr absolvierte ich bei der F.A.Z. ein Volontariat. Seit dieser Zeit habe ich auch erst ein Handy, von früheren Zeiten kann also niemand meine Nummer haben.«

»Wir überprüfen gerade, von welchem Anschluss aus Sie heute Morgen angerufen wurden. Sollte sich der Mann noch einmal mit Ihnen in Verbindung setzen, geben Sie uns bitte unverzüglich Bescheid. Wenn wir Glück haben, erwischen wir ihn über seine Telefonnummer.« Siebels schaute Fischer erwartungsvoll an.

»Selbstverständlich. Kann ich Sie zu jeder Zeit erreichen?«

»Über die Handynummer bin ich rund um die Uhr erreichbar, ja. Noch lieber wäre es mir, wenn wir Ihre Telefongespräche aufzeichnen könnten. Vom Handy und vom Festnetz. Dazu benötige ich aber Ihre Einwilligung.«

Fischer schien von diesem Vorschlag etwas irritiert. Er ließ sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort. »Wie lange soll das gehen?«

»Ich weiß es nicht, je nachdem, wie sich der Fall entwickelt. Wir werden natürlich sämtliche Gespräche sofort wieder löschen, es sei denn, unser Mann ist dran.«

»Gut«, willigte Fischer ein. Der Polizei behilflich zu sein, schien ihm der beste Weg, um weiter an seiner Story arbeiten zu können. Siebels veranlasste das Nötige und ein Spezialist für Abhörtechnik kümmerte sich um Sven Fischer.

»Was hältst du von ihm?«, fragte Till.

Siebels schaute aus dem Fenster. »Ich habe den Eindruck, dass er in Ordnung ist. Mal sehen, was wir morgen in der Zeitung von ihm zu Lesen bekommen. Ich kann mir jedenfalls nicht denken, dass er wissentlich mit der Sache zu tun hat. Aber der Täter muss ihn kennen. Und somit ist er bis jetzt unsere einzige Verbindung zum Täter. Wir werden ihn morgen in seiner Wohnung besuchen. Kleiner Überraschungsbesuch. Mal sehen, wie er so lebt. Und dann fühlen wir ihm noch einmal auf den Zahn. Vielleicht hat er ja einen bestimmten Verdacht, den er noch nicht zugeben will. Einen Freund, einen ehemaligen Kollegen, wer weiß. Ist ja auch nicht einfach, jemanden den man kennt, vor der Polizei als Mörder zu verdächtigen.«

»Und wie geht es nun weiter?«

»Du wirst dich jetzt Weiterbilden, und zwar in der Rubrik exklusive Damen-Bademode. Finde einfach heraus, wo dieser Bikini verkauft wurde. Vielleicht kennt man dort ja unsere Unbekannte.«

»Okay, exklusive Damen-Bademode, da bin ich doch ein Kenner. Dann fahre ich jetzt in die City, kleiner Bummel durch die Goethestraße. Ich wollte doch schon immer mal in einer noblen Boutique was Hübsches kaufen, warum also nicht einen Bikini.«

Gegen 16:00 Uhr stellte Till sein Motorrad an der Hauptwache ab. Der Platz war übersät mit schweren Maschinen. Einige Harleys, Motorräder von BMW, gewöhnliche Straßenmaschinen und jede Menge Motorroller standen auf dem Asphalt und der Chrom glänzte in der heißen Augustsonne. Aber Tills Gold Wing war der absolute Blickfang. Es kamen auch gleich ein paar Biker und bestaunten seine schwere Maschine. Von seinem Gehalt bei der Polizei konnte er sich das Motorrad zwar nicht leisten, aber er hatte einfach großes Glück an der Börse gehabt. 1998 erbte er fünfzigtausend Deutsche Mark von seiner Oma. Sein Bruder, ein Investmentbanker, riet ihm damals, das geerbte Geld am Neuen Markt in Wertpapieren anzulegen. Till hatte keine Ahnung von Aktien, aber er vertraute seinem Bruder. Als er sich Ende 1999 die Kurse wieder einmal anschaute, traute er seinen Augen nicht. Aus seinen fünfzigtausend Mark waren mittlerweile sechshundertfünfzigtausend Mark geworden. Kurz entschlossen rief er seinen Bruder bei der Bank an und beauftrage ihn, sein Aktienpaket zu verkaufen. Sein Bruder wollte ihm das ausreden, doch Till bestand darauf. Mittlerweile markierten die Aktien des Neuen Marktes ständig neue Tiefstände. Doch Till hatte seine Eigentumswohnung, sein Motorrad und noch viel Geld auf dem Konto. Irgendwie hatte er die Gabe, immer alles richtig zu machen. Nur mit seinem Freund und Kollegen Siebels durfte er über seine wunderbare Geldvermehrung nicht reden. Der hatte nämlich einen Großteil seines gesparten Geldes am Aktienmarkt verloren, war nicht rechtzeitig ausgestiegen und wenn jemand in seiner Nähe über Aktien redete, wurde Siebels sehr schweigsam.

Till schlenderte über die Goethestraße, betrachtete sich die teuren Geschäfte, wo die Frankfurter Prominenz und die weniger Bekannten, aber Wohlbetuchten einzukaufen pflegten. Er betrachtete sich zunächst die Schaufenster links und rechts der Goethestraße. Beim Feinuhrmacher und Juwelier Wempe bestaunte er Uhren von Rolex im Schaufenster. Sämtliche Preise waren vierstellig. Er schlenderte weiter, vorbei an Tiffany, durch das Schaufenster beobachtete er, wie sich ein junges Pärchen Schmuckstücke vorführen ließ. Er ging weiter. Schaute durch die Fenster bei Chanel. Ein Cocktailkleid war dort ausgestellt, er konnte kein Preisschild dazu finden. Im Inneren des Verkaufsraumes warteten zwei elegant gekleidete Damen auf Kundschaft. Ein paar Meter weiter glitzerten die Auslagen in den Schaufenstern von Swarovski. Ein Rolls Royce mit Schweizer Nummernschild parkte am Straßenrand, dahinter stand ein 280er Mercedes SL Cabrio mit offenem Verdeck. Till wechselte die Straßenseite, betrachtete sich die Ladenfenster von Armani und Bogner. Eine Gruppe Japaner stellte sich auf dem Bürgersteig für ein Gruppenfoto vor dem Schaufenster von Gucci auf. Ein Fahrradfahrer fluchte, weil die Asiaten den Radweg versperrten. Till hielt nun Ausschau nach Bademoden und fand auch schnell eine kleine Boutique, die sündhaft teure Dessous und Bikinis im Schaufenster ausstellte. Till trat ein, schaute sich um. Es dauerte nicht lange und eine sehr gepflegt aussehende Dame sprach ihn an, fragte, ob sie ihm behilflich sein könne. Er schätzte die Frau auf Anfang bis Mitte vierzig, sie hatte eine sehr weiche und angenehme Stimme und sah Till neugierig an. In seinen abgewetzten Jeans und seinem T-Shirt mit dem Hard-Rock-Café-Emblem passte er auch nicht in die Landschaft.

»Ich suche nach einem Bikini für meine Freundin«, stammelte er erst etwas unsicher, doch dann war er schnell Herr der Lage.

»Es soll etwas ganz Besonderes sein, wir fliegen nämlich nächste Woche nach Frankreich und dort feiert sie ihren Geburtstag. Eine Bekannte erzählte mir, es gäbe eine neue Kollektion von Aubade. Sie meinte, die würden meiner Freundin bestimmt sehr gut gefallen.«

»Da haben Sie aber Glück.« Die Verkäuferin lächelte Till mit einem bezaubernden Verkäuferlächeln an. Ihre weißen Zähne waren makellos und mussten jedem, der von ihr angelächelt wurde, sofort auffallen.

»Wir führen diese Kollektion, sehr schöne Stücke sind das.«

»Haben Sie schon viele davon verkauft?«, erkundigte sich Till. »Ich möchte nämlich nicht, dass wir am Strand liegen und plötzlich taucht dann eine andere Frau im gleichen Bikini auf.« Till lächelte selbstsicher und fühlte sich wie ein versnobter Millionär.

»Keine Sorge, junger Mann. Bisher sind erst drei Bikinis über die Ladentheke gegangen. Da ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr gering, dass sich zwei Frauen am Strand mit dem gleichen Modell begegnen, finden Sie nicht?«

»Da haben Sie sicher Recht. Kennen Sie die Damen, die sich für diese Bikinis entschieden haben, denn persönlich?«

Als die Verkäuferin nun doch ihr freundliches Lächeln gegen einen misstrauischen Blick eintauschte, entschied sich Till dafür, ihr die Wahrheit zu sagen. Er zog seine Polizeimarke heraus und erklärte der Frau die Situation, erzählte ihr, dass der Bikini der Toten zur Zeit der einzige Hinweis sei, mit dem die Polizei vielleicht ihre Identität aufklären könne. Dann zeigte er der Dame ein Foto des Opfers. Sie betrachtete das Bild intensiv und Till bemerkte, wie ihre Mundwinkel leicht zuckten.

»Ja, diese junge Frau kenne ich. Sie hat tatsächlich einen Bikini gekauft. Einen von Aubade.«

»Wissen Sie auch ihren Namen?«

»Ja, sie heißt Tanja Niehaus. Ich weiß das, weil wir den Bikini in ihrer Größe nicht vorrätig hatten, als sie ihn kaufen wollte. Also hinterließ sie ihren Namen und ihre Telefonnummer und ich meldete mich zwei Tage später bei ihr, um ihr mitzuteilen, dass der Bikini im Haus sei.«

»Wann war das bitte?«

»Warten Sie, ich habe einen Eintrag darüber im Notizbuch.« Die Verkäuferin ging zur Ladentheke, blätterte im Notizbuch einige Seiten zurück.

»Hier ist der Eintrag. Am 22. Mai kam sie her, um sich ihren Bikini abzuholen.«

Ein kleines Glücksgefühl kam in Till auf. Dass er so schnell zu einem Ergebnis kommen würde, hätte er nicht geglaubt. Hatte er doch wieder mal den richtigen Riecher gehabt. Er notierte sich den Namen und die Telefonnummer und verließ dann die Boutique. Es war mittlerweile 17:30 Uhr. Till rief auf dem Präsidium an, wollte Siebels informieren. Ein Kollege meldete sich, Siebels war bereits auf dem Weg nach Hause. Till fuhr zurück ins Präsidium, um die Adresse von Tanja Niehaus zu ermitteln.

Um 18:00 Uhr saß Till wieder an seinem Schreibtisch. Er hatte den Wohnort von Tanja Niehaus ausfindig gemacht. Sie war in der Schweizer Straße, einer lebhaften Einkaufsstraße in Sachsenhausen gemeldet.

Es war ein langer Tag gewesen, aber nun musste er Siebels verständigen, die Besichtigung der Wohnung würde nicht bis morgen warten können. Till rief Siebels auf seinem Handy an. Nach dem dritten Klingelton meldete er sich.

»Hallo Steffen, ich bin schon fündig geworden. Unsere unbekannte Leiche aus dem Brentano-Bad wohnte in Sachsenhausen, Schweizer Straße Nr. 13. Ich würde vorschlagen, wir treffen uns dort in einer halben Stunde, ich rufe den Schlüsseldienst.«

Eine halbe Stunde später stellte Till seine Gold Wing vor dem N.Y.C., einem Lokal mit amerikanischem Ambiente und großen Burgern, ab. Die Wohnung von Tanja Niehaus befand sich in dem Eckhaus gegenüber. Er sah den BMW von Siebels vorbeifahren, hier einen Parkplatz zu finden war reine Nervensache. Der Mann vom Schlüsseldienst wartete bereits vor der Tür. Nachdem Siebels zum dritten Mal an Till vorbei gefahren war, stellte er seinen BMW schließlich auf der Straße in zweiter Reihe ab und befestigte das Blaulicht auf dem Autodach.

»Gute Arbeit«, Siebels klopfte Till anerkennend auf die Schulter. Am Hauseingang prangten mehrere Messingschilder, Psychologen und Rechtsanwälte hatten hier ihr Domizil. Till suchte den Namen Niehaus auf den Klingeln, er fand ihn ganz oben. Mehrmals betätigte er den Klingelknopf. Als nichts geschah, drückte er den untersten Klingelknopf.

»Wer da?«, fragte eine alte Männerstimme durch die Sprechanlage.

»Kriminalpolizei, bitte machen Sie uns auf.« Siebels Stimme klang tief und angenehm. Der Türöffner wurde betätigt und die Männer traten ins Haus. Dort erwartete sie bereits der Bewohner aus dem Erdgeschoss. Till und Siebels zeigten ihre Ausweise.

»Guten Tag Herr Guttroff, Kriminalpolizei Frankfurt, mein Name ist Siebels, das hier ist mein Kollege Herr Krüger. Wir möchten zu Frau Tanja Niehaus. Kennen Sie die Dame?«

»Die Niehaus, ja, die wohnt ganz oben, dritter Stock links.«

»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«, wollte Till wissen.

»Das kann ich nicht genau sagen, ich sehe sie natürlich regelmäßig, aber immer nur flüchtig. Auf der Treppe, wenn sie abends heimkommt. Ist ein nettes Mädchen, sehr höflich. Viel gesprochen habe ich aber nie mit ihr. Hat sie etwas ausgefressen?«

»Nein, nein, keine Sorge, Herr Guttroff. Wir gehen nun nach oben, bitte halten Sie sich nachher noch kurz zur Verfügung.« Die zwei Beamten und der Mann vom Schlüsseldienst gingen die Treppe hoch. Fünf Minuten später war die Wohnungstür geöffnet.

»Danke, das war es für Sie. Die Rechnung schicken Sie bitte an das Polizeipräsidium.« Siebels schickte den Mann vom Schlüsseldienst sofort weg, nachdem er die Tür geöffnet hatte.

Till und Siebels betraten eine helle und freundlich wirkende Altbauwohnung. Die Wohnung hatte drei große Zimmer, eine geräumige Küche, ein Bad und eine Abstellkammer.

»Alles vom Feinsten«, Till pfiff anerkennend durch die Zähne.

»Ja, notleidend war sie sicher nicht, aber das haben wir ja schon an ihrem Bikini festgestellt.«

»Ist das hier das Arbeitszimmer oder das Schlafzimmer?« Till sah Siebels fragend an. Im Zimmer stand ein Doppelbett, daneben ein Tisch mit PC. Der PC war mit zwei Webcams verbunden. Eine zeigte auf den Stuhl, der vor dem Arbeitsplatz mit dem Computer stand. Die andere zeigte auf das mit schwarzem Satin überzogene Bett.

»Das scheint ja doch noch interessant zu werden«, murmelte Siebels vor sich hin.

»Schau mal hier«, rief Till. In einer Ecke standen zwei Anrufbeantworter, angeschlossen an einen ISDN-Anschluss. Till drückte die Abruf-Taste des ersten Gerätes. Das Display zeigte zwei aufgezeichnete Anrufe an.

»Hi Tanja, Rolf hier. Ich würde am Samstagabend gern mit dir ins Living gehen. Wenn du Lust hast, dann ruf mich doch bitte kurz zurück. Ich wollte dich heute Mittag im Büro noch fragen, habe dich aber nach der Sitzung nicht mehr gesehen. Bis dann, tschüss.«

Die digitale Stimme des Anrufbeantworters kündigte den zweiten Anruf an.

»Hallo Tanja, hier spricht deine Mutter. Ich wollte dich nur daran erinnern, dass dein Vater nächste Woche Geburtstag hat. Es wäre schön, wenn du vorbeikommen könntest. Pass auf dich auf mein Kind.«

»Die Eltern werden wir wohl morgen besuchen müssen«, stöhnte Siebels und verzog eine Miene. Auch Till wurde bei dem Gedanken mulmig zumute.

»Wird kein schöner Geburtstag für den Papa werden«, seufzte er.

»Der erste Anrufer war bestimmt ein Kollege«, überlegte Siebels laut und zitierte den Text auf dem Band: »... ich wollte dich heute Mittag im Büro noch fragen ...«

Till drückte die Abruftaste des zweiten Anrufbeantworters. Das Display zeigte sieben Anrufe an. Das Band spulte einen Ansagetext ab.

Hallo mein Freund. Schön, dass du dich bei mir meldest. Ich warte schon sehnsüchtig auf deinen Anruf. Deine E-Mail hat mich sehr angesprochen, du scheinst der Mann zu sein, den ich haben will. Ich will dich unbedingt kennen lernen. Wir werden bestimmt viel Spaß zusammen haben. Ich kann es kaum erwarten, dich unter meine Fittiche zu bekommen. Du wirst staunen, was ich auf meiner kleinen Spielwiese alles mit dir anstellen will. Aber keine Sorge, ich werde dir schon beibringen, wie du dich in Gegenwart einer Lady wie mir zu benehmen hast.

Leider bin ich gerade nicht zu Hause. Ich bin aber bestimmt bald wieder zurück. Also versuch es später doch noch einmal. Ich kann es kaum erwarten, persönlich mit dir zu sprechen. Also bis gleich, deine Chantal.

Pieps.

Hallo Chantal, hier ist der kleine Bengel. Habe gerade deine E-Mail erhalten. Melde dich doch mal bei mir. Meine Nummer ist die 069 44433322211.

Pieps.

Guten Tag Chantal. Mein Name ist Georg. Ich bin Witwer. Nun suche ich die starke Hand einer starken Frau. Schade, dass Sie nicht da sind. Ich melde mich später wieder. Georg.

Pieps.

Hallo. Hier spricht Sklave Peter. Ich bewerbe mich auf Ihre Kontaktanzeige. Ich hoffe, ich bin nicht zu übermütig, wenn ich Ihnen meine Dienste anbiete. Ich werde mich später wieder melden, wenn ich darf. Demutsvoll, Ihr Peter.

Pieps.

Sehr geehrte Frau Chantal, Ihre Kontaktanzeige hat mich sehr angesprochen. Ich würde mich glücklich schätzen, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Gerne melde ich mich später wieder bei Ihnen.

Pieps.

Hey du Weibsbild. Mit mir kannst du machen, was du willst. Ich bin für alle Sauereien zu haben. Mach mich einfach fertig. Da steh ich drauf. Lies bitte meine Mail, die mit dem Absender kleiner Zwerg. Ich kann es kaum erwarten, deine Antwort zu lesen, bis dann.

Pieps.

Wenn du echt bist, dann beantworte bitte meine Mail. Ich bin [email protected]. Wenn du auch nur eine Abzockerin bist, dann lass mich bloß in Ruhe.

Pieps.

Und ewig spricht das Band. Ihr könnt mich alle mal, ihr dummen 0190er-Nutten.

Ende der Durchsagen, Pieps.

Steffen Siebels und Till Krüger schauten sich ungläubig an.

»Anscheinend hatte Tanja Niehaus noch einen anderen Namen, Chantal. Es würde mich interessieren, ob sie nur das Band laufen lässt oder ob sie auch Anrufe entgegennimmt.«

Siebels schaute auf die Webcams. »Wenn die Kamera zum Bett gerichtet ist, wird sie sicher mehr draufhaben, als nur einen Anrufbeantworter. Die Nummer, auf die sich der Anrufbeantworter meldet, ist mit Sicherheit eine 0190er-Nummer. Morgen sollen sich mal die Techniker um den PC kümmern. Da sind bestimmt noch einige interessante Dinge drauf zu finden. Und dann will ich wissen, über welche Rufnummer man auf den zweiten Anrufbeantworter kommt. Jetzt bin ich aber gespannt, was wir hier noch alles vorfinden.«

Neugierig untersuchten Siebels und Till den Inhalt der Schränke.

»Die Klamotten sind alle vom Feinsten.« Siebels stand vor einem großen viertürigen Kleiderschrank. Hinter der ersten Tür verbarg sich eine stattliche Anzahl an Sommerkleidern, Miniröcken und Blusen. Siebels holte jedes Teil von der Kleiderstange und betrachtete es eingehend. »Alles sehr sexy und sehr teuer. Die wusste nur zu gut, was Männern gefällt.« Hinter der nächsten Schranktür fand Siebels die Wintergarderobe. Einen Pelzmantel, einen Ledermantel, Hosenanzüge, verschiedene Marken-Sportjacken, Kostüme, teure Jeans. Als er schließlich die dritte Schranktür öffnete, pfiff er leise durch die Zähne. »Schau dir das mal an.«

Wie zwei kleine pubertierende Jungs standen die zwei Beamten vor den Regalen im Kleiderschrank. Sie waren vollgestopft mit aufreizenden Dessous. String-Tangas, Strapse in Rot, in Weiß, in Schwarz. Büstenhalter in allen erdenklichen Formen und Farben, Büstenheben, Bodys aus durchsichtigem Stoff. Till musterte ein Korsett, Siebels entdeckte in einem Regal ein paar Handschellen, ein paar hohe Lederstiefel und einen schwarzen Seidenschal.

Till schaute sich amüsiert an, was Siebels alles zum Vorschein brachte. Er selbst hielt einen weißen Slip mit aufwendigen Verzierungen und Rüschen in den Händen. »Na wie praktisch, guck dir das mal an.« Der Slip hatte einen Schlitz im Schritt, durch den Till gerade seinen Finger steckte.

»Nett«, kommentierte Siebels diese Entdeckung. »Vermutlich sind das die Klamotten von Chantal, der Anrufbeantworter wird nur die Spitze des Eisberges gewesen sein. Jetzt würde ich aber gerne auch noch etwas von Tanja finden, vielleicht im Wohnzimmer.«

Fachmännisch durchsuchten die beiden die Schränke im Wohnzimmer. Eine Schrankwand aus massivem Mahagoni-Holz beherbergte die privaten Utensilien von Tanja Niehaus.

»Hier habe ich ihre Gehaltsabrechnungen«, rief Till, der gerade dabei war, die Schubladen zu durchstöbern. »Die gute Chantal arbeitete bei der Deutschen Bank. Aber dort kennt man sie bestimmt nur als Tanja Niehaus und nicht als Chantal.«

»Bei der Deutschen Bank, na sieh mal einer an. Was hat sie denn verdient?«

»Unter dem Strich blieben ihr immerhin noch dreitausend Euro im Monat. Nicht schlecht.«

»Dazu kamen regelmäßig zwischen zweitausend und viertausend Euro monatlich von einer Firma namens phone-tell. Hier habe ich ihre Bankauszüge, schön säuberlich abgeheftet.«

»Fünftausend bis siebentausend Euro jeden Monat, das ist natürlich eine Stange Geld. Sie konnte sich also ein luxuriöses Leben durchaus leisten. Bleibt nur die Frage, wie legal und wie integer ihr Nebenverdienst bei dieser phone-tell war. Wir sollten uns morgen mit den Kollegen vom K65 unterhalten, vielleicht haben die ein paar Hintergrund-Informationen, wie die Abzocke mit den 0190er-Rufnummern funktioniert.«

»Wir wissen doch noch gar nicht, ob es eine 0190er-Nummer ist, auf der man Chantal erreichen kann.«

»Morgen wissen wir es. Und ich gehe jede Wette ein, dass es eine ist. Bleibt nur die Frage, ob sie damit ihren sexuellen Neigungen nachgekommen ist oder ob sie es nur als Tarifgaunerei und Abzocke betrieben hat.«

Siebels war sich nicht sicher, ob die Kollegen vom K65 zuständig waren oder ob er nicht besser beim K31 nachfragen sollte. Das K31 war für Wirtschaftskriminalität zuständig, das K65 für Milieukriminalität, und zwar im Besonderen für Menschenhandel, Zuhälterei und Prostitution. Früher nannten sich die Beamten vom K65 aber einfach nur Sitte, und das schien Siebels die beste Anlaufstelle zu sein.

»Schau mal hier.« Till öffnete einen Briefumschlag, den er aus einer Schublade gezogen hatte. Darin befanden sich einige Fotos von Tanja Niehaus, die nun auch Siebels aufmerksam betrachtete. Es waren Aktaufnahmen in Schwarzweiß. Tanja Niehaus präsentierte ihren wohlgeformten Körper in allen erdenklichen erotischen Stellungen. Till betrachtete ein Foto, nicht ohne eine gewisse Erregung zu spüren, auf dem sich Tanja Niehaus mit Zylinder und Frack ablichten ließ. Unter dem Frack trug sie nur ihre nackte Haut, ihre Hände waren in die Hüften gestützt und sorgten dafür, dass der Frack auch nichts vor dem neugierigen Auge des Betrachters verbarg. Auf einem anderen Foto stand sie in einem Park unter einem Baum, bekleidet nur mit hochhackigen Stöckelschuhen und einem Schal um den Hals. Der Stoff des Schals hing zwischen ihren Brüsten und endete knapp über ihrer Scham, die zu einem schmalen Strich rasiert war. Ein weiteres Foto zeigte Tanja Niehaus mit einem Mann, der dicht hinter ihr stand. Er war nicht zu erkennen, seine Stirn lag auf ihrer Schulter. Die Arme des Mannes umfassten Tanja und seine Hände lagen auf ihren Brüsten. Ihre eigenen Hände bedeckten ihre Scham. Auf dem nächsten Foto das gleiche Motiv, nur dass hier die Hände des Mannes ihre Scham und die Hände von Tanja ihre Brüste verdeckten. Siebels betrachtete sich die Rückseiten der Fotos.

»Schade, kein Hinweis auf einen Fotografen oder auf ein Studio. Würde mich interessieren, wer der Mann auf dem Bild ist.«

Till wühlte weiter neugierig in den Schubladen. »Hier ist ein leerer Briefumschlag. Der Absender lautet auf Peter und Maria Niehaus, das könnten ihre Eltern sein.«

»Wie ist die Adresse?«

»Broßstraße in Frankfurt. Weißt du, wo das ist?«

»Ja, in Bockenheim, im Diplomatenviertel, in der Nähe vom Grüneburgpark.«

»In dem Viertel, in dem die türkische Botschaft ihren Sitz hat? Da habe ich mir früher im Streifenwagen nächtelang den Arsch abgefroren. Am schlimmsten war es, als es die kurdischen Krawalle gab. Damals war ich schon drauf und dran, den Job hinzuschmeißen. Wenigstens waren die Türken von der Botschaft sehr nett gewesen. Die haben uns mit warmem Tee bei Laune gehalten.«

Siebels unterbrach Till in seinen Erinnerungen. »Wie viel Uhr ist es jetzt?«

»21:45 Uhr.«

»Okay, dann weißt du ja, wo wir uns in einer Viertelstunde treffen. Die Broßstraße ist nur ein paar Meter von der türkischen Botschaft entfernt.«

»Weißt du eigentlich, was wir seit heute Morgen schon alles gemacht haben?« Tills Tonfall klang leicht verärgert, er spürte die Müdigkeit, wollte heim. Heim in sein Bett und schlafen.

»Weiß ich, ich war ja dabei. Aber morgen erscheint der Artikel von Sven Fischer in der Zeitung. Und dazu das Bild von der toten Tanja Niehaus. Wir sollten bei ihren Eltern gewesen sein, bevor sie es aus der Zeitung erfahren. Außerdem müssen sie Tanja identifizieren.«

»Überredet«, seufzte Till. »Dann aber los jetzt, die Wohnung können wir immer noch auseinandernehmen. Für heute habe ich genug gesehen.«

Siebels versiegelte die Wohnungstür von Tanja Niehaus. Die zwei machten sich auf den Weg zu der Adresse von Peter und Maria Niehaus.

Till wurde wieder munter, als er auf seiner schweren Maschine saß und sich die abendliche Sommerluft um die Nase wehen ließ. Auch in der Dämmerung ließ er es sich nicht nehmen, mit Sonnenbrille und offenem Visier zu fahren. Er folgte dem BMW von Siebels. Sie fuhren von Sachsenhausen aus über eine der Mainbrücken in Richtung Frankfurter Innenstadt. Die gläsernen Hochhäuser der Frankfurter Bankenlandschaft spiegelten den Sonnenuntergang, am Mainufer herrschte ein buntes Treiben, die Menschen saßen auf den Bänken, schlenderten am Ufer entlang oder saßen bei einem Caipirinha zusammen. Siebels nahm den Weg über den Cityring, die Straßen in der Frankfurter Innenstadt waren frei um diese Zeit, nach wenigen Minuten erreichten sie die Alte Oper. Auch hier füllten noch viele Menschen den Opernplatz mit Leben. Gegenüber der Alten Oper gähnte eine leere Baugrube. Das neue Hochhaus der Zürich-Versicherung sollte hier entstehen, die wirtschaftliche Schieflage hatte aber auch vor den Banken und Versicherungen nicht haltgemacht, der erste Spatenstich war auf unbestimmte Zeit vertagt. Till folgte weiter dem BMW, die Bockenheimer Landstraße hinunter, links und rechts von ihnen waren die Niederlassungen von Banken aus aller Welt angesiedelt. Auch an der Bockenheimer Warte war noch viel Betrieb. Die Sitzplätze des Cafés an der Bockenheimer Warte, dessen Türmchen die ehemalige Stadtgrenze markierte, waren restlos gefüllt. Till überlegte, ob er Siebels nach dem Besuch bei Tanjas Eltern hier noch zu einem Bier einladen sollte. Siebels nahm den Weg über die Sophienstraße, hier wurde es nun merklich ruhiger. Der BMW bog in die Franz-Rücker-Allee ab und gleich darauf in eine breite dunkle Straße. Beim Abbiegen erkannte Till das Straßenschild. Sie waren schon in der Broßstraße. Hier war es menschenleer, große Häuser und imposante Villen schmückten die Gegend. An der Ecke Broßstraße/Frauenlobstraße parkte Siebels seinen BMW, Till stellte seine Gold Wing direkt dahinter ab.

4

Es war bereits 22:00 Uhr, als Siebels an der Tür von Peter und Maria Niehaus den Klingelknopf drückte. Von hier aus erkannte er nur schemenhaft die moderne Villa, die sich hinter einem lang gestreckten Garten befand. Am Eingangstor hing ein großes Messingschild: Niehaus-Consulting.

Eine bedrückende Stille umhüllte die beiden Kripobeamten. Den Eltern die Nachricht vom Tod ihres Kindes zu überbringen war eine Aufgabe, für die sich weder Till noch Siebels als geeignet ansahen.

»Wer da?«, fragte eine energiegeladene Männerstimme aus der Sprechanlage.

Die Videokamera summte leise. Siebels schaute in die Kamera. »Guten Abend Herr Niehaus, wir sind von der Kripo Frankfurt und müssen Sie dringend sprechen. Es handelt sich um Ihre Tochter Tanja.« Siebels hielt seinen Ausweis vor die Kamera, der Türöffner wurde betätigt, schweren Schrittes gingen Siebels und Till zum Eingang der Villa. Dort erwartete sie Peter Niehaus. Siebels schätzte ihn auf Ende vierzig. Schlank, durchtrainiert, hohe Stirn. Ein Mann, der im Leben Erfolge hatte, das sah man ihm an.

»Was ist mit meiner Tochter? Hat sie Dummheiten gemacht? Ist etwas passiert?«

Siebels holte eines der Fotos aus der Tasche, das der Polizeifotograf am Morgen im Brentano-Bad aufgenommen hatte. »Ist das Ihre Tochter Tanja?«

»Ja, das ist sie.« Niehaus wich langsam die Farbe aus dem Gesicht, er starrte sekundenlang auf das Foto. Er stammelte. »Ist sie ... sie sieht so blass aus ... was ist das für ein Foto?«

»Es tut mir leid Herr Niehaus, ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Tochter tot ist.«

»Tot? Wieso tot? Das kann nicht sein. Sie müssen sich irren.«

Siebels nahm Niehaus am Arm und führte ihn ins Wohnzimmer. »Ist Ihre Frau da, Herr Niehaus?«

»Ja, aber sie schläft bereits. Nun sagen Sie mir schon, was passiert ist.« Niehaus ging zur Bar und schenkte sich einen Cognac ein.

»Ihre Tochter wurde heute früh in Frankfurt im Brentano-Bad tot aufgefunden. Sie wurde letzte Nacht erwürgt.«

»Im Schwimmbad? Sie wurde umgebracht? Von wem?« Niehaus hatte Mühe zu sprechen, seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen, seine Hand zitterte, mit einem Schluck trank er seinen Cognac aus.

»Wir haben keinen Hinweis auf einen möglichen Täter. Hatte Ihre Tochter einen Freund?«

»Nein, sie lebte in keiner festen Beziehung. Sie wollte immer ihre Freiheit haben, unabhängig sein. Bis vor einigen Monaten war sie mit einem Kollegen von der Deutschen Bank eng befreundet. Ein sehr netter und integrer Mann. Aber auch das war wohl nicht für die Dauer bestimmt.« Niehaus flüsterte seine Worte vor sich hin, Siebels und Till mussten sich dicht neben ihn setzen, um ihn zu verstehen. Sein Blick ging ins Leere, eine Träne lief ihm über Wange.

»Wie heißt der ehemalige Freund Ihrer Tochter?«, wollte Till wissen.

»Olaf. Olaf Kreuzberger. Er ist bei der Deutschen Bank als Abteilungsleiter beschäftigt. Tanja hat in seiner Abteilung gearbeitet. Bitte gehen Sie jetzt. Ich will allein sein.«

Siebels gab ihm seine Karte. »Bitte rufen Sie mich morgen an. Sie müssen Tanja identifizieren und wir werden noch einige Fragen an Sie haben.«

Niehaus zeigte keinerlei Reaktion, er schaute ins Zimmer, völlig geistesabwesend.

Mein Tagebuch, 12. Januar 2000

Gestern hatte ich ein Erlebnis. Ein wunderbares Erlebnis, das ich nie vergessen werde. War es Schicksal? Ich glaube, es war ein Wegweiser für viele weitere Erlebnisse, die ich noch haben werde. Und der Weg, den ich nun gehen will, den will ich festhalten in meinem Tagebuch. Oder soll ich es besser Erlebnisbuch nennen?

Mein Tagebuch beginnt am 12. Januar 2000. Ich bin in der Steiermark. Wir verbringen hier mit der Berufsschulklasse unsere Klassenfahrt auf einer Skifreizeit. Wir sind alle angehende Bankkaufleute. Noch ein halbes Jahr haben wir vor uns, dann finden endlich die Abschlussprüfungen statt. Mit mir sind wir nur fünf Jungs in der Klasse. Und dreizehn Mädchen.