Das Gegengift des Henkersweibs - Ute Zembsch - E-Book

Das Gegengift des Henkersweibs E-Book

Ute Zembsch

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Beschreibung

»Jetzt sind wir adelig, werden begehrt. Oder vergiftet.« Marburg 1233 – Gerechtigkeit für Runhild und Meinulf! Endlich ist ihr Dasein als Henkerspaar vorbei und sie gehören nun zum Niederadel. Anders als Meinulf, gelingt es Runhild anfangs nur unter Mühen, sich ihrem neuen Stand anzupassen. Doch können die Menschen wirklich so einfach vergessen? In ihrem neuen Leben begegnen ihnen tagtäglich Neid und Rachsucht. Als sich alles zum Besseren zu wenden scheint, wird Runhild vergiftet. Dank ihrer Willenskraft überlebt sie knapp, ihr Ungeborenes indes kann sie nicht retten. Mit allen Mitteln verfolgen die beiden jede Spur, doch statt ihre Trauer mit Antworten mildern zu können, mehrt sich die Angst vor weiteren Anschlägen. Wer trachtet dem einstigen Henkerspaar nach dem Leben? Bereits zum dritten Mal entführt Ute Zembsch in das mittelalterliche Marburg und erzählt die packende Geschichte von Runhild, dem »Henkersweib«, weiter.

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Seitenzahl: 391

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Das Gegengift des Henkersweibs

 

Historischer Roman

von Ute Zembsch

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

ISBN 978-3-943531-95-4

ISBN 978-3-943531-94-7 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Heerstraße 103 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Jana Hoffhenke

Umschlaggestaltung | Coverillustration: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Eridanus IT-Dienstleistungen

 

Kapitel 1

 

Runhild sah sich unsicher vor der Marienkirche um und fasste Meinulfs Hand. Am Wegesrand gaffte die Menschenmenge, zeigte auf den Landgrafen, die Edlen und auch auf sie, das ehemalige Henkerspaar von Marburg. Ihre wenigen Freunde und ein paar Stadtwachen winkten freudig und riefen ihnen Glückwünsche zu. Runhild fröstelte leicht. An diesem ersten Sonntag des Weinmonds änderte sich ihr Leben. Sie wurden nun nicht mehr gemieden und verachtet für die vergangene, von Höheren befohlene schwere Sünde, zu peinigen und hinzurichten. Sie berührten andere endlich nicht nur beim Heilen, ohne diese in die Ehrlosigkeit zu schicken.

Auf einen Wink des Zeremonienmeisters hin reihten sich Runhild und Meinulf in den Festzug ein. Doch nicht irgendwo, sogar dicht hinter dem Landgrafen durften sie an ihrem Ehrentag stehen.

»Kann ich eigentlich weiter den Menschen helfen?«

Meinulf lächelte. »Für den Adelsstand und im Hospital schon. Aber was denken die Leute über eine Frouwe, die mit ihrem Kräuterkorb durch Marburg rennt?«

Wie kam sie nur auf eine solch dumme Frage? Beschämt senkte Runhild ihr Haupt. Sie kannte mit ihren zwanzig Lenzen doch nur das untere Ende der Gesellschaft.

Vor der Familie des Vogts und ihnen setzte sich Landgraf Konrad von Thüringen gen Burg in Bewegung. Runhild raffte sorgsam ihr langes Kleid, um nicht auf den Saum zu treten. Am Abend zuvor hatte der Fürst ihnen Gnade gewährt, sie gar in den Niederadel erhoben und heute nach dem Gottesdienst Meinulf zum Ritter ernannt. Kein Wunder, dass ihr Herz noch immer aufgeregt pochte. Statt seiner hellroten Gugel als Zeichen des Geächteten, trug ihr Gemahl nun eine Kappe mit dunkelroter Borte auf seinem schwarzen Haar, passend zu seinem Obergewand und ihrem weitärmligen Kleid. Ihren dunkelblonden Schopf hielt heute nur ein Band zurück.

»Einen eigenen Hof, geschweige denn eine Burg, kann ich dir noch nicht bieten, meine Geliebte.«

»Ich hätte auch nichts gegen unsere Hütte, wenn sich die Leute dann nicht das Maul zerreißen würden.«

Meinulf lachte. »Das tun sie ohnehin. Aber der Hof deines Vaters ist standesgemäßer.«

»Und war für das Henkersweib letzte Woche ein Ort des Schutzes. Ich bin meinen Eltern dankbar für ihren Trost. Wobei ich dir lieber im Kerker beigestanden hätte.«

Meinulf streichelte ihre Hand. Dem Himmel sei Dank, hatte sie im letzten Augenblick die Wahrheit herausfinden und ihn so vor einem drohenden Todesurteil bewahren können. Runhild verscheuchte die nur langsam verstummende Angst um ihren Liebsten und lauschte kurz nach hinten, wo ihre Eltern miteinander scherzten.

»Ob Vater mich nur deshalb vor der Rechtsprechung anerkannt hat, weil Hoheit mir sonst nicht zugehört hätte?«

»Es ist seine Art, auf den rechten Moment zu warten.«

Meinulfs liebevoller Blick, dem sie sich hingab, beruhigte ihre Zweifel. Ein Ruck zog sie runter. Sie suchte Halt bei ihrem Gemahl und Gleichgewicht mit ausgestrecktem Arm. Hinter ihr kicherte ein, der hellen Stimme nach, junges Weib. Verflucht!

»Ich hab dich.« Meinulf stützte sie.

»Ich bin auf den Saum getreten. Das viele Tuch um die Beine, da waren meine alten Kleider tauglicher.«

Sie raffe den Rock, bereit, den Weg fortzusetzen.

»Bring meine Tochter nicht zu Fall.« Anselm beugte sich vor.

»Niemals, Herr Anselm, schließlich wurden wir gerade erst erhöht«, entgegnete Meinulf grinsend.

Runhilds Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Von Herzen gönnte sie es Meinulf, als Knappe ihres Vaters aufgewachsen und von ihm wie ein Sohn erzogen worden zu sein. Um ihn hatte sich Anselm sehr gekümmert, im Gegensatz zu seiner leibeigen geborenen Bastardtochter.

»Was ist?«, raunte Meinulf. »Du schaust so traurig.«

»Verzeih, ich sollte fröhlich sein, bei so viel Gnade.«

Sie ließ ihren Gemahl los, fasste beidhändig ihr Kleid und schritt bewusst bedächtiger aus. Ja, ihr Vater unterstützte sie beide und in der letzten Zeit, in der sie mit Anselm nach dem Widersacher gesucht hatte, schien sie ihm näher gekommen zu sein. Wirklich? Sie legte ihre Hand auf den Bauch, obgleich sie im dritten Mond noch nichts spürte, und atmete ihr Trübsal hinaus.

»Die ganzen Unruhen und Ängste schadeten unserem Kind nicht, Dank allen Heiligen. Vergib mir, dass ich dir erst gestern Abend von unserem Glück erzählte.«

»Schon gut. Dennoch sollten wir auch die Sorge um das Wohl unseres Kindes miteinander teilen.« Er legte den Arm um sie und hauchte ihr einen Kuss auf die Schläfe.

Der Zug überquerte den Burghof und betrat den Palas. Auf der Treppe zum Festsaal zog Runhild den Rock höher. Nach ihrem Missgeschick wollte sie sich nicht noch einmal eine Blöße geben. Natürlich würden alle hier die neue Adelige genau beobachten und nach Fehltritten gieren.

Oben wartete sie an Meinulfs Seite vor der Türschwelle, bis der Herold dreimal mit dem Stab auf den steinernen Boden aufstieß.

»Herr Meinulf von Haglohe, nebst Gemahlin Frouwe Runhild von Marburg«, verkündete er mit unbeweglicher Miene.

Erhobenen Hauptes näherte sie sich der Tafel. Meinulf führte sie zu ihren Plätzen nahe den Ehrengästen. Ihnen gegenüber setzten sich Runhilds Eltern. Gelsa strich über das weiße Tuch, betrachtete die silbernen Kerzenständer und die Blumengirlanden. So sehr ihre Mutter den Zierrat bewundern mochte, Runhild beschäftigte anderes. An einer Haarsträhne zupfend, betrachtete sie die Mienen ringsherum. War sie in diesem Kreis willkommen? Eine der Frouwen blicke sie mit gerunzelter Stirn an, und Runhild ließ ertappt die Strähne los. Durfte eine Adelige ihre Aufregung nicht zeigen?

Der Herold verkündete die Namen der restlichen Edlen, die langsam die Bänke füllten.

Nach einer Weile erhob sich Landgraf Konrad. »Ehe wir uns den erlesenen Genüssen hingeben, gilt unser Dank Herrn Meinulf und Frouwe Runhild. Nur durch Euch konnten Herrn Swidberts üble Machenschaften aufgedeckt und er für den Angriff auf Vogt Gunthram sowie meinen Mundschenken«, er wies auf den Vogt und dessen Sohn, »hingerichtet werden. Jener brachte zudem Euch, Herr Meinulf, kurz vor Eurer Schwertleite arglistig zu Fall und in das Amt des Henkers. Vergebt, dass wir Euch vor vier Jahren keinen Glauben schenkten und erst heute Abbitte leisten.«

Meinulf nickte pflichtschuldig, und Runhild drückte unter dem Tisch seine Hand. Ihren Aufstieg hatten sie mehr als verdient. Kurz darauf gab Hoheit Konrad die Aufforderung, die Vorspeise mit Gebäck und Früchten aufzutragen, denen einige Gänge folgen würden.

»Herr Anselm«, wandte sich Vogt Gunthram nach den ersten Bissen an diesen. »Was hinderte Euch daran, Eure Tochter eher anzuerkennen? Ihr seid schon so viele Jahre der Grundherr von Grindeln.«

Augenblicklich verstummten die Gespräche, manche hielten gar im Kauen inne. Runhilds Ohren rauschten. Dem Vogt musste Anselm antworten. Sie selbst hatte nie gefragt, aus Angst vor einer Enttäuschung.

»Sie weiß erst seit einem guten Jahr, dass ich sie zeugte.« Er nickte ihr zu. »Während eines Turniers, ich war noch ein Schildknappe, wurde ein Ritter übel verspottet. Einige mieden ihn sogar. Neugierig erkundigte ich mich bei ihm nach dem Grund.«

Der Vogt stützte sein Kinn auf. »Ich glaube zu wissen, wen Ihr meint.«

»Jener«, fuhr Anselm fort, »dankte für meine Freundlichkeit und sagte, als Herr dürfe er sich mit seiner Magd vergnügen, doch standesgemäß nur eine Edle heiraten. Daran hatte sich jener Ritter aus Liebe nicht gehalten.« Anselm griff Gelsas Hand und küsste diese. »Verzeih, mein Herz, dass ich zu sehr auf meinen Ruf hörte. Ich blieb dir all die Jahre treu und dachte täglich an dich und unsere Tochter.«

Gelsa schluckte, und Runhild zwinkerte Tränen der Rührung und Erleichterung fort.

»Niedere, die unsere Kreise bereichern. Hört, hört.« Landgraf Konrad klopfte auf den Tisch. »Meine Schwägerin kleidete sich bereits am Hof gerne in der Tracht einer armen Betschwester, worüber einige lästerten. Jetzt zieht ihr Grab zahllose Pilger jeden Standes an. Mein Bruder und ich erbitten beim Papst ihre Heiligsprechung.«

»Vielen Dank, Hoheit«, platzte Runhild heraus. »Ich lernte Hoheit Elisabeth kennen. Sie war so gottgefällig und gütig. Wie sie sich um die Kranken kümmerte …«

Ein paar Anwesende räusperten sich oder schüttelten tadelnd die Köpfe. Runhild biss sich auf die Lippe und senkte ihr Haupt. Was fiel ihr bloß ein, so drauflos zu plappern?

»Dem stimme ich zu.« Der Landgraf neigte sein Haupt zur Seite. »Wie ich hörte, wart Ihr, Frouwe Runhild, nach Eurer Flucht dort.«

Leises Geschwätz drang an Runhilds Ohren, jemand kicherte. Bloß nicht darauf achten. Sie lächelte dem Landgrafen zu und nickte nur. Schweigend kaute sie kleine Bissen, wie es sich gehörte.

»Frouwe Runhild«, sprach die Vögtin sie an. »Berichtet uns doch, wie Ihr enthüllen konntet, dass Herr Swidbert meinen Gemahl hinterrücks niederstach und schwer verletzte.«

So ermutigt, erzählte sie, wie sie Vogt Gunthrams Angreifer, zudem Meinulfs Widersacher, mal als Anselms vorgebliche Nichte, mal als Henkersweib auf die Schliche gekommen war. Die Familie des Vogts hatte den Plan unterstützt, und wie es schien, vergab ihr der Landgraf die Täuschung. Mochten ihre Taten helfen, vom Adel wirklich anerkannt zu werden.

Zwischen zwei Gängen lud der Tanzmeister zum Reigen. Runhild warf Meinulf einen vergnügten Blick zu und deutete zugleich fragend auf sein Bein, ob die Wunde einen Tanz erlaubte. Meinulf nickte und geleitete Runhild zur freien Fläche. Auch ihre Eltern erhoben sich. Mit ihrem Gemahl auf der einen und Anselm auf der anderen Seite stellte sie sich in der Reihe auf.

»Wir haben lange nicht mehr miteinander getanzt.«

Runhilds Kopf fuhr herum. Ausgerechnet diese Wiltrud lachte Meinulf freudig an und fasste wie natürlich seine Hand. Er zuckte nur die Schultern. War ihm tatsächlich gleich, was dieses Weib noch immer für ihn empfand? Sein alter Kamerad Jorgen, früher Wiltruds Ziehbruder, nun ihr Verlobter, presste die Lippen zusammen und packte die freie Hand seiner Braut, die empört aufschrie. Recht so! Die Musik erklang. Runhild linste beim Reigen immer wieder verbissen nach hinten. Hätte sie doch nie ihren Liebsten zum Tanz aufgefordert! So ein Miststück, ihrem Meinulf so nah auf den Leib zu rücken. Und diese übertrieben fröhliche Stimme. Weggerissen und geohrfeigt gehörte das Biest!

Wenigstens legte Meinulf nach dem letzten Ton sofort seinen Arm um sie.

»Runhild, bitte«, raunte er ihr auf dem Weg zu ihrem Platz zu. »Lass dir doch durch das kindische Verhalten einer, die zwei Lenze jünger ist als du, nicht die Laune verderben. Zudem, was hätte ich denn tun sollen?«

»Schon gut.« Sie richtete sorgfältig ihr Kleid. Er hatte ja Recht. Dennoch, die beiden kannten sich von Kindheit an, sie ihn erst seit gut zwei Jahren. An der Tafel zurück, lauschte sie zur Ablenkung den Unterhaltungen.

»Ja«, antwortete Landgraf Konrad gerade dem Vogt, »die Arbeiten schreiten gut voran, dank meines Bündnisses mit dem Grafen von Battenberg.«

»Verzeiht, Hoheit.« Anselm beugte sich zu ihm. »Ihr sprecht von dem Frankenberg auf der Gemarkungsgrenze Geismar und Röddenau?«

Der Hochadelige bestätigte es. »Der Berg gehört schon länger unserem Geschlecht. Zahlreiche Arbeiter errichten derzeit die Burg samt Vorburg, und bald stehen die ersten Häuser für künftige Bürger meiner neuen Stadt bereit.«

»Das wird dem Bischof von Mainz nicht gefallen.«

»Ganz recht, Herr Anselm, genauso wie die Größe meiner Streitmacht, sollte er auf dumme Gedanken kommen.«

Meinulf und andere Herren beteiligten sich an dem folgenden Gespräch über Befestigungen und Verteidigungstaktiken. Aufmerksam hörte Runhild zu. Wie vertraut er mit den Edlen sprach, als sei er nie Henker gewesen, und seine Augen strahlten dabei. Sie kam sich in dieser Gesellschaft wie ein Eindringling vor.

Jorgen knallte auf einmal seinen Kelch auf die Tafel. »Werte Herren, Ihr lobt diesen«, er wies auf Meinulf, »nur weil er Machenschaften aufdeckte, die es ohne ihn gar nicht gegeben hätte. Er ist ein Störenfried!«

Runhild stockte der Atem, sie blickte von einem zum anderen.

»Was soll das?« Meinulf erhob sich mit angespannten Muskeln.

»Ja. Ohne dich wäre vieles anders gelaufen.« Unwirsch wehrte Jorgen Wiltrud ab, die seinen Arm ergriffen hatte. Auch er stand auf.

»Ich habe, wie wir alle, mein Bestes als Knappe gegeben. Was konnte ich für Swidberts Neid und seine Entscheidung, mich zu vernichten?« Meinulfs Augen verschmälerten sich. »Und was für einen Grund gebe ich dir für deine Eifersucht?«

»Tust du so unschuldig wie damals? Ich werde …«

»Ruhe!« Vogt Gunthram stierte beide an. »Wer den Frieden dieses Festes stört, den lasse ich eine Woche an den Pranger stellen!«

Meinulf setzte sich langsam, sein ehemaliger Kamerad folgte nach ein paar heftigen Atemzügen. Beruhigend streichelte Runhild Meinulfs Arm.

»Du sagtest vorhin, wir sollen uns nicht die Laune verderben lassen.« Sie näherte sich seinem Ohr. »In einigen Wochen sieht jeder, dass ich unser Kind trage. Selbst dieses Miststück.«

Meinulfs Mundwinkel zuckte, er griff nach einer Weintraube und steckte ihr zur Antwort eine Beere in den Mund. Nach einem weiteren Gang bat der Tanzmeister die Paare zur Manfredina und Rotta.

»Gebt Ihr mir die Ehre, mein Kätzchen?«

Meinulfs betörend dunkler Tonfall und seine Anspielung auf ihre grünen Augen ließen Runhild wohlig erschaudern.

»Es ist mir eine Ehre, mein Ritter.«

Bei diesen Paartänzen konnte nichts Runhilds Freude trüben.

 

Meinulf streckte bedächtig Arme und Beine, um seine Liebste nicht zu wecken. Der erste Tag in ihrem neuen Leben, das sie sich mit viel Kraft und Leid erkämpft hatten. Genüsslich betrachtete er seine Runhild, bis sie sich räkelte. Er zog die Decke nach unten und strich über ihren Leib. Was für ein prachtvolles Weib, klug, herzlich und wunderschön. Und sie schenkte ihm auch heute wieder ein zärtliches Lächeln, kaum, dass sie die Lider geöffnet hatte. Nein, sie brauchte keine Nebenbuhlerin zu fürchten. Und wie, um es ihr zu beweisen, fuhr er mit den Händen unter ihrem Nachtgewand mit seinen Liebkosungen fort.

Später, nach dem Ankleiden, prüfte Meinulf den Sitz seines Gürtels und beobachtete Runhilds letzte Handgriffe nach dem Flechten des Zopfes. Wie verbissen sie das erste Band unter dem Kinn anlegte und, nach einigem Herumprobieren, auf dem Haupt feststeckte. Die zweite Hälfte ihres Gebendes um Stirn und Hinterkopf saß schneller am gewünschten Platz. Ihre gewohnte Haube oder das Kopftuch würde er wohl nicht mehr an ihr sehen.

Sie strich über seine Brust. »Jetzt passt deine Kleidung zu deinem edlen Herz.«

»Genau wie bei dir. Endlich können wir mehr für die Menschen tun als bisher.« Er zog sie in seine Arme. »Am Nachmittag beginnt mein Dienst als Burgmann. Vogt Gunthram prüft zudem mein Wissen über die Gesetze und unterweist mich weiter.«

»Meine Mutter und Vaters Ministerial lehren dafür mich, einen Haushalt zu führen. Ob ich mich daran gewöhne, nicht mehr alles selbst zu tun?«

Den Zweifel in ihrer Miene vertrieb er mit einem Kuss.

Hunger trieb sie in die Stube. Einzig an ihren Plätzen stand noch sauberes Geschirr, von der Mahlzeit der anderen zeugten nur noch Krümel. Sie langten kräftig zu und ließen sich Zeit. Ihre Pflichten würden sie bald genug einholen.

Runhild fasste Meinulfs Hand. »Vergibst du Ortwin? Schließlich hatte dieser Swidbert auch ihn getäuscht und gezwungen, zu schweigen.«

»Gestern hätte ich im Überschwang sogar meinem ärgsten Feind zugeprostet. Aber dass mein eigener Bruder mich verriet, schmerzt tief. Selbst wenn er es bereut und uns zuletzt half, brauche ich Zeit, um ihm zu vergeben.«

»Ich verstehe dich. Hätte eine meiner Freundinnen mich derart leiden lassen … Er muss beweisen, dass wir ihm wirklich vertrauen können. Ich denke, das hatte Hoheit im Sinn, als er Ortwin zu deinem Knappen bestimmte.«

Es klopfte an der Tür. Auf Meinulfs Geheiß trat Ortwin ein. Ob es ihn wurmte, seine restliche Knappenzeit statt beim Vogt nun bei ihm leisten zu müssen? Anmerken ließ er es sich nicht.

»Frouwe Runhild, Herr Meinulf.« Sein Bruder verbeugte sich, sein Mundwinkel zuckte, wie fragend, ob er lächeln durfte. »Kann ich zu Diensten sein?«

»Ja. Mit einem Karren und zwei Knechten.«

»Auch Pferde, Herr?«

Meinulf schüttelte den Kopf. »Wir erregen dort, wo wir hinwollen, bereits genug Aufmerksamkeit.«

Ortwin fragte nicht nach dem Ziel, verbeugte sich erneut und stob davon. Kurz darauf meldete er, dass alles bereit sei.

Meinulf bot Runhild seinen Arm und schritt gemächlich mit ihr vor Ortwin und den Bediensteten mit dem Karren her. Beim gestrigen Tanz hatte er die Kampfwunde, die er beim Gottesurteil davongetragen hatte, ihr zuliebe verdrängt und trotz der Müdigkeit schlecht einschlafen können. Nach der Nachtruhe und Runhilds Pflege waren die Schmerzen in seinem rechten Bein abgeklungen.

Oberhalb an der Marienkirche vorbei, gingen sie den Berg hinab über den Marktplatz. Die Leute drehten sich zu ihnen um, reckten die Köpfe. Sollten sie gaffen und fleißig tratschen. Heute begegnete er aufrecht ihren Blicken. Weiter gen Lahn erreichten sie die unterste Gasse von Marburg und den gewohnten Mief stinkenden Handwerks. Hier hausten die Niedersten. Meinulf betrachtete mit einem Hauch Wehmut ihre kleine Hütte, an der er im Sommer Schindeln ausgetauscht und einige Stellen mit Lehm ausgebessert hatte. Nein, nicht mehr ihre Hütte, diese gehörte bald seinem Nachfolger in diesem schweren Amt. Kaum stellten die Knechte den Karren vor der Behausung ab, trat ihre alte Nachbarin Juliana aus ihrer Kate heraus und grüßte. Runhild eilte hinüber zur Abdeckerin und umarmte sie.

»Aber, Frouwe …« Perplex starrte Ortwin ihr hinterher.

Meinulf schlug locker gegen seinen Arm. »Wahre Freundschaft erweist sich, wenn du ganz unten bist, und kennt keine Standesdünkel.«

»Ihr habt Recht.« Ortwin knetete seine Lippe und blickte zu Boden.

Ob es ihn tatsächlich reute, Teil der Intrige gegen ihn gewesen zu sein? Anfangs gewiss in der Überzeugung, Meinulf solle nur ein übler Streich unter Knappen gespielt werden, später aus Angst vor dem scheinbar Mächtigeren. Meinulf schluckte den erneuten Schmerz hinunter und winkte den Bediensteten. »Wartet mit dem Karren direkt vor der Tür. Ortwin, du kommst mit hinein.«

Er grüßte die Abdeckerin und wies Runhild darauf hin, dass sie später noch Zeit für ein Schwätzchen habe. In ihrer alten Heimstatt leerten sie den Inhalt einer Truhe auf ihr Bett und füllten diese nach für nach mit ihrer besten Kleidung und anderen Habseligkeiten.

Ortwin ließ den Blick schweifen. »So erbärmlich musstet ihr hausen? Und ich war daran schuld.«

»Du findest nicht, dass mein Weib uns hier ein schönes Heim bereitet hat?«

»Natürlich, Herr. Es ist nur … nun.«

»Klein? Armselig?« Sein Atem ging heftiger. »Was meinst du, weshalb ich froh war, als Totengräber dazuverdienen zu können? Du glaubst wohl auch, es habe mir Spaß gemacht, anderen Leid zuzufügen.« Im selben Moment, als er die Worte ausgespien hatte, bedauerte er sie.

»Bitte.« Runhild legte ihre Hand auf seinen Arm. »Dein Bruder hat keine Ahnung, was Henker sein bedeutet. Ortwin, nimm alles Essbare und gib es in den großen Korb.«

Augenblicklich gehorchte sein Bruder, vermutlich froh, beschäftigt zu sein.

Meinulf schloss die Augen. Vorgestern beim Gottesurteil hatte er seinen wahren Feind im Zweikampf besiegt und, ehe am Abend ihrem Gnadengesuch stattgegeben wurde, hingerichtet. Seine letzte Tat als Henker schenkte Meinulf Vergeltung und Gerechtigkeit. Konnte er seinem Bruder dennoch nicht vergeben, wie es jedem bußfertigen Sünder zustand?

Er lenkte die Gedanken auf Praktischeres. Was sollten sie mitnehmen? Noch besaßen sie kein Lehen, keinen eigenen Hof. Zunächst verdingte er sich als Burgmann, dann sah er weiter.

»Frouwe Runhild, ich bin fertig.«

Runhild schaute selbst noch einmal in die Körbe, Schalen und Kästen. »Folge mir damit rüber zu Juliana.«

»Der Abdeckerin?« Ortwin riss die Augen auf.

»Natürlich.« Runhild streckte sich.

»Verzeiht, aber sie ist keine Bettlerin und … so viel? Ihr solltet vielleicht im Hospital …«

»Dort spenden so viele. Was meinst du, woher die Münzen für die Hospitalkirche stammten? Gemüse und Brot sind das Mindeste für die Treue unserer Freunde.«

Meinulf konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Energisch schritt Runhild voraus, gefolgt von einem stillen Knappen. Und in dem Rang ließ er seinen jüngeren Bruder auch noch einige Zeit bleiben. Zumindest, bis der Schmerz und die Enttäuschung geheilt waren. Mit einem entschiedenen Nicken schloss er den Deckel der Truhe und ging hinaus zu den Knechten.

»Ladet das gute Stück auf und fahrt zu Herrn Anselms Hof.«

Die beiden verbeugten sich und gehorchten. Meinulf ließ aufmerksam seinen Blick schweifen. Manche eilten geschäftig vorbei, andere saßen vor ihrer Hütte und arbeiteten. Der Färber hielt im Zerkleinern seiner Pflanzen inne und gaffte unverhohlen zu ihm. Was die Leute über sie redeten, war das eine, was er und Runhild zu hören bekamen, etwas anderes. Meinulf betrat die Kate des Abdeckerpaares.

»Wo ist Georg?«

»Er und Paul schaufeln im Hospital ein Grab.« Juliana legte den Kohlkopf auf den Tisch. »Und ihr braucht das wirklich nicht mehr, Runhild?«

Ortwin räusperte sich. »Sie ist jetzt Frouwe Runhild.«

»Ach was.« Runhild winkte ab. »Nicht, wenn wir unter uns sind. Meine Mutter sorgt für eine übervolle Speisekammer, ich kann gar nicht verhungern.«

»Was reden die Menschen über uns?«, mischte Meinulf sich ein. »Du hörst gewiss mehr als wir.«

Juliana nickte. »Mit dem Urteil fing es an, und erst recht, als ihr begnadigt wurdet. Die einen sagen, Gott prüfte dich, wollten schon immer gewusst haben, dass du die Reliquie nie gestohlen hast. Manche vergleichen unsere Runhild gar mit Fürstin Elisabeth, weil die ja bis zu ihrem Tod die Ärmsten pflegte.«

»Ich sei wie die gütige hohe Frouwe? Als ich hingerichtet werden sollte, beschimpften sie mich.«

Meinulf legte eine Hand auf Runhilds Hüfte. »Die wollen sich lieb Kind machen. Was ist mit den anderen?«

»Neider. Eifersüchtig, weil sie euch euer Glück nicht gönnen. Ich wiederhole besser nicht, was die für dummes Zeug schwätzen.«

»Ei, wer ist das denn? Fremde?« Georg trat mit geschulterter Schaufel ein.

»Freunde.« Meinulf hob grüßend die Hand. »Auch, wenn mein Schildknappe darauf besteht, dass selbst Vertraute uns nicht mehr duzen sollen.« Er lachte Georg zu.

»Vor vier Jahren war es umgekehrt. Du hast lange gebraucht, um zu begreifen, dass du gefallen warst. Ständig darauf hingewiesen hast du, von Adel zu sein.«

Meinulf runzelte die Stirn. Musste Georg unbedingt vor Runhild davon sprechen? »Wenn du Hilfe brauchst, scheue dich nicht, mich zu fragen.« Dann streichelte er die Wange seiner Liebsten. »Wie ich mein Weib kenne, will sie sicher am Grab der seligen Elisabeth zum Dank beten.«

»Oh, Juliana.« Ihre Augen leuchteten. »Ich muss dir was erzählen. Landgraf Konrad will sich dafür einsetzen, dass sie für die Wunder an ihrem Grab heiliggesprochen wird. Ja, wegen dem Überfall auf Fritzlar liegt er mit dem Papst im Streit, aber das wird wieder.«

Lachend fielen sich die Weiber in die Arme.

 

Meinulf fand sich am Nachmittag mit seinem Bruder in der Vorburg zum Dienst ein. Gemeinsam mit anderen Kämpfern wartete er auf die Befehle des Vogts. Dieser näherte sich, durch die noch nicht ganz verheilte Stichverletzung im Rücken langsam, auf einen Stab gestützt und von seinem Knappen Trudwin begleitet.

»Die Herren Meinulf und Jorgen reiten die Straßen um die Stadt herum ab, zum Fronhof, Hospital und Nordtor. Ihr nehmt Ortwin und Trudwin mit.«

Meinulf bemerkte, dass Jorgen die Arme verschränkte, und runzelte die Stirn. Als hätte er damals oder heute dessen Braut aufgefordert, ihm schöne Augen zu machen. Nach dem Vorfall auf dem gestrigen Fest sandte Herr Gunthram sie nicht zufällig zusammen los. Beide warteten schweigend im Vorhof, bis die Knappen die Pferde gesattelt und zu ihnen gebracht hatten. Als sei die Stimmung zwischen ihnen nicht schon schwierig genug, tauchte nun auch noch Wiltrud auf.

»Lieber Meinulf.« Sie lächelte und schwang beim Gehen ihren Rock. »Bei all dem Trubel gestern hatte ich leider keine Gelegenheit, Euch zu sagen, wie glücklich ich bin, dass Ihr wieder unserem Stand angehört. Ich habe beim Gottesurteil für Euch gebetet.«

Schnell warf er einen Seitenblick auf Jorgen, der sich, wohl der Nähe zu den anderen Burgmannen geschuldet, mit geballten Fäusten abwandte.

»Danke, Jungfer. Verzeiht, aber Euer künftiger Gemahl und ich müssen uns auf unsere Aufgabe vorbereiten.«

»Ihr wartet offensichtlich, und wir haben uns so lange nicht gesprochen. Ich sorge mich um die Verletzung, die dieser Kerl Euch beigebracht hat. Ich hoffe sie verheilt gut.«

Er fühlte sich an seine Knappenzeit erinnert, da umschwärmte sie ihn ohne sein Zutun genauso. Schon damals erfolglos. Hatte die Jungfer nichts dazugelernt?

»Als Henker sah ich schlimmere. Meine Gemahlin ist eine großartige Heilkundige und kümmert sich liebevoll um mich.«

»Ich durfte Euch leider nicht helfen.« Sie wies mit dem Kinn auf Jorgen, der die Zähne bleckte. »Ihr habt gewiss in den letzten Jahren Euer Leben hier und Eure Freunde vermisst.«

»Zum Teil. Alles wendete sich Dank Runhild zum Guten. Unsere Liebe überstand alle Widrigkeiten, ich könnte mich nicht glücklicher schätzen als mit Runhild an meiner Seite.« Bewusst betonte er den Namen seiner Liebsten. Warum merkte Wiltrud nicht, dass sie ihm gleichgültig war?

»Nun, ich verstehe, dass Ihr in Eurer unglücklichen Lage froh wart, eine fürs Nachtlager zu bekommen. Aber die Umstände haben sich geändert.« Sie neigte ihr Haupt zur Seite und spielte mit ihrer braunen Locke.

Meinulf zog scharf Luft ein. Ehe er eine passende, doch seiner Erziehung angemessene Antwort finden konnte, näherten sich Ortwin und Trudwin. Kurzerhand drehte er sich um und stieg auf sein Pferd. Sein damaliger Kamerad tat es ihm gleich.

»Du weißt offenbar noch immer, wie du Wiltruds Kampfgeist wecken kannst«, zischte Jorgen.

Er trieb sein Reittier an, ohne Rücksicht auf jene, die ihm erschrocken aus dem Weg sprangen. Eilig folgten Meinulf und die Knappen ihm. Ein ganzes Stück hinter dem Burgtor holten sie ihn ein.

»Jorgen, sei vernünftig!« Meinulf fasste die Zügel des anderen Pferdes.

»Ich sehe klar und deutlich deine Taktik, Wiltruds Begehren auf dich zu ziehen! Herr Meinulf, ich fordere Euch zum Kampf!« Er sah ihn aus schmalen Schlitzen an.

Eilig schloss Ortwin auf. »Herr Jorgen, bitte, nehmt Rücksicht auf die Verletzung meines Herrn.«

»Ich kann selbst für mich sprechen!«

Jorgen zog sein Schwert. »Könnt Ihr auch damit für Euch eintreten?«

»Ihr habt vor zwei Tagen gesehen, wie ich an Bein und Seite getroffen wurde. Es wäre heute ein ungleicher Kampf.«

»Nur heute? Vielleicht hattet Ihr Samstag nur Glück? Euer Gewand weist Euch als Edlen aus. Zeigt, ob Ihr nicht doch noch ein Henker seid.«

Henker? Meinulf durchfuhr es heiß. Was bildete sich dieser Kerl ein? »Wenn Ihr darauf besteht, Herr Jorgen.«

Der Himmel zeigte sich bewölkt, so wurde keiner von der Sonne geblendet. Sein Gegner war dennoch im Vorteil. Als Henker konnte Meinulf sich nicht im Kampf üben, bis auf das letzte Jahr heimlich mit Anselm. Allein der Hilfe Gottes und seiner Willenskraft rechnete Meinulf es zu, dass er beim Gottesurteil gegen seinen ebenfalls erprobteren Widersacher gewonnen hatte. Er musste noch einiges nachholen.

Auf der Wiese neben dem Weg standen sie einander gegenüber. Beide in Gambeson und Kettenhemd, unterschied sie kaum etwas. Meinulf verließ sich nicht auf das eine Jahr, das er älter war, und die Handbreit, die er Jorgen überragte. Der andere baute sich breitbeinig mit angespannten Muskeln auf. Das konnte er auch. Gräber zu schaufeln, hatte zumindest seine Kraft gestählt. Jorgens erste Schläge zeugten noch von seiner Wut, und Meinulf gelang es, ihnen auszuweichen. Dann griff er selbst an. Jorgen wehrte mit dem Schild ab, traf sein rechtes Bein genau an der verletzten Stelle. Mit einem Schmerzenslaut ging Meinulf in die Knie. Verdammt! Das war Absicht. Sein Schenkel brannte höllisch.

»Ich bin der Bessere für Wiltrud«, presste Jorgen hervor.

Meinulf sah schwer atmend hoch. »Ich wollte und will nichts von ihr. Ich liebe nur Runhild.« Langsam erhob er sich.

»Nur weil diese Leibeigene die Einzige war, die einen Henker an sich heranließ. Ihr könntet sie für Wiltrud verstoßen.« Jorgen stieß ihn kraftvoll mit dem Schild an.

Schwankend suchte Meinulf sein Gleichgewicht. »Niemals! Und nennt Runhild nie wieder leibeigen. Sie ist mein Weib und Herrn Anselms Tochter.« Er hob seine Waffen und keuchte. Sein Bein zitterte vor Schmerz und der Beinling färbte sich rot. »Also gut, Herr Jorgen, Ihr habt diesen Kampf gewonnen. Jedoch nur, weil wir für den gleichen Grund streiten: Ihr für Eure und ich für meine Liebste, mögen sie auch noch so unterschiedlich sein.«

Jorgen rieb mit dem Handrücken über die Nase. »Ihr geht wohl für die Eure nicht bis zum Ende?«

»Nicht, wenn ich gegen einen Narren antrete. Es bräche Runhilds Herz, mich zu verlieren, genauso wie meins, hätte ich sie damals nicht retten können.«

Meinulf belauerte Jorgen. Dieser trat bebend einen Schritt näher, zögerte und wandte sich abrupt um. Dafür eilte Ortwin herbei.

»Frouwe Runhild wird wütend sein, nachdem Ihr versprochen hattet, Euch zu schonen. Aber sie gab mir Wickel mit.«

Sorgsam verband Ortwin die Wunde neu. Meinulf seufzte. Sobald sein Bein verheilt war, musste er sich täglich an den verschiedenen Waffen üben. Trutwin hatte sich die ganze Zeit herausgehalten. Ob er für Herrn Gunthram ihr gegenseitiges Verhalten beobachten sollte? Wie auch immer. Zumindest verlief der restliche Ritt im Auftrag des Vogts ruhig, sogar sehr ruhig, da Meinulf und Jorgen kein Wort wechselten.

 

Je näher Runhild dem Marktplatz kam, desto mehr Menschen begegneten ihr. Bis noch vor wenigen Wochen musste sie darauf achten, niemanden zufällig zu berühren. Im Gegensatz dazu war es nun an den Leuten, respektvoll Abstand zu wahren. Sie hob die Brauen. Ein neuer Laden gegenüber dem Brunnen? Neugierig trat sie näher.

»Werte Frouwe, bei mir seid Ihr genau richtig. Meine Waren kommen aus dem ganzen Land.«

Der etwa dreißigjährige Krämer wies mit großer Geste auf seine Tuche, Gewürze, Öllämpchen und mehr.

»Ich habe dich noch nie hier gesehen.«

Er verbeugte sich. »Bartelmes tauften mich meine Eltern. Mir liegt der Handel im Blut. Natürlich nur, damit ich solch edlen Herrinnen das Beste und Schönste anbieten kann.«

»Wirklich?« Runhild verzog den Mundwinkel. »Schon mancher gab vor, redlich sein Geld verdienen zu wollen, und landete am Pranger, wenn er beim Gegenteil erwischt wurde.«

Wie ein Gaukler riss Bartelmes die Augen auf und griff an sein Herz. »Ich schwöre bei Gott, kein Gauner zu sein. Möge der Blitz mich treffen, wenn ich je mehr verlangte, als meine Ware wert ist.«

Runhild beobachtete seine Miene genau. Händler neigten zu Übertreibungen, aber eine Lüge erkannte sie nicht bei ihm. Gut, wenigstens etwas.

»Ich brauche gefärbtes Leinen und Bänder.«

Eilfertig huschte der Krämer hinter den Stand, um eine Truhe auf seiner Seite des Tisches zu öffnen.

»Seht, hübsch gefärbte Bänder, reich bestickt.«

»Manch eine muss protzen«, hörte Runhild Wiltrud neben sich. »Sonst erkennt niemand, zu welchem Stand sie gehört.«

Runhild drehte sich zur Seite. »Mich könnt Ihr nicht meinen.«

»Und warum lasst Ihr Euch diesen Tand zeigen?« Wiltrud verschränkte die Arme.

»Das geht Euch nichts an. Bartelmes«, wandte sie sich dem Krämer zu, »für das, was ich nähen will, brauche ich einfarbige, schmale Bänder.«

»Sehr wohl, gütige Frouwe. Verzeiht, dass ich nicht gefragt hatte, um Euch gleich das Richtige zu zeigen.«

Runhild biss sich auf die Lippe. Nein, eine ihres Ranges wies sich nicht die Schuld zu, ihren Wunsch unklar geäußert zu haben. So nickte sie nur freundlich.

Leise schnaubte Wiltrud vor sich hin. »Weißt du, Bartelmes, so war doch dein Name, noch vor einem guten Mond hätte niemand sich bei ihr entschuldigt.«

»Müsst Ihr das jedem auf die Nase binden?«, zischte Runhild.

Die andere winkte ab. »Als würde nicht jeder in Marburg noch immer gerne davon schwätzen, dass ihr das Henkersweib wart.«

Bartelmes hob die Brauen. »Verzeiht, werte Frouwe, aber ich hörte, das Henkersweib sei eine Leibeigene?«

Statt Runhild stimmte Wiltrud eilig zu. »Sogar aus dem Lehen ihres Vaters. Erst kürzlich erkannte er sie an.«

»Wisst Ihr, Jungfer Wiltrud, wahrer Adel zeigt sich im Verhalten.« Runhild hob ihr Haupt. »Geschwätzigkeit ist kaum angemessen. Genauso, wie den Gemahl einer anderen zu begehren.«

Wiltrud schluckte. Kurz schloss Runhild die Augen. Musste das sein, dass sie sich vor Fremden zankten wie Waschweiber? Der Adel galt doch in allem als Vorbild. Mit einem gezwungenen Lächeln wechselte sie das Thema.

»Frouwe von Merlau schlug beim gestrigen Treffen vor, wir als gottesfürchtige Edle sollten gemeinsam ein Altartuch für die Hospitalkirche besticken. Bartelmes, zeig mir, was du an feinem Leinen hast.«

Glücklicherweise schwieg Wiltrud, hielt sich zurück und beobachtete argwöhnisch, wie Runhild die Tuche prüfte, die der Krämer ihr zeigte. Geübten Blickes entdeckte Runhild den einen oder anderen Webfehler.

»Ihr kennt Euch gut aus«, meinte Bartelmes. »Webt Ihr selbst?«

»Früher, in Grindeln, und auch im Hospital der Landgräfin Elisabeth. Die Fürstin lobte meine Fertigkeit. Ich nehme dies hier.« Sie deutete auf ein mit dünnem Faden eng gewebtes Tuch.

Wiltrud legte ihre Hand auf das ausgewählte weiße Leinen. »Ich vereinbare den Preis und lege die Münzen vor.« Ehe Runhild etwas erwidern konnte, fügte sie hinzu: »Darin bin ich geübter als Ihr.«

In der Tat besaß Wiltrud ein gutes Verhandlungsgeschick. Sie selbst hätte gewiss mehr bezahlt. Auch ein Feld in ihrem neuen Leben, in dem sie dazulernen musste. Wiltrud zahlte den ausgehandelten Betrag und legte den Stoff sorgfältig in ihren Korb. Vermutlich würde Runhild selbst darauf hinweisen müssen, dass sie an den Kauf gedacht und das Tuch ausgesucht hatte.

Bartelmes wandte sich Runhild zu. »Grindeln, sagtet Ihr? Man erzählt, vor zweieinhalb Jahren floh die Leibeigene eines dortigen Hörigen und befreite sich dank dem Henker aus den Fängen des Inquisitors. Verzeiht. Seid das wirklich Ihr?«

Genervt aufseufzend nickte Runhild.

»Ihr musstet wohl viel erdulden und habt dafür mein tiefstes Mitgefühl. Wenn Ihr erlaubt, bete ich für Euch.«

»Tu das.«

Etwas erinnerte Runhild bei dem Krämer an Gerfried, den Freund des Bauern, dem sie entlaufen war. Sie schüttelte gedanklich den Kopf. Kaufmann oder Krämer, wer an die Münzen anderer wollte, hofierte und suchte, zu überreden. Deren Schmeicheleien durfte man schlicht nicht trauen. Aber diese waren auch gute Klatschweiber.

»Unsere selige Landgräfin verdient es, heiliggesprochen zu werden«, fing Runhild an. »Ich strebe ihrer Nächstenliebe nach und helfe im Hospital, wie sie es tat. Zeig mir Tuche, die für Wickel und Kräuterbeutel brauchbar sind.«

»Es ist mir eine Ehre.«

Umgehend verlangte Wiltrud große Kerzen. Für den Altar der Hospitalkirche, wie sie in überbietendem Ton meinte. »Die Pflege Kranker ist das eine. Doch nur der Herrgott vermag zu heilen, wenn Gläubige zu ihm beten.«

»Da habt Ihr Recht, werte Jungfer.« Bartelmes öffnete die Hände gen Himmel. »Marburg ist gesegnet durch einen Adel, der so für die Armen und Kranken sorgt.«

Zumindest vorgeblich. Runhild schielte zu Wiltrud und verkniff sich ein Lachen. Jetzt hatte sie lange genug hier herumgestanden, zu Hause wartete noch Arbeit auf sie. Grob rechnete sie sich aus, wie lange eine Weberin daran gesessen haben mochte, und bot Bartelmes etwas weniger. Völlig unbedarft war sie schließlich nicht. Er lobte die Kunstfertigkeit und die Güte des Leinens, ließ sich nach kurzem Hin und Her doch auf einen angemessenen Preis ein. Ganz wurde Runhild das Gefühl nicht los, dass er sie vor Wiltrud nicht bloßstellen wollte.

Sie verpackte ihre Neuerwerbung und verabschiedete sich höflich von beiden. Im Umdrehen entdeckte sie Guda, die engste Vertraute der zwei Jahre zuvor verstorbenen Landgräfin, neben dem Brunnen. Diese grüßte von Weitem und wartete auf sie.

»Ihr und Jungfer Wiltrud einträchtig beisammen?« Guda hob die Brauen.

Schnaubend winkte Runhild ab. »Ob sie wirklich so zufällig am gleichen Stand einkaufen wollte? Zumindest kennt der fremde Krämer nun meine Geschichte.«

Sie sah zum Verkaufsstand zurück und direkt in Wiltruds verkniffenes Gesicht. Als diese Runhilds Blick bemerkte, kehrte sie ihr den Rücken zu.

 

Runhild legte eine Hand auf den Bauch, ihr Herz klopfte schneller. Lag es an dem Traum, in dem Wiltrud sie, entgegen ihrem Zügeln vor zwei Wochen, vom Krämer zum Pranger gezerrt hatte? Dem durch die Läden eindringenden Licht nach, musste es kurz vor Sonnenaufgang sein. Neben ihr schlief Meinulf tief und fest mit dem Rücken zu ihr. Ein Stechen in ihrer Magengegend hatte Runhild geweckt. Sie atmete tief durch und drängte die aufkeimende Übelkeit zurück. Noch eine Weile wollte sie liegenbleiben und, sobald sie sich danach fühlte, einen Heißwasserauszug mit Kamille bereiten, um diesen dann langsam zu trinken. Für das werdende Leben in ihr musste sie zu sich selbst fürsorglich sein.

»Heilige Jungfrau«, flüsterte sie. »Bitte lass alles gut werden.«

Meinulf räkelte sich und drehte sich um. »Was hast du gesagt?«, fragte er mit schläfriger Stimme.

»Ich habe zur Heiligen Jungfrau gesprochen. Es ist alles in Ordnung.« Hoffentlich.

Sie lächelte ihn an. Es langte, wenn sie sich Gedanken machte, schließlich konnte sie sich selbst helfen. Er beugte sich für einen Kuss über sie. Schlagartig stieg die Übelkeit mit aller Macht auf. Runhild drückte Meinulf weg, rollte sich aus dem Bett und langte nach dem Nachttopf.

Eilig kniete er an ihrer Seite und rieb ihr zärtlich über den Rücken, während sie sich erbrach. »Ist das diese Morgenübelkeit von Schwangeren?«

Im fünften Mond? Runhild spuckte aus. »Ich hoffe es.«

»Hoffen? Was ist los?« Sein besorgter Tonfall duldete keine Ausflüchte.

»Zur Sicherheit werde ich mich heute sehr schonen und etwas zur Beruhigung meines Magens zu mir nehmen.« Tapfer lächelte Runhild ihn an.

Sie erhob sich behutsam, goss Wasser in die Waschschüssel und versuchte mit dem kalten Nass auch die Wärme in ihrem Gesicht zu vertreiben. Oft hatte sie Schwangeren geholfen, die krank geworden waren und dennoch ein gesundes Kind zur Welt gebracht hatten. Jetzt war sie eben eine davon.

»Wenn ich irgendetwas für dich tun kann …« Meinulf schloss sie von hinten in seine Arme. »Und wenn ich nur Notburga nach dir sehen lasse.«

»Ich habe schon so vielen Kranken geholfen. Zweifelst du an meinen Fähigkeiten?« Sie löste sich aus seiner Umarmung und drehte sich zu ihm um.

»Niemals. Ich mache mir Sorgen um dich. Du warst noch nie krank.«

»Mir geht es heute einfach mal nicht gut«, lenkte sie ein. »Verzeih mir meine Grantigkeit.«

Zur Antwort küsste er sie. Sie kleideten sich beide an, damit Runhild ihren Kräutertrank bereiten konnte.

Die Köchin war bereits auf den Beinen und brachte auf Runhilds Anweisung hin eilig das Wasser im Kessel über der Feuerstelle zum Brodeln. Die Neugier, was mit der jungen Herrin sei, stand ihr ins Gesicht geschrieben, jedoch schwieg sie.

In der Stube trank Runhild bedächtig den Kräuterauszug und schielte zu dem kleinen Hausaltar. Die schlichte weiße Figur der Jungfrau Maria hatte Meinulf ihr geschenkt, kurz nachdem sie sein Weib geworden war. Nicht immer erhörten die himmlischen Mächte die Gebete der Menschen.

»Kind! Deine Wangen glühen.« Gelsa hastete zu ihr, kaum, dass sie und Anselm den Raum betreten hatten. »Deine Augen sehen auch nicht normal aus.«

»Das wird wieder.« Runhild wollte ganz gewiss nicht umsorgt werden wie ein Küken von der Glucke.

Dann stieß es ihr wieder auf. Sie rannte mit der Hand vor dem Mund zum Abort und spie den Trank aus. Jetzt schwindelte ihr, zusätzlich zu dem stärker werdenden Stechen in ihrem Bauch. Verflucht! So dreckig ging es ihr erst einmal, ehe sie aus Grindeln geflohen war. Die Erkenntnis traf sie wie ein Dolchstoß.

»Runhild!« Meinulf stand hinter ihr. »Das ist mehr als eine Magenverstimmung.«

Sie drehte sich um und sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Ich fürchte, du hast Recht. Gegen irgendetwas wehrt sich mein Leib.«

Vielleicht vertrug sie in ihrem Zustand einfach nicht mehr alles oder hatte Ungenießbares zu sich genommen. Mochte es nur eins von beiden sein.

Zurück in der Stube bereitete sie sich Salzwasser zu und entnahm ihrem Heilmittelkästchen die Kohle des Apothekers. »Ich bin künftig vorsichtiger mit dem, was ich zu mir nehme.« Sie verdrängte ihre Angst und versuchte, nicht nur für die anderen unbesorgt zu klingen.

Grummelnd widersprachen ihre Gedärme. Plötzlich verkrampfte sie. Keuchend biss sie die Zähne zusammen, krümmte sich, umschlang schützend ihren Bauch.

Gelsa reichte es. »Du legst dich ins Bett und wir holen Notburga. Deine Heilkünste in allen Ehren, aber mit dem Kind in dir kannst du keinen klaren Gedanken fassen.«

Ohne sie zu fragen, nahm Meinulf Runhild auf die Arme und trug sie in ihre Kammer. Sie zitterte am ganzen Leib. Mit Meinulfs Hilfe zog sie ihr Obergewand aus, legte sich hin und ließ sich von ihm zudecken. Sie schluchzte. Eigentlich brauchte sie eine Bauchmassage, doch ihre Hände gehorchten ihr nur unwillig.

»Ich bleibe bei dir.« Meinulf stellte die Waschschüssel neben das Bett, tauchte ein Tuch in das kalte Nass und tupfte ihr die Schweißperlen von der Stirn.

Für einen Moment überkam Runhild Ruhe. Meinulf schenkte ihr so viel Liebe, bestimmt ging alles gut. Unvermittelt verkrampfte ihr Leib erneut, stach es unbarmherzig in ihren Eingeweiden. Sie richtete alle Aufmerksamkeit auf ihren Atem. Ganz langsam atmete sie ein und blies die Luft aus. Es half nicht.

Die Tür öffnete sich.

»Ich habe auf dem Hausaltar eine Kerze für dich entzündet.« Gelsa trat an ihr Bett. »Versuch, etwas Salzwasser zu trinken, bis Notburga da ist.«

Sie reichte ihr den Becher. Das Schlucken fiel Runhild schwer, doch sie zwang sich dazu. Sie musste das Schädliche schnell loswerden.

Endlich traf das alte Kräuterweib ein. »Euer Vater ritt alle Gassen ab, um mich zu finden. Er sagte, es stünde schlimm um Euch.«

Hastig erhob sich Meinulf, um den Platz für die Heilkundige freizugeben. Notburga fühlte Runhilds Stirn, Wange und Hand, sah ihr tief in die Augen.

»Meine Eingeweide kämpfen.« Runhild presste im Schmerz die Augenlider zusammen.

»Ich sehe es. Schlägt Euer Herz ruhig?«

Jetzt, wo ihre Freundin es ansprach, fiel es ihr auf. »Nein, sehr hastig. Bitte, Notburga, sorg dafür, dass ich schnell gesund werde. Für das Kind in mir.«

Notburga zog scharf Luft ein.

»Sie hat ein paar Schluck Salzwasser und Kohle vom Apotheker zu sich genommen.« Meinulf wies auf den Becher. »Behielt aber nur einen Teil bei sich.«

Notburga wandte sich an Gelsa. »Habt Ihr Gänsefingerkraut?«

»Ja, ganz frisch getrocknetes. Ich hole welches.«

Ohne Erklärung zog Notburga Runhild die Bettdecke bis zur Hüfte hinunter und das Untergewand so hoch, dass ihr Bauch frei lag. Sie langte aus ihrem Korb nach einem Fläschchen und füllte einen Schluck des öligen Inhalts in ihre Handfläche. Hoffnungsvoll legte sich Runhild zurück und vertraute sich Notburga an. Mit geübten Griffen tastete diese ihren Bauch ab und walkte ihn umsichtig.

»Was habt Ihr zu Euch genommen?«

»Nichts anderes als alle anderen auch.« Wieder durchfuhr die Pein ihren Leib. Runhild zuckte zusammen. »Bitte, hilf mir!«

»Ich tue, was ich kann. Versucht, möglichst viel zu trinken.«

Runhild gehorchte. Sie kaute, sobald Gelsa zurück war, auch vom Gänsefingerkraut, um die Krämpfe zu beruhigen. Doch ihre Gedärme kämpften weiter, wie auch die Angst um ihr Kind.

Auf der Truhe sitzend, ließ ein bleicher Meinulf seine Augen nicht von ihr. Er hielt die Hände gefaltet und murmelte vor sich hin. Konnte ein gerechter Gott seine Bitte abschlagen? Meinulfs und ihr Blick versanken ineinander.

Zur Mittagszeit brachte Gelsa ihr einen Haferbrei. Ein paar Löffel nahm sie, ehe ihr Magen rebellierte. Alle Bemühungen Notburgas brachten nur wenig.

Runhilds Schoß durchstieß es wie ein Blitz. »Nein!«

Wild bäumte sie sich auf, fegte die Decke hinunter. Zwischen ihren Beinen floss ein Rinnsal Blut. Meinulf fuhr jäh hoch.

»Tu was!«

Notburga fasste Runhilds Hand. »Ich hatte so sehr gehofft, mich zu irren.«

Tränen rannen Runhilds Wangen hinunter. »Du meinst, in mir ist Gift?«

Das alte Kräuterweib nickte traurig. »Ich vermute Nieswurz oder ein anderes Kraut mit den gleichen Auswirkungen. Herr Meinulf, bittet Frouwe Gelsa um Tücher und abgekochtes Wasser.«

Runhild schrie auf, ihre Finger verkrampften sich im Betttuch. Ihr Wissen über das Giftkraut und ihr innigster Wunsch, das Kind zu behalten, stritten gegeneinander. Notburga tauschte mit Meinulf den Platz, nachdem er zurück war, damit er Runhild in die Arme nehmen und ihr Kraft geben sollte. Nur ein Gedanke beherrschte sie: ihr Kind zu retten.

Sie zwang, was das Gift austreiben sollte, mit Meinulfs Hilfe weiter in sich, unterdrückte jeglichen Würgereiz.

Stetig heftiger zitterte und zuckte sie unbeherrscht. Ihr Herz spielte verrückt, ihre Ohren rauschten. Dumpf hörte sie Meinulf angsterfüllt ihren Namen rufen, spürte Notburga an ihrem Leib hantieren, dann umfing sie gnädige Dunkelheit.

Kapitel 2

 

Runhild?« Meinulf umfasste ihr Haupt.

Schwer und langsam bewegte sich ihr Brustkorb. Das einzige Zeichen, dass sie lebte.

Nach einem Stoßgebet zur Heiligen Maria wagte er, seinen Blick nach unten zu richten. Zwischen ihren Beinen blutete es stärker! Seine Lippen bebten, kein Wort brachte er hervor.

Die alte Heilkundige hielt ihre Hand vor Runhilds Unterbauch. »Bitte, Herr, seht nicht hin. Streichelt Eurem Weib Hand und Wange, damit sie Euch spürt.«

Notburga versperrte ihm die Sicht, bis er gehorchte. Einige Male zuckte Runhilds Leib, doch sie erwachte nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit richtete er auf ihr Antlitz und betete. Sollte er erleichtert sein, dass sie nichts mitbekam, oder Angst um ihr Leben haben? Meinulf seufzte tief und bemerkte im Augenwinkel, wie Notburga die Decke über Runhilds Beine und Bauch legte. Ein winziges rotes Stück Fleisch zog ihn an.

»Herr, nicht.« Notburga faltete eilig das blutige Leinen darüber und packte das Bündel zusammen.

»Unser Kind?« Welch törichte Frage. »Runhild freute sich so sehr darauf.« Jäh durchschoss ihn heißer Schmerz. »Nein!«

Er sprang auf und trat den Schemel beiseite. Dumpf drangen ihm sein eigener Schrei, seine Verwünschungen in die Ohren. Er ballte die Fäuste und stapfte auf Notburga zu, die vor ihm zurückweichend rief, er solle sich beruhigen.

»Meinulf!« Anselm packte ihn fest von hinten. »Komm zu dir! Sie kann nichts dafür!«

Die Stimme seines Ziehvaters brachte Meinulf halbwegs zur Besinnung. Tränenblind sackte er auf den Boden. Hinter seinem Rücken vernahm er Stimmen und das Schließen der Tür.

»Herr, Runhild wird wieder gesund. Das verspreche ich Euch. Ihr Körper ist geschwächt und sie wird noch Pflege brauchen. Aber sie wird wieder vollständig heil.«

Nach den Worten der alten Heilkundigen spürte Meinulf sachte ihre Hände auf seinem Rücken. Runhild überlebte, wurde gesund. Er wiederholte diesen Gedanken, klammerte sich an ihn. Langsam stand er auf, setzte sich zu seiner Liebsten und fasste ihre Hand.

»Warum? Was hat unser Kind getötet? Und wer?«

»Ich weiß es nicht. Sie muss eine Menge Nieswurz, oder was es war, ohne Wissen zu sich genommen haben. Wer sie vergiftete?« Die Alte zuckte traurig mit den Schultern, versprach jedoch, täglich ein paar Mal nach Runhild zu sehen. »Sie wird bald aufwachen. Wascht sie mit kaltem Wasser, gebt ihr zu trinken. Mehr könnt Ihr heute nicht für sie tun.«

Ergeben nickte Meinulf. »Ich stehe ihr zur Seite mit all meiner Liebe.«

Wie leer seine Worte klangen. So leer, wie er sich fühlte.

Notburga gab noch Minze in den Wasserkrug und verabschiedete sich. Lange, nachdem sie fort war, fiel Meinulf ein, sie noch nicht entlohnt zu haben.

 

Die Kräuter, die seine Liebste zu sich genommen hatte, zeigten Wirkung. Ihr Atem beruhigte sich und das Zittern ließ nach. Eine gefühlte Ewigkeit später öffnete sie die Augen.

Meinulf lächelte sie an, beruhigt und zugleich voll Trauer.

»Ich hab unser Kind verloren«, wisperte sie. Tränen quollen aus ihren Augen.

»Das ist nicht deine Schuld. Jemand hat dich vergiftet.« Er streichelte ihre Wangen.

»Was für eine Närrin ich bin. Ich dachte, die Heilige Jungfrau segnete nach all der Zeit meinen Leib.« Bebend schluchzte sie.

»Der Schuldige kommt nicht davon. Sobald er in meinen Händen ist, wird er bereuen, sich mit dem Henker angelegt zu haben.« Er presste die Lippen zusammen. Foltern und Richten waren für ihn vorbei. Bei dem Mörder ihres Kindes juckte es ihm dennoch in den Fingern. »Wenn du willst, lasse ich dir einen Zuber bereiten.«

Runhild nickte schwach.

Er nahm es als Zustimmung, küsste sie sanft und erhob sich. Beim Öffnen der Tür stand er unvermittelt vor Gelsa.

»Wie geht es meiner Tochter?« Sie rang die Hände. »Ich habe mit Notburga gesprochen, sie ist zuversichtlich.«

»Runhild ist wach. Bitte sorgt für einen Zuber und lasst unser Bett neu richten. Sie hat viel Blut verloren.«

Gelsa eilte die Treppe hinunter. Von ihr hatte Runhild wohl die Tatkraft geerbt, auch schwere Zeiten zu meistern.