Henkersweib - Ute Zembsch - E-Book

Henkersweib E-Book

Ute Zembsch

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Beschreibung

»Eine Leibeigene ist rechtlos, ein Henkersweib ehrlos.« Marburg im 13. Jahrhundert - Die junge Magd Runhild träumt von Freiheit und Liebe. Doch ihr Alltag als Leibeigene auf dem Hof des Bauern Kunolf ist bestimmt von harter Arbeit und Missbrauch. Verzweifelt angesichts ihres hoffnungslosen Daseins und zudem mit einem düsteren Geheimnis auf dem Gewissen, gelingt ihr schließlich die Flucht nach Marburg. Statt Sicherheit und Heilung erwartet Runhild indes neues Übel in der Stadt an der Lahn: Sie wird von einem unbekannten Widersacher verraten und wegen Ketzerei angeklagt. Nur die Heirat mit dem Henker kann sie jetzt noch vor dem Tode bewahren … Ute Zembsch erzählt in ihrem historischen Roman »Henkersweib« die ergreifende Geschichte einer jungen Magd, die trotz zahlreicher Schicksalsschläge den Mut und die Hoffnung auf ein glückliches Leben nie aufgibt.

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Seitenzahl: 390

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Henkersweib

 

Historischer Roman

von Ute Zembsch

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

ISBN 978-3-943531-81-7

ISBN 978-3-943531-80-0 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Heerstraße 103 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Juliane Stadler

Umschlaggestaltung | Coverillustration: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Eridanus IT-Dienstleistungen

Kapitel 1

 

Der Webstuhl tanzte. Zufrieden trat Runhild auf das Pedal, ließ das Schiffchen durch die Kettfäden gleiten und schlug mit der Lade an. Ein steter Rhythmus, wie ihr Leben, seit der Herr ihrer Mutter sie vor zwei Sommern in ihrem fünfzehnten Lebensjahr an ihren Bauern verkaufte.

Ihren? Runhild kniff die Augen zusammen. Als würde ihr irgendetwas gehören.

Der Hörige Kunolf dagegen besaß ein beträchtliches Stück Land und alles, was darauf lebte. Nur sein Grundherr stand über ihm, ein Ritter aus Marburg.

Runhild seufzte und warf einen Blick durch die offene Tür des Grubenhauses hinaus auf den Baum, dessen Äste vom Gewicht der Äpfel herabhingen. Die meisten anderen arbeiteten auf den Feldern. Ihre doppelt so alte Freundin und sie mussten in der kleinen Hütte spinnen und weben. Doch dabei konnte sie oft ihren Träumen nachhängen.

Gerne lauschte Runhild den Bauern, die von der Stadt erzählten, in die sie ihren Zehnt brachten oder zum Markt fuhren. Bei jeder Schilderung schien das Häusermeer zu wachsen. Und die Bürger, die dem Adelsstand nachzueifern versuchten, mussten schon etwas Besonderes sein. Der Ministeriale des hohen Herrn berichtete oft über Elisabeth von Thüringen, wenn er ihr Dorf besuchte. Runhild konnte nicht genug von der Adeligen und dem Hospital hören, das die verwitwete Landgräfin gestiftet hatte. Könnte sie das alles doch selbst sehen.

Sanft strich sie über das feine Wolltuch, an dem sie arbeitete. Kräftig gefärbt wäre es einer Adeligen angemessen. Die Haut einer edlen Frouwe fühlte sich zweifelsohne viel zarter an als ihre eigenen schwieligen Hände.

Ein Klappern unterbrach ihre Gedanken. Sie wandte sich um. Das Schiffchen des zweiten Webstuhls lag auf dem Boden.

»Agnes! Was hast du?« Sie eilte an die Seite ihrer Freundin, die mit zitternder Hand das Werkzeug zu greifen versuchte. So rot waren ihre Wangen heute früh nicht gewesen und die gefurchte Stirn ließ sie viel älter aussehen.

»Mir ist schon den ganzen Tag schwummerig, aber wir müssen fertig werden.« Agnes schlang ihre Arme um sich und ihre Mundwinkel gaben vor zu lächeln.

»Deine Augen glänzen wie im Fieber. Wenn du krank bist, musst du ruhen. Das wird die Herrschaft verstehen.«

Runhild rannte die acht Stufen zum Eingang hinauf und blickte sich um. Gerade lief einer der Knechte zum Brunnen. »Sibert!« Ein Glück, er hörte sie. »Bring bitte Agnes in die Kammer. Ich hol derweil Mechthild.«

Der Grauhaarige lehnte den Dreschflegel gegen die Wand. »Das wird dem Bauern nicht gefallen.«

»Ich web einfach flinker und bis es dunkel wird.« Sie zuckte mit den Schultern.

Sibert brummte, trat jedoch ein und stützte Agnes, die unsicher aufstand. »Beeil dich. Ich werd auf dem Anger gebraucht.«

 

Runhild raffte ihr Kleid. In Windeseile stob sie los. Ihr Blick hastete umher. »Heilige Maria, lass mich Mechthild schnell finden.« Sie näherte sich einer bescheidenen Hütte am Rand des Dorfes. Erleichtert pustete sie aus. Auf der Bank davor saß das Kräuterweib und aus ihrem runden, faltigen Gesicht schauten Runhild rehbraune Augen entgegen.

»Atme durch, meine Kleine, und dann erzähl mir, was los ist.«

»Die Agnes schüttelt sich. Ich glaub, sie hat Fieber.« Runhild zupfte an ihrem dunkelblonden Zopf, der aus ihrem Kopftuch herausschaute. »Hast du alle Kräuter da? Soll ich welche suchen, die du frisch brauchst?« Sie trat von einem Fuß auf den anderen.

Mechthild hob beschwichtigend die Hand, stand auf und ging in ihre Hütte. Nach wenigen Augenblicken kehrte sie mit einem zugedeckten Korb zurück. »Gut, dass du gleich zu mir gekommen bist. Der Pfarrer würde nur von Sünde schwafeln und lauthals beten. Dabei gedeiht in Gottes Natur alles, um die Säfte ins Gleichgewicht zu bringen.«

Runhild reckte den Hals und versuchte unter das Tuch zu spähen. »Darf ich dir wieder helfen? Lehrst du mich Neues über die Pflanzen, mit denen du heilst?«

»Freilich. Welch Verschwendung, dass du leibeigen bist. Du wärst eine taugliche Nachfolgerin für mich.« Mechthild legte beim Gehen einen Arm um ihre Schulter und drückte sie.

»Was ich von dir gelernt hab, nutzt dem ganzen Hof. Die Herrschaft ist zufrieden mit mir.« Runhild hob den Kopf und lächelte. Zumindest bei einfachen Gebrechen riefen Herrn Kunolfs Familie und das Gesinde zuerst sie. Aber sie lernte ja noch. Sie nahm ihrer Freundin den Korb ab und drängte Mechthild vorwärts.

 

Sie betraten das Zimmer der Mägde und Sibert erhob sich sogleich vom Bettrand. Ein kurzer Gruß zu Mechthild, ehe er davonhastete. Agnes’ Obergewand lag auf dem Hocker, sie selbst war in ihre Decke gehüllt.

Runhild stellte den Korb vor dem Bett ab und beobachtete begierig, was die Heilkundige tat.

»Jetzt wollen wir sehen, was dich plagt.« Mechthild fühlte Agnes’ Stirn und Wange, danach sah sie ihr in die Augen. »Ja, du hast Fieber, doch da ist mehr.« Sie schob Agnes das Unterkleid hoch und zog scharf die Luft ein.

Mit der Hand vor dem Mund wich Runhild einen Schritt zurück. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Rote, glänzende Flecken wölbten sich auf den Oberschenkeln. Fast sahen sie aus als stünden sie kurz vorm Zerplatzen.

»Da hast du dir was Schönes eingefangen. Ein Teil deiner Säfte hat sich gesammelt und entzündet.« Mechthild kramte in ihrem Korb und legte einen der Leinenbeutel neben sich. Eine gestickte Kamillenblüte zierte ihn. »Ich brauch Tücher und heißes Wasser für Wickel«, wandte sie sich an Runhild. Dann suchte die Heilkundige einen zweiten Beutel heraus. »Und bereite einen Aufguss hiermit.«

Runhild ergriff das Säckchen, das Mechthild ihr gab. Tief atmete sie den geliebten Duft von Minze ein. Ja, das frische Kraut würde das Übel vertreiben.

»Du wirst schneller gesunden, als dir lieb sein kann.« Das Kräuterweib lächelte Agnes zu, ehe sie Runhild einen Wink gab, nicht länger herumzustehen.

 

Sollte Runhild Agnes’ Kinder rufen, die beim Gänsehüten halfen? Aber was brachte es, die beiden Kleinen zu beunruhigen. Mechthild und sie kümmerten sich gut um ihre Freundin. Zügig marschierte sie auf das Haupthaus zu, den Kräuterbeutel fest in der Hand.

»Runhild!«

Wie ein Donnerschlag ertönte die Stimme des Bauern. Sie zuckte zusammen, senkte ihre Hand, die nach dem Türgriff gelangt hatte, und drehte sich um. Regungslos blieb sie stehen. Kunolf, fünfzig Jahre zählte er schon, stapfte auf sie zu und stemmte die Fäuste in die Hüfte.

»Du bleibst am Webstuhl, bis ihr mit den Tuchen fertig seid. Oder soll die arme Agnes alles alleine machen?«

»Verzeiht, Herr. Agnes ist krank geworden.« Mit gesenktem Kopf schielte sie nach oben.

Der Bauer stutzte, dann nickte er nachdenklich und strich sich über die Glatze. »Also gut. Beeil dich, danach web weiter. Ich sag es meinem Weib und bete, dass es nichts Ernstes ist.«

Eilig marschierte er zum Wohnhaus des Gesindes. Aber Herrin Dietlind war doch auf dem Feld? Runhild starrte ihm hinterher. Wollte er prüfen, ob sie die Wahrheit sagte? Andererseits, wirklich besorgt hatte er dreingeschaut. Sie schüttelte die Gedanken ab und setzte ihren Weg fort.

 

In der Küche sah die Köchin vom Teigkneten auf. »Margarete, du musst mir bitte helfen.« Runhild hustete. Dieser verdammte Rauch! In der Webstube war es angenehmer. »Es geht um Agnes, sie ist krank. Ich brauch viel heißes Wasser für die Wickel und den Kräuteraufguss. Zudem Leinen. Mechthild ist grad bei ihr.«

Margarete seufzte und rieb sich ihre Hände an der Schürze ab. »Ich schür das Feuer. Derweil holst du die Tücher.« Sie streckte sich mit einem Lappen in der Hand zum Haken und hängte den Wasserkessel tiefer.

»Ich danke dir.« Runhild huschte in die Kammer hinter der Küche. In einer Truhe fand sie nach kurzem Stöbern zwei Leinenstücke, die geeignet schienen.

Zurück bei Margarete angelte sie sich einen Becher aus dem Regal und gab eine halbe Handvoll der Kräuter hinein.

»Was hat denn unsere Agnes?« Margarete legte noch ein Stück Holz auf.

Runhild erzählte ihr vom Fieber und den Flecken. »Es scheint sich was entzündet zu haben. Aber Mechthild ist guter Dinge.«

Schnaufend wischte sich die Köchin den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn. »Ich denke, es ist jetzt warm genug.«

Runhild nahm die Kelle und füllte zuerst den Becher, danach den Eimer. »Ich bring erst alles für die Wickel rüber. Den Becher hol ich später.«

Auf dem Rückweg begegnete ihr der Bauer mit gerunzelter Stirn. Nur beiläufig warf er einen Blick auf sie, ehe er in Richtung der Felder verschwand.

Sie stieß die Tür auf. Mechthild redete gerade beruhigend auf Anges ein.

»Zwei Wochen wird es wohl dauern. Zumindest wirst du solange in Ruhe gelassen.«

Runhild schüttelte den Kopf. Wer sollte Agnes etwas tun wollen? Selbst der Herr lächelte sie häufig an, recht aufmunternd sogar.

»War er wütend?« Sie versuchte, in den Gesichtern der beiden zu lesen. Den Eimer stellte sie neben das Bett und das Leinen reichte sie der Heilkundigen.

»Wegen dem Herrn brauchst du dir keine Gedanken um mich machen.« Agnes schloss die Augen und winkelte die Beine an, damit Mechthild die Umschläge anlegen konnte.

»Was hab ich dir gesagt. Er macht sich obendrein Sorgen um dich.« Runhild streichelte ihre Hand. Dann lauschte sie gebannt der Heilerin, die von der reinigenden Wirkung der einen und der fiebersenkenden der anderen Pflanze erzählte. Die Ältere wusste so vieles und erschien ihr freier als selbst die Bäuerin. Während Runhild den Kräuterauszug holte, sann sie nach. Dürfte sie doch das künftige Kräuterweib im Dorf sein. Wie wunderbar, nicht nur beten, sondern wirklich helfen zu können, wenn jemand litt.

Mechthild griff ihren Korb. »Sieh ab und an nach ihr. Jetzt ist sie fürs Erste versorgt und braucht reichlich Schlaf.« Sie nickte ihnen zu und verließ die Kammer.

Zurück in der Werkstätte wiederholte Runhild das neue Wissen im Stillen und brachte den Webstuhl zum Tanzen.

 

Die Kirchenglocke kündigte das Ende der Arbeit an. Zeit für Runhild, immer wieder hinaus zu spähen. Endlich vernahm sie seine Stimme. Sie lächelte dem Mann zu, der mit geschulterer Sense am Eingang vorbeiging. Dietmar, der Stammhalter des Bauern, strich sich die dunkelbraunen Haare aus der Stirn. Sie liebte es, wenn er das tat.

Hastig zupfte sie an ihrem Kleid und lief nach draußen. »Darf ich dir kühles Wasser bringen?«

Dietmar winkte sie zu sich heran und fasste ihr Kinn. Sie unterdrückte ein Kichern, schließlich sollte er sie nicht für töricht halten.

»Von einer so hübschen Maid nehm ich gern, was sie mir anbietet.« Er schmunzelte.

Runhilds Wangen glühten. Einen Moment zögerte sie, ihre Hände fühlten sich auf einmal so feucht an. Mit der Hüfte wiegend ging sie zum Brunnen und ließ den Eimer hinabsinken. Schritte näherten sich. Sie wandte sich um. Dietmar stand dicht hinter ihr. Viel zu dicht. Sein Atem streichelte ihren Hals.

»Hat dich schon einer zu seinem Liebchen gemacht?«, raunte er ihr ins Ohr.

Ihr Herz klopfte. Sie wagte nicht, ihn anzusehen. »Nein. Ich bleibe keusch für meinen künftigen Gemahl, mit dem mich die wahre Liebe verbindet.« Sie schielte zu ihm. Seit dem Sommer beachtete er sie. Sollte sie stolz oder eher vorsichtig sein?

Runhild drehte die Winde. Unvermittelt legte er seine Hand auf ihre. Es durchzuckte sie heiß und die Kurbel entglitt ihr. Platschend landete der Eimer im Wasser.

»Verzeih mir. Ich bin so ungeschickt.« Sie packte die Kurbel erneut. Merkte er nicht, wie sehr er sie verwirrte?

»Gib mir einen Kuss, damit ich dir vergebe.«

Runhild riss den Mund auf und starrte ihn an. »Junger Herr, das ist ungehörig.«

»Hat dir das der Pfarrer erzählt?« Er rollte mit den Augen.

Runhild bereute es, nicht in der Webstube geblieben zu sein.

»Bitte, spiel nicht mit mir.« Sie musste sich zusammenreißen. Energisch brachte sie den Eimer in die Höhe und stellte ihn auf den Brunnenrand.

»Ich könnte mit dir machen, was ich will.« Dietmar streichelte ihre Wange, sein Lächeln war verschwunden. »Aber du bedeutest mir zu viel, um dich zu zwingen. Dennoch, beim nächsten Fest musst du wieder mit mir tanzen.«

Runhild schluckte. »Du wirst dereinst standesgemäß heiraten«, sagte sie und wandte sich unwirsch ab. Noch nie war eine Leibeigene durch die Ehe befreit worden. Warum sollte es ihr anders ergehen?

Dietmar trat kräftig gegen den Brunnen. Dann rieb er sich den Nacken. »Ich bin vernarrt in dich. Und an deinem Blick erkenne ich, dass dir auch was an mir liegt. Wir werden einen Weg finden.«

Das klang nach ehrlicher Zuneigung, und vielleicht sollte sie ihm vertrauen. Seufzend reichte sie ihm die Kelle mit Wasser. Er umfasste ihre Hand, trank und betrachtete sie dabei.

»Dietmar, rein mit dir. Das Essen steht auf dem Tisch.« Kunolf hatte sich vor dem Haupthaus aufgebaut, seine Fäuste in die Hüfte gestemmt.

Musste er sie jetzt stören? Der Bauer zuckte mit den Mundwinkeln und verschränke die Arme. Der Blick des alten Mannes wanderte über ihren Körper, wie bei einer Kuh auf dem Viehmarkt.

Sie sah abermals Dietmar an, der ihr ein Lächeln schenkte, ehe er dem Befehl nachkam.

 

Beim nächsten Abendläuten traute Runhild sich nicht, nach ihm Ausschau zu halten. Ein Seitenblick genügte. Dietlind beobachtete sie. Um die Stoffe für die Abgaben und den Markt rechtzeitig fertig zu bekommen, webte die Großbäuerin mit. Beide richteten jedoch ihre Aufmerksamkeit auf den Schatten in der Tür.

Mit einem Nicken begrüßte Dietmar seine Mutter. »Ich hab mir die Cotta zerrissen.« Er zeigte auf ein Loch, das ein Stück seiner Haut unterhalb des Herzens freigab. »Ich brauch sie morgen. Ich will dich nicht belästigen, daher soll sie es flicken.« Mit dem Kinn wies er in Runhilds Richtung.

Dietlind runzelte die Stirn und schnaubte. »Gut, nach dem Essen.«

Reglos folgte Runhild der Unterhaltung. Natürlich ahnte die Bäuerin, dass der Riss nur als Vorwand diente.

»Setz dich dafür raus, damit wir keine Kienspäne vergeuden.« Die Herrin warf ihr einen argwöhnischen Blick zu.

Runhild senkte das Haupt.

 

Wie befohlen holte sie nach dem abendlichen Mahl ihr Nähzeug aus der Webstube und wartete vor der Tür auf Dietmar. Endlich kam er auf sie zu; ihr Herz klopfte schneller.

»Deine Eltern sehen es wohl nicht gerne, dass wir beisammen sind.« Wie einen Schutzschild hielt sie ihre Hände mit den Nähsachen vor sich.

Dietmar winkte ab. »Ich weiß. Eine mit ordentlich Mitgift wär ihnen lieber. Wir gehen auf die Westseite der Hütte, dann hast du länger Sonnenlicht.« Er zwinkerte ihr zu und reichte ihr sein Gewand.

Auf der Bank ließ er nur wenig Platz zwischen ihnen. Der herbe Geruch des getrockneten Schweißes auf seiner Haut, den sie gierig einzog, verursachte ein eigenartiges Kribbeln in ihrem Bauch. Auf den Feldern standen fast nur noch Stoppeln. Bald feierten sie das Erntedankfest und beim Tanz würde sie in seinen Armen liegen. Sie genoss das traute Beisammensein, dass die Mühe des Alltags in weite Ferne rückte.

Runhild löste sich von ihren Träumereien. Sorgsam bettete sie die Cotta neben sich, um ein Stück des Garns abzuschneiden. Sie biss sich auf die Lippe. Ihre Finger zitterten leicht. Hoffentlich dachte er nicht, sie sei tölpelhaft. Erst nach der Hälfte der Arbeit nähte sie allmählich ruhiger.

»Du bist so geschickt. Wäre ich des Minnesangs mächtig, sänge ich ein Loblied auf deiner Hände Arbeit.« Wie ein Gaukler wies er mit großer Geste auf sie.

Runhild musste lachen. »Weder bist du ein Ritter noch ich eine edle Frouwe.« Leider. Sie besann sich wieder auf ihr Tun. »Wir sollten die Gegebenheiten hinnehmen, wie sie nun mal sind.«

Schweigend lehnte sich Dietmar gegen die Wand, bis sie den Faden mit ihren Zähnen durchtrennte.

»Wir nehmen die Gegebenheiten, wie sie für uns sind«, erklärte er. Sanft zog er ihr das Gewand aus den Händen und legte es beiseite. »Niemand kann uns unsere Liebe verbieten, auch nicht die Gesetze.«

Runhild schüttelte den Kopf. »Das dürfen wir nicht. Pfarrer Alba sagt, es ist eine Sünde, vor der Ehe …«

Dietmar verschloss ihre Lippen mit seinem Finger und umfasste ihre Hüfte. »Ich würde dich gerne frei und zum Weib bekommen.«

Runhild stockte den Atem. Sie wandte ihr Antlitz ab, nur um sogleich erneut seinen Blick zu suchen. Meinte er es wirklich ernst mit ihr? Er begann, ihre Wangen zu streicheln. Ja, schrie ihr Herz. Närrin, flüsterte ihr Verstand. Ihre Brust hob und senkte sich rasch. Sie öffnete ihre Lippen willig, als er sie bedächtig mit den seinen vereinte.

 

Wie die Tage vorher brachte Runhild Agnes das Essen und leistete ihr Gesellschaft.

»Herrin Dietlind erzählte mir heute beim Weben, dass sie wieder Nachwuchs erwartet.«

Agnes seufzte. »Dabei war die letzte Niederkunft schon so schwer. Das war ein Jahr, ehe du zu uns kamst. Du erinnerst dich?«

»Wer aus Grindeln nicht? Aber ich hab das Kind nie gesehen.« Runhild setzte den Löffel ab und reckte sich vor.

»Es starb bei der Geburt. Zudem verlor sie drei, die zu klein waren, um ihre Krankheiten zu überstehen.« Agnes schloss die Lider und legte eine Hand auf ihren Bauch.

»Daher war sie so verbittert über ihren Zustand.« Runhild nickte. »Gab unser Herr ihr die Schuld, dass es nicht überlebte?«

»Getobt hat er, statt froh zu sein, bereits vier muntere Sprösslinge mit seiner Gemahlin zu haben. Zum Glück weiß sie sich zu wehren.«

Runhild kicherte. »Einmal hörte ich sie in der Küche streiten und linste durch den Türspalt. Herrin Dietlind stürmte mit dem Schürharken auf ihn los. Der Bauer flehte sie an, gelobte Besserung. Um was auch immer es ging.«

»Ihr Erstgeborener hat wie seine Mutter einen eigenen Kopf, aber ob er sich genauso gut durchsetzen kann?« Agnes lächelte. »Du kennst ihn ohne Zweifel besser als ich.«

Runhild wich ihrem Blick aus. »Bitte verrat es keinem.« Sie räusperte sich. »Wir träumen von unserer Zukunft und küssen uns. Er will tatsächlich, dass ich sein Weib werde. Wir müssen es nur schaffen, dass ich frei bin.«

Ihre Freundin senkte den Blick und streichelte ihren Arm. »Ich wünsch dir die ganze Liebe dieser Welt. Pass gut auf dich auf, mein Kätzchen.«

Runhild lächelte bei der Anspielung auf ihre grünen Augen.

 

Kurz vor der Abenddämmerung näherten sich energische Schritte der Tür zur Gesindekammer. Einen Augenblick später trat Sibert ein. »Runhild, da Agnes angeschlagen ist, begleitest du mich.«

»Wohin?« Runhild blickte zwischen dem Knecht und ihrer Freundin hin und her. Sibert, die Arme verschränkt, starrte auf den Boden und Agnes krampfte ihre Hände in die Bettdecke. Was hatten die beiden nur?

»Jetzt komm, wir haben es eilig.«

Gehorchen musste sie, also folgte sie ihm auf die Rückseite der Werkstatt. Dort warteten zwei große zugedeckte Körbe mit Riemen, um sie sich auf den Rücken zu schnallen. Sibert stemmte einen für sie hoch. Danach nahm er den anderen und ging voraus.

Runhild biss die Zähne zusammen. Der Knecht war solche Lasten gewohnt. Schnaufend versuchte sie, mit ihm mitzuhalten. Sie marschierten an den menschenleeren Feldern vorbei. Alle genossen den Feierabend. Runhild beneidete sie, zugleich war ihr mulmig zumute.

»Was schleppen wir eigentlich? Und wo willst du hin?«

Sibert schwieg und schritt kräftiger aus.

»Es wird bald dunkel. Weiß der Herr, was wir tun? Hintergehst du ihn etwa?«

Er verneinte, mehr brachte sie nicht aus ihm heraus. Vor dem Wald­rand blieb er einen Moment stehen.

»Hier entlang.« Er wies mit dem Kinn zwischen zwei Eichen hindurch, hinter denen der Wald dichter wurde.

Schweiß rann Runhild den Rücken hinunter. Sie keuchte. Fast wäre sie über eine Wurzel gestolpert, doch darauf nahm Sibert keine Rücksicht. Sie hastete weiter, damit sie ihn nicht verlor.

Sie erreichten eine Lichtung.

»Gut, du hast das junge Ding mitgebracht.«

Kunolf! Runhild starrte den Großbauern an, dann die Öffnung neben ihm und die Klappe, auf der Zweige befestigt waren.

»Wie befohlen.« Sibert löste den Gurt.

Mit einem Satz war der Herr bei ihr und zog sie am Ausschnitt zu sich heran. »Du hältst dein Maul hierüber!«

Runhild nickte. Die Heimlichtuerei verwirrte sie. Was war in dem Loch, wovon niemand wissen durfte? Der Knecht stellte den Korb ab und sie tat es ihm gleich.

»Du wirfst Sibert einen Packen nach dem anderen runter, dann hilfst du unten beim Stapeln.« Kunolf stemmte die Fäuste in die Hüfte und beobachtete sie.

Wieder nickte sie gehorsam. Durch das grobe Leinen ertastete sie, dass der Inhalt der Pakete, der ein ordentliches Gewicht hatte, sich eindrücken ließ. Schließlich kletterte sie die steile Treppe mit den schmalen Trittstufen herab. Regungslos blieb sie stehen und sah sich mit großen Augen um. Drei Laternen erhellten die Kammer, Pfosten stützten die Holzdecke. Gegenüber der Stiege stapelten sich Säcke und die Regale an den Seiten boten reichlich Raum.

»Das ist ja ein richtiges Lager.« Nervös fingerte sie an ihrem Zopf herum.

Sibert zog einen Überwurf vom linken Regal. Darin lagen die feinsten Stoffe, die Agnes und sie gesponnen und gewebt hatten. Jeder zu einem festen Bündel geschnürt.

Nur wenige schienen in die Sache eingeweiht zu sein, und der Grundherr war gewiss keiner von ihnen. Der Bauer unterschlug Abgaben. Welch ein Frevel gegen die göttliche Ordnung!

Sie krallte ihre Finger in die Schürze. Ein strenger Blick Kunolfs und sein Räuspern genügten, und sie beeilte sich klopfenden Herzens, die mitgebrachten Wollstoffe aus dem Leinen zu wickeln und zu den anderen in die Regale einzuräumen.

Endlich lag auch das letzte Bündel an seinem Platz. Sie atmete auf. Nur raus hier. Beim Abendgebet würde sie Gott um Vergebung bitten, ungewollt Teil dieses Frevels geworden zu sein. Sie wandte sich dem Ausstieg zu. Doch kaum hatte sie die erste Stufe erreicht, fasste Kunolf den Knoten ihrer Schürze und riss sie zurück.

»Sibert, geh vor. Ich kümmer mich darum, dass unsere liebe Runhild unser Geheimnis wahrt.« Seine Hand glitt von hinten hinauf bis zu ihrem Hals.

Sie verkrampfte sich. So nah war er ihr noch nie gekommen. Seine Finger drückten sich immer kräftiger in ihren Nacken. Wollte er ihr etwa Gewalt antun? Stumm baten ihre zitternden Lippen den Knecht um Hilfe. Doch Sibert schüttelte den Kopf und entfernte sich.

»Dreh dich um, ich will dich von vorn betrachten.« Kunolf lockerte den Griff.

»Bitte, Herr, ich verrat bestimmt niemandem ein Wort. Das schwör ich bei allen Heiligen.« Sie gehorchte seinem Befehl. Ihr Brustkorb hob und senkte sich hastig.

Mit einem schiefen Grinsen riss er ihr Kopftuch herunter und warf es hin. Er leckte sich die Lippen, strich mit beiden Händen ihre Wangen und ihren Hals hinab, langte nach ihren Brüsten. »Eins muss ich Dietmar lassen, er hat sich ein anständiges Weibchen ausgesucht.«

Sie riss die Augen auf und zitterte. Aus Angst, ihn zu erzürnen, rührte sie sich nicht. Lautlos betete sie, dass er ihr lediglich drohen möge und gleich von ihr abließ. Er tastete über ihre Rippen, als prüfe er ein Stück Fleisch.

»Er sagte, er hat dich noch nicht bestiegen. Sein Pech.«

Kunolfs lüsternes Brummen jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Jäh erkannte sie, was er plante. »Bitte, Herr, versündige dich nicht. Du hast deiner Gemahlin Treue geschworen vor Gott.«

Runhild hielt ihre Hände schützend vor ihren Schoß und sandte ein stilles Stoßgebet zur Heiligen Jungfrau.

»Du gehörst mir und ich kann mit meinem Eigentum machen, was ich will.«

Sie schluckte und kniff die Lider zusammen. Sein Atem blies in ihren Nacken und seine Pranken langten nach ihrem Gesäß.

»Bedeutet dir Herrin Dietlind nicht alles? Sie trägt wieder ein Kind von dir.«

Kunolf lachte und knotete ihre Schürze auf. »Na und? Trotz unserer Zuneigung ist sie froh, wenn ich mich mal an einer anderen austobe.«

Runhild keuchte. Es musste einen Ausweg geben. Er zog bereits ihren Rock hoch. »Bitte, nimm Rücksicht auf Dietmar. Er liebt mich. Dein Sohn wäre todunglücklich, wenn du das tust.« Sie drückte verbissen gegen seine Hände.

»Du solltest dich freuen, dass ein gestandener Mann dich einreitet und nicht ein unerfahrener Jüngling.«

»Ich fleh dich an im Namen der Jungfrau Maria, lass mir meine Unschuld.« Sie zwang sich, ihn anzusehen, um ihre Bitte zu bekräftigen.

Kunolf pferchte sie zwischen sich und die Treppe. Sein Mund bedrängte ihren. Ihr Innerstes schrie nach ihrem Liebsten, als würde es ihr irgendetwas nutzen. Sie zappelte und wand sich. Mit aller Kraft gelang es ihr, den Kopf wegzudrehen.

»Du zierst dich? Das werd ich dir austreiben.«

Kunolf trat einen Schritt zurück und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Runhild heulte auf, taumelte. Dann packte er sie und schleuderte sie zu Boden, dicht vor einen Balken.

»Nein!«

Sie stützte sich auf, doch er war bereits über ihr und spreizte ihre Beine. Verbissen presste sie dagegen, griff seine Handgelenke und zog. Vergeblich.

»Hör auf! Ich will das nicht!« Sie strampelte und hieb um sich. Tränen trübten ihren Blick.

Zweimal – oder war es dreimal? – hieb Kunolf seine Faust in ihren Bauch, in ihr Gesicht. Sie keuchte und schnappte nach Luft.

Plötzlich hörte er damit auf. Ließ er von ihr ab?

»Ich lehr dich, gehorsam zu sein!«

Er packte ihre Arme und fesselte sie mit seinem Gürtel an das Holz. Ein Splitter bohrte sich in ihren Arm, doch das war nichts gegen das Grauen der schwitzigen Hände, die ihr Kleid hochzogen.

»Lass mich!«

Runhilds Leib zitterte noch von den Schlägen. Sie war zu schwach, um ihn daran zu hindern, dass er ihre Beine auseinanderdrückte und sich auf sie fallen ließ.

Kreischend bäumte sie sich auf. Ein grausam stechender Schmerz durchschoss sie – und nahm ihr die Reinheit.

»Nein!« Alles an ihr bebte und schrie um Hilfe, obgleich es bereits zu spät war.

Sein Atem stank nach fettiger Wurst. Runhild würgte, doch aus ihrem trockenen Rachen kam nur Husten. Kunolfs Schnaufen malträtierte ihre Ohren. Dolchstöße rissen ihren Unterleib wieder und wieder auf. Schweißperlen tropften auf ihr Gesicht, vermengten sich mit ihren Tränen. Ganz fest schloss sie die Augen und winselte nur noch. Sie ertrug nicht länger den Anblick ihres Peinigers.

Nach einer Ewigkeit lag der Bauer japsend und schwer auf ihr, bis sein Gewicht sich löste. Runhild wagte kaum, zu atmen. Ihr Leib war eine einzige Wunde, gefüllt mit Schmerz, und ihr zugleich so fremd. Ihr Schänder rieb seine feuchte Stirn an ihrer Brust ab und stand auf.

»Sobald ich dich losgebunden hab, folgst du mir hinaus und machst die Klappe zu. Achte drauf, dass niemand das Versteck sieht.«

Er öffnete den Knoten an ihren Handgelenken, zog sich die Bruche an, gürtete sich und kletterte die Stufen hinauf.

Runhild fasste sich an den Hals und drehte sich zur Seite, um sich endlich zu erbrechen. Zitternd rollte sie sich zusammen und schluchzte.

Jemand berührte sanft ihre Schulter. Unmöglich, dass es der Bauer war. Nicht nachdem, was er ihr angetan hatte. Sie schielte vorsichtig nach oben.

»Sibert? Du warst da und hast mir nicht geholfen?« Sie schluckte und wischte sich die Tränen weg.

»Du weißt selbst, warum.«

Noch immer lag sie halbnackt da. Sie zog das Brustband hoch, ließ sich von Sibert aufhelfen und richtete ihre Kleidung. Neben der Stiege entdeckte sie ihr Kopftuch in unschuldigem Weiß. Sie hob es auf, ihre Finger verkrampften sich darum. Auf wackligen Beinen erklomm sie Stufe für Stufe den Weg aus ihrer Hölle.

Der Knecht schloss die Klappe und legte auf dem Weg zum Hof einen Arm um sie. Ein Trost war es ihr nicht.

 

»Meine Kleine.« Agnes schlug die Hände vor den Mund. Sie stand auf und nahm Runhild in die Arme. »Dieser Mistkerl. Konnte er nicht abwarten, bis ich wieder gesund bin?«

»Dich benutzt er auch?« Sie schniefte.

Seufzend nickte Agnes. »Hast du dich nie gefragt, wer meine Kinder zeugte?«

Sie führte Runhild zu ihrem Bett und langte nach dem Leinen, das für ihre Wickel gedacht war. Sanft tupfte sie mit dem noch feuchten Tuch die aufgeplatzte Lippe ab und tauchte es in das Kamillenwasser.

»Wasch dich hiermit zwischen den Beinen. Und deine Wollbinde wirst du ebenfalls brauchen.«

Runhild griff das Tuch. Wie benommen rieb sie es an ihrer Scham entlang. Zumindest den äußeren Schmutz konnte sie abwaschen. Der in ihr blieb. »Es tat so weh. Nicht nur die Schläge. Warum macht er das? Tut es immer so weh?«

»Er behauptet, er müsse sich einmal die Woche erleichtern. Als er mich das erste Mal zwang, fügte ich mich aus Angst. Es schmerzte auch ohne die Hiebe.« Sie drückte Runhild einen Kuss auf die Schläfe.

»Ich hab ihm gesagt, dass er sich versündigt gegen Herrin Dietlind und dass Dietmar mich haben will. Ich dachte, dann lässt er mich in Ruhe. Ich wehrte mich mit aller Kraft, aber ich war zu schwach.«

»Das erste Mal ist das schlimmste. Ich lernte mit der Zeit, die Augen zu schließen und mir einzubilden, es sei einer, der mir gefällt.«

Runhild riss den Mund auf. Das konnte Agnes unmöglich ernst meinen. »Nein, Dietmar wäre viel zärtlicher. Was kann ich tun, damit dieser Mistkerl mich nie wieder anfasst?«

Agnes ergriff Runhilds Hände. »Nichts. Versuch jetzt lieber zu schlafen, mein Kätzchen.«

Völlig kraftlos konnte Runhild nur noch nicken. Sie vermochte den Schmerz nicht zu verdrängen, der in ihrem Körper abebbte, in ihrem Herzen indes stetig lauter wurde.

 

War alles nur ein Alptraum? Nach dem Erwachen rieb sich Runhild die Augen. Doch dann erkannte sie die Wahrheit an den schmerzenden Flecken auf ihrem Leib und am Blut in ihrem Gewand.

Nach dem Waschen kleidete sie sich in ihr zweites Untergewand und ihr Ersatzkleid. Besser sie wusch gleich das Blut und den Schmutz aus ihrer Kleidung vom Vortag.

Runhild schaute vorsichtig hinaus, ehe sie am Brunnen Wasser holte. Ab sofort musste sie dem Dreckskerl aus dem Weg gehen. Sie nutzte den rückseitigen Eingang zur Küche und legte die Schmutzwäsche zunächst auf einen Hocker.

»Was ist denn mit dir passiert?« Margarete stellte eilig die Schalen vom Mahl der Herrschaft beiseite und trat zu ihr.

»Ich brauch nur heißes Wasser und Seifenkrautwurzel.« Runhild schüttete den Inhalt des Eimers zu dem, der sich in dem großen Topf über dem Feuer befand. Wenigstens konnte sie dem Rauch die Schuld geben, dass ihre Augen tränten.

»Weich mir nicht aus. Ich seh doch, dass dich jemand verdroschen hat.« Sie griff Runhilds Sachen und zog die Luft ein.

»Das Blut. Wer war es? Wir müssen es Herrn Kunolf sagen.«

Runhild schwankte zurück und schüttelte den Kopf. »Dann schlägt er mich bestimmt wieder.«

»Er?« Margarete schloss sie in ihre Arme. »Mein armes Mädchen. Niemand spricht über seine Gelüste außerhalb des Ehebetts. Gewöhnlich nimmt er sich dafür Agnes.«

»Sein Weib duldet es? Und das heilige Sakrament der Ehe, von dem Pfarrer Alba redet?« Runhild löste sich.

»Der Priester sagt ebenfalls, dass es eine Sünde ist, die Empfängnis zu verhindern oder ein Kind im Mutterleib zu töten. Dietlind hat schon einiges durchgemacht und ist ohne Zweifel froh, wenn er mal bei einer anderen liegt.«

Nie zuvor schien Runhild der Bottich, den sie aus der Ecke herbeischleppte, so schwer. Sie fühlte, ob das Wasser warm genug war. Ihr drängte sich ein Gedanke auf. »Aber Dietlind ist schwanger, er kann sie ja nicht nochmal schwängern. Warum hat er sich nicht mit seiner Gemahlin vergnügt, statt mich zu benutzen?«

»Er hatte wohl Verlangen nach einer jungen Magd mit einem strammen Leib.« Sie streichelte über Runhilds Rücken.

»Gibt es wirklich nichts und niemanden, um ihn daran zu hindern?«, fragte sie und ahnte die Antwort bereits.

Margarete schüttelte den Kopf. »Wir Weiber können großes Leid ertragen. Wehre dich nicht, dann ersparst du dir die Schläge. Und bitte die Heilige Jungfrau, deine Seele zu schützen.«

Runhild stand einfach nur da, ihre Tränen liefen. Wie benebelt nahm sie wahr, dass Margarete den Bottich mit dem warmen Wasser füllte und ihre Kleider wusch.

 

Heute tanzte der Webstuhl nicht. Jedes Anschlagen mit der Lade erinnerte sie an einen schmerzhaften Stoß in ihren Leib.

Jemand schlug ihr gegen den Oberarm, sie schrie überrascht auf. Es war Dietlind.

»Pass gefälligst auf und web rascher. Aufgeplatzte Lippen und blaue Flecken sind keine Ausrede für Faulheit.« Die Bäuerin fasste Runhilds Kinn und betrachtete sie genauer. »Wer hat es gewagt, meine Bedienstete so zuzurichten, dass sie ihrer Arbeit nicht ordentlich nachgehen kann?«

»Ich bin auch die Leibeigene deines Gemahls.« Sie sackte in sich zusammen.

»Worauf willst du hinaus?« Dietlind packte ihre Arme und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. »Hat Sibert dich gestern Abend mitgenommen?«

Runhild nickte schwer.

»Das ist also der Grund, weshalb Kunolf so gutgelaunt heimkam. Du bist seine frisch eingerittene Hure.«

»Nein! Ich bin keine Hure! Ich flehte ihn an, mich in Ruhe zu lassen. Ich schrie und wehrte mich, doch das war diesem Widerling egal. Warum hinderst du ihn nicht daran? Oder bist du froh, wenn du ihn nicht ertragen musst?«

Eine Ohrfeige traf ihre Wange.

Runhild schluckte und senkte ihr Haupt. »Ich wollte doch für Dietmar keusch bleiben«, wisperte sie.

Die Bäuerin schlug eine Hand vor ihren Mund. »Himmel, Kunolf wusste, dass Dietmar dich beansprucht. Sie stritten sich, weil der Junge dich freikaufen will.«

Schleppend ging Dietlind zu ihrem Webstuhl zurück. »Es muss ihm besonders gefallen haben, dem Liebchen seines Sohnes die Unschuld auszutreiben. Jetzt wird Dietmar wohl von seinem Plan ablassen und mir bleibt eine gute Weberin erhalten.« Sie seufzte tief und begab sich wieder an die Arbeit.

Mit zitternden Händen webte Runhild weiter. Ihr gehörte nichts, nicht einmal ihr eigener Leib.

 

Nach dem abendlichen Mahl saß sie auf der Bank neben der Werkstätte und besserte ihr Kleid aus. Hatte Dietmar sie wirklich nur ein paar Tage zuvor geküsst? Er hatte sie sanft gestreichelt und in seinen Armen gewiegt.

»Meine Mutter erwähnte beim Abendessen, dass du deine Unschuld verloren hast.«

Runhild fuhr hoch. Angespannt und mit geballten Fäusten stand Dietmar vor ihr. Seine Haltung jagte ihr Angst ein.

»Weißt du auch, wer mich schändete?«

Dietmar setzte sich neben sie. »Ja. Dieser Scheißkerl.« Er rieb sich das Gesicht.

»Liebst du mich trotzdem? Ich kann doch nichts dafür.«

Er legte einen Arm um sie. »Das tue ich. Aber ich brauch Zeit, um zu begreifen, was das für uns bedeutet.«

Leicht zitternd schmiegte sich Runhild an ihn. Die Wärme seines Körpers und seine Berührung gaben ihr ein wenig Ruhe. »Ohne dich stehe ich das nicht durch. Kannst du was tun, damit er künftig die Finger von mir lässt?«

Dietmar kratzte sich am Kopf. »Ich überleg mir, was ich machen kann.«

Sie sahen sich in die Augen. Dass er sich nicht von ihr abwandte, war ihr einziger Lichtblick. So zart, wie er ihre verletzte Lippe streichelte, würde er fraglos für sie und ihr gemeinsames Leben kämpfen. Aber auf einen Kuss hoffte sie vergeblich.

 

Drei Tage später fühlte sich Agnes gesund genug, um an ihren Webstuhl zurückzukehren. Eine Weile arbeiteten sie stumm vor sich hin, ehe Runhild aufsah.

»Glaubst du, er wollte mich nur zum Schweigen bringen oder Dietmars Zuneigung zu mir auslöschen?«

Agnes hielt inne. »Du hoffst, es bleibt nur bei dem einen Mal?«

»Du bist seit Langem seine Gespielin.« In Runhilds Blick lag eine Mischung aus Hoffnung und Mitgefühl.

»So könnte man es nennen, schließlich spiele ich mit bei dem, was er mit mir macht. Daher ist er auch freundlicher zu mir. Doch ich werde älter.«

Runhild schniefte und wandte sich ihrer Arbeit zu. Kein Weib konnte ihr helfen. Ob es Dietmar gelang?

 

Ihr blieb nicht einmal eine Woche, bis der Großbauer sich nicht länger mit Begrapschen begnügte. Am Sonntag betrat er bei Sonnenaufgang ihre Kammer.

»Herr Kunolf«, redete Agnes ihn sogleich an, »lass mich dir zu Diensten sein.«

Runhild zog sich die Decke bis zur Nasenspitze. Sie sah Kunolfs kaltes Grinsen. Ihre Freundin kleidete sich bereits aus, er musste einfach auf ihr Angebot eingehen.

»Ich weiß, du sehnst dich nach meiner Manneskraft. Aber heute will ich unsere Kleine beglücken.« Schwungvoll entriss er Runhild die Decke.

Beglücken? Sie presste die Beine zusammen, schüttelte den Kopf und sah hilfesuchend zu Agnes. Ihre Kameradin öffnete den Mund und schloss ihn, ohne etwas zu sagen.

»Bitte, Herr Kunolf, schlag mich nicht. Tu mir nicht weh«, flehte sie leise. Heilige Jungfrau, hilf.

»Zieh dein Gewand aus und mach die Schenkel breit.« Er entkleidete sich.

Runhild gehorchte mit zusammengepressten Lippen. Wenigstens die Prügel wollte sie sich diesmal ersparen. Sie verkrampfte ihre Hände in ihrem Kissen und suchte Trost in Agnes’ mitfühlendem Blick. Ihre heißen Tränen waren das einzige, dem sie Beachtung schenkte, bis der Bauer die Kammer verließ.

 

Sie dachte, ihre Abscheu ihm gegenüber könnte nicht wachsen. Wie er scheinbar andächtig der Predigt während des Gottesdienstes lauschte und seine inbrünstig erhobene Stimme beim Sprechen des »Vater unser« verursachten ihr Übelkeit.

Kapitel 2

 

Runhild dankte der Heiligen Jungfrau für die letzten warmen Herbsttage. Milderte doch die Sonne auf ihrem Gesicht ein wenig die Furcht in ihrem Herzen, wenn sie es sich lange genug einredete. Nach dem abendlichen Mahl setzte sie sich auf die Bank neben dem Webhaus und besserte die Kleidung des Gesindes aus. Ständig war sie wachsam, um dem Bauern aus dem Weg zu gehen, so es ihr möglich war. Die Schritte, die sich näherten, waren jedoch zu leicht für den feisten Drecksack. Sie sah auf.

»Dietmar.« Runhild atmete befreit aus und lächelte. Ihr Liebster besuchte sie am Ort ihres ersten Stelldicheins. Hastig erhob sie sich.

Seufzend schlurfte er auf sie zu. »Ihm bereitet es Spaß, dich zu nehmen. Und dir wohl auch. Sonst würdest du dich schließlich wehren.«

Runhilds Herz verkrampfte sich. »Hat er dir das eingeredet? Du kennst die Wahrheit.«

»Er brachte Agnes bei, willig die Buhle zu spielen, und wird es bei dir auch schaffen.«

Sie fror plötzlich und zog ihr Tuch eng um sich. Langsam sank sie auf die Bank. Wie sollte der alte Mistkerl sie je zu so etwas Widerlichem bringen? »Mir wird jedes Mal speiübel, wenn er auf mir liegt. Nur aus Angst vor seinen Schlägen rühr ich mich nicht, bis er fertig ist. Das wird sich nie ändern.«

»Ich hab ihn angeschrien, dann angefleht, dass er von dir ablässt. Mutter weiß, dass er nur seinem Trieb folgt, und lässt ihn gewähren.«

»Aber du liebst mich doch noch?« Sie hielt den Atem an.

Schnaubend ließ er sich neben ihr nieder. »Ich bin so wütend, weil er sich nimmt, was ich will. Ständig stell ich mir vor, was ihr gemeinsam tut.«

»Was er mir antut.« Runhild griff seine Hand. »Bitte, Dietmar. Lass nicht zu, dass er sich zwischen uns drängt. Das könnt ich nicht ertragen.« Sie schniefte und bemerkte, wie ihre Wangen feucht wurden.

Behutsam wischte er ihr eine Träne weg. Das war ihr Antwort genug. Mit beiden Händen strich sie über seine Brust. Er schloss sie in seine Arme. Ihre Lippen näherten sich einander und vereinten sich in einem innigen Kuss. Seine Berührung fühlte sich so weich an. Doch unvermittelt löste er sich. Mit einem Ruck wandte er sich von ihr ab. Seinen Mund fest zusammengepresst, starrte er auf die Felder.

»Dietmar?« Verwirrt kniete sie sich vor ihn, suchte seinen Blick. »Ich brauch dich. Dein Kuss ist Balsam für mein Herz. Du willst mich und wenn wir zusammenliegen, könnt ich das Grauen für eine Weile vergessen.«

Sein Brustkorb hob und senkte sich. Er stand auf und schaute den Weg entlang. »Nein. Nicht solange er dich benutzt. Es ist widerlich, ausgerechnet mit dem eigenen Vater die gleichen Schenkel zu teilen.« Ohne sie eines Blickes zu würdigen, marschierte er davon.

Runhild durchflutete es heiß, ihr schwindelte. »Nein!« Heftig schlug sie auf die Stelle ein, wo er gesessen hatte. »Ich liebe nur dich.« Sie krampfte sich zusammen und schluchzte.

Der angeekelte Tonfall in Dietmars Worten traf sie umso härter, nachdem er sie zuvor liebkost hatte. Zerriss ihn die Schändung genauso wie sie? Warum verlangte er nicht sein Erbteil und ging mit ihr fort, wie sie es erträumten? Er wusste, dass sie für ihn keusch bleiben wollte. Mehr denn je dürstete sie nach seiner Umarmung.

Jemand streichelte ihren Kopf. Dietmar? Hoffnungsvoll rieb sie sich die Augen. Durch ihren Tränenschleier erkannte sie jedoch nur Agnes, die sie in ihre Arme nahm und wiegte.

 

In der folgenden Nacht wälzte sie sich ruhelos herum. Immer wieder sah sie Dietmar vor sich, der sich von ihr abwandte. Seine Mutter nannte sie eine Hure, wie die Buhlen, die es für ein paar Münzen schamlos mit den Kerlen trieben.

Runhild drehte sich auf die andere Seite und schniefte. Sie ließ ihren Herrn gewähren, weil er sie sonst totprügeln würde. War das ehrenhafter? Sie zweifelte. Das Kopfkissen fing ihre Tränen auf. Irgendwann forderte ihr erschöpfter Körper sein Recht und sie sank in einen traumlosen Schlaf. Eine kalte Leere breitete sich in ihr aus.

Sie schwieg beim Weben, jegliche Plauderei schien ihr bedeutungslos. Vorsichtig tastete sie zwischen Rock und Bank, wo das Küchenmesser verborgen lag. Das Metall fühlte sich eisig an. Doch der Tod war niemals warm und weich.

»Ich bin gleich zurück«, hörte sie Agnes’ Stimme.

Die Türe klapperte. Endlich allein. Sie griff das Messer und strich zärtlich darüber. »Bring mich weg von hier. Schlimmer kann es in der Hölle auch nicht sein. Heilige Jungfrau, vergib mir.« Runhild packte die Klinge fest mit beiden Händen und richtete die Spitze gegen ihren Leib. Sie zitterte, bald war es vorüber. Noch einmal atmete sie tief durch, dann schloss sie die Augen und holte aus.

»Runhild! Nicht!«

Ihr Kopf zuckte herum. Agnes stand bleich und keuchend in der Tür.

Verwirrt ließ Runhild die Waffe sinken, vor ihrer Freundin vermochte sie es nicht zu tun.

»Ich muss mein Leid beenden«, wisperte sie.

»Du landest in der ewigen Verdammnis, wenn du dich umbringst. Ist es das wert?« Agnes eilte die Stufen hinab und legte ihre Hand auf Runhilds.

»Dietmar. Ich weiß nicht, wie sehr er mich noch liebt. Meinst du, wir können wieder glücklich miteinander sein, wenn der Herr von mir ablässt?« Runhild blinzelte den Tränenschleier weg.

Ihre Freundin seufzte. »Du weißt genau, dass es keine gemeinsame Zukunft für den Spross eines Hörigen und einer Leibeigenen gibt. Warum quälst du dich so?«

»Er versprach mir die Ehe, bevor es passierte.« Runhild sah an Agnes vorbei.

»Vergiss ihn. Es ist besser für deinen Seelenfrieden und für dein Leben.« Agnes streichelte ihre Schultern. »Margarete erzählte mir, dass sein Vater eine Braut für ihn sucht.«

Runhilds Herz setzte einen Moment aus. »Das ist nicht wahr. Herrin Dietlind sagte, Dietmar will mich freikaufen.« Ihre Finger krampften sich um den Griff des Messers.

Agnes öffnete ihr sanft, aber unnachgiebig die Hand und entwand ihr die Klinge. »Ich hab keine Ahnung, was er wirklich für dich empfindet. Aber was Herr Kunolf befiehlt, ist für ihn Gesetz. Und er wird einsehen, dass er mit einer jungen Bäuerin samt Mitgift lohnender dran ist.«

Seufzend wischte sich Runhild über die Nase. »Mechthild hatte mich schon davor gewarnt, aber die Liebe zwischen ihm und mir ist besonders.«

Agnes schüttelte den Kopf. »Versprich mir, dass du keine Dummheit begehst, mein Kätzchen!«

Verreckte der Bauer doch nur bald durch Krankheit oder Unfall, dann könnte Dietmar selbst entscheiden, ob er sie zum Weib wollte. Diesen Hoffnungsschimmer behielt sie jedoch für sich. Niemand würde sie verstehen.

»Du hast Recht.« Runhild richtete sich auf. »Ich bin so töricht.« Heftig schoss sie das Schiffchen durch die Kettfäden und schlug schroff die Lade an.

»Nein, nur eine Träumerin.« Agnes begab sich zurück an ihren Webstuhl.

 

An jedem Sonntag betete Runhild zur Jungfrau Maria. Um ein Unglück für ihren Peiniger wagte sie nicht zu bitten, doch sollte die Heilige zumindest ihre Seele retten. Aber was wusste eine Jungfrau vom Leid einer Geschändeten? Selbst die Gemahlin ihres Herrn, deren Bauch­umfang stetig zunahm, vermochte es sich nicht vorzustellen. Gewiss bestieg Kunolf Dietlind nie gegen ihren Willen.

 

»Du schaust so verbissen, meine Kleine.«

Runhild drehte sich zu ihrer Mutter um und entspannte sich. »Es ist wegen Dietmar. Das ist jetzt der zweite Gottesdienst, nach dem er bei Käthe steht.« Sie ballte die Fäuste.

»Ärgere dich nicht. Vielleicht ist er nur freundlich zu Herrn Heinrichs Tochter?« Gelsa nahm sie in die Arme.

»Gott straft mich für meinen Hochmut. Oder meine Torheit. Warum straft er Herrn Kunolfs Ehebruch nicht damit, dass ihm sein Schwanz abfällt.« Sie löste sich aus der Umarmung. »Er beschimpft mich als träges Stück Fleisch. Wenigstens prügelt er mich nicht, wenn ich gehorche. Ich schließe die Augen und denke ganz fest an das Bildnis der Heiligen Jungfrau.«

Dass es nicht mehr ihr Leib war, dessen er sich bemächtigte, da ihr dieser Körper von Mal zu Mal fremder erschien, erwähnte sie nicht. Ihre Mutter sorgte sich ohnehin genug, ohne helfen zu können. Und wer auch immer Runhilds Vater war, über den Gelsa beharrlich schwieg, er vermochte gegen diesen Mistkerl sicher nichts auszurichten. Wie so oft nach der Kirche, schmiegte Runhild sich an die Schulter ihrer Mutter, um Trost zu finden.

 

Nach Weihnachten begannen die Tage länger zu werden, doch sah Runhild kein Zeichen darin, dass die Dunkelheit gleichfalls aus ihrem Leben schwand.

»Wenn doch nur jemand seinen Betrug dem hohen Herrn zutragen würde.« Sie schielte kurz zu Agnes und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf ihre Spindel.

»Damit er auf diesem Weg die Strafe erhält, die er verdient? Er ist der reichste Bauer hier, niemand wird sich trauen, aus Angst, dass Kunolf nach seiner Strafe Rache an ihm übt.«

»Stimmt. Unser Grundherr würde ihn womöglich nur auspeitschen lassen. Es macht vermutlich kaum Sinn, wenn ich mit Pfarrer Alba über ihn sprech.« Runhild schmunzelte bitter. »Bei dem vielen Wein, den dieser Heuchler ihm spendet für das Abendmahl und sein Mittagessen.«

 

Die letzten kalten Tage endeten und sie konnten die Tür während der Arbeit wieder öffnen. Der Frühlingsduft schlich sich vorsichtig herein. Selbst Runhild lächelte beim Anblick der ersten Frühlingsfarben in Gestalt von Gänseblümchen, Huflattich und Narzissen.

Schnaufend schaute die Bäuerin eine Woche vor Ostern in die Werkstätte. »Ihr müsst heute beim Putzen helfen. Unser Freund aus der Stadt hat sich für morgen angekündigt.«

»Der Herr Anselm?«, wollte Agnes wissen.

»Dummes Ding. Der Grundherr war noch nie unser Freund. Runhild, du richtest die Kammer für Gerfried her.« Sie nickte ihr kurz zu, ehe sie sich entfernte.

Agnes hob die Brauen und leckte sich über die Lippen. »Für den Kaufmann würde ich nicht nur das Bett beziehen.«

»Er ist derjenige, an den unser Herr heimlich verkauft.« Runhild legte das Schiffchen auf den Webstuhl. Beim Aufstehen stützte sie sich mit beiden Händen auf. »Jetzt weiß ich, warum die zwei, wenn er hier ist, in den Wald gehen.«

Sie tauschten einen verstehenden Blick.

 

Den folgenden Tag verbrachten sie mit dem Spinnen der Wolle. Vergeblich versuchte Runhild sich einzureden, sie habe sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Die wenigen Male, die sie mit Dietmar alleine war, schürten ihre Hoffnung, dass sie eines Tages den Bauern los sei und mit ihrem Liebsten vereint. Er küsste sie wieder und versprach, dass er seinen Vater irgendwann überzeugt hätte, ihm seinen Erbteil auszuzahlen. Bloß, wann? Runhild seufzte.

»Ich sehn mich nach dem Feierabend. Lang kann es nicht mehr dauern.«

»Du bist etwas blass. Fühlst du dich nicht gut?« Agnes hielt ihre Spindel an.

»Nur müde.« Sie lächelte ihrer Kameradin beruhigend zu. Das entsprach nicht der ganzen Wahrheit.

Im selben Moment ertönte Hufgetrampel und ein Karren näherte sich. Agnes huschte zu den Stufen vor dem Eingang. »Er sieht so gut aus.« Den Kopf zur Seite geneigt, schielte sie zu Runhild hinüber.

»Der mit Halbglatze auf dem Kutschbock?« Runhild lächelte schelmisch.

Agnes warf eine Rolle Garn nach ihr. »Du weißt genau, wen ich meine.«

Lachend trat Runhild neben sie. »Bei Herrn Gerfried erkennt man nicht, ob er noch alle Haare hat. Aber die blaue Kappe mit den Aufschlägen schaut gut aus zu seinem kastanienbraunen Haar.«